Soziale und kulturelle Dimensionen vonGesundheit und Krankheit
Dr.in Christine Binder-Fritz, Zentrum für Public HealthMedizinische Universität [email protected]
Vortrag im Rahmen der Integra in Wels am 28. April 2016
© Christine Binder-Fritz
Überblick
• Ziel:AufzeigenderVerflechtungvonsozioökonomischemStatus,GeschlechtundHerkunft/Ethnizität
• GesundheitundKrankheitimsozio‐kulturellenKontext
• SozialeUngleichheit=gesundheitlicheUngleichheit• Fokus:„Herkunft“‐Migration‐GesundheitundVersorgung
• Diversität‐DiversityManagement• TranskulturelleKompetenzfürGesundheitspersonal
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Globalisierung - Migration- Flucht: SoziokulturelleDiversität im Gesundheitswesen
ZunehmendeHeterogenitätderBevölkerung Soziale,ethnisch‐kulturelleundreligiöseDiversität=
vielfältigeHerausforderungenfürGesundheitssystem GleichhoheVersorgungsqualitätfüralle
Bevölkerungsgruppengewährleistet? Spital,niedergelassenerBereich,psycho‐sozialeHilfsdienste,
transkulturellePsychiatrie,geriatrischeAbteilungen,Rehab‐Einrichtungen
„TranskulturelleKompetenz“alsSchlüsselqualifikation
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Einfluss-Faktoren aufGesundheits- und Krankheitsverhalten Alter Geschlecht / Gender soziale Klasse Bildungsgrad Erziehung/ Sozialisation „Herkunft“, „Kultur“, Ethnizität Nationalität Geschichte, kollektives Gedächtnis regionale Herkunft (Stadt – Land) Religion/ Weltbild Lebensstil, Biografie
SozialeDeterminantenvonGesundheitimKontextmitinternationalerMigration
ReportdesConsortiumfortheEuropeanReviewofSocialDeterminantsofHealthandtheHealthDivide:beträchtlichegesundheitlicheUngleichheitsowohlinnerhalbalsauchzwischendenStaatenderWHOEuropeanRegion(Marmot2011)
UnterschiedeimGesundheitsstatus,steheninengerVerbindungmitsozioökonomischenFaktorenundSchichtzugehörigkeit
JeniedrigerdersozioökonomischeStatuseinesMenschen,umsoschlechterseinGesundheitszustand
Marmot(2011)GlobalactiononsocialdeterminantsofhealthBulletinoftheWorldHealthOrganization2011;89:702‐702.doi:10.2471/BLT.11.094862
Zusammenhang zwischenMigration und Gesundheit
=hochkomplexesThemenfeld(Binder‐Fritz2011). Menschen mit Migrationshintergrund (MMH) = heterogene Gruppe
(Diversität). VerschiedeneVariablenzeigenRelevanzfürdieGesundheit. NationalitätalleinsagtwenigüberGesundheitsmusteraus. FaktorenmitEinflussaufdenGesundheitszustand: DauerdesAufenthaltsundAufenthaltsstatus,SituationvorAbreise, Geschlecht,Alter,Familienstrukturen sozioökonomischerStatus,beruflicheTätigkeit MigrationserfahrungundBewältigungmitÜbergangssituation
(soziokulturelleVeränderungen) Diskriminierungserfahrungen
© Christine Binder-Fritz
Public Health und Gesundheitspolitik
Jene sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, dieMenschen krank machen, sind für die Gesundheit derGesamtbevölkerung ein zentrales Thema.
Gesundheitliche Ungleichheit als zentraleHerausforderung
Im WHO Rahmenprogramm Health 2020 und im neuenPräventionsgesetz (PrävG) verankert.
Rolle des GeschlechtsimZusammenhangmitGesundheitundGesundheitsversorgung
FrauenundMännernichtgleich,wennesumihreGesundheitgeht
PrävalenzvonKrankheiten,Risikoverhalten,ErlebenderKrankheitundPräsentationvonSymptomen,sowieInanspruchnahmevonAngebotenimGesundheitswesenkönnengeschlechtsspezifischvariieren.
Genetische,biologischeundsozialbedingtesowieverhaltensbezogeneFaktorenbeeinflussendieEntstehungvonKrankheiten
(Binder‐FritzundRieder2014;Kautzky‐Willer2013;Regitz‐Zagrosek2012).
Frauen und Männer: Geschlecht undGeschlechterrollen
Unterschiededurch:
Biologie(engl.„sex“)
Rollen,Verantwortungsbereiche,dieihnendieGesellschafthinsichtlichihrerPositioninderFamilieundderGemeinschaftzuschreibt(engl.„gender“=sozialesGeschlecht)
Geschlechtsspezifische Unterschiede in derMedizin
BiologischeFaktorenzB:reproduktiveFunktionenoderKonzentrationvonSexualhormonen.
InsbesonderefürkardiovaskuläreErkrankungenundDiabeteserforscht.
Studien:UnterschiedeinManifestationenfürkardiovaskuläreErkrankungenbeiFrauenundMännern(Regitz‐Zagrostek2006)
Gender‐spezifischesVerhalten+psycho‐sozialeFaktoren:VerhaltensmusterundLebensstilassoziiert,beeinflussenUmgangmitKrankheit,ZugangzurGesundheitsversorgungundArzt‐Patient‐Interaktion
(Binder‐FritzundRieder2014).
Migration - Geschlecht- sozioökonomischer Status
FrauenundMännervonMigrationunterschiedlichbetroffen
MotivationzurMigration,Erfahrungunterschiedlich
BeideGeschlechterhäufigschlechtereberuflicheQualifikation*
MännerhäufiginBerufszweigenmitschwererkörperlicherundgesundheitsschädigenderArbeit,mithoherUnfallgefahr,StressbelastungdurchSchicht‐undNachtarbeit(z.B.Baugewerbe).
*jedochauchz.TÜberqualifikation
FrauendurchMigrationbesondersbetroffen:BelastungundgesundheitlichesRisiko
häufigmehrfachsozialbenachteiligt:
inihrerPositionalsAusländerinamArbeitsmarktmithäufigstrukturellerSchlechterstellunggegenüberinländischenArbeitnehmerinnen
hinsichtlichihrerDoppelbelastungdurchFamilieundHaushalt.
(Binder‐Fritz2012)
Migration - Geschlecht- sozioökonomischer Status
Frauenhäufiger:inFabriken,DienstleistungsspartenzB.Reinigungskräfte,Hotels,Krankenhäuser(StatistikAustria2014).
BeideGeschlechter:trotzhäufigvorhandenerhöhererberuflichenQualifikation,durchSchlechterstellunghinsichtlichdesArbeitsvertragsundArbeitskonditionenbenachteiligt(StatistikAustria2014).
BeispielSpanien:EinGroßteilderArbeitskräfteinBereichen,dieauchals„3D‐Jobs“bezeichnetwerden:„dirty,demandinganddangerous“.
ArbeitsmigrantInnen:weitseltenerMitgliedervonGewerkschaftenoderBerufsgruppen,dieihnenrechtlichenSchutzbietenkönnten.
JüngsteDaten:deutlicherAnstiegderArbeitslosenquote;MMHzähleninderderzeitigenWirtschaftskrisezubesondersvulnerablenGruppen
(Recheletal.2013;StatistikAustria2014).
Gesundheitsprobleme:Non‐communicablediseasesbeiMigrantInnen
GroßeUnterschiedeindenjeweiligenZuwanderer‐Gruppen ZumTeilhöheresRisikofürHerz‐KreislauferkrankungenoderDiabetes
durch: 1)Lebensstil‐bezogeneRisikofaktoren,wieungesundeErnährung,
Rauchen,ÜbergewichtundBewegungsmangel,2)auchgenetischePrädisposition‐zumBeispielfürDiabetesmellitusbeiMigrantInnenausPakistan‐beschrieben.
ErkrankungendesStütz‐undBewegungsapparats,RückenschmerzenWirbelsäulenprobleme,chronischeErkrankungenimMagen‐Darm‐Bereich
(WHO2007;Recheletal2013)
Altern in der Fremde: TranskulturelleNeurologie, Geriatrie, Gerontopsychiatrie
Zukunft:höhererBedarfambulanter+stationärerPflegeu.sozialerHilfsdienste
ZunahmeneurologischerErkrankungen+wiegehtFamiliedamitum?
DiversityManagementinOrganisationen
Sprach‐undKulturvermittlung/Dolmetschdienste
Reinprecht2015;Binder‐Fritz2011
Physiotherapie, Rehab nach Unfall,Psychotherapie...
Inanspruchnahme = bei MigrantInnen niedriger Information über soziale Hilfsdienste vorhanden/ verständlich? Dolmetschdienste vorhanden? Folgen des Krankenstandes? Auswirkungen auf sozioökonomische Situation + Familie Gutachter - Ansuchen um Früh-Pension? Umgang mit Schmerzen, Schmerzäußerung, psychischer
Belastung, Soziokulturelle Dimensionen von „Krank sein“, „Krankenrolle“; passives Verhalten ?
Verständigungs‐undVersorgungsproblemeaufgrundsprachlicherBarrieren
GenerellfürPatientInnen:gelungeneKommunikationalswichtigeVoraussetzungfürInformationsgespräch,AnamneseunddarausresultierendeTherapien
AufbaueinerVertrauensbasiszuPatientenundPatientinnen. Arzt‐Patient‐Kommunikationohneadäquate„Übersetzung“kanndas
Nicht‐EinhaltenvonNachsorgeterminen,vermehrtenoftmalsdiagnostischeUntersuchungenodergeringereTherapietreuezurFolgehabenBeiMigrantInnen:ProfessionelleDolmetsch‐Dienste(„communityinterpreter“)vielzuseltenzumEinsatz(Babitschetal2008).
„Sprachbarrieren“auchbeiDemenz,Gehörlosigkeit,Apoplexie...
InterkulturelleKommunikation
FünfzentraleBereichefürinterkulturelleKommunikationsprobleme
SprachlicheBarrieren Geschlechterrollen,UnterschiedekulturellerWerte, KulturelleUnterschiedehinsichtlichderArzt‐Patient‐Beziehung KulturelleUnterschiede‐ErklärungsmodellevonGesundheitund
Krankheit(“explanatorymodels“Kleinman1980). RassismusundStereotypeninderWahrnehmung.
(SchoutenundMeeuwesen2006;Kleinman1980)
Krankheitserklärungsmodelle SpracheundSinngebungdes„Krankseins“sindengmiteinander
verbunden. Krankheit(disease):pathologischesGeschehen Kranksein(illness):subjektiveWahrnehmung,Vorstellungen,individuelle
Erfahrung,Umgang ErklärungsmodellevonKrankheit(ArthurKleinman„explanatory
models“):könnenvonbio‐medizinischerSichtweiseabweichen) sinddurchunterschiedlicheDeterminantenwieAlter,Gender,Herkunft,
Lebenswelt,Biografieusw.beeinflusstundindividuelleKonstrukte UnterschiedlicheAuffassungenzuKlassifikation,Ätiologie,Diagnose,
Prävention,Therapie Beispiele:Diabetes,Bluthochdruck....(Kleinman1980;Binder‐Fritz2011)
Vorstellungen von Ursachen undUmgang mit Krankheiten
Schwere Krankheit wird von vielen Menschen alsPrüfung für die Glaubensfestigkeit im religiösen Kontextinterpretiert.
Mitunter als Strafe für soziales Fehlverhalten,verbunden mit Schuldgefühlen.
Suche nach „Ursachen“ (volksmedizinische)Vorstellungen, subjektive KH-Theorien, TraditionelleHeilrituale, Seelsorger
(Binder-Fritz 2011)
Krank-“sein“ und „Unterschiede“ in Medizinund Pflege…
Krankheitsverständnis = community-zentriert (zahlreicheBesucher..)
VerwandtehabenMitsprache‐RechtbeiwichtigenEntscheidungen Rollenverhalten im KH geschlechterspezifisch Beachtung von Schamgrenzen, Tabus, Intimsphäre (Nähe-Distanz) Religiös begründete Verhaltensweisen (orthodoxe Kirchen, Islam,
Judentum, Hinduismus) bezüglich Gebet, Ernährung + Diät(z.B.Islam -Ramadan)
RatvonGeistlichenwirdeingeholt TraditionelleHeilerundHeilrituale
(Binder‐Fritz2011;2012)
Spezifische Themenfelder im Kontextmit Religion und Krankheit
Dolmetschdienste;Communityinterpreter
PsychosozialeDienstezurKrisenbewältigung,Seelsorger Ressourcenausdermigrant‐community
ReligiöseVorschriftenimChristentum,Judentum,Islam,Hinduismus,Buddhismus:Reinheitsgebote(Körper,Nahrung),Speisevorschriften(Fasten/Ramadan;koscher,Catering,Diätologie)
PalliativeCare,Sterbebegleitung,Seelsorge‐Dienste
Bestattung,Trauer:SpezielleProblemstellungen,UmgangmitLeichnam,Überführung,Obduktion,Organspende
Empfehlungen zur Optimierung der Gesundheitsversorgung
Chancengleichheit im Zugang Diversität beachten Gender- und Kultursensibel für vielfältige Bedürfnisse Partizipation der Betroffenen (Health Policy making) Nutzung von Ressourcen (heterogene Teams) Vielfalt als Chance statt als Hindernis betrachten Gesundheitskompetenz (health literacy) stärken Schulungsangebote, Info-Materialien mehrsprachig Professionelle „Community medical interpreter“
Strategien zur Optimierung der Versorgung
Diversity Management(Verankerung in Institutionen,Leitbilder, Div. Beauftragte...)
Förderung inter-,transkultureller Kompetenz desPersonals
Handlungskompetenz derverschiedenen Akteure imGesundheitswesen fördern
Transkulturelle Kompetenz desPersonals
Vorstellung des Universitätslehrgangs „Transkulturelle Medizinund Diversity Care“
Neuer Masterlehrgang an der Med Uni Wien 1. Durchgang gestartet: Oktober 2015 Dauer: 5 Semester Abschluss: MSc Nächster Kursbeginn: Oktober 2017 Anmeldungen für den nächsten Lehrgang werden bereits entgegen
genommen Website: http://www.meduniwien.ac.at/ulg-transkulturelleMed
Literatur Binder-Fritz, C. und Rieder A. 2014. Zur Verflechtung von Geschlecht, sozioökonomischem Status und
Ethnizität im Kontext von Gesundheit und Migration. In: Bundesgesundheitsblatt- Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz: Band 57, Heft 9 (2014), Seite 1031-1037
Binder-Fritz C (2011) Migration und Gesundheit im Spiegel der Allgemeinmedizin. In: Peintinger, M.(Hrsg) Interkulturell kompetent. Ein Handbuch für Ärztinnen und Ärzte. Facultas Verlag Wien, S 119-144
Binder-Fritz C (2012) Gender, Körper und Kultur: Migrantinnen in der Frauenheilkunde. In: Biffl,Gudrun (Hrsg.) Migration & Integration. Dialog zwischen Politik, Wissenschaft und Praxis (Band 3),omnium KG, Bad Vöslau, S 75-84
Michael Marmot (2011) Global action on social determinants of health Bulletin of the World HealthOrganization 2011;89:702-702. doi: 10.2471/BLT.11.094862
Rechel B, Mladovsky P, Ingleby D, Mackenbach JP, McKee M (2013) Migration and health in anincreasingly diverse Europe. In: Lancet; 381 (9873): 1235-45
Reinprecht C (1999) Ältere MigrantInnen in Wien. Empirische Studien zu Lebensplanung, sozialerIntegration und Altersplanung. Senior Plus Projekt
WHO (2007) Unequal, unfair, ineffective and inefficient gender inequity in health: why it exists and howwe can change it final report to the WHO Commission on Social Determinants of Health;.http://www.who.int/social_determinants/resources/csdh_media/wgekn_final_report_07.pdf
WHO Regional Office for Europe (2010) How health systems can adress health inequities linked tomigration and ethnicity. Copenhagen
WHO-Report (2010) Health of migrants: the way forward – report of a global consultation , Geneva
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