Die Kunst, ein Dorf zu bleiben · bleiben Ich finde es nach wie vor dörflich hier,...

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QUER DURCH KÖLN QUER DURCH KÖLN

Die Kunst, ein Dorf zuJunkersdorf wächst und wächst, wird immer jünger, legt aber nach wie vor Wert

VON RAPHAEL MARKERT

In einer humoristischen Hommage ansein Heimatveedel schreibt der Junkers-dorfer Schriftsteller Dieter Höss Anfangder 1960er-Jahre: Heute könne als Jun-kersdorfer gelten, „wer länger als zwölfJahre in Junkersdorf wohnt, wenigstensein Mitglied der Dorfgemeinschaft kenntund den Quadratmeterpreis für einGrundstück (aufgerundet auf hundert) imKopf hat.“ Es waren vielleicht Klischees,mit denen Höss gespielt hat. Ein feinesdörflichesViertel war Junkersdorf damalsaber gewiss. Und es konnte sich diesenCharakter bis heute bewahren – obwohlsich einiges verändert hat in den vergan-genen Jahrzehnten. Wo früher altehrwür-dige Einfamilienhäuser standen, schaffenheute Mehrfamilienhäuser Platz. Die Ein-wohnerzahl hat sich binnen der vergange-nen 30 Jahre fast verdoppelt, die Villenhaben das ein oder andere Facelifting er-halten. Die Mietpreise klettern weiter undweiter in die Höhe. Doch viele der Ein-wohner halten hier noch Zeiten am Leben,in denen man Junkersdorf tatsächlichnoch als „Dorf“ bezeichnen durfte.

Nirgendwo spürt man das besser als imJunkersdorfer Hof. In einer der letztenverbliebenen echten Dorfgaststättenschlägt das echte Herz des Veedels. AndenTischen und amTresen sitzen Männerund Frauen, essen, trinken Kölsch, reden,lachen. Jeder kennt jeden. Gerade hatPächterin Doris Weber hier mit ihren Gäs-

ten das 30-jährige Bestehen der Gaststättegefeiert. Die Zeit davor, in der ihr derJunkersdorfer Hof ebenfalls schon gehör-te, zählt sie nicht dazu. Ein Feuer hatte sei-nerzeit die Grundmauern niedergebrannt.Nach dem Wiederaufbau der Gaststättemachte Weber weiter. „Eine schwierigeZeit, aber ich habe es geschafft“, sagt dieWirtin. „Seitdem habe ich hier in Junkers-dorf schon viele kommen und gehen gese-hen.“ Wie ist er denn, der typische Junker-sdorfer? „Offen und direkt, aber er möch-te für sich bleiben“, sagt Weber. „Keinklassischer Großstädter eben.“

Wer neu nach Junkersdorf kommt, dermuss sich integrieren. Junkersdorfer Leit-kultur: Engagement in der Ortsgemein-

schaft. „Das Brauchtum ist hier sehr, sehrwichtig“, sagt Weber. Ein Zeugnis dafürliefert die 60 Jahre alte Kirmes im Ort.„Vom Arbeiter bis zum bekannten Sport-ler kommt da jeder“, sagt Claus Stumpf,Vorsitzender der Junkersdorfer Dorfge-meinschaft. „In Junkersdorf gibt es nichteinen, der in fünf Tagen nicht mindestenseinmal drüber geht.“

Stumpf hat als Ehrenpräsident der Gro-ßen Junkersdorfer Karnevalsgesellschaftdem Verein vor einigen Jahren einen re-

gelmäßigen Platz im Kölner Rosenmon-tagszug gesichert. „Dafür hat man in Jun-kersdorf das nötige Kleingeld. Und im-merhin sind wir die stärkste Karnevalsge-sellschaft im Kölner Westen“, sagtStumpf. Ohnehin mag man hier die Super-lative: Auch die Kirmes sei mit 60 Aus-stellern und pompösem Feuerwerk amEnde direkt nach der Deutzer Kirmes diegrößte in der Stadt. Immer am ersten Ok-toberwochenende feiern die Bewohnerden Jahrmarkt. Das Motto „Sehen und ge-sehen werden“ hat zumindest an diesenTagen kaum an Bedeutung verloren, er-zählen Ortsurgesteine. Heute wird dieKirmes auf einem großen Parkplatz aus-gerichtet, früher noch unter dutzendenprächtigen Bäumen in der Statthalterhof-allee. Doch weil auch die angrenzendeWiese bebaut worden war, musste die Kir-mes aus dem Grünzug umziehen.

Die Statthalterhofallee ist denkmalge-schützt – wie so vieles in Junkersdorf:weitere Alleen, eine charmante Siedlungim Bauhausstil und die alten Höfe, diehier neben alten Bauernhäusern das Orts-bild prägen. An lautes Hufgetrappel istman hier gewöhnt – der jahrhundertealteFronhof beherbergt einen Reitverein. Tei-le des Gutes mit seinen Pferdeställen hatHofbesitzer Moritz Wolff Metternich ver-mietet. Aber er selbst wohnt noch in derdenkmalgeschützten Anlage und küm-mert sich um deren Erhaltung. Dass seinHof noch immer für den dörflichen Cha-rakter des Veedels steht, weiß Metternich.

Der typische Junkersdorferist offen und direkt, aber ermöchte für sich bleiben

Doris Weber

auf das Brauchtum und ist stolz auf seine große Kirmes

Aber er ist froh, dass im Ort mittlerweileein Generationswechsel stattgefundenhat: „Früher war es hier noch langweili-ger als heute, auf den Straßen war ab demNachmittag manchmal gar nichts mehrlos“, sagt der Gutsbesitzer. „Heute lebenmehr junge Menschen hier, es ist nichtmehr so tot.“

Allerdings sind die Mieten im KölnerVergleich hoch, und viele Häuser kostenmehrere Millionen Euro. Den Junkers-dorfern beschert das rege Nachbarschaftzu Schriftstellern, Schauspielern, FC-Spielern und RTL-Moderatoren. Letztereleben quasi noch aus „Berufsgründen“hier, gehörte das Sendezentrum des Pri-vatsenders vor seinem Umzug nachDeutz doch zu Junkersdorf wie der Helio-sturm zu Ehrenfeld.

Und das Viertel wächst und wächstweiter. Davon zeugen mehrere Häuser,die auffallen im reichen Junkersdorf – umnicht zu sagen: Sie fallen aus dem Bild.Mehrere Plattenbauten kontrastieren amWiener Weg die Villen mit ihren schnee-weißen Fassaden, flachen Dächern undakkurat gepflegten Buchsbaumheckenam anderen Ende des Ortes.

„Die Hochhäuser wurden hier damalsgebaut, um der Eingemeindung zu Kölnzu entgehen. Man hat sich von derAnbin-dung nichts Gutes versprochen“, sagtAstrid Franzen, Vorsitzende der örtlichenBürgerinteressengemeinschaft. Durchden zusätzlich entstehenden Wohnraumhabe man sich erhofft, so groß zu werden,

dass es weiterhin zur Eigenständigkeitreichte. Doch daraus wurde nichts. In-zwischen haben sich die Junkersdorfermit ihrer Zugehörigkeit zu Köln abgefun-den.

Wenngleich es bei vielen Junkersdor-fern für lokalpatriotische Gefühle zurKöln maximal wegen der Nähe zumMüngersdorfer Stadion reicht. Hinterdem Haupteingang der FC-Spielstättespielen auf der Jahnwiese Väter in den

warmen Monaten Fußball mit ihren Kin-dern, im verschneiten Winter rodelnSchlittenfahrer einen kleinen Hang amRande der Wiese herunter.

Die Jahnwiese zählen die Junkersdor-fer insgeheim zu ihrem Ort – und dieMüngersdorfer lassen sie gewähren. Daswar auch so, als der Deutsche Fußball-bund vor sechs Jahren mit dem Gedankenspielte, ein Leistungszentrum auf derWiese zu errichten. Gut 11 000 Unter-schriften sammelte damals die Junker-sdorfer Bürgerinteressengemeinschaft,mehr als 1500 Bürger demonstrierten imströmenden Regen. „Hier war wirklichjeder mit auf den Beinen. Immerhin ver-bindet bei uns auch jeder was mit derJahnwiese“, erinnert sich Franzen.

Heute leben mehr jungeMenschen hier, es ist nichtmehr so tot

Moritz Wolff Metternich

bleiben

Ich finde es nach wie vor dörflich hier,aber man hat alles, was man braucht vorOrt. Mit dem Kind kann ich hier alsfrischgebackene Mutter auch ein paar

Kurse besuchen undgut spazieren gehen.Lästig ist aber dieSuche nach Kinder-

ärzten und Be-treuungsmög-lichkeiten.

MaritaWüllrich (38)

Der Durchgangsverkehr hier ist inzwi-schen enorm und sehr lästig. Auch sonstwird es urbaner hier, was aber auch sei-ne Vorteile hat. Dass gerade Neuzuzie-hende meinen, das Stadion müsse weg,finde ich gar nichtgut. Ich spazierefast jeden Tag dortund bin stolz aufunsere Nähe zumStadion.

GiselaKleefuß (81)

Es leben hier noch viele Alteingesesse-ne, und es ist auch abgesehen vom Park-notstand während der FC-Spiele relativruhig und sauber. Das liegt wohl auch

daran, dass hier sehr vielgut gestelltes Klientel

unterwegs ist. Wennhier mal etwas pas-siert, ist es gleich das

Ortsgespräch.

HenryLeutner (66)

Ich lebe schon länger hier und fühlemich sehr wohl. Die Leute sind freund-lich, die Stimmung ist gut, und es gibtnoch einige Geschäfte.Und für mich daswichtigste: Es istsehr ruhig. Ei-gentlich ist al-les schön anJunkersdorf.

GrazenaSocha (58)

DerVeedels-CheckIn der Serie „Veedels-Check“ stellen„Kölner Stadt-Anzeiger“ und „Kölni-sche Rundschau“ alle 86 Kölner Stadt-teile in Porträts vor. Diesen Porträtsging eine große, nicht-repräsentativeOnline-Umfrage vom 6. März bis 6.April voraus, in der wir Kölner gebetenhaben, ihren Stadtteil in verschiede-nen Kategorien zu bewerten. Die Er-gebnisse finden Sie links in der Rubrik„Veedels-Zeugnis“. Alle bisher veröf-fentlichten Ergebnisse und Stadtteil-Porträts, die nicht in Ihrem Zustellge-biet liegen, können Sie gebündelt aufunserer Internetseite nachlesen. (sbs)www.ksta.de/veedelscheck

V or rund 60 Jahren zeigten Aus-grabungen eines Archäologen:

Mehr als hundert Menschen müssenzwischen 440 und700 n. Chr. im heuti-gen Junkersdorf ge-lebt haben. UnterErzbischof Brunowurde Junkersdorf962 n. Chr. erstmals urkundlich er-wähnt. Sieben Herrensitze hattensich hier schon zuvor angesiedelt.Die auf den Höfen lebenden Ritterwurden „Junker“ genannt. Kam Jun-kersdorf so zu seinem Namen? „Bisheute ist ungeklärt, ob diese Versionstimmt oder eine Sage ist“, berichtetder Junkersdorfer Geschichtsexper-te Günther Fritsche. Er erklärt: Überviele Jahrhunderte blieb Junkersdorf

nahezu unangetastet, bevor der Ort1798 der späteren Gemeinde Löve-nich angegliedert wurde und erst

mit dem Stadionbauim heutigen Mün-gersdorf 1928 östlichum den Ortskern her-um wuchs. Nach demKrieg entwickelte

sich Junkersdorf zu einer eigenstän-digen Lövenicher Gemeinde. Ein Ge-meindebaurat brachte von einemUrlaub in Herrenchiemsee die Ideenach Hause, Grünzüge anzulegen –und so unter anderem die heutedenkmalgeschützte Statthalterhof-allee zu begrünen. Seit seiner Einge-meindung nach Köln 1975 wächstJunkersdorf stetig. Heute sind esrund 14 500 Einwohner. (ram)

So stolz viele Junkersdorfer auf ih-re Nähe zum Müngersdorfer Sta-

dion sind: Immer mehr Bewohnerklagen, dass das Anwohnerschutz-konzept der Stadt nicht funktio-niert. Eigentlich sollen Schrankenund Wächter verhindern, dass Fuß-ballfans im Junkersdorfer Wohnge-biet parken. Trotz-dem sind die schma-len Straßen währendder Spiele zugeparkt,die Rettungszufahr-ten blockiert, sagenAnwohner. Daran hätten auch dieneuen angeblich fälschungssicherenAnwohnerausweise nichts verän-dert. „Alle 14 Tage wird uns Anwoh-nern unsere Freiheit geraubt. Wirsind nicht gegen den Fußball, nur ge-

gen seine Begleiterscheinungen“,sagt Astrid Franzen, Vorsitzende derJunkersdorfer Bürgerinteressenge-meinschaft. Sie sieht Stadt und Ver-ein in der Pflicht, das Konzept zumSchutz der Anwohner auszuweiten.Die BIG ist es auch, die sich seit Jah-ren für mehr Schulplätze im Ort ein-

setzt. Aktuell hatJunkersdorf keineeinzige weiterfüh-rende Schule und nureine Grundschule.Längst wurde eine

zweite genehmigt, doch der Bau ver-zögert sich seit Jahren. Eine „kata-strophale Situation“, meint Franzen:„Es ist wirklich schön in Junkersdorf.Noch schöner wäre es, wenn die In-frastruktur vernünftig wäre.“

Sicherheit 2,1 (Platz 12 von 86)

Kirchtürme: 3

Kindergärten: 7Kneipen: 2

Einwohner: 14 529

Supermärkte: 2Alleen: 4

Fläche: 7,38 Kilometer

Erhaltene Höfe: 4

Erste urkundliche Erwähnung: 926

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www.ksta.de/veedelscheck

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Der Fronhof (l.) ist ein Junkersdorfer Schmuckstück, das Anwesen beherbergt auch einen Reitverein. Fotos: Raphael Markert

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Veedels-Veedels-MenschenMenschen

Wirtin Doris Weber (o.l.) mag ihr Dorf mit den vielen alten Bauernhäusern (oben Mitte). Astrid Franzen (u.l.) auf der Jahnwiese.Viel Natur gibt es imViertel (u.r.).

Veedels-Veedels-GeschichteGeschichte

Veedels-Veedels-BaustellenBaustellen

NEUEHRENFELD•NEUSTADT-NORD

•NEUSTADT-SÜD•NIEHL•NIPPES•OSSENDORF•OSTHEIM

•PESCH•POLL•PORZ•RADERBERG

•RADERTHAL•RATH/HEUMAR•RIEHL•RODENKIRCHEN•ROGGENDORF/THENHOVEN

•RONDORF•SEEBERG•STAMMHEIM

•SÜLZ•SÜRTH•URBACH

•VINGST•VOGELSANG•VOLKHOVEN/W

EILER•WAHN

•WAHNHEIDE•W

EIDEN•W

EIDENPESCH•W

EIß•WESTHOVEN

•WIDDERSDORF•W

ORRINGEN•ZOLLSTOCK

•ZÜNDORF

Nahverkehr 2,7 (56)

Gemeinschaftsgefühl 2,9 (39)

Einkaufsmöglichkeiten 2,7 (38)

Sauberkeit 2,2 (5)

Parkmöglichkeiten 2,9 (39)

Kinderfreundlichkeit 2,2 (40)

Gastronomie 2,9 (19)

Als Gesamtnote hat Junkersdorf die Note 2,3 erhalten. Das istPlatz 14 im Ranking aller 86 Veedel. 474 Kölner gaben in unsererUmfrage an, dass Junkersdorf ihr Lieblingsveedel ist. Junker-sdorf liegt damit auf Platz 18. Wie kölsch finden Sie Ihr Veedel?Da gaben die Junkersdorfer nur die Note 3.4 (Platz 47). Mit denGrünflächen ihres Stadtteils sind sie hingegen zufrieden: Dafürgab es die Note 2, was Platz 7 im Ranking der Veedel ist. Fürimmerhin 61.5 Prozent der Junkersdorfer kommt ein Umzug inein anderes Veedel nicht in Frage.

JUNKERSDORF