Untervazer Burgenverein Untervaz
Texte zur Dorfgeschichte
von Untervaz
1456
Die sieben verbotenen Künste
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1456 Die sieben verbotenen Künste Johannes Hartlieb
in: Hartlieb Johannes: Das Buch der verbotenen Künste - Aberglaube und Zauberei des Mittelalters. Aus dem Mittelhochdeutschen übersetzt, kommentiert und mit einem Glossar versehen von Falk Eisermann und Eckhard Graf. Neuausgabe 1998. Seite 22-31.
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Die sieben »verbotenen Künste«
S. 22: »Die kosmische Säule der Ostjaken hat sieben Einschnitte, auf denen der Schamane zum Himmel steigt, und vor der Initiation liegt der Samojeden- Schamane sieben Tage und sieben Nächte ohne Bewusstsein oder isst Pilze mit sieben Flecken ... « FRANZ CARL ENDRES UND ANNEMARIE SCHIMMEL Das Mysterium der Zahl
Johannes Hartlieb folgte mit seiner Einteilung der »verbotenen Künste- dem
heptadischen System, dessen sich sowohl Astrologen und Alchemisten als
auch Theologen wie Thomas von Aquin bedienten. Das Abendland war von
der mystischen Sieben besessen. Gott selbst schuf die Erde in sieben Tagen, es
gab sieben Planeten, sieben Wochentage, die »sieben Säulen der Weisheit«, die
sieben Stufen der Mithrasmysterien, die sieben Etappen des höllischen
Purgatoriums, die sieben Sakramente der katholischen Kirche - und die sieben
magischen Künste. Die Sieben galt als »Zahl der Vollkommenheit«.
Dementsprechend hat Johannes Hartlieb die in seinem Buch erwähnten
Praktiken ebenfalls den sieben Arten der »Kunst« zugeordnet, diese
entsprechen wiederum den »Sieben Freien Künsten« oder »sieben
Wissenschaften«: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Musik, Arithmetik,
Geometrie und Astronomie.
Die sieben »Künste« werden im folgenden zum besseren Verständnis des
Textes aufgeschlüsselt. Immerhin werden vier der Künste nach den vier
Elementen, die seit der Antike das alchemistische Denken durchziehen,
S. 23: benannt: Geomantia = Erde, Hydromantia = Wasser, Aeromantia = Luft und
Pyromantia = Feuer (Kap. 53).
1. Nigromantia oder die »Schwarze Kunst« (Kapitel 22-37)
Geheimworte (= Beschwörungen, Zaubersprüche, Abb. 8)
Räucherungen
Opferhandlungen
Astrologie/Sternglaube
Talismanherstellung und -gebrauch
Notarey (Wort- und Zeichenmagie)
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Ausfahrten: magischer Flug, Schamanenreise,
besonders: mit Hilfe der Hexensalbe.
Tierverwandlung (Lykanthropie u. ä.)
Abb. 8: Magisches Beschwörungsritual, bei dem die »Hexe« im Zauberkreis steht und sich der Hilfsgeister bedient. In den Wolken fliegen die Schwarzkünstler auf Stecken. Solche Formen der Nigromantie sind seit dem Altertum belegt. (Holzschnitt aus »The Strange Historie of Old Mother Shipton«, 1797)
S. 24: Wetterzauber
Orakeln mit Totenschädeln (Nekromantie)
Totenbeschwörung.
2. Geomantia oder die »Zauberei, die mit der Erde zugeht« (Kapitel 38-53)
Die Geomantie wurde früher auch »Punktierkunst« genannt. Heute versteht
man darunter meist die »Wissenschaft von Kultplätzen« oder die Erforschung
von »Erdstrahlen« und geophysikalischen Besonderheiten heiliger Orte. Bei
Hartlieb wurden aber folgende Techniken darunter subsumiert:
Sterndeutung
Losorakel, Losbücher
Kriminaltelepathie
Käsesegnung
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3. Hydromantia oder die »Zauberei, die mit dem Wasser zugeht«
(Kapitel 54-66)
Konsultation von Quellen
Deutung der Wasseroberfläche
Schatzsuche mit Hilfe von beschworenen Dämonen (Abb. 9)
Geisterschau in fliessenden Gewässern
Missbrauch von Weihwasser
Dämonenvertreibung durch Wasserbesprengen
Blei- und Zinngiessen (zu Orakelzwecken)
Münzen-in-Wasser-Werfen (z.B. an Brunnen)
Kräutergraben
S. 25:
Abb. 9: Belial ist nach Hartlieb einer der »hoffärtigen Teufel«, die bei der verbotenen Kunst der Hydromantie, also der Wahrsagerei aus dem Wasser, beschworen werden. (Holzschnitt aus »Das Buch des Belial«, 1463)
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4. Aeromantia oder die »Zauberei, die mit der Luft zugeht« (Kapital 67-79)
Hartlieb schreibt in Kap. 67, dass »diese Kunst bei den Heiden sehr beliebt-
sei:
Deutung des Vogelfluges
Bestimmung für gute Jagd
Magie mit Vogelfedern
S. 26: Exorzismus durch (künstlich herbeigeführtes) Niesen
Deutung von Kometen und Meteoriten
Vogelopfer
Wachsfigurenzauber
Gebrauch des Atzmanns
Deutung des Espenlaubs
5. Pyromantia oder die »Zauberei, die mit dem Feuer zugeht« (Kapitel 80-97)
Deutung der Flamme oder des Rauches
Salbung mit heissem Fett und Russ
Gebrauch von Geheimworten
Schauen in Stahlspiegel, Spiegelschau
Kristallschau
Beräucherung und Befragung eines Knaben
Kristallmagie
Missbrauch des Hostientellers
Deutung von geschmolzenem Blei (siehe Hydromantie)
Hartlieb erwähnt in diesem Teil »noch viele Erscheinungen, die man Visionen
nennt, die aber alle nicht in die Kunst Pyromantia gehören, es sind besondere
Ketzereien, die ich hernach beschreiben will ... « (Kap. 97). Leider hat Hartlieb
dieses spannende Kapitel nicht veröffentlicht.
6. Chiromantia oder die »Zauberei, die mit der Hand zugeht« (Kap. 98-114)
Von dieser »verbotenen« Kunst (gr. »Handweissagung«), auch Chirosophie,
»Handweisheit«, genannt, war Hartlieb anscheinend besonders angezogen,
denn er hat ein ganzes
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S. 27:
Abb. 10: Die Linien der Hand, die bei der Chiromantie, der Wahrsagerei aus der Hand, »gelesen« werden. (Blockdruck aus Johannes Hartlieb: »Das buch von der hand«. ca. 1480)
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S. 28:
Abb. 11: In der »Kabbalistischen Chiromantie« wurden die Handlinien astrologisch den Planeten und alchemisch den Metallen zugeordnet. (Frühneuzeitliche Illustration)
S. 29:
Buch über die Chiromantie verfasst (Abb. 10). Schon Aristoteles kannte
gewisse Bedeutungen der Handlinien. In der Spätantike gab es nach Angaben
der Lexikographen diverse (verschollene) Bücher der Chiromantie, u.a. von
Eumolpos und Helenos. Später wurde die Handlesekunst mit der Kabbala und
Astrologie (z.B. von Agrippa von Nettesheim) verschmolzen und als
»Kabbalistische Chiromantie« bezeichnet (Abb. 11):
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Handlesen
(psychologische) Deutung der Physiognomie
Lesen der Fingernägel
7. Spatulamantia oder die »Zauberei, die mit den Tierknochen zugeht«
(Kapitel 115-132)
Deutung des Schulterblattknochens
Deutung des Gänsebrustbeins
Deutung des Laufs der Gestirne (vgl. Aeromantie)
Deutung von unbestimmten Erscheinungen
Gebrauch von »Zauberwerkzeugen«
In diesen Bereich gehört auch das altchinesische Schildkrötenorakel, das
mindestens seit 1400 v. Chr. praktiziert wird. Daraus hat sich um 900 v. Chr.
das Schafgarbenorakel und schliesslich das »I Ging«, das »Buch der
Wandlungen«, entwickelt. Der legendäre Schamane Fu-hsi soll aus den
Mustern des Schildkrötenpanzers (der Art Testudo anyangiensis) die
Urtrigramme des »I Ging« abgeleitet haben (Abb. 12).
Hartlieb schreibt im 18. Kapitel, er wolle »nach den sieben verbotenen
Künsten, die man die nigromantischen nennt, dreiundachtzig andere
beschreiben«. Es ist anscheinend nicht dazu gekommen, warum, wissen wir
nicht. Heute würde Hartlieb zu den »verbotenen Künsten«
S. 30:
Abb. 12: Der legendäre Kulturheros und Schamane Fu-hsi bringt tanzend, in ein Blättergewand gehüllt den Menschen die acht Trigramme für das I-Ging-Orakel. (Aus Adrian: »Die Schule des I Ging« 1994)
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alles zählen, was der Esoterik-Markt so hergibt: die geradezu unendlichen
Spielformen des Tarot, die computergenerierten astrologischen Diagramme,
die Workshops, mit denen man den »Schamanen in uns« entdecken können
soll, die psychoanalytische Traumdeutung, die psychedelische Selbsterfahrung,
das Entzünden von Räucherwerk, die sexualmagischen Tantra-Exzesse,
Fertigung und Tragen von Amuletten und Talismanen, die Produktion
schamanischer Schilde, das Aufleben neoheidnischer Wicca-Rituale, das
Begehen indianischer Schwitzhütten, den
S. 31: hedonistischen Hanfgenuss, das rituelle Verspeisen heimischer Zauberpilze
(Psilocybe semilanceata), die Einrichtung von Haus und Wohnung nach
Prinzipien des Feng-Shui, das Wünschelruten gehen, das Auspendeln, die
visualisierende Meditation buddhistischer Ikonen, das Malen von Mandalas,
das Heilen mit Edelsteinen, das Besprühen der Räume mit alchemistischen
Sprays, die Aromatherapie usw ...
Es gibt also wieder das »Gesindel«, das sich mit den »verbotenen Künsten«
beschäftigt. Es stellt sich natürlich die Frage, wann die »neue Inquisition«
wieder zuschlägt. Immerhin sind die alten heidnischen Ritualpflanzen per
Betäubungsmittelgesetz verboten. Die Ausübung heilerischer Tätigkeit ist
gesetzlich geregelt, es gibt ein Sektenverbot, neuerdings droht ein Gesetz
gegen alle Formen der »Lebenshilfe«. All das lässt an die Epoche von
Johannes Hartlieb denken. Wenn wir über den Nutzen der Heilpflanze Hanf
schreiben wollen, müssen wir über die »verbotene Medizin- berichten«. Wenn
wir ein Buch über den Segen der Psychedelika veröffentlichen, schreibt der
Verlag im Vorwort, dass dieses Werk keine Aufforderung zum illegalen
Konsum verbotener Stoffe sei, in Selbsterfahrungs-Workshops müssen die
Teilnehmer Erklärungen unterschreiben, nach denen die Veranstalter nicht
haftbar gemacht werden können, Bücher zur Naturheilkunde verweisen darauf,
dass die angegebenen Mittel nur nach Absprache mit einem Arzt genommen
werden sollen.
Die Fülle der esoterischen Publikationen können den Herrschenden bei ihrer
modernen Inquisition als Vorwand dienen. Je mehr publiziert wird, desto mehr
kann verboten werden.
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Johannes Hartlieb, auch Hans Hartlieb genannt, (ca. 1400-1468 in München)
war ein Arzt, Hofdichter und Übersetzer des Spätmittelalters.
Das Buch aller verbotenen Kunst ist 1456 als Auftragswerk für Johann von
Brandenburg-Kulmbach entstanden und stellt eines der berühmtesten Werke
Hartliebs dar. Das Buch gliedert sich in zwei Teile, wobei der erste Teil
überwiegend der Autorintention, der Verurteilung der Zauberei und des
Aberglaubens gewidmet ist. Im zweiten Teil beschreibt Hartlieb die sieben
verbotenen Künste (Nigromantia, Geomantia, Hydromantia, Aeromantia,
Pyromantia, Chiromantia, Spatulamantia). Es handelt sich um das früheste
deutschsprachige Zeugnis, das sich mit dem Aberglauben des Mittelalters
enzyklopädisch beschäftigt. Als Besonderheit gilt Hartliebs Einstellung zu den
verbotenen Künsten der Magie. (mehr siehe Wikipedia)
Internet-Bearbeitung: K. J. Version 09/2012 - - - - - - - -
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