Post on 17-Oct-2019
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Welche Gemeinschaft ersehnt Ihr? Welche bildet Ihr? Glaubt Ihr noch an die Kraft von Versammlungen – so wie wir? Wir laden Euch ein, wir brauchenEuch. Endlich sind wir so weit – und wagen das Experiment! Wo und wann immer sich Menschen gegen Repressionen versammelt haben, wir eignen uns deren gesamte Kraft und Euphorie an. Wir speisen ihre Erfahrungen, ihre Taktiken und die Muster aller Zusammenkünfte ein, und: bündeln sie! Ohnmacht und Vereinzelung werden weggefegt. Die Energie friedlicher Auf-stände ist nicht verloren, wir geben sie mit vereinter Kraft weiter. Wir können neu denken, neu handeln. Wenn wir ›Wir‹ sagen, ist dies ein Ereignis!
Doch die Bündelung ruft mit aller Wucht auch Verdrängtes, die Fetzen frem-der Gefühle und Erinnerungen hervor – ein brutales Erbe von Verbannung, Inzest, Mord und Krieg. Wir durchleben die Geschichte der Oidipus-Tochter Antigone, die trotz der verhängten Todesstrafe gegen ein Gesetz verstößt: Sie bestattet ihren Bruder Polyneikes, einen Aufständischen. Die Verdichtung zivilen Ungehorsams? In jedem Fall ein verflucht festes Gefüge des Schreckens. Lässt sich das durch die Jahrtausende weitergegebene, fest verknotete Knäuel von Gemeinschaft, Verwandtschaft und Herrschaft neu entwirren und entwickeln?
In jener Augustnacht standen die Demonstranten auf einer breiten Straße vor einer T-Kreuzung. Würden die Truppen kommen und das Feuer eröffnen, blieben nur Sekunden, sich in Sicherheit zu bringen. So war jeder Meter, den sich die Menschen in die Mitte der Straße wagten, eine Grundsatzentscheidung. In der Mitte standen die Jungen. Am Rand der Straße lief ein Vater mit seinem Sohn, der dessen Hand festhielt.In den Einmündungen der Gassen standen die Alten, Mütter, Familien. Selbst in die Mitte der Straße zu gehen, fühlte sich an, als hätte ich Klebstoff unter den Schuhen. → Christoph Reuter
Es ist von Belang, dass die durch Demonstrationen inszenierten poli-tischen Bedeutungen nicht nur durch den – geschriebenen oder gesproche-nen – Diskurs aufgeführt werden, sondern dass sich Körper versammeln. Verkörperte Handlungen tun etwas auf eine Weise kund, die genau genommen weder diskursiv noch vordiskursiv ist: Versammlungen haben schon vor und unabhängig von den spezifischen Forderungen, die sie stellen, Bedeutung. Stille Zusammenkünfte, zu denen auch Mahnwachen und Beerdigungen gehören, haben häufig eine Bedeutung, die jeden schriftlichen oder münd-lichen Bericht darüber, worum es bei ihnen geht, übersteigt. Diese Formen sind wichtige Bestandteile für jedes Verständnis des „Volkes“, auch wenn sie notwendigerweise partiell sind. → Judith Butler
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Der Text der „Antigone“ lässt keine Chance erkennen, die Polis auf ein konsensfähiges Modell, ein überzeugendes Argument zu gründen. Gefordert ist vielmehr der Verzicht auf Gewissheit, die man der Ordnung zugrunde legen könnte. Historisch affirmiert Antigone nicht die Polis, sondern deckt vielmehr eine letzte Ungewiss-heit im Gesetz, eine Bodenlosigkeit darin, auf. In diesen Vorgang kann man je nach Standpunkt eine Deutung projizieren: religiöse Verweisung, Aufruf zum Maß in allen Dingen, Forderung nach gleichem oder gar stärkerem Recht für das Familien-Individuum, aus dessen Menge sich ja die Polis konstituiert, Kritik an der Tyrannis, berechtigter Anspruch oder auch Hybris des einzelnen Individuums usw. Keine dieser Lesarten wird am Ende vom Text beglaubigt. Mehr als mit einem Subjekt, das sich in einer Reflexion seiner Selbstgewissheit fundiert, hat Antigone in dieser Position der Bestreitung aller Gewissheit mit einem (politischen) Subjekt im Sinne Alain Badious zu tun, das sich auf keine logosartige Begrün-dung stützen kann, sondern lediglich auf das vom Logos am Ende unbetreffbare „Ereignis“ ihrer Courage. → Hans-Thies Lehmann
[An'ti:gɔne] Die Präposition anti bedeutet sowohl „im Gegensatz zu“ wie auch „zum Ausgleich für“; gonē gehört in die Linie der Ableitungen von genos (Verwandtschaft, Geschlecht, Herkunft) und bedeutet zugleich Nach-kommenschaft, Generation, Mutterleib, Same, Geburt. → Stathis GourgourisAntigone ist nach der griechischen Sage die älteste Tochter des inzestuösen Paares Oidipus und Iokaste. Als Oidipus erkennt, dass er – wie das Orakel weissagte – seinen Vater getötet und die Mutter geheiratet hat, blendet er sich und geht in die Verbannung. Antigone begleitet und pflegt den blinden Vater bis zu seinem Tod. Sie erscheint als Frauenfigur der klassischen Antike, in der die symbolische Ordnung der Geschlechter in einem Wechsel-verhältnis von Unterwerfung und Rebellion, Raub, Vergewaltigung und Freitod dargestellt ist. Antigone setzt sich zur Wehr und vollendet dennoch die ihr schicksalhaft zugewiesene Selbstzerstörung. Sie ist überzeugt, nur im Tod ihr Leben, ihre Individualität verteidigen zu können. → diverse Quellen
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Der Gebrauch der Freiheit ist etwas, das nicht aus dir oder aus mir kommt, sondern aus dem, was zwischen uns ist, aus dem Bund, den wir in dem Moment schließen, in dem wir gemeinsam Freiheit ausüben, einem Bund, ohne den es überhaupt keine Freiheit gibt. → Judith Butler
Dauer: ca. 1 Stunde 45 Minuten, ohne Pause Die Rechte an der Übertragung liegen bei Frank-Patrick Steckel.
Wir danken Athanasios Ntefoudis herzlich für die Einstudierung des Sirtaki.
Quellen: Kreon = Martin Schulz im TV-Duell mit Angela Merkel (03.09.2017); Christoph Reuter: „‚Kaum einer ist noch am Leben‘: Rebellenhochburg Homs“ auf http://www.spiegel.de/; Judith Butler: „Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung“. Berlin 2016; Hans-Thies Lehmann: „Tragödie und dramatisches Theater“. Berlin 2015; Lutz Walther (Hrsg.): „Antike Mythen und ihre Rezeption. Ein Lexikon“. Stuttgart 2009
Herausgeber: Theater Oberhausen, Will-Quadflieg-Platz 1, 46045 Oberhausen Telefon: 0208/85 78 184; besucherbuero@theater-oberhausen.deIntendant: Florian Fiedler Redaktion: Lucie Ortmann Gestaltung, Titelbild: moxie.de Foto: Axel J. SchererAuf dem Foto v.l.n.r.: Emilia Reichenbach, Christian Bayer, Banafshe Hourmazdi, Burak Hoffmann Druck: Druckverlag Kettler
Christian Bayer – AntigoneBurak Hoffmann – IsmeneBanafshe Hourmazdi – KreonEmilia Reichenbach – HaimonSusanne Burkhard – IokasteTorsten Bauer – Oidipus
Regieassistenz: Emel Aydoğdu; Bühnenbildassistenz: Deborah Kötting; Kostümbildassistenz: Hsin-Hwuei Tseng; Theaterpädagogik: Anke Weingarte; Technischer Direktor: Bodo von Husen; Licht: Steffen Auschrat, Adrian Baumeister, Klaus Boßerhoff, Jürgen Marzotko, André Matten, Udo Matten, Thomas Tarnogorski; Ton & Video: Christian Janßen, Michael Kupcov, Philipp Schmidt; Bühnenmeister: Andreas Elfers, Gunther Elsasser; Chefmaskenbildner: Thomas Müller; Maske: Ann-Kathrien Mai; Werkstätten: Andreas Parker; Gewandmeisterei: Daphne Kitschen; Ankleiderinnen: Ewelina Fischer, Annabel Jerosch de Moreno; Requisite: Judith Bayer, Roman Firgau; Inspizienz: Uta Neubert; Soufflage: Markus Henkel
AntigoneRegie: Babett GrubeBühne: Demian WohlerKostüme: Hanne Lauch, Bettina KletzschDramaturgie: Lucie Ortmann
Fassung von Babett Grube und Lucie Ortmann nach Sophokles in einer Übertragung von Frank-Patrick Steckel
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6.10.2017nach SophoklesRegie: Babett Grube PREMIERE
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