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7Einflusslinien

7.1 Grundregeln der Kinematik: Polplan

Trotz der Erfullung der Bedingungsgleichungen fur statisch (un)bestimmte Tragwerke(Abzahlkriterien A/B) kann es vorkommen, dass Stabwerksstrukturen kinematisch ver-schieblich sind (siehe Ausnahmefall der Statik). Dies ist dann der Fall, wenn Starrkorper-bewegungen des Gesamtsystems oder von Teilsystemen moglich sind.

Solche Tragwerke sind fur baupraktische Zwecke unbrauchbar und konnen mithilfe desPolplans erkannt werden. Man verwendet Polplane um die Verschiebungsfigur kinemati-scher Systeme zu ermitteln.

Ein kinematisches System ist durch einzelne starre Scheiben gekennzeichnet, die durchGelenke, sogenannte Nebenpole, verbunden sind.

Grundregeln zur Konstruktion eines Polplans:

1) Jede Scheibe dreht sich um ihren Hauptpol.

2) Ein festes Lager oder ein unverschiebliches Gelenklager ist der Hauptpol der an-schließenden Scheibe.

3) Der Hauptpol einer durch ein bewegliches Lager gestutzten Scheibe liegt auf einerGeraden senkrecht zur moglichen Bewegungsrichtung des Lagers.

4) Das Verbindungsgelenk zweier Scheiben ist deren gemeinsamer Nebenpol.

5) Der Nebenpol (i,j) liegt stets auf der Verbindungslinie der Hauptpole (i) und (j).

6) Die drei Nebenpole (i,j), (j,k) und (i,k) liegen stets auf einer Geraden.

7) Ein Pol liegt im Unendlichen, wenn seine geometrischen Orte parallele Geradenbilden: Parallelverschiebung des entsprechenden Polstrahls erlaubt!

79

80 KAPITEL 7: EINFLUSSLINIEN

8) Der Nebenpol eines Querkraftgelenks (Normalkraftgelenks) liegt im Unendlichensenkrecht zur moglichen Bewegungsrichtung, d.h. tangential (orthogonal) zur Sta-bachse am Ort des Gelenks.

Satz:

Lasst sich der Polplan widerspruchsfrei konstruieren, so ist das System kinematisch unddamit fur baustatische Zwecke unbrauchbar!

Beispiele:

( 1 ) , ( 2 )

I

I I

I

( 1 )

g ( 1 )

g ( 1 )

( 1 )

( 1 )

g ( 2 )

g ( 2 )

g ( 2 )

g ( 2 )

( 2 )

( 3 )

( 1 , 2 )( 2 , 3 )

( 1 , 3 )

I

I I

I

I I

I I I

( 1 )

( 1 , 2 )( 2 )

g ( 2 )

I

I I

8

( 1 , 2 )

8

N o r m a l k r a f t g e l e n k : N = 0

( 2 )

g ( 2 )

II I

( 1 )

( 2 )

( 1 , 2 )

Q u e r k r a f t g e l e n k : Q = 0

( 1 )

8

I

( 1 )

g ( 1 ) g ( 1 )g ( 1 )

I

g ( 1 )

I

I I

I

I I

g ( 2 )

( 2 )

( 1 , 2 )( 1 )

( 1 )( 2 )

( 1 , 2 )

k i n e m a t i s c h

7.1 Grundregeln der Kinematik: Polplan 81

( 2 )( 1 )

I I I

g ( 2 )

( 2 )

( 1 , 2 )

( 3 )( 1 )

I

I I

I I I

g ( 2 )

( 1 , 2 )( 2 , 3 )

I

I I

I I I

( 1 , 2 )

( 3 )

I I

I I I

I I

I I

( 1 , 2 )

( 2 )( 1 )g ( 1 )

g ( 1 )

( 1 )

( 2 , 3 )

( 2 )

( 2 , 3 )

8

( 2 , 3 )

8( 2 ) ( 3 )( 1 )

( 1 , 2 )

g ( 2 )

g ( 2 )

( 2 )

( 1 )

I I I

g ( 2 )

( 1 , 2 )

82 KAPITEL 7: EINFLUSSLINIEN

7.2 Merkmale von Einflusslinien

1) Die Einflusslinie (EL) beschreibt den Einfluss einer einzelnen Wanderlast der

Große ,,1“ mit variablem Angriffspunkt auf eine Zustandsgroße ausgewertet aneinem bestimmten Punkt des Systems.

2) EL konnen sowohl fur innere Schnittkrafte (M, Q, N) bzw. Auflagergroßen als auchfur Verschiebungsgroßen (u, w, ϕ, ΘT ) aufgestellt werden.

Hier: In Statik I beschranken wir uns auf Kraftgroßen (N, Q, M, A)

3) EL dienen fur die Ermittlung der ungunstigsten Lastfalle hinsichtlich einer bestimm-ten Kraftgroße.

4) Sie spielen somit eine entscheidende Rolle fur die Bemessung von Tragwerken, dadie Extremwerte der Schnittgroßen ermittelt werden.

5) Nicht mit Zustandslinien (N(x), Q(x), M(x)) verwechseln! Belastung ist nicht orts-fest!

6) Fur die Auswertung der EL sind die fur eine wandernde Einheitslast ermitteltenOrdinaten η mit den tatsachlichen Lastwerten zu multiplizieren und zu summieren.

Die Ordinate η der EL stellt den Wert der betreffenden Zustandsgroße im betrach-teten Punkt fur eine Einheitslast P=1 an der vorliegenden Ordinate dar.

Bei Streckenlasten q(x) erfolgt die Auswertung durch Integration des Produktes ausq(x) und der Einflussordinate η(x) uber die Belastungslange lq

(lq)

q(x) · η(x) dx

Beispiel: EL fur das Biegemoment Mr

x

r

h ( x )

q ( x )

P 1P 2

L F 1 :

L F 2 :

. . .. . .

" 1 "w a n d e r n d e

E i n z e l l a s t

+h 1

h 2

Auswertung:

Moment an der Stelle x=r fur LF 1:

Mr =

l∫

x=0

q(x) · η(x) dx

Moment an der Stelle x=r fur LF 2:

Mr = P1 · η1 + P2 · η2

7.3 Ermittlung der EL fur Kraftgrossen mit dem kinematischen Verfahren (Polplan) 83

7.3 Ermittlung der EL fur Kraftgrossen mit dem ki-

nematischen Verfahren (Polplan)

Satz:

Die EL ist die Biegelinie am (n-1)-fach statisch bestimmten System. Ist ein System statischbestimmt (n=0), so stellt die Biegelinie des kinematischen Systems (n-1 = 0-1 = -1) die ELdar. Da das Tragwerk keine Lasten aufnehmen kann und demzufolge keine Schnittgroßenauftreten, setzt sich die Biegelinie aus geraden Stabzugen zusammen (kinematischeKette).

Vorgehensweise:

a) Die zur Krafrtgroße (z.B. N, Q, M, Auflagerkraft) energetisch korrespondierende

Bindung losen.

W = M ·ϕ oder Kraft · Weg : M ⇔ gegenseitige Verdrehung

N, Q ⇔ gegenseitige Verschiebung

Auflagerkraft ⇔ Verschiebung

b) Eintragen der durch die geloste Bindung befreiten Schnittgroße in positiver Richtungals Doppelkraftgroße an beiden Schnittufern (Tragverhalten unverandert).

c) Ermittlung derjenigen (virtuellen) Verschiebungsfigur des Lastgurtes, fur wel-che die zur Kraftgroße korrespondierende Weggroße gerade den Wert ,,-1“ annimmt.

⇒ Die EL einer Kraftgroße entsteht als Verschiebungslinie des Lastgurtes in Richtungder Belastung.

84 KAPITEL 7: EINFLUSSLINIEN

Beispiele: gesucht: EL - Mr

A ( 1 )

. . .. . .

" 1 "

P q

M

r

( 2 )

( 1 , 2 )

B

I I Ih

a b

L a s t g u r t

ab

I I I

h m a xa + b

b=.a

= " 1 "j

E L - M r

c

a

a + ba + bb

-

+

a + bc.a

Biegemomentengelenk

gegenseitige Verdrehung: ∆ϕ = 1

Auswertung der Einflusslinie fur gegebene Belastung:

infolge q: Mr =

(lq)

q · η(x)dx = q

(lq)

η(x)dx

︸ ︷︷ ︸

= q ·1

2ηmax · b =

1

2· q ·

ab2

a + b

Flache des Dreiecks

infolge P: Mr = P · ηmax = P ·ab

a + b

7.3 Ermittlung der EL fur Kraftgrossen mit dem kinematischen Verfahren (Polplan) 85

Laststellung fur minimales Biegemoment:

Pq

Mr = P ·

(

−ac

a + b

)

+1

2· q ·

(

−ac

a + b

)

· c

= −P ·ac

a + b−

1

2· q ·

ac2

a + b

gesucht: EL - B:

A ( 1 )

B

I

. . .. . .

" 1 "

P 1 P 2

" 1 "h ( x )1

2

+

-

Auswertung der EL - B fur gegebene Belastung:

B = P1 ·1

2+ P2 · 1 Auflagerkraft

kinematische Eigenschaften:

• ELn fur Kraftgroßen statisch bestimmter Systeme setzen sich aus stuckweise geradenLinienzugen zusammen (kinematische Kette).

• Der Lastgurt jeder Scheibe verlauft daher geradlinig.

86 KAPITEL 7: EINFLUSSLINIEN

• ELn besitzen unter Hauptpolen → Nullpunkte

Nebenpolen → Knicke

• Es ist stets der in Richtung der Einheitslast korrespondierende Anteil der Weggroßezu berucksichtigen.

gesucht: EL - Qr:

( 1 )( 2 )

I

I I

I I I

I V

. . .. . .

" 1 "

( 1 , 4 ) ( 2 , 3 )

( 3 )

( 4 )

( 1 , 2 )

g ( 2 )

g ( 4 )

La

b

8

Q r

Q u e r k r a f t g e l e n k

L a s t g u r t

I VI I I I I

1

1

q

( 1 , 2 )

8

a + La

-

+

a + LL

j = a + L

1

g e g e n s e i t i g e

V e r s c h i e b u n g D w = 1

Aufgabenstellung:

1) Maßgebender Lastfall, wobei Qr maximal (positiv) wird fur eine Gleichlast q.

Qr =

(lq)

q · η(x)dx = q

(lq)

η(x)dx = q ·1

L

a + L· L

2) Maßgebender Lastfall, wobei Qr minimal (negativ) wird fur eine Gleichlast q.

Qr =

(lq)

q · η(x)dx = q ·a

a + L· b ·

1

2

7.3 Ermittlung der EL fur Kraftgrossen mit dem kinematischen Verfahren (Polplan) 87

gesucht: EL - N:

( 1 )

( 2 )

I

I II I I

I V

( 2 , 3 )

( 3 )

N o r m a l k r a f t g e l e n k

( 2 , 4 ). . .. . .

" 1 "

( 4 )

( 1 , 2 )

8

L a s t g u r t

" 1 "

a

" 1 " . s i n a

-

I I

h m a x

I V

" 1 " . s i n a

" 1 " . s i n a

q m a x

g e g e n s e i t i g e v e r t i k a l e

V e r s c h i e b u n g : D u = " 1 " s i n a.

-

I I I

Aufgabenstellung:

a) Wie groß darf eine uber den Lastgurt verteilte Gleichlast qmax maximal sein, so dass|N | ≤ 50 kN (Druck)?

|N | =

qmax|η(x)|dx ≤ 50 kN

b) Wie groß ist die maximale Druckkraft N fur eine gegebene Einzellast P:

N = P · ηmax