Post on 11-Aug-2019
ICF und FörderdiagnostikWorum geht es da?
Chris Piller & Markus Born
Hochschule für Heilpädagogik Zürich
in Zusammenarbeit mit der AHS Eupen
… wir starten mit einem kurzen Film
Aufgabe:
• Betrachten Sie den Film.
• Lassen Sie ihn auf sich wirken.
• Welche Gedanken haben Sie?
• Welche Gefühle empfinden Sie?
2Chris Piller & Markus Born; HfH Zürich
… vielleicht ist es Ihnen so gegangen …
„Das ist schon massiv, was der Junge auf dem Kasten hat! – Schmeisst einfach alles in der Gegend herum, wirft den Arbeitstisch um, klettert auf die Möbel! –Unglaublich!“
3Chris Piller & Markus Born; HfH Zürich
… oder so …
„Der hat es aber faustdick hinter den Ohren! – Wie der die Lehrperson manchmal schelmisch anschaut! – Da muss man gut aufpassen, dass der einem nicht an der Nase herumführt!“
4Chris Piller & Markus Born; HfH Zürich
… oder so …
„Was für ein ungezogener Schüler! – Bei mir müsste der zuerst einmal lernen, was es heisst, wenn die Lehrperson eine Anweisung gibt!“
5Chris Piller & Markus Born; HfH Zürich
… oder so …
„Puh, ist der Junge aggressiv! – Tritt alles mit den Füssen weg!“
Chris Piller & Markus Born; HfH Zürich 6
… oder so …
„Ich frage mich ernstlich, ob so ein Kind jemals Lesen und Schreiben lernen wird!“
7Chris Piller & Markus Born; HfH Zürich
… oder so:
„Mir tut vor allem der Lehrer leid. Er hat sicher etwas ganz anderes vorbereitet und kann nichts davon umsetzen. Der Junge durchkreuzt alles!“
8Chris Piller & Markus Born; HfH Zürich
Förderplanung nach ICF
• Förderplanung an sich ist ein bekanntes Thema.
• Die Struktur von ICF ermöglicht eine neue Sichtweise auf das Kind und seine Verhaltensweisen.
• Eine Förderplanung nach ICF kann in verschiedene Phasen eingeteilt werden.
Chris Piller & Markus Born; HfH Zürich 9
Förderdiagnostik nach ICF
Schritt 1:
Beobachten – beobachten –beobachten …
… und diese Beobachtungen schriftlich festhalten.
In der Sprache der ICF heisst das:
Festhalten / Beschreiben von Aktivitäten.
10Chris Piller & Markus Born; HfH Zürich
Beobachtungen notieren (1)
• Lehrperson tippt Knaben kurz an die Schulter, zeigt ihm mittels Gestik, wie er die Gegenstände eines nach dem anderen auf das Fensterbrett stellen soll.
• Der Knabe blickt nicht auf das Tun der Lehrperson, sondern dreht sich um, schaut in eine andere Richtung, rennt vom Fenster weg in die andere Ecke des Zimmers.
11Chris Piller & Markus Born; HfH Zürich
Beobachtungen notieren (2)
• Der Knabe hält seine Flasche senkrecht, fährt auf dem Fensterbrett in die anderen Flaschen hinein, beobachtet, wie die Flaschen hinunterfallen.
• Eine Flasche bleibt liegen. Der Knabe geht zu ihr ihn, rollt sie über die Kante, blickt ihr beim Fallen nach.
12Chris Piller & Markus Born; HfH Zürich
13Chris Piller & Markus Born; HfH Zürich
Schritt 2:- Interpretieren- Deuten- Hypothesen aufstellen
Schritt 1:- Beobachtungen machen- Beobachtungen (=Aktivitäten) schriftlich
festhalten
systematische Erfassung von Beobachtungen
• Wann wurde die Beobachtung gemacht?
• Wer hat die Beobachtung gemacht?
• Welchem Aktivitätsbereich ist diese Beobachtung zuzuordnen?
• Wie lautet die Beobachtung?
• Welche Deutungen, Interpretationen, Hypothesen kommen mir (spontan) in den Sinn?
• Welche Fragen stelle ich mir?
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Beispiel für ein Beobachtungsjournal
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Beobachtungsjournal
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Verschiedene Fachleute beobachten den Schüler.
17Chris Piller & Markus Born; HfH Zürich
Die Fachleute tauschen aus und diskutieren:
Schulisches Standortgespräch
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mögliche Ergebnisse (1)
vermutete Wechselwirkungen zwischen Aktivitäten und Körperfunktionen/Körperstrukturen:
– Pauls Hörfähigkeit (=Körperstruktur) könnte eingeschränkt sein. Deshalb hört er die Anweisungen der Lehrperson nicht oder versteht sie zu wenig deutlich.
– Pauls Fähigkeit, mehrere Informationen gleichzeitig aufzunehmen, zu differenzieren und zu priorisieren (=mentale Funktion), scheint schnell an Kapazitätsgrenzen zu kommen. Er reduziert die Flut der Informationen durch eine räumliche Verschiebung (geht an einen „ruhigeren“ Ort).
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mögliche Ergebnisse (2):
Vermutete Wechselwirkungen zwischen Aktivitäten und Umweltfaktoren:
- Das didaktische Angebot der Lehrperson (=Umweltfaktor) mit der Reihenbildung passt nicht auf den kognitiven Entwicklungsstand von Paul (vermutlicher Entwicklungsstand: Sensomotorik, Entwicklungsalter ca. 18 Monate).
- Paul ist es von zu Hause aus nicht gewohnt (=Umweltfaktor), dass er Anweisungen und Aufgaben befolgen soll/muss. Die Schule als neue Lebenswelt fordert jedoch genau diese Fähigkeit. Paul steht in einem Konflikt zwischen bekannten Verhaltensweisen von zu Hause und neuen Verhaltensanforderungen. Er reagiert auf diese Verunsicherung mit ihm bekannten und bewährten Verhaltensweisen wie „Möbel umstossen“, „Gegenstände werfen“ und vielleicht auch „Personen schlagen“ (=Aktivitäten).
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Ist Ihnen etwas aufgefallen?
• Paul steht in einem Konflikt zwischen bekannten Verhaltens-weisen von zu Hause und neuen Verhaltensanforderungen (=Umweltfaktoren). Er reagiert auf diese Verunsicherung mit ihm bekannten und bewährten Verhaltensweisen wie „Möbel umstossen“, „Gegenstände werfen“ und vielleicht auch „Personen schlagen“ (=Aktivitäten).
• Beschreibung von Aktivitäten nach ICF
• „Das ist schon massiv, was der Junge auf dem Kasten hat! –Schmeisst einfach alles in der Gegend herum, wirft den Arbeitstisch um, klettert auf die Möbel! – Unglaublich!“
• Originalaussage einer Lehrperson zur Verhaltensbeschreibung
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Schritt 3:
- Förderschwerpunkte festlegen
Schritt 1:
- Beobachtungen machen
- Beobachtungen (=Aktivitäten) schriftliche festhalten
Schritt 2:- Interpretieren- Deuten- Hypothesen aufstellen
Schritt 3: Förderschwerpunkte festlegen
• Förderschwerpunkt 2: Aktivitätsbereich: Lernen und Wissensanwendung
Paul zeigt von sich aus vor allem Aktivitäten im sensomotorischen Bereich. Paul benötigt Angebote, die ihm diese Erfahrungen auf vielerlei Ebenen ermöglichen.
• Förderschwerpunkt 1:
Aktivitätsbereich: Umgang mit Anforderungen
Die Lebenswelt Schule unterscheidet sich vom Lebensbereich Familie. Paul wird
schrittweise in die neue Welt eingeführt. Er erlebt räumliche und zeitliche
Einteilungen, erfährt personelle und methodische Konstanz. Diese Strukturen
bauen Sicherheit und Vorhersagbarkeit auf – und auf dieser Basis können Paul
entwicklungslogische Aufgaben und Anforderungen gestellt werden.
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Schritt 4:
- Förderziele und Massnahmen festlegen
Schritt 1:
- Beobachtungen machen
- Beobachtungen (=Aktivitäten) schriftliche festhalten
Schritt 2:- Interpretieren- Deuten- Hypothesen aufstellen
Schritt 3:
- Förderschwerpunkte festlegen
Schritt 4: Förderziele und Massnahmen ableiten.
Förderziele
• … beziehen sich auf den Schüler/die Schülerin.
• … sind auf Ebene von Aktivitäten formuliert.
• … sind dem Entwicklungsstand des Kindes angepasst.
• … weisen Indikatoren auf.
• … werden periodisch auf ihre weitere Gültigkeit überprüft.
Massnahmen• … sind das, was Lehrpersonen/Eltern
und Schule (als Institution) tatsächlich selber verändern können.
• … beziehen sich auf die Einstellungen / Tätigkeiten / Strukturen / Infrastruktur der Umwelt (Schule und/oder Elternhaus).
• ... sind verpflichtend.
• … beruhen sich auf einem expliziten Menschenbild (Ethik, Haltung).
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Wie sieht die Förderplanung konkret aus?
Förderziele (Beispiele) Massnahmen• Der Förderschwerpunkte und die
Förderziele werden allen Fachpersonen mitgeteilt mit dem Auftrag, entsprechende Angebote in den Unterricht/die Betreuung einzubauen.
• Das Snoezel-Zimmer wird für die Periode Okt – Dez jeweils von 10.00 –10.30 reserviert.
• Paul macht physikalisch-sensomotorische Erfahrungen mit sich als Person und mit Gegenständen: rollen, fallen, schieben, ziehen, anstossen, bremsen etc.
• Jeden Schultag 30 Minuten, am Wochenende mit den Eltern.
• Die Begleitpersonen notieren sich, wie lange Paul von sich aus an diesen Aktivitäten bleibt, schätzen ein, ob sie ihm Freude machen.
• Nächstes Gespräch betreffend Zielgültigkeit und Erfahrungsaustausch: in 3 Monaten (19. Dezember 2010).
Aufträge• Die Eltern melden Paul umgehend für
eine Hörabklärung beim auditiven Dienst an.
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Überprüfung der Zielkriterien
Förderziele Paul Muster• Paul macht physikalisch-
sensomotorische Erfahrungen mit sich als Person und mit Gegenständen: rollen, fallen, schieben, ziehen, anstossen, bremsen etc.
• Jeden Schultag 30 Minuten, am Wochenende mit den Eltern.
• Die Begleitpersonen notieren sich, wie lange Paul von sich aus an diesen Aktivitäten bleibt, schätzen ein, ob sie ihm Freude machen.
• Nächstes Gespräch betreffend Zielgültigkeit und Erfahrungsaustausch: in 3 Monaten (19. Dezember 2010).
Ziele beziehen sich auf das Kind.
Ziele beziehen den Entwicklungsstand des Kindes mit ein.
Ziele beziehen sich auf die Ebene von Aktivitäten.
Schritt 5: EvaluationZiele werden periodisch auf ihre
Gültigkeit / Erreichung überprüft.27Chris Piller & Markus Born; HfH Zürich
Überblick über die einzelnen Schritte
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Schritt 1:
• Beobachten
• Beobachtungen schriftlich festhalten
Schritt 2:
• (gemeinsam) Interpretieren, Deuten
• Hypothesen und Fragestellungen formulieren
Schritt 3:• Förderschwerpunkte festlegen
Schritt 4: • Förderziele und Massnahmen festlegen
Schritt 5:
• Ziele periodisch auf ihre Gültigkeit / Erreichung hin überprüfen
Förderdiagnostik in ModellenFörderdiagnostik als zirkulärer Prozess
(ohne ICF)
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Förderdiagnostik als Prozess nach ICF
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Förderdiagnostik als Prozess nach ICFSchritt 1:
Beobachten
Schritt 2:Deuten –
Interpretieren –Hypothesen
aufstellen
Schritt 3:Förderschwerpunkte
bestimmen
Schritt 4:Förderziele und Massnahmen
ableiten
Schritt 5:Evaluation
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Inhaltsverzeichnis unseres Pilotkurses 2010
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Wir bedanken uns für Ihre Aufmerksamkeit!
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