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Kompositum vs. Phrase: Sprachliche und kognitive Unterschiede

Holden Härtl Universität Kassel

holden.haertl@uni-kassel.de

Einleitung

2

Ökonomie: eine Maschine zum Kehren von Schnee vs. eine Schneekehrmaschine

Warum hat eine Sprache Wortbildung?

Konzeptbildung: ein gelber Karton vs. ein Gelbkarton

Problem: Auch Phrasen sind Konzepte

Kleiner Tümmler, grüner Tee, Mann von Welt

Einleitung

3

Ist Wortbildungsmorphologie eine eigenständige Komponente des Sprachsystems?

Interpretation

Syntax

Artikulation

Lexikon Wortbildung

Einleitung

4

Ist Wortbildungsmorphologie eine eigenständige Komponente des Sprachsystems … oder eher nicht?

Interpretation

Strukturbildung

Artikulation

Lexikon

Fragen

5

Worin bestehen sprachliche Unterschiede zwischen Komposita und Phrasen?

Werden Komposita und Phrasen unterschiedlich verarbeitet und memorisiert?

Sind neue Komposita im Diskurs markiert?

Sprachliche Unterschiede

6

Komposita weisen lexikalische Integrität auf, s. (1b):

(1) a. Mia ist Fahrerin eines Audis. Der hat nun leider einen Motorschaden.

b. Mia ist Audifahrerin. ??Der hat nun leider einen Motorschaden.

Komposita sind drücken eher Artenbegriffe aus:

(2) a. Die Henkelvase wurde in Deutschland erfunden.

b. ??Die Vase mit Henkel wurde in Deutschland erfunden.

cf. Booij (2009); Giegerich (2006)

Sprachliche Unterschiede

7

Komposita sind daher auch besser in nenn-Kontexten:

(1) a. ??Man nennt so etwas ein rotes Dach.

b. Man nennt so etwas ein Rotdach.

Komposita können besser bereits vergangene Eigenschaften ausdrücken, s. (2b):

(2) a. Nur einer der Professoren ist ein ??Baby / Stillbaby.

b. Nur einer der Pensionäre ist ??ein Schüler mit Bestnoten / Bestnotenschüler.

cf. Bücking (2009); Carlson (1977); Krifka et al. (1995); Schlücker & Hünning (2009), Rapp (2012)

Sprachliche Unterschiede

8

Komposita haben eine spezifischere Bedeutung.

(1) Max ist ein schöner Raucher.

Max ist ein Raucher und schön (intersektiv)

Max ist jemand, der schön raucht (nicht-intersektiv)

(2) Max ist ein Schönraucher.

Max ist jemand, der schön raucht (nicht-intersektiv)

cf. Egg (2006); Schäfer (2010)

Sie weisen andere semantische Lesarten als Phrasen auf:

Werden Komposita kognitiv anders behandelt?

9

Komposita und Phrasen unterscheiden sich sprachlich.

Gibt es Gründe anzunehmen, dass sie auch kognitiv anders behandelt werden?

Aphasische Daten: Selektive Beeinträchtigung für syntaktische Phrasen (z.B. strange fever), mit intaktem Kompositum-Zugriff (yellow fever), siehe Mondini et al. (2002)

Morphologie als evolutionär ökonomische Art, komplexe sprachliche Strukturen abzuspeichern, siehe Wunderlich (2008)

Williams-Syndrom: Selektive Beeinträchtigung lexikalisch-morphologischer

Verarbeitung, mit intakter komputationeller Grammatik, siehe Clahsen & Almazan (2000)

Lernstudie

10

Learning phase: subjects were asked to memorize unkonwn picture labels

eine Kurzsäge ein breiter Kamm

Compound Phrase

N = 6 N = 6

Lernstudie

11

Recall phase: subjects were asked to decide on correct / incorrect labels

eine Kurzsäge eine Flachsäge

Compound: learned Compound: not learned

N = 6 N = 6

Response variable: reaction times to decide

Lernstudie

12

ein breiter Kamm ein tiefer Kamm

Phrase: learned Phrase: not learned

N = 6 N = 6

Response variable: reaction times to decide

Recall phase: subjects were asked to decide on correct / incorrect labels

Lernstudie

13

Entire procedure was repeated over three days:

Hypothesis: Compounds are memorized differently than phrases over time.

Day 1

Day 4

Day 8

Lernstudie

14

Results: main effects

Learned items are decided faster (p < .001)

Phrases are decided faster (p < .01)

You get better over time (p < .001)

Lernstudie

15

ITEM TYPE × DAY interaction (not significant)

neither type is memorized better over time (p < .26)

860

910

960

1010

1060

1110

Session 1 Session 2 Session 3

Compounds

PhrasesRT

Lernstudie

16

LEARNED × ITEM TYPE interaction (p < .09)

stronger effect of memorization for compounds (p < .001)

900

950

1000

1050

1100

1150

Phrases Compounds

Not learned

Learned

not learned compounds take longer to decide than phrases (p < .001)

this difference disappears when the compounds are learned (p < .67)

RT

Lernstudie

17

Error rates: LEARNED × ITEM TYPE interaction (p < .001)

compounds profit from learning, phrases don’t (p < .75)

4,5

4,6

4,7

4,8

4,9

5,0

5,1

5,2

5,3

5,4

Not learned Learned

CompoundsPhrases

compounds are decided as correctly as phrases when learned (p < .99)

CORRECT

ANSWERS

Lernstudie

18

Main findings

> =

> >>

(1)

(2)

Zwischenfazit

Wir finden einen stärkeren Memorisierungseffekt für Komposita: Sie haben zwar einen “schlechten Start”, erreichen dann aber schnell das gleiche Aufwandsniveau wie Phrasen.

Mögliche Erkärung für den “schlechten Start“: Neue Komposita sind sprachlich markiert und daher zunächst schwerer zu verarbeiten.

Hat dieser Markiertheitsffekt eventuell Folgen für die Diskurswertigkeit neuer Komposita?

19

Fragebogenstudie

20

Minidiskurse: Testsätze mit psychischen Verben und kausalen Nebensätzen

(2) Stim-Phrase: Die flache Säge begeistert Christoph, weil sie …

Stim-Komp: Johanna schätzt das Schmalmesser, weil es …

Hypothese: Die Zuschreibung der weil-Sätze zum Stimulus erhöht sich bei unbekannten Komposita im Vergleich zu Phrasen.

(1) Exp-Stim-Verb: Max beneidet die Direktorin, weil sie / ?er …

Stim-Exp-Verb: Die Direktorin fasziniert Max, weil sie / ?er …

Fragebogenstudie

21

Ergebnis: Erwartungsgemäßg erhöhen sich bei Komposita die Stimulus-Zuschreibungen noch einmal

Worin genau ist der Effekt begründet? Semantische Markiertheit? Strukturell?

Zeigt der Effekt sich auch bei der Online-Verarbeitung?

Lesezeitstudie

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Testsätze der folgenden Art wurden selbstbestimmt gelesen:

A-N-Komplex semantisch markiert, weil-Zuweisung an: Exp-Komp: Der Weitlehrer fürchtet Ina, weil er … Exp-Phrase: Der tiefe Arzt fürchtet Ina, weil er …

Gemessen wurde die Reaktionszeit auf dem Pronomen und dem Subjekt.

A-N-Komplex semantisch unmarkiert, weil-Zuweisung an: Exp-Komp: Der Langläufer schätzt Klaus, weil er … Exp-Phrase: Der starke Schmied schätzt Klaus, weil er …

Hypothese: Semantische markierte Komposita (Weitlehrer) vereinfachen die weil-Zuweisung an den Experiencer im Vergleich zur sem. markierten Phrase.

Lesezeitstudie

23

Zunächst die bad news:

Aber – es gibt auch gute Nachricht:

In der Subjekt-Position wurden markierte Komposita viel langsamer verarbeitet als markierte Phrasen:

Schlussfolgerung: Semantisch markierte Komposita erfordern mehr Verarbeitungskapazität als markierte Phrasen.

Auf dem Pronomen zeigt sich kein empirisch verwertbarer Effekt.

… Weitlehrer …

… tiefe Arzt …

… Langläufer …

… starke Schmied …

Zusammenfassung

Wir finden einen stärkeren Memorisierungseffekt für Komposita. [10 – 18]

Online bestätigt sich aber zunächst nur der Effekt des „schlechten Starts“ neu gebildeter Komposita, hier wieder anhand der Lesezeit. [22 – 23]

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Wir finden offline Hinweise auf erhöhte Diskurswertigkeit neu gebildeter Komposita. [20 – 21]

Komposita haben eine Benennungsfunktion, die sich sprachlich / semantisch niederschlägt. [Folie 6 – 8]

Unklar ist die genaue Natur dieses Effektes, da es sich auch um ein reines Leseproblem handeln könnte. Und wie verhält es sich mit neuen, aber semantisch transparenten Komposita: Kurzlied, Rumpfkollegium, Langkanon?

Prinzipiell sind unsere Ergebnisse mit der Hypothese einer separaten Wortbildungskomponente gut kompatibel.

Vielen Dank.

References

Booij, Geert (2009) Lexical integrity as a formal universal: a constructionist view. In: Scalise, Sergio; Elisabetta Magni, and Antonietta Bisetto (eds.) Universals of Language Today. Berlin: Springer Science & Business Media, 83-100.

Bücking, Sebastian (2009) German nominal compounds as underspecified names for kinds. Linguistische Berichte Sonderheft, 17, 253-281.

Carlson, Greg (1977) A unified analysis of the English bare plural. Linguistics and Philosophy, 1-3, 413-458.

Clahsen, Harald & Mayella Almazan (2001) Compounding and inflection in language impairment: evidence from Williams Syndrome (and SLI), Lingua, 111, 729-757.

Egg, Markus (2006) Anti-Ikonizität an der Syntax-Semantik-Schnittstelle. Zeitschrift für Sprachwissenschaft, 25-1, 1-38.

Giegerich, Heinz (2006) Attribution in English and the distinction between phrases and compounds. In: Rösel, Peter (ed.) Englisch in Zeit und Raum - English in Time and Space: Forschungsbericht für Klaus Faiss, Trier: Wissenschaftlicher Verlag.

Jespersen, Otto (1942) A Modern English Grammar. Part VI, Morphology. Copenhagen: Ejnar Munksgaard.

Krifka, Manfred; Francis. J. Pelletier; Greg. N. Carlson; Alice ter Meulen; Gennaro Chierchia & Godehard Link (1995) Genericity: an introduction. In Greg N. Carlson & Francis J. Pelletier (eds.), The Generic Book. Chicago/London: University of Chicago Press, 1-124.

Lipka, Leonhard (1977) Lexikalisierung, Idiomatisierung und Hypostasierung als Probleme einer synchronen Wortbildungslehre. In: Brekle, Herbert & Dieter Kastovsky (eds.) Perspektiven der Wortbildungsforschung, Bonn: Bouvier, 155-164.

Mondini, Sara; Gonia Jarema; Claudio Luzzatti; Cristina Burani, and Carlo Semenzai (2002) Why is red cross different from yellow cross? A neuropsychological study of noun-adjective agreement within Italian compounds. Brain and Language, 81, 621-634.

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Wunderlich, Dieter (2008) Spekulationen zum Anfang von Sprache. Zeitschrift für Sprachwissenschaft, 27-2, 229-266.

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Rapp, Irene (2012) On the Temporal Interpretation of Present Participles in German. Eingereichtes Ms., Universität Tübingen.

Schlücker, Barbara & Matthias Hüning (2009) Compounds and phrases. A functional comparison between German A+N compounds and corresponding phtrases, Rivista di Linguistica, 21-1, 209-234.

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