Post on 24-Jul-2020
Ist die Kapitaldeckung am Ende?
Roland Weber
stellv. Vorsitzender des Vorstands DAV
Dialog zur Altersvorsorge14. Dezember 2016 in Köln
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Umlage-Nostalgie
Norbert Blüm 1986: Wahlkampfauftritt in Bonn
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Das Umlagesystem stößt an seine Grenzen
T+: optimistische
Annahmen zu
Migration, Erwerbs-
bevölkerung,
Verlängerung der
Lebensarbeitszeit,
BIP-Wachstum etc.
Quelle: Werding (2016) aus: Vierter Tragfähigkeitsbericht des BMF
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Das Umlagesystem stößt an seine Grenzen
Quelle: Werding (2016) aus: Vierter Tragfähigkeitsbericht des BMF
T-: pessimistische
Annahmen zu
Migration, Erwerbs-
bevölkerung,
Verlängerung der
Lebensarbeitszeit,
BIP-Wachstum etc.
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Umlagesystem nicht überbelasten
• Kein „entweder/oder“: Umlage und Kapitaldeckung müssen sich sinnvoll ergänzen
• Die durchschnittliche Rentenbezugsdauer hat sich seit 1960 verdoppelt
• Die gesetzliche Rentenversicherung benötigt heute bereits 80 Mrd. Euro Steuerzuschuss pro Jahr
• Der gesetzlichen Rentenversicherung stehen die größten Belastungen in den Jahren ab 2030 noch bevor
• Damit das System nicht kollabiert, muss die steigende Lebenserwartung von einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit begleitet werden
• Steuermittel sind vor allem zur Verbesserung von Kleinstrenten einzusetzen
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Gerhard Mackenroth
„Nun gilt der einfache und klare Satz, dass aller Sozialaufwand
immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt
werden muss. Es gibt gar keine andere Quelle und hat nie eine
andere Quelle gegeben, aus der Sozialaufwand fließen könnte, es
gibt keine Ansammlung von Periode zu Periode, kein ‚Sparen‘ im
privatwirtschaftlichen Sinne … Kapitalansammlungsverfahren und
Umlageverfahren sind also der Sache nach gar nicht wesentlich
verschieden. Volkswirtschaftlich gibt es immer nur ein
Umlageverfahren.“
Mackenroth: Die Reform der Sozialpolitik durch einen deutschen Sozialplan.
Schriften des Vereins für Socialpolitik NF, Band 4, Berlin 1952
„Winfried Schmähl konnte hingegen nachweisen, dass Mackenroths Formulierung
nahezu wörtlich mit einem Gedankengang übereinstimmt, der 1939/40 in Schriften des
Arbeitswissenschaftlichen Instituts der DAF publiziert worden war. Dass Mackenroth
diese Spur verwischen konnte, … lässt mancherlei Rückfragen zu…“
Hockerts: Der deutsche Sozialstaat: Entfaltung und Gefährdung seit 1945, Göttingen 2011
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„Bedauerlich ist allerdings, dass dieses zu einem Teil triviale und zum anderen Teil unzutreffende Theorem nun als vermeintlicher Beleg herangezogen wird, um die Etablierung kapitalgedeckter Ergänzungssysteme als Irrweg hinzustellen und nach Möglichkeit rückabzuwickeln. Es soll die ökonomische Überlegenheit der Umlagefinanzierung und die Sinnlosigkeit kapitalgedeckter Ergänzungssysteme zeigen. Doch genau dies leistet Mackenroths These nicht.
In unserer globalisierten Welt mit integrierten Finanzmärkten ist die Mackenroth-These unvollständig und damit letztlich falsch. Und selbst in Volkswirtschaften mit abgeschotteten Finanzmärkten kann das Volkseinkommen, aus dem alles bezahlt werden muss, größer werden, wenn mehr gespart wird. Das wusste auch Mackenroth, denn sonst hätte er sicher nicht geschrieben: ‚Der Aufbau von Realkapital ist ein Geschenk der Gegenwart an die Zukunft.‘“
Rürup: „Mackenroths Theorem“: Ein Zombie der Rentenpolitik , Handelsblatt Research Institute, 5. August 2016
Bert Rürup zur Mackenroth-These
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Das „deutsche Geschäftsmodell“ der Lebensversicherung
• Absicherung biometrischer Risiken (Hinterbliebenen- und Invaliditätsversorgung; Langlebigkeit – das Risiko, länger zu leben als der Durchschnitt)
• Aufbau eines Versorgungskapitals oder einer lebenslangen Rente
• Lebenslang bzw. über die gesamte Vertragslaufzeit konstanter Garantiezins
• Kollektiver Sparprozess über 30 und mehr Jahre mit bilanziellen und außerbilanziellen Glättungsmechanismen
• Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern sind in Deutschland laufende Beiträge auch in geringer Höhe in Garantieprodukte möglich – ein sozialpolitisch sinnvolles Instrument
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Haben die Deutschen zu viele Lebensversicherungen?
Das Vorsorgebewusstsein in Deutschland
ist weiterhin unterentwickelt!
0
500
1.000
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2.000
2.500
3.000
3.500
4.000
4.500
5.000Beiträge zu Lebensversicherungen
in US-Dollar pro Kopf und JahrQuelle: www.sigma-explorer.com
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Ist die einkalkulierte Lebenserwartung zu hoch?
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Ist die einkalkulierte Lebenserwartung zu hoch?
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, 95 Jahre alt zu werden?
Quelle: Institut für Finanz- und
Aktuarwissenschaften
Alter heuteWahrscheinlichkeit, 90 zu
werdenWahrscheinlichkeit, 95 zu
werden
50 30,5% (M)/ 40,1% (F) 12,9% (M)/ 16,6% (F)
60 28,1% (M)/ 38,3% (F) 11,3% (M)/ 15,3% (F)
70 28,0% (M)/ 38,0% (F) 10,6% (M)/ 14,5% (F)
Nur die Rentenversicherung verhindert, dass am Ende der
Auszahlungsphase noch ganz viel Leben übrig bleibt!
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Die Riester-Rente in postfaktischen Zeiten
„Der Riester-
Schwindel muss
beendet werden!“Bernd Riexinger, 14.06.2016
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Die Riester-Rente in postfaktischen Zeiten
„Die Riester-Rente ist
gescheitert!“Horst Seehofer, 08.04.2016
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Riestern lohnt sich – vor allem für Geringverdiener
Beispiele aus einer Untersuchung der Deutschen Rentenversicherung Bund
Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund, Pressefachgespräch am 14.07.2015
4,0%
3,0% 2,8%
7,6%
3,7%3,2%
Geringverdiener Normalverdiener Spitzenverdiener
Rendite einer Frau - Versicherungsbeginn im Alter von 20 Jahren
0 Kinder
3 Kinder
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Riestern lohnt sich – vor allem für Geringverdiener
Beispiele aus einer Untersuchung der Deutschen Rentenversicherung Bund
Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund, Pressefachgespräch am 14.07.2015
5,7%
3,4% 3,7%
12,6%
3,5% 3,8%
Geringverdiener Normalverdiener Spitzenverdiener
Rendite einer Frau – Versicherungsbeginn im Alter von 50 Jahren
0 Kinder
3 Kinder
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Riestern funktioniert – gerade bei Geringverdienern
25%
19% 19%16%
9%13%
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
bis 10.000 € 10.000 €-20.000 € 20.000 €-30.000 € 30.000 €-40.000 € 40.000 €-50.000 € ab 50.000 €
63% der Zulagen fließen an Personen, die weniger als
30.000 Euro p.a. verdienen. Damit verdienen die Riester-
Zulagenempfänger weniger als die Beitragszahler in der
gesetzlichen Rentenversicherung.
Quelle: http://www.gdv.de/2015/07/riester-funktioniert-fuer-alle-einkommen/
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Inflation frisst Garantiezins?
-1%
0%
1%
2%
3%
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5%
6%
7%
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9%
70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 02 04 06 08 10 12 14 16
Garantiezins Neugeschäft Inflationsrate
Früher schon, heute nicht!
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Für die langfristige Altersvorsorge ist die Lebensversicherung
das kostengünstigste Produkt!
www.gdv.de
Ist die Lebensversicherung zu teuer?
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Haben sich die Versicherer „verkalkuliert“?
Abgesehen von einer
nur wenige Wochen
dauernden Phase
oszillierender Zinsen
während der 20er-
Jahre-Inflation ist die
Zinsentwicklung der
letzten 20 Jahre in
Deutschland singulär
im 200-Jahre-
Vergleich
20
DD
Seit Sumerer und
Babylonier mit
Zinsaufzeichnun-
gen begannen,
waren die lang-
fristigen Zinsen
nie so niedrig wie
heute!
Haben sich die Versicherer „verkalkuliert“?
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Niedrigzinsen in USA und EU
Stand 09.12.2016 EUR USD
10-jähriger Swap 0,775 2,291
20-jähriger Swap 1,320 2,566
Von einer „weltweiten Niedrigzinsphase“ zu sprechen, wäre zu pauschal.
Zwar lagen die Zinsen der Euro- und der Dollar-Zone 2011 und Anfang
2012 noch in etwa auf gleichem Niveau, doch hat sich die Differenz
zwischen den beiden Währungszonen seit 2012 deutlich ausgeweitet.
Inzwischen ist der 10-jährige Zins in den USA 3-mal so hoch wie in der
Euro-Zone.
Stand 30.09.2016 EUR USD
10-jähriger SWAP 0,249 1,436
20-jähriger SWAP 0,690 1,701
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Das „deutsche Geschäftsmodell“ in der Niedrigzinsphase
• Versicherung gegen laufende Beiträge schwierig im Niedrigzinsumfeld
• Neuanlagezins liegt unter dem Garantiezins
• Hedging kaum möglich; langlaufende Festzinsanlagen kaum verfügbar
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Kein Markt für lang laufende Festzinsanlagen
Source: Barclays Euro Aggregate Q1 2011
0
200.000
400.000
600.000
800.000
1.000.000
1.200.000
1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 33 35 37 39 41 43 45 47 49
time to maturity in years
Ou
tsta
nd
ing
am
ou
nt
(mil
lio
ns)
Governments Corporates Securitized
90% 95% 99%
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Das Duration Gap im deutschen Markt
Duration der Kapitalanlagen
13,2
9,7
4,4
Modifie
d D
ura
tion a
m 3
1.1
2.2
015
Quelle: GDV, Stand 31.12.2015
GewichteterMarkt-Ø
MinimumMarkt
MaximumMarkt
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… und in der Schweiz (Beispiel)
AAAAAA
31.12.2007 31.12.2015
In Ländern, die nicht das deutsche Garantiemodell haben, spielt das
duration gap praktisch keine Rolle
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Das „deutsche Geschäftsmodell“ in der Niedrigzinsphase
• Versicherung gegen laufende Beiträge schwierig im Niedrigzinsumfeld
• Neuanlagezins liegt unter dem Garantiezins
• Hedging kaum möglich; langlaufende Festzinsanlagen kaum verfügbar
• Mit der Zinszusatzreserve wurde 2010 ein Instrument geschaffen, die aktuell noch hohen Zinsüberschüsse zur Sicherung der Garantien einzusetzen (statt sie vorab als Überschussbeteiligung auszuschütten)
• Die Markteingriffe der EZB seit 2012 führen dazu, dass die ursprüngliche Kalibrierung der ZZR nicht mehr zur Sicherung der Garantien, sondern zu einer unnötigen drastischen Schwächung der Lebensversicherer führt
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Das Prinzip Eigenverantwortung
• Die Forderung nach Eigenverantwortung wird oft als „neoliberale Propaganda“ abgetan.
• Eigenverantwortung ist der Gegenentwurf zu einer paternalistischen Staatsauffassung, die auf einer vormundschaftlichen Beziehung zwischen „Herrschern“ und „Beherrschten“ beruht.
• Eigenverantwortung ist zwingend Bestandteil des Bildes eines Menschen, der nach Freiheit und Selbstverwirklichung strebt und zugleich moralisch und solidarisch handeln möchte.
• Eigenverantwortliche Vorsorge schafft mehr Generationengerechtigkeit. Eigenverantwortung ist die Voraussetzung für ein selbstständiges Leben und Handeln.