Post on 05-Apr-2015
Brauchen wir eigentlich Sprachen und Musik?Plädoyer für eine neue Sicht
Oberstdorf, 14. März 2013
Schule - Sprachen und Musik? 2
Sprache Musik
Poesie
Gliederung
• Präludium – Schlagzeilen• Musik und die Schule• Entwicklungsgeschichtliche Zusammenhänge:
Stammesgeschichte / Individualentwicklung• Unterschiede zwischen Musik und Sprache• Transferleistungen von Musik• Und anders herum?• Finale – Ausblick
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Schlagzeilen 1
• Nexus retialis – digital gefordert? (NZZ am Sonntag)
• Denken wie die alten Römer• Latein ist auch der Schlüssel zum Englischen• Digitaler Analphabetismus• Mathematik und Informatik als Kernfächer des
Gymnasiums?!• Früh-Englisch, möglichst schon in der Kita?!
Schlagzeilen 2
• Samthandschuh-Pädagogik?! Kuschelpädagogik?!
• Schreiben-Lernen: Tastatur statt Griffel (Füller)• Ganzwort-Methode zum Lesen-Lernen?• Zur Erinnerung: Mengenlehre!• Ach ja: Mozart(-Musik) macht schlau!• Und war da nicht noch: das Sprachlabor?• Schlüsselqualifikationen!
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Schlüsselqualifikationen
• Schulisches Wissen und Können ist nicht tauglich für den Arbeitsmarkt!
• Unterricht soll von externen Verwendungszwecken her bestimmt werden!
• Mathematik Problemlösen• Muttersprachunterricht Texterfassungskompetenz• Fremdsprachunterricht basale
Kommunikationsfähigkeit• Musikunterricht ???
Beispiele für Schlüsselqualifikationen• Kreativität• Kommunikation• Problemlösekompetenz• Teamfähigkeit• Lernen zu Lernen• Emotionale Intelligenz• Selbstorganisation
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Gesellschaftlicher Nutzen
• Was soll Schule?• Mathematik / Fremdsprache(n) werden in der
Schule gelernt• Lesen wird ebenfalls – zumindest als wirkliche
Kompetenz – in der Schule gelernt• Musikerfahrungen liegen schon vor der Schule
vor!• Widerspruch: Musik ist überall – Musik spielt in
der Erziehung kaum eine Rolle!
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PISA lässt grüßen!
• PISA: Lesekompetenz, mathematische Kompetenz, naturwissenschaftliche Grundbildung
• Ist das Bildung?• Schwindende Lesekompetenz ist eine
Bildungskatastrophe!• Musikunterricht ist aber Randfach??• ABER: Das Format Buch ist auch schon keine
kulturelle Selbstverständlichkeit mehr!
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Zur Musik:Stammesgeschichte (Phylogenese)
• Musik: Klangereignisse in der Zeit• Musik ist älter als Sprache• Musik ist eine Grundlage für Sprache• Robin Dunbar: akustisches Kraulen -
vocal grooming - Distanzkraulen
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Stammesgeschichte
a) Lateralisierung: Linke H – Rechte H
b) Neocortex – übriges Gehirn = 4 : 1c) Gruppengrösse ca. N = 150d) Kraulzeit Primaten 20 – 30%e) Mensch: Kraulzeit für c) = >40% ???f) Lösung: akustisches Kraulen – Vokalisierung –
Musik und Sprache Neocortex
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Stammesgeschichte
Referentielleemotionale
Kommunikation
"Urmusik"musilanguage
tonale Sprachen
Intonations-sprachen
Musik
Gruppen-Bindung
Gruppen-Bindungund emotionaleErhebung
Steven Brown 2000
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Individualentwicklung (Ontogenese)
• Grundlagen der Sprache werden durch Musik erlernt
• Grammatik und Morphologie durch Prosodie
Über diese Sprachmelodien lernen Kinder zu sprechen.
Benützen wir ihnen gegenüber ein neues Wort, akzentuieren
wir es mit einem besonders hohen Ton und plazieren es am
Satzende. So sind sie in der Lage, nicht nur neues Vokabular
zu identifizieren, sondern auch über die gesetzten Pausen ein
Gefühl für Syntax zu entwickeln: die Pausen markieren in der
Regel ja den Beginn und das Ende von Satzteilen.
Mutterisch (motherease)
(Schrott / Jacobs, S. 289)
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Sprachmelodie/-rhythmus (Prosodie)
• Intonation (Tonverlauf)• Lautstärke• Tempo• Dauer – Silbenlänge• Pausen• Rhythmus
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Früher Spracherwerb
Der Mann sagt, die Frau kann nicht Auto fahren.
Der Mann, sagt die Frau, kann nicht Auto fahren.
Máma, Pápa (deutsch)
Mamá(n), Papá (französisch)
• Unterscheidung zwischen Sprache und nichtsprachlichem auditorischen Input
• Satzprosodie zeigt Phrasengrenzena. Änderung des Tonhöhenverlaufsb. Längung letzte Silbe vor der Pausec. Pause selbst
• Tonhöhenverlauf und Rhythmus• Betonungsmuster Muttersprache
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Kommunikationssysteme – europäisches Musiksystem
Sprache• Phoneme• Morpheme• Wörter• Sätze• Phrasen
• Broca – Wernicke LH
Musik• Einzelne Töne• Museme (mehrere Töne)• Intervalle/Harmonien• Melodien• Intervallfolgen/mehrere
Melodien (Periode)• Broca – Wernicke RH - LH
Problem: Nicht-europäische Musikkulturen?
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Sprache – Musik
Sprache• Intonation• Lautstärke• Tempo• Dauer/Silbenlänge• Pausen• Rhythmus• Syntax• Semantik
Musik• Melodie• Lautstärke• Tempo• Notenwert/Tondauer• Pausen• Rhythmus• Syntax• Bedeutung
Aber: Mit Musik kann man keine Pizza bestellen (Petr Janata 2004)
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Unterschiede
Musik• Akkorde und Harmonien• Unterschiede zwischen
Musikern und Nichtmusikern
• Musik «zeigt»• Musik ist vieldeutig
Sprache• Wortkategorien• Keine Unterschiede
zwischen trainierten / untrainierten Sprechern
• Sprache «sagt»• Sprache zielt auf
Eindeutigkeit
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Transferleistungen
• Der Begriff bezeichnet die Anwendung der bei einer bestimmten Aufgabe gelernten Vorgänge bei anderen, vergleichbaren Aufgaben.
• Es werden also Fertigkeiten in ein Umfeld übertragen die in einem anderen Umfeld erworben wurden. (Latein fördert das logische Denken!)
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Transferleistungen von Musik
Vorsichtige Aussagen• Verbales Gedächtnis• Visuell-räumliche Tests• Rechnen• Soziales Verhalten (Lutz Jäncke 2008)
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Transferleistungen Fremdsprachen
• Musikerfahrung – Unterschiede von Wörtern in tonalen Sprachen erkennen (Mandarin)
• Musiktraining (Kinder) fördert die Wahrnehmung prosodischer Sprachmerkmale
• Musikalische Fertigkeiten beeinflussen die phonologischen Leistungen Erwachsener beim Fremdsprachenlernen (Akzent!) (Lutz Jäncke 2008)
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Und anders herum – Poesie!
sha nagba imuru ishdi mati
sha kullati idu kalama chassu
gilgamesh sha nagba imuru ishdi mati
sha kullati idu kalamu chassu
ichitma mitcharisch kibrati
napchar nemeki scha kalami ichus
Od vseh glasb je morda ljudska glasba najtesneje poosebljena s tradicijo
ali ljudstvom, skratka, z drgimi besedami – narod jo lahko začuti kot del
sebe, prenešeno iz roda v rod, ali pa na nek način kot odsev domače
pokrajine.
• Sogenannte «primitive» Kulturen kennen nur ein Wort für Sprache und Musik
• Poesie war ursprünglich eine Gedächtnishilfe in oralen Kulturen – Prosodie stützt Gedächtnis!
• Poesie: Qualitative Dichte an repetitiven Elementen und Segmenten
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Und anders herum?
• Einfluß von Sprache auf Musik (Nationalmusik des 19. und 20. Jahrhunderts)
• Klingt Musik französisch, deutsch oder englisch?
• Vokaldauern und Grundfrequenzen für Silben• Französisch wird gleichmässiger gesprochen
als Englisch (auf der Grafik «le mort» statt «la mort»!)
• Französische Musik geringere Variabilität für aufeinanderfolgende Intervalle
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Und was nun?
• Was wollen wir von der Schule?• Was gehört zu Bildung?• Gerhard Roth: Bildung braucht Persönlichkeit.
Klett-Cotta, 2011
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Mehrsprachigkeit
Eltern-Kurzsichtigkeit, aber auch die der Bildungspolitiker!• EU-Forderung: L1 + 2L (B2)• Realität: Erstsprache (Muttersprache) plus
Englisch?• Reagieren wir da auf die Herausforderungen
des Arbeitsmarktes?• Beispiel Luxemburg
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Und noch etwas!
• Was sollen wir mit Globisch? Oder Pidgin-Englisch?
• Bekenntnis zu Europa mit vielen Kulturen und Sprachen!
• Minimale Mehrsprachigkeit: 1 + 2• Kreative Fächer zur Förderung des Lernens!
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Lichtblick: Ein Verfassungsartikel für die Musik (CH)
Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 soll wie folgt geändert werden: Art. 67a (neu) Musikalische Bildung1Bund und Kantone fördern die musikalische Bildung, insbesondere von Kindern und Jugendlichen.2Sie setzen sich im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für einen hochwertigen Musikunterricht an Schulen ein. Erreichen die Kantone auf dem Koordinationsweg keine Harmonisierung der Ziele des Musikunterrichts an Schulen, so erlässt der Bund die notwendigen Vorschriften. 3Der Bund legt unter Mitwirkung der Kantone Grundsätze fest für den Zugang der Jugend zum Musizieren und die Förderung musikalisch Begabter.
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• Vielen Dank fürs Zuhören!• Bahn frei für die Diskussion!• michael.langner@unifr.ch
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Literatur
• http://www.socioweb.org/lexikon/index.html• Lutz Jäncke: Macht Musik schlau? Bern: Huber 2008• Daniel J. Levitin: The World in Six Songs. Plume
2009• Aniruddh D. Patel: Music, Language, and the Brain.
Oxford University Press 2008• Schrott, Raoul / Jacobs, Arthur: Gehirn und Gedicht.
Wie wir unsere Wirklichkeiten konstruieren. München: Hanser 2011
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Literatur
• Langner, Michael (2013): Musik, Sprache, Kognition – ein interdisziplinärer Versuch (im Druck)
• Oelkers, Jürgen (2007): Gehört Musik in die Schule der Zukunft? In: MuV-Info 47, S. 8-21 (Musik und Volksschule)
• Stadelmann, Willi (2004): Musik bewegt das Gehirn – das Gehirn macht Musik. In: Schweizer Musikzeitung 6, S. 9-10
• Bastian, Hans Günther (2001): Kinder brauchen Musik wie die Luft zum Atmen. Ausgewählte Ergebnisse einer Langzeitstudie zur Wirkung von Musik(erziehung). In: MuV-Info 37, S. 6-13