Post on 05-Apr-2015
Impulstagung „Trauma und Behinderung“
Frühe Bindung und
spätere Beziehungsarbeitim Kontext geistiger Behinderung
Impulse zu inklusiven BindungsbiografienIsabelle Villigerisabelle.villiger@bluewin.ch
Isabelle Villiger
• 1961, 1989 Diplomarbeit am Institut für Angewandte Psychologie mit dem Titel „die Geburt- ein Trauma?“
• Psychotherapeutische und Pädagogische Arbeitsfelder, u.a. Leitung einer Kriseninterventionsstelle für Menschen mit geistiger Behinderung
• Heute Psychotherapeutin in Praxis Neurologen am Zürichsee, Beraterin Fachstelle Insieme Schweiz und Weiterbildnerin bsp. Agogis
Neue Schwerpunkte der Psychologie
• Trauma- und Stressforschung
• Frühe Entwicklungspsychologie: Pränatale Zeit, erste Beziehungen / Bindungen
• Neurobiologische, systemische und körperorientierte Blickwinkel
Kernfragen meines Referates
• Was sind Voraussetzungen für eine sichere Bindung?
• Was sind spezielle Herausforderungen für Menschen mit geistiger Behinderung, ihren Familien und Bezugspersonen?
Inhaltsverzeichnis
1. Gesellschaftliche Haltung (Inklusion)2. Erste Lebensphasen
• Pränatale Zeit• Geburt• Erstes Jahr
3. Bindung:• Bindungsformen• Voraussetzungen für sicher Bindung• Spezielle Herausforderungen
4. Fazit5. Quellenangaben
1 Gesellschaftliche Haltung (Inklusion)
Wie wir alle mit Menschen mit „geistiger Behinderung“ in Beziehung sind hat Einfluss darauf…
… wie Familien mit behinderten Kindern integriert sind
… ob wir uns als Kopfmenschen oder Menschen mit ganz unterschiedlichen Qualitäten wahrnehmen
… ob wir alle „gleich“ machen wollen oder ob wir gleich-mutig auf unterschiedliche Menschen antworten wollen
2 Erste Lebensphasen
Pränatale Zeit
Entwicklung der Sinne
1.Haut- und Tastsinn2.Gleichgewichtsorgan3.Geschmacks- und Geruchssinn4.Gehör5.Sehsinn
Pränatale Zeit
Verbundenheit Ungeborenes-Mutter
Sinneswahrnehmung StoffwechselOrganismus
2 Erste Lebensphasen
Geburt
…ein Übergang zwischen Lebensgefahr und Wunder…
Kann traumatisch sein: Ca. 10% der geistigen Behinderungen sind perinatale Hirnschädigungen
Geburt
Ca. 7% aller Schwangerschaften sind Frühgeburten:
• Ab der 25. Schwangerschaftswoche Überlebenschance, wenn < 1kg, 50-60%
• Vor 36. Woche extrem früh: erhöhtes Risiko für neurologische Schädigungen / Schädigungen Sinnesorgane
Geburt
Wicki 2005
Geburt
Sensitive Phase: ½ bis 2 Std nach Geburt meist hellwach
Sanfter Übergang: • Auspulsieren Nabelschnur• Erkennen der Stimmen• Körperkontakt wichtig für Mutter und Kind • Fokussieren auf 30 cm: „Liebe auf den
ersten Blick“
Geburt
Verschiedenste Varianten wenn ein Kind behindert zur Welt kommt:
• Geburtsschaden• Bekannte oder unbekannte Behinderung
• Unterschiedlichste Konsequenzen (Bsp. Spitalaufenthalte)
• Unterschiedlichste Reaktion von Eltern und Umwelt
2 Erste Lebensphasen
Erstes Jahr
• Zwischen physiologischer Frühgeburt und kompetentem Säugling
• „sozialer Uterus“• Bezugspersonen sind Vorbild für die
Regulation der Affekte (Urvertrauen, Selbstsicherheit)
• In den ersten drei Lebensjahren werden die psychosozialen Fähigkeiten erworben
• In späteren Beziehungen allenfalls „nachentwickelt“ (vgl. Allan Schore)
3 Bindung
Das Babuschkaprinzip
3 Bindung
BindungsformenVoraussetzungen für sichere BindungSpezielle Herausforderungen
3 Bindung
4 Haupt- Bindungsformen:
1 Sichere Bindung2 unsicher vermeidend3 unsicher-ängstlich- ambivalent4 unsicher - desorientiert
3 Bindung
1 Sichere Bindung• Offener Austausch über Gefühle• Kompromissbereit bei Konflikten• Beziehungsbezogen und autonom• Selbstverantwortlich bei Belastung, dazu gehört,
andere um Hilfe zu bitten
Bindung Exploration
Sichere Bindung3 Bindung
3 Bindung
2 Unsicher-vermeidend („Flüchten vor Nähe“)
• kein Austausch über (negative) Gefühle• Anpassung an äußere Erwartungen• emotionale (Pseudo-) Unabhängigkeit• Äusserlich unbeeindruckt – innerlich hoher Stress• selbstbezogener Umgang bei Belastungen• Keine Zuversicht auf nahe Bindung
Bindung Exploration
Sichere Bindung3 Bindung
3 Bindung
3 unsicher-ängstlich- ambivalent • übersteigerter Gefühlsausdruck• wenig kompromissbereit• emotionale Abhängigkeit • wenig selbst-verantwortlich bei Belastungen• Ständige Aufmerksamkeit in Bezug auf Situation und
Befindlichkeit der BezugspersonBindung Exploration
Sichere Bindung3 Bindung
3 Bindung
4 unsicher – desorientiert
• Kein Halt – weder in Bindung noch in Umgebung• unerwartete nicht zuzuordnende Verhaltensweisen• Gleichzeitig lebensnotwendige Hinwendung zur
Bezugsperson wie Abwendung von ihr als Bedrohung• Stereotypien und/oder zerstückelte
Bewegungsabläufe
Bindung Exploration
Sichere Bindung3 Bindung
3 Bindung
Bindungsformen
Voraussetzungen für sichere Bindung
Spezielle Herausforderungen
Voraussetzungen für sichere Bindung
• Feinfühligkeit/Sensitivität und Liebe• Gegenseitiges Spiegeln• Resonanz:
• Angemessene Antwort auf kindliche Bedürfnisse• Respektieren der Bedürfnisse nach
geborgener Nähe und friedlicher Distanz
• Dosieren der Stimulation• Zuverlässigkeit und Konstanz
3 Bindung
BindungsformenVoraussetzungen für sichere Bindung
Spezielle Herausforderungen
Spezielle Herausforderungen
• Tempo und Rhythmus anpassen:• Entwicklung (nicht Leistung) im Fokus
behalten• Initiative der Interaktion vom Baby und Kind
abwarten
• Unterschiedliche Wahrnehmung beachten• Affektregulation und Reizverarbeitung
brauchen mehr Unterstützung• Allfällige frühe und häufige
Spitalaufenthalte• Mehr Sorgen und Ängste
Fazit
Ein Willkommen an Menschen mit geistiger Behinderung ist ein Willkommen…
… an die Notwendigkeit sich im jeweiligen Entwicklungsalter „einzuklinken“ und zugleich gemäss Lebensalter er-wachsend zu begegnen… an andere Wahrnehmungsmöglichkeiten
Fazit
Es heisst:
• Kongruent zu sein und mit sich selbst zu arbeiten
• DolmetscherIn im Prä-/ nonverbalen Bereich zu werden
• Was in Beziehung verletzt wurde, kann in Beziehung geheilt werden
Wichtig: Die Absicht wirkt!
Fazit
Quellenangaben
Illustrationen: Anaïs Voirol
Allan Schore: Affektregulation und die Reorganisation des Selbst Stuttgart 2007
Barbara Senckel: Mit geistig Behinderte leben und arbeiten München 1994
Bettina Wegner: Kinder 1978 http://www.youtube.com/watch?v=fcdkwdfz0GA
Daniel Stern: Wie Säuglinge ihre menschlichen Welten erzeugen. Vortrag Berlin 2004. Auditorium Netzwerk
Elisabeth Schlumpf, Birgit Dechmann: Lieben ein Leben lang Weinheim und Basel 2008
Gerald Hüther/Inge Krens: Das Geheimnis der ersten neun Monate. Düsseldorf und Zürich 2005
Irène Kummer: Das Babuschkaprinzip München 1993Karin und Klaus Grossmann: Bindung- Das Geflecht des Lebens.
Lindau 2009. Auditorium NetzwerkWerner Wicki:Vorgeburtliche Entwicklung und Geburt. Uni Freiburg 2005