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Gibt es einen absoluten Zufall in der Natur?

Johannes Kofler

Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) Garching bei München, Deutschland

Pro Scientia Sommerakademie Raabs an der Thaya, Österreich

8. Sept. 2016

Entwarnung

“Ich denke, ich kann getrost behaupten, dass niemand Quantenmechanik versteht.”

Richard Feynman (Physik-Nobelpreis 1965 für eine der

Formulierungen der Quantenmechanik)

Mechanik (16.–19. Jh.)

Lehre von der Bewegung von Körpern durch Kräfte

• Antike: Archimedes (Hebelgesetz, Auftrieb) • Um 1590: Galileo Galileis Fallexperimente • 1687: Isaac Newtons „Principia Mathematica“ Newtonsche Gesetze der Bewegung (F = m⋅a) &

Gravitationsgesetz → Keplersche Gesetze Jedes Teilchen hat stets einen definitiven Ort und eine

definitive Geschwindigkeit Determinismus („Laplacescher Dämon“)

Isaac Newton (1643–1727)

Stoßgesetze Aerodynamik Himmelsmechanik

Laplacescher Dämon

Pierre Simon Laplace (1749–1827)

„Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Universums als Folge eines früheren Zustandes ansehen und als Ursache des Zustandes, der danach kommt. Eine Intelligenz, die in einem gegebenen Augenblick alle Kräfte kennt, mit denen die Welt begabt ist, und die gegenwärtige Lage der Gebilde, die sie zusammensetzen, und die überdies umfassend genug wäre, diese Kenntnisse der Analyse zu unterwerfen, würde in der gleichen Formel die Bewegungen der größten Himmelskörper und die des leichtesten Atoms einbegreifen. Nichts wäre für sie ungewiss, Zukunft und Vergangenheit lägen klar vor ihren Augen.“

Essai philosophique sur les probabilités (1814)

Optik (17.–19. Jh.)

Lehre vom Sichtbaren

• Erste Linsen in der Antike: Assyrien, Ägypten, Babylon, Griechenland

• Erste Mikroskope und Teleskope um 1600 • Willebrord Snellius (Brechung) Christiaan Huygens (Wellen) Isaac Newton (Teilchen, Farbaufspaltung) Thomas Young (Interferenz) Augustin-Jean Fresnel (Beugung) etc. etc.

Brechung Beugung Reflexion

Christiaan Huygens (1629-1695)

Elektrizität & Magnetismus (17.–19. Jh.)

Lehre von elektrischen Ladungen und elektrischen und magnetischen Feldern

• Antike: Zitteraal, Bernstein („elektron“) • Otto von Guericke (Elektrisiermaschine, 1663) Benjamin Franklin (Blitzableiter, 1752) Luigi Galvani (zuckende Froschschenkel, 1780) Alessandro Volta (Batterie, 1799) Hans Christian Oersted (Strom-Kompassnadel, 1820) etc. etc. • 1864: James Clerk Maxwell: Elektromagnetismus

(Licht als Spezialfall), Maxwellsche Gleichungen

James Clerk Maxwell (1831–1879)

Elektrischer Strom Magnetfelder Elektrische Entladungen

Thermodynamik (19. Jh.)

Lehre von der Wärme und Umverteilung von Energie

• Sadi Carnot: Druck/Temperatur in Wärmekraftmaschinen • Julius Robert Mayer: Energieerhaltung (1. Hauptsatz) • Rudolf Clausius: 2. Hauptsatz (kein Perpetuum Mobile) • Um 1880: Ludwig Boltzmann: Entropie, statistische

Mechanik (Thermodynamik reduziert auf Mechanik) Exakte Berechnung statistischer Größen, zB. Druck und

Temperatur eines Gases; einzelne Teilchenorte und Teilchengeschwindigkeiten sind unbekannt

Phasenübergänge Wetter Dampfmaschine

Ludwig Blotzmann (1844–1906)

Relativitätstheorie (20. Jh.)

Theorie über Raum und Zeit und Gravitation

• Spezielle Relativitätstheorie (1905): Konstanz der Lichtgeschwindigkeit → schnell bewegte

Uhren gehen langsamer, schnell bewegte Maßstäbe werden kürzer, schnell bewegte Massen werden schwerer, E = m⋅c2

• Allgemeine Relativitätstheorie (1915): Relativitätsprinzip → Gravitation ist keine Kraft sondern

die Krümmung von Raum und Zeit durch Materie

Teilchenbeschleuniger Astronomie & Kosmologie Global Positioning System

Albert Einstein (1879–1955)

Klassische Physik

Mechanik, Optik, Elektromagnetismus, Thermodynamik und Relativitätstheorie

• Objekte haben stets definitive Eigenschaften • Die Welt läuft wie ein Uhrwerk ab (Determinismus und Kausalität) • Die Wahrscheinlichkeiten in der statistischen Physik ergeben sich nur

aufgrund von unserer Ignoranz • Im Prinzip ist alles vorherberechenbar (Reduktionismus)

Klassische Physik

Revolution in der Technik

Quantenmechanik (20. Jh.)

• 1900: Max Planck, Plancksches Strahlungsgesetz (Quantelung der Energieaufnahme/Abgabe)

• 1905: Albert Einstein, Erklärung des photoelektrischen Effekts (Lichtquanten)

• 1913: Niels Bohr, Bohrsches

Atommodell (stabile Bahnen und Quantensprünge)

• 1925/26: Werner Heisenberg &

Erwin Schrödinger: Quanten-mechanik, Schrödinger-Gleichung

Geschichte des Lichts

Christiaan Huygens (1629–1695)

Isaac Newton (1643–1727)

James Clerk Maxwell (1831–1879)

Albert Einstein (1879–1955)

Wellen Teilchen elektromagnetische Wellen

Quanten

Optik Elektromagnetismus Quantentheorie

Klassische Physik Quantenphysik

(ca. 30% des BIP der USA)

Revolution in der Technik

Der Zufall in der Natur

Klassischer Zufall (zB. Roulette, Wetter)

Quantenzufall (zB. radioaktiver Zerfall,

Photon am 50/50-Strahlteiler)

Zufall ist nur subjektiv im Prinzip alles vorherberechenbar

(deterministisches Chaos)

Vorhersage für das Einzelereignis vermutlich unmöglich Zufall damit objektiv

Photonen am Strahlteiler

50/50-Strahlteiler Detektor 1

Detektor 2

- Es klickt immer nur ein Detektor - Welcher Detektor im konkreten Fall klickt, kann nicht vorhergesagt werden - Quantenzustand (Wellenfunktion) beschreibt nur die Wahrscheinlichkeiten - Technologie: Quantum Random Number Generators

A

B

- Quantenzustand: Superposition (Überlagerung) aus Weg A und Weg B - Wahrscheinlichkeitsamplituden interferieren

50/50

einzelne Photonen

Mach-Zehnder-Interferometer

Das Doppelspalt-Experiment

Bilder: http://www.blacklightpower.com/theory/DoubleSlit.shtml

Teilchen (zB. Sandkörner)

Wellen (zB. Schall, Wasser)

Klassische Physik Quantenphysik

Quanten (Photonen, Elektronen, Atome, Moleküle, …)

Welle-Teilchen-Dualismus Superposition: |linker Spalt⟩ + |rechter Spalt⟩

Makroskopische Superpositionen

Möglich? Oder unmöglich?

Kollaps der Wellenfunktion

• Quantenmechanische Superposition: Überlagerungszustand verschiedener Möglichkeiten

• Beispiele: |zerfallen⟩ + |nicht zerfallen⟩ beim radioaktiven Atom

|linker Spalt⟩ + |rechter Spalt⟩ beim Doppelspalt-Experiment

|transmittiert⟩ + |reflektiert⟩ beim Photon am Strahlteiler

• Eine Messung kollabiert den Zustand (die Wellenfunktion) irreversibel und in eine der beiden Möglichkeiten; Messungen schaffen Fakten

• Orthodoxe Interpretation: Einzelereignis akausal und irreduzibel

• „Messproblem“: die Schrödinger-Gleichung ist invariant unter Zeitumkehr, der Messprozess ist es nicht

• Quantenmechanik ist konsistent mit spezieller Relativitätstheorie, nicht aber mit allgemeiner Relativitätstheorie (Gravitation)

Vollständigkeit der Quantenmechanik

EPR 1935

Kann der Wahrscheinlichkeits-charakter (Zufall) der Quanten-mechanik auf eine darunter-liegende Theorie reduziert werden? Gibt es einen zugrundeliegen-den „Mechanismus“ (versteckte Variablen) so wie in der statistischen Mechanik?

Albert Einstein Boris Podolsky Nathan Rosen

?

Statistische Mechanik:

Quantenmechanik:

Quantenzustände

Verschränkung (mehrere Teilchen)

|Φ⟩AB = |⟩AB + |⟩AB Nichtlinearer Kristall

Vertikal polarisiert

Horizontal polarisiert

UV- Laser A

B

= |⟩AB + |⟩AB

Bob Alice

lokal: zufällige Resultate

/: /: /: /: /: /: /: /:

/: /: /: /: /: /: /: /: global: perfekte Korrelation

Superposition: |ψ ⟩ = |⟩ + |⟩ = |⟩

Polarisation: horizontal vertikal

Basis: Resultat Basis: Resultat

Exp.

1 2 3 4 5 6 7 8

„Entanglement“ (Verschränkung)

Erwin Schrödinger

“Maximales Wissen über ein zusammen-gesetztes System bedeutet nicht notweniger-weise maximales Wissen über alle seine Teile, nicht einmal dann, wenn diese gänzlich voneinander getrennt sind und sich im Moment überhaupt nicht beeinflussen.” (1935)

− Bei verschränkten Teilchen sind die gemeinsamen Eigenschaften perfekt definiert, die Einzeleigenschaften aber vollkommen unbestimmt

− Erst bei der Messung manifestieren sich die Einzeleigenschaften

Klassische Korrelationen

Alice und Bob sind in zwei entfernten Laboratorien

Teilchenpaare (zB. Würfelpaare) werden präpariert, und je ein Teilchen (Würfel) wird an Alice bzw. Bob geschickt

Alice und Bob messen jeweils eine von zwei Größen (zB. Farbe und Parität)

Messung 1: Farbe Resultat: A1 (Alice), B1 (Bob) Messung 2: Parität Resultat: A2 (Alice), B2 (Bob)

Mögliche Werte: +1 (gerade bzw. rot) –1 (ungerade bzw. schwarz)

A1 (B1 + B2) + A2 (B1 – B2) = ±2

⟨A1B1⟩ + ⟨A1B2⟩ + ⟨A2B1⟩ – ⟨A2B2⟩ ≤ 2

A1B1 + A1B2 + A2B1 – A2B2 = ±2

für alle lokal realistischen (= klassischen) Theorien

Alice

Bob

lokaler Realismus begrenzt die möglichen Korrelationen

Verletzung der Bellschen Ungleichung

S := ⟨A1B1⟩ + ⟨A1B2⟩ + ⟨A2B1⟩ – ⟨A2B2⟩ ≤ 2

Würfelpaare → verschränkte Photonenpaare Farbe, Parität → Polarisationsmessungen

|Φ⟩AB = |⟩AB + |⟩AB

Bellsche Ungleichung (1964)

Experiment: Sexp = 2√2 ≈ 2,83 → Bell-Ungleichung verletzt

A1 A2

B1 B2

John S. Bell (1928-1990)

Bell-Experiment über 144 km

T. Scheidl et al., PNAS 107, 19708 (2010)

Schlupflochfreie Experimente

M. Giustina et al., PRL 115, 250401 (2015)

• 1 Stunde, 3,5 Milliarden Laserpulse, 12 Millionen verschränkte Photonenpaare • Bell-Ungleichung: J ≤ 0, Experiment: Jexp = 7,3×10–6 • Wahrsch., Resultat durch lokalen Realismus erklären zu können: 3,7×10–31

Unmöglichkeit des EPR-Programms

Zwischenfazit:

• Quantenmechanik verletzt die Bellsche Ungleichung

• Erste Experimente in den 1970er Jahren

• Bis heute experimentell hundertfach bestätigt (Photonen, Elektronen, Atome etc)

• Quantenmechanik kann daher nicht auf lokalen Realismus (dh. klassische Physik) reduziert werden

• Albert Einstein: „Spooky action at a distance“

• Das EPR-Programm ist unmöglich, zumindest nicht mit lokalen versteckten Variablen

?

Einstein vs. Bohr

Albert Einstein (1879–1955)

Niels Bohr (1885–1962)

Was ist die Natur? Was kann über die Natur gesagt werden?

Bohmsche Mechanik

• Wie in klassischer Physik: Jedes Teilchen hat zu jedem Zeitpunkt

einen definitiven Ort (= versteckte Variable)

• Quantenmechanische Wellenfunktion “führt” die Teilchen

→ deterministische Trajektorien

• Messungen enthüllen schon existente Eigenschaften

→ Zufall nur subjektiv (Ignoranz der Anfangsbedingungen)

• Teilchen-Trajektorie hängt nicht-lokal von anderen Teilchen ab; (Kausalität: versteckte Variablen müssen unzugänglich sein)

• Macht die gleichen Vorhersagen wie die Standard-Quantenmechanik (Kopenhagen-Interpretation)

Bild: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Doppelspalt.svg

Viele-Welten-Interpretation (Everett)

• Universelle Wellenfunktion, folgt Schrödinger-Gleichung

• Messung: kein Kollaps alle möglichen Resultate werden realisiert jedes in einer eigenen Welt

• Macht die gleichen Vorhersagen wie die Standard-Quantenmechanik (Kopenhagen-Interpretation)

Source: http://en.wikipedia.org/wiki/File:MWI_Schrodingers_cat.png

Interpretationen

Kopenhagen-Interpretation Quantenzustand (Wellenfunktion) beschreibt Wahrscheinlichkeiten

der Zustand kollabiert bei der Messung Einzelereignisse sind objektiv zufällig Bohmsche Mechanik Quantenzustand führt zu einer zusätzlichen Kraft Teilchen bewegen sich deterministisch auf

Bahnen nicht-lokale versteckte (unzugängliche)

Parameter Einzelereignisse sind nur subjektiv zufällig Viele-Welten-Interpretation alle Möglichkeiten werden realisiert parallele Welten

Zusammenfassung

• Klassische Physik (Mechanik, Optik, etc) genügt lokalem Realismus

• Zufall in der klassischen Physik: subjektiv, reduzibel

• Experimentelle Verletzung der Bellschen Ungleichung: Quantenphysik widerlegt Weltbild des lokalen Realismus (lokale versteckte Variablen)

• Variante 1: − Keine versteckten Variablen (zB. Kopenhagen-

Interpretation) − Messresultate sind objektiv (irreduzibel) zufällig

• Variante 2: − Nicht-lokale versteckte Variablen (zB. Bohmsche

Mechanik) − Messresultate sind nur subjektiv zufällig

• Aus heutiger Sicht: Entscheidung experimentell nicht möglich