Skript zur Vorbereitung auf den
Sporthochseeschifferschein
Lutz Böhme
Skript zur Begleitung für den
Sporthochseeschifferschein
Lutz Böhme
Ausgabe 2019
Geehrter Leser,
ich habe in diesem Skript, neben den für die praktische Anwendung der Astronomischen Navigation
interessanten Themen, die Schwerpunkte auf die in den letzten Jahren in den deutschen Führerschein-
prüfungen gestellten Fragen zum Erwerb des Sporthochseeschifferscheins gelegt.
Es werden also auch einige Bereiche (vor allem im hinteren Teil des Skriptes) erörtert, die für die Praxis eher
untergeordnet sind. Die reinen Praktiker mögen mir verzeihen.
Ich wünsche allen Führerscheinbewerbern viel Erfolg!
Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ernst Schroeder und Manfred Böhme für die unermüdliche fachliche und
motivierende Unterstützung. Ohne sie wäre dieses Werk so nicht entstanden. Danke!
Dieses Skript unterliegt dem Urheberrecht und darf – auch auszugsweise – nicht ohne ausdrückliche
schriftliche Erlaubnis des Autors reproduziert, übertragen oder vervielfältigt werden. Dies gilt für jegliche,
auch elektronische Form.
Die vollständigen Rechte an Texten, Grafiken und Bildern liegen bei Lutz Böhme.
Für Hinweise zur Verbesserung, Lob und Kritik bin ich dankbar. [email protected]
Übungsaufgaben und Formblätter sind unter www.lutzboehme.de/segeln/index.htm zu finden.
Wedel vor Hamburg im Februar 2019
Lutz Böhme
5
Inhalt
Astronomische Navigation ................................................................................................................................. 7
Grundgedanken der astronomischen Navigation .............................................................................................. 8
Von der Beobachtungshöhe zur Standlinie ......................................................................................................10
Nautisches Jahrbuch .........................................................................................................................................14
Nautisches Jahrbuch – Tagseite ...................................................................................................................15
Nautisches Jahrbuch – Schalttafel ................................................................................................................18
Sextant ..............................................................................................................................................................21
Teile des Sextanten ......................................................................................................................................23
Gestirnshöhe messen mit dem Sextanten ...................................................................................................23
Ablesen des Sextanten .................................................................................................................................24
Fehler des Sextanten ....................................................................................................................................25
Standlinienkonstruktion nach Saint Hilaire ......................................................................................................27
Höhenwinkelmessung – Korrekturen ...............................................................................................................31
Höhenwinkelmessunk – Korrekturen – Kimmtiefe ......................................................................................31
Höhenwinkelmessung – Korrektur – Refraktion ..........................................................................................32
Höhenwinkelmessung – Korrektur – Gestirnsdurchmesser, Höhen- und Horizontalparallaxe ...................33
Zeitmessung – die Uhr ......................................................................................................................................36
Zeiten und Zeitarten .........................................................................................................................................37
Vollständige Berechnung ..................................................................................................................................39
Grafische Lösung ohne Seekartenausschnitt ...................................................................................................42
Versegeln von astronomisch gewonnenen Standlinien ...................................................................................43
Kurzes Versegeln von astronomischen Standlinien .....................................................................................44
Längeres Versegeln von astronomischen Standlinien ..................................................................................45
Astronomische Koordinatensysteme ...............................................................................................................47
System des Horizontes .................................................................................................................................47
System des Himmelsäquators ......................................................................................................................49
Nautisch astronomisches Grunddreieck ......................................................................................................50
Polfigur .........................................................................................................................................................52
Meridianfigur ................................................................................................................................................53
Mittagsbesteck .................................................................................................................................................55
Nordsternbreite ................................................................................................................................................55
Astronomische Kompasskontrolle ....................................................................................................................56
Besteck- und Großkreisrechnung .....................................................................................................................57
Besteckrechnung ..........................................................................................................................................58
Koppelrechnung ...........................................................................................................................................58
6
Großkreisrechnung .......................................................................................................................................58
Hinweise zur Formelsammlung im SSS/SHS-Begleitheft ..............................................................................58
Eingaberegeln für Taschenrechnernutzung .................................................................................................59
Besteckrechnung (loxodromisch) – mit Mittelbreite ...................................................................................59
Koppelrechnung (loxodromisch) – mit Mittelbreite ....................................................................................59
Vergrößerter Breite ......................................................................................................................................60
Besteckrechnung (loxodromisch) – mit vergrößerter Breite .......................................................................61
Koppelrechnung (loxodromisch) – mit vergrößerter Breite .........................................................................61
Großkreisrechnung (orthodromisch) ...........................................................................................................62
Abkürzungsverzeichnis .....................................................................................................................................63
Literaturverzeichnis ..........................................................................................................................................65
Stichwortverzeichnis ........................................................................................................................................66
Astronomische Navigation
7
Astronomische Navigation
Die astronomische Navigation ist älter als die Seefahrt. Weit vor unserer Zeitrechnung wurden im Orient
Gestirnsbeobachtungen schon zur Landvermessung genutzt. Arabische Gelehrte hatten sehr umfangreiche
Kenntnisse über die Bewegungen am Himmel, hatten Hunderten von Fixsternen Namen gegeben und in
Gruppen zu Sternbildern zusammengefasst.
Griechische Mathematiker waren sich im
Altertum sicher, dass die Sonne das
Zentralgestirn unseres Systems sei und konnten
mit Beobachtungen von Schatten, Zeiten und
Winkeln die Größe der Erde, die Entfernung zur
Sonne und einigen Planten relativ genau
bestimmen. Dies ist umso erstaunlicher, wenn
klar wird, dass das Fernrohr noch nicht erfunden
war.
Es ist nicht bekannt, wann die astronomische Navigation erstmals angewandt wurde. Selbst zu Kolumbus
Zeiten war z. B. der Sextant noch unbekannt, von einer genau gehenden Uhr ganz zu schweigen. Vielleicht
sind diese beiden Geräte und die Berechnungen der Gestirnsbewegungen und deren Niederschrift die
Voraussetzung für unsere heutige astronomische Navigation.
Umfangreiche Gestirnsvorausberechnungen fertigten
Johannes Kepler und Isaac Newton um 1600 n. Chr. an. Der
Sextant wurde ca. 1730 von John Hadley und Thomas
Godfrey in seiner heutigen Form vorgestellt. Die erste
verlässlich gehende Uhr baute John Harrison im 18.
Jahrhundert.
Erstaunlicherweise werden auch heute – im Zeitalter der präzisen Satellitennavigation – immer noch
vorausberechnete Gestirnsdaten in gedruckten Unterlagen, den nautischen Jahrbüchern, jährlich neu
herausgegeben. Ebenfalls werden immer noch Sextanten gefertigt.
So bleibt die astronomische Navigation nach
wie vor eine faszinierende Methode der
Ortsbestimmung, die prinzipiell tadellos
funktioniert, wenn auch mit Bordmitteln nicht
die Genauigkeit moderner elektronischer
Navigationssysteme erreicht werden kann.
Astronomische Navigation
8
Grundgedanken der astronomischen Navigation
Warum kann überhaupt mit Gestirnen, die zigtausende Kilometer entfernt sind, eine Position auf der Erde
bestimmt werden?
Damit es nicht gleich zu komplex wird, soll folgender Zwischenschritt den Einstieg erleichtern:
Wie kann mit einer Gestirnsbeobachtung erst einmal nur eine Standlinie ermittelt werden?
Grundvoraussetzung ist die genau bekannte Position des Gestirns zum Beobachtungszeitpunkt. Diese
Position ist für eine Vielzahl von Gestirnen vorausberechnet und im Stundenraster im Nautischen Jahrbuch
aufgeführt. Der Aufbau des Jahrbuches folgt im nächsten Kapitel. Interessanterweise ist die Angabe der
Gestirnsposition nicht dreidimensional. Es reicht für die gesamte astronomische Navigation aus, die
Gestirnsposition wie einen geographischen Ort, also auf der Erdoberfläche, nach Breite und Länge zu
benennen. Folgende Grafik veranschaulicht diese astronomische Ortsbeschreibung:
Abbildung 1: Bildpunkt auf Erdkugel: φ = 32° 00,0‘ N, λ = 019° 00,0‘ E
Eine gedachte gerade Linie vom Mittelpunkt des Gestirns zum Mittelpunkt der Erde durchstößt irgendwo die
Erdoberfläche. Dieser Punkt heißt Bildpunkt. Weil dieser auf der Erdoberfläche liegt, entspricht seine
Position terrestrischen Koordinaten nach Breite und Länge.
Diese Bildpunktkoordinaten haben folgende astronomische Bezeichnungen: Die Breite wird Deklination oder
Abweichung genannt und mit dem Formelzeichen „“ gekennzeichnet. Die Länge heißt Greenwicher
Stundenwinkel und wird mit „Grt“ abgekürzt. Grt und δ sind Parameter des astronomischen
Koordinatengitters „System des Himmelsäquators“ (siehe Kapitel „Astronomische Koordinatensysteme“).
Darüber hinaus wird astronomisch immer erst die Länge, dann die Breite angegeben. Als dritter Unterschied
wird die Längenangabe, also der Grt, vollkreisig nur westwärts von 0° bis 360° gezählt. Es wird also nicht wie
in der terrestrischen Navigation zwischen Ost- und Westlängen unterschieden. In unserem Beispiel wird
somit aus:
Aus terrestrisch = 32°00,0’ N, = 019°00,0’ E wird astronomisch Grt = 341°00,0’, = 32°00,0’ N.
Aus 360° Vollkreis minus 019° Ost wird 341° West. Das „W“ hinter dem Grt wird weggelassen, da Bildpunkt-
koordinaten grundsätzlich nur mit westlichen Längen beschrieben werden.
Bildpunkt
Astronomische Navigation
9
Warum wird nun aber die dritte Dimension, die Entfernung nicht benötigt? Diese Frage lässt sich mit einem
einfachen Bespiel beantworten (Im Folgenden wird vorerst UT1 = UTC gesetzt. Siehe Kapitel „Zeiten und
Zeitarten“).
Wenn bei Dämmerung am 20. Juni 2005 ein Beobachter genau um 02:00:00 Uhr UT1 unter einem ihm
bekannten Gestirn – hier Jupiter – steht, sieht er das Gestirn exakt senkrecht über sich. Nun muss nur das
Nautische Jahrbuch mit dem Datum 20. Juni 2005 aufgeschlagen und die Uhrzeitzeile von 02:00:00 Uhr UT1
angesehen werden, um die Koordinaten für Jupiter herauszufinden. Dort steht für Jupiter: Grt = 109°20,9’
und = 02°25,4’ S. Nach kurzer Umwandlung der astronomischen in die terrestrische Schreibweise ist sofort
der terrestrische Ort: = 02°25,4’ S und = 109°20,9’ W ermittelt. Dieser Standort ist der aktuelle Bildpunkt
von Jupiter. Fertig! Die Entfernung zu Jupiter ist völlig egal. Der Beobachter hat seine „einfache“
astronomische Ortsbestimmung.
Hinweis: 02:00:00 Uhr UT1 bedeutet nicht 02:00 Uhr nachts Ortszeit, denn UT1 ist die Londoner
Ortszeit am Null-Meridian. Grundsätzlich wird in der astronomischen Navigation mit UT1
gearbeitet. Die lokale Ortszeit spielt nur selten eine Rolle. (siehe Kapitel „Zeiten und Zeitarten“)
Sieht ein Beobachter ein Gestirn genau senkrecht über
sich, dann steht er genau am Bildpunkt des Gestirns.
Das Gestirn steht für ihn im Zenit. Die Bildpunkt-
koordinaten entsprechen den Beobachterkoordinaten
und diese stehen im Nautischen Jahrbuch.
(Einschränkung: nur knapp 50 Gestirne und nur im
Stundenraster sind im Jahrbuch aufgelistet)
Der Begriff Gestirn ist der Oberbegriff für alle
natürlichen Himmelskörper, also Mond, Planeten,
Fixsterne und damit auch die Sonne.
Aber wo kommt der Sextant ins Spiel? Dass ein nautisch relevantes Gestirn genau im Zenit steht, wäre schon
ein ziemlicher Zufall und außerdem nicht von großer Dauer. Schließlich bewegt sich der gesamte
Sternenhimmel schnell über uns hinweg. Die oben beschriebene Zenit-Methode wird also nur sehr selten
funktionieren.
Der Sextant ermöglicht einen neuen Ansatz.
Mit dem Sextanten wird die Winkelhöhe zwischen der Standfläche des Beobachters und dem Gestirn
gemessen. Diese Höhe wird „h“ abgekürzt. In obigem Fall mit dem Gestirn im Zenit: h = 90°.
h = 90°
Abb. 2: Beobachter am Bildpunkt
Astronomische Navigation
10
Von der Beobachtungshöhe zur Standlinie
Das Umschreiben einer astronomischen in eine terrestrische Position ist nicht schwierig. Jedoch wird diese
Konstellation (das Gestirn im Zenit = der Bildpunkt ist der Standort) nur selten direkt zur Anwendung
kommen. Sicher häufiger wird irgendwo am Himmel ein bekanntes Gestirn ausgemacht und dieses wird nicht
senkrecht über dem Beobachter stehen. Praktischer wird es sein, auch dann ein Gestirn zu
Positionsbestimmung nutzen zu könnten, wenn es nicht unter h = 90° beobachtet würde.
Der folgende Gedankengang muss etwas ausholen, macht aber deutlich, wie eine beobachtete Höhe (fast)
direkt in eine Standlinie umgewandelt werden kann.
Eine stark vereinfachte Betrachtung hilft beim Einstieg: Die Erde sei eine flache Scheibe mit dem Radius der
tatsächlichen Erde (ca. 6.000 km). Wenn zwei Beobachter auf dieser Scheibe stünden, einer in der Mitte, der
andere weit außen. Dann würden beide Beobachter ein bestimmtes Gestirn unter fast gleichem Höhenwinkel
beobachten, obwohl sie weit auseinander stehen. Durch die sehr große Entfernung zum Gestirn, im
Verhältnis zum kleinen Positionsabstand der beiden Beobachter, spielt die unterschiedliche Betrachtungs-
richtung auf das Gestirn fast keine Rolle mehr. Die Winkeldifferenz wäre kleiner als 0,001°.
Durch die sehr große Entfernung zwischen Gestirn und Erde treffen die Lichtstrahlen des Gestirns prinzipiell
immer parallel zueinander auf die Erdoberfläche.
Der seitliche Abstand eines Beobachters
zum Bildpunkt spielt keine nennens-
werte Rolle für die unterschiedlichen
Winkelmessungen zum Gestirn.
h3 = 90° h4 = 70°
∆h = 20°
Der gekippte Standort eines Beobachters
auf der gekrümmten Erdoberfläche ist die
Ursache für unterschiedliche Winkel-
messungen zum Gestirn.
h1 = 90° h2 = 89,999°
Abb. 3: Erdscheibe mit je zwei voneinander
entfernten Beobachtern
Abb. 4: Kugeloberfläche mit je zwei voneinander
entfernten Beobachtern
D ≈ 6.000 km
Astronomische Navigation
12
Zusammen mit mindestens einer weiteren
Höhenwinkelmessung (z. B. auf ein anderes
Gestirn) führt eine so gewonnene zweite
kreisförmige Standlinie zu zwei eindeutigen
Schnittpunkten. Einer der beiden ist der
tatsächliche Ort des Beobachters (Ob). Der
zweite Schnittpunkt muss, zum Beispiel durch
Koppeln (siehe Kapitel „Terrestrische
Navigation“), als Ort ausgeschlossen werden.
Dieses klingt etwas riskant, ist aber in
Anbetracht der meist sehr großen Abstände der
beiden Schnittpunkte in der Regel gut machbar.
Wird diese Betrachtung in eine Weltkarte übertragen, ergibt sich folgende Darstellung:
Abb. 7: Beide Standlinien in der Weltkarte
Der nordwestliche Standort kann in diesem Beispiel ausgeschlossen werden, da der Törn am Vortag auf
Korsika begann.
Abb. 6: Erdkugel mit zwei Gestirnsbeobachtungen
Ob
Auszuschließender Standort
Sinnvoller Standort
Seekarte
Astronomische Navigation
14
Nautisches Jahrbuch
Für die astronomische Navigation sind der sichere
Umgang und das Herauslesen der erforderlichen Werte
aus dem Nautischen Jahrbuch notwendig.
Das Nautische Jahrbuch wird jährlich für das jeweilige
Jahr unter anderem vom Bundesamt für Seeschifffahrt
und Hydrographie oder als Nautical Almanac vom
United Kingdom Hydrographic Office herausgegeben.
Beide Werke beinhalten eine Unzahl von Tabellen,
Listen und Plänen.
Im Begleitheft zur Ausbildung zum Sportsee- und Sporthochseeschifferschein sind Auszüge aus dem original
Nautischen Jahrbuch (N.J.) des Jahres 2005 abgedruckt.
Das vollständige Originaljahrbuch umfasst u. a.Erklärungen der Tafeln und Ephemeriden (Bahndaten der
Gestirne), Tabellen für Finsternisse, Jahreszeiten, Zeitgleichung, Mondphasen, Fixsterne. Es folgen Listen für
die Nutzung des Nordsterns, Sichtbarkeitszeiten der Planeten, Auf- und Untergangszeiten von Sonne und
Mond mit Dämmerungszeiten gefolgt von Sternkarten und den Gesamtbeschickungstafeln. Den größten
Bereich im Jahrbuch nehmen die 365 Tagseiten mit den Ephemeriden (aus dem griechischen: „einen Tag
beschreibend“) der nautisch tauglichen Gestirne ein. Die Ephemeriden sind die Gestirnspositionen – jeweils
für einen Tag im Stundenraster aufgelistet. Am Ende des Buches folgen die Schalttafeln.
Hinweis: Als „nautisch taugliche Gestirne“ werden die Sonne, der Mond, vier Planeten und
insgesamt gut 40 Fixsterne genutzt. Nur diese sind mit einem Sextanten überhaupt zu erkennen.
Im Begleitheft zur SSS/SHS-Ausbildung sind folgende Teile des original Nautischen Jahrbuchs abgedruckt:
Übersicht der Fixsterne, Sonnenauf- und -untergangstafeln mit Dauer der Dämmerung, Beschickungstafeln,
knapp 100 Tagseiten von den 365 des Jahres 2005 und abschließend die Schalttafeln.
Mit diesen Unterlagen ist die Positionsbestimmung eines Schiffes unter Zuhilfenahme eines einfachen
Taschenrechners mit Winkelfunktionen, besser noch eines programmierbaren Taschenrechners möglich.
Ausschließlich die Methode mit einem nicht programmierbaren Taschenrechner wird in der SHS-Prüfung
verlangt und hier weiter vorgestellt.
Es gibt noch weitere Methoden. Im amerikanischen sind die HO-Tafeln und im europäischen Raum war vor
den programmierbaren Taschenrechnern das Semiversusverfahren verbreitet.
Abb. 9: Nautisches Jahrbuch
Astronomische Navigation
16
Nautisches Jahrbuch – Tagseite vom 20. Juni 2005 – obere Hälfte
Der Fixsternbereich erstreckt sich immer über zwei
Tagseiten und ist nicht im Stundenraster
aufgebaut, sondern listet rein numerisch auf.
Dieser Bereich beinhaltet für 40 ausgesuchte
Fixsterne deren Sternwinkel β und der Deklination.
Der dort angegebene Sternwinkel ist der feste
Längengradabstand zwischen einem Fixstern und
dem Frühlingspunkt. Dieser Sternwinkel und die
jeweils angegebene Deklination ändert sich so
langsam, dass beide Werte immer für zwei Tage
gelten.
Ein Beispiel im Kapitel „Nautisches Jahrbuch –
Schalttafeln“ stellt die Anwendung vollständig dar.
171. Tag im Jahr 2005 Radius der Sonne an diesem Tag: 15,7‘ Zeit seit Neumond in Tagen
Abb. 10: Auszug Nautischen Jahrbuch – Tagseite 20. Juni 2005 – obere Hälfte
Abb. 11: Auszug Nautischen Jahrbuch –
Mittelteil 20. und 21. Juni 2005 – obere Hälfte
Astronomische Navigation
18
Nautisches Jahrbuch – Schalttafel
Die Tagseiten im Nautischen Jahrbuch listen die Gestirnskoordinaten nur für volle Stunden auf. Deshalb
müssen für Zeitpunkte zwischen den vollen Stunden die Koordinaten selbst bestimmt werden. Dazu könnten
diese durch Interpolation aus den Vollen-Stunden-Werten berechnet werden. Dies ist jedoch bei
Positionsangaben mit Gradzahlen, Minuten und Dezimalminuten nicht immer einfach. So wurden zu Zeiten
vor den Taschenrechnern die Schalttafeln eingeführt. Die Schalttafeln sind nichts weiter als
Interpolationstabellen für jede Minute einer Stunde sowie für jede Sekunde einer Minute. Mit anderen
Worten, es ist der jeweils mehrfache sechzigste Teil von Ausgangswerten in Tafeln aufgelistet.
Abb. 13: Schalttafeln für die 30. und 31. Minute
Im Nautischen Jahrbuch sind immer zwei Schalttafeln für je eine Minute auf einem Blatt zusammengestellt.
In obigem Beispiel die 30. und 31. Minute einer vollen Stunde. Gedanklich muss somit in der Mitte eine
Trennlinie (hier orange dargestellt) gelegt werden. Jede Schalttafel hat in der ersten Spalte eine Sekunden-
einteilung, gefolgt von Spalten für die Sonne mit den Planeten, den Frühlingspunkt und den Mond.
Astronomische Navigation
21
Sextant
Der Sextant in seiner heutigen Form wurde fast zeitgleich von dem Astronomen und Mathematiker John
Hadley und dem Optiker Thomas Godfrey um 1730 entwickelt. Der Name „Sextant“ kommt von „ein
Sechstel“, da er 1/6 eines Vollkreises = 360°/6 = 60° Kreisbogen darstellt. Der Sextant ist ein optisches
Winkelmessgerät. Die Winkel können moderne Sextanten bis auf zehntel Winkelminuten genau messen, das
entspricht einem Winkel von 0,0017°. Sextanten werden heute üblicherweise aus Druckgussaluminium oder
aus hochwertigem Kunststoff hergestellt. Ältere Sextanten bestanden hauptsächlich aus Messing.
In der astronomischen Navigation kommen heutzutage Trommelsextanten zum Einsatz. Diese verfügen
zusätzlich zur Gradablesung am Hauptbogen über eine Feineinstellung mit Hilfe einer Einstelltrommel (siehe
Abbildung). Moderne Sextanten sind üblicherweise etwas größer als die namensgebenden 60° angelegt und
ermöglichen auf Grund der verdoppelnden Spiegelwirkung damit Messbereiche von über 120°.
Der Sextant zeigt den Winkel zwischen zwei Beobachtungsrichtungen. Einerseits zeigt er das Bild, das gerade
vor dem Beobachter liegt – in der Regel der Horizont – andererseits das Bild des Gestirns, welches prinzipiell
in der gleichen Richtung, aber höher über dem Horizont steht. Durch Schwenken der Alhidade (Schwenkarm)
und des daran befestigten Indexspiegels (in der Grafik rot dargestellt) werden diese beiden Bilder so
umgelenkt, dass sie durch das Teleskop in das Auge des Betrachters gespiegelt werden und „in Deckung“
erscheinen.
Für terrestrische Navigation sind auch Horizontalwinkelmessungen möglich.
Indexspiegel
Horizontspiegel
Blickrichtung
Gestirn
Blickrichtung
Horizont
Abb. 14: Funktion eines Sextanten,
beobachtete Höhe ca.: 40° Abb. 15: Funktion eines Sextanten,
beobachtete Höhe ca.: 75°
Astronomische Navigation
22
Bei „richtig“ eingestelltem Sextanten erscheint das Gestirn im Teleskop „auf“ den Horizont gesetzt (obwohl
es natürlich hoch am Himmel steht).
Zwei unterschiedliche Sextantentypen haben sich durchgesetzt. Diese unterscheiden sich hinsichtlich ihres
Horizontspiegels. Einerseits finden so genannte Vollsichtsextanten Anwendung. Bei diesen werden die
beiden Bilder komplett überlagert und erscheinen quasi ineinander. Diese Methode erscheint Anfängern oft
einfacher und ist bei lichtstarken oder großen Gestirnen wie der Sonne oder dem Mond leicht anzuwenden.
Halbsichtsextanten, bei denen die beiden Bilder nebeneinander zu sehen sind, haben andererseits den
Vorteil, dass kleine oder lichtschwache Gestirne vor dunklem Hintergrund besser getrennt neben einem noch
hellen Horizont erscheinen.
Abb. 17: Halbsichtspiegel – zwei getrennte
Bilder im Fernrohr; links unverspiegelte,
rechts verspiegelte Seite
Abb. 16: Vollsichtspiegel – überlagertes
Bild im Fernrohr mit teildurchlässigem
Horizontspiegel
Astronomische Navigation
23
Teile des Sextanten
Abb. 18: Sextant
Durch die Ablesung der Gradzahl im großen Sichtfenster, die Ablesung der vollen Minuten an der
Trommelskala und die Nutzung des Nonius kann an diesem Sextanten auf 0,2’ genau abgelesen werden.
Gestirnshöhe messen mit dem Sextanten
Es gibt verschiedene Vorgehensweisen mit dem Sextanten eine Höhe zu messen. Bei der Beobachtung von
kleinen Fixsternen kann es ratsam sein, die Gestirnshöhe vorauszuberechnen und den Sextanten bereits auf
die geplante Höhe einzustellen. Somit wird das Finden am Himmel erleichtert.
Bei größeren Gestirnen, wie der Sonnen- oder Mondscheibe, wird folgendes Vorgehen empfohlen:
Der Sextant wird nach Feststellung des Indexfehlers auf 0° eingestellt und die (besonders bei Sonnen-
beobachtung) notwendigen Filtergläser vorgeschwenkt. Nun wird das Gestirn anvisiert, welches (noch) in
beiden Bildern zu sehen ist. Die Sperrklinke wird gelöst und mit dem Sextanten das Gestirn auf den Horizont
heruntergeschwenkt. Dabei wird mit der Alhidade das Gestirn im Sichtfeld des einen Bildes „gehalten“,
während der Horizont von „unten“ in dem anderen Bild auftaucht. Es wird also eigentlich der gesamte
Sextant nach unten geschwenkt und diese Bewegung mit der Alhidade ausgeglichen.
Hat das Gestirn nahezu den Horizont erreicht, wird die Sperrklinke wieder arretiert und mit der Trommel der
genaue Wert eingestellt. Das Gestirn muss „auf“ dem Horizont liegen. Abschließend wird um die
Fernrohrachse geschwenkt, um eine wirklich senkrechte Messung zu prüfen. Das Gestirn muss für die
Ablesung bei dieser Pendelbewegung im tiefsten Punkt liegen.
Indexspiegel
Schattengläser vor
Indexspiegel
Teleskop
Vorbogen, <0°
Grad-Ablesung
Sperrklinke
Nonius für Winkel-
Dezimalminuten-Ablesung
Spreizglas für
Fixsternbeobachtung
Horizontspiegel
Schattengläser vor
Horizontspiegel
Griff mit
Batteriefach
Gradbogen/Limbus
Hauptbogen, 0°…120°
Trommel mit Rändelung
als
Winkel-Minuten-Ablesung
Knopf für Skalenbeleuchtung
Astronomische Navigation
25
Fehler des Sextanten
Wie jedes andere Messsystem kann auch der Sextant Fehler aufweisen. Dabei wird zwischen verschiedenen
Fehlergruppen unterschieden.
Die erste Fehlergruppe ist der Art, dass solche Fehler mit Bordmitteln weder erkannt noch behoben werden
können. Diese Fehler sind für den Anwender besonders tückisch, da sie unbemerkt die Messung verfälschen.
Als Beispiel wäre die exzentrische Alhidadenlagerung zu nennen. Dabei dreht der Schwenkarm nicht sauber
um den Mittelpunkt des Gradbogens. Die Messwerte wären verfälscht.
Die zweite Fehlergruppe umfasst Fehler, die beim Gebrauch feststellbar, jedoch an Bord nicht repariert oder
kompensiert werden können, z. B. ein beschädigtes Fernglas.
Die dritte Gruppe umfasst Fehler, die für den Anwender am besten handhabbar sind. Solche Fehler können
an Bord erkannt und korrigiert werden. Der in folgendem Bild dargestellte Kippfehler des Indexspiegels ist
ein solcher selbst feststellbarer Fehler. Mit Hilfe einer Stellschraube auf der Rückseite des Spiegels wird diese
Ausrichtung korrigiert.
Abb. 20: Stufe zwischen realem und gespiegeltem Gradbogen lässt auf Kippfehler im Indexspiegel schließen
Zur Feststellung dieses Fehlers wird der Sextant auf einen Wert von ca. 40° bis 60° eingestellt und flach auf
den Tisch gelegt. Nun wird von oben parallel zur Instrumentenebene einerseits in den Indexspiegel auf den
gespiegelten Gradbogenbereich nahe 120° geblickt (rote Pfeile). Andererseits wird am Indexspiegel vorbei
direkt auf den Gradbogenbereich nahe 10° geblickt (gelber Pfeil). Ist eine deutliche Stufe zwischen den beiden
Gradbogenabschnitten zu erkennen, liegt ein Kippfehler des Indexspiegels vor.
Zu dieser Fehlergruppe gehört auch der Kippfehler des
Horizontspiegels, der wie folgt zu erkennen und zu korrigieren ist.
Wird der Horizont mit Winkelstellung 0° bei ausgeglichenem
Indexfehler anvisiert und der Sextant dabei leicht um die Fern-
rohrachse geschwenkt, lässt ein Knick zwischen den beiden
Bildern auf diesen Fehler schließen. Eine kleine Stellschraube am
Horizontspiegel ermöglicht die Korrektur.
Abb.: 21: Kippfehler des Horizontspiegels
Astronomische Navigation
26
Ein weiterer feststellbarer Fehler ist der Indexfehler, bei dem die beiden Spiegel nicht absolut parallel stehen
(in 0°-Stellung) und somit grundsätzlich ein falscher Winkel gemessen wird. Der Indexfehler sollte erst geprüft
werden, nachdem andere Fehler beseitigt wurden. Da selbst ein sehr kleiner Indexfehler immer direkt in den
Wert der beobachteten Höhe eingeht, ist eine Korrektur auch bei kleinen Abweichungen notwendig. Der
Indexfehler wäre prinzipiell auch mechanisch mit einer Stellschraube am Indexspiegel zu korrigieren, was
jedoch bei kleinem Fehler schwierig ist. Um eine mechanische Korrektur zu umgehen, wird daher der Fehler
ermittelt und nur rein rechnerisch in den Berechnungen kompensiert, man spricht auch von Beschickung.
Zur Ermittlung dieses Fehlers wird der Horizont (oder eine andere waagerechte Linie) in größerer Entfernung
angepeilt und sowohl im direkten als auch im gespiegelten Bild betrachtet. Nun werden diese beiden Bilder
durch Verstellen an der Trommel genau in Deckung gebracht. Es ergibt sich ein Wert nahe 0° aber
wahrscheinlich eben nicht exakt 0°. Der abzulesene Wert ist der Indexfehler.
Zur Korrektur wird der umgekehrte Wert des Indexfehlers als Indexberichtigung (Ib) in die weitere
Berechnung berücksichtigt. Indexfehler x (-1) = Indexberichtigung. Die Indexberichtigung wird auch als
Indexbeschickung bezeichnet.
Üblicherweise werden Indexfehler über 10‘ mechanisch und unterhalb rechnerisch korrigiert. Die beiden
folgenden Beispiele zeigen die rechnerische Korrektur nach der Indexfehlerablesung an der Trommel:
Abb. 22 und 23: Ablesen des Indexfehlers ohne Nonius
Etwas aufwändiger wird die Ablesung des Indexfehlers und die Bestimmung der Indexberichtigung bei
Trommeln mit Nonius. Hier werden auch die Nachkommastellen berücksichtigt.
Bei obigem Nonius wird eine Winkelminute in 5 Stufen und damit in 0,2‘-Schritten unterteilt.
Abb. 24 und 25: Ablesen des Indexfehlers mit Nonius
Astronomische Navigation
28
Beispiel:
Ausgangswerte: Koppelort Ok: k = 54°00,0‘ N und k = 008°00,0‘ E
1. Beobachtung: Jupiter um 22:00:00 UTC am 20.06.2005, Sextantablesung: hS = 16°02,2‘
2. Beobachtung: Mond um 22:00:00 UTC am 20.06.2005, Sextantablesung: hS = 9°41,8‘
Berechnungen:
Jupiter Mond
Uhrzeit UT1 22:00:00 22:00:00
Greenwicher Stundenwinkel Grt 050°08,2‘ 349°05,3‘
+ Koppelort-Länge + λk + 008°00,0‘ E + 008°00,0‘ E
= Ortsstundenwinkel = t = 058°08,2‘ = 357°05,3‘
Deklination δ 02°26,4‘ S 26°11,3‘ S
Eingangswerte mit Formelzeichen:
φk = Koppelort-Breite = 54°00,0‘ N λk = Koppelort-Länge = 008°00,0‘ E
δ = Deklination je Gestirn aus Nautischem Jahrbuch (NJ)
Grt = Greenwicher Stundenwinkel je Gestirn aus NJ
t = Ortsstundenwinkel (engl.: local hour angle, LHA) je Gestirn = Summe aus Grt und λk
Formeln (Einzelheiten siehe Kapitel „Nautischastronomisches Grunddreieck“):
ℎ� � arcsinsin � � sin � � cos � � cos � � cos ��
��′ � arctan � sin �sin � � cos � � tan � � cos ��
Wenn t < 180° dann:
Wenn Az‘ < 0° dann Az = Az‘ + 360°
sonst Az = Az‘ +180°
Wenn t 180° dann:
Wenn Az‘ < 0° dann Az = Az‘ + 180°
sonst Az = Az‘
Ergebnisse:
Jupiter Mond
Berechnete Höhe hr 15°59,7‘ 9°46,3‘
Azimut Az 242° 177°
Das vorläufige Azimut
(Az`) ist noch viertel-
kreisig und muss auf voll-
kreisiges Azimut (Az)
ergänzt werden.
Astronomische Navigation
30
Abb. 26: Standlinienkonstruktion in einer Seekarte
54°
05’
55‘
8° 55‘ 50‘ 5‘ 10‘
10‘
Azimut zum
Jupiter Bildpunkt: 242°
Ob
Mond-
Standlinie
Ok
: 54°04,2‘ N
: 007°50,5‘ E
Jupiter-
Standlinie
Azimut zum
Mond Bildpunkt: 177°
h = +2,5 sm
h = -4,4 sm
Astronomische Navigation
31
In diesem Beispiel, welches Saint Hilaires Methode verdeutlicht, wurden noch einige Schritte weggelassen.
So fehlen Korrekturen, die an die Sextantenablesung angebracht werden müssen, bevor dieser Wert mit der
vorausberechneten Höhe verglichen und zu einer Höhenwinkeldifferenz umgerechnet in die Grafik eingehen.
Außerdem sind die Beobachtungszeitpunkte der Einfachheit halber auf volle Stunden gewählt.
Höhenwinkelmessung – Korrekturen
Wie bereits vorgestellt, ist der Sextant ein optisches Winkelmessinstrument mit sehr hoher Genauigkeit.
Trotzdem gilt es, einige Faktoren bei der Anwendung zu berücksichtigen. Neben den im Kapitel „Sextant“
bereits vorgestellten technischen Einschränkungen am Sextanten selbst, gilt es bei der Beobachtung der
Gestirne einige Fremdeinflüsse zu beachten. Für die verschiedenen Gestirnsarten Sonne, Mond, Planeten
und Fixsterne müssen erschwerend auch noch unterschiedliche Faktoren berücksichtigt werden.
Höhenwinkelmessunk – Korrekturen – Kimmtiefe
Mit dem Sextanten möchte der Beobachter grundsätzlich die Gestirnshöhe über seinem sichtbaren Horizont
messen. Da der Beobachter den Sextanten jedoch üblicherweise an Bord oberhalb der Wasserlinie in den
Händen hält, blickt er nicht absolut waagerecht Richtung Horizont.
In Abhängigkeit von der Augenhöhe wird
ein um die Kimmtiefe zu großer Winkel
gemessen. Der insgesamt gemessene
Winkel, der Kimmabstand, ist größer als
die eigentliche Gestirnshöhe.
Dieser Fehler, die Kimmtiefe (K), lässt sich
jedoch leicht aus der Augenhöhe (Ah) und
dem Erdkugelradius berechnen. Die
Formel: 1,779‘ x √ Ah [m] = KT [‘] ergibt
nach Eingabe der Augenhöhe in Metern
ein Wert in Winkelminuten. Dieser muss
von dem beobachteten Kimmabstand
abgezogen werden. Die Formel
berücksichtigt bereits Umrechnungen
von Erdkugelradius, Seemeilen und
Metern, ist jedoch nur als Richtwert in
Bereichen üblicher Gestirnshöhen-
beobachtungen zwischen 10° und 80°
anzuwenden.
Diese korrigierte Höhe wird als scheinbare Höhe (hs) bezeichnet, da auch diese noch weitere Fehler
beinhaltet.
Statt die Kimmtiefe mit der Formel selbst zu berechnen, listen Tabellen im Nautischen Jahrbuch für
ganzzahlige Augenhöhenangaben die Kimmtiefe als Korrekturwerte auf. Die Werte in der Tabelle werden
jedoch mit einem weiteren Korrekturverfahren kombiniert, der Refraktion. Die Refraktion wird im Folgenden
erklärt.
Abb. 27: Augenhöhe, Kimmabstand und -tiefe
Kimmtiefe
Kimmabstand
Kimm
Augenhöhe
Gestirnshöhe
Astronomische Navigation
32
Höhenwinkelmessung – Korrektur – Refraktion
Durch die Lichtbrechung in der
Atmosphäre, die sogenannte Refraktion
(R), erscheinen Beobachtungen tief am
Horizont höher als diese wirklich sind.
Beobachtungen sehr hoch am Himmel
werden jedoch kaum durch die
Refraktion beeinflusst, da weniger
Strecke durch die Atmosphäre
zurückgelegt wird. Die Refraktion ist
somit abhängig von der beobachteten
Gestirnshöhe.
Auch in diesem Fall kann ein grober Korrekturwert mit einer einfachen Formel bestimmt werden:
Formel: R = 0,4‘ – ( 60° / hS ) Wobei hs die vorher bestimmte scheinbare Höhe (hS) ist.
Diese vereinfachte Formel ist wiederum nur in Bereichen zwischen 10° und 80° anzuwenden.
Die beiden Korrekturen für Kimmtiefe und Refraktion werden im Nautischen Jahrbuch als Gesamt-
beschickung (Gb) zusammengefasst und in Tabellen aufgelistet.
Gesamtbeschickungstafeln gibt es prinzipiell in drei Ausführungen. Eine für die Sonne, eine für die Fixsterne
zusammen mit den Planeten sowie eine weitere für den Mond. In diese drei Ausführungen sind wiederum
weitere spezifische Korrekturen für diese drei Gestirnsarten bereits eingearbeitet.
Abb. 28: Refraktion in der Atmosphäre
tatsächliche
Beobachtung
wahrgenommene
Beobachtung
Astronomische Navigation
33
Höhenwinkelmessung – Korrektur – Gestirnsdurchmesser, Höhen- und Horizontalparallaxe
Da die Grundidee bei der Gestirns-
höhenmessung, wie bereits im Kapitel
„Grundgedanken der astronomischen
Navigation“ behandelt, eine gedachte
Linie zwischen dem Gestirnsmittel-
punkt und dem Erdmittelpunkt ist, muss
bei der Beobachtung der Sonnen- oder
Mondscheibe ggf. eine Korrektur
angebracht werden. Bei der
Beobachtung mit einem Sextanten wird
üblicherweise der Gestirnscheiben-
unterrand auf den Horizont projiziert
und damit der halbe Durchmesser – also
der Radius- zu viel gemessen.
Der scheinbare Radius von Sonne und Mond beträgt ca. ¼ Winkelgrad. Die scheinbare Sonnengröße schwankt
u. a. im Laufe eines Jahres durch die unterschiedlichen Entfernungen der Erde auf ihrer Bahn um die Sonne.
Auch die Entfernung zwischen Mond und Erde ist nicht konstant. Beide Werte sind vorausberechnet und im
Nautischen Jahrbuch als Korrektur zu finden – jedoch nur indirekt.
Für die Sonne ist dieser grundsätzliche mittlere Fehler, der scheinbare Sonnenradius, mit 16 Winkelminuten
in die Gesamtbeschickungstafel für den Sonnenunterrand bereits eingearbeitet. Alle dort aufgelisteten
Werte sind um eben diese 16,0 Winkelminuten größer (da die Korrektur abgezogen wird) als die reine
Korrektur für Kimmabstand und Refraktion. Die Werte der Gesamtbeschickungstafel für die Sonne beinhalten
somit gleich drei Korrekturen (Refraktion, Augenhöhe und Radius).
Sollte statt des Sonnenunterrandes der Oberrand beobachtet werden – weil z. B. der Unterrand gerade durch
Wolken verdeckt sind – muss der Sonnenscheibendurchmesser wieder hinzugefügt werden. Dieser ist – wie
eben vorgestellt – jedoch von den Jahreszeiten abhängig. Eine gesonderte Korrekturtabelle listet diese
Sonnenscheibendurchmesser als Zusatzbeschickung (Zb) für jeden Monat des Jahres auf.
In den Gesamtbeschickungstafeln für Fixsterne oder Planeten spielt der scheinbare Gestirnsdurchmesser
keine Rolle, da diese Gestirne immer nur als winzige Punkte durch das Sextantenfernrohr erscheinen. Die
Gesamtbeschickungstafeln enthalten deshalb nur die Korrekturwerte für Kimmtiefe und Refraktion.
Für den Mond sind die Korrekturtabellen etwas anders zusammengestellt. Auf Grund seiner Nähe zur Erde
spielt zusätzlich die Horizontalparallaxe (HP) eine große Rolle. Dies gilt auch für die beiden (manchmal)
erdnahen Planeten Venus und Mars. Für die anderen Gestirne ist dieser Fehler vernachlässigbar.
Da ein Beobachter nicht vom Erdmittelpunkt aus die Gestirne betrachtet, sondern von der Erdoberfläche,
fällt sein Blick unter Umständen schräg auf das Gestirn. Eine schräge Betrachtung wird Parallaxe genannt.
Dieser Fehler ist von zwei Faktoren abhängig. Erstens spielt die Entfernung zwischen Erde und Gestirn eine
entscheidende Rolle. Bei sehr weit entfernen Gestirnen wirkt dieser Effekt kaum, bei nahen umso mehr.
Zweitens ist die Beobachterposition ausschlaggebend. Steht der Beobachter nahe am Bildpunkt, sieht er das
Gestirn fast senkrecht über sich, so ist der Fehler klein. Steht der Beobachter jedoch weit weg vom Bildpunkt,
ist der beobachtete Höhenwinkel flach und der Parallaxenfehler wirkt maximal. Dieser individuelle Fehler
heißt Höhenparallaxe (P). Die Höhenparallaxe wird aus dem möglichen Maximalfehler, der
Horizontalparallaxe, und dem gemessenen scheinbaren Höhenwinkel (hs) bestimmt. P = HP * cos (hs)
Messung des
Oberrandes
Messung des
Mittelpunktes
Messung des
Unterrandes
r = Radius
Abb. 29: Berücksichtigung des Gestirnsdurchmesser
Astronomische Navigation
40
Formblatt: Ort aus 2 oder 3 Höhen
Datum: Zonenzeit: 09.07.2005 ≈ 19:55 Augenhöhe: 4,0 m
Koppelort (LAT/LON): OK: 18°50,0’ N OK: 022°46,0’ W Indexberichtig.: Ib: -0,4’
Gestirn: Mondunterrand Jupiter Antares * Nr.: 61
Chr (12/24 h Format) 08:54:10 08:56:35 08:58:55
+ Stand (nach +, vor -) - 00:00:02 - 00:00:02 - 00:00:02
= UT1 (immer 24 h Format) 20:54:08 20:56:33 20:58:53
Datum in UT1 09.07.2005 09.07.2005 09.07.2005
Grt (h) NJ 080°02,1’ 037°34,2’ 227°51,2’
+ Zw (m, s) NJS 12°55,0’ 14°08,3’ 14°45,7’
+ Verb NJS Unt NJ 15,0’ 13,6’ 2,3’ 2,2‘
= Grt 093°10,7’ 51°44,7’ 242°36,9’
+ SHA (nur Fixstern) NJ 112°33,6’
+ OK ( - W / + E ) - 022°46,0’ - 022°46,0’ - 022°46,0’
= LHA 070°24,7’ 028°58,7’ 332°24,5’
Dec NJ 17°18,1’ N 03°02,5’ S 26°26,8’ S
+ Verb NJS Unt NJ 11,4’ S 10,4’ S 0,1’ S 0,1’ S
= Dec 17°07,7’ N 03°02,6’ S 26°26,8’ S
HP HP = 54’ HP = 0,0
Sext. Abl. (hs) 22°24,5’ 54°03,7’ 37°31,5’
+ Ib -0,4’ -0,4’ -0,4’
= Ka 22°24,1’ 54°03,3’ 37°31,1’
+ Gb NJ +56,7‘ -4,3‘ -4,8’
+ ggf. Zb (nur � ) NJ +2,0’
+ ggf. (bei Oberrand) NJ
= hb 23°22,8’ 53°59,0’ 37°26,3’
hb (beobachtete Höhe) 23°22,8’ 53°59,0’ 37°26,3’
- hr (berechnete Höhe) 23°28,4’ 54°03,8’ 37°23,5‘
= h (+ in Az, – entgegen Az) -5,6‘ -4,8’ +2,8’
Az 281,0° 235,5° 148,5°
NJ bedeutet, dass diese Information aus den Tagseiten des Nautischen Jahrbuches (N. J.) entnommen wird
NJS bedeutet, dass diese Information mit den Schalttafeln aus dem N. J. bestimmt wird
Astronomische Navigation
42
Grafische Lösung ohne Seekartenausschnitt
Standlinienkonstruktionen sind prinzipiell auch ohne Seekarte auf einem leeren Blatt Papier zeichnerisch zu
lösen. Der selbst festgelegte Maßstab einer Standlinienskizze (1cm = 1sm = 1‘) ermöglicht das direkte Ablesen
der Besteckversetzung (BV) zwischen Koppelort (Ok) und beobachtetem Ort (Ob) auch ohne seitliche Skalen
für Breiten- und Längengrade.
Die aus der Skizze abgelesene Besteckversetzung (BV) von 5,8cm und 87° kann durch den gewählten Maßstab
(1 cm = 1‘ = 1 sm) direkt in 5,8 sm mit 087° umgeschrieben werden.
Das Ermitteln der Positionskoordinaten des Ob ist ebenfalls möglich. Dazu werden zuerst die seitlichen
Abstände zwischen Ok und Ob in cm gemessen: b = 0,3 cm und a = 5,7 cm.
Mit dem Wissen „1 Breitenminute (1‘) entspricht 1 Seemeile (1sm)“ wird durch Addition der Koppelortbreite
(φ Ok) mit der Breitendifferenz (b) die Zielbreite (φ Ob) berechnet: 18°50,0’ N + 0,3‘ N = 18°50,3’ N.
Für die Bestimmung des Längengrades (λ Ob) muss die Abweitung, also die breitengradabhängige
Vergrößerung der Längengrade berücksichtigt werden. Dies geschieht mit der Formel:
a in cm / cos (φ) = ∆λ in Längenminuten 5,7 cm / cos (18°50‘) = 5,7 cm / 0,94646 ≈ 6,0‘ = ∆λ
Dabei genügt es für die Cosinusfunktion die Breite (φ) als ungefähren Wert einzusetzen. Die Ziellänge ist dann
wiederum die Summe aus Koppelortlänge (λ Ok) und der ermittelten Längendifferenz (∆λ):
022°46,0’ W + 6,0’E = 022°40,0’ W. (Das Vorzeichen der Differenz – hier Richtung Osten, also positiv –
ist zu beachten.)
Im Formblatt: = a / cos (K) 5,7 / cos (18°50’) ≈ 6,0’ E
K (LAT) 18°50,0’ N K (LON) 022°46,0’ W
+ 0,3’ N + 6,0’ E
= B (LAT) 18°50,3’ N = B (LON) 022°40,0’ W
Somit können die Ergebnisse grafischer Standlinienkonstruktionen auch ohne Seekarten in vollständige
Koordinaten umgewandelt werden.
k = 022°46,0’ W
Besteckversetzung (BV):
5,8 cm; 87°
Ob
k = 18°50,0’ N
b
a
1sm
Abb. 33: Standlinienkonstruktion
Astronomische Navigation
43
Versegeln von astronomisch gewonnenen Standlinien
In der Praxis können nur sehr selten in rascher Folge mehrere Höhenmessungen auf verschiedene Gestirne
durchgeführt werden. Das Anpeilen der Gestirne sowie das Notieren von Winkeln und Zeiten sind zu
zeitaufwändig. Ab einer bestimmten Fahrtgeschwindigkeit sind diese daraus gewonnenen Standlinien für
eine exakte Positionsbestimmung zu weit voneinander entfernt, da sich das Schiff inzwischen deutlich
weiterbewegt hat.
Zeitlich versetzte Standlinien müssen somit versegelt, also nach Kurs und Strecke verschoben werden. Dieses
Versegeln ist aus der terrestrischen Navigation bekannt, wo z. B. ein Leuchtfeuer zu zwei verschiedenen
Zeitpunkten angepeilt wird. Ähnlich kann auch ein Gestirn, z. B. die Sonne am Tage mehrfach oder zwei
Gestirne nacheinander beobachtet und zur Standlinienkonstruktion genutzt werden.
Bedingung ist, wie auch in der terrestrischen Navigation, die versegelte Strecke nach Kurs und Entfernung
möglichst exakt zu bestimmten.
Im Folgenden wird ein Verfahren für kürzere Versegelungen, die rein grafisch gelöst werden, vorgestellt.
Anschließend wird für längere Versegelungen ein rechnerisches Vorgehen erläutert.
Astronomische Navigation
44
Kurzes Versegeln von astronomischen Standlinien
Folgendes Beispiel verdeutlicht eine kurze astronomische Standlinienversegelung. Dabei werden die
notwendigen Schritte bis zur Berechnung von Azimut (Az) und ∆h nicht aufgezeigt, sondern aus den
vorherigen Kapiteln vorausgesetzt.
Beispiel:
Koppelort: φk = 40°05,0’ N, λk = 006°15,0’ E
Versegelung: Kurs = 030°, versegelte Strecke = 6 sm (grün)
1. Beobachtung: 04:30:18 UT1 ergibt: ∆h1 = +4 sm, Az1 = 225° (blau)
2. Beobachtung: 05:15:25 UT1 ergibt: ∆h2 =: -3 sm, Az2 = 330° (rot)
Standlinien – noch ohne Versegelung Standlinien – mit versegelter 1. Standlinie
Abb. 34:
Beide Standlinien beziehen sich (noch)
auf den ersten Zeitpunkt.
Die 1. Standlinie ist noch nicht versegelt.
Der Schnittpunkt ist nicht der Ob.
Abb. 35:
Die 1. Standlinie ist um die versegelte
Distanz 6 sm und 030° Kurs versegelt;
parallel verschoben.
Der Schnittpunkt ist nun der Ob.
λk1
φk1
2. Standlinie
Versegelung 6sm 030°
∆h1 ∆h2
1. Standlinie
2 sm
λk1
1. Standlinie (versegelt)
φk1
Ob
2. Standlinie
2 sm
Astronomische Navigation
48
Zenit Punkt an der Himmelskugel direkt über dem Beobachter
Nadir Punkt an der Himmelskugel direkt unter dem Beobachter
Himmelsnordpol, Pol-Nord Punkt an der Himmelskugel direkt über dem Nordpol der Erde
Himmelssüdpol, Pol-Süd Punkt an der Himmelskugel direkt über dem Südpol der Erde
Ebene des wahren
Horizontes
Ebene durch den Mittelpunkt der Erde bis zur Himmelskugel, die parallel zur
Tangentialfläche der Beobachterposition liegt
Nordpunkt Punkt an dem der nördliche Himmelsmeridian von Pol-Nord zu Pol-Süd die
Ebene des wahren Horizontes kreuzt
Oberer Meridian Meridian des Beobachters auf der Himmelskugel von Pol-Nord über den
Zenit zum Pol-Süd
Unterer Meridian Meridian des Beobachters auf der Himmelskugel von Pol-Nord über den
Nadir zum Pol-Süd
Höhe Winkel zwischen der Ebene des wahren Horizontes bis zur Höhe des Gestirns
Azimut Winkel auf der Ebene des wahren Horizontes zwischen der Nord- und
Gestirnrichtung bzw. zwischen dem Nordmeridian und dem Vertikalkreis des
Gestirns
Weltachse, Himmelsachse Gedachte Verlängerung der Erd-Nord-Südachse in die Himmelskugel
Vertikalkreis des Gestirns Halber Großkreis vom Zenit zum Nadir durch das Gestirn
Im „Koordinatensystem des wahres Horizontes“
– vereinfacht auch „Horizontsystem“ genannt –
wird die Position des Gestirns aus der
Perspektive des individuellen Beobachters
beschrieben. Aus „seiner“ Perspektive steht das
Gestirn in einer bestimmten Richtung und Höhe
am Himmel über ihm. Winkelbetrachtungen
werden darin auf eine idealisierte Ebene durch
den Mittelpunkt der Erde bezogen obwohl mit
dem Sextanten zum sichtbaren Horizont
gemessen wird. Diese Bezugsebene heißt
„wahrer Horizont“ und liegt parallel zur
Standfläche des Beobachters. Der scheinbare
Horizont ist eine Ebene in Augenhöhe.
Der tatsächliche Abstand zwischen dem scheinbaren Horizont und dem sichtbaren Horizont (der Kimm) wird
in den Berechnungen u. a.über die Korrektur „Beschickung für die Augeshöhe“ herausgerechnet.
Abb. 40: scheinbarer, sichtbarer und wahrer Horizont
scheinbarer Horizont
wahrer Horizont
Zenit
sichtbaren
Horizont
Astronomische Navigation
49
System des Himmelsäquators
Das auf die Himmelskugel projizierte Erdkoordinatensystems aus Breiten- und Längengraden mit seinen
Bezugslinien Äquator und nulltem Längengrad wird als „Koordinatensystem des Himmelsäquators“
bezeichnet. Hinzu kommen einige weitere Definitionen.
Abb. 41: Koordinatensystem des Himmelsäquators
Himmelsäquator Erdäquator auf die Himmelskugel projiziert
Himmelsmeridian von Greenwich Nullter Längengrad auf die Himmelskugel projiziert
Stundenkreis des Gestirns Zeitabhängiger Himmelsmeridian des Gestirns; Formelzeichen: Grt
Deklination () Zeitabhängiger Breitengrad des Gestirns; Formelzeichen: δ
Greenwicher-Stundenwinkel (Grt) Westwärts zählender Längengrad des Gestirns
Himmelsachse oder Weltachse Verlängerte Erdachse in die Himmelskugel
Himmelsnordpol, Pol-Nord
Himmelsmeridian
von Greenwich
Deklinationsparallel
Himmelsäquator
Deklination
Greenwicher-Stundenwinkel Himmelssüdpol, Pol-Süd
Stundenkreis
des Gestirns
Astronomische Navigation
50
Nautisch astronomisches Grunddreieck
Werden die Systeme des Horizontes und die des Himmelsaquators ineinander projiziert, ergibt sich zwischen
dem Himmelsnordpol, dem Zenit und dem Gestirn ein sphärisches – also über die Kugeloberfläche
gekrümmtes – Dreieck. In diesem Dreieck lassen sich mit trigonometrischen Formeln die Winkel und
Seitenlängen berechnen.
Die Eckpunkte heißen: Die Seitenlängen lauten: Die Winkel sind:
Zt Zenit z Zenitdistanz = 90° - h Az Azimut
G Gestirn b Pol-Zenit-Distanz = 90° - φ LHA Ortsstundenwinkel
PN Himmelsnordpol p Poldistanz = 90° - δ q Parallaktischer Winkel
Ungewohnt ist die Angabe von Seitenlängen als Winkel. Bezogen auf die Erdkugeloberfläche gilt: 1°
entsprechen 60 Seemeilen. Dieser Zusammenhang wurde im Kapitel „Von der Beobachtungshöhe zur
Standlinie“ erklärt.
Beispiel:
Bei einer Gestirnshöhe (h) von 65° beträgt die Zenitdistanz (z) zwischen Beobachterposition und
Gestirnsposition: 90° minus 65° gleich 25°. Dies entspricht einem Abstand von 25° x 60 sm/1° =
1.500 sm.
Abb. 42: Nautisch astronomisches Grunddreieck
Pol-Zenit-Distanz
Zenitdistanz
Poldistanz
Himmelsäquator
Wahrer Horizont
Azimut
Ortsstundenwinkel
Parallaktischer
Winkel
Astronomische Navigation
53
Meridianfigur
Eine seitliche Perspektive auf die Himmelskugel
ist die Grundlage für die Meridianfigur. Hier
stehen der Breitegrad des Beobachters und die
Deklination des Gestirns im Fokus der
Betrachtung. Basis ist der Wahre Horizont und
senkrecht dazu die Zenit-/Nadir-Achse (in blau);
beides aus der Beobachterperspektive. Ein
zweites Kreuz (in gelb) stellt den Himmels-
äquator und senkrecht dazu die Himmelsachse
zwischen Himmelsnord- (PN) und -südpol (PS)
dar. Dieses Kreuz ist um die Beobachterbreite
gegenüber dem ersten Kreuz gekippt.
Der über dem Beobachter gespannte
Längengrad, der obere Meridian (rot) und sein
Komplementär, der untere Meridian (grün)
bilden die Basis für eine Darstellung mit
Vollkreis.
Wird die Grafik auf die wesentlichen Inhalte
reduziert, ergibt sich die eigentliche
Meridianfigur, Abb. 46.
In nebenstehendem Beispiel beträgt die
Beobachterbreite 52° N, die Kreuze sind somit
um diese 52° gegeneinander verdreht.
Der Kippwinkel des Kreuzes aus Himmels-
äquator und PN-PS-Achse hat nichts mit der
bekannten Schrägstellung der Erdachse um
23,5° zu tun.
In der Meridianfigur kann die Deklination
eingetragen und damit die Bewegung des
Gestirns im Laufe eines Tages dargestellt
werden. Im rechten Beispiel ist die Bahn
der Sonne an einem Sommertag auf der
Nordhalbkugel (δ = 23° N) mit dem
höchsten Stand am Mittag (obere
Kulmination), dem Gestirnsauf- und
Untergangspunkt (Übergang über/unter
den wahren Horizont) und der unteren
Kulmination dargestellt. Der Bereich auf
dem (roten) Deklinationsparallel von
Aufgang über die obere Kulmination bis
zum Untergang wird als Tagbogen
bezeichnet, der untere als Nachtbogen.
Abb. 45: Grundlage für die Meridianfigur
Abb. 46: Meridianfigur
Abb. 47: Meridianfigur mit Gestirnsbahn
Astronomische Navigation
56
Astronomische Kompasskontrolle
Fern der Küste ohne die Möglichkeit
feststehende Peilobjekte zur Ablenkungs-
kontrolle nutzen zu können, dient eine
astronomische Richtung als Referenz.
Verschiedenen Methoden können dabei zur
Anwendung kommen. So ist z. B. die
Richtung auf die Sonne bei „wahrem“ Auf-
oder Untergang gut mit dem Kompass zu
peilen.
Bei der auf Yachten üblichen Augeshöhe von
einigen Metern über der Wasserlinie steht
die Sonne beim Durchlaufen des „wahren
Horizontes“ (siehe Kapitel „Koordinaten-
system“ knapp ihren eigenen Durchmesser
oberhalb der Kimm. Die Sonne ist somit noch
gut zu sehen und ihre Richtung zu peilen.
Die Formeln für das Azimut vereinfachen
sich für diese Situation, da die Höhe (h) mit
0° betrachtet wird. Es wird nur die
Deklination (δ) der Sonne und die
Beobachterbreite (φ) eingesetzt.
�� � arccos �sin�cos��
Grundsätzlich kann für alle Gestirne das
„normale“ Azimut zu jedem beliebigen
Zeitpunkt als Peilreferenz herangezogen
werden. Die übliche Azimutformel der
astronomischen Navigation wird genutzt.
Das Azimut wird in das (aus der terres-
trischen Navigation) bekannte Kursum-
wandlungsschema als Peilungsreferenz ein-
gesetzt und nach der Ablenkung umgestellt.
Diese Methode ist jedoch nur mit einem
speziellen für Höhenbeobachtungen
geeigneten Peilaufsatz überhaupt
realisierbar. Auf wenige Winkelgrad genau
ist dies wohl nur auf wenig schwankenden
Schiffen präzise durchführbar.
Kursumwandlungsschema
Magnetkompasspeilung MgP
+ Ablenkung vom
Magnetkompasskurs
+ Abl (MgK)
= missweisende Peilung = mwP
+ Missweisung + Mw
= rechtweisende Peilung = rwP
Kursumwandlungsschema umgestellt
Azimut Az
- Missweisung - Mw
= missweisende Peilung = mwP
- Magnetkompasspeilung - MgP
= Ablenkung vom
Magnetkompasskurs
= Abl (MgK)
Die rechtsweisende Peilung (rwP) wird durch das Azimut
(Az) ersetzt und das Schema nach der Ablenkung umge-
stellt:
Abb. 51: Sonne im „wahren“ Horizont bei „wahrem“
Sonnenauf- oder -untergang
Abb. 52: Sonne erscheint noch knapp oberhalb der Kimm
D = Durchmesser
scheinbare Höhe < D
wahrer
Horizont
Kimm
Besteck- und Großkreisrechnung
58
Besteckrechnung
Als Besteckrechnung werden die Bestimmung von loxodromischem Kurs und Distanz zwischen einem
Abfahrtort und einem Zielort bezeichnet.
Koppelrechnung
Koppelrechnung ist die loxodromische Methode zur Ermittlung einer Zielkoordinate aus einem Abfahrtsort,
einem Kurs und einer Distanz.
Für diese beiden Fragestellungen kann bei kürzeren Entfernungen (bis zu einigen Hundert Seemeilen) mit
einer gemittelten Breitendifferenz (sog.: „Mittelbreite“), andernfalls und bei sehr nördlichen oder südlichen
Breiten sowie beim Überqueren des Äquators muss mit einer „vergrößerten Breite“ gearbeitet werden.
Großkreisrechnung
Als Großkreisrechnung werden die orthodromischen Methoden zur Beantwortung folgenden Fragen
bezeichnet.
Welches ist die orthodromische Distanz zwischen einer Start- und einer Zielposition?
Welches sind die Anfangs-, End- und beliebige Zwischenkurse zwischen einer Start- und einer Zielposition?
In der Praxis würde z. B. eine Kursänderung beim Queren eines jeden ganzzahligen Längengrades
(Meridianschnittpunkte) bestimmt und durchgeführt werden.
Es gibt noch eine Vielzahl weiterer möglicher Berechnungen, auf die hier nicht weiter eingegangen werden
soll (z. B. max. nördlicher oder südlicher Scheitelpunkt, Mischsegeln).
Hinweise zur Formelsammlung im SSS/SHS-Begleitheft
Die Formelsammlung im SSS/SHS-Begleitheft entspricht in vielen Darstellungen den Regeln einer
mathematischen Abhandlung. So werden Formeln nicht in der Reihenfolge ihrer Anwendung aufgeführt,
sondern es werden die Terme (Teilformeln) des Zielwertes zuerst und dann die Formeln für die notwendigen
Vorwerte genannt. Für den nicht mathematisch bewanderten Anwender erscheint dies ungewöhnlich.
Die Terme könnten auch zu Gesamtformeln zusammengefasst werden, was bei programmierbaren Rechnern
sinnvoll ist. Da in den SSS/SHS-Prüfungen jedoch nur nichtprogrammierbare Taschenrechner erlaubt sind,
bleiben die kleineren Rechenschritte der Terme praktikabler.
Für eine leichtere Nutzung in der Prüfung empfehle ich die Terme in der Reihenfolge ihrer Anwendung
aufzuschreiben und mit Werten zu befüllen.
Besteck- und Großkreisrechnung
59
Eingaberegeln für Taschenrechnernutzung
Nördliche Breiten und östliche Längen werden mit positivem Vorzeichen, südliche Breiten und westliche
Längen mit negativem Vorzeichen als Winkel eingegeben oder ergeben ein Ergebnis mit diesen Vorzeichen.
In die meisten Taschenrechner können Winkelwerte in der nautischen Mischform aus Sexagesimalsystem
(Grad, Minuten, Sekunden) und dezimalem System (Minuten und Zehntelminuten) direkt eingegeben
werden. Die Taste ist oft mit bezeichnet.
Beispiel: 24°07,5‘ S
Eingabe: 24 7,5
Entfernungen können in Winkelminuten oder Seemeilen eingegeben werden oder herauskommen. Ergeben
sich Entfernungen als Winkelwert muss mit 60 multipliziert werden, um Winkelminuten entsprechend
Seemeilen herauszubekommen.
Bei der Berechnung der Differenz von Ziel- und Start-Längengraden ∆� � �/ � �0 muss beim Überschreiten
des 180° Langengrades aufgepasst werden. Es ist der Abstand dazwischen gefragt und ggf. nicht die rein
zahlenmäßige Differenz.
Beispiel: λA = 150° E, λB = 120° W. Gesucht: ∆λ = λB - λA
Die Differenz beträgt: ∆λ = 90° weil 150° E bis zum 180° = 30° sowie 120° W bis 180° = 60° zusammen somit
30° + 60° = 90° und nicht die zahlenmäßige Differenz -120° - +150° = -30°.
Besteckrechnung (loxodromisch) – mit Mittelbreite
Welche Entfernung und Kurs ergibt sich zwischen zwei terrestrischen Koordinaten?
Gegeben: Startposition (φA, λA), Zielposition (φB, λB); Gesucht: Kurs (lox), Distanz (dlox)
�' � %1* %2, ∆� � �/ � �0 ∆� � �/ � �0� � cos �'
Distanz [sm]: �345 � 6∆�, � ∆�, � 609:/°
Kurs [°]: �345′ � arctan =∆>∆%?
Koppelrechnung (loxodromisch) – mit Mittelbreite
Welche Zielposition wird von einer Abfahrtposition mit Entfernung und Kurs erreicht?
Gegeben: Startposition (φA, λA), Kurs (), Distanz (d) Gesucht: Zielposition (φB, λB)
φB = φA+ ∆φ ∆� � � � cos �
λB = λA + ∆λ ∆� � � �� ! "#$� %&
�' � %1* %2,
Die Distanz (d) wird statt in Seemeilen in Winkelminuten als Gradwert in den Taschenrechner getippt.
Beispiel: aus 612sm wird 0°612‘ für d eingegeben.
°´ ´´
(–) °´ ´´ °´ ´´
Die Taste für den Vorzeichenwechsel (für Süd) darf nicht mit der Rechen-
operationstaste für Minus verwechselt und muss vorangestellt
eingegeben werden.
Der Kurs wird mit folgender Bedingung in vollkreisig umgewandelt:
Bei Nordkurs: lox = 360° + lox‘ Bei Südkurs: lox = 180° + lox‘
Besteck- und Großkreisrechnung
61
Besteckrechnung (loxodromisch) – mit vergrößerter Breite
Welche Entfernung und Kurs ergibt sich zwischen zwei terrestrischen Koordinaten?
Gegeben: Startposition (φA, λA), Zielposition (φB, λB); Gesucht: Kurs (lox), Distanz (dlox)
O � �/ � �0� ∆Ф � ABCBBD � ln HIJ!=KL°* M2+ ?
IJ!=KL°* M1+ ?N P � �/ � �0
Kurs [°]: �345′ � arctan = 3∆Ф?
Distanz [sm]: � � Q R#$� "SQ
Die Differenz der Breitengrade (∆φ) wird statt in Winkelgrad in Winkelminuten ausgedrückt und mit b
bezeichnet.
Die Längengraddifferenz (∆λ) wird ebenfalls in Winkelminuten ausgegeben und heißt l.
Koppelrechnung (loxodromisch) – mit vergrößerter Breite
Welche Zielposition wird von einer Abfahrtposition mit Entfernung und Kurse erreicht?
Gegeben: Startposition (φA, λA), Kurs (), Distanz (d) Gesucht: Zielposition (φB, λB)
φB = φA+ ∆φ ∆φ� � � cos �
λB = λA + l O � ∆Ф � tan ∆Ф � ABCBBD � ln HIJ!=KL°* M2+ ?
IJ!=KL°* M1+ ?N
Die Distanz (d) wird statt in Seemeilen in Winkelminuten als Gradwert in den Taschenrechner getippt.
Beispiel: aus 612 sm wird 0°612‘ für d eingegeben.
l, ∆Ф, b in
Winkelminuten
d, l und ∆Ф in
Winkelminuten
Der Kurs wird mit folgender Bedingung in vollkreisig umgewandelt:
Bei Nordkurs: lox = 360° + lox‘ Bei Südkurs: lox = 180° + lox‘
Anhänge
63
Abkürzungsverzeichnis
φ geografische Breite; engl.: latitude, LAT
λ geografische Länge; engl.: longitude, LON
∆ Delta, Differenz zwischen zwei Werte; z. B. ∆h
δ Deklination; engl.: declination
Ф Phi; in der Navigation: vergrößerte Breite
β Sternenwinkel; engl.: star hour angle, SHA
° 1 Winkelgrad
‘ 1 Winkelminute
Widderpunkt, Frühlingspunkt; engl.: aries
a Abstand zwischen Längengraden
Abl Ablenkung, Differenz zwischen magnetisch und missweisend Nord; engl.: deviation
Ah Augeshöhe, Augenhöhe
Az Azimut, Winkel zwischen Nord- und Gestirnsrichtung
b Abstand zwischen Breitengraden
BST british summer time
BT british time;
BV Besteckversetzung; Differenz zwischen Koppel- und tatsächlichem Ort; engl.: vector adjustment
BZ Bordzeit; an Bord festgelegte Zeitart während eines Reiseabschnittes
Chr Chronometerablesung
D Distanz
Dek Deklination
dGK Großkreisdistanz; engl.: great circle distance
dLox loxodromische Distanz; engl.: loxodromic distance
EQ Äquator
Gb Gesamtbeschickung
Grt Greenwicher Stundenwinkel
GZ gesetzliche Zeit
h Höhe
h Stunde, als Zeiteinheit; engl.: hour; z. B.: 03 h 12 min 45 s oder 03:12:45
hb beobachtete Höhe; engl. observated high (Ho)
HP Horizontparallaxe;
hr berechnete Höhe; engl.: calculatet high (Hc)
Anhänge
66
Stichwortverzeichnis
Abweichung .......................................................... 8
Abweitung .......................................................... 42
Augenhöhe (astronomisch) ................................ 31
Azimut (astronomisch) ....................................... 27
beobachtete Höhe (astronomisch)..................... 27
berechnete Höhe (astronomisch) ...................... 27
Besteckrechnung ................................................ 58
Bildpunkt .............................................................. 8
Bildpunktkoordinaten ........................................... 8
calculated high.................................................... 27
Chronometerablesung ........................................ 36
Deklination ........................................................... 8
Ephemeriden ...................................................... 14
Frühlingspunktes ................................................ 15
gegißter Ort ........................................................ 27
gemittelte Breite ................................................ 58
Gesamtbeschickung, Gb ..................................... 32
Gestirn .................................................................. 9
gleichnamig ........................................................ 54
Greenwicher Stundenwinkel ................................ 8
Größenklasse, scheinbare .................................. 17
Großkreis ............................................................ 57
Halbsichtsextant ................................................. 22
Höhendifferenz, h ............................................ 27
Höhenparallaxe, P .............................................. 33
Horizontalwinkelmessungen .............................. 21
Horizontparallaxe, HP ......................................... 33
Indexberichtigung ............................................... 26
Indexbeschickung ............................................... 26
Indexfehler ......................................................... 26
Kimmabstand ...................................................... 31
Kimmtiefe ........................................................... 31
Kippfehler des Horizontspiegels ......................... 25
Kippfehler des Indexspiegels .............................. 25
Koppelrechnung ................................................. 58
Kulmination ........................................................ 37
Kursgleiche..........................................................57
Loxodrome ..........................................................57
Mittagsbesteck ...................................................55
Nachtbogen ........................................................53
Nautisch astronomisches Grunddreieck .............50
Nautisches Jahrbuch ...........................................14
Nonius .................................................................23
observed high .....................................................27
Orthodrome ........................................................57
Refraktion, R .......................................................32
Schalttafel ...........................................................18
scheinbare Höhe, hs ............................................31
scheinbarer Radius .............................................33
Schiffsmittag .......................................................37
Sextant ................................................................21
siderischer Tag ....................................................37
Sonnentag ...........................................................37
Stand ...................................................................36
Sternentag ..........................................................37
Sternwinkel .........................................................16
System des Himmelsäquators ............................49
System des wahren Horizontes ..........................47
Tagbogen ............................................................53
Transitus .............................................................15
Trommelsextanten .............................................21
Universal Time Coordinated, UTC ......................37
Universal Time, UT ..............................................37
Unterschied, Unt.................................................19
Verbesserung, Vb ................................................19
vergrößerte Breite ..............................................60
Vollsichtsextant ..................................................22
Widderpunkt .......................................................15
Winkelhöhe, h ....................................................... 9
Zenit ...................................................................... 9
zirkumpolar .........................................................54
Zusatzbeschickung, Zb ........................................33
Zuwachs, Zw .......................................................19
Top Related