Überraschend souverän Im Fernverkehr sieht Iveco die
Zukunft im LNG-Antrieb. Stärkstes Pferd im Stall ist der
Stralis NP 460 mit 2000 Newtonmeter Drehmoment
und 460 PS. Die VR schickte die Alternative zum Diesel über
die Profi-Test-Runde.
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Kein Leichtgewicht: Mit gefüllten LNG-Tanks wiegt die Testzug-maschine 7950 Kilogramm
Iveco Stralis NP 460 LNG
als Antriebsquelle für Nutzfahrzeuge im Fokus. Und im kilometerintensiven Fern-verkehr verflüssigtes Erdgas LNG (Liqui-fied Natural Gas). Warum? Weil Erdgas, das sich herunterge-kühlt auf minus 161 Grad Celsius verflüs-sigt, in diesem Aggregatszustand nur noch ein Sechshundertstel des Volumens benö-tigt als gasförmig. Damit lässt sich also mehr Energie auf kleinem Raum unter-bringen, sprich die Reichweite des Lastwa-gens erhöhen.
Mehr Hubraum, mehr LeistungNeuland betritt Iveco mit dem NP 460 (NP steht für Natural Power) nicht. Schließlich bietet man seit Längerem den Stralis NP 400 mit LNG-Technologie an. Mit maxi-
mal 400 PS aus nur neun Litern Hubraum fällt der allerdings bei vielen Transporteu-ren in Zeiten des Fahrermangels und enger Liefertermine durchs Raster. Dem begegnet Iveco nun mit dem stärke-ren Bruder: 460 PS und 2000 Newtonme-ter Drehmoment aus 12,9 Litern Hubraum kommen den Papierdaten vergleichbarer Dieselmotoren sehr nahe.Technisch realisiert Iveco den 460er ähn-lich wie den NP 400. Er basiert auf dem vergleichbaren Dieselmotor, im Falle des NP 460 auf dem Cursor 13. Der wird für den Gaseinsatz mittels eines Turboladers mit fester Geometrie und einem Zylinder-kopf mit den obligatorischen Zündkerzen fit gemacht. Bei Letzteren handelt es sich übrigens um eine neue, robustere Generation, was dem
D as ist ein Statement: „Wir stellen auf der IAA keinen Lkw mehr aus, der über einen Dieselantrieb verfügt“,
ließen die Iveco-Verantwortlichen im Vor-feld der Messe verlauten. Das zeigt, wie ernst die Italiener das Thema alternative Antriebskonzepte nehmen. Anders als viele Wettbewerber, die auf Elek-tro setzen, steht bei Iveco besonders Erdgas
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Test + Technik
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Die Standheizung wird beim NP mit Diesel betrieben und verfügt über einen eigenen Tankbehälter; der Cursor-13-Sechszylinder erhält für den LNG-Einsatz einen Zylinderkopf mit Zündkerzen; die beiden LNG-Tanks fassen je 598 Liter verflüssigtes Erdgas
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460er gleich einen weiteren Pluspunkt zum schwächeren NP 400 einspielt, der nämlich bis auf Weiteres noch nicht über diese verfügt: Passable 90.000 anstatt im Fernverkehr mickriger 75.000 Kilometer Wartungsintervall. Bevor das minus 161 Grad Celsius kalte Erdgas von den Kerzen gezündet werden kann, wird es auf dem Weg vom Tank zum Motor über einen vom Motorkühlkreislauf betriebenen Wärmetauscher erwärmt, wo-durch die Gasförmigkeit wieder hergestellt wird. Vor dem Einblasen in den Zylinder sorgt ein Druckregler noch für den richti-gen Betriebsdruck.
Der LNG-Cursor arbeitet leiserVon diesem Verfahren bekommt der Fah-rer in der Kabine selbstredend nichts mit. Er registriert lediglich das im Vergleich zum Diesel weichere, etwas dumpfere Ver-brennungsgeräusch. Und freut sich über die verbale Zurückhaltung des Gasers, durchschnittlich ist die Geräuschkulisse um 2 db(A) leiser als in vergleichbaren Diesel-Stralis, auch wenn der Italiener immer noch nicht unbedingt zu den leisen Lastwagen gehört. Ebenfalls positiv: Die Vibrationen, die bei den Diesel-Stralis bei niedrigen Drehzah-len manche Kunststoffverkleidungen zum Erzittern bringen, sind dem Motor in der Gasvariante völlig fremd.Das mag auch am naturgemäß höheren Drehzahlniveau liegen. In Kombination mit der serienmäßigen 3,36er-Hinterachs-übersetzung spielt sich alles rund 100 Tou-ren höher ab als beim Dieselpendant. Heißt: Bei Reisetempo 85 dreht der Gas-Cursor knapp 1200/min, an Bergen wird
spätestens bei 1100 Touren zurückgestuft. Und zwar von der automatisierten Tra-xon-Schaltbox von ZF, wogegen der NP 400 seine Fahrstufen noch immer mit der Vorgängergeneration „AS-Tronic“ wech-seln muss. Der technische Fortschritt ist bei Traxon in schnelleren und durchdachteren Gang-wechseln zu spüren. Noch mal Hand anle-gen sollten Iveco und ZF allerdings bei der Kupplungssteuerung, die deutlich unhar-monischer ausfällt als bei den Selbstzün-der-Stralis. Den NP ruckfrei und ohne Kabinenaufbäumen anzufahren, ist auch nach längerer Übung und entsprechend sensiblem Gasfuß kaum möglich. Dafür offenbart das Traxon-Getriebe einen weiteren Vorteil, der für den schwächeren
D E R I V E C O I M T Ü V - U R T E I L
Die wichtige Wartungspunkte fasst Iveco unter der Frontklappe zusammen
Wartung und ServiceServiceintervall (max. 100) 70Abfahrtskontrolle (max. 90) 80Servicearbeiten (max. 80) 70Fahrerfreundlichkeit (max. 90) 76Kleinreparaturen (max. 70) 58
Gesamtpunkte (max. 430): 354Detaillierte Ergebnisse unter www.verkehrsrundschau-plus.de
Bewertung FahrzeugtestMotor/Antrieb (max. 140) 118Getriebe/Kupplung (max. 140) 114Bremsen (max. 120) 100Lenkung (max. 40) 31Pedale (max. 20) 16Fahrverhalten (max. 60) 52Sicht (max. 50) 40Klima/Lüftung (max. 50) 40Sitze (max. 40) 30Armaturen/Instrumente (max. 50) 39Scheibenwischer (max. 30) 24Fahrerhaus (max. 240) 192
Gesamtpunkte (max. 980): 796
Wie bei jedem Profi-Test begutachtete TÜV Süd auch den Iveco Stralis NP 460 in Sachen Service und Wartung. Das stärkere Gasmodell des Her-stellers bietet immerhin Wartungsintervalle von 90.000 Kilometern. Die dann zu tauschen-den Zündkerzen sorgen für das 30.000 km kür-zere Intervall zu den Diesel-Stralis. Ansonsten ist das Wartungskonzept mit diesen weitge-hend identisch. Unter der Frontklappe lassen sich Kühl-, Waschwasser und der Motorölstand leicht ergänzen. Dank transparenter Behälter lässt sich der Füllstand bei Kühl- und Wasch-wasser zudem mit einem Blick kontrollieren. Lobenswerterweise verbaut Iveco auch noch den guten alten Peilstab unter der Frontklappe zur manuellen Motorölkontrolle. Alle Flüssig-keiten werden zudem vom Bordcomputer überwacht. Das Kippen des Fahrerhauses ermöglicht eine hydrau lische Handpumpe. Gegen Aufpreis kann diese Arbeit aber auch ein Elektromotor übernehmen. Serienmäßig ver-fügt der Stralis über H7-Scheinwerfer mit Tag-fahrleuchten in LED-Technik. Wer viel in der Nacht unterwegs ist, kann optional zu Bi-Xenon-Scheinwerfern greifen. bj
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Bei über 16 Bar Druck greift das über Kopf montierte Sicherheitsventil ein
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Test + Technik Iveco Stralis NP 460 LNG
Verbräuche und Geschwindigkeiten auf der 352,3-km-Teststrecke der Verkehrs-Rundschau kg/100 km km/h Autobahn medium (32 t) 19,9 84,5
A 9 Allershausen – A 93 Regensburg Autobahn hügelig (32 t) 24,6 82,2
A 3 Regensburg – Nürnberg Autobahn Rolletappe (32 t) 20,8 83,9
A 9 Nürnberg – Langenbruck Landstraße (32 t) 21,9 60,2
B 300 Langenbruck – Dasing Autobahn leicht (32 t) 20,5 84,3
A 8 Dasing – A 99 Unterschleißheim
Durchschnitt: 21,6 79,2
Autobahn (Kindinger Berg, A 9) Zeit: 3,30 min, vmin 71 km/h, Gang: 11 bei 1290/min
Bergwertung
TRANSPORT - E F F I Z I ENZ
NP 400 ebenfalls flachfällt: Nur mit der moderneren Schaltung ist die Kombinati-on mit dem verbrauchsenkenden GPS-Tempomaten „Hi-Cruise“ möglich. Das System arbeitet wie bei den Diesel-modellen unauffällig und leistet einen
hohen Beitrag zur Verbrauchssenkung, die sich eigentlich kein Unternehmer entge-hen lassen dürfte – auch wenn wir bei un-seren Testfahrten nach wie vor feststellen, dass diesen weiterhin kaum jemand zu nutzen scheint … ➙
Neuerdings im Bordcomputer abrufen lässt sich der aktuelle Füllstand in den beiden LNG-Tanks
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VerkehrsRUNDSCHAU 37/2018 99
Test + TechnikTest + TechnikIveco Stralis NP 460 LNG
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nicht. Mitunter scheint das System vor Kuppen die kinetische Energie der 32 Ton-nen schweren Testfuhre zu überschätzen und muss dann mittels kurzem Gasstoß verhindern, dass die eingestellte Unter-grenze nicht unterschritten wird.Das mag immerhin dazu beitragen, dass der NP 460 das Klischee von leistungs-schwachen und damit langsamen Gas-Lkw nicht erfüllt. Zumindest mit unserem 24 Tonnen „leichten“ Krone-Testauflieger auf der Sattelplatte ist der LNG auf unserer Teststrecke genauso schnell unterwegs wie ein nominell gleich starker Diesel-Stralis in Form des XP 460. Selbst an der steilsten und längsten Steigung der VR-Teststrecke, dem Kindinger Berg auf der A 9, verliert der LNG-Stralis nur eine vernachlässigba-re Sekunde im Vergleich mit dem Diesel. Das dürfte man vor allem bei Volvo mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis neh-men, wo man nur dank zusätzlicher Die-seleinspritzung die gleichen Fahrleistun-gen für seine LNG-Modelle verspricht wie bei den Selbstzündern. Allerdings können wir nicht beurteilen, ob der Gas-Iveco dem Diesel auch noch bei voller Ausla-dung des Sattelzugs folgen könnte …
Für Euro 6 genügt ein Drei-Wege-KatDafür genügt ihm für die Einhaltung der Euro-6-Schadstoffnorm ein einfacher Drei-Wege-Katalysator, und er kam auf der Testrunde durchschnittlich mit 21,6 kg LNG/100 km aus. Dies seriös in einen Dieselverbrauch um-zurechnen, ist zwar nicht möglich. Beim aktuellen Preis fürs Kilogramm LNG, der am Testtag 15 Cent unter dem von einem Liter Diesel lag, verursachte der NP 460 aber Kraftstoffkosten von 18,57 Euro/100 km und damit 6,92 Euro weniger als der XP 460 (25,24 l/100 km) auf gleicher Stre-cke (bei kalkulierten 1,01 Euro/Liter). In-klusive einer deutlich besseren Schadstoff-
bilanz, denn bei der Verbrennung von Erdgas entstehen im Vergleich zu einem Euro-6-Diesel laut Iveco 90 Prozent weni-ger Stickoxide und bis zu 20 Prozent gerin-gere CO2-Emissionen. Dagegen rechnen muss der Unternehmer allerdings ein höheres Gewicht (die Test-zugmaschine bringt mit gefüllten LNG-Tanks stattliche 7950 Kilogramm auf die Waage), kürzere Wartungsintervalle zum Diesel und vor allem den knapp 40.000 Euro teureren Anschaffungspreis. Wobei sich an dem der Staat aktuell mit 12.000 Euro beim Kauf eines emissions-günstigeren LNG-Lkw beteiligt. Auch in Berlin hätte man schließlich nichts dage-gen, wenn Diesel-Lkw in Zukunft nicht nur von den Messeständen verschwinden würden. ❙❚❚
Jan Burgdorf
Wenn LNG, dann mit 460 PSIst der Kauf eines LNG-Stralis beschlossen, sollte der Unternehmer zum souveräneren NP 460 greifen, auch wenn dessen Anschaf-fung noch mal teurer kommt. Bezogen auf den schwächeren NP 400, ist er einfach das ausgereiftere Modell, bietet das bessere Getriebe, einen GPS-Tempomaten und län-gere Wartungsintervalle. Und dank der Fahrleistungen sollte auch der Fahrer kein Problem mit dem neuen Kraft-stoff haben. Ein Problem bleibt aber weiter-hin im Raum: Von einem flächendeckenden LNG-Tankstellennetz sind wir in Deutschland immer noch meilenweit entfernt. Kontakt: [email protected]
K O M M E N T A R
Jan BurgdorfVR-TestredakteurKa
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a/VR
T E C H N I S C H E D AT E N
MotorIveco Cursor 13 F3H, Sechszylinder-Reihenmo-tor, Turbo mit Wastegate, Multipoint-Einsprit-zung mit Niederdruck-Common-Rail, 4 Ven tile pro Zylinder, Euro 6 mit 3-Wege-Kat., Bohrung x Hub: 135 x 150 mm, Hubraum: 12.880 cm3, Leistung: 460 PS (338 kW) bei 1600–1900/min, max. Drehm.: 2000 Nm bei 1100–1600/min
KraftübertragungHi-Tronix (ZF-Traxon), synchronisiertes Drei-gang-Grundgetriebe (ZF 12 TX 2010 TO), 12 Vorwärtsgänge, 2 Rückwärtsgänge, Hinter-achsübersetzung: i = 3,36
FahrwerkHinten: einfach übersetzte Antriebsachse, Dreieckslenker und zwei Querlenker, Vierbalg-Luftfederung mit Querstabilisator; vorne: Starr-achse, Faustachsmittelstück in Doppel-T-Form, Einblatt-Parabelfeder, Stoßdämpfer
BremsenZweikreis-Druckluftbremsanlage mit Schei-benbremsen vorn und hinten; Serienmäßig ZF-Intarder
Maße & GewichteRadstand: 3790 mm; L x B x H: 6255 x 2550 x 3754 mm, Leergewicht: 7950 kg (fahrfertig, inklusive Fahrer, 1196 l LNG
Das Drehzahl-niveau fällt beim Erdgas-Fremd-zünder naturge-mäß etwas höher aus als beim Diesel. Das volle Drehmo-ment liegt bei 1100/min an.
Die Hi-Way-Kabine ist mit denen der Diesel-Stralis identisch; das obere Bett klappt komplett an die Rückwand; große Kühlbox aus der Optionsliste
Ganz die Souveränheit der GPS-Systeme aus Wörth am Rhein, Södertälje oder auch Göteborg erreicht Hi-Cruise allerdings
Drehzahl, 1/min
1100 1300 1500 1700
1900
1700
1500
1300
1900
Drehmoment, Nm
Leistung, kW
380
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Test + Technik Iveco Stralis NP 460 LNG
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