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TecHNOLOGie & TreNDs

VON WOLFGANG BöHME UND LUTZ REISSIG, FREIBURG

Werkstoffe, Proben und Prüftechnik

Von den Projektpartnern (siehe [1]) wur-den für die Hochgeschwindigkeitsunter-suchungen im Fraunhofer IWM verschie-dene Bauteile aus den neu entwickelten ADI-Werkstoff- Chargen zur Verfügung ge-stellt. Aus Y3-Gusskörpern (ADI 1200) mit einer Wanddicke von 50 mm wurden Rundzugproben mit 5 mm Prüfdurchmes-ser sowie aus Schwenklagern (ADI 1000) mit Wanddicken unter 10 mm Rundzug-proben mit 4 mm Prüfdurchmesser gefer-tigt, wobei die Prüflänge jeweils 10 mm betrug.

Die statischen Versuche und die Hoch-geschwindigkeitszugversuche bei crashar-

Neue, höchstfeste ADI-Werkstoffe für den Automobilbau Eignungsuntersuchung unter Missbrauchs- oder crashbelastung

0,0

5,0

10,0

15,0

20,0

25,0

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0,0000 0,0002 0,0004 0,0006 0,0008 0,0010 0,0012 0,0014Ze it [s ]

0,0

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1000

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1400

1600

0,00 0,10 0,20 0,30 0,40 0,50

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wahr (dL + dD)

dD

dL

technisch

wahr (dL)

Verlängerung/EinschnürungHochgeschwindigkeits-Video(lokal)

Dehnratenverlauf

dε/dt = 250 s -1

Deh

nrat

e in

s-1

Span

nung

in M

Pa

dL +

dD

(pos

.) in

mm

Dehnung

Zeit in s

bis zu 1 000 000Bilder

Kraft:Patentierte IWM-Kraftmesszelle(quasi-lokal)

Kraf

t in

kN

bild 1: iWM-Messtechnik für Hochgeschwindigkeits-Zugversuche (d«/dt – nominelle Dehnrate, dL – Längenänderung, dD – Durchmesseränderung).

kurZFAssuNG:Im rahmen des BMBF-projekts lEa [1] wurden verschiedene vorhandene und neu zu entwickelnde hochfeste adI-gussqualitäten (austempered ductile Iron = aus-tenitisch-ferritisches gusseisen mit Kugelgraphit) untersucht und ihr leichtbaupo-tential für den Einsatz in der automobilindustrie bewertet.

die Untersuchung der dehnratenabhängigkeit der adI-Werkstoffe erfolgte am Fraunhofer IWM, Freiburg, mittels hochgeschwindigkeitszugversuchen. Bei crash-relevanten dehnraten von bis zu 100 s-1 war sowohl bei der adI 1000- wie auch bei der adI 1200-gussqualität eine Festigkeitszunahme von ca. 100 Mpa feststell-bar, wobei die Bruchdehnung mindestens konstant blieb bzw. in einigen Fällen so-gar um mehr als 20 % anstieg. Mittels röntgenographischer phasenanalyse wurde außerdem eine deutliche Verringerung des austenitanteils in den proben von ca. 35 % vor Versuchsbeginn auf 5 bis 10 % nach dem Versuchsende festgestellt, was ein hinweis auf eine als trIp-Effekt (transformation Induced plasticity = Umwand-lungsplastizität) bekannte phasenumwandlung ist. die kompletten Ergebnisse die-ser Untersuchungen sind in [2] detailliert beschrieben.

diese Untersuchungsergebnisse belegen, dass die hier vorgestellten adI- gussqualitäten durchaus ein hohes potential für den Einsatz in crashbelasteten automobilkomponenten besitzen.

Demonstratorbauteil ADi-schwenklager.

Foto

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Ud

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tiger dynamischer Belastung erfolgten mit einer servohydraulischen Schnellzerreiß-maschine.

Bei allen Versuchen wurde adäquate Messtechnik in Anlehnung an statische Normen sowie Hochgeschwindigkeitsmess-technik in Anlehnung an [3] eingesetzt

(bild 1). Die Kraftmessungen erfolgten mit der patentierten IWM-Kraftmesszelle [4], die Verformungsmessungen mithilfe einer Hochgeschwindigkeits-Videokamera. Die-se Versuche wurden bei Raumtemperatur (RT) von 24 °C ±2 °C sowie eine Versuchs-serie bei -40 °C ±2 °C durchgeführt.

Ergebnisse der ADI 1200-Chargen der Y3-Gusskörper

Die ADI 1200-Chargen wurden von der Eickhoff Giesserei GmbH, Bochum (H. Mül-ler), als Teile von Y3-Gusskörpern mit ei-ner Wanddicke von 50 mm geliefert. Im

0

200

400

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1400

0,00 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10 0,12

RK5-Rz-S01RK5-Rz-S02RK5-Rz-S03RK5-Rz-S04RK5-Rz-S05RK5-Rz-S06RK5-Rz-S07RK5-Rz-S08

statischBlock unten

statisch Block oben

oben/aussenoben/innen

unten/aussen+innenSoll-Bereich für ADI 1200

Dehnung εtechnisch

Span

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64 70 80 90 100 110 120 130 140 150 160

γ(A

uste

nit)

γ γ α

α

α

Austenitanteil im Kernbereich19,6 ± 4 %

Austenitanteil im Randbereich35,5 ± 2 %

2-Theta-Scale

Lin

(Cps

)

bild 2: probenentnahme aus einem Y3-Gusskörper (ADi 1200, raumtemperatur, prüfdurchmesser d0 = 5 mm (rk5)) und technische spannungs-Dehnungs-kurven.

bild 3: röntgenographische Analyse des Austenitanteils an zwei elektropolierten positionen (rand- und kernbereich) eines zentral gelegenen Y3-Gusskörperreststücks.

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auch Hochgeschwindigkeitsversuche durchgeführt. Für Missbrauchs- bzw. Im-pakt-Belastungen wurden dabei als typi-sche Dehnrate 1 s-1 und für crashrelevan-te Belastungen 100 s-1 gewählt.

In gleicher Weise wurden auch Versu-che bei -40 °C durchgeführt, um den Ein-fluss der Temperatur auf die Werkstoffei-genschaften bei ADI 1200 zu ermitteln. Die ermittelten Festigkeits- und Verformungs-kennwerte sind in Bild 4 für Raumtempe-ratur RT und für -40 °C in Abhängigkeit von der Dehnrate dargestellt. Diese Kenn-werte zeigen einen erkennbaren Dehnra-teneffekt: mit zunehmender Dehnrate steigt das Festigkeitsniveau um etwa 100 MPa an, ohne dass die Bruchdehnung abnimmt. Bei -40 °C ergeben sich erwar-tungsgemäß etwas höhere Festigkeitswer-te als bei RT bei etwas reduzierten Bruch-dehnungswerten.

Es ist besonders bemerkenswert, dass dieser ADI 1200-Gusswerkstoff selbst bei

Zusätzlich wurden auf den Bruchflä-chen der geprüften Proben röntgenogra-phisch Restaustenitanteile ermittelt. Ge-genüber den Ausgangswerten in unbelas-tetem Zustand (Rand: 35 %, Kern: 20 %) konnten auf den Bruchflächen nur noch Austenitanteile von etwa 8 % am Rand und 10 % im Kern festgestellt werden. Dies war ein erster Hinweis auf eine verformungs-induzierte Phasenumwandlung, also auf einen TRIP-Effekt (TRansformation Indu-ced Plasticity = Umwandlungsplastizität [5, 6]), der nachfolgend auch bei einer Schwenklager-Charge aus ADI 1000 fest-gestellt wurde (siehe weitere Ausführun-gen).

Dehnraten- und Temperatureinfluss bei ADi 1200Zur Quantifizierung eines Dehnrateneffek-tes wurden bei Raumtemperatur ergän-zend zu den statischen Rundzugversuchen mit nomineller Dehnrate von 0,0018 s-1

IWM wurden daraus Rundzugproben mit einem Prüfdurchmesser d0 von 5 mm ge-fertigt. Die Probenentnahme aus den Y3-Gusskörpern erfolgte mit festgelegter und nachvollziehbarer Entnahmeposition ent- sprechend Bild 2.

Werkstoffeigenschaften (ADi 1200, dickwandig)Die Spannungs-Dehnungs-Kurven der sta-tischen Versuche bei Raumtemperatur zei-gen deutlich (Bild 2), dass am unteren Rand des Y3-Gusskörpers die Sollwerte für ADI 1200, insbesondere Zugfestigkeiten über 1200 MPa, erreicht werden. Im Kernbe-reich entnommene Proben lieferten deut-lich niedrigere Kennwerte und Spannungs-Dehnungs-Kurven. Je nach Einsatzbereich und zu erwartenden Belastungen wie z. B. Biegung kann dies unerheblich sein, an-dernfalls muss auf solche Eigenschaftsgra-dienten in Dickenrichtung geachtet wer-den und die Prozessparameter wie z. B. die Haltetemperaturen sind entsprechend an-zupassen.

Metallographische und röntgenogra-phische Analysen (ADi 1200)Als Ursache für diesen Gradienten der Werkstoffeigenschaften wurde vermutet, dass die Ausferritisierung des vergleichs-weise dickwandigen Y3-Gusskörpers zum Inneren hin nicht vollständig erfolgt war. Zur Abklärung wurden ergänzende me-tallographische und röntgenographische Analysen durchgeführt. Die an den ver-schiedenen Entnahmepositionen gewon-nenen Schliffbilder lieferten keine erkenn-baren Gefügeunterschiede. Die Härtewer-te zeigten zumindest qualitativ eine Abhängigkeit vom Entnahmeort – auf-grund der Streubreite ergab sich aller-dings keine eindeutige Korrelation zu den Festigkeitswerten.

Zusätzlich wurde der Austenitanteil an einem Y3-Gusskörper-Reststück an zwei Positionen (Kern- und Randbereich) rönt-genographisch ermittelt (Bild 3). Hierbei ergab sich ein signifikanter Zusammen-hang zwischen den Festigkeiten und den Austenitanteilen der unterschiedlichen Entnahmepositionen: der Austenitanteil lag mit etwa 35 % im höherfesten Randbe-reich deutlich über dem Anteil von etwa 20 % im niederfesteren Kernbereich.

Der damit einhergehende Gradient der Werkstoffeigenschaften und insbesondere des Festigkeitsniveaus ist gegebenenfalls zu berücksichtigen. Deshalb wäre es bei künftigen Untersuchungen sinnvoll, ergän-zend zu aus Bauteilen entnommenen Rund-zugproben, bei denen im Prüfteil die Bau-teiloberfläche entfernt wird, auch Unter-suchungen unter Biegebelastung mit Oberflächen-Zugbeanspruchung zur Cha-rakterisierung mit einzubeziehen.

Bild 4: Dehnratenabhängigkeit der Festigkeits- und Verformungskennwerte für die ADi 1200-Charge (Prüfdurchmesser d0 = 5 mm (rK5)) bei: a) rT und b) -40 °C.

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A 2 bz

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Nominelle Dehnrate in s-1

1 E+021 E+011 E+001 E-011 E-021 E-03

y = 9,6409 x 0,0127

y = 7,9926 x 0,013

A2 Potenzansatz (A2, %)

ZPotenzansatz (Z, %)

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MPa

Nominelle Dehnrate in s-1

1 E+021 E+011 E+001 E-011 E-021 E-03

Rm

Rp0,2

Rm (unten)Potenzansatz (Rm, MPa)Potenzansatz (Rp0,2 , MPa)

y = 1205,7 x 0,0036

y = 950,99 x 0,0145

a

a

1

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einer Temperatur von -40 °C und bei einer hohen Dehnrate von 1 s-1 (entsprechend einer Missbrauchsbelastung) hohe Festig-keitswerte von etwa 1300 MPa aufweist und dabei noch Bruchdehnungswerte von im Mittel fast 5 % erreicht (siehe Bild 4). Diese ADI-Charge würde sich demnach auch für den Einsatz bei Bauteilen mit mög-lichen Stoß-, Missbrauchs- oder Crashbe-lastungen eignen.

Ergebnisse der ADI 1000-Chargen der Schwenklager

Für die Untersuchungen des ADI 1000- Schwenklagerwerkstoffs wurden von der Audi AG, Ingolstadt (A. Stich), aus drei Schwenklager-Chargen entsprechend Bild 5 Rundzug-Proben entnommen und nach IWM-Angaben mit einem Prüfdurch-messer von 4 mm endgefertigt und zur Verfügung gestellt. Die Chargen unter-scheiden sich durch die Ausferritisie-rungstemperatur von 370 °C bei Charge RK6 und 380 °C bei den Chargen RK9 und UY1.

Dehnratenabhängigkeit der Festigkeits- und Verformungskennwerte bei ADi 1000 Die ermittelten technischen Spannungs-Dehnungs-Kurven sind für die Chargen RK6 und RK9 in Bild 6 im direkten Ver-gleich dargestellt. Beide ADI 1000-Char-gen zeigen wie beim Y3-Gusskörperwerk-stoff mit zunehmender Dehnrate einen leichten Anstieg des Festigkeitsniveaus um etwa 100 MPa bei crashartiger Bean-spruchung im Vergleich zur statischen Be-lastung.

Die in Bild 7 dargestellten Bruchdeh-nungswerte nehmen bei Charge RK9 und

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10,0

7,5

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0

A 2 bz

w. Z

in %

Nominelle Dehnrate in s-1

1 E+021 E+011 E+001 E-011 E-021 E-03

y = 6,7209 x -0,0017

y = 4,5252 x -0,0422

A2 Potenzansatz (A2, %)

ZPotenzansatz (Z, %)

1400

1200

1000

800

600

400

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R p0,2

bzw

. Rm

in M

Pa

Nominelle Dehnrate in s-1

1 E+021 E+011 E+001 E-011 E-021 E-03

Rm

Rp0,2

Rm (unten)Potenzansatz (Rm, MPa)Potenzansatz (Rp0,2 , MPa)

y = 1335,4 x 0,0049

y = 999,47 x 0,0136

b

b

1

2

ursprünglich vorgeseheneEntnahmestelle

Entnahmeposition

Bild 5: entnahme der rundzugproben der schwenklager-Chargen rK6, rK9 und UY1 durch die Audi AG, ingolstadt; Probenentnahmeort ist die rippe zwischen der Dämpfer- und Bremsanbindung, entnommen wurde eine Probe pro Bauteil (Prüfdurchmesser d0 = 4 mm). Die ursprünglich vorgesehene entnahmestelle auf der seite des spurhe-bels wurde auf Grund zu niedriger Bruchdehnungswerte verworfen (Angussbereich) (Quelle: Audi AG).

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UY1 mit zunehmender Dehnrate im Mit-tel zu (bis auf einen Versuch mit bruchaus-lösendem Lunker), während die Werte von Charge RK6 ein Minimum bei mittlerer Dehnrate zeigen. Als Ursache für das Minimum konnten nach eingehender Überprüfung Fehlmessungen, Probenver-wechslungen o. ä. weitgehend ausgeschlos-sen werden.

Beschränkt man sich auf die Ergebnis-se von RK9 und UY1, so lassen sich die Bruchdehnungswerte in einem einheitli-chen, mit zunehmender Dehnrate anstei-genden Streuband zusammenfassen (bild 8). Bei crashartiger Belastung errei-chen diese ADI 1000-Chargen bei Zugfes-tigkeiten von fast 1100 MPa bemerkens-werte Bruchdehnungswerte von 20 bis 25 %. Ein Minimum der Bruchdehnungs-werte ist bei den beiden Chargen RK9 und UY1 nicht nachweisbar und bleibt eine un-geklärte Besonderheit der Charge RK6.

röntgenographische und metallo-graphische AnalysenDas ungeklärte Bruchdehnungsminimum war Auslöser für weiterführende röntge-nographische Untersuchungen, die auch eventuell dehnratenabhängige Umwand-lungseffekte aufzeigen sollten.

So wurde bei Charge RK6 entsprechend bild 9 röntgenographisch der Austenitan-teil im Gewindebereich einer unbelaste-ten, einer statisch und einer bei Dehnrate 1 s-1 belasteten Probe ermittelt. Dies ergab Austenitanteile von ca. 30 % bis 40 %, also etwa so hoch wie im Randbereich der Y3-Gusskörper (Bild 3). Demgegenüber lagen die auf den Bruchflächen ermittelten Aus-tenitanteile der statisch belasteten und der bei Dehnraten von 1 s-1 und 100 s-1 belas-teten Proben mit Werten von 5 bis 7 % deut-lich niedriger und in etwa in dem Bereich wie bei den Bruchflächen der Randproben der Y3-Gusskörper (etwa 8 %).

Diese Werte wurden übereinstimmend bei allen drei Dehnraten gefunden. Somit findet unabhängig von der Dehnrate eine Austenitumwandlung statt. Dabei handelt es sich vermutlich um eine Austenit-Mar-tensit-Umwandlung, die als TRIP-Effekt be-kannt ist und bei Stählen bereits gezielt genutzt wird, um hohe Festigkeitswerte bei gleichzeitig hohen Bruchdehnungen zu erreichen. Die nachgewiesene Auste-nitumwandlung der untersuchten ADI-Werkstoffe lässt vermuten, dass dieser TRIP-Effekt hier ebenfalls wirksam ist und zu den beobachteten, guten Werkstoffei-genschaften führt.

Ebenfalls durchgeführte EBSD-Analy-sen (Electron BackScattered Diffraction = Rückstreuelektronenbeugung) ergaben mit den röntgenographischen Analysen über-einstimmende Ergebnisse und zeigten zu-sätzlich, dass sich ein Großteil der ehema-

1200

1000

800

600

400

200

0

Span

nung

σte

chni

sch in

MPa

Dehnung εtechnisch

0,30,250,20,150,10,050

RK6-Rz-D05_Kist_Rm100 s-1

1 s -1

quasistatisch

RK6-Rz-D06_Kist_RmRK6-Rz-D07_Kist_RmRK6-Rz-D01_Kist_RmRK6-Rz-D02_Kist_RmRK6-Rz-D03_Kist_RmRK6-Rz-S01RK6-Rz-S02RK6-Rz-S03

1200

1000

800

600

400

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Span

nung

σte

chni

sch in

MPa

Dehnung εtechnisch

0,30,250,20,150,10,050

RK9-Rz-D08 RK9-Rz-D09 RK9-Rz-D10RK9-Rz-D05 RK9-Rz-D06 RK9-Rz-D07RK9-Rz-S01 RK9-Rz-S02 RK9-Rz-S03

100 s-1

1 s -1

quasistatisch

bild 6: Technische spannungs-Dehnungs-kurven für schwenklager aus ADi 1000 der chargen: a) rk6 und b) rk9; jeweils drei Versuche bei jeder der drei nominellen Dehn-raten (prüfdurchmesser d0 = 4 mm).

a

b

30

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5

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Bruc

hdeh

nung

A10

mm

(Pro

be n

ach

Vers

uch)

in %

Nominelle Dehnrate dε/dt in s -1

A 10 mm RK9 A 10 mm UY1Potenzansatz RK9 Potenzansatz UY1

1 E+031 E+021 E+011 E+001 E-011 E-021 E-03

bild 7: Dehnratenabhängigkeit der bruchdehnungswerte A10 mm der chargen rk6, rk9 und uY1 (schwenklager, ADi 1000, 3 chargen bei rT, prüflänge L0 = 10 mm, prüf-durchmesser d0 = 4,0 mm).

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ligen metastabilen Austenitgebiete in Fol-ge der Zugprüfung verformungsinduziert umgewandelt hat. Um definitiv abzuklä-ren, ob hier eine diffusionslose Umwand-lung des metastabilen Austenits in Mar-tensit entsprechend einem TRIP-Effekt [5, 6] vorliegt, wären weiterführende EBSD-Analysen notwendig.

Zusammenfassung

Im Rahmen des BMBF-Projekts LEA wur-den von verschiedenen Projektpartnern zur Verfügung gestellte Bauteile aus ADI 1000- und ADI 1200-Gussqualitäten vom Fraunhofer IWM durch die Bestimmung statischer und dynamischer Festigkeits- und Verformungskennwerte in Hochge-schwindigkeitszugversuchen charakteri-siert. Diese Ergebnisse ermöglichen die Be-urteilung der Eignung der Werkstoffe für missbrauchs- bzw. impakt- oder crashbe-lastete Automobilkomponenten und stel-len Eingangsdaten für Impakt- und Crash-simulationen dar.

Insgesamt wurden neun Chargen ADI-Werkstoffe bei Raumtemperatur unter-sucht sowie eine Charge bei -40 °C (siehe [2]). Für die hier berichteten Ergebnisse von Hochgeschwindigkeitszugversuchen wurden Rundzugproben direkt aus Y3-Gusskörpern (ADI 1200) und Schwenkla-gern (ADI 1000) entnommen. Die Bestim-mung der dehnratenabhängigen Kennwer-te und der Spannungs-Dehnungs-Kurven erfolgte bei den drei nominellen Dehnra-ten 0,0018 s-1 (statisch), 1 s-1 (Missbrauch bzw. Impakt) und 100 s-1 (Crash). Ergänzt wurden die Untersuchungen durch metal-lographische und röntgenographische Ana-lysen. Wesentliche Ergebnisse sind:

> Bei den dickwandigen Y3-Gusskörpern wurde eine deutliche Abnahme der Fes-tigkeitswerte vom Rand- zum Kernbe-reich des Gusskörpers hin festgestellt. Dies konnte durch röntgenographische Bestimmung des Austenitanteils auf ei-ne nicht vollständige Ausferritisierung im Kernbereich dieses dickwandigen Bauteils zurückgeführt werden.

> Die Festigkeitswerte lagen in der Regel über den für die Werkstoffe ADI 1000 bzw. ADI 1200 geforderten Mindestwer-ten. Sie nehmen mit größer werdender Dehnrate bei allen untersuchten ADI-Werkstoffen noch zu und liegen bei Dehnraten von etwa 100 s-1 um ca.

100 MPa bzw. 10 % höher als bei stati-scher Belastung.

> Die Bruchdehnungswerte betrugen bei statischer Belastung mindestens 5 %, oft über 10 %, und liegen damit über den Norm-Mindestwerten. Abgesehen von einer Charge mit ungeklärtem Bruchdehnungsminimum bei mittlerer Dehnrate zeigen die Bruchdehnungs-werte mit zunehmender Dehnrate zu-mindest keine deutliche Abnahme, son-dern zum Teil sogar einen bemerkens-werten Anstieg auf Werte von mehr als 20 % bei ADI 1000 bei gleichzeitig ho-hen Zugfestigkeiten von rund 1100 MPa.

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Bruc

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nung

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mm

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Nominelle Dehnrate dε/dt in s -1

1 E+031 E+021 E+011 E+001 E-011 E-021 E-03

A 10 mm RK9 A 10 mm UY1Potenzansatz RK9 Potenzansatz UY1

bild 8: Dehnratenabhängigkeit der Versuchsergebnisse der beiden vergleichbaren chargen rk9 und uY1 (schwenklager, ADi 1000, 2 chargen bei rT, L0 = 10 mm, d0 = 4,0 mm) mit Ausferritisierungstemperatur von 380 °c.

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> Die röntgenographischen Analysen lie-ferten bei den zwei untersuchten Char-gen den Nachweis, dass der Austenitan-teil im endgefertigten Ausgangszustand etwa 30 bis 40 % beträgt. Nach den sta-tischen und auch den schnellen dyna-misch crashartigen Zugversuchen wa-ren auf der Bruchfläche nur noch Aus-tenitanteile von etwa 5 bis 10 % nachweisbar. Es wurde also eine verfor-mungsinduzierte, als TRIP-Effekt be-kannte Phasenumwandlung nachgewie-sen. Der bei der vermuteten Austenit-Martensit-Umwandlung zu erwartende erhöhte Martensitanteil konnte aller-dings im Schliffbild weder optisch noch mittels EBSD eindeutig nachgewiesen werden.

Die ADI-Gusswerkstoffe bieten schon bei statischer Belastung hohe Festigkeiten bei gleichzeitig relativ hohen Bruchdehnun-gen. Die durchgeführten Untersuchungen bestätigen dies auch für Missbrauchs- und Crashbelastungen, da bei zunehmender Dehnrate die Festigkeit zunimmt und die Bruchdehnung nicht abnimmt, z. T. sogar

deutlich ansteigt. Wenn die Prozesssicher-heit gewährleistet werden kann, bieten die-se Werkstoffe damit auch für den Einsatz bei sicherheitsrelevanten Automobilbau-teilen ein hohes Potential.

Literatur:[1] Schäfer, W.; Hepp, E.; Sturm, J. C., u. a.: Abschlussbericht zu dem BMBF-Projekt LEA – Leichtbau mit gegossenen ADI Bauteilen, Förderkennzeichen 03X3013 (2011).[2] Böhme, W.; Reissig, L.; Hug, M., u. a.: Dehn-ratenabhängige Festigkeits- und Verformungs-Kennwerte zur Bewertung von ADI-Bauteilen unter Impakt- bzw. Crashbelastung. IWM-Bei-trag zum BMBF-Projekt LEA, Fraunhofer IWM, Freiburg, Bericht W 3/2011 (2011).[3] Materialprüfung, Materials Testing 50 (2008) Nr. 4, S. 199-205.[4] Böhme, W.; Hug, M.: Vorrichtung zur schwingungsarmen Kraftmessung bei schnel-len, dynamischen Zugversuchen an Werkstoff-proben. Europäisches Patent: EP 1 466 157 B1, Veröffentlichungstag 03.08.2005, US Pa-tent no.: US 7,131340 B2, date of patent: Nov. 7, 2006.[5] Berns, H.; Theisen, W.: Eisenwerkstoffe,

Stahl und Gusseisen. 4. Auflage, Springer-Verlag, 2008. S. 170 f. [6] Bergmann, W.: Werkstofftechnik, Band 2, Werkstoffherstellung – Werkstoff-verarbeitung – Werkstoffanwendung. 3. Auf-lage, Hanser-Verlag, 2002. S. 255 f.

Dieses Forschungs- und Entwicklungspro-jekt wurde als Teilprojekt im Rahmen des BMBF-Projekts LEA „Leichtbau mit gegos-senen ADI-Bauteilen“ unter den Förderkenn-zeichen 03X3013 mit Mitteln des Bundes-ministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und vom Projektträger For-schungszentrum Jülich (PTJ), Bereich Neue Materialien und Chemie (NMT), betreut. Die Verantwortung für den Inhalt der Veröffent-lichung liegt bei den Autoren.

Dr. Wolfgang Böhme, Dr. Lutz Reissig, Fraun-hofer-Institut für Werkstoffmechanik, Frei-burg

ungeprüft statisch 1 s-1 100 s-1

39 ± 2 33 ± 2 32 ± 2

5,1 ± 2 6,6 ± 2 6,0 ± 2

bild 9: röntgenographisch bestimmter Austenitanteil bei charge rk6 in den unbeanspruchten bzw. nur wenig beanspruchten Gewindeköpfen (ca. 35 %) und auf den bruchflächen (ca. 5 bis 7 %).

Buch giesserei 07.indb 40 03.07.12 09:20