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Medienpraktische Blockwoche, Kurs Bewegung und Improvisation, Ulrike Gerdiken
I. Die Rhythmusbewegung
I.1. Ursprnge
Die Anfnge der modernen Rhythmusbewegung sind nach Gnther in den 90er Jahren des 19.
Jahrhunderts zu finden (Gnther 1971, S. 34 ff). Die Rhythmusbewegung entstand gleichzeitig
mit der deutschen Jugendbewegung, dem englischen Sport, dem Jazz und dem modernen Tanz
in Deutschland und in den USA als Reaktion und Protest gegen die hochtechnisierte, intellek
tualisierte und daher leibfeindliche Industriegesellschaft (vgl. auch Nohl 1963, S. 35 ff.)
Diese Bewegungen sind durchaus vergleichbar mit heutigen lebensreformatorischen Strmun
gen. Damals wie heute strebte man an, den Leib zu befreien und ihn mit neuem Bewutsein zu
erfllen. Die Befreiung der krperlich und seelisch "degenerierten Zeitgenossen" wurde vor allem
von den Vertreterinnen der amerikanischen Tanz und Krperkultur vorangetrieben, welche dann
auch die deutsche Rhythmusbewegung stark beeinfluten. Die rhythmische Bewegung wurde als
Einheit leibseelischer Vorgnge immer magebender fr die Frderung und Steigerung der Aus
drucksbewegung (Gnther, S. 35).
Der "geistige Vater" dieser Rhythmusbewegung war der Franzose Francois Delsarte (1811 1871). Er
hatte behauptet, da zwischen der seelischen und der krperlichen Bewegung exakt festellbare Be
ziehungen bestnden, und da jede Empfindung an einem ganz bestimmten Krperglied lokali
sierbar sei und durch eine ganz bestimmte Bewegung realisiert werden knne. Delsarte hatte, wie
Gnther untersucht hat, groen Einflu auf die Amerikanerinnen Isadora und Elizabeth Duncan,
Genevieve Stebbins und Bess Mensendieck, die eigene Bewegungssysteme schufen, auf die ich
hier nicht nher eingehen will.
Der Grundgedanke der krperlichen Befreiung durch die Besinnung auf die rhythmischen Bewe
gungsvorgnge hatte eine entscheidende Bedeutung fr die Weiterentwicklung der knstleri
schen Darstellung im Bereich des Ausdruckstanzes, der Expression Corporelle, der Pantomime, der
Oper und des Schauspiels. Gleichzeitig kann man die Ideen fr die krperliche Befreiung in direkten
Zusammenhang bringen mit z.B. dem therapeutischen Theater, das sich aus der Arbeit von Stanislaw
ski (vgl. Stanislawski 1958), Grotowski (vgl. Grotowski 1968) und Iljine (vgl. Iljine 1972) ent
wickelt hat sowie mit heutigen krperbezogenen Therapieverfahren wie z.B. der Bioenergetik (Lo
wen 1975), der Integrativen Bewegungstherapie (Petzold 1974) oder der Tanztherapie (Briner
1977).
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I.2. Die Rhythmusbewegung in Deutschland
In Deutschland entwickelten sich im wesentlichen zwei Hauptrichtungen:
Die eine Richtung wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Musiker
ziehung von dem Genfer Musikprofessor Emile JaquesDalcroze initiiert (vgl. JaquesDalcroze
1921). Dalcroze ging davon aus, da die musikalische Rhythmik lebendiger erlebt und nachvoll
zogen werden kann, wenn ihre Strukturen krperlich sichtbar werden. Er erkannte, da aus der
Wechselbeziehung zwischen musikalischem und krperlichem Rhythmus ein rhythmisches Be
wutsein erwacht, welches die Rezeption, Produktion und Reproduktion von Musik bereichert, ver
tieft und auch psychische und physische Krpervorgnge zu einem Ausgleich fhrt. Seiner Mei
nung nach war rhythmisches Empfinden eine Frage der Koordination von Bewegungen in bezug auf
(Muskel) Kraft, Raum und Zeit. ".... die Form der Bewegung ergibt sich aus der jeweiligen Kombi
nation von Muskelkraft, rumlicher Weite und zeitlicher Dauer" (JaquesDalcroze 1921, S. 51).
Dalcroze entwickelte fr das rhythmische Empfinden deswegen eine Krper und Bewegungsschu
lung, welche den Grundstein fr die Rhythmischmusikalische Erziehung bzw. die heutige Rhythmik
legte. Diese von ihm noch "rhythmische Gymnastik" genannte Methode stand ganz im Diens
te der Musikerziehung.
Dalcroze lehrte ab 1911 einige Jahre lang im "Rhythmischen Dorf Hellerau" bei Dresden (vgl.
Gnther 1971, S. 40). Obwohl seine Methode auch stark kritisiert wurde, weil das krperliche Realisie
ren von Notenwerten etwas Drillmiges an sich hatte, ging es ihm letztlich doch darum, ber die Mu
sik das krperliche und das geistige Tun zu rhythmisieren, d.h. durch Koordination zu einer Gestalt zu
bringen.
In der Folgezeit entwickelte sich die DalcrozeRichtung immer mehr von einer nur auf das Fach Musik
begrenzten Methode zu einem allgemeingltigen Arbeitsprinzip, bei welchem "Musik und Krper
als zwei Welten von gleich starker Eigengesetzlichkeit" angesehen wurden (vgl. Feudel 1974, S. 66).
Diese Weiterentwicklung wurde besonders von Dalcrozes Schlerin Elfriede Feudel vorangetrieben.
Sie bertrug die von Dalcroze formulierte Abhngigkeit des Rhythmus von (musikalischen) Zeit,
Raum, Kraft und Formverhltnissen ins allgemeine und entwickelte bungen, bei denen die Musik
ein Mittel zu dem Zwecke war, zeitliche, rumliche, krftemige und formgebende Verhltnisse zu
rhythmisieren. Diese Verhltnisse konnten sich auch auf auermusikalische Bereiche wie Bildende
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Kunst, Dichtung und alle Lebensvorgnge in der Natur beziehen (Feudel 1974, S. 67).
Schon Dalcroze hatte sich auch immer fr den heilpdagogischen Aspekt seiner Arbeit interes
siert. Er forderte fr die schulische Erziehung eine intensivere Erziehung der Sinne, besonders des Mus
kelsinns (kinsthetischer Sinn), der die Grundlage fr jedes Gefhl fr Rhythmus ist (vgl. Jaques
Dalcroze 1921, S. 63 f.). Er bezeichnete z.B. die "Arhythmie" als "Krankheit, die zumeist der
Unfhigkeit des Menschen, sich selber zu kontrollieren, oder aber einem berwiegen der intel
lektuellen Eigenschaften ber die nervsen Funktionen entspringt." "Eine einsichtig geleitete Erzie
hung mu in ihrer Gesamtheit jene Trieb, Schwung und Spannkrfte wiederentdecken, die den einge
borenen Rhythmus des einzelnen Menschen ausmachen. Weiterhin wird es ihre Aufgabe sein, die
spontanen Bewegungen zu ordnen, die unzweckmigen auszuschalten, ihrem Zusammen oder ihrem
Wechselspiel Ma und Harmonie zu geben" (S. 63).
Whrend Dalcroze hoffte, da der Tag kommen wrde, "wo auch die MusikHeilkur triumphieren"
werde (S. 71), baute seine Schlerin Mimi Scheiblauer seine Ideen zu einer weitgehend von der Be
wegung ausgehenden heilpdagogischen Arbeitsweise aus (vgl. Scheiblauer 1945 und Neikes 1969).
Es zeigt sich also, da die DalcrozeRichtung in ihrem Ursprung der Musiktherapie nahe steht, wel
che rhythmisch orientiert ist (z.B. Orff 1974), whrend Scheiblauer bereits mehr zur Bewe
gungstherapie tendiert.
Die andere Richtung innerhalb der deutschen Rhythmusbewegung ging von Anfang an vom krpe
rimmanenten Rhythmus aus, der sich auch ohne Musik bewegungsmig offenbaren kann (vgl. Gn
ther 1971, S. 48 ff.). Diese Richtung wurde 1913 von den sogenannten "Mnchner Rhythmusre
bellen" ins Leben gerufen, deren Hauptvertreter Ludwig Klages, Rudolf Bode, Rudolf von Laban,
Mary Wigman und Hans Brandenburg waren.
Rhythmus wurde als Phnomen gesehen, das nicht durch die Musik erfahren werden msse, son
dern das sowohl der Musik als auch der krperlichen Bewegung bergeordnet sei. Rhythmus sei Aus
druck des Lebens schlechthin. Gnther weist darauf hin, da hier Rhythmus als Mittel zur "aktivrevolu
tionren" Vernderung der brgerlichen Gesellschaft verstanden wurde, aber auch als "erlsendes kosmi
sches Phnomen" (S. 49). Der Mensch sollte fr das Phnomen des Rhythmus offen werden. Da dies
mglich sei, mte es auch einen krperimmanenten Rhythmus geben, der als Entsprechung des natur
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haften oder kosmischen Rhythmus geweckt werden knnte. Rhythmus sei kein "geistiges und willens
miges, sondern ein irrationales, krperhaftes Phnomen" (ibd. f.).
Abgesehen davon, da sich einige Vertreter dieser Richtung auf extreme Weise in mystischen Weltan
schauungen und spter auch nationalsozialistischen Denkweisen verirrten, die mit ihren Programmen
zur "Befreiung der deutschen Seele" und Huldigung "kosmischer Bildungsprinzipien" sowie einer
Zielsetzung wie die einer "rhythmisch durchwogten Kultgemeinschaft" (Bode 1922, zit. in Gnther
1971, S. 55) der Glaubwrdigkeit der Rhythmusbewegung sehr schadeten, so war es doch das Ver
dienst dieser Richtung, den krperimmanenten Rhythmus entdeckt zu haben, der als Ausdruck des
Lebendigen nicht von musikalischen Krftefeldern abhngig ist, sondern diesen eher entspricht.
Auerdem und dies ist in unserem Zusammenhang besonders wichtig legte man hier groen
Wert auf die Schulung der Sinne bzw. der Wahrnehmung (Elsa Gindler), auf Entspannungs
bungen und Ausdrucksgymnastik (Rudolf Bode), auf Atempflege durch "OrganGymnastik
(Heinrich Medau) und auf (musiklosen) Ausdruckstanz (Rudolf von Laban). Nicht zuletzt aus
der Arbeit Gindlers, einer Gymnastikerin, haben sich heute verschiedene krperbezogene Ver
fahren entwickelt wie z.B. das Sensory Awareness (Brooks 1974; Selver/Brooks 1974), die Eu
tonie (Alexander 1978) und die Konzentrative Bewegungstherapie (Meyer 1974; Stolze 1977;
Kirchmann 1978). Entspannungsbungen wurden weiterentwickelt zu Systemen wie z.B. die Funk
tionelle Entspannung (Fuchs 1974). Aus der Atempflege entwickelten sich weitere spezielle
Verfahren wie die von Schlaffhorst/Andersen (1955), Schaarschuch (1962), Middendorf (1969),
Schmitt (1966), HollervonderTrenck (1974) und Brne (1977) und aus der Ausdrucksgymnastik
und dem Ausdruckstanz sind heute Modelle fr Tanztherapien hervorgegangen (vgl. Briner 1977;
Willke 1978), bei denen sehr viel ohne Musik gearbeitet wird.
In der 1925 gegrndeten Rhythmikschule HellerauLaxenburg sowie im Deutschen Gymnastik
bund, der im selben Jahr entstand, wurde versucht, die Anstze Dalcrozes und seiner Nachfolger so
wie die von Laban, Bode, Gindler u.a. zu einer Synthese zu fhren. Die Synthese geschah in
Hellerau durch die Kombination der Fcher Rhythmische Gymnastik (Krperbildung), musika
lischrhythmische Erziehung, Tanz und Freier Tanz. Tnzerische, gymnastische und musikali
sche Erziehung bildeten eine Einheit (vgl. Gnther 1971, S. 61 ff.).
Von den hervorragenden Persnlichkeiten, die noch zur Rhythmusbewegung gehrten, seien noch Carl
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Orff und Rudolf Steiner genannt. Hofmarksrichter behauptet, da Orff den "Rckgriff auf elementare
Sprache, die Schaffung neuer Klangbilder und Klangfarben, (den) Weg einer rhythmischen Krperer
ziehung in ausdrucksbedingter Bewegung.... in der antiken Musike als einer Einheit von Sprache, Mu
sik, Bewegung und Gebrde (wiederentdeckt hat)" (Hofmarksrichter 1971, S. 118). Dies ist zwar
richtig, doch hatten auch andere Vertreter der Rhythmusbewegung diese Erkenntnisse. Im Unterschied
zu den anderen hatte Orff es allerdings verstanden, die allgemeinen Erkenntnisse in ein schulprakti
sches Konzept zu betten, welches auerordentlich praktikabel war. Sein berhmtes OrffInstrumen
tarium entwickelte er fr die GntherSchule fr Gymnastik und Tanz, welche 1924 in Mnchen von
der ehemaligen Mensendieckschlerin und Tanzpdagogin Dorothee Gnther und ihm selbst gegrndet
wurde. Seitdem hat das OrffInstrumentarium seinen festen Platz in der Rhythmik (vergl. Haselbach
1971, S. 139 ff.).
Auch die von Rudolf Steiner bereits 1912 entwickelte Eurhythmie stand durchaus im Zusam
menhang mit der damaligen Rhythmusbewegung (vgl. Gnther 1971, S. 51). Steiner befate
sich damit, in der Bewegung den geistigen Anteil des Menschen zur Erscheinung kommen zu
lassen (Steiner 1975, S. 10). Er schuf ein eigenes System, um "den inneren Menschen seelisch
(zu) erwecken, aufatmen (zu) lassen (und zu) kultivieren" (Klink 1971, S. 157). Die "LautEu
rhythmie" als sichtbare Sprache (Steiner 1968) und die "TonEurythmie" als sichtbarer Gesang
(Steiner 1975) basieren auf der Geisteshaltung der Anthroposophie und dienen sowohl pdago
gischen als auch heilpdagogischen Zwecken (Heileurythmie).
Die kurze Darstellung der verschiedenen Richtungen innerhalb der Rhythmusbewegung macht
verstndlich, da das Fach Rhythmik, welches heute an Musik(hoch)schulen, Pdagogischen
Hochschulen, Sozialfachhochschulen und an Universitten im Rahmen der Ausbildung zum
Sonderpdagogen gelehrt wird, ein Sammelbegriff fr verschiedene krper und musikbezoge
ne Erziehungsbereiche und Therapiefelder ist. Man kann dieses Fach sowohl als ein rein knst
lerisches mit den Schwerpunkten Ausdruckstanz, Freier Tanz, tradierter Tanz, Pantomime, etc.
verstehen, als auch als ein gymnastisches, atem und entspannungstherapeutisches oder ein mu
sikpdagogisches, musiktherapeutisches oder allgemein heilpdagogisches Fachgebiet.
Ob jeweils der pdagogische, heilpdagogische oder therapeutische Aspekt der Rhythmik zum
Tragen kommt und ob die Musikerziehung oder die Bewegungserziehung im Vordergrund steht,
hngt von der Ausbildung und der eigenen Schwerpunktsetzung des einzelnen Rhythmikers ab.
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I.2.1. Rhythmik und das Rhythmische Pr inzip
Da unter dem Begriff Rhythmik verschiedene Anstze und Richtungen zusammengefat sind,
fehlt bis heute eine theoretische Grundlage und Systematik. Konrad hlt es sogar fr ausgeschlossen,
eine solche verfassen zu knnen. "Weil die Heilpdagogik, die Musikpdagogik und die Allgemein
pdagogik mit unterschiedlichen Zielsetzungen arbeiten, halten wir es fr ausgeschlossen, eine
Theorie der Rhythmik zu verfassen, welche alle drei Bereiche, ihrer Bedeutung entsprechend, ein
schliet" (Konrad 1977, S. 3).
Es ist sicher richtig, da die Rhythmik ihren verschiedenen Anwendungsbereichen und Ttigkeitsfel
dern entsprechend unterschiedlich definiert werden mu. Diese Aufsplitterung rechtfertigt dann
aber kaum den Begriff Rhythmik.
Solange jeder Rhythmiker nur seinen Bereich sieht, wird nicht deutlich, was den gemeinsamen
Nenner aller Anstze ausmacht, die aus der Rhythmusbewegung hervorgegangen sind. Rhyth
mik ist zwar ein Fach, welches je nach Zielgruppe und Arbeitsfeld auf vielfltigste Weise theo
retisch und praktisch vermittelbar ist. Doch ist nach Feudel Rhythmik auch ein Prinzip (Feudel 1974,
S. 13), nach welchem oder auf welchem fuend auf vielfltige Weise gearbeitet werden kann. Nicht
die verschiedenen rhythmischen Arbeitsfelder knnen einheitlich und umfassend theoretisch begrn
det werden, sondern Ausgangspunkt einer Theorie mu das Rhythmische Prinzip sein, welches die
Grundlage aller Anstze darstellt.
Geht man nur von fachimmanenten Erklrungen dessen aus, was Rhythmik sein kann, so fehlt die Zu
sammenschau. Es ist hchst verwirrend, folgende Erklrungen zu erhalten:
Rhythmik ist eine Erziehung, "die von der Bewegung ausgeht und von der Musik oder auch vom
gesprochenen Wort untersttzt wird" (Scheiblauer 1945, zit. in Wolfgart 1971a, S.
76),
Rhythmik lt" (den Schler) ber die Klangwelt der Musik oder das gesprochene Wort und ber
Bewegungsablufe ... die ordnende Beeinflussung rhythmischer Strukturen und Formen"
erfahren (Zuckrigl 1972, S. 27),
Rhythmik strebt "die Auflockerung der Gesamtpersnlichkeit, die Befreiung von Hemmungen,
die Heraushebung aus der Starre und Stille" an (Hacker 1971, S. 138),
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Rhythmik will "Ganzheitlichkeit, Entspannung, Bildung (der Sinne und Begriffe), Freude"
erreichen (Trahndorff 1964, S. 74),
Rhythmik ist zu verstehen "als Mittel der Konzentrationsschulung, als Ausdrucksmittel, als
Mittel zur Aktivierung der Bewegungen und als gemeinschaftsfrderndes Erziehungs
mittel" (Wolfqart 1971a, S. 73),
Rhythmik strebt eine "Harmonisierung des psychophysischen Krftespiels" an (Behr 1971, S.
200) ,
Rhythmik ist "Sinnesbung und Meditation" (Hoellering 1976, zit. in Zuckrigl/Helbling 1976,
S. 9).
Wenngleich alle Zitate in sich auch stimmig sein mgen bzw. fr das Arbeitsfeld, auf welche sie
auch immer gerade bezogen sind, Gltigkeit haben, so bleibt doch offen, was das Phnomen des
Rhythmus z.B. mit dem psychophysischen Krftespiel und mit einer Befreiung von Hemmungen und
mit Gemeinschaftsfrderung und mit Freude und mit Meditation etc. zu tun hat. Denn Rhythmus ist
doch das, worauf sich alle Anstze beziehen.
Nicht zuletzt liegt das Dilemma auch darin, da der Begriff Rhythmus in verschiedenen Diszipli
nen Verwendung gefunden hat, z.B. in der Biologie, der Medizin, der Kybernetik, der Kunsttheorie
(vgl. Rthig, S. 11), und daher selbst uneinheitlich definiert wird. Rthig weist auch darauf hin,
da "der Grund fr die oftmals subjektive Auslegung des Phnomens ... darin gesehen werden
(mu), da man den Rhythmus in die Skala der sthetischen Begriffe einreihte. Dadurch wurden
mit dem Phnomen bestimmte Vorstellungen und Erlebnisse verbunden, die eine klare begriffli
che Aussage nahezu unmglich machten. Andererseits hat aber gerade die lebensphilosophi
sche Deutung, die den Rhythmus in unbewute und lebensunmittelbare Bezge verlagert, dazu
beigetragen, da eine begriffliche Prgnanz nicht hergestellt wurde" (Rthig , S. 12) .
Im nchsten Kapitel werde ich die in der Literatur als wesentlich erachteten phnomenologischen
Faktoren des Rhythmus darstellen, wobei ich mich auf die Untersuchungen Rthigs beziehe. Zu
diesen Faktoren gehrt auch um es schon vorwegnehmend zu sagen das Prinzip der Polaritt,
welches nach Wieser u.a. (vgl. Wieser 1978) magebend fr den "Grundrhythmus" ist. Aus diesem
Prinzip werde ich spter das Rhythmische Prinzip ableiten, welches wie ich meine die Mglich
keit bietet, die verschiedenen Anstze und Richtungen innerhalb der Rhythmusbewegung aus
einer bestimmten Perspektive in bezug auf den ihnen zugrunde liegenden gemeinsamen (rhythmi
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schen) Nenner zu begrnden und zu integrieren. Ich werde mich dabei nicht auf irgendein spezielles
Gebiet der heutigen Rhythmik beschrnken, sondern versuchen, die Integration der verschiedenen
pdagogischen und therapeutischen Anstze, deren Wurzeln in der Rhythmusbewegung liegen, durch
eine Betrachtung des Rhythmischen Prinzips zu ermglichen.
Ein Vorgehen nach dem Rhythmischen Prinzip ist wie ich zeigen werde multimodal und
multimedial. Es beinhaltet sowohl allgemeinpdagogische, heilpdagogische und therapeutische Ver
fahren als auch musikalische, bewegungs und krperbezogene, darstellerische, bildnerische und
sprachliche Inhalte.
Da ich nicht die Absicht habe, eine Theorie der Rhythmik zu entwickeln, sondern das Prinzip darstel
len mchte, welches in verschiedensten Bereichen innerhalb und auerhalb des Rhythmikunter
richts beobachtet werden kann, werde ich aus Grnden der Klarheit den Begriff Rhythmik im Fol
genden mglichst wenig verwenden.
Mit Rhythmik verbindet der Laie meistens die "rhythmischmusikalische Erziehung" (Feudel
1974) oder noch die "heilpdagogische Rhythmik" nach Scheiblauer (Neikes 1969). Um die
se Bereiche geht es hier jedoch nicht, obwohl beide im Sinne des Rhythmischen Prinzips hier "Ar
beitsprinzip" oder "bungsprinzip" (vgl. KrimmvonFischer 1974, S. 9 und Neikes 1969,
S. 11) funktionieren.
Es geht mir vielmehr darum, das Rhythmische Prinzip als anthropologische, philosophische und
psychologische Grundformel auf die hier vorgestellten rhythmischmusiktherapeutischen For
men und Mglichkeiten anzuwenden. Anders formuliert mchte ich das Schnittfeld von (Musik)
Pdagogik und (Musik)Therapie aus der Perspektive des Rhythmischen Prinzips betrachten und be
grnden.
Da sich das Rhythmische Prinzip wie ich zeigen werde auf das Verhltnis von Innen und Au
en, Selbstbestimmung und Anpassung, Wahrnehmung und Bewegung, analytische und ganz
heitliche Bewutseinsmodalitten, Raum und Zeit, Subjekt und Objekt, etc. bezieht, greift auch
die Betrachtung der Anwendungsmglichkeiten des Rhythmischen Prinzips im Schnittfeld von
Pdagogik und Therapie sehr weit hinein in die Bereiche z.B. der existentialistischphnomeno
logischen Philosophie, der Humanistischen Psychologie (z.B. Integrative Gestalttherapie) und
der pdagogischen Anthropologie.
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Da das Rhythmische immer auf Bewegungsvorgngen beruht und daher der Leib das Medium
ist, durch welches sich das Rhythmische Prinzip realisieren kann, beziehen die musiktherapeuti
schen Mglichkeiten auch immer krperbezogene Verfahren ein, die pdagogisch oder thera
peutisch das leibliche Erleben bzw. die Identittsfindung durch Schulung des Krperbewut
seins frdern. Ich weise bereits hier darauf hin, weil dieser Aspekt aus dem Buchtitel noch
nicht ersichtlich ist.
[...]
II. Theoretische Grundlagen
II.1. Das Rhythmische Prinzip
II.1.1. Der Polarittsgedanke
Fr das Verstndnis des Rhythmischen Prinzips ist eine Betrachtungsweise notwendig, welche
das dynamische Verhltnis polarer Beziehungen erhellt. Denn Rhythmus hat etwas zu tun mit
polaren Beziehungen. Dies bezieht sich besonders und gerade auch auf solche polaren Bezie
hungen wie die von Innen und Auen, Subjekt und Objekt (Wyss 1973; Waldenfels 1976), Kr
per und Seele (Reenp 1973) sowie Individuum und Umfeld (Lewin 1963; Petzold 1974). Des
halb werden wir den Fragen nach Bewutsein, Wahrnehmung und Bewegung (Ornstein 1976;
u.a.; Weizscker 1973) ebenso nachgehen mssen wie denen nach Raum und Zeit (Bollnow
1963; Uslar 1973; Payk 1979; u.a.).
Es drfte einleuchtend sein, da die ungeheuer vielgeschichtige Problematik dieses Vorgehens
hier nicht erschpfend dargestellt werden kann. Sie kann nur insoweit betrachtet werden, als es
zum Verstndnis des Rhythmischen Prinzips notwendig ist.
Begrifflich erfassen wir die Welt und ihre Erscheinungsformen in Form von Gegensatzpaaren. Diese
knnen nach Wieser "statischer" oder "dynamischer" Natur sein (Wieser 1978, S. 26):
statisch: warmkalt, groklein, vornhinten, TagNacht, morgengestern, NaturKultur, LustUn
lust und dynamisch (durch das Erleben der Erscheinungsqualitt der Beziehung von): hoch/tief,
rechts,/links, warm/kalt, etc....
Diese Gegenstze knnen als Krfte und Faktoren verstanden werden, die zueinander in einem po
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laren Verhltnis stehen. Der Gedanke der Polaritt wird oft gleichgesetzt mit dein Begriff des Dualis
mus (z.B. Stangl 1974, S. 18), doch haben beide eine verschiedene Bedeutung. Das dualistische
Denken spiegelt sich hier in der statischen, atomistischen Weltauffassung, nach der alle Dinge aus
selbstndigen Elementen bestehen und insofern im Grunde unvereinbare Gegenstze bilden (vgl.
March 1948). Das dualistische Denken geht davon aus, da zwei verschiedene, nicht zur Einheit
fhrbare Zustnde, Prinzipien, Denkweisen, etc. wie z.B, die Welt der Ideen und die Welt der Wirk
lichkeit, Natur und Geist, Seele und Leib, Sinnlichkeit und Verstand, Naturwissenschaft und Geistes
wissenschaft, u.a, nebeneinander bestehen (vgl. Schmidt 1969, S. 121). Besonders deutlich
zeigt sich dualistisches Denken in der Lehre vom "psychophysischen Parallelismus", die auf
Leibniz zurckgeht (vgl. Hartmann 1949, S. 35) und die besagt, da seelische und krperliche
Vorgnge genau bereinstimmen und ohne gegenseitige kausale Abhngigkeit voneinander par
allel nebeneinander ablaufen.
Der Polarittsgedanke dagegen spiegelt eine ganzheitliche (Wellek 1955), dialektische (Wellek;
Wein 1957) oder differenzierende (vgl. Perls 1978) Betrachtungsweise wider.
"Die ganzheitliche Methode ...betrachtet das Vorfindliche .... 'nicht fr sich', sondern im Hinblick
auf den 'ganzheitlichen' Zusammenhang, in dem es als Glied steht, und auf die Reprsentanten seiner
(des Ganzen) Zergliederung. In einem, wie etwa We11ek sich ausdrckt, dialektischen Vorgang ber
schreitet sich das Vorfindliche stets noch selbst und erhlt gerade aus dieser berschreitung seine
Bedeutung.... Gerade die Bedeutung, die das Phnomen als Glied in einem greren Ganzen erhlt
und die es als Ganzes fr seine Glieder hat, ist der Angelpunkt des Ganzheitsaspektes" (Hermann
1976, S. 632).
Perls geht davon aus, da Gegenstze durch Differenzierung von etwas nicht Differenziertem ent
stehen. Der Punkt, von welchem die Differenzierung ausgeht, nennt er "Nullpunkt" (Per1s 1978, S.
23). Die Gegenstze "zeigen in ihrem spezifischen Zusammenhang eine groe Affinitt zueinan
der" (S. 19), denn jedes Ereignis steht in Beziehung zu dem Nullpunkt, von welchem aus die Diffe
renzierung stattgefunden hat.
Polaritt und Hierarchie
Das Vorfindliche ist also einerseits Teil oder Element eines greren Ganzen bzw. Teil des gr
eren Spannungsfeldes polarer Wirkungskrfte und andererseits differenziert es sich als ein eigenes
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Ganzes in kleinere Glieder auf, die zueinander in einem polaren Verhltnis stehen. Beide Aspekte
werden besonders anschaulich in der philosophischen Grundhaltung des Holismus (vgl. Smuts
1926) und in der chinesischen Yin und YangPhilosophie (vgl. Granet 1963) ausgedrckt.
Nach dem Holismus verfgt das Ganze an sich ber spezifische, von den Einzelteilen verschiedenen
Eigenschaften. Die Prozesse der Einzelteile ordnen sich den Intentionen des Ganzen teleologisch
unter. Ein Holon ist z.B. ein lebendiger Organismus oder ein soziales Gefge, dem zwei kontrre po
lare Tendenzen innewohnen. Koestler (Koestler 1978, S. 71) spricht diesbezglich von einer "janus
kpfigen Ganzheit". Auf der einen Seite ist die integrative Tendenz, die bewirkt, da das Holon als
Teil eines bergeordneten Ganzen funktioniert. Auf der anderen Seite ist die selbstbehauptende
Tendenz, die die individuelle Autonomie bewahren hilft. Ein Holon ist damit also gleichzeitig
ein autonomes Ganzes und ein Teil eines greren Systems. "Die selbstbehauptende Tendenz ist der
dynamische Ausdruck der Ganzheit des Holons, die integrative Tendenz ist der dynamische Aus
druck seiner Teilheit" (Koestler 1978, S. 72).
Der Polarittsgedanke ist hier angewendet auf alle Stufen der Verhaltenshierarchien im Bereich
der belebten und der unbelebten Natur, im Bereich psychologischer und sozialer Systeme, bio
logischer und kultureller Evolution, d.h. auf alle Wirklichkeitsbereiche. "Kein Mensch ist eine Insel
jeder ist ein Holon. Nach innen blickend, erfhrt man sich als einzigartiges, autarkes und selbstn
diges Ganzes; nach auen blickend, erfhrt man sich als abhngigen Teil seiner natrlichen und so
zialen Umwelt. Unsere selbstbehauptende Tendenz ist die dynamische uerung unserer Individuali
tt; unsere integrative Tendenz drckt die Abhngigkeit vom greren Ganzen, unsere Teilheit aus.
Wenn alles in Ordnung ist, sind die beiden Tendenzen mehr oder weniger ausgeglichen. Unter Stre
und bei Frustration ist das Gleichgewicht gestrt, was sich in emotionalen Strungen uert" (S. 74).
Entscheidend ist hier der Aspekt des Ausgleichs zwischen den Tendenzen. Als januskpfige
Ganzheit sind wir im Gleichgewicht, wenn der autarke, selbstbehauptende und innengerichtete Aspekt
(die Ganzheit des Holons) und der abhngige, integrative und auengerichtete Aspekt (Teilheit des Ho
lons) in einer dynamisch flexiblen Wechselbeziehung stehen.
Der Holismus hebt die hierarchische Beziehung zwischen Teilheit und Ganzheit hervor: ein Ganzes
ist immer gleichzeitig wieder ein Teil eines umfassenderen Ganzen. Im chinesischen Yin/YangZei
chen wird dagegen die dynamisch flexible Wechselbeziehung zwischen den polaren Krften einer
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Ganzheit verdeutlicht. Der Holismus zeigt den Aspekt der Hierarchie, das YinYangZeichen symboli
siert die zugrunde liegende Polaritt.
Das Yin/Yangzeichen ist ein Ursymbol der Menschheit (Jacobi 1977, S. 24) und stellt die beiden
Enbleme Yin und Yang in ihrer Vereinigung durch das Ganze (TAO) dar:
Yang ist das Enblem fr die Verkrperung der lichtvollen, schpferischen, geistigen, mnnlichen Ur
kraft. Yin verkrpert das dunkle, empfangene, stoffliche, weibliche Prinzip. Beide Begriffe symboli
sieren "die erleuchtete und die dunkle ... Seite eines Berges oder Flusses" (I Ging 1973, S. 20).
Yin und Yang sind niemals als einfache Bezeichnungen fr antagonistische Gegebenheiten zu
verstehen, sondern als "Rubriken fr zwei gegenstzliche Symbolklassen" (Granet 1963, S.
93), welche konkrete Aspekte ausdrcken. Yin und Yang ist keine Antithese zweier Krfte,
zweier Substanzen oder Prinzipien, sondern eine Antithese zweier Enbleme, die auf alle ande
ren paarigen Enbleme hinweist (S. 92). "Der Gegensatz von Yin und Yang wird nicht (und
wurde niemals) als grundstzlicher und absoluter Gegensatz, vergleichbar dem von Sein und
Nichtsein, Gut und Bse, verstanden. Es ist vielmehr ein relativer Gegensatz rhythmischer
Art..." (S. 107).
Das Yin/YangZeichen darf also nicht im Sinne des dualistischen Denkens verstanden werden,
sondern ist Ausdruck eines ganzheitlichen Denkens. Yin und Yang sind Aspekte einer Einheit.
Die Einheit zeigt sich in der bergeordneten Gestalt, dem Tao. Das Tao lst den polaren Ge
gensatz jedoch nie auf: es bleibt "ein Kreisen in der Wandlung im Gleichgewicht zwischen Hell
und Dunkel" (Lauf 1976, S. 168). Die bewegte Einheit der sich gegenseitig bedingenden und
durchdringenden Antithesen und der Aspekt der Wandlung und des Wechsels im Sinne eines
Kreisens der Kreis ist ja ein Symbol fr das Ganze sind fr das Verstndnis des Yin/Yang
Zeichens entscheidend.
Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, da das Fach Rhythmik eine Zeitlang fr sich das
Yin/YangZeichen als Enblem benutzt hatte, um zu verdeutlichen, da die rhythmische Erziehung
die rhythmische Gestaltung der Welt der Gegenstze anstrebte. Wegen der Gefahr der Bezichtung
des mystischen Spinnertums wurde dann jedoch auf dieses Enblem verzichtet.
Auch Perls (1978, S. 28 ff.). versucht, die universelle Polaritt von Yin und Yang symbolisch
Frohne, Das Rhythmische Prinzip 12/20
Medienpraktische Blockwoche, Kurs Bewegung und Improvisation, Ulrike Gerdiken
darzustellen: als Faktoren, die sich voneinander entfernen. q ist Symbol fr die Bindefunktion oder
energie, # ist Symbol fr die spaltende, trennend Funktion. Damit hat Perls die verschiedenen
Aspekte der Wirklichkeit rhythmisch erfassen wollen. Er weist z.B, darauf hin, da q und # nie
fr sich getrennt betrachtet werden drfen. Aggression beinhalte immer auch ein Stck Bindefunk
tion, denn der Aggressor mu ja, bevor er den Feind vernichten knne, mit ihm Kontakt aufnehmen (S.
30). Weitere Beispiele fr Polaritten und polares Denken werde ich beschreiben im Zusammenhang
mit der Darstellung therapeutischer Aspekte des Rhythmischen Prinzips (vgl. S.93 ff. dieser Arbeit).
Ein weiteres Beispiel fr die Einheit in der Differenz gibt uns aber auch noch die Sprachfor
schung. In den ltesten uns bekannten Sprachen wurden Gegenstze wie gro klein, etc. durch die
gleichen Wurzeln ausgedrckt. So zeigt sich z.B. der antithetische Inhalt des lateinischen Urwortes "al
tus" in seinen beiden paradoxen Bedeutungen hoch oder tief. Schfer (Schfer 1968) konnte nach
weisen, da das Denken in solchen "SowohlalsauchBegriffen" seit etwa 2500 Jahren verloren
gegangen ist. Ein solches Denken zeigte sich in eben jenen Begriffen, die die Wirklichkeit
ganzheitlich in ihren verschiedenen, dem heutigen Denken paradox anmutenden Bedeutungen
ausdrcken. Auch Freud wies auf die antithetischen Urworte hin. Darberhinaus erkannte er als
erster die antithetische Bedeutung eines Traumes, nmlich "da ein Element des manifesten oder
erinnerten Traums, das ein Gegenteil zult, sowohl fr sich selbst als auch fr sein Gegenteil
sowie fr beide zugleich stehen kann" (Perls 1978, S. 22). Bei Jung und in den Therapieformen
der Humanistischen Psychologie hat der Traum entsprechend immer eine Subjektstufe (die
Traumelemente sind Teilaspekte des Trumers) und auch eine Objektstufe (die Traumelemente
stellen konkrete Personen und Dinge im Leben des Trumers dar) (vgl. auch Henne 1979, S. 79
ff.).
Im folgenden mchte ich die bisherigen berlegungen unter dem Aspekt der rhythmischen Be
wegung weiter vertiefen, um auf diese Weise das Rhythmische Prinzip zu veranschaulichen.
II. 1.2. Der polare Rhythmus
Nach Feudel (Feudel 1974, S. 134) entsteht ein Rhythmus dann, wenn polare Wirkungskrfte eines
Spannungsfeldes gestaltet werden. Ein Rhythmus ist dadurch gekennzeichnet, da zwischen den Po
len des Spannungsfeldes eine stndige Bewegung, ein Hin und Her, ein Auf und Ab, besteht, wobei
die eine Bewegung immer schon die andere vorbereitet und der eine Pol immer das Gegenstck zum
anderen ist (Stangl 1974, S. 17 ff.). Ohne Ebbe gibt es keine Flut und umgekehrt, ohne Einatmung
Frohne, Das Rhythmische Prinzip 13/20
Medienpraktische Blockwoche, Kurs Bewegung und Improvisation, Ulrike Gerdiken
gibt es keine Ausatmung und umgekehrt. Die polaren Krfte differenzieren sich aus dem Ganzen, aus
dem Nullpunkt und finden in ihm wieder ihren Ausgleich.
Rhythmus ist also eine dynamische Bewegung durch einen Nullpunkt, von welchem die Differenzie
rung ausgeht und in welchem sich die Gegenstze zugleich wieder verbinden. Der Nullpunkt ist ein
dynamischflexibles organismisches Gleichgewicht bzw. der rhythmische Ausgleich zwischen den
polaren Krften. Der Nullpunkt ist der scheinbar ruhende, in sich aber stndig bewegte Moment, in
welchem sich zwei gegenlufige Tendenzen treffen. Kkelhaus (Kkelhaus 1978, S. 125) hat diese
"Urform" am Beispiel des Badewasserstrudels veranschaulicht: "Der Strudel ist eine sich gegenlu
fig drehende Wasserschraube. Was nach unten drngt, mu ber einen untersten Nullzustand wie
bei einer Pendelschwingung wieder nach oben steigen." Unter dem Aspekt von Zeit und Bewutheit
werde ich spter auf diesen Nullpunkt zurckkommen (vgl. S. 52 ff. dieser Arbeit).
Diese rhythmische Urform verdeutlicht auch den Sinn des Yin/YangZeichens: "Wo immer sich der Zu
stand der Wandlung zwischen Tiefe und Hhe befindet, seine Gegenkraft wird bereits auf der anderen
Seite manifest und frdert Umkehr" (Lauf 1976, S. 168). Auch das "Kreisen in der Wandlung"
(S. 168) zwischen den Polen entspricht der Integration der gegenlufigen Bewegungen durch den Null
punkt. Es kommt jedoch noch der Aspekt der Steigerung hinzu.
Dieser andere Aspekt, da Ganzheiten mit gegenlufigen Tendenzen januskpfige Holone hierar
chisch angeordnet sind, wird ebenfalls am Wesen des Rhythmus erkennbar.
Ein Rhythmus besteht in der Integration zweier gegenlufiger Tendenzen. Der erreichte Zustand ist
jedoch schon wieder Pol eines neuen Spannunqsfeldes. Da die "WiederHolung des Ursprngli
chen" (Gnther 1976, S. 4), bzw. der rhythmischen Urform im Verlaufe der Zeit immer unter vern
derten Bedingungen und in neuen Feldern geschieht, kann auch nur hnliches entstehen. Der neue
Zustand hat hnlichkeit mit dem vorigen, weil er alles beinhaltet, was vorher war, aber auch noch
etwas neues, eine Variation aufzeigt.
Kkelhaus sieht in der Urform das im kybernetischen Sinn steuernde Muster fr unsere gesamte
Entwicklung, welches im embryonischen Wachstum des Organismus bereits kodifiziert ist (Kkel
haus 1978, S. 120, 126). Das Muster bleibt sich immer gleich, nur die Relationen der polaren Span
nungsfelder verndern sich. So ist ein einfacher Rhythmus z.B. der Atemrhythmus, ein umfassende
rer der von Wachen und Schlafen und ein noch umfassenderer der Rhythmus von Geborenwerden
Frohne, Das Rhythmische Prinzip 14/20
Medienpraktische Blockwoche, Kurs Bewegung und Improvisation, Ulrike Gerdiken
und Sterben. Jeder Rhythmus ist damit sowohl ein Ganzes fr sich als auch ein Teil eines umfassenderen
Ganzen (Polaritt und Hierarchie).
[...]
IV.2. Rhythmisch-therapeutische Erfahrungsfelder
In Anlehnung an die Feldtheorie (Lewin 1963), nach der "der Zustand jedes Teils des Feldes
von jedem anderen abhngt" und "das Verhalten.. .aus einer Gesamtheit der zugleich gegebenen Tatsa
chen abgeleitet werden (mu)" (S. 69) sowie in Anlehnung an den Polarittsgedanken in seinen be
schriebenen Aspekten bietet es sich an, rhythmischmusiktherapeutische Erfahrungsfelder und ebe
nen als Spannungsfelder zu verstehen, die die Einheit in der Differenz polarer Beziehungen betreffen.
Ein solches Spannungsfeld ist z.B. das Funktionsgefge "Figur und Hintergrund" oder "Innenfeld
und Auenfeld".
Je nach Betrachtungsweise kann die Beziehung zwischen Themen, die schwerpunktsmig mehr auf
das Individuum ("Innen") bezogen sind und Inhalten, die schwerpunktsmig mehr auf die Gruppe
und Umfeld ("Auen") bezogen sind, so verstanden werden, da im ersten Fall das Individuum bzw.
das Innenfeld die Figur und die Gruppe bzw. das Auenfeld den Hintergrund bildet, whrend im
zweiten Fall das Individuum den Hintergrund fr die Gruppenaktivitten bildet.
Dies bedeutet in anderen Worten, da smtliche Inhalte, die dem einen Pol zugeordnet sind, sich
gleichzeitig auch auf den anderen Pol beziehen. Es entstehen somit zwei Hauptfelder, die
schwerpunktsmig auf Innen oder Auenerfahrungen gerichtet sind, jedoch zueinander in ei
nem rhythmischen Wechselverhltnis stehen und sich ineinander verschrnken:
1. Innenfeld: Frderung der Selbstwahrnehmung, Sensibilisierung der Wahrnehmungsfhig
keit, des Orientierungsvermgens, Verbesserung und Entwicklung der Motorik im weites
ten Sinn, des Krperschemas, Schulung der Regressionsfhigkeit im Dienste des Ich, der
Handlungsbereitschaft und der Ausdrucksfhigkeit, etc.
2. Auenfeld: Frderung der Fremdwahrnehmung, des Einfhlungs und Abgrenzungsver
mgen, der Flexibilitt, der Reaktionsfhigkeit, der Kommunikations und Interaktionsfhig
keit, der kreativen Mitgestaltung von Gruppenaufgaben, etc.
Frohne, Das Rhythmische Prinzip 15/20
Medienpraktische Blockwoche, Kurs Bewegung und Improvisation, Ulrike Gerdiken
Die einzelnen Erfahrungsziele der rhythmischmusiktherapeutischen Anstze lassen sich folgender
maen in dieses Beziehungsgefge einordnen (vgl. auch Petzold/Berqer 1977; Frohne 1976):
Innenfeld Auenfeld
(Innen)Sensibilisierung(Auen) (Innen)Flexibilitt(Auen)
(Innen)Orientierung(Auen) (Innen)Kommunikation und Interaktion
(Auen)
(Innen)Expressivitt(Auen) (Innen)Phantasie und Kreativitt(Auen)
Bei der Sensibilisierunq geht es darum, die Wahrnehmungsfhigkeit im Sinne der beiden
Wahrrnehmungs und Erfahrungsmodalitten zu entwickeln. Prozesse der Konzentration und
Aufmerksamkeit, d.h. der inneren Sammlung und der Gerichtetheit auf Umweltreize sollen er
fahren und je nach Situation koordiniert werden. Die Sensibilisierung betrifft nicht nur die
fnf Hauptsinne und den kinsthetischen Sinn, sondern auch das innere Fhl und Vorstellungs
vermgen, welches psychomotorische Prozessen zugrunde liegt.
Bei der Orientierunq, sind die Wahrnehmungs und Erfahrungsprozesse auf die beiden Raum
ZeitBezugssysteme bezogen. Es soll bewut gemacht werden, welche Prozesse notwendig sind,
damit innere und uere Zeit, innerer und uerer Raum zu einem Ausgleich kommen. Angebote zur
Raumbewltigung in einer eingeteilten Zeit entwickeln einen Raumsinn und ein Zeitgefhl. Dies
ist die Grundlage fr unseren Realittskonsens. Wir mssen wissen, was gemeint ist, wenn wir
uns um Punkt 16 Uhr an einem bestimmten Ort verabreden. Angebote, die die Erlebniszeit und den
inneren Raum betreffen, sollen als Regression im Dienste des Ich dazu fhren, da wir uns nicht
selbst daran hindern, den Moment intensiv erleben zu knnen, wenn wir vor lauter Zeiteinteilung
Angst davor bekommen, nicht pnktlich am Ort der Verabredung zu sein. Auch bedeutet Orientie
rung, da wir lernen, nicht nur Raum und Zeit "in den Griff" zu bekommen, sondern uns auch der
Zeit und Raum gestaltenden Bewegung hingeben zu knnen und wachsam zu werden fr das, was
geschieht, wenn Raum und Zeitdimensionen auf uns wirken. Was wird empfunden, wenn in ei
nem leeren Raum ein Stuhl steht und was, wenn zu diesem Stuhl ein zweiter gestellt wird? Was wird
empfunden, wenn der Raum und die Sthle durch Herumwandern aus immer neuen Perspektiven
wahrgenommen werden?
Bei der Expressivitt soll das eigene Ausdrucksrepertoire entdeckt, erweitert und modifiziert
werden. Erfahrungen aus den vorigen Feldern und aus der eigenen Lebensgeschiche knnen hier
Frohne, Das Rhythmische Prinzip 16/20
Medienpraktische Blockwoche, Kurs Bewegung und Improvisation, Ulrike Gerdiken
mit Hilfe der Arbeit am Leib, Gerten und Musik ausgedrckt werden. Es geht darum, die eigenen
inneren Bewegungsvorgnge und vorstellungen auch uerlich sicht oder hrbar zu machen. Der
Aspekt der Wirkung des Ausdrucksverhaltens auf andere bleibt hier jedoch noch im Hintergrund der
Betrachtung. Aber das sich entwickelnde Vertrauen in die eigenen Fhigkeiten und Krfte weckt
natrlich ohnehin den Mut und die Neugierde, erfahren zu wollen, welche Wirkung man auf ande
re Menschen hat und welche Wirkungen deren Verhalten hat.
Die Flexibilitt ist in dieser Hinsicht eine Erweiterung und Ergnzung der Expressivitt. Es
geht hier um die Entwicklung des Vermgens, sich in den anderen einzufhlen, seinen Aus
druck, seine Gefhle, Stimmungen, Einstellungen und Verhaltensweisen nachempfinden und
mitvollziehen zu knnen. Es geht auch um die Fhigkeit, den Ausgleich zwischen der Bereit
schaft zu fhren und der Bereitschaft zu folgen zu finden, zwischen eigener Aktion und Reakti
on des anderen und darum, umschalten zu knnen, wenn sich die Bedingungen eines Span
nungsfeldes pltzlich verndern. Hier vollzieht sich der erste bewute Schritt von der Innenge
richtetheit, bei der das Auen nur Hintergrund ist, zum Wagnis, sich mit dem Auen einzulas
sen.
Bei der Kommunikation und Interaktion liegt der Schwerpunkt nun im direkten Kontakt mit dem
anderen. Hier werden soziale Erfahrungsfelder angeboten, in denen sich der einzelne in seinen Ver
haltensweisen, d.h. in seinen Aktionen und Reaktionen erfhrt. Es geht darum, Sinn und Wirkung der
kommunikativen und interaktionellen Verhaltensweisen erfahrbar zu machen, ohne diese jedoch nach
bestimmten Normen etwa " einben" oder zensieren zu wollen.
Die Phantasie und Kreativitt schlielich bezieht sich insbesondere auf Spiele im Gruppenverband,
bei denen der einzelne etwas Eigenes einbringt und mit der Gruppe zusammen weiterentwickelt bis
zum Gruppenkonsens. Dadurch bereichert er die Gruppe, gibt etwas von sich selbst, erhlt aber eben
so eine Anerkennung der eigenen Person und der eigenen Leistung durch die Gruppe. Hier findet ein
gesunder Ausgleich zwischen individuellen und kollektiven Bedrfnissen statt, eine rhythmische Ge
staltung der Polaritt Innen und Auen, Individuum und Gruppe, Eigeninitiative und Anpassung,
Geben und Nehmen sowie Eindruck und Ausdruck durch das Handeln. Alle Erfahrungen aus den vo
rigen Feldern kommen hier im kreativen Spiel, im Handeln im Hier und Jetzt zu einer Synthese.
Inwieweit bei einem innenfeldbezogenen Erfahrungsfeld der Auenbezug hervortritt, hngt sehr
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von der Situation und der momentanen Verfassung der Teilnehmer der Gruppe ab. Ist fr den einen
beispielsweise eine Tastbung bei geschlossenen Augen (Sensibilisierung) eindeutig eine Erfah
rung der eigenen Fhlfhigkeit, ein Erstaunen ber die Entdeckung der eigenen Sinne und somit
eine innenfeldbezogene Erfahrung, so mag bei einem anderen die Tastbung Grund sein, sich in
eine andere Person oder in einen Gegenstand einzufhlen (Flexibilitt) und entsprechend auf diese
oder den Gegenstand zu reagieren (Kommunikation und Interaktion) im Sinne einer auenfeld
bezogenen Erfahrung.
Die Zuordnung der einzelnen Erfahrungsinhalte zum innen oder Auenfeld stellt daher kein star
res Schema dar, sondern ist als Denkhilfe, als Mglichkeit einer didaktischen Gliederung zu verste
hen. Die einzelnen Erfahrungsangebote in den Innenfeld und Auenfeldbereichen sind ineinan
der verschrnkt und zeigen den jeweiligen Schwerpunkt des beabsichtigten Lernprozesses an.
Trotzdem knnen wie an anderer Stelle dargestellt (vgl. Frohne 1976) die sechs Erfahrungs
felder und deren Inhalte methodisch und didaktisch auch als ein System aufeinander aufbauen
der Lern oder Erfahrungsschritte verstanden werden. Dies wrde dann bedeuten, da Wahrneh
mungsangebote, die das sinnliche Erleben und Tun sowie das innere Fhlbewutsein entwickeln
(Sensibilisierung) und die Erweiterung und Einordnung von Raum und Zeiterfahrungen anstre
ben (Orientierung) die Voraussetzung wren fr die Freisetzung von Ausdrucksmglichkeiten
und den Abbau psychischer oder krperlicher Hemmmechanismen und Fixierungen (Expressivi
tt). Die so erreichte Stufe der IchIntegration wrde nun ,wiederum im bewuten Kontakt zum
Umfeld ein von Eigeninitiative und gesunder Anpassung, von Einfhlungsvermgen und Abgren
zungsfhigkeit geprgtes Verhalten ermglichen (Flexibilitt), welches notwendig ist fr tragfhige
zwischenmenschliche Kontakte (Kommunikation und Interaktion). Die Synthese aller vorausge
gangenen Erfahrungen und Reifeprozesse wrde sich dann darin zeigen, da innerhalb einer Grup
pe kreative, phantasievolle Aktivitten entstehen wrden, ohne da ein Mitglied der Gruppe ber
oder unterfordert, abgelehnt oder idealisiert oder selbst ausnutzend oder ausgenutzt wre.
Mit Hilfe eines solchen Aufbaus knnen lngere Lernerfahrungseinheiten oder auch einzelne
Schritte zur Erarbeitung eines Spannungsfeldes konzipiert werden. Auf welchen Selbst oder
Fremderfahrungsebenen man auch immer agiert, sicherlich wird man eher mit Angeboten begin
nen, die dem einzelnen Raum und Zeit geben, sich erst einmal selbst wahrzunehmen und den eige
nen Standort zu finden, bevor man ihn mit gruppendynamisch ausgerichteten Erfahrungsfeldern
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konfrontiert. Damit soll gesagt sein, da es nicht sinnvoll ist, jemanden zu zwingen, das Auenfeld
als Figur statt als Hintergrund zu sehen, wenn er noch nicht dazu bereit ist.
Es ist nicht notwendig, immer mit einer Sensibilisierung zu beginnen und sich schrittweise bis zu
Phantasie und Kreativittsangeboten vorzuarbeiten. Dies wre in der Praxis gar nicht mglich und
wrde im brigen nur dazu verfhren, sich an ein festes Schema zu klammern, was auf Kosten der
Lebendigkeit und Spontaneitt des therapeutisch orientierten Unterrichts ginge. Man sollte sich je
doch immer das Prinzip des ISO vergegenwrtigen, d.h. das Prinzip, dort anzusetzen, wo sich der
einzelne und die Gruppe entwicklungsmig in bezug auf die Gruppenfhigkeit befindet.
Hinsichtlich der Bezeichnung Erfahrungsfelder habe ich mich bewut von den in der Rhythmik
literatur blichen Bezeichnungen wie "Sinnesbungen", "Ordnungsbungen", Begriffsbildende
bungen", Kommunikationsbungen", etc. distanziert. Ich mchte nicht den Eindruck erwecken,
da es sich bei der Vermittlung der Inhalte nur um lerntheoretisch begrndete bende Verfahrens
weisen handelt, bei denen Verhalten eingebt wird. Rhythmischmusiktherapeutische Inhalte ver
folgen nicht ausschlielich Lernziele im Sinne einer behavioristisch orientierten Verhaltensmodi
fikation, deren Erfolge statistisch mebar sind. Bewutheit fr das Hier und Jetzt, die Gestal
tung des Leibes und der Bewegung in Raum und Zeit offenbart sich bei jedem Menschen an
ders. Das einzig gltige Lernziel ist daher, in einen stndigen Proze des Austausches und der
Bewegung zu kommen. Ich spreche eben deshalb von Erfahrungsfeldern, um die Richtung des
Prozesses, nicht aber ein bestimmtes Ziel anzudeuten. Auerdem mchte ich damit offen las
sen, ob in der benden, erlebniszentrierten oder soweit zulssig konfliktzentrierten Modalitt
verfahren wird.
Abgesehen von der Problematik der Einteilung von Inhalten in "bungsgruppen" (Krimmvon
Fischer 1974, S. 16) habe ich mich auch teilweise zu anderen Oberbegriffen und zu einer anderen
Systematisierung entschlossen.
Denn berall dort, wo man in der Rhythmikliteratur auf die Reihenfolge der bungsgruppen:
Ordnungsbungen
Sinnesbungen
Soziale bungen
Begriffsbildende bungen
Phantasiebungen (Krimmvon Fischer 1974, S. 16)
Frohne, Das Rhythmische Prinzip 19/20
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trifft, bleibt einem unerfahrenen Leser uneinsichtlich, warum diese Reihenfolge gewhlt wurde,
worin die Erziehung zum Rhythmischen besteht und welches der gemeinsame, auf dem Rhythmi
schen Prinzip beruhende Nenner aller dieser bungsgruppen ist.
Einige Aspekte scheinen nicht gengend reflektiert zu sein. Betrachtet man beispielsweise die
"Begriffsbildenden bungen", so wird erklrt, da nach der Maxime "erleben erkennen be
nennen" vorgegangen wird und da also das Erleben vor dem begrifflichen Denken stehen soll
(vg1, auch Feudel 1974, S. 67 f.). Daher stehen auch die "Sinnesbungen" vor den "Begriffsbil
denden bungen". Geht man jedoch davon aus, da wie schon beschrieben das "Erleben Er
kennen Benennen" kein einseitiger Proze sein soll, der sich aus dem Anschaulichen im Sinne
eines blo ganzheitlichen Modus zur einsamen Hhe des Begrifflichen im Sinne eines blo analy
tischen Modus herausentwickelt, sondern in jeder Stufe beide Modi zur bergreifenden Gestalt
des "Begreifens" integriert, dann lt die Unterscheidung in "Sinnesbungen" und "Begriffsbil
dende bungen" den Verdacht aufkommen, da dennoch dualistisch gedacht wird. Ich lehne
eine m.E. willkrliche Trennung der Sinnesfunktionen von den Denkfunktionen im pdagogi
schen Bereich ab, weil ich sie in jeder Stufe des "Erlebens Erkennens Benennens" ineinander
verschrnkt sehe. Ich habe versucht, die Erfahrungsinhalte so zu ordnen, da die verschiedenen
Aspekte der bergreifenden Gestalt das Spannungsfeld von Innen und Auen benannt werden.
Sensibilisierung umfat auch Sinnes und Begriffsbildene bungen; Orientierung umfat auch
die Ordnungsbungen und Begriffsbildenden bungen; Expressivitt umfat die Phantasiebun
gen der Rhythmik; Flexibilitt umfat sowohl Sinnesbungen, Ordnungsbungen als auchPhan
tasiebungen; Kommunikation und Interaktion umfat die sozialen bungen und die Phantasie
bungen; und Phantasie und Kreativitt umfat schlielich alle Erfahrungsinhalte und bungsan
gebote.
aus: Frohne, Isabelle: Das Rhythmische Prinzip. Grundlagen, Formen und Realistationsbeispiele
in Therapie und Pdagogik, Ss. 1219,2328,124129. Lilienthal 1981 (Layout bearbeitet, U.G.)
Frohne, Das Rhythmische Prinzip 20/20