Kinder - Erziehung ist Beziehung - Dieter Scholz · Kinder - Erziehung ist Beziehung von Dieter...

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Kinder - Erziehung ist Beziehung

von Dieter Scholz

 

La Vida: Wie hat sich die Erziehung über die letzten Jahrzehnte entwickelt?

Dieter Scholz: Mitte des 19. Jhd. entwickelte ein Herr Schreber, Arzt und Hochschullehrer, die so

genannte „Schwarze Pädagogik“, die bis in die Weimarer Republik galt und bis heute noch in den

Köpfen der Eltern schwirrt. Sie ging davon aus, dass Kinder von Geburt an lügen, sich verstellen,

grausam und egoistisch sind. Man hört es noch heute in den Aussagen der Menschen: „Das muss ich

meinem Kind noch austreiben“ oder „Du tust ja nur so, als ob“. Diese Einstellungen sind über

Generationen von den Eltern an ihre Kinder weitergereicht worden. Danach kam die antiautoritäre

Erziehung, die eigentlich nur eine Antihaltung war und keine Grundlage hatte.

La Vida: Wie würden Sie den aktuellen Pädagogikansatz beschreiben?

Dieter Scholz: Einer meiner Lehrer ist Jesper Juul. Er spricht davon, dass wir Kinder nicht erziehen

sollen, sondern die Beziehung in den Vordergrund stellen. Seine Kernaussage ist, dass ein Kind

kompetent ist und wir jedes Kind als Wesen mit eigenen Bedürfnissen und Gefühlen betrachten müssen.

So kann es mit einer guten Führung durch die Eltern weitestgehend gesund aufwachsen. Wenn wir das

nicht tun, verletzen wir die Integrität des Kindes. Das kann auf sehr massive Weise passieren, in dem wir

es schlagen, aber auch subtil durch Liebesentzug geschehen.

La Vida: Was wären für Sie konsequente Mittel in der Erziehung?

Dieter Scholz: Es geht nicht um die richtigen Mittel, sondern um die Beziehung zum Kind. Das Kind hat

Bedürfnisse und will gesehen werden und es hat Gefühle, die ich ihm widerspiegele. Dem Kind zu

sagen: „Du willst ein Eis, das sehe ich und du hast richtig Lust drauf, nur für mich ist das jetzt nicht o.k.,

ich kauf dir kein Eis.“ Und nicht zu diskutieren: „Du hattest doch schon neulich eins“ oder „Sonst hast

du nachher keinen Hunger.“ Wenn Sie anfangen zu diskutieren, wissen Ihre Kinder schon, dass Sie

unsicher werden oder verloren haben.

La Vida: Und wenn mein Kind nicht hört?

Dieter Scholz: Es ist wichtig, dass die Eltern mit dem Kind über das sprechen, was gerade ist. Und erst

dann können Sie Ihre Botschaft abgeben. Ich muss sehen, welches Bedürfnis steckt dahinter. Wenn das

Kind spielt und ich reiß es da raus, hat es in dem Moment kein Bedürfnis nach Zähneputzen. Es hat das

Bedürfnis, in diesem Spiel aufzugehen. Das übersehen Eltern oft und dann kommt das Argument: „Ja,

aber wir haben keine Zeit“. Wenn die Kinder aber merken, dass Ihre Bedürfnisse und Ihre Gefühle nicht

gesehen werden, werden sie entweder wütend, verkriechen sich oder sie passen sich an.

Dabei müssen Eltern sich Ihrer Autorität durchaus bewusst sein. Ein Kind muss sich auf seine Eltern

verlassen können, auch wenn sie Fehler machen. Die Kinder sehen sich in den Augen der Eltern. Wenn

die Eltern aber kein Gegenüber sind, dann können sich die Kinder nicht auf sie verlassen. Sie würden

niemanden auf eine einsame Insel mitnehmen, der immer sagt:“Ja, was meinst du denn?“ oder „Ich weiß

es auch nicht:“

La Vida: Das „Ich“ entwickelt sich am „Du“, an der Auseinandersetzung mit dem anderen.

Dieter Scholz: Und dann beginnt eine Gegenseitigkeit, d.h. auch das „Du“ reagiert auf das „Ich“ und

etwas Gemeinsames entsteht. Auf der Basis der geteilten Aufmerksamkeit kann etwas Neues entstehen.

Im Betrachten, Erleben, Gestalten von etwas Drittem erfahren die Kinder, dass das Andere mehr ist als

nur „Ich“ und „Du“. Der Hirnforscher Prof. Dr. Hüter nennt das „shared attention“. Verhaltensauffällige

Kinder haben das nicht entwickeln können. Sie können z.B. nichts Gemeinsames in der Gruppe machen,

sondern wollen nur die direkte Beziehung zur Erzieherin oder zum Objekt. Sie fühlen sich sonst hilflos

und können das Neue, was entsteht, nicht erfassen.

La Vida: Was ist in Ihren Augen ein Erziehungs-phänomen unserer Zeit?

Dieter Scholz:  Ein Phänomen ist z.B., dass Eltern versuchen, die Probleme ihrer Kinder zu

kompensieren, sie ihnen abzunehmen. Deswegen haben auch pädagogische Eltern häufig Probleme mit

ihren Kindern, weil sie die ganzen Probleme schon kennen, die Kinder haben könnten. Sie sehen alles

schon voraus und wollen das kompensieren, indem sie alles Mögliche mit ihrem Kind machen, nur, sie

sehen ihr eigenes Kind nicht. Beispiel: Das Kind kommt mit der Lehrerin oder Erzieherin nicht klar.

Sofort geht die rote Warnlampe an, es wird zum Kindergarten gerannt und mit der Erzieherin geredet

oder das Kind wird gleich ganz rausgenommen und in eine neue Gruppe gesteckt. Die Eltern versuchen

das Problem für das Kind zu lösen. Das Kind lernt: „Ich kann das nicht alleine“ und „Die Erwachsenen

sind ungerecht“ (in diesem Fall die Erzieherin).

Das Kind bräuchte aber eigentlich Unterstützung, um mit solchen Menschen klar zu kommen. Das Kind

muss die Möglichkeit haben, eigene Erfahrungen zu sammeln und die wird ihm heutzutage ganz oft

genommen. Natürlich gibt es eine „Grenze“, wenn andere Menschen ständig das Kind beschämen oder

seine Integrität verletzen.

Ein anderes Problem ist, wenn Kinder zu Projekten der Eltern werden. Kinder sollen dann etwas sein,

womit die Eltern sich brüsten können. Auch da wird das Kind nicht gesehen und wehrt sich auf seine Art

und Weise dagegen: es wird auffällig. Kinder brauchen einfach nur wirkliche Liebe, nicht als verbale

Liebe, sondern als Gefühl. Wenn sie ein Kind anschauen - und Kinder brauchen immer wieder diesen

Blickkontakt - und da ist Liebe und nicht Sorge oder Strafe, dann fühlt das Kind diese Liebe.

La Vida:: Ein weiteres Zeitphänomen ist das überschwängliche Loben...

Dieter Scholz: Ja, das ist diese amerikanische Art. Man lobt das Kind über die Maßen für alles, was es

tut. Das Kind kann diesen Ansprüchen nie gerecht werden und wird sich zurückziehen. Möglicherweise

sind viele Kinder, die zu Hause immer die Tollsten waren und in der Schule scheitern, zu viel gelobt

worden, weil sie ihren eigenen Maßstab nicht gefunden haben.

Lob ist mal gut, das Wichtigere ist, dem Kind ein Feedback über sein Verhalten zu geben. Ein Kind, das

ein Bild malt, will nicht gelobt werden, weil es ein Bild gemalt hat, sondern, es will in Beziehung treten.

Ich würde vorschlagen, das Bild nicht zu bewerten, sondern zu beschreiben: „Da sind ja ganz viele

Farben drauf und du hast eine Blume mit roten Stempeln gemalt… „

La Vida: Was ist der Weg aus Machtkämpfen?

Dieter Scholz: Kinder wollen nicht die Macht. Wenn kein Elternteil bereit ist, die Führung zu

übernehmen, dann entstehen Machtkämpfe. Kinder wollen wissen: Wer bist du? Was willst du? Wo sind

deine Grenzen? Was ist richtig für mich? Und das gibt manchmal schon Auseinandersetzungen. Ich

muss als Elternteil die Bedürfnisse der Kinder sehen, aber auch gleichzeitig klar meine eigenen Grenzen

zeigen: „Hier ist Schluss“. Wir lernen dabei auch authentisch zu sein.

Eltern sagen auch viel zu oft „bitte“ wenn sie eigentlich Forderungen stellen und damit geben sie den

Kindern die Macht. Die Eltern müssten vielmehr sagen „Ich will“, z.B. „Ich will, dass du dich

anschnallst.“ Wenn Kinder wissen, dass wir uns selbst ernst nehmen, dann sind wir ein Gegenüber und

dann halten die Kinder ein Nein auch aus. Nur müssen sie das Gefühl haben, dass sie auch akzeptiert

werden.

La Vida: Wo setzt man in der Pubertätszeit Grenzen?

Dieter Scholz: Die zentrale Frage der Pubertät lautet: Wer bin ich? Wir können uns neu ordnen, neu

sortieren und neue Visionen entwickeln. Ich nenne es die Autonomiephase.Die Kinder wollen sich selbst

als autonome Person wahrnehmen und wollen sich messen können. Sie haben eine unglaubliche Energie,

und die wird häufig nicht genutzt. Deshalb suchen sich auch so viele Jugendliche den Computer als

Ersatz für Herausforderungen und Erfolgserlebnisse, die sie in der Gesellschaft nicht mehr finden.

Die Eltern merken ihren schwindenden Einfluss auf die Heranwachsenden und fangen jetzt erst recht an

mit Grenzen und Strafen, um das Kind dahin zu kriegen, dass es doch noch ein ordentlicher Mensch

wird. Das ist ein Teufelskreis: Das Kind will Autonomie und die Eltern schränken immer mehr ein. Die

neue Mode ist dann, das Kind ins Internat zu stecken. Die Botschaft an das Kind ist “Ich kann mit dir

nicht mehr und ich schick dich weg.“ Das ist fatal, weil die Kinder um dieses Abenteuer Leben

anzunehmen eine Sicherheit brauchen und die müssen die Eltern geben. Und zwar auf der

Beziehungsebene und nicht durch Strafen und Verbote.

Was ein Heranwachsender in der Pubertät braucht ist ein Gegenüber, das Position bezieht und an dem

sie sich reiben können. Eltern sollen ihre Meinung vertreten, aber die des Kindes nicht abwerten. Man

muss nicht sagen „Du musst aber doch mal vernünftig sein“ oder „Wie kannst du nur“. Sie können

stattdessen sagen „Du trinkst und ich mache mir große Sorgen, weil ich weiß, Alkohol kann gefährlich

werden. Ich kann es nicht verhindern, aber es macht mir Angst.“ Eltern sagen oft, die Jugendlichen

reden gar nicht mehr mit uns und die Klage der Jugendlichen an die Eltern ist: „Die hören uns nicht zu“.

Mein Rat: Erzählt einfach euren Kindern bei Tisch, wie der Tag bei euch war, seid authentisch und

irgendwann fangen die Jugendlichen vielleicht auch an, von sich zu erzählen.

La Vida: Ein großes Reizthema in den Familien sind ja die Hausaufgaben...

Dieter Scholz:  In der Pubertätszeit können Sie aufhören, die Hausaufgaben zu überprüfen. Sie

übernehmen nur Aufgaben, die gar nicht mehr Ihre sind und die Beziehung zwischen Eltern und Kind

wird zum Dauerkampf. Es bessert sich nur dann, wenn den Jugendlichen die Verantwortung für die

Schule gegeben wird. Viele Eltern empfangen ihre Kinder schon wenn sie aus der Schule kommen mit

dem Satz „Hast du heute Hausaufgaben auf?“ Da geht beim Kind gleich die Klappe runter und es merkt:

Ich bin nicht wichtig, die Hausaufgaben sind wichtig. Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach Hause und

ihr Mann fragt als Erstes: „Musst du heute noch Wäsche machen?“

La Vida: Wie sollte man Ihrer Meinung nach mit Schimpfwörtern umgehen?

Dieter Scholz: Ich glaube, Eltern haben ein großes Problem damit, wenn ihre Kinder sie kritisieren. Wir

sollten als Eltern glauben: „Ich bin gut genug für dich“ und können uns als Vater oder Mutter

Wertschätzung geben. Unser Selbstwertgefühl  bricht nicht zusam-men, wenn unser Kind zu uns sagt:

„Du bist ein Idiot“. Es reicht, dem Kind zu sagen: “Das will ich nicht. Mag sein, dass du jetzt sauer oder

wütend auf mich bist, das ist o.k., das darfst du, aber den Ausdruck finde ich nicht gut.“ Wenn ich dem

Kind aber signalisiere „Du bist nicht o.k., weil du so mit mir redest“ steigere und nähre ich die Wut und

Frustration des Kindes.

La Vida: Ein Schlusscredo?

Dieter Scholz: Kinder sind gleichwürdig. Sie haben die gleichen Gefühle und die gleichen Bedürfnisse

wie die Erwachsenen. Kinder kommen schon mit allem auf die Welt, was sie für diese Welt brauchen.

Es geht nicht darum, dass das Kind sehr früh lernt, sich anzupassen. Anpassung kommt später. Es

braucht Eltern oder Bezugspersonen, die das Kind Erfahrungen machen lassen, in denen es über sich

hinaus wachsen kann und zwar in einer Umgebung, wo es sich sicher fühlt. Dann kann es an seine

Potentiale kommen.

DerAutor

Dieter Scholz, Paar- und Familientherapeut

Einzelberatung, Vorträge und Kurse in Elternberatung:

„Starkeeltern-Starkekinder“, „Pubertät“, Familienwerkstatt…

Praxis in Gundelfingen, Gartenweg 5

Tel. 0761/58 53 94 48 oder 0151 55 60 79 16

scholz.dieter@email.de

www.scholzdieter.de