Verwandtschaften
„Dr. Brandt wohnt in Hamburg und hat einen Bruder in Berlin, Prof. Brandt. Prof. Brandt hat aber keinen Bruder in Hamburg.“
Wie kann das sein?
Auflösung
10 befragte Frauen und Männernur eine befragte Person konnte das Rätsel
lösenBefragte gaben an, bei den Titeln „Dr.“ und
„Prof.“ automatisch an Männer zu denken
SIND FRAUEN MITGEMEINT?
Gendergerechte Sprache
Gliederung
Was ist gendergerechte Sprache?Warum gendergerechte Sprache?Rechtliche RegelungenMöglichkeiten gendergerechter Sprache
Was ist gendergerechte Sprache?
Gendergerechte Sprache (auch: genderfaire bzw. inklusive Sprache)
=sprachlich gleiche Behandlung von
Frauen und Männern, i.e. Nutzung gleicher bzw. gleichwertiger Formen
Was bedeutet dies konkret?
1. Frauen nicht als Ausnahme oder Abweichung kennzeichnen (z.B. Obama, Hollande und Frau Merkel)
2. Für Menschen beiderlei Geschlechts nicht das sog. „generische Maskulinum“ verwenden, das das eine Geschlecht unter das andere subsumiert Extremfall: 99 weibliche Religionslehrkräfte sind 99
Religionslehrerinnen, kommt ein Mann dazu, sind es 100 Religionslehrer
Feministische Sprachkritik
1970er/1980er → Ausgangspunkt: latente Diskriminierung von Frauen innerhalb des deutschen Sprachsystems
Bsp.: „Fräulein“, generisches MaskulinumGenerisches Maskulinum:
Bezeichnungen von Personen verschiedenen Geschlechts durch die maskuline Form
z.B. die Wissenschaftler, die Studenten
(De-)Konstruktivistische Kritik: Diskriminierung durch (Re-)produzieren von Kategorien,
die als naturgegeben erscheinen Aufbau einer mentalen Repräsentation, die den Mann als das
typische Exemplar beinhaltet (Irmen & Köhncke: 1996, 163)
Warum gendergerechte Sprache?
Die Verwendung maskuliner Bezeichnungen für beide Geschlechter blendet Frauen und ihre Leistungen aus prägt ein Menschenbild, in dem das Männliche die
Norm und das Weibliche die Abweichung ist ist hinderlich für die inhaltliche Verwirklichung
einer Gesellschaft, in der Menschen nicht qua Geschlecht Einschränkungen erfahren
Kritik an gendergerechter Sprache
bildblog.de
Pressereaktionen:„Das totalitäre System der Gender-Dogmatiker“ (ONLINE Focus)„Guten Tag, Herr Professorin!": Gender-Wahn an der Uni Leipzig“ (rtl.de)„Herr Professorin, was denken Sie sich dabei?“ (Die Welt)
Bild.de
Argumente gegen gendergerechte Sprache
Objektive Ebene: 1. das generische Maskulinum sei nicht
„männerlastig“, ließe also nicht stärker an Männer denken als bei gendergerechten Formulierungen
2. geschlechtergerechte Formulierungen seien umständlich und würden die stilistische Qualität und Lesbarkeit von Texten beeinträchtigen
Subjektive Ebene: Frauen würden sich auch mit maskulinen Formen
angesprochen fühlen („ich brauche das nicht“)
Argumente für gendergerechte Sprache
Sprache bildet Wirklichkeit ab (daher ist es kein Zufall, dass die Forderung nach gendergerechter Sprache mit der rechtlichen Gleichstellung von Frauen aufkam)
Sprache schafft aber auch Wirklichkeit und beeinflusst Menschenbilder, Rollenverhältnisse und Identitäten
Beispiel
„Bereits um 1840 schrieben Mathematiker die ersten Computerprogramme.“
Mathematikerin Lady Ada Lovelace schrieb das erste Computer- programm der Welt
http://en.wikipedia.org/wiki/Ada_Lovelace
Empirische Untersuchungen
zahlreiche Untersuchungen befassten sich mit den Auswirkungen inklusiver und exklusiver Sprache
diese kommen zu einem deutlichen Ergebnis:
Sprache wirkt sich auf das Denken aus.
Stahlberg & Sczesny 2001
Ausgangsfrage: Besteht ein Zusammenhang zwischen natürlichem und grammatischem Geschlecht?
anders formuliert: Sind Frauen mitgemeint?Problem: Formgleichheit von generischem
und spezifischem Maskulinum z.B. die Professoren, die Zuschauer
„nur Männer, keine Frauen“ oder „Männer und Frauen“?
Studiendesign
Studie 1: Die Nennung von beliebten Persönlichkeiten
Testgruppe: 46 männliche und 50 weibliche Studierende
versteckt zwischen „neutralen“ Fragen (z.B. „Was ist ihr Hauptcharakterzug?“) wurden Fragen zu beliebten Persönlichkeiten eingestreut
Studie 1
generisches Maskulinum: „Wer ist Ihr liebster Romanheld? Wer sind Ihre Helden
in der Wirklichkeit? Ihre Helden in der Geschichte? Ihre Lieblingssportler? Ihre Lieblingsmaler? Ihre Lieblingsmusiker?“
2 weitere Versionen: geschlechtsneutrale Formulierungen (z.B. Ihre liebste
Romanfigur?) Beidnennung (z.B. Ihre liebste Romanheldin/Ihr
liebster Romanheld?)
Ergebnisse
gene
risch
es M
ask.
Neutra
lisier
ung
Beidne
nnun
g0
0.40.81.21.6
0.67
1.63 1.67
Effekt der Sprachform auf die gedankliche Einbeziehung von Frauen
Effekt der Sprachform auf die gedankliche Einbeziehung von Frauen
Ergebnisse
Sprachform wirkte sich signifikant auf die Anzahl der genannten Frauen aus
generisches Maskulinum: signifikant weniger Nennungen von Frauen als bei neutraler Formulierung bzw. Beidnennung
Effekte konnten sowohl für männliche als auch weibliche Teilnehmende bestätigt werden
→ Abruf weiblicher und männlicher Exemplare aus dem Gedächtnis wird durch Sprachversion beeinflusst
Gabriel et al. 2008
Untersuchung von geschlechtsstereotypen Einordnungen bestimmter Rollen und Berufe
Versuchspersonen sollten Frauen- und Männeranteile in verschiedenen Funktionen einschätzen
bei generischem Maskulinum: Männeranteil durchgehend höher geschätzt als bei gendergerechter Formulierung gilt sowohl für „Fußballtrainer“ als auch für
„Kosmetiker“
→ Maskuline Formulierungen machen Bilder von Berufen und Rollen in den Köpfen „männlicher“ und lassen Frauen tendenziell „verschwinden“
Braun et al. 2007
Ausgangspunkt: ‚Aus Gründen der Verständlichkeit und Klarheit wird im Folgenden nur die männliche Form verwendet…‘
Frage: Wie wirken sich geschlechtergerechte Formulierungen auf die Verständlichkeit und Lesbarkeit von Texten aus?
Studiendesign
Testgruppe: 44 Frauen, 42 MännerTestitem: fiktive Packungsbeilage eines
Medikamentes2 Ebenen:
objektiv: Erinnerungsleistung subjektiv: Bewertung der Textqualität
3 Versionen generisches Maskulinum: Diabetiker, Patienten Beidnennung mit Neutralisierungen: Diabetikerinnen und
Diabetiker, Personen Binnen-I: DiabetikerInnen, PatientInnen
aragec.com
Ergebnisse
objektive Ebene geschlechtergerechte Formulierungen beeinträchtigen die
Verständlichkeit von Texten nicht männl. Testpersonen erinnerten sogar mehr Inhalte korrekt bei
einem Text mit Beidnennung o. Binnen-I jedoch: auf subjektiver Ebene bewerteten männl. Testpersonen
die generisch maskuline Textfassung als verständlicher Diskrepanz bedingt durch größere Vertrautheit mit generischem
Maskulinum
Fazit → es ist nicht erforderlich, aus Gründen der Verständlichkeit Texte im generischen Maskulinum zu
formulieren
Zwischenfazit
geschlechtergerechte Sprache möchte nichts „Besonderes“ oder „Übertriebenes“
trägt dazu bei, dass das – vermutlich konsensfähige – Ziel von Gendergerechtigkeit nicht durch Sprache erschwert wird
Wichtig: Die entscheidende Begründung für eine geschlechtergerechte Sprache ist nicht sicherzustellen, dass alle Anwesenden sich angesprochen fühlen. Dann würde die Sprachform dem Zufall der jeweiligen Gruppenzusammensetzung unterworfen und die pädagogisch relevante Wirkung von Sprache verkannt.
Rechtliche Regelungen
in Deutschland ist geschlechtergerechtes Formulieren gesetzlich geregelt
Gesetz zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesverwaltung und in den Gerichten des Bundes (Bundesgleichstellungsgesetz - BGleiG)
amazon.de
Rechtliche Regelungen
§ 1 (Sprache), Abs. 2:„Rechts- und Verwaltungsvorschriften des
Bundes sollen die Gleichstellung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Ausdruck bringen. Dies gilt auch für den dienstlichen Schriftverkehr.“ auch Schulen und Universitäten sind an solche
Vorgaben gebunden
→ Geschlechtergerechte Sprache ist für alle, die in öffentlichen Einrichtungen arbeiten, keine Privatsache!
Möglichkeiten gendergerechter Sprache
1. Vollständige Paarform: weibliche und männliche Form konjunktional verbunden„Eine Klassensprecherin bzw. ein Klassensprecher wird gewählt.“
2. Verkürzte Paarform: weibliche und männliche Form in Schrägstrich-Variante mit entsprechenden Artikeln „Die Verantwortung trägt der Prüfer/die Prüferin.“
3. Abwechselnde Benutzung weiblicher und männlicher Formen: „Die Fortbildung ist geeignet für Pastorinnen und Religionslehrer.“
4. Schrägstrich innerhalb eines Wortes Ein/e Student/in; der/die Assistent/in. Achtung: Bei Weglassung des Schrägstrichs muss ein grammatikalisch korrektes Wort entstehen.
Möglichkeiten gendergerechter Sprache
5. Großes I innerhalb des Wortes„Der/die BewerberIn“. Oder: „Für die Schule werden LehrerInnen gesucht.“
6. Gender-Gap mit Unterstrich„Der/die Bewerber_in“. Oder: „Für die Schule werden Lehrer_innen gesucht.“
7. Gender-Sternchen„Freund*innen, Leser*innen, Professor*innen“
8. x-Endung„Professx, Studierx“
Möglichkeiten gendergerechter Sprache
9. Geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen„die Person, das Mitglied, die Bürokraft“
10. Geschlechtsneutrale Pluralbildung„die Studierenden, die Institutsangehörigen, die Universitätsbediensteten“
11. Funktions-, Institutions- und Kollektivbezeichnungen: Statt sich auf Einzelpersonen zu beziehen, wird eine Funktion oder ein Amt benannt. „Das Rektorat, das Institut, das Team, das Dekanat, das Lehrpersonal.“
Möglichkeiten gendergerechter Sprache
12. Umformulierungen: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, einen Satz umzuformulieren, z.B.„Das Büchergeld gebührt nur Studenten und Studentinnen, die ein Stipendium erhalten.“
> Umformulierungen mit Pronomen:Das Büchergeld gebührt nur jenen, die ein Stipendium erhalten.Das Büchergeld gebührt allen, die ein Stipendium erhalten.Wer Büchergeld beantragt, muss ein Stipendium nachweisen können.
> Umformulierungen mit „ist…zu“ (mit modalem Infinitiv):Bei der Beantragung von Büchergeld ist ein Stipendium nachzuweisen.
Möglichkeiten gendergerechter Sprache
> Passiv statt Aktiv:statt: „Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Proseminars Religionspädagogik erstellten den Seminarplan.“ ↓„Im Proseminar Religionspädagogik wurde ein Seminarplan erstellt.“
> Adjektiv statt männliche Personenbezeichnung: statt: „Rat des Arztes“ „ärztlicher Rat“
Fazit
Argumente auf der objektiven Ebene gegen gendergerechte Sprache konnten durch empirische Untersuchungen widerlegt werden
eigene subjektive Einstellungen kritisch hinterfragen
Sprache bildet Wirklichkeit ab, konstruiert sie zugleich aber auch
daher: gerade im schulischen bzw. kirchlichen Kontext auf gendergerechte Sprache achten
Fazit
Und schließlich: Ob exklusive oder inklusive Sprache als „auffällig“ bzw. „normal“
empfunden wird, ist ausschließlich eine Frage der Gewöhnung.
Übung
Findet bitte (zu zweit) möglichst viele Möglichkeiten, die folgenden Sätze gendergerecht umzuformulieren. Welche gefällt euch am besten? Prüft die Bilder, die dabei in euren Köpfen entstehen.
Der Pastorenberuf wird immer weiblicher. Jeder sollte die Möglichkeit eines Schüleraustausches
haben. Der Klassenlehrer entscheidet über die Befreiung vom
Unterricht. Sind Schüler länger abwesend, ist der Schulleiter zuständig.
Der Seelsorger ist für alle Mitarbeiter der Kirche da. Die Gewalt unter Schülern nimmt zu. Die Lehrerkonferenz tagt, nachdem die Schüler das
Gebäude verlassen haben. Immer häufiger mobben ältere Schüler jüngere. Der Soldatenberuf wird für Schüler wieder attraktiver.
Literatur
Braun, Friederike u.a., „Aus Gründen der Verständlichkeit …“ in: Psychologische Rundschau 58, 2007, 183-189.
Braun, Friederike et al., Cognitive effects of masculine generics in German, in: Communications 30, 2005, 1-21.
Frank-Cyrus, Karin M./Margot Dietrich, Sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern in Gesetzestexten, in: Der Sprachdienst 41, 1997, 55-68.
Gabriel, Ute et al., Au pairs are rarely male: Norms on the gender perception of role names across English, French, and German, in: Behavior Research Methods 40, 2008, 206-212.
Gygax, Pascal et al., Generically intended, but specifically interpreted: When beauticians, musicians, and mechanics are all male, in: Language and Cognitive Processes 23, 2008, 464-485
Heise, Elke, Sind Frauen mitgemeint? in: Sprache & Kognition 19, 2000, 3-13.
Literatur
Heise, Elke, Auch einfühlsame Studenten sind Männer. Das generische Maskulinum und die mentale Repräsentation von Personen, in: Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis 35, 2003, 285-291.
Irmen, Lisa/Köhncke, Astrid, Zur Psychologie des „generischen Maskulinums“, in: Sprache und Kognition. Zeitschrift für Sprach- uund Kognitionspsychologie u. ihre Grenzgebiete 15, 1996 (3), 152-166.
Rothmund, Jutta/Ursula Christ- mann, Auf der Suche nach einem geschlechtergerechten Sprachgebrauch, in: Muttersprache 112, 2003, 115-135.
Stahlberg, Dagmar et al., Representation of the sexes in language, in: Social communication. Hg. K. Fiedler. New York: Psychology Press 2007, 163-187.
Stahlberg, Dagmar/Sczesny, Sabine, Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen, in: Psychologische Rundschau 52 (3), 2001, 131-140.
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