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Die Bedeutung von Bindung für die Entwicklung des Kindes -Interaktionsdiagnostik als Chance
Ute Ziegenhain
Fachtag „Erkennen – Beurteilen – Handeln“Jugend- und Sozialamt Frankfurt am MainFrankfurt, 16. Juli 2014
Kindliche Basisbedürfnisse und Entwicklungsgefährdung
Bindung als Fundament und Startbasis
…. wenn die Bindungsperson emotional verfügbar ist
…. wenn die Bindungsperson emotional nicht verfügbar ist : hochunsichere Bindungen /Bindungsstörungen
Eterliche Erziehungsfähigkeit als Ansatzpunkt zur Risikoeinschätzung
Um Hilfen werben und die Bindung spezifisch fördern
Fazit
Gliederung
Basic Need UN-Kinderrechtskonvention
Liebe und AkzeptanzPräambel, Art. 6;
Art. 12, 13, 14
Ernährung und Versorgung Art. 27, Art. 26, Art. 32
Unversehrtheit, Schutz vor Gefahren, vor materieller emotionaler und sexueller
Ausbeutung
Art. 16, Art. 19,
Art. 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40
Bindung und soziale BeziehungenArt. 8, 9, 10, 11;
Art. 20, 21, 22
Gesundheit Art. 24, 25, 23, 33
Wissen und BildungArt. 17;
Art. 28, 29, 30, 31
Kindliche Basisbedürfnisse und die Berücksichtigung dieser Tatsachen in der UN-Kinderrechtskonvention
Häufigkeit von Missbrauch und Vernachlässigung in Kindheit und Jugend (N=2504; Mehrfachnennungen möglich)
15,0%12,0% 12,6%
49,5% 48,4%
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Prävalenz von Misshandlungen in Kindheit und Jugend (Häusers, Schmutzer, Brähler & Glaesmer, 2011)
Im ersten Lebensjahr sterben mehr Kinder in Folge von Vernachlässigung und Misshandlung als in jedem späterenAlter
77% aller misshandlungsbedingten Todesfälle ereignensich in den ersten 48 Lebensmonaten
abrupte Übergänge von dezenten Hinweisen bis zur akuten Gefährdung:- Gefahr raschen Austrocknens bei unzureichender Flüssigkeitszufuhr
- Gefahr lebensgefährlicher Verletzungen aufgrundunbeherrschten Handlings
Besondere Verletzlichkeit von Säuglingen und Kleinkindern
Prävention Schütteltrauma
(Bsp. Australien)
www.chw.edu.au/parents/kidshealth/crying_baby
Besondere Verletzlichkeit von Säuglingen und Kleinkindern
159
40
21 2518
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hauptsächlicheGefährdungslage
Ergebnisse einer Befragungvon 16 Jugendämtern(Münder et al., 2000)
(n = 318)
< 3 Jahre: 71 %
Häufigkeiten von Kindesvernachlässigung (nach Stötzel, 2007)
kognitive Verzögerungen (Barnett, Manley & Ciccetti, 1991;Crittenden, 1994)
hochunsichere Bindung (Cicchetti & Toth, 1995)
Verhaltensprobleme und Probleme der Emotionsregulation (aggressives Verhalten ggb. Gleichaltrigen, fehlendes Einfühlungsvermögen, Selbstwertprobleme) (Cicchetti & Toth, 1995, Erickson, 1989; Laucht et al., 1992, 1996)
Entwicklung psychiatrischer Störungsbilder (Depression, Alkoholismus, Suizidgedanken, -versuche) (Manley et al., 2000; Dinwiddie et al., 2000)
Entwicklungsrisiken bei vernachlässigten/misshandelten Kindern
sozio-ökonomische Belastungenjugendliche Müttersuchtmittelabhängige Eltern/psychisch kranke Elternvorhergehende Vernachlässigung/Misshandlung
Kumulation und Wechselwirkung von Risiken, die nicht durch Schutzfaktoren abgepuffert werden: chronische, schwerwiegende Überforderungssituationen
mangelnde/fehlende positive Beziehungsvorerfahrungen/ “emotionales Repertoire“: eingeschränkte elterliche Beziehungs- und Erziehungskompetenzen
(Kindler, 2007)
Risikoindikatoren für Vernachlässigung und Misshandlung
Lange bevor familiäre Situationen entgleisen und Kinder massiv gefährdet sind, haben viele Familien Kontakte mit Helfern aus unterschiedlichen institutionellen Zusammenhängen. Viele der tragischen Fälle, über die als Spitze des Eisberges in der Presse berichtet wird, beginnen mit früher Vernachlässigung. Hier wird die Notwendigkeit früher und rechtzeitiger Hilfen und Angebote deutlich.
Kindeswohlgefährdung
Die Ausgangssituation
Vernachlässigung als zentrales Risiko; Ziel: Sicherstellung von kindlichen Basisbedürfnissen
Vernetzung als zentrales Problem und Ansatz der Verbesserung
Familienbeziehungen insbesondere Feinfühligkeit in der Eltern-Kind-Interaktion als wichtiger familienbezogener Ansatzpunkt
Alle Kinder entwickeln im Verlaufe derersten beiden Lebensjahre eine intensive Gefühlsbindung (emotionaleBindung) an ihre Hauptbezugs-
person(en), in der Regel die Eltern, - auch, wenn diese das Kindmisshandeln/ vernachlässigen -sowie: Großeltern, Pflegeeltern, Erzieherin
Babys und Erwachsene sind dazu –von der Evolution - ausgerüstet:intuitives Kindverhalten
– Signale des Kindes Hilflosigkeit und tiefes Vertrauen
– Verhaltensweisen Schreien, Lächeln, Hinterherkrabbeln, die Erwachsene in seine Nähe bringen und dort halten
intuitives Elternverhalten
Entwicklung der Bindung: 4 Phasen1. Vorphase: Personen nicht-unterscheidende Ansprechbarkeit auf soziale Signale2. Personen-unterscheidende Ansprechbarkeit (5 -- 6 Monate)3. eigentliche personenspezifische Bindung(ab 7 -- 8 Monate, Höhepunkt 12 - 18 Monate)4. zielkorrigierte Partnerschaft(ab 3 Jahren): Kind passt sein Verhalten an die jeweilige Person und Situation an
Ethologische Bindungstheorie
Trennung, unvertraute Situation,
(körperliche, emotionale)Überforderung
Belastetheit, Verunsicherung,(Herzfrequenz-
Anstieg)
Entlastung, Interesse an Erkundung
(AbsinkenHerzfrequenz)
Bindungsperson
Biologische Grundlagen des Bindungssystems
Entwicklung vollzieht sich in Beziehungen -
Bindungspersonen können den Entwicklungsverlauf des Kindesentscheidend fördern oder hemmen
In der frühen Kindheit werden nahezualle Erfahrungen durch die Eltern vermittelt und gesteuert.
frühe Verhaltensprobleme und –störungen zeigen sich (zunächst) inder Beziehungsdynamik
- oft nur in Interaktion mit einemElternteil
- Verhalten des Kindes / Beziehungals „objektivierbare“ Quelle von Informationen
Bedeutung von Bindung für die Einschätzung und Abwägung von möglicher Entwicklungsgefährdung
„
There is no such a thingas a baby“
(Winnicott,1949)
emotionale Regulation – zentrale Besonderheit und Ziel früher Bindungsbeziehungen (Sroufe, 1996)
“emotionale Störungen“ Psychopathologie
- Problem in der Emotionsregulation und Beziehungsschwierigkeiten häufig überlappend
- frühe Beziehungserfahrungen als Vorläufer von psychopathologischer Entwicklung (Sroufe et al., 2000)
Entwicklungs- und beziehungsbezogene Perspektive von Psychopathologie
rasch ablaufende Reifungs-, Lern- und Anpassungsprozesse
Entwicklungsaufgabe: Regulation von Verhalten, emotionalen und physiologischen Erregungszuständen
„Entwicklungsaufgabe“ von Eltern: intuitive und kontinuierliche Regulation der wechselndenErregungsniveaus und der emotionalen Befindlichkeitdes Säuglings
dyadische Emotionsregulation (Sroufe, 1996)
Entwicklung in der frühen Kindheit
Entwicklungsalter Entwicklungskompetenzen Beziehungsregulationerste Lebenswochen Unbehagen und Wohlbefinden
signalisieren „Co-Regulation“(Signale müssen „gelesen“ werden)
erste Monate zunehmend größere Bandbreite von Gefühlen und Bedürfnissen signalisieren
elterliches intuitives /feinfühliges Verhalten
Ende erstes Lebensjahr Wünsche und Intentionen signalisieren (Arme ausstrecken, um hochgenommen zu werden, nach Bindungsperson rufen, wenn ängstlich)
„Secure Holding Framework“
zweites Lebensjahr zielgerichtetes Verhalten, aktiveBeteiligung am Regulationsprozess
zunehmendeund elterlich unterstützte
drittes Lebensjahr beginnende Selbstkontrolle, moderate Frustrationstoleranz, sekundäre Emotionen, wie Scham, Stolz und Schuldgefühle
Selbstregulation
automatisch, intuitives, Signalisieren
aktives, intentionales Signalisieren
Regulationsentwicklung im Beziehungskontext
kontinuierliche und stabileBeziehungen
emotional zuverlässige, erwartbare und sichereBeziehungen
Bindung als sichere Basis für Erkundung und Autonomie
Psychobiologische Regulation in der Bindungsbeziehung
Feinfühligkeit in der Bindungstheorie
- kindliche Signale undKommunikationen wahrnehmen, angemessen interpretieren und darauf reagieren sowie prompt reagieren
- Abstimmung des emotionalen Ausdrucksverhaltens
intuitives Elternverhalten
- spontanes, nicht gelerntes elterliches Verhalten, das komplementär den Fähigkeiten und Bedürfnissen des Säuglingsentspricht
- basiert nicht auf bewussten Handlungen der Eltern, sondernist unbewusst oder vorrational
Konzepte elterlicher Feinfühligkeit
sichere Basis – kindliches Verhalten / Hafern der Sicherheit – elterliches Verhalten
Regulationsentwicklung im Beziehungskontext
Selbstwirksamkeitserleben
keine adäquate Regulationshilfe
extrem negativer psychobiologischer Zustand, der relativ zu denEntwicklungskompetenzen eines Säuglings und Kleinkindes nicht bzw. unzureichend selber regulierbar (hochunsichere Bindung)
längerfristig unzureichende sozial-emotionale Erfahrungen
unzureichende/fehlende Fähigkeit, Neues, und damit auchstressvolle emotionale Erfahrungen zu verarbeiten und zu meistern
Bindungsperson als Quelle von Stress und Belastung
Trennung, unvertraute Situation,
(körperliche, emotionale)Überforderung
Belastetheit, Verunsicherung,(Herzfrequenz-
Anstieg)
Entlastung, Interesse an Erkundung
(AbsinkenHerzfrequenz)
Bindungsperson
Versagen der Bindungsperson als Quelle emotionaler Sicherheit und externe Hilfe zur Regulation
Kleinkinder: fehlende (Anpassungs-) Strategien (Desorganisation)- Strategien sicherer beziehungsweise unsicherer Bindung sind
durch Konfliktverhalten gegenüber der Bindungsperson überlagert starke Gehemmtheit in der Situation, körperliches Erstarrenüber mehrere Sekunden oder Furchtreaktionen („freezing“)
Zusammenbruch kindlicher Bewältigungsstrategien
ältere Kinder: Verhaltensstrategien ohne Anpassungswert - organisiertes Bindungsverhalten, stark auffällig undunangemessen kontrollierend gegenüber der Bindungsperson
übertrieben fürsorgliches Verhalten bis hin zur Rollenumkehrbestrafendes oder beschämendes Verhalten
entwicklungspsychopathologisch interpretierbar
Hochunsichere Bindung
dysfunktionales Verhalten: Unfähigkeit, das Kind in belastenden Situationen zu trösten / keine adäquate Regulationshilfe
negativ übergriffiges Verhalten, selbstbezogenes Verhaltendissoziatives oder zurückgezogenes Verhaltensich widersprechende affektive Kommunikation
hochunsicher-desorganisierte Bindung: Zusammenbruch der kindlichen Bewältigungsstrategien und der Fähigkeit, Gefühle flexibel zu regulieren
- Furcht vor / Furcht der Bindungsperson (direkte ängstigende Erfahrung vs. indirekte Auswirkung elterlicher traumatischer Beziehungserfahrung) „Fright without Solution“ (Konflikt zwischen Bedürfnis nach Sicherheit
durch die Bindungsperson und Furcht vor ihr (Main & Hesse, 1990)
•
Regulationsentwicklung im Beziehungskontext
Bindungsforschung
sichere unsichereBindung Bindung
ICD-10
hoch- Bindungs-unsichere störungenBindung
Bindungsstörungen – kinderpsychiatrische Klassifikation vs. entwicklungspsychologisches Bindungskonzept
kein persönlich bezogenes Bindungsverhalten
Verletzung der grundlegenden Organisation des Bindungssystems
- keine Nähe und Kontaktsuche zur Bindungsperson in belastenden, ängstigenden Situationen
DSM-IV (APA, 1994); ICD-10 (WHO, 2000)
Bindungsstörungen – konzeptuelle Überlegungen
Reaktive Bindungsstörung (F94.1)
Hemmung von Bindungsverhalten: keine Nähe- und Kontaktsuche bei einer Bezugsperson unter Belastung
Störung der sicheren Basis/destruktive Entgleisung einer etablierten Bindungsbeziehung
Bindungsstörung nach ICD-10
Reaktive Bindungsstörung (F94.1)
Hemmung von Bindungsverhalten: keine Nähe- und Kontaktsuche bei einer Bezugsperson unter Belastung
Störung der sicheren Basis/destruktive Entgleisung
Bindungsstörung mit Enthemmung (F94.2)
- relative Überaktivität des Bindungssystems
Unvermögen differenziertes Bindungsverhalten gegenüber einer Bezugsperson zu zeigen
keine exklusive Bezugsperson
Bindungsstörungen nach ICD-10
Zusammenhang mitFehlen einer exklusiven Bezugsperson
kein Zusammenhang mit Schwere der Deprivation; fehlender sozialer/kognitiver Anregung medizinische Versorgung andere Problemverhaltensweisen (antisoziales Verhalten; Enuresis)
(Wolkind, 1974; Tizard & Reese, 1975)
Bindungsstörung mit Enthemmung – Kernsymptome
hochunsichere Bindung / Bindungsstörungeneiner der wenigen Prädiktoren, der spätere Psychopathologie aus der frühen Kindheit in normalen Populationen voraussagt - aggressive und externalisierende
Verhaltensproblemen bei Vorschul- und jungen Schulkindern
- erhöhtes Risiko für internalisierende Verhaltensprobleme während Kindheit und Jugendalter
- auch dissoziativer Symptomatik im Jugendalter
gehäuft in Risikogruppen (Misshandlung,depressive Mütter, Mütter mit Suchterkrankung, Mütter mit Persönlichkeitsstörungen)
(Lyons-Ruth & Jacobwitz, 2008; (van IJzendoorn et al., 1999; Rutter et al., 2009; Carlson, 1998; Moss et al., 2004)
Bedeutung von Bindung für die Einschätzung und Abwägung von möglicher Entwicklungsgefährdung
mindestens in zwei Längsschnittstudien bestätigte Risikofaktoren für
Vernachlässigung / Misshandlung Erziehungsschwierigkeiten / Auffälligkeit Entwicklungsstand
Grobindikatoren der familiären sozialen Lage
niedriger BildungsstandArmut / Bezug von Sozialeinkommen
niedriger Bildungsstand
Lebenssituation der Familie
Partnerschaftsprobleme / -gewalthäufige Umzügesozial isoliert / wenig Unterstützung
Partnerschaftsprobleme / -gewalt
hohe Stressbelastung
Persönliche Voraussetzung von Mutter / Vater für die Bewältigung von Fürsorge und ErziehungMutter sehr jungMutter geringe IntelligenzMutter selbst Gefährdung erfahrenMutter / Vater als Kind in FremdunterbringungMutter geringes Selbstvertrauen
Mutter sehr jung
Mutter / Vater Broken Home
Mutter geringe BewältigungsfähigkeitenMutter / Vater strafrechtlich verurteilt
Psychische Gesundheit Mutter / Vater
Mutter psychisch auffälligMutter Anzeichen DepressionMutter impulsiv / aggressivMutter emotional instabil
Mutter psychisch auffälligMutter Anzeichen DepressionMutter impulsiv / aggressiv
Risikofaktoren für Vernachlässigung / Misshandlung sowie frühe Erziehungsschwierigkeiten und Entwicklungsauffälligkeiten (Kindler, 2011)
mindestens in zwei Längsschnittstudien bestätigte Risikofaktoren für
Vernachlässigung / Misshandlung Erziehungsschwierigkeiten / Auffälligkeit Entwicklungsstand
Haltung gegenüber Kind und Verhalten während der Schwangerschaft
Kind ungewollt, Mutter negativ über Kindlückenhafte VorsorgeuntersuchungenMutter unrealistische Erwartungen
Fürsorge- und Erziehungsanforderungen durch Kind oder Geschwistergeringes Geburtsgewichtschwieriges Kindmehrere jüngere Kinder in der Familie
Geringes Geburtsgewicht
Kind ist ein Junge
Beobachtbares Fürsorge- bzw. Erziehungsverhalten Mutter/ VaterMutter problematisches Fürsorgeverhalten Mutter problematisches Interaktionsverhalten
Mutter ungünstiges Bindungsmusterungünstiger HOME-Wert*
andere FaktorenFremdbetreuung von geringer Qualität
*HOME: Strukturiertes Verfahren zur Einschätzung der häuslichen Förder- und Erziehungsumgebung
Risikofaktoren für Vernachlässigung / Misshandlung sowie frühe Erziehungsschwierigkeiten und Entwicklungsauffälligkeiten (Kindler, 2011)
Risikofaktoren beeinflussen nicht per se die Entwicklung
sie sind vielmehr:
Risiko-Indikatoren für komplexere Risiko-MechanismenTrennung /Scheidung elterliche Konflikte /
dysfunktionales Verhalten(vorhergehende) Misshandlung geringe Impulskontrolle
- Identifizieren von Risikofaktoren: notwendiger erster Schritt
- Verstehen der Risikomechanismen: relevant für Hilfeplanung und Einschätzung des Risikopotentials: (Kumulation und Wechselwirkung; Chronizität, Schweregrad)
(Rutter, 2001; Deegener & Körner, 2011)
Risikoindikatoren für Vernachlässigung und Misshandlung
Ziele: Verbesserung der(Rückfall-)Prognose
risikoadjustierte Interventionsplanung
- empirisch abgesicherte Prädiktor-Verfahren: Risikofaktoren-Checklisten
- konsensus-basierte Entscheidungsmodelle (z.B. Baird & Wagner 2000)
Cave: Sensititivät u. Spezifität max. 70 %
keine absolute Handlungssicherheit
Risikoeinschätzung gemäß derzeitigem Kenntnisstand
es fehlen aussagekräftige und leicht einsetzbareVerfahren zur Risikoerkennung und –dokumentation(Kindler, 2008)
Einschätzung- der situativen, akuten Gefährdung- der Wahrscheinlichkeit einer möglichen
Entwicklungsgefährdung aufgrund vorliegender Risiken- des Verlaufs zur weiteren Entwicklungsprognose
Erkennen zugrunde liegender Risikomechanismen im Einzelfall
Standardisierte Erfassung empirisch belegter Risikoindikatoren
Beispiel: Instrument und Manual zur Einschätzung von Belastungsfaktoren und Ressourcen
www.eLearningFrueheHilfen.de
www.eLearningFrueheHilfen.de
87 CME-Punkte
Zum Vertiefen: E-Learning-Fortbildung Frühe Hilfen und Frühe Interventionen im Kinderschutz
Entwicklung gefördert durch das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren, Baden-Württemberg, bundesweiter, kostenfreier Betriebund weitere Evaluation gefördert von Optimus Foundation
Anna Freud: Im Kinderschutz geschieht entweder zu früh zu viel oder zu spät zu wenig
die Mehrzahl der Fälle von Kindesmisshandlungen spielen sich im Graubereich zwischen noch ausreichender Fürsorge und nicht mehr ausreichender Fürsorge ab
Thyen, Meysen & Dörries, 2010
Kindeswohlgefährdung und professionelles Handeln
Erste Gefährdungseinschätzung (bei Aufnahme einer Gefährdungsmeldung durch Dritte)
- Dringlichkeit (zeitnaher Kontakt zur Familie)
Sicherheitseinschätzung (Kontaktaufbau, Informationsgewinnung)
- Verbleib des Kindes in der Familie vs. erhebliche Gefährdung
Risikoeinschätzung als Grundlage für Entscheidungen über das weitere Vorgehen
- Abklärung von Verdachtsmomenten für Misshandlung, - Vernachlässigung, sexuellen Missbrauch (bei entsprechenden Hinweisen)
- Einschätzung elterlicher Erziehungs- und Beziehungsfähigkeiten- Einschätzung der Entwicklungsdefizite, Verhaltensauffälligkeiten und
Stärken von Kindern – - Einschätzung von Misshandlungs- und Vernachlässigungsrisiken
- Einschätzung der Ressourcen von Eltern bzw. Familien- Einschätzung der Veränderungsmotivation
(Kindler et al., 2006)
Aspekte und Phasen der Risikoabschätzung
Beziehungs-perspektive
Qualität bisheriger elterlicher Kompetenzen
Qualität gegenwärtiger elterlicher Kompetenzen: Interaktionsdiagnostik als empirisch erprobtes, aber bisher wenig systematisch genutztes Verfahren
Wissen über Entwicklung / Erziehungseinstellungen
Persönlichkeitsmerkmale und eigene Bindungsvorerfahrungen der Eltern
Ausmaß der Kindeswohlgefährdung
Qualität elterlicher Kompetenzen über die Zeit und unterStress
Risikoeinschätzung elterlicher Beziehungs- und Erziehungsfähigkeiten (Ostler & Ziegenhain, 2007)
Skala FeinfühligkeitAinsworth et
al. 1971
AMBIANCE (Bronfman et
al., 2009)
Emotional AvailabilityBiringen et al. 1993
CARE-IndexCrittenden 1988-2007
Dimensionen Eltern Eltern Eltern Kind Eltern Kind
Rating, 9-stufig
Rating, 7-stufig
Rating, 9- bzw. 5-stufig
Rating, 7-stufig
14-Punkte-Skala, relativer Anteil elterlicher bzw. kindlicher Komponenten
feinfühlig negativ intrusiv
feinfühlig responsiv feinfühlig kooperativ
Rollen-umkehr
strukturierend involvierend kontrollierend schwierig
widersprüch-lich affektive Signale
nicht intrusiv nicht responsiv zwanghaft überange-passt
desorientiert nicht feindselig passiv
zurückge-zogen
Ausmaß feinfühliger Wahrnehmung kindlicher Signale und Bedürfnisse / Abstimmung des emotionalen Ausdrucksverhaltens auf das Verhalten des Kindes
versus: Unfähigkeit, das Kind in belastenden Situationenzu tröstenübermäßig harsches / aggressives /bestrafendesVerhalten„dysfunktionales“ Verhalten*
negativ übergriffig
selbstbezogendissoziativ oder zurückgezogen
sich widersprechende affektive Kommunikation
dabei auch: Fähigkeit, sich auch über eine längeren Zeitraum hinweg adäquat zu verhalten („Good Enough Parenting“)
Qualität gegenwärtiger elterlicher Kompetenzen: Verhalten in alltäglicher Interaktion
* 3,7 mal häufiger desorganisierte Bindung; Metaanalyse 12 Studien, 851 Mutter-Kind-Dyaden; Madigan, Bakermans-Kranenburg et al., 2006)
„Die Chance der ersten Monate. Feinfühlige Eltern – gesunde Kinder“
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/ Psychotherapie, Universitätsklinikum Ulm, mit Förderung der Techniker-Krankenkasse Baden-Württemberg
Verhaltensbalance und Feinzeichen der Verhaltensregulationinformieren darüber- inwieweit das Kind in einer jeweiligen Interaktionssituation mit
seinen Regulationskompetenzen allein zurechtkommt oder- inwieweit es Hilfe und Unterstützung bei der Regulation seines
Verhaltens und seiner Gefühle braucht
Beobachtung dieser Feinzeichen unterstützt die Einschätzung inwieweit elterliches Verhalten auf die jeweiligen Zeichen von Offenheit und Belastetheit beim Kind abgestimmt ist
Passung als zentraler Aspekt der Bewertung
Feinzeichen von Offenheit und Belastetheit als Basis der Einschätzung elterlichen feinfühligen Verhaltens
Zeichen von Offenheit
Zeichen von Selbstregulation
Zeichen von Belastetheit
Feinzeichen (nach Als und Brazelton)
•Blickkontakt halten, Laute von sich geben, lächeln, leicht geöffneter•Mund
Feinzeichen von Offenheit
Instrument zur Beobachtung der Eltern-Kind-Interaktion, das einem Screening von kritischen Eltern-Kind-Beziehungen dient
! von einer Diagnose abzugrenzen mit der hier präsentierten Skala kann daher nicht beurteilt
werden, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt oder nicht
Hinweis auf die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung, auf die Einleitung weiterer diagnostischer Schritte und/oder weiteren Interventionsbedarf
Skala elterlicher Feinfühligkeit: Einschränkung in der Anwendung
Interpretationshinweise:
Grün bis hellgrün: aktuell kein Interventionsbedarf hinsichtlich der Eltern-Kind-Interaktion
Gelb: weitere Abklärung notwendig d.h. weiterführendes Elterngespräch, Elternberatung bei Bedarf
Orange: Interventionsbedarf notwendig, d.h. weitere diagnostische Abklärung und weitere Hilfen für die Familie notwendig
Rot: rascher Interventionsbedarf angezeigt zügige Einleitung von Hilfen notwendig
Skala elterlicher Feinfühligkeit
Verhaltensbereich VerhaltensausdruckGesichtsausdruck plötzlicher Beginn und Beendigung von
Lächeln/uneindeutiges, angedeutetes LächelnHände oder Gegenstände vor dem Gesicht, wenn im Blickkontakt mit der Bindungspersonausdruckslos, maskenhafteingefroren, wachsam (vigilant)Blickabwendung
Körperhaltung unbequeme Körperhaltung, steif oder regungslosabgehackte, ausfahrende Bewegungen
emotionale Gestimmtheit
hohe Erregung (arousal) verbunden mit Schweigen
fröhlich ohne erkennbaren Anlass mangelnde Freude, Angeregtheit
Aktivität/Spiel Tolerieren negativen oder harschen elterlichen Verhaltens ohne beobachtbare Reaktionmangelnde Initiativeverzögerte Verhaltensreaktionen
Verhaltensmarker nach Crittenden
www.eLearningFrueheHilfen.de
87 CME-Punkte
Zum Vertiefen: E-Learning-Fortbildung Frühe Hilfen und Frühe Interventionen im Kinderschutz
Entwicklung gefördert durch das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren, Baden-Württemberg, bundesweiter, kostenfreier Betriebund weitere Evaluation gefördert von Optimus Foundation
basierend auf Bindungstheorie; insbesondere entwickelt für die Beratung und Therapie von Familien mit psychosozialen Belastungen (jugendliche Mütter,Familien mit Frühgeborenen, Mütter mit postpartalerDepression)
Förderung elterlichen feinfühligen Verhaltens und flankierende Hilfen - Langzeit-Intervention (aufsuchend, Gruppensitzungen,
Schwangerschaft bis zweites Lebensjahr, Video-Feedback: „Seeing is Believing“)
Evaluation- Verbesserung feinfühligen Verhaltens bei Familien mit
psychosozialen Belastungen; positive Veränderungenin der Bindung beim Kind nur in einer Studie(Heinicke et al., 1998; 1999)
Steps Toward Effective, Enjoyable Parenting (STEEP; Erickson & Egeland, 2006; Kißgen & Suess, 2005; Ludwig-Körner & Derksen)
basierend auf Bindungstheorie, Entwicklungsmodell nachAls und Brazelton
Förderung elterlichen feinfühligen Verhaltens (Empathie, Perspektivenübernahme)Vermittlung von Ausdrucks-, Belastungs- und Bewältigungsverhaltensweisen von Säuglingen undKleinkindern - Kurzzeit-Intervention (aufsuchend, Video-Feedback („Sehen-Verstehen-Handeln“), ca. 6 -7 Termine)
- flexibel integrierbar in bestehende Hilfesysteme
Evaluation- Verbesserung feinfühligen Verhaltens bei jugendlichen
Müttern (verglichen mit jugendlichen Müttern in regulärer Jugendhilfe-Betreuung (TAU; Ziegenhain et al., 2004; Ziegenhain, 2008) sowie bei Müttern mit psychischerErkrankung, Mütter mit Migrationshintergrund, Mütter mit Frühgeborenen (Pillhofer et al., in press)
Entwicklungspsychologische Beratung (EPB; Ziegenhain, Fries, Bütow & Derksen, 2004)
Intervention
Video-Sequenzen gelungener Interaktion Video-Sequenzen nicht gelungener Interaktion Anwesenheit des Kindes
Videoaufnahme gemeinsamer
Interaktion
Entwicklungspsychologische Beratung
alle Kinder entwickeln im Verlauf des ersten Lebensjahres eineoder mehrere enge Bindungen zu nahe stehenden Bezugspersonen
- auch Kinder, die vernachlässigt / misshandelt werden (!) (seltene) Ausnahme: kognitiven Entwicklungsdefizite
massive Deprivationserfahrungen
individuell unterschiedliche Qualitäten / Strategien sichere und unsichere Bindungsstrategien (Normvarianten)hochunsichere Bindung (entwicklungspsychopathologisch diskutiert)
Bindungsstörungen: voll ausgebildete psychische Störung (ICD-10)
emotionale Verfügbarkeit der Bindungsperson insbesonderebei Belastung (z.B. Trennung, gestörte Kommunikation)
psychologische Sicherheit (Felt Security“) und Stressregulation („Guided Self-Regulation“)
körperliche Reaktionen (z.B. Cortisolausschüttung)
Fazit: Bindung gemäß entwicklungspsychologischer / entwicklungspsychopathologischer Auffassung
Beitrag der empirischen Bindungsforschung zum Verständnis der Dynamik von Beziehungsproblemen und Entwicklungsprognosen
- (nahezu) alle Kinder sind an ihre Eltern gebunden, unabhängig von deren kritischem/dysfunktionalen Verhalten; das bedeutet, sie leiden unter Trennung und sind im Umgang mit (zunächst) für sie fremden Menschen hoch belastet (sorgfältige Gestaltung von Übergängen / „Nebenwirkungen“ institutionell bedingter Beziehungswechsel, z.B. Bereitschaftspflege)
- (vordergründig) unauffälliges Verhalten bei Kindern erlaubt zunächst keine Rückschlüsse auf ihre tatsächliche mögliche Belastetheit(Cortisolausschüttung; „überangepasstes“ Verhalten)
- ebenso lässt das Ausmaß panischen, klammernden Verhaltens keine Rückschlüsse auf die Intensität einer Bindung zu (Cave: teilweise auch entwicklungskritisches Verhalten)
Fazit: Risikoeinschätzung bei Kindeswohlgefährdung
systematische Einschätzung elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenzen und dabei Interaktionsdiagnostik als Chance
- empirisch abgesicherte Beobachtungsverfahren (Reliabilität) - Einschätzung der „Beziehung“ („Passung“ versus getrennt
vorgenommene bzw. nicht aufeinander bezogene Einschätzung)- Erheblichkeitsschwelle?
Fazit: Risikoeinschätzung bei Kindeswohlgefährdung
„Es gibt keine großen Entdeckungenund Fortschritte, solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt.“
Albert Einstein* 1889 Ulm
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!