Download - Stellungnahme des DAV zum Delisting

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Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Bank- und Kapitalmarktrecht zu dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zum Entwurf des Gesetzes zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie, hier: Delisting Stellungnahme Nr.: 49/2015 Berlin, im September 2015 Mitglieder des Ausschusses - Rechtsanwalt Dr. Andreas Fandrich, Stuttgart

(Vorsitzender und Berichterstatter) - Rechtsanwältin Daniela Bergdolt, München (Berichterstatterin) - Rechtsanwalt Dr. Stephan Heinze, LL.M.oec., Magdeburg - Rechtsanwalt Klaus Rotter, Grünwald - Rechtsanwalt Hartmut Strube, Düsseldorf - Rechtsanwalt Andreas Werner Tilp, Kirchentellinsfurt Zuständig in der DAV-Geschäftsführung - RAin Christine Martin, DAV-Berlin

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Verteiler Bundesministerium der Justiz und Verbraucherschutz

Bundesministerium der Finanzen

Vorsitzender des Rechtsausschusses des Bundestages

Fraktionen der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien

Vorstand und Geschäftsführung des Deutschen Anwaltvereins

Landesgruppen und -verbände des DAV

Vorsitzende der Gesetzgebungsausschüsse des DAV

Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaften des DAV

Bundesrechtsanwaltskammer

Bundesnotarkammer

Deutscher Notarverein

Institut der Wirtschaftsprüfer (IdW)

Deutscher Richterbund

Deutscher Juristinnenbund

Frauen in die Aufsichtsräte e.V. (FidAR)

Bundesverband der Freien Berufe

Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)

Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW)

Deutscher Steuerberaterverband

Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI)

Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK)

Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft

Bundesverband Deutscher Banken

Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. (SdK) - Die Aktionärsvereinigung –

Die Aktiengesellschaft

GmbH-Rundschau

NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

WM Wertpapiermitteilungen

ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

Börsenzeitung

Betriebs-Berater

NJW Neue Juristische Wochenschrift

Handelsblatt

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Financial Times Deutschland

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Der Deutsche Anwaltverein (DAV) ist der freiwillige Zusammenschluss der deutschen

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Der DAV mit derzeit rund 66.000 Mitgliedern

vertritt die Interessen der deutschen Anwaltschaft auf nationaler, europäischer und

internationaler Ebene.

Zusammenfassung

Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD gehen in ihrem Delisting-Entwurf davon aus,

dass „gesetzliche Verbesserungen des Anlegerschutzes beim Widerruf der Zulassung

eines Wertpapiers zum Handel am regulierten Markt“ erforderlich sind. Zudem wird

richtig erkannt, dass aktuell eine zu schließende Lücke im Anlegerschutz besteht. Diese

Lücke hat sich nach der Frosta-Entscheidung des Bundesgerichtshofs aufgetan (s.u. I.).

Nach Auffassung des Deutschen Anwaltvereins (DAV) vermag der vorliegende Entwurf

es nicht, diese Lücke mit einem angemessenen Schutz für die Anleger zu schließen. Im

Gegenteil: das Schutzniveau würde durch die Einführung des neu vorgesehenen

§ 39 Abs. 2 S. 3 BörsG-E sogar zusätzlich gemindert (s.u. II.). Der DAV schlägt vor (s.u.

III.), die im Rahmen der früheren Macrotron-Entscheidung des BGH aufgestellten

Anforderungen an ein Delisting nunmehr in Gesetzesform zu gießen. So würde der

über Jahre vorhandene Mechanismus zum fairen Interessenausgleich beibehalten und

dem Anleger mit dem Spruchverfahren eine bewährte Möglichkeit zur Verfügung

gestellt, um ein rechtsstaatliches Überprüfungs-Verfahren abzuhalten.

……………………………….

Vorbemerkung

Die vorgeschlagene Änderung des Börsengesetzes würde es nach dem neuen

§ 39 Abs. 2 S. 3 BörsG-E gestatten, ein Delisting innerhalb von sechs Monaten nach

einem Übernahme- oder Pflichtangebot gemäß den Vorschriften des WpÜG

durchzuführen, ohne hieran weitere Voraussetzungen wie etwa einen

Hauptversammlungsbeschluss oder ein im Spruchverfahren überprüfbares

Barabfindungsangebot zu knüpfen. Maßgeblich für die Höhe der anzubietenden

Abfindung soll nach § 39 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 BörsG-E i.V.m. § 31 Abs. 7 WpÜG i.V.m. § 5

Abs. 1 WpÜG-Angebotsverordnung der gewichtete durchschnittliche inländische

Börsenkurs während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1

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S. 1 oder der Kontrollerlangung nach § 35 Abs. 1 WpÜg sein. Eine gerichtliche

Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung ist nicht vorgesehen.

Dies steht im Widerspruch zum ausdrücklich geäußerten Willen der beiden

Regierungsfraktionen, den Anlegerschutz zu verbessern. Die Regierungsfraktionen

stellen zwar zurecht fest, dass die Frosta-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (II ZB

26/12) den durch das Macrotron-Urteil (II ZR 133/01) eingeführten Anlegerschutz

aufgehoben hat. Die von ihnen vorgeschlagene Regelung würde indes rechtshistorisch

ein deutlich niedrigeres Schutzniveau für Anleger mit sich bringen, als dass es vor der

Frosta-Entscheidung des Bundesgerichtshofs bereits elf Jahre lang vorhanden war.

Mit den im Rahmen der Macrotron-Rechtsprechung im Wege der richterlichen

Rechtsfortbildung geschaffenen Voraussetzungen liegt ein bewährtes Modell vor, das

auch vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet wurde (1 BvR 3142/07, 1 BvR

1569/08). Eine gesetzliche Regelung im Geiste der Macrotron-Entscheidung des

Bundesgerichtshofs würde daher einer bereits etablierten und gerade auch im Interesse

des Anlegerschutzes bewährten Vorgehensweise erneut Geltung verschaffen, die einen

fairen Interessenausgleich zum Inhalt hat und keine Seite einseitig bevorzugt.

I. Rechtsprechungs-Entwicklung zum Delisting

Um die aktuelle Regelungssituation einordnen zu können, ist es erforderlich, einen Blick

auf die Entwicklung der Rechtsprechung zum Thema Delisting zu werfen.

1. Die Macrotron-Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Das Delisting war und ist nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Daher entschied der

Bundesgerichtshof zunächst grundsätzlich im Rahmen der Macrotron-Entscheidung

(25.11.2002, II ZR 133/01), dass

„….das reguläre Delisting wegen der damit verbundenen erheblichen

Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit der Aktien das Aktieneigentum

[beeinträchtigt]…“.

Weiter konkretisierte der Bundesgerichtshof:

„Es bedarf eines Beschlusses der Hauptversammlung sowie eines

Pflichtangebotes der Aktiengesellschaft oder des Großaktionärs über den Kauf der

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Aktien der Minderheitsaktionäre. Der Beschluss bedarf keiner fachlichen

Rechtfertigung. Der Vorstand braucht dazu keinen Bericht zu erstatten.“

„Ein adäquater Schutz der Minderheit beim regulären Delisting ist nur dann

gewährleistet, wenn Inhalt des Pflichtangebotes die Erstattung des vollen Wertes

des Aktieneigentums ist und die Minderheitsaktionäre diesen Umstand in einem

gerichtlichen Verfahren überprüfen lassen können. Die Überprüfung hat

entsprechend den Regeln des Spruchverfahrens im Verfahren der freiwilligen

Gerichtsbarkeit zu erfolgen.“

Der Bundesgerichtshof begründete dies damit, dass dem

„…Aktionär mit dem Rückzug der Gesellschaft aus dem amtlichen Handel oder

vom geregelten Markt der Markt genommen wird, der ihn in die Lage versetzt, den

Wert seiner Aktien jederzeit durch Veräußerung zu realisieren. […] Dieser

Verkehrsfähigkeit der Aktien einer an der Börse zugelassenen Aktiengesellschaft

sei mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die

Wertbestimmung der Anteile eine besondere Bedeutung beizumessen. […] Der

Verkehrswert und die jederzeitige Möglichkeit seiner Realisierung sind danach

Eigenschaften des Aktieneigentums (BVerfGE 100, 289, 305 ff. – DAT/Altana), die

– wie das Aktieneigentum selbst – verfassungsrechtlichen Schutz genießen. […]

Allerdings [vermag] der Umstand, dass die Entscheidung über ein Delisting der

Hauptversammlung vorbehalten ist, […] allein keinen hinreichenden Schutz der

Minderheitsaktionäre zu gewährleisten. Ein solcher ist nur dann sichergestellt,

wenn den Minderheitsaktionären der Wert ihrer Aktien ersetzt wird und wenn die

Möglichkeit offensteht, die Richtigkeit der Wertbemessung in einem gerichtlichen

Verfahren überprüfen zu lassen (BVerfGE 100, 289, 303; BVerfGE, Beschluss

vom 23.08.2000, a.a.O., S. 1672 ff.).“

2. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

a) Kein Eingriff in Art. 14 GG

Das Bundesverfassungsgericht hat am 11.07.2012 entschieden, dass der Widerruf der

Börsenzulassung für den regulierten Markt auf Antrag des Emittenten grundsätzlich

nicht den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts des Aktionärs aus Art. 14 Abs. 1

GG berührt (1 BvR 3142/07, 1 BvR 1569/08).

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Grund hierfür sei, dass von Art. 14 GG der

„…bloße Vermögenswert des Aktieneigentums und der Bestand einzelner

wertbildender Faktoren, insbesondere solcher, die die tatsächliche

Verkehrsfähigkeit einer Aktie steigern, [nicht geschützt werden]…“.

Daher umfasse der

„…verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums grundsätzlich nicht den

wertbildenden Effekt marktregulierender und unternehmensbezogener Vorschriften

des Aktien- und Börsenrechts, die nach Zielsetzung des Gesetzgebers

Transparenz schaffen und in Ansehung der wirtschaftlichen Macht großer

börsennotierter Aktiengesellschaften sowie ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung

auch der Missbrauchsprävention und dem Wohl der Allgemeinheit dienen sollen...“

Daher berührt der Widerruf der Börsenzulassung für den regulierten Markt nicht den

Schutzbereich des Art. 14 GG.

b) Regelung entsprechend Mactroton zulässig

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung allerdings auch festgestellt,

dass der Annahme, die der Bundesgerichtshof in der Macrotron-Entscheidung im Sinne

einer Gesamtanalogie getroffen hat, verfassungsrechtlich „nichts entgegensteht“.

Ebenso sieht das Bundesverfassungsgericht keinen Grund, die Anwendung der

Vorschriften des Spruchverfahrens auf ein Delisting für verfassungswidrig zu halten.

Es bestehe

„…kein Anhalt dafür, dass der Gesetzgeber eine Überprüfung des Pflichtangebots

beim freiwilligen Delisting im Rahmen des Spruchverfahrens hätte ausschließen

wollen. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich vielmehr, dass der

Rechtsausschuss des Bundestages im Zusammenhang mit der Neuordnung des

gesellschaftsrechtlichen Spruchverfahrens ausdrücklich darauf hingewiesen hat,

die Auflistung zum Anwendungsbereich in § 1 SpruchG sei nicht abschließend und

stehe der Anwendung auf andere Fälle, wie dem Delisting, nicht entgegen (BT-

Drucks 15/838, S. 16)….“

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2.c) Fazit aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Somit stellen nach dem Bundesverfassungsgericht die im Rahmen der Macrotron-

Entscheidung entwickelten Anforderungen an das Delisting eine zwar nicht durch Art.

14 GG gebotene, aber durchaus zulässige Vorgehensweise dar.

3. Die Frosta-Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Dennoch gab der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 08.10.2013 (II ZB 26/12

– „Frosta“) ausdrücklich sein Urteil vom 25.11.2002 (Macrotron) auf. Er war nun der

Ansicht, dass die Aktionäre

„…bei einem Widerruf der Zulassung der Aktie zum Handel im regulierten Markt

auf Veranlassung der Gesellschaft […] keinen Anspruch auf eine Barabfindung

[haben]. Es bedarf weder eines Beschlusses der Hauptversammlung noch eines

Pflichtangebotes.“

und, dass durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts der Macrotron-

Rechtsprechung die Grundlage genommen ist. Er führte hier aus, dass

„…der Widerruf der Börsenzulassung […] keine Strukturmaßnahme [ist] und er ihr

auch nicht ähnelt. […] Die aktienrechtlichen Vorschriften, die auf die

Börsennotierung abstellen, dienen nur mittelbar dem Vermögen und den

Mitgliedsinteressen des einzelnen Aktionärs.“

Festgestellt wurde auch, dass der Schutz der Anleger, der in § 39 Abs. 2 S. 2 BörsG

geregelt ist, nicht unzureichend ist. Der Bundesgerichtshof war der Auffassung, dass

„…wenn die Anleger in der Verwaltungspraxis nicht ausreichend geschützt

werden, [ist] einer unzutreffenden Anwendung von § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsenG mit

den verwaltungsrechtlichen, auch aufsichtsrechtlichen Mitteln zu begegnen.“

4. Zusammenfassung der Rechtsprechungs-Historie

Zusammenfassend zur Rechtsprechungsentwicklung lässt sich somit konstatieren, dass

die von der Macrotron-Entscheidung vorgeschriebene Vorgehensweise zwar

verfassungsrechtlich nicht erforderlich ist, aber verfassungsrechtlich auch keine

Bedenken nach sich zieht.

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II. Der Gesetzentwurf und seine Auswirkungen

Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD gehen in ihrem Entwurf davon aus, dass

„gesetzliche Verbesserungen des Anlegerschutzes beim Widerruf der Zulassung eines

Wertpapiers zum Handel am regulierten Markt“ erforderlich sind. Zudem wird richtig

erkannt, dass aktuell eine zu schließende Lücke im Anlegerschutz besteht. Diese Lücke

hat sich nach der Frosta-Entscheidung des Bundesgerichtshofs aufgetan. Der

vorliegende Entwurf vermag es nicht, diese Lücke mit einem angemessenen Schutz für

die Anleger zu schließen.

Der momentane Schutz der Anlegerinteressen wird nur über § 39 Abs. 2 S. 2 BörsG

i.V.m. den jeweiligen Börsenordnungen gewährleistet. Dieses bereits relativ niedrige

Schutzniveau würde durch die Einführung des neu vorgesehenen § 39 Abs. 2 S. 3

BörsG-E eine zusätzliche Minderung erfahren.

1. Zu § 39 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 BörsG-E (neu)

a) Fristen werden verkürzt

Die meisten Börsenordnungen schaffen für die Aktionäre im Falle eines Delistings über

eine Fristenregelung eine ausreichende Zeitspanne, die diese nutzen können, um ihre

Aktien über den Markt zu veräußern. Wenn nun, wie durch den neuen § 39 Abs. 2 S. 3

Nr. 2 BörsG-E geplant, ein Delisting zeitlich bereits unmittelbar nach einem

Übernahmeangebot erfolgen kann, werden diese Fristen faktisch verkürzt. Die Situation

wird nicht mehr einschätzbar. In der Realität wird auch ohne Annahme des

Übernahmeangebots durch die Aktionäre bzw. auch bei einer sehr geringen

Beteiligungsquote ein Delisting möglich sein.

b) Entstehen einer Druck-Situation

Der Entwurf der Regierungsfraktionen stellt in § 39 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 BörsG-E einen

unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Übernahmeangebot und dem Delisting

her. Wird den freien Aktionären zukünftig ein Übernahmeangebot unterbreitet, so

werden die freien Aktionäre immer damit rechnen müssen, dass innerhalb der nächsten

sechs Monate ein Delisting bevorsteht. Die Reaktion auf das Übernahmeangebot findet

damit unter dem Eindruck des nahenden Delistings statt. Da Anleger gerade auch nach

der Einschätzung der Regierungsfraktionen damit rechnen müssen, erhebliche

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Kursverluste zu erleiden, ist eine freie Entscheidung, die auf einer von äußeren

Einflüssen unabhängigen Bewertung der Situation beruht, so nicht mehr möglich.

Die Folge wäre somit nicht eine Erhöhung, sondern eine Reduktion des

Anlegerschutzes, womit das von den Regierungsfraktionen in der Begründung des

Entwurfs ausdrücklich gewünschte Ziel ins Gegenteil verkehrt würde.

c) Aktionärsentscheidungen brauchen Transparenz

Für viele Aktionäre stellt die Investition in Aktien einen wichtigen Baustein ihrer privaten

Vermögens- und Altersvorsorge dar. Eine mündige Anlegerentscheidung muss daher in

einem Umfeld stattfinden, in dem sich der Aktionär möglichst frei und umfassend über

die Aktiengesellschaft informieren und vor diesem Hintergrund eine Entscheidung

treffen kann. Zu beachten ist, dass die Veröffentlichungspflichten des jeweiligen

Börsensegmentes mit einem Wirksamwerden des Delistings wegfallen. Wird die

Börsenzulassung widerrufen, geht diese Transparenz verloren und mit ihr die

Vergleichbarkeit des Unternehmens mit börsennotierten Gesellschaften. Eine

ausreichende Kontrolle wird so verhindert; eine freie Anlageentscheidung eines

mündigen Aktionärs kann unter diesen Bedingungen nur unzureichend stattfinden.

Damit die Aktionäre in dieser Situation nicht auf das Wohlwollen der

Aktiengesellschaften angewiesen sind, ist es entscheidend, dass zu diesem Zeitpunkt

eine Transparenz nicht völlig aufgegeben wird.

2. Zur ausschließlichen Orientierung am Börsenkurs

a) Widerspruch gegen Schutzrichtung des Aktienrechts

Die Einschränkung des Anfechtungsrechts der freien Aktionäre wurde mit einer

Reduktion des Aktionärsinteresses auf das Vermögensinteresse begründet. Dies hat

seinerzeit zu einer Einschränkung der Kontrollrechte geführt.

Das der gesetzlichen Regelung zugrunde liegende Vermögensinteresse des Aktionärs

muss auch beim Delisting geschützt werden. In seiner Entscheidung vom 11.06.2012

(1 BvR 3142/07, 1 BvR 1569/08) stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass es sich

„im Blick auf das vermögensrechtliche Element des Aktieneigentums bei der

Börsenzulassung im regulierten Markt um einen wertbildenden Faktor [handelt]“,

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auch wenn das Bundesverfassungsgericht diesen wertbildenden Faktor nicht als von

Art. 14 GG geschützt ansieht.

Bei der angestrebten Neuregelung des Delistings kann der angebotsempfangende

Aktionär das Angebot in Höhe der Untergrenze der „wirtschaftlich vollen Entschädigung“

annehmen oder eben nicht. Er muss in jedem Fall damit rechnen, dass ihm die

Vermögensposition verlustig geht. Die Zielsetzung „Anlegerschutz“ müsste nach Ansicht

des DAV einen gerechteren Ausgleich der Interessen im Blick haben und daher hier den

Verlust der Vermögensposition mit deren angemessenen Ausgleich in Höhe des wahren

Wertes der Aktienbeteiligung bedenken.

b) Börsenkurs entspricht nicht dem fairen Wert der Aktie

Eine ausschließliche Orientierung am Börsenkurs stellt keine gerechte Wertfindung für

die Unternehmensbeteiligung der freien Aktionäre dar.

Der Börsenkurs wird von vielen Faktoren beeinflusst. Dazu gehören dem Unternehmen

direkt entspringende Daten und Fakten. Dazu gehören aber auch Umstände, die

außerhalb des Unternehmens liegen. So haben Börsenschwankungen in den USA oder

in Asien oftmals einen direkten Einfluss auf die Aktienkurse deutscher börsennotierter

Gesellschaften.

Insofern spiegelt der Börsenwert nicht mehr den tatsächlichen Wert des Unternehmens

wieder. Demnach wird auch der Wert des in den Aktien des Unternehmens liegenden

Kapitals verzerrt dargestellt.

Fehlt eine Möglichkeit zur gerichtlichen Überprüfung, so sind die Aktionäre

möglicherweise gezwungen, ihre Aktien zu einem Wert abzugeben, der dem

eigentlichen Wert ihrer Beteiligung nicht entspricht.

Nicht ohne Grund bildet im aktienrechtlichen Spruchverfahren der Börsenkurs nur die

Untergrenze einer angemessenen Abfindung. Er stellt auch nach Auffassung des

Bundesverfassungsgerichts die Untergrenze der „wirtschaftlich vollen Entschädigung“

dar, die Art. 14 Abs. 1 GG für die Entwertung oder Aufgabe der Anteilsrechte fordert

(BVerfG, Beschluss vom 27. April 1999, Az. 1 BvR 1613/94). Beim Delisting wäre diese

Untergrenze der maßgebliche und zudem nicht überprüfbare Wert, der gesetzlich

festgeschrieben wird.

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3. Zum Fehlen der Überprüfungsmöglichkeit i.R.d. Spruchverfahrens

a) Bestehen eines Kontrollgefälles

Die neue Regelung würde ein Gefälle hinsichtlich der Ausübung von Kontrolle über das

Aktieneigentum zwischen Aktiengesellschaft bzw. Großaktionär und freien Aktionären

festschreiben.

Das Ungleichgewicht besteht schon darin, dass der Anbietende für das

Übernahmeangebot den Zeitpunkt frei wählen kann; er kann den für die Höhe

maßgeblichen Börsenkurs zu seinen Gunsten nutzen. Somit hat der Anbietende die

Möglichkeit, die Höhe des Preises zu steuern. Diese Möglichkeit haben die

Angebotsadressaten durch das Fehlen einer Überprüfungsmöglichkeit des Angebotes

nicht.

Wenn durch den neuen § 39 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 BörsG-E die Möglichkeit eröffnet wird,

das Delisting bis zu sechs Monate nach dem Übernahme- bzw. Pflichtangebot

umzusetzen, wird der Aktienkurs zusätzlich in seiner Wertentwicklung beschränkt. Die

Formulierung „bis zu“ birgt wie beschrieben die Gefahr, dass innerhalb des Zeitrahmens

von 6 Monaten jederzeit mit einem Delisting gerechnet werden muss und das schon ab

dem Zeitpunkt des Angebots.

b) Überprüfung für Aktionäre muss möglich sein

Zukünftig soll es nicht mehr möglich sein, ein Spruchverfahren über die Höhe des im

Übernahmeangebot genannten Aktienpreises anzustrengen.

Dabei wäre die Möglichkeit, ein Spruchverfahren nach dem SpruchG durchzuführen,

eine einfach zu regelnde und wenig belastende Möglichkeit, einen fairen

Interessenausgleich zu schaffen. Laut Bundesverfassungsgericht (s.o.) ergibt sich

„…aus den Gesetzesmaterialien […], dass der Rechtsausschuss des Bundestages

im Zusammenhang mit der Neuordnung des gesellschaftsrechtlichen

Spruchverfahrens ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die Auflistung zum

Anwendungsbereich in § 1 SpruchG nicht abschließend ist und der Anwendung

auf andere Fälle nicht entgegen steht (BT-Drucks 15/838, S. 16). Diese Position ist

im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens unwidersprochen geblieben.“

Auch für die Fälle des Delistings stünde diese Möglichkeit offen. Dies wurde im

Nachgang der Macrotron-Rechtsprechung auch so praktiziert.

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Das Delisting könnte während des Laufs des Spruchverfahrens weiter durchgeführt

werden. Das Spruchverfahren hat keine aufschiebende oder hemmende Wirkung für die

dadurch überprüfte Maßnahme. Es läge damit auch keine einschneidende

Beeinträchtigung der Interessen des Emittenten vor, der die Aktie vom börsennotierten

Handel widerrufen will.

4. Volkswirtschaftliche Folgen

Dadurch, dass dem Delisting sehr niedrige Hürden gesetzt werden, steigt die

Wahrscheinlichkeit, dass die Zahl der börsennotierten Unternehmen abnimmt. Die

Attraktivität des deutschen Finanzplatzes – der aus einer Vielzahl von börsennotierten

Unternehmen besteht – wird dadurch reduziert. Dies ist sicherlich nicht das Ziel des

Gesetzgebers.

5. Die Rechts-Realität

Letztlich muss auch die rechtsreale Situation betrachtet werden: Das Delisting wird

regelmäßig der erste Schritt auf dem Weg zu einem Squeeze-Out sein. So liegt es für

Großaktionäre nahe, sofern sie die für einen Squeeze-Out erforderlichen Mehrheiten

von 95% oder 90% des Anteils am Aktieneigentum nicht über den freien Markt

erreichen können, diesen Weg über ein Delisting zu beschreiten. Durch diese

Maßnahme kann versucht werden, weitere Aktien-Stücke einzusammeln, um dann die

relevanten Gesetzes-Schwellen zu erreichen.

Aktionäre, deren Unternehmen nicht mehr börsennotiert sind, können ihre Aktien

praktisch nur noch an den verbliebenen Großaktionär verkaufen. Dabei gestaltet sich für

den freien Aktionär die Wertfeststellung schwierig. Es kann praktisch nicht

nachvollzogen werden, ob das Angebot eines Großaktionärs angemessen ist oder nicht.

Beim Squeeze-Out der Minderheitsaktionäre aus einer Aktiengesellschaft wird verlangt,

dass der wahre Unternehmenswert gefunden wird. Berücksichtigt man, dass in der

Rechts-Realität das Delisting oftmals der erste Schritt auf dem Weg zu einem Squeeze-

Out sein wird, ist nur schwer begründbar, warum die Minderheitsaktionäre in beiden

Fällen unterschiedlich behandelt bzw. abgefunden werden sollen. Letztlich verlassen

beide das Unternehmen in einer ähnlichen Situation. Diese ist charakterisiert dadurch,

dass es in beiden Fällen ein Interesse daran gibt, die freien Aktionäre nicht mehr als

Eigentümer des Unternehmens haben zu wollen. Dabei dürfen die freien Aktionäre nicht

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nur deswegen unterschiedlich behandelt werden, weil ihre Gruppe einen bestimmten

Prozentsatz am Anteil des Aktieneigentums darstellt. Genau dies wäre aber die Folge

des vorliegenden Änderungsvorschlags.

III. Vorschlag zur Umsetzung

Nach der Macrotron-Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist eine gesetzliche

Regelung zum Delisting bis heute unterblieben. Diese war allerdings bis zur Frosta-

Entscheidung auch nicht erforderlich, da durch die Umsetzung dieser Rechtsprechung

ein ausreichendes Schutzniveau für Anleger bestand.

Der Schutz, der von dieser Entscheidung für die freien Aktionäre ausging, ist nach der

Rechtsprechungsänderung des Bundesgerichtshofs nicht mehr vorhanden.

Dieses Schutzniveau ist nach Überzeugung des DAV wieder anzustreben. Wir schlagen

daher vor, die im Rahmen der Macrotron-Entscheidung aufgestellten Anforderungen an

ein Delisting nunmehr in Gesetzesform zu gießen. So würde der über Jahre vorhandene

Mechanismus zum Interessenausgleich beibehalten und dem Anleger mit dem

Spruchverfahren eine bewährte Möglichkeit zur Verfügung gestellt, um ein

rechtsstaatliches Überprüfungs-Verfahren abzuhalten.

Nur über ein ertragswertorientiertes, der Höhe nach gerichtlich überprüfbares

Abfindungsangebot ist es möglich, einen sachgerechten und auch verfassungsrechtlich

gebotenen Ausgleich der verschiedenen Interessenlagen von Übernehmer und freien

Aktionären zu schaffen.

Eine gesetzliche Regelung sollte unserer Meinung nach daher für das Delisting einen

Beschluss der Hauptversammlung voraussetzen sowie ein Angebot der

Aktiengesellschaft oder des Großaktionärs über den Kauf der Aktien der

Minderheitsaktionäre. Dieses Angebot muss dabei auf die Erstattung des vollen Werts

des Aktieneigentums ausgerichtet sein. Die Angemessenheit der Höhe der

angebotenen Abfindung muss zudem für die Minderheitsaktionäre in einem

gerichtlichen Verfahren überprüfbar sein. Es bietet sich an und ist rechtlich nicht zu

beanstanden, hier das Spruchverfahren zu verwenden.