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Veröffentlichungen des Grundbauinstitutes der Technischen Universität Berlin Heft Nr. 63, Berlin 2013, S. 173-188 Vortrag zum 9. Hans Lorenz Symposium am 26.9.2013
Aspekte der Modellierung von Sandböden unter zyklischen Einwirkungen als Zweiphasensystem
Christian Carow, M.Sc.
Dipl.-Ing. Daniel Aubram
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Stavros A. Savidis
Technische Universität Berlin,
Fachgebiet Grundbau und Bodenmechanik – Degebo
Zusammenfassung
Der Beitrag befasst sich mit Ansätzen, die für eine realitätsnahe numerische Modellierung des Verhal-
tens wassergesättigten Sandes unter zyklischen Lasten eingesetzt werden können. Dabei wird dem
Korngerüst und seiner Interaktion mit dem Porenfluid besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Zunächst
wird auf die Phänomene eingegangen, die bei zyklischer Beanspruchung von Sandböden zu beobach-
ten sind. Anschließend wird das Zweiphasensystem aus Korngerüst und Porenwasser mittels eines
Kontinuumsmodells beschrieben. Für die numerische Umsetzung des Modells wird auf ein gekoppel-
tes finites Element zurückgegriffen. Schließlich wird für die Modellierung des Verhaltens der Fest-
stoffphase ein leistungsfähiges Stoffgesetz vorgestellt, welches auf den Prinzipien der Grenzflächen-
plastizität sowie der „critical state soil mechanics“ basiert. Anhand eines Staudammes unter
Erdbebenbelastung wird die Anwendung der vorgestellten Methoden demonstriert.
1 Einleitung
Einwirkungen mit zyklischem Charakter, worunter hier alle Wechselbeanspruchungen im weitesten
Sinne verstanden werden, haben für eine Vielzahl von Gründungsbauwerken entscheidende Bedeu-
tung. Dies gilt insbesondere für Bauten in Erdbebengebieten und im Offshore-Bereich. In solchen
Fällen greift man bei der Planung sowie der Bemessung zunehmend auf numerische Simulationen
zurück. Ein solches Vorgehen erfordert jedoch eine realitätsnahe Modellierung des Baugrundverhal-
tens insbesondere unter zyklischen Lasten. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit Ansätzen für nu-
merische Simulationen auf der Grundlage der Finite-Elemente-Methode (FEM), die in diesem Kontext
bei sandigem Baugrund eingesetzt werden können. Die FEM ist als Grundlage geeignet, da sie im
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Gegensatz zu (semi-)empirischen Ansätzen in der Lage ist, tiefgehende Einblicke in die Entwicklung
vieler Parameter an allen Punkten eines Systems zu verschaffen.
Der Beitrag beschränkt sich darauf, Boden als vollgesättigtes, also zweiphasiges Medium zu betrach-
ten. Folglich wird angenommen, dass der Boden aus einer Feststoffphase, dem Korngerüst und der
Fluidphase des Porenwassers besteht. Diese Annahme ist für viele Problemstellungen sinnvoll. Das
Verhalten wassergesättigten Sandes unter zyklischen Einwirkungen wird im zweiten Abschnitt zu-
nächst phänomenologisch beschrieben. Im dritten Abschnitt wird auf ein Kontinuumsmodell einge-
gangen, das die Kopplung der Phasen berücksichtigt. Zudem wird die numerische Umsetzung des
Modells im Rahmen der FEM erarbeitet. Mit der Modellierung des mechanischen Verhaltens des
Korngerüstes befasst sich der vierte Abschnitt. Im fünften Abschnitt werden die Möglichkeiten und
Einschränkungen der vorgestellten Simulationstechniken anhand eines Staudammes unter Erdbeben-
einwirkung demonstriert. Der Beitrag schließt mit Zusammenfassung und Ausblick.
2 Phänomenologie
In diesem Abschnitt wird aufgezeigt, welche Phänomene bei Sandböden unter zyklischer Beanspru-
chung zu beobachten und mithin für die Modellierung relevant sind. Sie resultieren einerseits aus dem
Verhalten des Korngerüstes, andererseits aus dessen Interaktion mit dem Porenfluid.
2.1 Verhalten des Korngerüstes
Bei sehr kleinen Amplituden der Dehnung verhält sich Sand näherungsweise elastisch. Größere Amp-
lituden als 410ε −Δ ≈ führen jedoch zu Umlagerungen im Korngerüst. Dies äußert sich insbesondere unter zyklischen Scherbelastungen in einer fortschreitenden Akkumulation von Zustandsgrößen wie
der Porenzahl und der plastischen Dehnung. Anhand des Verlaufs dieser Akkumulation lassen sich
drei verschiedene Arten der Bodenantwort auf zyklische Lasten unterscheiden. Dies wird hier anhand
der plastischen Dehnung in Bild 1 gezeigt.
Im günstigsten Fall kommt es mit zunehmender Zyklenzahl N zu einer Stabilisierung der plastischen
Dehnungen plε , bis die Dehnungsrate schließlich gegen Null geht und sich der Verformungszustand
nicht mehr signifikant ändert. Dieses Verhalten nennt man Einspielen (engl. shakedown). Sofern hin-
gegen die Dehnungen mit der Zyklenzahl N zwar fortschreitend zunehmen, die Dehnungsrate aber abnimmt, spricht man von einer Beruhigung. Im ungünstigsten Fall entfestigt der Boden mit zuneh-
mender Zyklenzahl N immer weiter und die Dehnungsrate steigt kontinuierlich. Dieses Verhalten be-zeichnet man als schrittweises Versagen. Welcher der drei Verläufe sich letztlich einstellt, hängt im
Wesentlichen von der Spannungsamplitude, den Dränagebedingungen, der Lagerungsdichte und dem
Modellierung von Sandböden unter zyklischen Einwirkungen als Zweiphasensystem 175
Spannungsniveau bzw. der mittleren effektiven Spannung 1 2 3' 1/ 3( ' ' ' )p σ σ σ= + + ab. Für weiter-
gehende Details sei hier auf (Pande und Zienkiewicz 1982) sowie (Triantafyllidis 2004) verwiesen.
ε pl
N
Einspielen (shakedown)
Beruhigu
ng
Schr
ittw
eise
s Ver
sage
n
Bild 1: Enwicklung der plastischen Dehnungen mit zunehmender Zyklenzahl. Aus: (Tasan 2011)
Unabhängig von der Lagerungsdichte und dem Spannungsniveau werden die Sandkörner durch den
Vorgang der Lastumkehr fast immer dergestalt umgelagert, dass das Korngerüst zunächst verdichtet.
Erst, wenn nach der Lastumkehr größere Scherwege folgen, hat der Boden die Möglichkeit, zu
dilatantem Verhalten überzugehen, falls das seiner Lagerungsdichte und dem vorherrschenden Span-
nungsniveau entspricht. Dieses Phänomen wurde beispielsweise durch (Youd 1972) und (Goldschei-
der 1975) beschrieben. Es führt dazu, dass zyklische Einwirkungen mit kleinen und mittleren Deh-
nungsamplituden im Allgemeinen zu einer Verdichtung des Bodens führen, da zwischen den
Lastumkehrpunkten nur kleine Scherwege auftreten. Der Effekt ist von besonderer Bedeutung im Zu-
sammenhang mit der Wechselwirkung zwischen Korngerüst und Porenwasser bei wassergesättigten
Sandböden, worauf der folgende Abschnitt eingeht.
2.2 Einfluss des Porenwassers
Der vorherige Abschnitt ergab, dass das Korngerüst von Sandböden infolge zyklischer Scherbelastung
mit kleinen Amplituden zu kontraktantem Verhalten neigt. Bei wassergesättigten Böden führt
Kontraktanz dazu, dass Wasser aus dem Porenraum verdrängt wird. Sofern jedoch die Entwässerung
behindert ist, kann kontraktantes Verhalten drastische Auswirkungen nach sich ziehen. Entsprechende
undränierte Verhältnisse können sich bei Sandböden in situ trotz der hohen Durchlässigkeit des Bo-
dens aus einer ungünstigen Kombination von langem Entwässerungsweg und hoher Belastungsfre-
quenz ergeben. Dieser Fall tritt beispielsweise bei horizontal belasteten Monopiles mit sehr großen
Durchmessern auf, wie (Tasan 2011) ausführt.
Bei behinderter Entwässerung führt eine Verdichtungstendenz des Korngerüstes aufgrund der Inkomp-
ressibilität des Wassers zum Aufbau von Porenwasserüberdruck. Dies wiederum bedingt, bei gleich-
bleibender totaler Spannung, eine Verringerung der effektiven Spannung und mithin eine Reduktion
176 C. Carow, D. Aubram, S. A. Savidis
der Scherfestigkeit des Bodens. Letztlich kann die Tragfähigkeit des Baugrundes infolge solcher Ef-
fekte derart reduziert werden, dass es zum plötzlichen Versagen kommt. Das soll im Folgenden an-
hand der Ergebnisse von zyklischen Laborversuchen genauer untersucht werden.
-15
-10
-5
0
5
10
15
-15 -10 -5 0 5 10 15γ in %
τin
kNm
-2
σ v in kNm-2
-15
-10
-5
0
5
10
15
100 120 140 16020 40 60 800
Bild 2: Zyklische Mobilität bei einem volumenkonstanten zyklischen Einfachscherversuch mit Berli-ner Sand. -2c 150 kNmσ = , D 65 %I =
-15
-10
-5
0
5
10
15
-6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1γ in %
-15
-10
-5
0
5
10
15
τin
kNm
-2
σ v in kNm-2100 120 140 16020 40 60 800
Bild 3: Verflüssigung bei einem volumenkonstanten zyklischen Einfachscherversuch mit Nordseefein-sand. -2c 150 kNmσ = , D 33 %I =
Bild 2 stellt das Ergebnis eines zyklischen Einfachscherversuchs mit dicht gelagertem Berliner Sand
dar. Die Konsolidierungsspannung war -2c 150 kNmσ = und die Lagerungsdichte DI betrug 65 % .
Der Versuch wurde mit trockenem Sand volumenkonstant gefahren, woraus sich Verhältnisse wie bei
wassergesättigtem, undränierten Boden ergeben. In Bild 2 wurde die Schubspannung τ über die Ver-
tikalspannung vσ und über die Schubverzerrung γ aufgetragen. Während der zyklischen Scherung
zeigt sich eine Neigung des Bodens zur Verdichtung, was durch die erzwungene Volumenkonstanz die
effektiven Spannungen und mithin die Scherfestigkeit reduziert. Bereits nach wenigen Zyklen errei-
chen die effektiven Spannungen ein Minimum. Bei weiterer zyklischer Scherung kommt es zu wech-
selndem dilatanten und kontraktanten Verhalten. Die Schubverzerrungen dagegen nehmen in jedem
Zyklus weiter zu. Dieses Verhalten wurde durch (Casagrande 1975) und (Castro 1975) erstmals sys-
tematisch untersucht und als zyklische Mobilität bezeichnet. Hingegen führt dieselbe Belastung bei
Modellierung von Sandböden unter zyklischen Einwirkungen als Zweiphasensystem 177
geringerer Lagerungsdichte zu einer anderen Form des Versagens. Dies kann anhand der Ergebnisse
eines volumenkonstanten zyklischen Einfachscherversuches mit locker gelagertem Nordseefeinsand
nachvollzogen werden, die in Bild 3 dargestellt sind. Sie offenbaren zunächst eine Reduktion der ef-
fektiven Spannungen, wie sie auch im Vorfeld der zyklischen Mobilität in Bild 2 zu erkennen war.
Jedoch versagt der locker gelagerte Sand in Bild 3 nach wenigen Zyklen schlagartig, was mit unbe-
schränkt zunehmender Verformung einhergeht. Dieses Phänomen wird als Verflüssigung bezeichnet.
3 Zweiphasenmodell
Der vorherige Abschnitt ergab, dass bei der Modellierung der zyklischen Beanspruchung wassergesät-
tigter Sandböden der Wechselwirkung von Korngerüst und Porenwasser immense Bedeutung zu-
kommt. Der folgende Abschnitt beschäftigt sich daher mit einem Kontinuumsmodell für Boden, dass
diese Wechselwirkung berücksichtigt und geht zudem auf die numerische Umsetzung des Modells ein.
3.1 Kontinuumsmodell für poröses Medium
Wassergesättigter Boden ist ein zweiphasiges poröses Medium. Sein mikroskopischer Aufbau wird im
Zuge der Modellbildung zu einem kontinuierlichen Modell verschmiert, in dem sich die einzelnen
Phasen lokal nicht mehr unterscheiden lassen. Die Prozesse, die auf der Kornebene stattfinden und das
Verhalten des Bodens bestimmen, können dann rein phänomenologisch anhand ihrer makroskopischen
Auswirkungen am Kontinuum beschrieben werden. So finden beispielsweise die Kontaktkräfte zwi-
schen den Körnern ihre Entsprechung im effektiven Spannungstensor des Kontinuums.
Für die Modellbildung bei porösen Medien haben sich drei unterschiedliche Herangehensweisen etab-
liert: die Biot-Theorie, die Theorie poröser Medien und die Mittelungstheorie. Hier wird der Ansatz
der Mittelungstheorie favorisiert, da er anschaulich ist und auf physikalisch konsistente Weise zu übli-
chen bodenmechanischen Konzepten wie dem Porenanteil und dem Prinzip der effektiven Spannung
führt. Näheres dazu wird in (Lewis und Schrefler 1998) erläutert.
Ausgehend von der Mittelungstheorie werden sowohl für den Boden insgesamt als auch für die Fest-
stoff- und die Fluidphase getrennt Impuls- und Massenbilanzen aufgestellt. Die Bilanzgleichungen
werden mittels des Prinzips der effektiven Spannung umformuliert und um das Darcy-Gesetz erwei-
tert. Letzteres stellt bekanntermaßen einen Zusammenhang zwischen Druckhöhendifferenz und Strö-
mungsgeschwindigkeit her. Dies mündet in dem System zweier partieller Differentialgleichungen
( )
w r r
w ww
div '
div div 0
p
k p
ρ ρ
ργ
−∇ + − =
⎛ ⎞− ∇ + =⎜ ⎟
⎝ ⎠
σ b u 0
u b. (1)
178 C. Carow, D. Aubram, S. A. Savidis
Das Zweigleichungsmodell (1), das auf (Zienkiewicz et al. 1980) zurückgeht, beschreibt das Verfor-
mungsverhalten wassergesättigten Bodens unter statischen und dynamischen Einwirkungen. Die pri-
mären Variablen des Modells sind die Verschiebungen des Korngerüstes u sowie der Porenwasser-
druck wp . Das Modell wird daher als u-p-Modell bezeichnet. Weitere Größen in Gl. (1) sind der
Tensor der effektiven Spannungen 'σ , der Durchlässigkeitsbeiwert k , die Volumenlast b , die Wich-
te des Porenwassers wγ und die Dichte des wassergesättigten Bodens rρ .
Dem u-p-Modell (1) wohnen einige Annahmen inne. So werden Wasser und Körner als inkompressi-
bel betrachtet. Der Durchlässigkeitsbeiwert k gilt für alle Raumrichtungen gleichermaßen. Chemische und thermische Interaktion der zwei Phasen werden vernachlässigt. Außerdem bleiben jene Trägheits-
anteile unberücksichtigt, die mit der Relativbewegung von Körnern und Porenwasser zusammenhän-
gen. Das ist eine sinnvolle Vereinfachung, solange sich bei der zu lösenden Aufgabe das Verhältnis
von Durchlässigkeit, Entwässerungsweg, Belastungsfrequenz und charakteristischer Wellenausbrei-
tungsgeschwindigkeit innerhalb eines bestimmten Rahmens bewegt. Dies ist, wie sich anknüpfend an
(Zienkiewicz et al. 1980) zeigen lässt, für viele geotechnische Probleme im Zusammenhang mit Sand-
böden der Fall, sofern keine Frequenzen über 50 Hz auftreten.
3.2 Diskretisierung und Rolle des Stoffgesetzes
Das Zweigleichungsmodell (1) enthält neben den primären Variablen u und wp sowie einigen Mate-
rialkonstanten den Tensor der effektiven Spannungen 'σ . Dessen Komponenten stellen weitere Unbe-kannte dar und werden durch das Stoffgesetz für das Korngerüst als Funktion der Verschiebungen
angegeben. Eine weitere Schnittstelle zwischen dem Stoffgesetz für das Korngerüst und dem Zwei-
gleichungsmodell (1) ist der Volumenmittelwert der Dichte des wassergesättigten Bodens
s w(1 )r n nρ ρ ρ= − + . Dieser hängt nicht nur von der Korndichte sρ und der Dichte des Porenwas-
sers wρ ab sondern auch vom Porenanteil n . Der Porenanteil bzw. die Porenzahl /(1 )e n n= − wie-
derum sind Zustandsvariablen verschiedener Stoffgesetze für Sand. Weitere Überlegungen zum Stoff-
gesetz für das Korngerüst und zur Rolle der Porenzahl folgen in Abschnitt 4.
Wenn man das Stoffgesetz für das Korngerüst zunächst als gegeben voraussetzt, kann aus dem Zwei-
gleichungsmodell (1) ein Anfangsrandwertproblem formuliert und mittels der FEM numerisch gelöst
werden. Ein wesentlicher Teil der Lösung besteht in der adäquaten Wahl eines Elementtyps und dem
Aufstellen des Elementgleichungssystems. Dies wurde in (Tasan 2011) und (Savidis et al. 2011) um-
fassend dargestellt. Auf die Ergebnisse jener Arbeiten wird hier zurückgegriffen. Für die Verschie-
bungen wird folglich ein triquadratischer Ansatz mit 20 Stützstellen je Element gewählt. Für den Po-
renwasserdruck wird ein trilinearer Ansatz mit 8 Stützstellen verwendet. Die im Vergleich zum
Modellierung von Sandböden unter zyklischen Einwirkungen als Zweiphasensystem 179
Porenwasserdruckansatz höhere Ordnung des Verschiebungsansatzes stellt die numerische Stabilität
des Elementes sicher. Aus der Anzahl der Stützstellen folgt die Kurzbezeichnung des Elementes zu
„u20p8“. Es ist in Bild 4 veranschaulicht.
ux , uy , uzux , uy , uz und pw
Bild 4: Zweiphasenelement u20p8. Nach (Tasan 2011).
4 Stoffgesetz für das Korngerüst
Den Rahmen für die Simulation der zyklischen Beanspruchung wassergesättigter Sandböden bildet die
numerische Umsetzung des Zweiphasen-Kontinuumsmodells, die im vorherigen Abschnitt erarbeitet
wurde. Das Verformungsverhalten der Feststoffphase, also des Korngerüstes, findet darin, über ein
gesondertes Stoffgesetz Eingang. Der folgende Abschnitt beschreibt ein Stoffgesetz, das für die gege-
bene Problemstellung geeignet ist.
4.1 Grundkonzept
Ein Stoffgesetz, welches das in Abschnitt 2 beschriebene Spannungs-Dehnungsverhalten von Sand
unter zyklischer Beanspruchung sehr gut abbilden kann, ist das „Critical State SAnd“ (CSSA) Modell
nach (Li 2002). Es gehört zur Gruppe der elastoplastischen Stoffgesetze. Die Rate ε der infinitesima-
len Dehnung ( )T1/ 2 ⎡ ⎤= ∇ + ∇⎣ ⎦ε u u wird infolgedessen durch e p= +ε ε ε aufgeteilt in einen elasti-
schen Anteil eε und einen plastischen Anteil pε . Für den elastischen Teil der Spannungs-Dehnungsbeziehung wird ein einfacher hypoelastischer Ansatz gemacht. Der Schubmodul und der
Kompressionsmodul hängen darin über empirisch begründete Funktionen von der aktuellen Porenzahl
e ab.
Für den plastischen Anteil der Spannungs-Dehnungsbeziehung bedient sich das CSSA-Modell der
Bounding Surface Plasticity (dt. Grenzflächenplastizität) nach (Dafalias 1986). Deren Grundkonzept
ist, den aktuellen Spannungszustand im Spannungsraum mittels Abbildungsregeln auf Grenzflächen
zu projizieren. Aus dem Abstand zwischen dem Spannungspunkt und dem Spannungsbildpunkt auf
der Grenzfläche wird auf die Entwicklung der plastischen Dehnungen geschlossen. Im Sinne der
180 C. Carow, D. Aubram, S. A. Savidis
Grenzflächenplastizität ist das CSSA-Modell mit den zwei Grenzflächen 1F und 2F ausgestattet, die
in Bild 5 dargestellt sind. Um die Formulierung der Fließflächen zu vereinfachen, wurde auf Elemente
der generalisierten Plastizität nach (Pastor et al. 1990) zurückgegriffen. Grenzfläche 1F ist ein unre-
gelmäßiger Kegel um die hydrostatische Achse ( 1 2 3' ' 'σ σ σ= = ). Er wird durch die zweite Grenzflä-
che 2F , eine flache Kappe, abgeschlossen. Der aktuelle Spannungszustand befindet sich stets auf der
Schnittlinie zweier Belastungsflächen, welche dieselbe Form aufweisen wie die Grenzflächen, sich
aber im Innern des geschlossenen Körpers befinden, den Kegel und Kappe bilden.
p
R
σ'3 , r3
BelastungsflächeF1 = 0 (Kegel)
F2 = 0 (Kappe)
σ'1 , r1
σ'2 , r2
Bild 5: Grenz- und Belastungsflächen des CSSA-Modells
Der Kegel steuert diejenigen Anteile der plastischen Dehnung, welche aus Veränderungen des
deviatorischen Spannungsverhältnisses / p=r s resultieren, wobei s der Deviator des Tensors der
effektiven Spannungen ist und 'p die mittlere effektive Spannung. Im Zuge zyklischer Be- und Ent-
lastung ändert der Kegel seine Größe kontinuierlich. Er kann sowohl aufweiten als auch schrumpfen.
Die Kappe hingegen ist zuständig für Effekte im Zusammenhang mit einer Veränderung von 'p bei
konstantem deviatorischen Spannungsverhältnis r . Letztlich ermöglicht die Anwendung der Grenz-flächenplastizität in der beschriebenen Form dem CSSA-Modell, die komplizierten Ver- und Entfesti-
gungsmechanismen, welche das Verhalten von Sand unter zyklischer Beanspruchung gemäß Ab-
schnitt 2 auszeichnen, vergleichsweise einfach zu beschreiben und angemessen abzubilden.
4.2 Zustandsabhängige Dilatanz
Ein herausragendes Merkmal des CSSA-Modells ist, dass es das Dilatanzverhalten von Sand, wie es in
Abschnitt 2 beschrieben wurde, besonders gut wiederzugeben vermag. Die Ursache dafür ist, dass den
beiden Grenzflächen 1F und 2F jeweils eine Dilatanzfunktion zugeordnet wurde, die das Verhältnis
der volumetrischen Anteile der plastischen Dehnung zu den deviatorischen gezielt steuert. Die
Modellierung von Sandböden unter zyklischen Einwirkungen als Zweiphasensystem 181
Dilatanzfunktionen wurden durch (Li und Dafalias 2000) auf der Grundlage des Verhaltens von Sand
in Triaxialversuchen entwickelt. So lautet die Dilatanzfunktion 1D der Grenzfläche 1F
( ) ( )1 1
11
exp -mcc
dD M g RM g
ψ ρθθ ρ
⎛ ⎞= ⎜ ⎟⎜ ⎟
⎝ ⎠. (3)
Die Größen 1d , cM und m in Gl. (3) sind Materialparameter. Die Größen 1ρ und 1ρ sind dem
Bounding Surface Konzept zuzuordnende Abstandsmaße der Abbildungsregel. Die Funktion g(θ) legt
die Form der Bounding Surface in Abhängigkeit der Invarianten θ und R des Spannungsverhältnis-tensors r fest. Der aktuelle Spannungs- und Dichtezustand des Bodens findet in die Dilatanzfunktion Eingang über den Zustandsparamter ψ .
B
CSL
A: ψ < 0 dichtB: ψ > 0 locker
λ c
(p'/ pa)ξ(p'/ pa)ξ
A(e, p')
ψ = e − ec
e
ec
eΓ
e
Bild 6: Critical State Line (CSL) nach (Li und Wang 1998) und Zustandsparameter ψ
Das Konzept des Parameters ψ geht auf (Been und Jefferies 1985) zurück. Der Parameter ist ein Maß
dafür, wie weit der aktuelle Zustand des Bodens entfernt ist vom kritischen Zustand, in dem sich Lage-
rungsdichte und Spannung durch weiteres Abscheren nicht mehr ändern. Bei der Bestimmung von ψ
geht das CSSA-Model, in der Tradition der „critical state soil mechanics“ nach (Roscoe et al. 1958),
von einer eindeutigen Beziehung zwischen mittlerer effektiver Spannung 'p und Porenzahl im kriti-
schen Zustand ce aus. Für die Beziehung wird in der speziellen Darstellung von Bild 6 nach (Li und
Wang 1998) eine Gerade angesetzt. Diese Gerade, auf der alle für einen bestimmten Sand möglichen
kritischen Zustände liegen, wird als „critical state line“ (CSL) bezeichnet.
Das Diagramm in Bild 6 stellt den sogenannten Kompressionsraum dar, mit der Porenzahl e als Ordi-
nate und a( '/ )p pξ als Abszisse. Darin ist ap der atmosphärische Druck auf Meereshöhe und ξ ist
ein Materialparameter. Die CSL kann folglich beschrieben werden durch ihren Anstieg cλ und den e -
182 C. Carow, D. Aubram, S. A. Savidis
Achsenabschnitt Γe . Der Zustandsparameter ψ ist dann der Abstand zwischen der aktuellen Poren-
zahl e und der zugehörigen kritischen Porenzahl ce auf der CSL, also
( )c c a- - - '/e e e e p pξψ λΓ⎡ ⎤= = ⎣ ⎦ . (4)
Das ausgeklügelte Zusammenspiel von zustandsabhängiger Dilatanz und Grenzflächenplastizität beim
CSSA-Modell wird hier anhand der Nachrechnung eines undränierten zyklischen Einfachscherversu-
ches in Bild 7 demonstriert. Die Nachrechnung mit dem Stoffgesetz gibt die Abnahme der effektiven
Spannung bei zyklischer Scherung ausgezeichnet wieder.
-20
-10
0
10
20
-20
-10
0
10
20
σ'z in kN m −2100 120 140 160
τin
kNm
−2
σ'z in kN m −220 40 60 800
Laborversuch Nachrechnung mit CSSA-Modell
100 120 140 16020 40 60 800
Bild 7: Undränierter zyklischer Simple Shear an Berliner Sand: Laborversuch und Nachrechnung mit dem CSSA-Modell ( 66 %DI = ,
2c 150 kNmσ
−= , 2max 15 kNmτ−= )
5 Anwendungsbeispiel
Bisher wurde das Verformungsverhalten wassergesättigter Sande unter zyklischen Lasten beschrieben
sowie Möglichkeiten, dieses Verhalten numerisch zu modellieren. Der kommende Abschnitt stellt ein
Beispiel für die Anwendung der Modellierungstechniken vor. Das Beispiel ist angelehnt an den Fall
des unteren San Fernando Staudamms, der 1971 durch ein Erdbeben schwere Schäden erlitt.
5.1 Hintergrund
Der untere San Fernando Staudamm bildete von 1915 bis zu seiner weitgehenden Außerbetriebname
1971 das Hauptabsperrbauwerk des „Van Norman Lake“ in Los Angeles, Kalifornien. Dieser künstli-
che Speichersee war der Endpunkt des „Los Angeles Aqueduct“, einer 375 km langen Leitung, die
Trinkwasser aus dem „Owens River“ heranführt. Der Staudamm war 634 m lang und bis zu 43 m
hoch. Er bestand aus einem Tonkern, einer Schüttung aus vorwiegend sandigem Material sowie einer
Berme auf der Luftseite. Ein repräsentativer Querschnitt ist in Bild 8 (b) dargestellt. Große Teile des
Kerns und der Schüttung auf der Wasserseite rutschten am 09.02.1971 infolge eines Erdbebens in das
Reservoir ab. Von der ursprünglich 11 m über dem Wasserspiegel gelegenen Dammkrone verblieb nur
Modellierung von Sandböden unter zyklischen Einwirkungen als Zweiphasensystem 183
ein schmaler Grat, der nirgends mehr als 1,5 m über die Wasseroberfläche hinausragte. Der Stausee
wurde umgehend abgelassen, was jedoch mehrere Tage in Anspruch nahm. Noch am 11.02.1971 war
die Lage ausgesprochen prekär, wie Bild 8 (c) eindrucksvoll illustriert. Letztlich konnte eine
Katrastrophe für die 80.000 am Fuße des Staudammes lebenden Menschen aber verhindert werden.
Die Konstruktion und das Versagen des unteren San Fernando Staudamms, wie hier wiedergebeben,
wurden im Nachgang des Schadensfalls detailliert untersucht und in (Seed et al. 1975) umfassend be-
schrieben. Demzufolge stellte die Verflüssigung weiter Teile der unteren Sandschüttung während des
Erdbebens die Ursache des Versagens dar. Auf dem verflüssigten Boden rutschten die darüber gelege-
nen Teile ab, wodurch die Stützung des Tonkerns entfiel und auch dieser versagte. Den Vorgang ver-
deutlichen Bild 8 (a) und Bild 8 (b). Der von Verflüssigung betroffene Bereich war von 1912 bis 1915
durch Einspülen ohne zusätzliche Verdichtung hergestellt worden. Daraus resultierte eine mitteldichte
bis lockere Lagerung des Bodens. Das wiederum führte, entsprechend Abschnitt 2, zu einer ausgepräg-
ten Neigung der Dammschüttung zur Verdichtung bei Scherbeanspruchung, beziehungsweise, als Fol-
ge dessen, zur Bodenverflüssigung unter seismischer Beanspruchung.
Eingespülter SandEingespülter SchiefertonGewalzte Schüttung
Ton-Kern Verflüssigter Bereich
(a)
(b)
(c)
Bild 8: Unterer San Fernando Staudamm; (a) Querschnitt nach dem Versagen; (b) Rekonstruierter Querschnitt; (c) Foto vom 11.02.1971; (a) u. (b) aus (Seed et al. 1975); (c) aus (USGS 1971).
5.2 Modellierung
Beim Schadensfall des unteren San Fernando Staudamms kamen die hier behandelten Phänomene des
Bodenverhaltens (Fluid-Kornstruktur-Interaktion, Zyklik) besonders wirkungsvoll zum Tragen. Weil
das Ereignis zudem gut dokumentiert worden ist, eignet es sich besonders als Vorbild für ein Berech-
nungsbeispiel. Trotzdem soll hier keine genaue Nachrechnung erfolgen. Dafür sei auf (Ming und Li
2003) verwiesen. Von dem historischen Vorbild werden jedoch sowohl die Geometrie als auch die
Belastung übernommen. Folglich wurde mit dem Fluid-Kornstruktur-gekoppelten Element u20p8 aus
Abschnitt 3 der in Bild 9 gezeigte Ausschnitt eines Staudammes im Zustand ebener Dehnungen mo-
delliert. Der Staudamm hat darin eine Höhe von 40 m. Er ist an der Sohle 200 m breit und an der Kro-
ne 6 m. Er verfügt über einen Ton-Kern und eine luftseitige Berme.
184 C. Carow, D. Aubram, S. A. Savidis
y
Untergrund
200 m100 m 60 m 100 m
x
6 m12 m
ux(t)
Ton-Kern
Berme25 m
15 m
20 m
P1P2
P3 P6P7
P5
P4 P9P8
Bild 9: FE-Modell des Staudammes
Für die Dammschüttung, die Berme und den Untergrund wurde das in Abschnitt 4 beschriebene
CSSA-Modell nach (Li 2002) mit den Parametern für Toyoura-Sand aus (Rackwitz 2003) verwendet.
In Anlehnung an das historische Vorbild wurde für die Sandschüttung eine mitteldichte Lagerung mit
50 %DI = gewählt. Für die Berme, die dem San Fernando Staudamm erst 1940 hinzugefügt und
durch Walzen verdichtet wurde, sowie für den Untergrund wurde eine dichte Lagerung mit
80 %DI = angesetzt. Der Tonkern wurde mit dem Drucker-Prager-Modell beschrieben. Als Scherpa-
rameter wurden Werte für steifen Ton angesetzt ( 22ϕ = ° , 220 kN/mc = ). Die gewählten Durchläs-
sigkeitsbeiwerte liegen im üblichen Rahmen für Sand und Ton nach (Simmer 1994).
Der Verlauf der Sickerlinie wurde in einer gesonderten Grundwasserströmungsberechnung bestimmt.
Anschließend wurde im Bereich des FE-Modells über der Sickerlinie der Porenwasserdruck zu Null
festgelegt und für den Boden die Trockenwichte angesetzt. Diese Vorgehensweise ist für FE-
Simulationen von durchströmten Dämmen weithin etabliert, wie beispielsweise (Wolffersdorff und
Schweiger 2008) ausführen. Der untere Modellrand entspricht dem Festgestein unter dem San Fernan-
do Staudamm und wurde daher undurchlässig modelliert. Die gegenüberliegenden Knoten der seitli-
chen Modellränder wurden bezüglich der horizontalen Verschiebung gekoppelt. Als Fluid-
Randbedingung an den Außenrändern wurde der jeweilige hydrostatische Wasserdruckverlauf aufge-
bracht. Vor der Erdbebensimulation wurde das Modell in einem elastischen Berechnungsschritt zu-
nächst nur mit der Erdbeschleunigung beaufschlagt. Ausgehend von dem so erzeugten Initialspan-
nungszustand wurde das Erdbebensignal als Horizontalverschiebung am unteren Modellrand
eingeprägt. Der Zeitverlauf der Anregung, wie in Bild 11(a) gezeigt, wurde aus einem für das San
Fernando Beben dokumentierten Beschleunigungszeitverlauf (Seekins et al. 1992) abgeleitet.
5.3 Ergebnisse
Bild 10 zeigt den Verformungszustand des Staudammes nach dem Erdbeben. Infolge des Erdbebens
hat sich die Dammkrone um 1,16 m gesetzt und um 0,44 m zur Wasserseite hin bewegt. Die größte
horizontale Verschiebung der wasserseitigen Dammflanke beträgt 1,24 m zum Wasser hin und tritt an
Modellierung von Sandböden unter zyklischen Einwirkungen als Zweiphasensystem 185
P2 im durchströmten Bereich auf. Auch unmittelbar über der Dammsohle, an P3, beträgt der horizon-
tale Versatz der wasserseitigen Dammflanke noch 0,56 m. Der Kopf der Berme hingegen hat sich nur
wenig bewegt. Der zeitliche Verlauf der horizontalen Verschiebungen in Bild 11 (b) offenbart die
schrittweise Steigerung der Verschiebungen Richtung Wasser. Die Wirkung der Ausschläge des Anre-
gungssignals lässt sich in der Bodenantwort wiedererkennen. Der Zeitverlauf der Setzungen hingegen,
wie ihn Bild 11 (c) zeigt, reagiert nicht direkt auf das Anregungssignal, die Setzungen nehmen statt-
dessen kontinuierlich zu.
In Bild 11 (d) sind die Zeitverläufe des Porenwasserüberdruckes sowie der mittleren effektiven Span-
nung 'p in den Punkten P8 und P9 aufgetragen. Die Punkte liegen in jenem Bereich der Dammschüt-
tung, der beim San Fernando Staudamm von Verflüssigung betroffen war. Bild 11 (d) zeigt, dass sich
in der Simulation zwar deutliche Porenwasserüberdrücke aufbauen und 'p entsprechend abnimmt.
Das geht aber nicht soweit, dass die effektive Spannung verschwindet und es, wie beim San Fernando
Staudamm, zur Bodenverflüssigung kommt.
Letztlich bleibt die Funktionsfähigkeit des Staudammes im Modell trotz des Erdbebens weitestgehend
erhalten. Angesichts der deutlichen Setzungen der Dammkrone infolge der zyklischen Scherung
scheint die hier gewählte mitteldichte Lagerung der Dammschüttung aber zu gering. Hier wird im
Übrigen die besondere Eignung des Stoffgesetzes nach (Li 2002) für das Problem insofern deutlich,
als es der Modellierung der Dilatanz des Bodens, aus der die Setzungen hier resultieren, besondere
Aufmerksamkeit widmet. Neben den Setzungen ist auch eine signifikante Bewegung der Dammschüt-
tung zur Wasserseite hin zu verzeichnen. Sie lässt sich zum einen auf die Schwächung des Korngerüs-
tes unterhalb der Sickerlinie zurückführen, welche aus dem Auftrieb durch das Porenwasser sowie aus
dem Abbau der Potentialdifferenz folgt. Desweiteren war die Scherfestigkeit durch Porenwasserüber-
druckentwicklung vermindert. Insofern ist die Verwendung der Fluid-Kornstruktur-gekoppelten Be-
rechnungsmethode hier sinnvoll. Dass die im Modell vorhandene Tendenz des Bodens zur Verdich-
tung nicht zu gefährlicheren Porenwasserüberdrücken führt, wie sie beim San Fernando Staudamm
auftraten, muss mit der Durchlässigkeit des Bodens zusammenhängen. Im Modell wurde für das Mate-
rial der Dammschüttung vereinfachend reiner Sand angesetzt. Die Schüttung des San Fernando Stau-
dammes hingegen weist nach (Seed et al. 1975) auch erhebliche bindige Anteile auf. Mithin war ihre
Durchlässigkeit geringer und ihre Neigung zur Verflüssigung ist deutlicher ausgeprägt gewesen.
0,06 m
0,44 m1,16 m0,28 m
0,17 m0,12 m
0,02 m
Verschiebung infolge des Erdbebens
0,02 m
0,05 m0,56 m
1,24 m
0,07 m
Bild 10: Verformung zur Zeit 28st = und Verschiebungen durch Erdbeben. Verformung 5x überhöht.
186 C. Carow, D. Aubram, S. A. Savidis
u y in
mu x
in m
u x in
m
(b) Horizontale Verschiebung
0 5 10 15 20 25 30
t in s
(d) Porenwasserüberdruck und mittlere effektive Spannung
p' in
kN
/m2
Δpw in
kN
/m2
-0.20.00.2
(a) Anregung (Verschiebung)
(c) Vertikale Verschiebung
-1.5-1.0-0.50.00.5
P1 P2 P6
-100.0-50.0
0.050.0
100.0150.0200.0
P8 pw P9 pw P8 p' P9 p'
-1.2
-0.8
-0.4
0.0
P1 P2 P6
Bild 11: Zeitverläufe von Eingangssignal und Ergebnissen für den Staudamm. Druckspannung positiv.
6 Zusammenfassung und Ausblick
Der Beitrag ergab, dass das Verhalten von Sand unter zyklischer Beanspruchung durch komplizierte
Ver- und Entfestigungsprozesse und durch die Veränderungen der Lagerungsdichte infolge Scherbe-
anspruchung geprägt wird. Ferner zeigte sich, dass im wassergesättigten Zustand den
Dränagebedingungen im Hinblick auf die Auswirkungen der Interaktion von Korngerüst und Poren-
fluid eine besondere Bedeutung zukommt. Zur Berücksichtigung der Dränagebedingungen in numeri-
schen Simulationen stellte der Beitrag ein Zweiphasenkontinuumsmodell sowie seine Umsetzung mit-
tels eines Porenwasser-Kornstruktur-gekoppelten finiten Elementes vor. Als Stoffgesetz für das
Korngerüst wurde ein elastoplastisches Modell vorgestellt. Es behandelt die zyklische Ver- und Ent-
festigung mittels der Grenzflächenplastizität. Die Veränderungen der Lagerungsdichte des Korngerüs-
tes infolge Scherbeanspruchung erfasst es durch spezielle Dilatanzfunktionen. Die Anwendung der
numerischen Methoden wurde anhand des Beispiels eines Staudammes unter seismischer Beanspru-
chung vorgeführt, bei dem alle zuvor beschriebenen Phänomene auftreten.
Modellierung von Sandböden unter zyklischen Einwirkungen als Zweiphasensystem 187
Obwohl die vorgestellten Verfahren für bestimmte Fragestellungen hervorragend geeignet sind, wei-
sen sie noch Forschungsbedarf auf. Hierzu zählen die Berücksichtigung großer Verformungen und
geotechnischer Herstellungsvorgänge wie Rammen, Rütteln, Verpressen usw. im Porenfluid-
Kornstruktur-gekoppelten numerischen Modell. Diese und andere Aspekte werden derzeit im Rahmen
eines Forschungsprojekts (DFG Sachbeihilfe SA 310/27-1) und einer Forschergruppe mit Beteiligung
der TU Berlin (DFG FOR 1136) untersucht. Auch der Entwicklungsstand des hier vorgestellten Stoff-
gesetz nach (Li 2002) kann nicht als final betrachtet werden. Es wird in einem weiteren DFG-
Forschungsprojekt konsistent zur Theorie großer Verformungen reformuliert. Zudem wird der zykli-
sche Verfestigungsmechanismus der Kappe erweitert, der bisher nur rudimentär ausgeprägt ist.
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