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Prof. Dr. Ulrich Kern FH Südwes*alen Campus Soest Sg Design-‐ und Projektmanagement
Modul: Designmanagement-‐Projekt 2
Eyetracking: Einführung in die Human Factors beim Konsum-‐ und Kaufverhalten
Reader Stand: April 2014
Modul: Designmanagement-‐Projekt 2 Eyetracking: Einführung in die Human Factors beim Konsum-‐ und Kaufverhalten Reader
Inhalt 1 Zu diesem Reader 2 Der Kauf-‐ und Entscheidungsprozess – komplexe
Herausforderung für das Hirn 3 Entlastungsstrategien: 4 x B
3.1 Bekanntes 3.2 Beziehungen 3.3 Begründungen 3.4 Belohnungen
4 Zusammenfassung – Bedeutung für Designmanagement
5 Literatur und Impressum
1 Prof. Dr. Ulrich Kern: Human Factors Kaufverhalten _ Reader _ April 2014
1 Zu diesem Reader Die Methode des Eyetrackings beim Konsum-‐ und Kaufverhalten von Kunden bezieht sich auf ein weites Themenfeld, das schon geraume Zeit im Fokus der Forschung steht.
Daher werden in diesem Reader bekannte Fragestellungen und Untersuchungsthesen zusammengestellt, die einen Überblick über den erreichten Erkenntnisstand geben.
Generell zu beachten ist die besondere Rela[on zwischen einer Untersuchungstechnik (Eyetracking) und den menschlichen Einflussfaktoren wie kogni[ve, emo[onale oder soziale Vorgänge Wertungen.
Diese menschlichen Faktoren (Human Factors) lassen sich empirisch nicht vollständig entschlüsseln, sondern nur mit Hilfe von Interpreta[on und qualita[ver Analyse grundsätzlich verstehen.
Es handelt sich also um ein Erkenntnisgebiet im Grenzverlauf von empirischer Analyse und hermeneu[scher Interpreta[on.
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2 Der Kauf-‐ und Entscheidungsprozess – komplexe Herausforderung für das Hirn
4 Prof. Dr. Ulrich Kern: Human Factors Kaufverhalten _ Reader _ April 2014
1 Zu diesem Reader Kaufen als Planungs-‐ und Entscheidungsvorgang ist ein komplexer Prozess: Das riesige Angebot an Waren, die hohe
Differenzierung innerhalb einer Produktgruppe und allein schon die Bewertung eines Produkts sind eine permanente Herausforderung für das menschliche Denkvermögen und das tägliche Konsumverhalten.
Es ist bekannt, dass die Konfronta[on mit großen Warenmengen und Wahlmöglichkeiten zwischen Konsumprodukten eine enorme Anstrengung für das Hirn darstellt. So wird z.B. Studierenden vom Shopping vor Prüfungen abgeraten!
Dazu kommt die Frage des Einkaufswertes und der Bedeutung von Einkaufsfehlern. Bei geringwer[gen Verbrauchsgütern (z.B. Zahnpasta) sind Fehlkäufe anders zu bewerten als bei hochpreisigen Gebrauchsgütern (z.B. Autos).
Experten unterscheiden daher unterschiedliches Einkaufsverhalten bei Kunden.
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AbsatzwirtschaL 10-‐2007 „Interessant ist ... eine Nielsen-‐Studie. Das MarkSorschungsinsTtut hat herausgefunden, dass es verschiedene Shopping-‐Mechanismen gibt. Der Verbraucher schaltet auf ´Auto-‐Pilot´, wenn er ohne viel nachzudenken einkauL. Shoppt er ´preisakTviert´, dann jagt er nach Schnäppchen. Und wenn er sich im ´buzzgesteuerten´ (Anm.: Buzz-‐Marke=ng ist eine Technik zur Erzeugung von Mundpropaganda) Modus befindet, reagiert er auf neue Impulse – also auch auf neue Verpackungen.“
Angesichts der Warenvielfalt und -‐komplexität ist es plausibel, dass der einkaufende Mensch nach Strategien sucht, um sich Produktbewertungs-‐ und Entscheidungsprozesse zu vereinfachen.
Ausgehend von dieser These werden im Folgenden vier Entlastungsstrategien für den Denkapparat des Konsumenten vorgestellt.
Die Formel 4 x B lautet: Bekanntes, Beziehungen, Begründungen, Belohnungen.
Die vier Entlastungsstrategien leiten sich aus den verschiedenen Einzelergebnissen wissenschahlicher Forschungsarbeit, z.B. mit Blickerfassungsmethoden, ab und interpre[eren diese summarisch.
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Kennzeichen der vier Entlastungsstrategien: Bekanntes
z.B. Kaufentscheidungen auf Vorwissen und Erfahrungen fundieren; S[chwort „Marke“
Beziehungen z.B. Sympathie der Ansprache durch einen Verkäufer, Glaubwürdigkeit (bekannter) Gesichter; S[chwort „Vertrauen“
Begründungen z.B. Kaufargumente wie Altruismus („guter Zweck“), Mehrwerte oder Preisvorteile („Verlosung“, „Eröffnungsangebot“ etc.); S[chwort „Werbebotschahen“
Belohnungen z.B. Einkäufe mit besonderen Vorteilen, wie Rabame, Schnäppchen, Ak[onen, Sale-‐Angebote; S[chwort „Schlüsselreize“
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Gemeinsame Grundlage der vier Strategien ist folgende Erkenntnis bzw. These: Kaufentscheidungen werden nur zum Teil ra[onal
getroffen. Die emo[onale Steuerung spielt aus
neurowissenschahlicher Sicht eine erhebliche Rolle.
Dies gilt auch bei Menschen, die glauben, auf „Kaufverführer“ nicht anzusprechen.
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Handelsbla\ 10-‐10-‐2002 „Der Ökonomie-‐Nobelpreis geht in diesem Jahr an zwei Amerikaner, die wenig vom Bild des stets streng raTonal abwägenden WirtschaLsteilnehmers halten. ... Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, das typisierende Menschenbild vom ´Homo Oeconomicus´, dem stets raTonal abwägenden Eigennutz-‐Maximierer, anzukratzen – und damit ein Fundament der geläufigen WirtschaLswissenschaL. Vernon Smith und Daniel Kahnemann sowie dessen 1996 verstorbener Wegbegleiter Amos Tversky haben die so genannten ´Behavioral Economics´ begründet. Diese Strömung versucht, die ökonomische Theorie um Erkenntnisse der Psychologie zu erweitern. ... Die Theoriebildung über systemaTsche Abweichungen menschlicher Urteilsprozesse von streng-‐raTonaler Logik zählt zum Grundfundus der Behavioral Economics, die das klassisch-‐ökonomische RaTonalitätsmodell herausfordert.“
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VDI Nachrichten 18-‐10-‐2002 „Zwar lässt sich mit diesen Modellannahmen (Anm.: Der Mensch handelt ra=onal und zu seinem Nutzen) trefflich arbeiten, doch dass das Wesen im wirklichen Leben nicht exisTert, ist unter Ökonomen unbestri\en. Ein rein raTonaler Verbraucher würde sich zum Beispiel nicht zu überstürzten Kaufentscheidungen hinreißen oder durch emoTonale Werbung beeinflussen lassen. Und würden nur egoisTsche MoTve eine Rolle spielen, dürLen Vertrauen, Rücksichtnahme oder SpendenbereitschaL nicht zu beobachten sein. ... So lassen wir uns täuschen ... Wahrnehmung von Preisvorteilen: Viele Kunden nehmen weite Wege in Kauf, um bei kleinen Einkäufen wie etwa Unterhosen ein paar Euro zu sparen. Bei großen Einkäufen (Waschmaschine) sind sie dazu nicht bereit, obwohl der Preisvorteil – ein paar Euro – derselbe wäre. Der Grund: Bei kleinen Preisen sehen 20 Cent Schnäppchenbonus größer als bei großen Preisen.“
3 Entlastungsstrategien: 4 x B
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Die vier Entlastungsstrategien sind nicht trennscharf. Etwas Bekanntes, z.B. eine Marke, beeinflusst um so mehr den Entscheidungsprozess, je mehr sie durch Beziehungen unterstützt wird, z.B. durch Empfehlungen aus dem Freundeskreis.
Um die Wirkung der einzelnen Strategien besser bewerten zu können, werden sie im Folgenden differenziert vorgestellt.
Die Strategien sind in ihrer Wirkung um so einflussreicher, je mehr Elemente der einzelnen Ansätze sie kombinieren.
S. nächstes Clipping: Etablierte Marken („Bekanntes“), auf die schon die Mumer schwor („Beziehungen“) und deren Produktvorteile („Begründungen“) bekannt sind! Würde eine dieser Marken als Ak[on („Belohnung“) angeboten, wären alle Entlastungsstrategien beim Kauf ak[v!
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Die Zeit 10-‐8-‐2000 „Meine Mu\er kauLe natürlich Palmolive, immer. Mu\er war Premium, mit billigem Spülmi\el durLe man ihr nicht kommen. Mu\er ha\e eine Miele-‐Waschmaschine, einen Liebherr-‐Kühlschrank, bei ihr war alles top. ... Mit meiner Mu\er ha\en sie es leichter. Sie war eine verläßliche KonsumenTn, aufs Erstklassige abonniert, an ihre Wäsche ließ sie nur Persil, an ihre Zähne Blendamed. Sie war empfänglich für eine Qualität, von der sie wußte, daß die ihren Preis ha\e.“
Entlastungsstrategie „Bekanntes“ Die Auswahl-‐ und Entscheidungsprozesse des
Käufers werden wesentlich entlastet, wenn sie auf bereits vorhandenes Wissen oder Erfahrungen mit Produkten zurückgreifen können.
Dies gilt zum Beispiel, wenn bereits eine Kundenbindung zu Marken besteht. Damit geht implizites kogni[ves Wissen einher und genauso Vertrauen als emo[onale Bindung.
Dies erklärt die hohe Amrak[vität von Marken für Kunden und deren Bedeutung für den Entscheidungsprozess.
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Handelsbla\ 13-‐11-‐2003 “Beim Kauf bekannter Markenprodukte setzt die VernunL einer Studie zufolge ein Stück weit aus. ... ´Vor allem der Kauf starker Marken läuL deutlich weiniger vernunLgesteuert ab´, sagt Deppe (Anm.: Neurophysiker Prof. Dr. Michael Deppe, Universität Münster). Der Radiologe Wolfram Schwindt ergänzt: ´Sobald starke Marken präsenTert wurden, kamen ganz andere Hirnmechanismen zur Wirkung.´ Hirnareale, die für die Verbindung von Gefühlen und affekTvem Handeln zuständig sind, waren darausin akTver. Auffällig sei dagegen die Drosselung mehrerer Hirnregionen, die primär der raTonalen Entscheidung dienten. ... ´Es sind Entscheidungen, die schnell getroffen werden. In solchen von Marken geprägten SituaTonen ist es weniger wichTg, wie teuer ein Produkt ist´, sagte der WirtschaLswissenschaLler Peter Kenning.“
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WirtschaLswoche 2-‐9-‐2004 „Menschen verhalten sich im GeschäL wie Analphabeten. Sie lesen weder Schilder noch Plakate, sondern orienTeren sich eher an Formen und Farben der Verpackungen sowie an Logos, die sie bereits kennen. Herausgefunden haben das Verhaltensforscher der briTschen Agentur ID Magasin mithilfe des Eye Markings (Anm.: Anderer Begriff für Eye Tracking). Dazu schickten sie Kunden mit einem Headset ausgerüstet in die Läden. Per Kamera hielten sie die Augenbewegungen und Wahrnehmungen der Testkäufer fest und analysierten anschließend in Tiefeninterviews, woran sich die Kunden angesichts der visuellen Reizüberflutungen überhaupt noch erinnern konnten.“
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AbsatzwirtschaL 5-‐2007 „86 Prozent der Deutschen bekennen, zu ihren Lieblingsmarken eine emoTonale und freundschaLliche Bindung zu haben. ... Dabei kommt es bei der Qualität der Produkte zum Schwur: 73 Prozent der deutschen machen ihr Vertrauen in eine Marke in erster Linie von der Qualität der Produkte abhängig. ... 62 Prozent der Deutschen erwarten, dass ein Unternehmen die Bedürfnisse der Kunden versteht, bevor sie der Marke ihr Vertrauen schenken.“
Entlastungsstrategie „Bekanntes“ Das Bekannte wirkt auch dann als
Entlastungsstrategie, wenn in der räumlichen Orien[erung der Kaufsitua[on ein Rückgriff auf eine verständliches Ordnungsschema starindet.
D.h. der Ladenausau kalkuliert die typischen Verhaltensweisen und Erwartungen der Käufer ein, z.B. Rechtsdrall im Supermarkt oder bequemes Auswahlverhalten in der Blickzone der Regale.
Andererseits kann gerade das Durchbrechen des Bekannten für Aufmerksamkeit sorgen, z.B. Stopper in der Wegeführung, Ak[onsflächen etc.
Hier haben Methoden der Blickerfassung und Kundenbeobachtung eine Menge an Einzelbefunden geliefert. Sie zeigen, wie sich Einkaufsstämen in ihrer ökonomischen Wirkung op[mieren lassen.
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Süddeutsche Zeitung 30-‐1-‐2012 „Mit immer ausgeklügelteren Systemen erfahren nun auch Ladenbetreiber, vor welchem Regal die Kunden besonders gerne verweilen und wo sie bloß schnell vorbeihuschen. ... Ob die AkTonsware günsTg platziert wurde, welches Regal es den Kunden besonders angetan ha\e – Fragen wie diese lassen damit (Anm.: Gemeint ist eine SoOware des US-‐Unternehmens ADT, die aus dem Gewusel der Kunden eine Heatmap erstellen kann) in Echtzeit beantworten. Dabei müssen in den GeschäLen meist keine aufwendigen Systeme installiert werden. Die SoLware kommt auch mit den Bildern zurecht, die sie aus den vorhandenen Videoüberwachungsanlagen bekommt.“
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Spiegel 5-‐2011 „Die meisten Kunden folgen … stur den auf den Boden gemalten Pfeilen, die sie auf Schlangenlinien durch den gesamten Laden schicken. Kaum jemand nimmt den direkten Weg zwischen den einzelnen Abteilungen … Die Erklärung: Die Abzweigungen … liegen geschickt außerhalb des Blickfelds eines geradeaus laufenden Menschen versteckt. … So läuL der normale Ikea-‐Besucher zunächst auch eine halbe Stunde durch einen Ausstellungsraum, bevor er in das eigentliche Kausaus gelangt. Währenddessen bekommt er suggeriert, dass ihm womöglich noch dieses Sofa fehlt oder jene Vase – ohne einen dieser Gegenstände auf Anhieb haben zu können. Die Erfüllung des Wunsches hinauszuzögern verstärkt ihn … Für Ikea zahlt sich diese Strategie aus: An der Kasse haben die meisten weit mehr Waren im Einkaufswagen als geplant.“
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TV Today 1-‐2013 „...70 Prozent aller Kaufentscheidungen treffen wir spontan – sehen, zugreifen, mitnehmen, ohne lange nachzudenken. `Wenn wir nur noch kauLen, was wir brauchen, würde morgen die WeltwirtschaL zusammenbrechen´, sagt der US-‐Supermarkt-‐Spezialist Paco Underhill. ... Die Forscher haben außerdem entdeckt, dass Kunden beim Gehen einen Rechtsdrall haben. Darum werden wir durch die meisten Supermärkte gegen den Uhrzeigersinn geführt. Das bremst, erhöht die Verweildauer im Laden, und wir shoppen mehr.“
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TV Today 1-‐2013 „Forscher wie er analysieren, was uns zum Impulskauf verleitet – etwa mithilfe von Eye-‐Tracking-‐Brillen, die Augenbewegungen von Kunden erfassen. Mit den Gläsern stellte man fest, dass unser Blick am längsten auf der rechten Regalseite verharrt, egal was es dort zu sehen gibt. Also platzieren gewieLe Händler dort die teure Ware, und zwar genau in Augenhöhe. Billigeres landet links unten in der sogenannten Bückzone...“
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SZ Wissen 14-‐2007 „Paco Underhill, der sich selbst einen Einzelhandels-‐Anthropologen nennt, ist einer derjenigen, die sich auf die Spuren dieser wunderlichen Wesen gemacht haben. Millionen Stunden haben er und die Spezialisten von Envirosell (Anm. Beratungsfirma für Kundenforschung) bereits Menschen in GeschäLen und Supermärkten verfolgt, befragt, gefilmt und kategorisiert. Aber noch sind längst nicht alle Verhaltensmuster erkannt. Kundenforschung scheint eine unendliche WissenschaL zu sein. … Die Erforschung des merkwürdigen Verhaltens kaufwilliger Kunden wird längst mit modernsten technischen Methoden betrieben.“
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Quelle: SZ Wissen 14-‐2007
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Entlastungsstrategie „Bekanntes“ Die Befunde zeigen: Kaufen ist weit mehr als ein
kogni[ver Auswahlprozess. Einbezogen sind alle Instanzen des Wahrnehmens, Fühlens und Denkens. Dies erklärt auch, dass Kausereitschah – jenseits des „Einkaufszemels“ – durch raumgestalterische Reize unterstützt wird.
So findet während des Auswahl-‐, Prüf-‐ und Entscheidungsprozesses eine intensive psychische Auseinandersetzung mit dem betreffenden Objekt stam.
In diesem unbewusst ablaufenden Vorgang entsteht die Erwartung des Kunden an das Produkt: Er kalkuliert im Schnelldurchgang den Produktnutzen und die Folgen für seine Befindlichkeit.
Dabei unterscheiden Experten unterschiedliche Typen von Käufern, deren Entscheidungsprozesse und die dabei präferierten Einkaufsstämen.
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Entlastungsstrategie „Beziehungen“ Der Mensch ist ein soziales Wesen. Daher
werden Kaufentscheidungen schneller getroffen, wenn Verkäufer als Berater und Vermimler eingesetzt werden.
Verkäufer stellen Beziehungen und persönliche Nähe her – je nach Verkaufstalent und Qualifika[on. Kunden fühlen sich so verpflichtet und setzen eher ihr Interesse in Kausereitschah um.
Dies zeigt sich z.B. beim Autokauf, wenn es also um rela[v hochpreisige Anschaffungen geht.
Aber auch im Business-‐to-‐Business-‐Geschäh werden Kundenbetreuer z.B. als Keyaccount-‐Manager eingesetzt, die neben den Sachargumenten für die persönliche Ansprache sorgen.
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VDI Nachrichten 29-‐11-‐2002 „Beispiele wie diese hat Peter Ristau (Anm. Vertriebsingenieur eines großen westdeutschen Werkzeugmaschinenherstellers) schon viele erlebt. Er weiß, dass seine Art ankommt. Behutsam geht er in die Gespräche, lässt sein Gegenüber reden und lenkt geschickt, indem er nachfragt und ehrliches Interesse zeigt. ‚Es muss Sympathie da sein, denn auch für ein dickes GeschäL kann ich mich nicht auf Knopfdruck verstellen.‘“
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Handelsbla\ 7-‐10-‐2011 „Die großen KosmeTkhersteller kämpfen um die Apotheker. Ihre Empfehlung an die Kunden soll auf den gesäygten deutschen Markt neuen Umsatz bringen. Das lockt neue Anbieter mit hoher WerbekraL. Davon dürLen die Apotheken profiTeren. ... Die Hersteller sind darauf angewiesen, dass die Pharmazeuten Kunden die ApothekenkosmeTk empfehlen. ... Die 21 000 Apotheken machen 39,9 Milliarden Euro Umsatz, davon 36,1 Milliarden mit Arzneimi\eln. Der Vertriebsweg hat eine Besonderheit: Die Beratung ist wichTger als anderswo. Die KosmeTk-‐Hersteller nennen das ´EmpfehlungsmarkeTng´.“
Entlastungsstrategie „Beziehungen“ Generell sorgen schon Fotos von Gesichtern für
Aufmerksamkeit und Interesse bei Kunden. Offenbar werden sie indirekt wie Empfehlungen wahrgenommen.
Auch Produkte, die Erinnerungen an soziale Bindungen und Emo[onen wecken, schaffen offenbar Vertrauen und wecken Kaufinteresse.
Die Ware wird dann sozusagen zum Stellvertreter im Beziehungsnetzwerk des Käufers.
Gleiches gilt bei der Selbstwahrnehmung des eigenen sozialen Status mit Hilfe von Produkten.
Es zeigt sich, dass der einzelne Akt des Kaufens immer eng vernetzt ist mit Gefühlen und Träumen, mit Assozia[onen und Projek[onen.
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AbsatzwirtschaL 12-‐2006 „EmoTonal angelegte Keyvisuals (Anm.: Visuelles Mo=v, das sich durch eine Werbekampagne hindurch zieht) wie der Schöfferhofer-‐Bauchnabel rufen tatsächlich eine starke AkTvierung in emoTonsassoziierten Regionen des Gehirns hervor, unabhängig davon, ob dem Konsumenten dies bewusst ist oder nicht. EmoTonen verbessern damit die Einspeicherung von InformaTonen in das Gedächtnis. So kann sich jeder Mensch besonders gut an solche Erlebnisse erinnern, die er mit starken Gefühlen verknüpL. Das Wecken von Gefühlen im Konsumenten ermöglicht so unter Umständen, dass Marken-‐ und WerbeinformaTonen leichter in das Gedächtnis eingespeichert werden. Damit sind emoTonal angelegte Keyvisuals raTonalen Schlüsselreizen klar überlegen.“
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Handelsbla\ 7-‐7-‐2009 „Im Sport-‐Fachhandel allerdings ist dieser Ansatz (Anm.: Gemeint ist Visual Merchandising) bisher eher die Ausnahme – viele Ladenbesitzer stopfen ihre Regale mit unansehnlichen Kartons voll und lassen die Kunden bei der Kaufentscheidung allein. ... Und gerade im Sporthandel gibt es noch Potenzial. Anders als beim Einkauf in einem Supermarkt verbinden die Kunden mit Sport-‐Produkten starke EmoTonen. Die Kaufentscheidung steht hier vor dem Eintri\ in den Laden meist noch nicht fest. Die Händler müssen sie deshalb richTg ansprechen: mit Gesichtern bekannter Athleten und speziellen DekoraTonen.“
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WirtschaLswoche 33-‐2009 „Im Laufe der Jahre ist die NeuromarkeTng-‐Forschung zu dem Schluss gekommen, dass die Erinnerung an ein Produkt das zuverlässigste Maß für die Wirkung der entsprechenden Werbung ist. Außerdem hängt die Erinnerung an das Produkt mit dem zukünLigen Kaufverhalten zusammen. Das heißt, wenn wir uns an 8x4 und Johnnie Walker erinnern, ist es um einiges wahrscheinlicher, dass sie wieder in unserem Einkaufskorb wandern. ... WissenschaLler haben festgestellt, dass eine Region im STrnlappenkortex, die als Brodmann-‐Areal 10 bezeichnet und akTviert wird, wenn wir Produkte erblicken, die wir ´echt cool´ finden (im Gegensatz zu einem Satz Kreuzschlüssel), mit Selbstwahrnehmung und sozialen EmoTonen zusammenhängt. Das heißt, dass wir bewusst oder unbewusst aufregende Dinge wie iPhones, Porsches und dergleichen hauptsächlich hinsichtlich ihres Potenzial beurteilen, unseren gesellschaLlichen Status zu erhöhen.“
Entlastungsstrategie „Begründungen“ Entlastend für das Käuferhirn wirken
Begründungen, die den Kauf mit besonderen Argumenten legi[mieren.
Hierzu gehören z.B. Argumente, die einen höheren Zweck (Wohltä[gkeit, Spende etc.) anführen. Der Käufer weiß, dass er etwas Gutes tut und bestä[gt sich in seiner sozialen Bindung (s. auch „Beziehungen“).
Hier wirken auch Argumente, die auf weiteren Nutzen jenseits des Gebrauchswertes verweisen, z.B. mit Verlosungen oder Eröffnungsangeboten („neue Rezeptur“, „mehr Inhalt“, „nur für kurze Zeit …“).
Kaufargumente liefern auch Botschahen wie „ohne Zusatzstoffe“, „ohne Gentechnik“ oder „glutenfrei“. Untersuchungen zeigen, dass Käufer zu Produkten „ohne …“ greifen, weil sie ihrer Familie und ihrer Gesundheit etwas Gutes tun wollen (s. auch „Beziehungen“).
Kaufentscheidungen können so schneller getroffen und abgesichert werden.
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Stern 41-‐2009 „Marken-‐Guru MarTn Lindstrom erforscht unermüdlich unser Kaufverhalten und berät Unternehmen. ... Was unterscheidet aus Ihrer Erfahrung die deutschen von amerikanischen Konsumenten? Die Deutschen sind detailverliebter und mögen es, wenn eine Geschichte die AuthenTzität eines Produktes unterstreicht. Die Amerikaner stehen auf Produkte, die laut und dominant daherkommen – sie achten mehr auf das Konzept eines Produktes als auf Details. Auch in Design-‐Fragen sind sie nicht so anspruchsvoll wie die Deutschen.“
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Der Spiegel 37-‐2008 „Wenn schon Urlaub unter freiem Himmel, dann 5-‐Sterne-‐Campinski. Geblieben ist der Drang nach Abenteuer in der Ära von NavigaTonssystemen und Satelliten-‐Handys, die aber kaum noch Nervenkitzel liefert. So verrät der Erfolg des Globetro\er-‐Imperiums mit seinen sechs Riesenfilialen in Kathedralengröße, einem boomenden VersandgeschäL und einem Rekordumsatz von aktuell 178 Millionen Euro auch und vor allem sehr viel über das Freizeitverhalten und die Psyche der Deutschen. Unser PerfekTonswahn in puncto Aussta\ung ist im Ausland berüchTgt. Wir wollen was erleben, aber bi\e perfekt organisiert und technisch mindestens K2-‐tauglich.“
Entlastungsstrategie „Belohnungen“ Bei dem Thema „Preis“ eines Produktes scheint
eine kogni[ve Bewertung besonders mühsam für Käufer zu sein. Sie lassen sich daher offenbar von Schlüsselreizen leiten.
Neurowissenschahler haben festgestellt, dass Kaufsignale wie „Rabam“, „Sale“, „Ak[on“ oder rote Preisschilder das Belohnungssystem im Hirn ak[vieren und Kaufimpulse auslösen – auch bei Menschen, die sich nicht beeinflussbar glauben.
Dabei muss der Preisvorteil noch nicht einmal nachvollziehbar sein. Sogar bei tatsächlichen Preisnachteilen reagieren viele Menschen mit einem Kaufimpuls – offenbar, weil sie den Zusammenhang „Rabam-‐Signal“ und „Preisvorteil“ verinnerlicht haben (s. auch „Bekanntes“).
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Gehirn & Geist 1+2-‐2009 „Ein maßgebliches ökonomisches Argument bleibt freilich der Preis. Würden Sie etwa für Ihre Lieblingsschokolade zehn Euro hinlegen? Wohl kaum. Aber vielleicht wären Sie nicht abgeneigt, einen besonders teuren Wein zu erstehen, um damit bei Ihren Freunden Eindruck zu schinden. Preise haben also zwei Seiten: Zum einen schmerzen sie, zum anderen gelten sie als Hinweis auf Qualität und steigern so den ideellen Wert des Produkt. ... Dass dabei der Preis unsere sinnliche Wahrnehmung regelrecht überlisten kann, demonstrierten Knutsons Stanforder Kollegen um Antonio Rangel 2008. Ihre Testpersonen lagen zur Weinprobe in der fMRT-‐Röhre (Anm.: funk=onelle Magnetresonanztomogrphie). Dabei wurde ihnen jedoch manch Billigwein als scheinbar nobler Cabernet Sauvignon angedreht. Und siehe da: Der vermeintlich kostbare Tropfen mundete vortrefflich. Auch der mediale orbitofrontale Kortex, der gute Erfahrungen rund um Geschmack, Geruch oder Musik abspeichert, feuerte dann besonders rege. Die sensorischen Areale zeigten dagegen keine vermehrte AkTvität – sie ha\en sich nicht täuschen lassen.“
Prof. Dr. Ulrich Kern: Human Factors Kaufverhalten _ Reader _ April 2014 47
Gehirn & Geist 1+2-‐2009 „Für Psychologen steht der vernünLige Marktakteur Homo Oeconomicus also weiterhin auf der Abschussliste. Ihre Beweise sammeln Gegner wie auch Anhänger dieses Modells vor allem in drei großen Bereichen: Da ist zum einen die ´Overconfidence´-‐Forschung, aus der hervorgehen soll, dass Menschen kleine Hochstapler sind und ihre Fähigkeiten notorisch überschätzen. Da ist zum andern die ´Endowment´-‐Forschung, nach der Menschen ihre Besitztümer für wertvoller halten, als sie es tatsächlich sind. Und da ist schließlich die ´Commitment´-‐Forschung, die auszuloten versucht, ab wann es irraTonal wird, an einem verlustreichen ökonomischen Projekt festzuhalten.“
Prof. Dr. Ulrich Kern: Human Factors Kaufverhalten _ Reader _ April 2014 48
NRZ 3-‐8-‐2007 „Bei der Einordnung von Preisen als Billig oder teuer liegen deutsche Verbraucher laut einer Studie besonders oL daneben. ... Der Lebensmi\elhändler Plus (Anm.: heute Penny) beispielsweise wird laut Unternehmensberatung (Anm.: OC&C Strategy Consultants, Düsseldorf) im Vergleich zum Konkurrenten Lidl als günsTger wahrgenommen, obwohl er in Wirklichkeit ein höheres Preisniveau habe. Die Berater machten dafür die massive Werbung mit den ´kleinen Preisen´ bei Plus verantwortlich. ... Ein ähnliches Resultat ergab der Vergleich der Elektrohändler Media Markt und Expert. Während Expert als teurerer Fachhändler wahrgenommen werde, gingen die Kunden bei Media Markt wegen der ´Saubillig´-‐Werbung von günsTgeren Preisen aus, hieß es von OC&C. In der Realität sei es genau umgekehrt: Die erhobenen Preise bei Media markt würden knapp 4% über dem Durchschni\spreis am Markt liegen, die von Expert gut 3% darunter.“
4 Zusammenfassung – Bedeutung für Designmanagement
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Das Kaufverhalten des modernen Kunden interessiert viele Disziplinen – neben Ökonomie z.B. auch Psychologie, Soziologie, Neurowissenschahen, ebenso Designmanagement.
Die Analysen zeigen, dass sich der moderne Kunde angesichts der enormen Warenfülle zu entlasten weiß. Er greih auf Erfahrungen (auch anderer Menschen) zurück und vereinfacht so seinen Auswahl-‐ und Entscheidungsprozess.
Designmanager/innen sollten diese Prozesse kennen und die Bedeutung der Human Factors für das Konsum-‐ und Kaufverhalten zu bewerten wissen.
Sie sollten empirische Methoden wie das Eyetracking für spezielle Fragen einzusetzen wissen und dabei die Rela[vität der Antworten einschätzen können.
Schließlich sollten sie Angebote für ihre Kunden entwickeln, die sich verantwortlich mit deren Erwartungen befassen und Erwartungen in Qualität und Leistung seriös erfüllen.
Prof. Dr. Ulrich Kern: Human Factors Kaufverhalten _ Reader _ April 2014 50 Prof. Dr. Ulrich Kern: Einführung Eye-‐Tracking _ Reader _ März 2014
5 Literatur und Impressum
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7 Literatur und Impressum
Paco Underhill: Warum kaufen wir? Campus 2012
Mar[n Lindstrom: Buyology – Warum wir kaufen, was wir kaufen. Campus 2009
Hans-‐Georg Häusel: Kauf mich! Wie wir zum Kaufen verführt werden. Haufe 2013
Prof. Dr. phil. Ulrich Kern h\p://www4.s-‐swf.de/de/home/ueber_uns/standorte/so/�_ma/dozenTnnen_2/profs_ma/kern/kern_1.php
Fachhochschule SüdwesSalen FB Maschinenbau – AutomaTsierungstechnik Studiengang Design-‐ und Projektmanagement 59494 Soest -‐ Lübecker Ring 2 info@ulrich-‐kern.de Modulskripte: h\p://www4.s-‐swf.de/de/home/ueber_uns/standorte/so/�_ma/dozenTnnen_2/profs_ma/kern/modulskripte/modulskripte_1.php
52 Prof. Dr. Ulrich Kern: Human Factors Kaufverhalten _ Reader _ April 2014