Anton Schuberl Schmellerstraße 22 93051 Regensburg Semester: 3 Matrikelnummer: 119859 5
Die Freizügigkeit Unterschiede zwischen Art. I-8 II Spglstr. 1 und Art. II-45 des
Europäischen Verfassungsentwurfs.
Prof. Dr. Thorsten Kingreen Seminararbeit Europäische Grundrechte
Wintersemester 2004/2005 Kleinwalsertal/Universität Regensburg
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Gliederung
GLIEDERUNG...............................................................................................................II
LITERATURVERZEICHNIS..........................................................................................4
DIE FREIZÜGIGKEIT IN DER EUROPÄISCHEN UNION ..........................................1
I. Begriffsdefiniton.......................................................................................................1
II. Geschichtliche Entwicklung ..................................................................................1
III. Bedeutung der allgemeinen Freizügigkeit ..........................................................4
1. Artikel 39 EG ..........................................................................................................4 a) Allgemein ...................................................................................................................................4 b) Schranken..................................................................................................................................5 c) Verhältnismäßigkeit ....................................................................................................................6
2. Artikel 18 EG ..........................................................................................................6 a) Gegenstand ...............................................................................................................................6 b) Bedeutung..................................................................................................................................7 c) Räumlicher Geltungsbereich.......................................................................................................7 d) Persönlicher Geltungsbereich.....................................................................................................8 e) Primärrechtliche Verankerung ....................................................................................................8 f) Unmittelbare Anwendbarkeit........................................................................................................8 g) Verhältnis zu Artikel 12 EG.........................................................................................................9 h) Schranken................................................................................................................................ 10
3. Artikel II-45 VE .....................................................................................................10 a) Bedeutung................................................................................................................................ 10 b) Inhalt und Schranken................................................................................................................ 11 c) Verhältnis zu Art. 18 EG und Art. I-8 II Spglstr. 1 VE .................................................................11 d) Drittstaatsangehörige ............................................................................................................... 12
4. Artikel I-8 II Spstr. 1 VE .......................................................................................12
IV. Grundfreiheit oder Grundrecht? ........................................................................13
1. Grundfreiheiten ....................................................................................................13 a) Vorbemerkung..........................................................................................................................13 b) Verhältnis zu anderen Rechten.................................................................................................13 c) Verpflichtete .............................................................................................................................14
2. Grundrechte .........................................................................................................15
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a) Begriff und Entstehung .............................................................................................................15 b) Verpflichtete .............................................................................................................................15
3. Gemeinsamkeiten und Unterschiede..................................................................16
4. Entscheidung .......................................................................................................17
V. Verhältnis zu deutscher Freizügigkeit ...............................................................18
1. Art. 11 GG ............................................................................................................18
2. Art. 33 GG ............................................................................................................19
VI. Schlussgedanke...................................................................................................19
ERKLÄRUNG..............................................................................................................22
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Literaturverzeichnis Barriga, Stefan Die Entstehung der Charta der Grundrechte der Europäischen
Union, 1. Aufl., Baden-Baden, 2003; (Zitiert als: Barriga)
Bernsdorf, Norbert Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 1. Aufl.,
Baden-Baden, 2002; (Zitiert als: Bernsdorf)
Ehlers, Dirk Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2003, Berlin;
(Zitiert als: Bearbeiter, in: Ehlers)
Calliess, Christian Kommentar des Vertrages über die Europäische Union und des
Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 2.
Aufl., 2002, Neuwied; (Zitiert als: Bearb., in: Callies/Ruffert)
Görres-Gesellschaft Staatslexikon, Band II, 7. Aufl., 1986, Freiburg;
Hakenberg, Waltraud Grundzüge des Europäischen Gemeinschaftsrechts,
2. Aufl., München, 2000; (Zitiert als: Hakenberg)
Kingreen, Thorsten Europarecht, Heft 3, 1998, Baden-Baden (Zitiert als: EuR) Kingreen, Thorsten Europäische Grundrechtezeitschrift 2004, S. 570 ff.
Pieroth, Bodo Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar,
7. Aufl., München, 2004; (Zitiert als: Pieroth GG)
Quasdorf, Peter Dogmatik der Grundrechte der Europäischen Union, Frankfurt
am Main, 2001; (Zitiert als: Quasdorf)
Schwarze, Jürgen Der Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents,
Baden-Baden, 1. Aufl., 2004; (Zitiert als: Bearb., in: Schwarze)
Von d. Groeben, Hans Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Band I, 6. Aufl.,
2003, Baden-Baden; (Zitiert als: Bearbeiter, in: Groeben)
1
Die Freizügigkeit in der Europäischen Union
I. Begriffsdefiniton Der Begriff Freizügigkeit meint die Freiheit des Zuges, das heißt, die
Freiheit des örtlichen Ab- und Zuzugs. Es ist nicht nur ein Begriff, der
erst durch die Europäische Union Bedeutung gewann, seit jeher
gehören „Aufbruch“ und „Heimkehr“, „Ferne“ und „Heimat“, „Weg“ und
„Ziel“ zur menschlichen Vollexistenz. Die Freizügigkeit schützt die
Freiheit, von seinem abgestammten Ort wegzuziehen, um sich an
einem anderen Ort niederzulassen oder weiterzureisen. Auch ist das
Recht wieder zurückzukehren und sogar die Freiheit nicht wegziehen
zu müssen und an seinem angestammten Ort bleiben zu können
gewährleistet. Strittig ist nur, ob man durch Freizügigkeit allein auch
das Recht bekommt aus dem Raum, in dem das Recht gewährleistet
wird, auszuwandern. Das Recht zurückzukehren ist unumstritten.1
Freizügigkeit wird auf verschiedenen Ebenen und unterschiedlich
ausgeprägt gewährleistet. Auf Landesebene wird die Freizügigkeit in
Bayern in Art. 109 BV gewährleistet, einschließlich des
Auswanderungsrechts nach außerdeutschen Ländern. Dieses Recht
wird auch allen anderen Deutschen, die ihren Wohnsitz in Bayern
haben, durch Art. 8 BV gewährt. Bundesweit gibt es den Art. 11 GG,
der die Freizügigkeit generell regelt und der durch die Art. 2 I GG, das
Recht auszuwandern und Art. 33 GG, Gleichstellung aller Deutschen,
ergänzt wird. Auf der Ebene der Europäischen Union existieren, neben
dem Diskriminierungsverbot (Art. 12 EG), der Art. 18 EG, bzw. die Artt.
I-8 II Spglstr. 1 VE und II-45 VE, welche ich im weitern näher
untersuchen möchte.
II. Geschichtliche Entwicklung Schon in den ersten Verträgen zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaften waren bestimmte Grundfreiheiten verankert. Ziel der
EG war es ursprünglich ja einen gemeinsamen Markt zu schaffen.
1 Staatslexikon, S. 738 f.
2
Hierfür mussten Grenzen im Wirtschaftssektor abgebaut werden, so
auch für Arbeitnehmer. Aus der Niederlassungs- und
Dienstleistungsfreiheit wurde als Annexgewährleistung die Freizügigkeit
primärrechtlich abgeleitet. Später als Freizügigkeit der Arbeitnehmer
verankert. Dies war jedoch immer verknüpft mit der Bedingung einer
wirtschaftlichen Betätigung.
Durch mehrere Verordnungen und Richtlinien seit dem Jahre 1968
wurde die Freizügigkeit sekundärrechtlich geregelt, wodurch sie immer
mehr ausgeweitet wurde.2
Grundlegend ist hierfür die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates
vom 15.10.1968.3 Durch diese wurden die Einzelheiten der
Freizügigkeit festgelegt. So wurden sämtliche Hindernisse einer freien
Mobilität auch für Familienangehörige abgeschafft. Auch die Kinder von
Wanderarbeitern wurden den Staatsangehörigen hinsichtlich des
Unterrichts und der Lehrlings- und Berufsausbildung gleichgestellt.
Weitere Verordnungen und Richtlinien4 sicherten das Bleiberecht nach
Beendigung einer Beschäftigung oder Ausübung einer selbstständigen
Tätigung.5
Mit der Wandlung des Europas der Wirtschaft zum Europa der Bürger
seit der Mitte der 70er Jahre wurde früh ein allgemeines
Freizügigkeitsrecht als zentrales Element gefordert. 1977 forderte das
Europäische Parlament die Einführung eines allgemeinen
Aufenthaltsrechts, da dies eines der „besonderen“ politischen und
bürgerlichen Rechte sei, die den Bürgern beim Übergang von der EG
zur Europäischen Union zuerkannt werden müssten. Auch die
Kommission schlug im Juli 1979 ein allgemeines Aufenthaltsrecht zur
Ergänzung der bestehenden Aufenthaltsrechte vor. Der Rat jedoch
lehnte diesen Vorschlag trotz mehrmaliger Änderungen und der
Unterstützung durch den Adonnino-Ausschuss (ad-hoc-Ausschuss
„Europa der Bürger“) ab und wurde im Mai 1989 von der Kommission 2 Kluth, Winfried, in: Calliess/Ruffert, S. 447 f., Art. 18, Rn. 1. 3 Abl. L 257, S. 2. 4 Verordnung (EWG) Nr. 1251/70 der Kommission vom 29.6.1970 (Abl. L 142, S. 24);
Richtlinie 75/34/EWG des Rates vom 17. 12.1974 (Abl. 1975, L 14, S. 10). 5 Hakenberg, S. 104 f.
3
zurückgezogen. Im Juni 1989 legte die Kommission drei neue
Richtlinien anstelle der abgelehnten vor. Die erste regelte das
Aufenthaltsrecht für Studenten (basierend auf dem heutigen Art. 12 II
EG), die zweite das Aufenthaltsrecht von aus dem Erwerbsleben
ausgeschiedenen Arbeitnehmern und Selbstständigen (basierend auf
den heutigen Artt. 40, 44 EG) und die dritte war ein Auffangrecht für
alle übrigen Unionsbürger (basierend auf dem jetzigen Art. 94 EG). Der
Rat änderte an den Richtlinien erhebliches und nahm sie dann am 28.
Juni 1990 auf der Grundlage vom jetzigen Art. 308 EG an. Jedoch
erklärte der EuGH die Richtlinie für Studenten auf Klage des
Europäischen Parlaments für nichtig, da sie, wie von der Kommission
vorgeschlagen, auf Grundlage des jetzigen Art. 12 II EG hätte erlassen
werden müssen. Deshalb erließ der Rat am 29. Oktober 1993 die
inhaltsgleiche Studentenrichtlinie erneut, aber eben diesmal auf
Grundlage des jetzigen Art. 12 II EG.6 Somit war das Aufenthaltsrecht
umfassend gewährleistet. Jedoch wurde dieses Recht insofern
eingeschränkt, dass die Berechtigten nachweisen mussten,
krankenversichert zu sein und über ausreichende Existenzmittel zu
verfügen. Dadurch wurden die Sozialsysteme des Aufnahmestaates
geschützt. Ansonsten konnte dieses Recht nur dann über die
Richtlinien hinaus eingeschränkt werden, wenn dies aus Gründen der
öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit oder der
Volksgesundheit gerechtfertigt war.7 1992 mit der Umbenennung von
Europäischer Wirtschaftsgemeinschaft zu Europäischer Gemeinschaft
wird mit Artikel 18 im Vertrag von Maastricht auch die
Unionsbürgerschaft auf primärrechtlicher Ebene eingeführt.8 Womit
das erste mal im Vertragwerk, wie von der Kommission gefordert, das
Recht eines jeden Unionsbürgers festgeschrieben wurde, „sich im
Hoheitsgebiet der Union frei und ohne zeitliche Begrenzung zu
6 Haag, Marcel, in: Groeben, Art. 18, Rn. 1 ff. 7 Art. 2 II Unterabs. 3 der Richtlinie 90/364/EWG, 90365/EWG. 8 Kadelbach, Stefan, in: Ehlers, S. 470, Rn. 10.
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bewegen und aufzuhalten, unabhängig davon, ob man eine
Erwerbstätigkeit ausübt“. 9
Nach marginalen Änderungen des Absatzes 2 in den Verträgen von
Amsterdam und Nizza über die Regelung des Erlasses von
Ausführungsbestimmungen bekam die Entwicklung durch die
Entstehung des Verfassungsentwurfs neue Dynamik. Als erstes wurde
in die von der Herzog-Kommission entworfene Grundrechtecharta der
Europäischen Union ein Bürgerrecht auf Freizügigkeit aufgenommen.
Dieses entspricht inhaltlich dem Artikel 18 I EG, dürfte sich aber in der
Bedeutung von diesem unterscheiden. In dem vom
Verfassungskonvent entworfenen Vertrag über eine Verfassung für
Europa fand sich neben der Freizügigkeit in der in die Verfassung
aufgenommenen Grundrechtecharta auch ein dem Art. 18 EG
entsprechender Art. I-8 II Spglstr. 1 VE.
III. Bedeutung der allgemeinen Freizügigkeit
1. Artikel 39 EG
a) Allgemein Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, zusammen mit dem
Niederlassungsrecht und teilweise des Dienstleistungsverkehrs, ein Teil
der Freiheit des Personenverkehrs, gewährt allen Staatsangehörigen
eines Mitgliedslandes das Recht, die Grenzen innerhalb der
Europäischen Gemeinschaft ohne Hindernisse zu überschreiten, um
sich in dem anderen Staat um Arbeit zu bewerben und einer
abhängigen Beschäftigung nachzugehen. Die Bedingungen, nach
denen man nach Beendigung des Arbeitslebens in dem Staat
verbleiben kann sind ebenfalls festgelegt.10 Geschützt sind also das
Recht auf Bewerbung um tatsächlich angebotene Stellen,
Aufenthaltsrechte für die Arbeitssuche, zur Ausübung der
Beschäftigung, sowie ein Aufenthaltsrecht nach Beendigung der
Beschäftigung.
9 Haag, Marcel, in: Groeben, Art. 18, Rn. 3. 10 Groeben, Vorbem. zu den Artikeln 39 bis 41 EG, Rn. 1.
5
Die Freizügigkeit für Arbeitnehmer beschränkte sich speziell auf
Unionsbürger, die dieses Recht in Verbindung mit einer wirtschaftlichen
Tätigkeit wahrnahmen. Jedoch wurde es sekundärrechtlich so
ausgestaltet, dass auch Personen, die nicht am Arbeitsleben
teilnehmen, davon erfasst sind.11
Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist spezieller als Art. 18 EG, da sie
über ihn hinaus auch noch ein Recht auf Teilnahme am
Wirtschaftsverkehr gewährt12 und im Verhältnis zu diesem eine lex
specialis ist, die diesen verdrängt. Aber auch die nachträgliche
Einführung des allgemeiner gefassten Art. 18 EG wirkt sich auf Art. 39
EG aus. Denn bei der Auslegung von Art. 39 EG werden wohl auch Art.
18 EG, sowie die herausragende Stellung der Unionsbürgerschaft und
der sich daraus ergebenden Freizügigkeit zu berücksichtigen sein.
Im Verfassungsentwurf wurde die Reihenfolge der Grundfreiheiten
geändert. Jetzt wird die Personenfreiheit als erstes genannt. Jedoch ist
dies nur der Ausdruck der Entwicklung zu einem Europa der Bürger
und ändert an der Wertigkeit der Freiheiten wohl nichts. So sieht dies
auch der Europäische Gerichtshof.
b) Schranken Eigentlich kann die Freizügigkeit für Arbeitnehmer nur in drei Bereichen
eingeschränkt werden.
Dies ist so bei Beschäftigungen in der öffentlichen Verwaltung,
insbesondere der Benennung von Beamten (Art. 39 IV EG). Dabei
muss die Beschränkung aber auf die eigentlichen Hoheitsfunktionen
der öffentlichen Verwaltung beschränkt bleiben.13
Der zweite Bereich ist im Falle einer Gefahr für die öffentliche Ordnung,
Sicherheit und Gesundheit (Art. 48 III EG). Man kann also
Arbeitnehmer aus Mitgliedsstaaten der Union ausweisen, wenn Fälle
wiederholter Kriminalität, Drogenkonsum, ansteckende Krankheiten
11 Hakenberg, S. 104. 12 EuGH, Slg. 1996, I-929, Rn. 22 – Skanavi;
Kadelbach, Stefan, in Ehlers: S. 478, Rn. 37. 13 EuGH, 2. 7.1996, C-290/94, Slg. S. I-3285.
6
oder Ähnliches. vorliegen. Es reichen aber nicht allein
Abschreckungsgründe bei fahrlässig begangenen Straftaten.14
Als drittes können Anstellungen von sachlichen Erwägungen abhängig
gemacht werden.15 Hierunter fällt die fachliche Eignung, aber auch die
Beherrschung der Landessprache.16
c) Verhältnismäßigkeit Einschränkungen der Freizügigkeit fallen unter das Gebot der
Verhältnismäßigkeit. Ähnlich wie bei den deutschen Grundrechten
muss jede staatliche Maßnahme, die die Freizügigkeit beeinschränkt,
zuerst darauf geprüft werden, ob sie einen legitimen Zweck verfolgt,
geeignet ist, diesen Zweck zu erreichen und auch erforderlich ist.17
2. Artikel 18 EG
a) Gegenstand Sekundärrechtlich entstanden aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit,
gewährt Artikel 18 das allgemeine Recht auf Bewegungs- und
Aufenthaltsfreiheit für Unionsbürgerinnen und –bürger im Hoheitsgebiet
der Mitgliedsstaaten nunmehr primärrechtlich. Demnach kann jeder aus
einem Mitgliedstaat zum Zwecke der Einreise in einen anderen
Mitgliedstaat ausreisen, in den anderen Mitgliedstaat einreisen und sich
innerhalb des anderen Mitgliedsstaates frei bewegen und aufhalten.
Dazu kann sich jeder in einem anderen Mitgliedsstaat einen Wohnsitz
nehmen. Generell darf niemand von einem Mitgliedstaat benachteiligt
werden, wenn er von seinem Recht auf Freizügigkeit gebraucht macht.
Also gilt das Recht aus Artikel 18 EG auch im Verhältnis zwischen dem
Unionsbürger und seinem eigenen Heimatland. Dies jedoch nur, wenn
er von seinem Staat aufgrund der Nutzung seines Freizügigkeitsrechts
benachteiligt wird.18 Freizügigkeit in seinem eigenen Land, ohne dass
14 EuGH, 26.2.1975, 67/74, Slg. S. 297 – Bonsignore. 15 Hakenberg, S. 106 f. 16 EuGH, 28.11.1989, Groener, C-379/87, Slg. S. 3967. 17 Hakenberg, S. 107. 18 Haag, Marcel, in: Groeben, Art. 18, Rn. 8 ff.
7
dies einen grenzüberschreitenden Charakter hat, wird durch Art. 18 EG
nicht gewährt.19
Unionsbürger müssen zwar in einem anderen Mitgliedsstaat ihre
Staatsangehörigkeit belegen können, aber die Kontrollen, die
durchgeführt werden, dürfen nicht weiter gehen, als bei
Staatsangehörigen des betreffenden Staates, egal ob diese an den
Grenzen oder im Inland stattfinden.
Nicht geschützt ist jedoch das Recht aus dem Gebiet der Europäischen
Union auszureisen.
b) Bedeutung Die Unionsbürgerschaft ist dazu bestimmt, der „grundlegende Status“
der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zu werden20 und die
allgemeine Freizügigkeit in Art. 18 EG ist das zentrale Element für den
Status der Unionsbürgerschaft, denn alle anderen Rechte gründen sich
darauf. So wie die vier Grundfreiheiten für den gemeinsamen
Binnenmarkt, so ist die allgemeine Freizügigkeit das Fundament für die
Unionsbürgerschaft und somit des Europas der Bürger.21 Wie sollte
zum Beispiel ein Unionsbürger in einem Mitgliedsland, in das er
übersiedeln möchte sein Recht an Kommunal- und Europawahlen
teilnehmen zu können ausüben, wenn er nicht einmal das Recht hat,
sich dort einen Wohnsitz zu nehmen?
c) Räumlicher Geltungsbereich Die Freizügigkeit gilt im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten der
Europäischen Union. Hierzu gehören die 25 Mitglieder und teilweise
auch deren überseeischen Territorien, wie z. B. Französisch Guyana in
Südamerika. Manche Territorien von EU-Mitgliedsstaaten gehören
aufgrund ihrer Autonomie jedoch nicht zum Gebiet der EU, z.B.
Grönland.
Auch ist im Vertrag nicht festgelegt, wie dieses Hoheitsgebiet
auszusehen hat. Wenn sich also das Gebiet eines Staates, wie es bei
19 Kadelbach, Stefan, in: Ehlers, S. 480, Rn. 40. 20 EuGH – Grzelczyk, C-184/99 – Slg. 2001, I-6193, Rn. 31. 21 Kadelbach, Stefan, in: Ehlers, S. 478, Rn. 37.
8
der deutschen Wiedervereinigung der Fall war, ändert, so ändert sich
auch die Reichweite des Freizügigkeitsrechts.
d) Persönlicher Geltungsbereich Die Freizügigkeit ist ein Recht aller Unionsbürger. Unionsbürger ist
jeder, der Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaates ist. Die
Unionsbürgerschaft tritt zur Staatsangehörigkeit hinzu, um diese zu
ergänzen, aber ohne diese zu ersetzen.22
e) Primärrechtliche Verankerung Artikel 18 EG verankert die allgemeine Freizügigkeit erstmals im
Primärrecht. Diese Erhöhung ist äußerst wichtig. Dadurch bekam sie
sozusagen Verfassungsrang. Sie wurde durch die Festschreibung in
den Verträgen inhaltlich kaum verändert gegenüber der Freizügigkeit,
die bereits im Sekundärrecht bestand, aber die Bedeutung des Rechts,
die Bewertung bei der Auslegung und die Möglichkeiten der
Beschränkung der Freizügigkeit haben sich grundlegend geändert.23
Das Recht auf Freizügigkeit ist weit und die Schranken eng
auszulegen.
f) Unmittelbare Anwendbarkeit Die Literatur geht inzwischen mehrheitlich davon aus, dass das
Freizügigkeitsrecht unmittelbar anwendbar ist. Wenn man aber die
Definition des Europäischen Gerichtshofs zugrundelegt, wonach eine
Bestimmung des Primärrechts klar gefasst sein muss, an keine weitere
Bedingung geknüpft sein darf und keiner weiteren Umsetzungsakte
mehr bedürfen soll, um unmittelbar anwendbar zu sein24, bekommt man
Zweifel. Denn in Art. 18 EG steht, dass das Freizügigkeitsrecht nur
„vorbehaltlich“ im EG-Vertrag und im Sekundärrecht vorgesehener
Beschränkungen und Bedingungen gewährt wird. Es gibt jedoch einen
Unterschied zwischen anderen Vorschriften, zum Beispiel Art. 19 EG,
und dem Freizügigkeitsrecht aus Art. 18 EG. Bei ersterem müssen
noch Einzelheiten festgelegt werden, um das Recht zu gewähren, bei 22 Hakenberg, S. 80. 23 Kadelbach, Stefan, in: Ehlers, S. 479, Rn. 39. 24 EuGH, Slg 1963, 1, 25 f – Gend & Loos.
9
Art. 18 EG „kann“ der Rat Vorschriften erlassen, um weitere
Erleichterungen einzuführen, er muss aber nicht, was nur mit
Direktwirkung der Norm Sinn macht.25
Es handelt sich um ein subjektiv-öffentliches Recht,26 das weit
auszulegen27 und unmittelbar anwendbar ist.28
g) Verhältnis zu Artikel 12 EG Art. 12 EG verbietet jegliche Diskriminierung von Unionsbürgern
aufgrund der Staatsangehörigkeit. Im Grunde ist die Freizügigkeit der
Unionsbürger eine besondere Ausprägung des
Diskriminierungsverbotes. Denn erst durch die Gewährung der
Freizügigkeit für alle Unionsbürger wird eine Schlechterstellung von
EU-Ausländern in einem Mitgliedsland verhindert. Jedoch beschränkt
sich die Inländergleichbehandlung auf den Anwendungsbereich des
Vertragsrechts.29 Sie verbietet Einschränkungen von Unionsbürgern in
ihrer Freiheit sich überall im Unionsgebiet frei zu bewegen und
niederzulassen, nur aufgrund der Tatsache, dass sie Staatsangehörige
eines anderen Mitgliedslandes sind. Art. 18 EG ist somit ein lex
specialis zu Art. 12 EG.
Art. 12 EG tritt aber nicht subsidiär hinter Art. 18 EG zurück, sondern
kann in Verbindung mit ihm einen weitergehenden Anspruch auf
Inländergleichbehandlung begründen, der auch zu einem derivativen
Leistungsanspruch erweitert werden kann.30 So stehen einem
Unionsbürger, wenn er sich in einem anderen Mitgliedsland angesiedelt
hat, die gleichen sozialen Unterstützungen zu, wie einem
Staatsangehörigen dieses Landes, denn ansonsten würde er
diskriminiert. Jedoch verlangt das Schrifttum eine sachliche
25 Kadelbach, Stefan, in: Ehlers, S. 479, Rn. 38. 26 EuGH – Wijsenbeek, C-378/97 – Slg. 1999, I-6207, Rn. 41. 27 KOM (93) 702, S. 2, 5. 28 Calliess/Ruffert, Art. 18 EG, Rn. 9. 29 EuGH – Grzelczyk, C-184/99 – Slg. 2001, I-6193, Rn. 32. 30 Kadelbach, Stefan, in: Ehlers, S. 481, Rn. 42.
10
Begrenzung auf einen Zusammenhang mit dem Aufenthaltsrecht.31
Eine Grenze wird aber schwer zu ziehen sein.
h) Schranken Es ist zwar einschränkend festgeschrieben, dass dieses Recht nur
vorbehaltlich der im EG-Vertrag und in den Durchführungsvorschriften
vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen ausgeübt werden
darf. Insofern müssten also die Einschränkungen, die in den drei
Richtlinien der neunziger Jahre festgeschrieben wurden, ebenso für
das Recht aus Art. 18 EG gelten. Das stimmt jedoch nur eingeschränkt.
Art. 18 EG als ein in der Verfassung festgeschriebenes Recht ist weit
und jede Einschränkung dieses Rechts eng auszulegen.32
Beim Eingriff in die Freizügigkeit muss, wie bei den Grundfreiheiten der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Generell darf nur
eingegriffen werden, wenn der EG-Vertrag oder das Sekundärrecht
dies überhaupt zulassen. Zumeist wird dies aufgrund der öffentlichen
Sicherheit geschehen. Unter strengen Vorraussetzungen können also
bei Straftaten aufenthaltsbeendende Maßnahmen ergriffen werden,
sowie dies unter denselben Bedingungen bei der Freizügigkeit für
Arbeitnehmer der Fall ist.33 Generell gelten für die Freizügigkeit aus Art.
18 EG die gleichen Schranken wie für die Freizügigkeit der
Arbeitnehmer aus Art. 39 EG. Jedoch müssen diese im Lichte der
herausragenden Stellung der Unionsbürgerschaft und der Freizügigkeit
des Art. 18 EG betrachtet werden.
3. Artikel II-45 VE
a) Bedeutung Mit der Schaffung der Europäischen Grundrechtecharta durch die
Herzog-Kommission wurde ein weiterer wichtiger Schritt hin zur
Integration der Europäischen Union gemacht. In erster Linie haben die
Bürgerinnen und Bürger Europas endlich die Möglichkeit ihre 31 Kluth, in: Calliess/Ruffert, Art. 18 EGV, Rn. 5. 32 Haag, Marcel, in: Groeben, Art. 18, Rn. 7. 33 Kadelbach, Stefan, in: Ehlers, S. 481, Rn. 45.
11
Grundrechte in einem Dokument zusammengefasst und verdeutlicht zu
finden.
Die Charta erfindet jedoch keine neuen Grundrechte. Der Europäische
Rat von Köln beauftragte die Kommission nur dahingehend, die bereits
auf Unionsebene geltenden Grundrechte zusammenzufassen und
sichtbarer zu machen34 und beauftragte sie nicht mit der Änderung der
Verträge, sondern „ausschließlich mit der Ausarbeitung einer Charta,
die diesen hinzugefügt werden könnte“.35 Man könnte also auf die Idee
kommen, dass diese Katalogisierung bereits bestehender Grundrechte
keine rechtliche Wirkung habe. Auch wenn die Normierung der
europäischen Grundrechte eigentlich nur deklaratorische Wirkung
entfaltet, so wird sie doch deren Wirkung und Bedeutung erheblich
verstärken.
b) Inhalt und Schranken Die Freizügigkeit in Art. II-45 VE gewährleistet allen Unionsbürgerinnen
und -bürgern, wie Art. 18 EG ein allgemeines Recht auf Bewegungs-
und Aufenthaltsfreiheit in der Europäischen Union, unabhängig von
einer wirtschaftlichen Betätigung.36
Der Inhalt von Art. II-45 I VE ist wohl gleich dem von Art. 18 I EG,
ausgenommen der Beschränkung, die Art. 18 I EG beinhaltet und der in
Art. II-45 I VE vermeintlich fehlt. Diese fehlt aber wie gesagt nur
vermeintlich, denn in der Grundrechtecharta wurden Beschränkungen
der Übersicht halber aus den einzelnen Artikeln genommen und
zusammengefasst. So finden sie sich wieder in den Artikeln des Titels
VII, den allgemeinen Bestimmungen über die Auslegung und
Anwendung der Charta.
c) Verhältnis zu Art. 18 EG und Art. I-8 II Spglstr. 1 VE Ursprünglich wurde angenommen, Art. II-45 VE entspreche Art. 18
EG37, da der Wortlaut ähnlich ist und der Grundrechtekonvent kein
34 Bernsdorf, S. 46. 35 CONV 116/02, S. 11. 36 EuGH – Baumbast und R, C-413/99 – v. 17.9.2002, Rn. 84. 37 Barriga, S. 141 f.
12
neues Grundrecht erfinden durfte, sondern nur schon vorhandene
Grundrechte katalogisierte. (siehe oben) Es ist wohl auch unstreitig,
dass er aus dem Art. 18 EG entstanden ist und diesen repräsentieren
sollte. Jedoch ist fraglich, ob sich die Bedeutung durch die
Ausarbeitung des Verfassungsentwurfs nicht grundlegend geändert
hat. Denn auch Art. I-8 II Spglstr. 1 VE entstand aus Art. 18 EG. Art. II-
45 VE und Art. I-8 II Spglstr. 1 VE unterscheiden sich zwar kaum im
Inhalt, aber von der Reichweite und Bedeutung. Eine reine
„Duplizierung“, wie sie teilweise vom Konvent selbst angenommen
wurde38, fand also letztlich nicht statt. So ist also nur teilweise Art. 18
EG die Entsprechung des Art. II-45 VE.
Meiner Meinung nach hat sich der Art. 18 EG also im
Verfassungsentwurf in zwei Artikel mit verschiedener sich ergänzender
Bedeutung aufgespalten. (Siehe: Grundfreiheit oder Grundrecht?)
d) Drittstaatsangehörige Absatz 2 ermöglicht es, auch Drittstaatsangehörigen, die sich
rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines EU-Mitgliedsstaates aufhalten,
Freizügigkeit und Aufenthaltsrecht zu gewähren.
Diese Möglichkeit fehlt bei Art. I-8 VE vollkommen, in diesem Fall ist
Art. II-45 VE spezieller.
Drittstaatsangehörige haben aber nicht automatisch Freizügigkeit, sie
muss ihnen erst sekundärrechtlich gewährt werden.
4. Artikel I-8 II Spstr. 1 VE Vom Inhalt her entspricht dieser Artikel dem Artikel 18 EG und Art. II-45
VE, sie können sich also nur in der Bedeutung oder Reichweite
unterscheiden. Um dies herauszufinden, muss erst geklärt werden,
welch ein Artikel ein Grundrecht und welcher eine Grundfreiheit ist.
38 CONV 116/02, S. 11.
13
IV. Grundfreiheit oder Grundrecht? Der Begriff „Grundfreiheit“ taucht in den Verträgen der Europäischen
Gemeinschaft nicht auf. Er wurde aber von der deutschen Rechtslehre
entwickelt und fand Eingang in die Terminologie des EuGH und die
Rechtslehren anderer Staaten. Er ist aber abzugrenzen von den
Grundfreiheiten in der EMRK und den Freiheitsrechten in der
Grundrechtecharta.
Wenn wir uns fragen, ob die allgemeine Freizügigkeit eine Grundfreiheit
oder ein Grundrecht ist, so muss erst geklärt werden, wo die
Unterschiede liegen.
1. Grundfreiheiten
a) Vorbemerkung Von Anfang an fanden sich die Grundfreiheiten in den Verträgen der
Europäischen Gemeinschaften. Durch die Rechtsprechung bekamen
sie aber erst ihre Ausgestaltung. Es gibt grundsätzlich nur vier
Grundfreiheiten, die Personenverkehrsfreiheit, bestehend aus
Arbeitnehmerfreizügigkeit und Niederlassungsfreiheit, die
Warenverkehrsfreiheit, die Dienstleistungsfreiheit und die
Kapitalverkehrsfreiheit.39 Sie wurden eingeführt um einen
gemeinsamen Binnenmarkt zu ermöglichen. Alle Grenzen sollten für
die Wirtschaft fallen, eine Ungleichbehandlung wegen dem
Herkunftsland einer arbeitenden Person, einer Ware, Dienstleistung
oder Kapital sollte der Vergangenheit angehören.
b) Verhältnis zu anderen Rechten Die Artt. 17 ff. EG, darunter auch die Freizügigkeit stehen in keinem
Konkurrenzverhältnis zu ihnen, sondern ergänzen diese vielmehr oder
bilden ihrerseits Grundfreiheiten.
Auf den ersten Blick sind die Grundfreiheiten als leges speciales des
Diskriminierungsverbotes von Art. 12 EG zu sehen, welches in einem
Subsidiaritätsverhältnis zu diesen stehen würde.40 Fraglich ist jedoch,
ob es nicht sein kann, dass das Diskriminierungsverbot neben den
39 Ehlers, S. 148 f., Rn. 2 ff. 40 Ehlers, S. 151, Rn. 11.
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Grundfreiheiten bestehen bleibt, was zum Beispiel der Fall ist, wenn
Art. 18 EG als Grundfreiheit gesehen wird.
Die Anwendungsbereiche der Grundfreiheiten und der
Gemeinschaftsgrundrechte können sich überschneiden. Es ist aber
sehr umstritten, ob die Grundfreiheiten speziellere Formen der
Grundrechte darstellen, welche dann den allgemeinen Grundrechten
vorgehen würden und diese verdrängen, soweit sie anwendbar sind.41
c) Verpflichtete Um den gemeinsamen Markt zu schaffen, müssen die Grundfreiheiten
Trägern aller staatlichen Gewalt unbedingte Verpflichtungen
auferlegen42, egal auf welcher Ebene. In erster Linie natürlich den
Mitgliedsstaaten, die durch ihre verschiedenen Rechtssysteme
prädestiniert sind, EU-Ausländer zu diskriminieren, ob das nun gewollt
oder ungewollt geschieht. Im innerstaatlichen Recht entfalten sie
unmittelbare Wirkung. Aber auch die EU mit all ihren Organen ist
Verpflichtete der Grundfreiheiten,43 denn auch diese ist Träger von
Staatsgewalt, auch wenn ihr offiziell noch die Staatsqualität
abgesprochen wird.
Grundfreiheiten stellen subjekitve Rechte dar und können somit vor den
Gemeinschaftsgerichten und den nationalen Gerichten geltend
gemacht werden.44 Sie können aber in keinem Falle
kompetenzbegründend oder kompetenzerweiternd wirken.45
41 So: Ehlers, S. 152, Rn. 15; AA: Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 6 EUV, Rn. 81 mit Fn 222. 42 Ehlers, S. 149, Rn. 7. 43 Ehlers, S. 164, Rn. 40; AA: Kingreen, in: Europäische Grundrechtezeitschrift, S. 575 f. 44 Ehlers, S. 150, Rn. 8. 45 Ehlers, S. 161, Rn. 34.
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2. Grundrechte
a) Begriff und Entstehung Grundrechte, wie wir sie verstehen, sind Rechte des Individuums
gegen Hoheitsträger. Sie gewähren eine grundlegende Rechtsposition,
deren Beschränkung eine Rechtfertigung verlangt.
Da die EG bei der Gründung eine Wirtschaftsgemeinschaft auf
völkerrechtlicher Basis war, gab es keine Notwendigkeit, Grundrechte
einzuführen. Europa wendet sich jedoch auch an Privatpersonen und
kann für und gegen jedermann verbindliches Recht setzen. Deshalb
wurde es notwendig Grundrechte zu formulieren. Aber jegliche Initiative
zur Formulierung eines Grundrechtekatalogs scheiterte. Nicht zuletzt
auf Druck von nationalen Verfassungsgerichten, in erster Linie des
deutschen Bundesverfassungsgerichts46, war der EuGH gezwungen im
Wege der Rechtsfortbildung auf der Grundlage des Art. 220 EG
(Kompetenz zur Wahrung des Rechts), einzelne Grundrechte zu
formulieren. Als Rechtserkenntnisquellen fungierten die
Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten und die EMRK.47
Erst die Grundrechtecharta katalogisiert die schon vorhandenen
Grundrechte der Union. Sie ist nun auch ein Bestandteil des
Verfassungsentwurfs, ist aber bis jetzt noch nicht rechtlich bindend.
b) Verpflichtete Natürlich sind die Organe und Einrichtungen der Europäischen
Gemeinschaften die Verpflichteten der Grundrechte. Es ist
Europarecht, also wäre es widersprüchlich, wenn sie es nicht wären.
Die Mitgliedsstaaten werden bei den Grundrechten insbesondere
gebunden, wenn sie Gemeinschaftsrecht in nationales Recht
umsetzen, es vollziehen.48 Wenn sie Grundfreiheiten durch nationale
Maßnahmen beschränken, so sind die nationalen Grundrechte
einschlägig.49 Fraglich ist nur, ob bei den Mitgliedsstaaten auch alle
46 Kingreen, in: EuR, S. 272. 47Ehlers, Dirk, in: Ehlers: S. 319 ff., Rn. 2 ff. 48Ehlers, Dirk, in: Ehlers: S. 331, Rn. 30. 49 Kingreen, in: Europäische Grundrechtezeitschrift, S. 576; AA: Ehlers, Dirk, in: Ehlers,
S. 331, Rn. 30.
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staatlichen Ebenen verpflichtet sind, die Europäischen Grundrechte
einzuhalten, wie es bei den Grundfreiheiten der Fall ist. Das ist meiner
Meinung nach abzulehnen. In allen Mitgliedsstaaten der Union ist ein
ausreichender Grundrechtsschutz vorhanden, alleine schon durch die
Mitgliedschaft in der EMRK. Um ein vereintes Europa der Bürger zu
schaffen ist es nicht notwendig, dass die nationalen Grundrechte durch
die Europäischen ersetzt werden. Dadurch würden wertvolle Vielfalt
verloren, aber keine hinderlichen Schranken beseitigt.
3. Gemeinsamkeiten und Unterschiede Grundrechte und Grundfreiheiten sind beides Rechte des Individuums
gegen staatliche Gewalt.
Auch wenn die Grundfreiheiten auf die Verwirklichung eines
gemeinsamen Binnenmarktes zielten und die Grundrechte das Europa
der Bürger stärken, so sind doch beide gleichwertig, da die
Grundfreiheiten in allen Bereichen, nicht nur der Wirtschaft, und die
Grundrechte auch in der Wirtschaft gelten.
Hauptunterschied ist jedoch in der Zielsetzung zu finden.
Grundfreiheiten zielen auf transnationale Integration. Sie wollen die
zwischenstaatlichen Schranken abbauen, um eine Gemeinschaft zu
schaffen. Während Grundrechte supranationale Legitimation darstellen.
Sie sollen die Legitimation für die durch die Grundfreiheiten bereits
geschaffene Gemeinschaft sein.50
Grundrechte sind nur auf europäischer Ebene bindend. Es werden
neben den Gemeinschaftsorganen zwar auch die Mitgliedsstaaten
verpflichtet, jedoch nur, wenn sie EU-Recht durchsetzen oder
anwenden, ohne selbst Spielraum zu haben. Sobald sie dabei
Spielraum besitzen, greifen die nationalen Grundrechte.
Grundfreiheiten müssen ihrem Wesen nach alle Ebenen staatlicher
Gewalt verpflichten, ansonsten würden sie ihre Wirksamkeit einbüßen.
50 Kingreen, in: Europäische Grundrechtezeitschrift, S. 574 f.
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4. Entscheidung Art. 18 EG ist wohl eine Grundfreiheit.51 Er entstand sekundärrechtlich
aus den Grundfreiheiten und bindet seinem Wesen nach auch alle
staatliche Gewalt, nicht nur auf EU-Ebene. Fraglich ist aber, ob dies
genauso auf die Artt. I-8 II Spglstr. 1 VE und II-45 VE zutrifft. Man
könnte meinen, es wäre eine Duplizierung oder ein Versehen des
Konvents. Ich denke jedoch, dass man die Zweifachnennung der
Freizügigkeit beachten muss. Der Gesetzestext ist manchmal klüger,
als der Gesetzgeber, also muss die Frage, in welchem Verhältnis die
beiden Artikel zueinander stehen durch Auslegung ermittelt werden.
Teleologisch sind sie weitgehend identisch, systematisch aber nicht.
Art. I-8 II Spglstr 1 VE steht unter dem Titel „Grundrechte und
Unionsbürgerschaft“. Dies deutet daraufhin, dass zwischen
Grundrechten und den Rechten aus der Unionsbürgerschaft
unterschieden wird. Auch steht der Artikel im ersten Teil des
Verfassungsentwurfs, in dem die Grundlagen der Union geregelt
werden, während Art. II-45 VE im zweiten Teil, der Grundrechtecharta,
unter dem Titel „Bürgerrechte“ steht.
Diese beiden Artikel sind nicht identisch, somit ist auch eine Diskussion
darüber, ob für Artikel II-45 VE wegen Art. 52 II VE auch die Schranke
des Art. I-8 III VE und nicht Art. II 51 I VE gilt, überflüssig.52 Es gilt für
jeden Artikel unabhängig vom anderen die jeweils zuständige
Schranke. Art. 18 EG, der EU-Organe und Mitgliedsstaaten
gleichermaßen auf allen Ebenen verpflichtet, hat sich in zwei Artikel
aufgespalten. Art. II-45 VE verpflichtet als Grundrecht die EU-Organe
und die Mitgliedsstaaten, aber ausschließlich dann, wenn sie EU-Recht
umsetzen oder anwenden,53 er ist also spezieller, als der Art. I-8 II
Spglstr 1 VE, der als Grundfreiheit alle Ebenen staatlicher Gewalt
verpflichtet. Wenn also in Umsetzung oder Anwendung von EU-Recht
die Freizügigkeit verletzt wird, so ist Art. II-45 VE einschlägig. Falls aber 51 So: Haag, Marcel, in: Groeben, Art. 18, Rn. 6; Kingreen, in: Europäische
Grundrechtezeitschrift, S. 571 f; AA: Callies-Ruffert, S. 450, Rn. 9: “Art. 18 ist ein
Grundrecht” 52 AA: Kingreen, in: Europäische Grundrechtezeitschrift, S. 572. 53 Quasdorf, S. 146 ff.
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Mitgliedsstaaten in einem grenzüberschreitenden Fall auf nationaler
Ebene das Freizügigkeitsrecht verletzen, so ist Art. I-8 II Spglstr. 1 VE
anzuwenden. Dies macht auch Sinn. EU-Organe werden wohl seltener
und in kleinerem Umfang dieses Recht verletzen, somit ist es
gerechtfertigt, dass es auf dieser Ebene durch die Schranke des Art. II-
52 I VE eingeschränkt ist. Während die EU-Mitgliedsstaaten, für die
Verletzung prädestiniert sind und somit die Freizügigkeit ihnen
gegenüber nur nach Art. I-8 III VE eingeschränkt ist.
V. Verhältnis zu deutscher Freizügigkeit
1. Art. 11 GG Art. 11 GG schützt, wie Art. 18 EG die Freizügigkeit. Diese bedeutet
hier die Möglichkeit, „an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets
Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen“54 Es ist unerheblich, warum man
einen Ortswechsel vollzieht. Die Freizügigkeit ist von der allgemeinen
Handlungsfreiheit in Art. 2 I GG abzugrenzen, deshalb darf
angenommen werden, dass die Freizügigkeit in Art. 11 GG eine
ausreichende Bedeutung und vor allem Dauer des Aufenthalts
vorraussetzt. Wie bei Art. 18 EG wird die Einreise zum Zweck des
Aufenthalts, aber nicht die Ausreise aus dem Gebiet geschützt, welche
von der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützt ist. Ähnlich wie Art. 18
EG kann die Freizügigkeit unter anderem eingeschränkt werden, falls
ein Ortswechsel die ausreichende Lebensgrundlage gefährden würde,
wenn dadurch eine Gefahr für die freiheitliche demokratische
Grundordnung oder für den Bestand des Bundes oder eines Landes
abgewehrt wird und in Fällen zum Schutz der Volksgesundheit (Abwehr
von Seuchengefahren). Aber natürlich muss bei jeder Beschränkung
der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden.
Nicht von der Freizügigkeit des Art. 11 GG geschützt ist die
wirtschaftliche Niederlassungsfreiheit, denn da ist Art. 12 GG
einschlägig.55 Aber auch bei Art. 18 EG ist dies ähnlich, da hier die
54BVerfGG 2, 266/273. 55Jarass, in: Pieroth GG, Art. 11, Rn. 1 ff.
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Grundfreiheit der wirtschaftlichen Niederlassung einschlägig ist und Art.
18 EG subsidiär zurücktritt.
2. Art. 33 GG Art. 33 GG verbietet als Pendant zu Art. 12 EG jegliche
Ungleichbehandlung aufgrund der Landeszugehörigkeit. Vergleichbar
mit Art. 18 EG ist er insoweit, da ja Art. 18 EG eine lex specialis zu Art.
12 EG ist. Da aber mit Art. 11 GG die Freizügigkeit geregelt ist, hat Art.
33 GG mit dieser nur bedingt zu tun, ähnlich wie Art. 12 EG mit Art. 18
EG.56
VI. Schlussgedanke Diese Verfassung hat unbestritten eine herausragende Bedeutung für
die Europäische Union. Die Katalogisierung der Grundrechte in der
Grundrechtecharta, sowie die Aufnahme dieser Charta in die
Verfassung ermöglichen es den Bürgerinnen und Bürgern der Union
sich bewusst zu werden, dass sie nicht nur in einem Europa der
Wirtschaft, sondern einem Europa der Bürger leben, einem Europa in
dessen Mittelpunkt der Mensch steht. Die Trennung und Klarstellung
der Kompetenzen zwischen den Organen der Union und der Union und
den Mitgliedsländern erhöht die Transparenz ungemein. Die Stärkung
der Rechte des Europäischen Parlaments, sowie die Einführung
plebiszitärer Elemente bringen eine längst überfällige demokratische
Legitimierung Europäischer Staatsgewalt. Mehr Transparenz und
Demokratie könnten es schaffen das Bild Europas in den Köpfen der
Menschen vom Brüssler Bürokratenstaat zu einer Gemeinschaft der
Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu wandeln.
Dennoch möchte ich mir nicht jede Kritik verwehren. Die Europäische
Verfassung ist eine einzigartige Schöpfung, es konnte auf keinen
ähnlichen Vorgänger zurückgegriffen werden, da das Europäische
Projekt das erste seiner Art ist. Und diese Schwierigkeit erklärt wohl
auch die hohe Anzahl von Artikeln, die Detailfreude und die teilweise zu
56 AA: Kingreen, in: Europäische Grundrechtezeitschrift, S. 574.
20
komplizierte Struktur. Aus deutscher Sicht, die wir ja eine sehr
glückliche Hand mit unserem Grundgesetz hatten, stellt sich die Frage,
ob die Verfassung nicht sehr gekürzt und auch in der Strukturierung
überarbeitet werden müsste. Ausgehend vom Thema dieser
Seminararbeit würde ich vorschlagen die Systematik von Grundrechten
und Grundfreiheiten zu vereinfachen und klarer zu gestalten. Es ist
dem einfachen Bürger einfach nicht zuzumuten, dass er, wenn er etwas
über sein Recht auf Freizügigkeit erfahren möchte, diese verstreut über
drei Teile der Verfassung suchen muss und auch wenig Klarheit
darüber hat, welche Freizügigkeit nun auf ihn zutrifft und welche
Tragweite sie nun hat. Sonderregelungen für Arbeitnehmer können
auch einfachgesetzlich festgelegt werden.
Auch die Verwechslungsgefahr für den einfachen Bürger zwischen
Grundfreiheiten und den „Freiheiten“ der Charta muss entschärft
werden.
Die Bedeutung der Grundfreiheiten gründet sich auf der Vielfalt der
nationalen Rechtsordnungen, deren Schranken sie abbauen sollen. Mit
der Vereinheitlichung der Rechtssysteme nimmt auch die Bedeutung
der Grundfreiheiten stetig ab.57 So wie dies an den Artikeln 11 und 33
GG zu sehen ist.
Vielleicht wäre es gut, die Grundfreiheiten generell in den Grundrechten
aufgehen zu lassen. In vielen Verfassungen wird die Freizügigkeit als
Grundrecht garantiert. So könnte man auch die jetzigen Grundfreiheiten
als Grundrechte in die Verfassung aufnehmen. Man muss dann nur
noch klarstellen, dass bestimmte Grundrechte bei
grenzüberschreitenden Fällen auch auf rein nationaler Ebene alle
staatlichen Ebenen verpflichten. Dann wären alle Rechte des Bürgers
in einem Teil der Verfassung einheitlich und übersichtlich
zusammengefasst.
Ich bin jedoch zuversichtlich, dass sich eine Vereinfachung und
Verschlankung der Verfassung mit den Jahren in einem langwierigen
aber stetigen Prozess durchsetzen wird. Auch die Rechtsprechung und
die Rechtsgelehrten werden ihren Teil dazu beitragen. 57 Kingreen, in: Europäische Grundrechtezeitschrift, S. 574.
21
Das wichtigste ist erst einmal, dass die Verfassung von allen
Mitgliedsstaaten, die noch Mitglied bleiben wollen, ratifiziert wird.
Erklärung
Hiermit erkläre ich, dass ich diese Seminararbeit eigenständig und ohne
unerlaubte Hilfe angefertigt habe.
Regensburg, 20. Dezember 2004
__________________________
Anton Schuberl
Freizügigkeit in Europa anhand des Verfassungsentwurfs der Europäischen Union
Anton Schuberl 1. Was ist Freizügigkeit?
Die Freiheit des Zuges gehört zur menschlichen Vollexistenz! Wegzug von angestammten Ort, um sich woanders niederzulassen oder weiterzuziehen. Rückkehr in die Heimat Recht nicht wegziehen zu müssen, Bleiberecht Umstritten: Auswanderungsrecht
Aufspaltung in verschiedene Artikel und Rechte in den Verfassungstexten. Hier behandelt: Freizügigkeit im engeren Sinne, das Recht ungehindert Grenzen zu überwinden.
Artikel 18 I EG-Vertrag, Artikel I-8 II Spglstr 1, II-45 I Verfassungsentwurf
2. Fortentwicklung des Diskriminierungsverbots • Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsangehörigkeit bei Nutzung der Freizügigkeit • Keine lex specialis! • Sozialer Leistungsanspruch an den Nationalstaat ist Ergebnis der Kombination 3. Transnationale Integration • Geschichtliche Entwicklung • Beseitigung der Binnengrenzen • Schaffung eines gemeinsamen Bürgertums • Fundament eines neuen Staatenverbundes • Bindung für alle staatlichen Ebenen • Bedeutungsverlust durch steigende Integration 4. Supranationale Legitimation • Neue Staatsgewalt vorhanden • Bedarf der Legitimation • Bindung für europäische Ebene • Bedeutungszunahme von Grundrechten 5. Duplizierung im Verfassungsentwurf Aufspaltung von Art. 18 I EG in Grundfreiheit Art. I-8 II Spglstr 1 VE und Grundrecht Art. II-45 I VE Gesetzestext manchmal klüger als Gesetzgeber • Vertikale Bundung aller staatlicher Ebenen an Art. I-8 II Spglstr 1 VE
Schranke: Absatz 3 • Horizontale Bindung der europäischen Ebene an Art. II-45 II VE
Schranke: Art. II-52 VE 6. Schlussgedanke • Größere Einfachheit und Übersichtlichkeit der Verfassung • Übergang vom Vertrag zu Verfassung
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