Das neue Heilverfahren

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Einführend ist anzumerken, dass dieWissenschaftlichen Leiter mein Referatzum Glück nicht mit dem Titel versehenhaben:„Was ändert sich denn nun wirk-lich?“ oder „Ändert sich überhaupt wirk-lich etwas?“ Einer solchen Überschriftnach den vollzogenen Änderungen derÄnderungen hätte kaum widersprochenwerden können.

Um vorab die Antwort auf die Titel-frage zu geben: Es ändert sich einiges,aber wirklich nicht so viel, dass mit Rechtvon einem „Neuen Heilverfahren“ ge-sprochen werden könnte bzw. sollte, wiees die Bezeichnung des Hauptthemastut.Wir haben es vielmehr bei den in Re-de stehenden Änderungen mit Anpas-sungen an zwischenzeitliche medizini-sche und rechtliche Entwicklungen zutun, die es in der Geschichte des berufs-genossenschaftlichen Heilverfahrensimmer wieder gegeben hat und gebenwird.

Grundlagen des Heilverfahrensim SGB VII

Das in seinen wesentlichen Teilen am1.1.1997 in Kraft getretene SGB VII solltenach dem erklärten Willen des Gesetz-gebers nur eine begrenzte Sachreformdarstellen. Die Grundlagen und Grund-züge des bewährten Systems der gesetz-lichen Unfallversicherung sollten aus-drücklich beibehalten werden. DieseAussage in der Gesetzesbegründung kannund muss als ein Erfolg für die Trägerder gesetzlichen Unfallversicherung ge-wertet werden. Insbesondere konnte er-reicht werden, dass der bisherige Auf-

trag der Unfallversicherungsträger, dendurch einen Arbeitsunfall oder eine Be-rufskrankheit verursachten Gesundheits-schaden mit allen geeigneten Mittelnmöglichst frühzeitig zu beseitigen, auchin das SGB VII übernommen wurde(§26 Abs. 2 Nr. 1).

Als Grundnorm für die Organisa-tion der Heilbehandlung bestimmt §34SGB VII, dass die Unfallversicherungs-träger alle Maßnahmen zu treffen ha-ben, durch die eine möglichst frühzeitignach dem Versicherungsfall einsetzendeund sachgemäße Heilbehandlung und,so weit erforderlich, besondere unfall-medizinische Behandlung gewährleistetwird. Sie können zu diesem Zweck dievon den Ärzten und Krankenhäusern zuerfüllenden Voraussetzungen im Hin-blick auf die fachliche Befähigung, diesächliche und personelle Ausstattungsowie die zu übernehmenden Pflichtenfestlegen. Sie können daneben nach Artund Schwere des Gesundheitsschadensbesondere Verfahren für die Heilbehand-lung vorsehen.

Mit dieser gesetzlichen Grundlageist in erfreulicher Klarheit die Verant-wortung der Unfallversicherungsträgerfür die Rehabilitation der Verletzten fest-gelegt.Und mit noch größerem Recht als

Trauma und Berufskrankheit · Supplement 1 · 2001 S37

Trauma Berufskrankh2001 · 3 [Suppl 1]: S37–S40 © Springer-Verlag 2001 Heilverfahren

Bernhard FörsterLandesverband Nordwestdeutschland der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Hannover

Das neue HeilverfahrenWas ändert sich wirklich?

B. FörsterGeschäftsführer, Landesverband Nordwest-deutschland der gewerblichen Berufs-genossenschaften, Hildesheimer Straße 309,30519 Hannover(E-Mail: Bernhard.Foerster@bau-bg-han.de,Tel.: 0511-9872201, Fax: 0511-9872220)

Zusammenfassung

Das SGB VII hat eine neue Rechtsgrundlagefür das berufsgenossenschaftliche Heilver-fahren geschaffen (§34 SGB VII), die die Ver-antwortlichkeit der Unfallversicherungs-träger für die Organisation der Heilbehand-lung klarer als bisher regelt. Auf dieser Basissind das Durchgangsarztverfahren und dasVerletzungsartenverfahren überarbeitetworden. Entscheidendes Kriterium ist diestärkere Ausrichtung auf die Unfallchirurgie.

Schlüsselwörter

SGB VII · Organisation der Heilbehandlung ·Durchgangsarztverfahren · Verletzungs-artenverfahren

nach dem bisherigen §557 Abs. 2 RVOkann jetzt §34 Abs. 1 SGB VII als „magnacarta“ der berufsgenossenschaftlichenHeilbehandlung bezeichnet werden.Da mit dem Unfallversicherungseinord-nungsgesetz auch die maßgeblichen Be-stimmungen des früheren Reichsversi-cherungsamts als Grundlage der bishe-rigen Heilverfahrensarten weggefallensind (Art. 35 Nr. 6), musste die Ermäch-tigung der Träger der gesetzlichen Un-fallversicherung für die Durchführungder Heilbehandlung im Gesetz eindeu-tiger als bisher geregelt werden.

Anpassung des berufsgenos-senschaftlichen Heilverfahrensan das SGB VII

Trotz der weitgehenden Befugnis auf-grund des SGB VII bestand und bestehtkein Handlungsbedarf für die Träger dergesetzlichen Unfallversicherung, das inder Vergangenheit praktizierte berufs-genossenschaftliche Heilverfahren grund-legend zu überarbeiten. Es wäre ja wirk-lich kaum nachvollziehbar gewesen, nachder Fortschreibung des bisherigen Auf-trags in dem neuen Gesetz als erste Maß-nahme die Verfahren, die gleichsam einAushängeschild der gesetzlichen Unfall-versicherung waren und sind und aufdie in der Gesetzesbegründung aus-drücklich Bezug genommen wird, prin-zipiell in Frage zu stellen. Das SGB VIIbot aber Anlass, die bewährten Verfah-rensarten an die veränderten Verhält-nisse anzupassen.

Das berufsgenossenschaftliche Heil-verfahren hat sich als Grundlage der Re-habilitation Unfallverletzter in den un-gefähr 70 Jahren seiner Geschichte be-währt. Diese Feststellung kann m. E.ohne Einschränkung getroffen werden.Eine wichtige Voraussetzung für dieseBewährung war seine ständige Anpas-sung an Veränderungen der rechtlichenRahmenbedingungen und – v. a.– an diemedizinische Entwicklung, insbesonde-re an den Fortschritt der Chirurgie bzw.Unfallchirurgie.Als Beispiel soll hier nurauf die Denkschrift des Hauptverbandsder gewerblichen Berufsgenossenschaf-ten „Zur Verbesserung der medizini-schen Rehabilitation Unfallverletzter“[1] hingewiesen werden, die bereits 1972die Versorgung Unfallverletzter in un-fallchirurgischen Abteilungen forderte.Dem folgte einige Jahre später die For-derung nach der Berechtigung zum Füh-

ren der Teilgebietsbezeichnung „Unfall-chirurgie“ an den verantwortlichen Arztals Voraussetzung für die Zulassung zurBehandlung Schwerunfallverletzter.

Die medizinische Rehabilitation inder gesetzlichen Unfallversicherung be-ruht demgemäß zurzeit primär auf denbesonderen Heilverfahrensarten wie

∑ dem Durchgangsarztverfahren, durchdas ein flächendeckendes Netz von nie-dergelassenen und im Krankenhaustätigen qualifizierten Ärzten geschaffenwurde, und

∑ dem Verletzungsartenverfahren, beidem bestimmte Kliniken zur Behand-lung bestimmter Verletzungen zugelas-sen werden (bisher so genanntes §6-Verfahren).

In diese Verfahrensarten sind 9 Unfall-kliniken in Trägerschaft der Berufs-genossenschaften sowie mehrere be-rufsgenossenschaftliche Sonderstatio-nen eingebunden.

Mit dem Gesundheitsreformgesetz,den Gesundheitsstrukturgesetzen undder Bundespflegesatzverordnung – dieseAufzählung könnte ohne Schwierigkei-ten fortgeführt werden – wurde bzw.wird zwar vom Gesetzgeber primär eineKostendämpfung im Bereich der gesetz-lichen Krankenversicherung angestrebt;diese Regelungen haben aber natürlichauch Auswirkungen auf das medizini-sche Rehabilitationsverfahren der Un-fallversicherungsträger.Vor allem warenaber aufgrund der Empfehlungen derMusterweiterbildungsordnung nach denBeschlüssen des 95. Deutschen Ärzte-tages 1992 Änderungen der Anforderun-gen an die am berufsgenossenschaft-lichen Heilverfahren beteiligten Ärzteund Krankenhäuser erforderlich, umden neuen Voraussetzungen Rechnungzu tragen. Dabei sind wir der festenÜberzeugung, dass die Gliederung desFachs Chirurgie in die 4 Schwerpunkte

1. Thoraxchirurgie,2. Gefäßchirurgie,3. Viszeralchirurgie und4. Unfallchirurgie

mittelfristig Auswirkungen auf die Kran-kenhauslandschaft haben wird.

Entsprechend dieser Erwartung warin den ursprünglichen Überlegungengeplant, die stationäre Behandlung vonArbeitsunfallverletzten generell nur noch

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Heilverfahren

B. Förster

The new treatment procedures:what is really changing?

Abstract

Book VII of the SGB (Code of Social Law)has created a new legal basis for treatmentadministered under the auspices of theemployers’ liability insurance association(§34 SGB VII), which regulates the responsi-bilities of the accident insurances’ under-writers in the organization of curative treat-ment more clearly than hitherto. On this ba-sis, the emergency on-call procedures andthe procedures concerned with the types ofinjury have been revised.The most strikingdifference is a greater emphasis on traumasurgery.

Keywords

Organization of medical treatment ·Emergency on-call procedure · Lesion typingprocedure

Trauma Berufskrankh2001 · 3 [Suppl 1]: S37–S40 © Springer-Verlag 2001

in unfallchirurgischen Abteilungen vor-zusehen und das bisherige Verletzungs-artenverfahren aufzugeben. Allerdingserhob sich gegen diesen Plan ein in die-ser Form nicht erwarteter Widerstand,der ungeachtet der nach wie vor gegebe-nen sachlichen Begründung die Unfall-versicherungsträger bewog, schließlichdavon Abstand zu nehmen. Ausschlag-gebend war dabei, dass selbst auf hoherpolitischer Ebene nicht korrigierbarefalsche Vorstellungen über das Ausmaßund die Auswirkungen der Neuregelungbestanden und in tendenziöser Weisegenährt wurden, die den Weiterbestanddes Heilverfahrens insgesamt zu gefähr-den drohten.

Im Ergebnis ist also das Verletzungs-artenverfahren erhalten worden. Dieswar umso leichter möglich und vertret-bar, als es dadurch gelungen ist, die ei-gentlichen, wesentlichen Änderungenohne weitere Abstriche zu verwirk-lichen.

Das den Änderungen in den einzel-nen Verfahrensarten gemeinsame we-sentliche Merkmal ist die stärkere Aus-richtung auf den Schwerpunkt Unfall-chirurgie. Der Etablierung der Kinder-chirurgie als eigenes Fach wurde mit derFormulierung entsprechender Anforde-rungen an Ärzte und Kliniken Rechnunggetragen.

Gegenüber den bisherigen Regelun-gen sind in den Anforderungen im We-sentlichen folgende Änderungen einge-treten:

Durchgangsärzte

Bezüglich der Durchgangsärzte lassensich folgende Änderungen anführen:

1. Fachliche Befähigung∑ Erfordernis der Berechtigung zum

Führen der Schwerpunktbezeich-nung „Unfallchirurgie“

∑ Bei Erwerb der fachlichen Befähi-gung im Ausland ist für die Beteili-gung als Durchgangsarzt eine 1-jährige Tätigkeit bei einemDurchgangsarzt erforderlich

∑ Teilnahme an einem Seminar zurEinführung in die Durchgangsarzt-tätigkeit

∑ Grundsätzlich ist eine nach derFacharztanerkennung ausgeübteunfallchirurgische Tätigkeit nach-zuweisen, die nicht länger als 3 Jahre unterbrochen worden ist

2. Praxisausstattung∑ Neben dem aseptischen und dem

septischen Eingriffsraum müssenin der Praxis 2 Behandlungsräumevorhanden sein

∑ In Zuordnung zum aseptischenEingriffsraum muss ein Personal-umkleideraum mit Waschbeckenund Vorrichtung zur Händedesin-fektion vorhanden sein

∑ Für die sächliche Ausstattung derPraxis ist im Übrigen die Richtlinieder Bundesärztekammer zur Qua-litätssicherung ambulanter Opera-tionen zu beachten

3. Pflichten∑ Teilnahme an Maßnahmen der

Unfallversicherungsträger zurQualitätssicherung und deren Um-setzung

∑ Ständige unfallchirurgische Fort-bildung und Teilnahme an mindes-tens einer unfallchirurgischenFortbildungsveranstaltung proJahr

4. BeteiligungIn Anpassung an die Regelung in dervertragsärztlichen Versorgung endetauch die Beteiligung im Durchgangs-arztverfahren künftig mit Vollendungdes 68. Lebensjahrs des Arztes.

Die derzeitigen Bestellungen zum/rDurchgangsarzt/ärztin bleiben weiter-hin gültig. Der in den Anforderungenneu formulierte Pflichtenkatalog galtallerdings auch für bestehende Durch-gangsarztbestellungen.

Krankenhäuser

Hinsichtlich der Krankenhäuser ist an-zuführen:

1. PräambelAm Verletzungsartenverfahren werdennur Krankenhäuser beteiligt, die in denKrankenhausbedarfsplan eines Landsaufgenommen sind (Plankrankenhäu-ser), einen Versorgungsvertrag mit denKrankenkassen abgeschlossen haben,Hochschulkliniken oder BG-Klinikenoder BG-Krankenhäuser sind.

2. Personelle Ausstattung∑ Anstelle der bisherigen 4-jährigen

Tätigkeit nach der chirurgischenFacharztanerkennung an einemzum Verletzungsartenverfahrenzugelassenen Krankenhaus istkünftig Beteiligungsvorausset-

zung, dass der/die für die Versor-gung der Unfallverletzten fachlichund fachlich-organisatorisch wei-sungsfreie Chefarzt/-ärztin oderleitender Arzt/Ärztin zum Führender deutschen Facharztbezeich-nung Chirurgie und der deutschenSchwerpunktbezeichnung Unfall-chirurgie berechtigt sein und nachErwerb der Schwerpunktbezeich-nung Unfallchirurgie mindestens 3 Jahre in der unfallchirurgischenAbteilung an einem von den ge-setzlichen Unfallversicherungsträ-gern beteiligten Krankenhaus tätiggewesen sein muss.

∑ Künftig muss der/die für die Ver-sorgung der Unfallverletztenverantwortliche Chefarzt/-ärztinoder leitende Arzt/Ärztin über dieWeiterbildungsermächtigung imSchwerpunkt Unfallchirurgie fürim Regelfall 2 Jahre verfügen.

∑ Der/die für die Versorgung Unfall-verletzter verantwortliche Arzt/Ärztin muss als Durchgangsarzt/-ärztin beteiligt sein.

∑ Es muss mindestens ein/e weitere/rArzt/Ärztin mit der Berechtigungzum Führen der Facharztbezeich-nung Chirurgie und der Schwer-punktbezeichnung Unfallchirurgiein der für die Versorgung der Un-fallverletzten zuständigen Abtei-lung angestellt sein.

3. Sächliche AusstattungEin Bewegungsbad muss am Kranken-haus nicht mehr vorgehalten werden.Bestimmte Leistungen und Geräte(Zentralsterilisation, Computertomo-graph, Kernspintomograph, Szintigra-phieeinrichtung) können auch im Rah-men eines Kooperationsvertrags mitLeistungserbringern außerhalb desKrankenhauses genutzt werden.

4. VerletzungsartenverzeichnisDas Verzeichnis der Verletzungsarten istüberarbeitet worden. Darin sind die Er-fahrungen mit dem aus dem Jahr 1966stammenden Katalog unter Berücksich-tigung der zwischenzeitlichen Entwick-lung der Unfallchirurgie eingeflossen.Im Wesentlichen handelt es sich bei denÄnderungen um Präzisierungen undexaktere Untergliederungen.

Für eine Übergangszeit von 5 Jahren –gerechnet vom 1.1.1999 – bleiben Kran-kenhäuser an der stationären Behand-lung Arbeitsunfallverletzter im Rahmen

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des Verletzungsartenverfahrens betei-ligt, so weit und so lange die für die bis-herige Beteiligung maßgeblichen Anfor-derungen erfüllt sind. In dieser Über-gangszeit besteht die Möglichkeit derAnpassung an die neuen Anforderun-gen.

Resümee

Wir sind überzeugt, dass die neuen An-forderungen einen Anstoß zu einer wei-teren Qualitätsverbesserung nicht nurim berufsgenossenschaftlichen Heilver-fahren, sondern in der Versorgung Un-fallverletzter generell geben werden. Da-

bei sind wir uns bewusst, dass die ebenskizzierten neuen Aspekte in der Be-handlung Arbeitsunfallverletzter nichtad hoc umgesetzt werden können.Es be-darf sicherlich eines längeren Zeitraums,bis die neuen Anforderungen in totoverwirklicht sein werden.

Abschließend ist zu bemerken: DieBerufsgenossenschaften haben ihr Heil-verfahren immer als ein System der Qua-litätssicherung betrachtet, das dazu die-nen sollte, den Verletzten „mit allen ge-eigneten Mitteln“ zu rehabilitieren. Andiesem Ziel hat sich die Ausgestaltungund Anpassung der einzelnen Verfah-rensarten stets orientiert. Mit den beab-sichtigten Änderungen ist ein weiterer

Schritt in diese Richtung beabsichtigt,mit der Hoffnung, dass die angestrebteVerbesserung der Strukturen und Pro-zesse auch Auswirkungen auf die Ergeb-nisqualität haben wird, deren Kontrollekünftig verstärkt unser Augenmerk ge-widmet werden wird.

Literatur1. Hauptverband der gewerblichen Berufs-

genossenschaften (1972) Zur Verbesserung dermedizinischen Rehabilitation Unfallverletzter.Hauptverband der gewerblichen Berufsge-nossenschaften, Sankt Augustin

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Heilverfahren