Post on 03-Oct-2021
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4. Quartalsbericht August 2014, Tabea Doll
Ein Jahr ist vergangen. Mittlerweile bin ich wieder in Deutschland. Im Mai führten wir, anschließend an die Erdbeben,
die vor allem Nagarote, Mateares, Ciudad Sandino, La Paz Centro und Managua ab dem 10. April erschütterten, einen
Workshop zu Katastrophenvorsorge durch. Dabei stellten wir fest, dass relativ wenige Kinder wussten, wie sie sich auf
mögliche Erdbeben vorbereiten und sich während und nach einem Erdbeben verhalten sollten. Wir redeten vor allem
über die Erfahrungen der Kinder und probten richtiges Verhalten bei Erdbeben. Sonst war ich im letzten Quartal
überwiegend mit der Stellenausschreibung und dem Bewerbungsverfahren für die Nicaraguaner/Innen beschäftigt, die
am Süd-Nord-Freiwilligendienst in Göttingen teilnehmen möchten (6 Bewerber/Innen sind bereits in der Vorauswahl),
sowie mit Übersetzungsarbeiten für deutsche Förderer. Im Juli begann ich meine Aufgaben abzuschließen und an meine
Mitarbeiter zu übergeben. In den letzten drei Monaten gab es nicht ganz so viel Arbeit, sodass meine Chefin Maria
Hamlin Zúniga, die selbst Liebhaberin des Biosphären-Reservats Bosawas ist, mir öfter Freiraum gab, um mich meiner
Arbeit bei der nicaraguanischen Umweltschutzbewegung „Misión Bosawas“ zu widmen. Da mich viele Personen, die
meine privaten Rundmails erhalten oder meine Aktivitäten auf Facebook verfolgen, nach Informationen über das
Biosphären-Reservat Bosawas und meine Arbeit bei Misión Bosawas baten, habe ich mich dafür entschieden, einen
ausführlichen Bericht zu diesem Thema zu schreiben. Im April habe ich für drei Tage das Naturreservat Macizo de
Peñas Blancas besucht, das Teil des stark bedrohten Biosphären-Reservats Bosawas ist. Ich habe wundervolle
Wanderungen unternommen, in riesigen eiskalten Wasserfällen gebadet und eine unglaubliche Vielfalt an Flora und
Fauna erlebt. Eine wunderschöne Erfahrung, die mich dazu anregte mehr über Bosawas zu lernen und Teil der
Umweltschutzbewegung Misión Bosawas zu werden. Anfang Juli hatte ich die Möglichkeit Musawas, Hauptgemeinde
der Mayangnas, eine der indigenen Bevölkerungsgruppen Nicaraguas, zu besuchen und mich mit den Freiwilligen von
Misión Bosawas aus Musawas auszutauschen. Die Arbeit bei Misión Bosawas hat in den letzten 4 Monaten meines
Aufenthalts in Nicaragua meine komplette Freizeit eingenommen. Nachfolgend also ein Bericht über das Biosphären-
Reservat, die Arbeit von Misión Bosawas, unsere Reise nach Musawas und, soweit möglich, die Situation der
Mayangna.1
Lunge Zentralamerikas – Biosphären-Reservat Bosawas
Die Flüsse „Río Bocay“ und „Río Waspuk“, sowie der Berg „Cerro Saslaya“
geben dem Reservat seinen Namen.
Misión Bosawas
Was ist Misión Bosawas?
Misión Bosawas ist eine Umweltschutzbewegung der Zivilgesellschaft, die sich für die Erhaltung
und nachhaltige Entwicklung des Biosphären-Reservats Bosawas einsetzt. Das multidisziplinäre
Freiwilligenkollektiv, bestehend aus Schülern, Studenten, professionellen Akademikern und
Ausgebildeten unterschiedlichster Fachrichtungen und anderen Personen aller Altersgruppen, wurde
im Jahr 2012 gegründet. Es entstand aus der Initiative heraus, die Bevölkerung über die aktuelle
Problematik bezüglich des Reservats zu informieren, Bewusstsein über die Bedeutung von Bosawas
zu schaffen und sich mit der indigenen Bevölkerung zu solidarisieren. Ziel ist es, einen sozialen
Wandel anzustoßen, der zur Verantwortungsübernahme aller gesellschaftlichen Sektoren beiträgt,
für die Regeneration und die nachhaltige Entwicklung von Bosawas. Misión Bosawas hat die
Vision eine organisierte landesweite Bewegung zu sein, die Einfluss auf die politischen
Entscheidungsträger ausübt, damit ein Gleichgewicht zwischen Entwicklungspolitik und
Umweltschutz gefunden wird und das Wohlbefinden der gesamten nicaraguanischen Gesellschaft
gesichert werden kann.
1 Fotos von Misión Bosawas
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Was tut Misión Bosawas?
Es gibt Freiwilligengruppen von Misión Bosawas in Managua, Musawas und Matagalpa. Es werden Bildungsaktivitäten
an öffentlichen Orten, in Schulen, Universitäten und Bildungs- und Kulturzentren, sowie auf Umweltforen
durchgeführt. Kunst und Musik spielen hierbei eine wichtige Rolle. Organisiert werden auch Expeditionen in das
Naturreservat Macizo de Peñas Blancas, an welchen die Bevölkerung teilnehmen kann. Dabei steht im Vordergrund das
Lernen über und das Erfahren der Natur. Bosawas kennen zu lernen motiviert die Bevölkerung für dessen Schutz
einzutreten. In diesem Jahr wurden drei ökologische Festivals veranstaltet, in Bonanza (zugehörig zu Bosawas),
Matagalpa und Managua. Es bestehen zahlreiche Allianzen mit nicaraguanischen Musikern und Künstlern, die die
Initiative unterstützten oder aktiv bei der Bewegung mitarbeiten. Misión Bosawas hat eine starke Präsenz in Medien wie
Fernsehen, Radio und Zeitung, sowie in sozialen Netzwerken.
Besucher des Festivals Informieren sich...
Recycling-Dekoration rund um die Bühne!
Vereint für Bosawas mit Katia Cardenal
vom Dúo Guardabarranco!
Zukünftige Freiwillige von Misión Bosawas!
Am 23. Juli 2014 kam der Dokumentarfilm von Misión Bosawas „El Canto de Bosawas“ (Der Gesang/Klang von
Bosawas, Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=TTNas0lrtdA, Details zum Film siehe letzte Seite) in Managua in
zwei Kinos. Zunächst war die Ausstrahlung des Films nur für eine Woche geplant. Doch sowohl die kostenlosen
Morgenvorstellungen für Schulklassen, Universitäten und andere Gruppen, als auch die Abendvorstellungen waren
meist überfüllt. Am Ende der ersten Vorstellungswoche lief der Film an einem Abend in den beiden Kinos in insgesamt
acht Sälen gleichzeitig! Misión Bosawas und die Kinos erhielten zahlreiche Bitten, den Vorführungszeitraum zu
verlängern. Nun sind die Vorstellungen bereits in der vierten Woche verlängert worden. In Matagalpa, Leon, Granada,
Puerto Cabezas und Managua, wurde der Film außerdem auch an vielen Universitäten, in Kulturzentren und Schulen
gezeigt. Nach dem Dreh des Films entstand eine CD mit Aufnahmen von Mayangna-Musikern und Musikern der
Pazifikküste. Die Musik kann kostenlos im Internet heruntergeladen werden:
https://www.mediafire.com/folder/7w9uxbm97b655/
Probevorführung im Kino! Die ersten Besucher...
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Meine Aktivitäten bei Misión Bosawas
Als Freiwillige/r bei Misión Bosawas kann jeder je nach seiner Zeit und seinen Interessen und Talenten mitarbeiten. Wir
sind eingeteilt in verschiedene Teams (Kommunikation, Bildung, Kunst, Logistik, Freiwilligen-Koordinierung), doch
letztendlich gibt es viele Überschneidungen und wenn viel zu tun ist, machen alle bei allem mit. Als ich im März anfing
ging es gerade an die Vorbereitung für das Festival in Managua. Ich arbeitete mit der Kunstgruppe an der Dekoration für
die Bühne, übernahm Aufgaben in der Logistik und Koordinierung der anderen Freiwilligen und informierte am
Informationsstand auf dem Festival über die Problematik zu Bosawas. Nach dem Festival wurden wir zu vielen
Umweltforen und ähnlichen Veranstaltungen eingeladen. Auch dort kümmerte ich mich, wenn ich teilnehmen konnte,
um den gleichen Stand. Ich erarbeitete einen Vorschlag für ein Bildungskonzept für die Bildungseinheiten an Schulen
und Universitäten, an dem das Bildungsteam in Managua gerade weiterarbeitet (das Konzept „Alegremia und
Gesundheit der Ökosysteme“, mit dem bei CISAS gearbeitet wird und über das ich in den anderen Quartalsberichten
bereits berichtete, eignet sich hervorragend, um es im Zusammenhang mit dem Thema Bosawas anzuwenden). In
meiner letzten Woche in Managua repräsentierte ich Misión Bosawas in der Jugendradiosendung „Was die Jugendlichen
fragen“ bei Radio Mujer, und als wir den Dokumentarfilm in Granada präsentierten kümmerte ich mich um den Verkauf
der T-Shirts – es geht also Querbeet, inklusive der Reise nach Musawas, und deshalb macht die Arbeit auch so viel Spaß
und ich habe in den letzten Monaten unheimlich viel Neues gelernt. Nicht nur über Bosawas, sondern auch über mich
selbst.
Basisdaten und Funktionen des Biosphären-Reservats
Bosawas wurde im Jahr 1997 durch die UNESCO zum Biosphären-Reservat erklärt. Zusammen mit dem angrenzenden
Reservat Río Platano in Honduras ist es eines der letzten dicht bewaldeten Gebiete Mittel- und Südamerikas. Bosawas
erstreckt sich auf ca. 20.000 km² (15,25% des Nationalgebietes) und verteilt sich über die Regionen Jinotega, Región
Autónoma del Atlantico Norte (RAAN) und Nueva Segovia. Als Biosphären-Reservat soll es drei Funktionen erfüllen:
1. Die Erhaltung der Landschaft, der Ökosysteme und der Biodiversität.
2. Die Förderung einer nachhaltigen, menschlichen, soziokulturellen und ökologischen Entwicklung auf Umwelt-
, sozialer, wirtschaftlicher, politischer, spiritueller und kultureller Ebene und nachhaltiges Wirtschaften mit
natürlichen Ressourcen.
3. Die Förderung von permanenter Bildung und Forschung, um Problemen bei der Entwicklung und Erhaltung
des Reservats und der globalen Klimaveränderung begegnen zu können.
Im Idealfall besteht eine Unterteilung des Biosphären-Reservates in drei Zonen, die Kernzone, sozusagen das Herz des
Reservats, wird aus sechs geschützten Naturreservaten geformt: Reserva Natural de Bosawas (Hauptreservat), Parque
Nacional Cerro Saslaya, Reserva Natural Cola Blanca, Reserva Natural Banacruz, Reserva Natural Macizo de Peñas
Blancas und Reserva Natural Cerro Kilambe. Das Herz des Reservates erstreckt sich auf 8.058 km². In den Kernzonen
leben ca. 41.900 Einwohner (indigene Bevölkerung und Mestizo-Bevölkerung). Um die Kernzonen herum gibt es eine
Pufferzone (8.637.2 km², ca. 242.000 Einwohner) um diese von der dritten Zone, der “Zona de Transición”
(Übergangszone, 3.367 km²) fern zu halten. So soll die Schädigung der Kernzone verhindert bzw. gemindert werden,
denn die Übergangszone verbindet das Reservat mit dem Rest des Landes. Alle drei Zonen stehen unter Schutz. Die
“Übergangszone” ist eine Zone mit Siedlungen und landwirtschaftlichen Aktivitäten in der alle Akteure (Behörden,
Gemeinden und Bevölkerung, Nichtregierungsorganisationen, Unternehmen und andere Gruppen) zusammenarbeiten
sollen, für eine nachhaltige Entwicklung und einen schonenden Umgang mit den natürlichen Ressourcen, zu Gunsten
der Bevölkerung und der Umwelt. In der Realität hat die Pufferzone mittlerweile ihre Funktion verloren, sie ist bereits
größtenteils abgeholzt worden und Landwirtschaft und Siedlungen sind bereits von der Übergangszone in die 6 Gebiete
der Kernzone des Biosphären-Reservates vorgedrungen. Die einzelnen Kernzonen sind nicht alle direkt miteinander
verbunden. So gibt es keine biologischen Korridore mehr, welche es den Tieren ermöglichen, zu migrieren.
In grün und mit gelber Umrandung, sind die
Kernzonen von Bosawas zu sehen. Der
Parque Nacional Cerro Saslaya liegt
innerhalb des großen Hauptreservates
Reserva Natural. Am südlichsten liegt das am
leichtesten zugängliche Reserva Natural
Macizo de Peñas Blancas, gleich unterhalb
des Reserva Natural Cerro Kilambe. Im
Westen von Bosawas liegt das Reserva
Natural Cola Blanca, gleich oberhalb des
Reserva Natural Banacruz. In beige ist die
Pufferzone gekennzeichnet. Leider konnte
ich auf keiner der Karten eine Unterteilung in
alle drei Zonen finden.
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Bosawas, bedrohtes Leben
Der Urwald produziert pro Jahr 264 Millionen Tonnen Sauerstoff für den Planeten, welcher bis nach Nordamerika und
Europa gelangt. Bosawas ist fundamental für das Klima der Erde und sichert in Nicaragua klimatische Bedingungen,
die den Anbau der Lebensmittel begünstigen. Auch für die Wasserversorgung des Landes ist Bosawas wichtig. Durch
das Biosphären-Reservat fließen 9 der wasserreichsten Flüsse Nicaraguas. Das Gebiet beherbergt 3,5% der weltweiten
terrestrischen Artenvielfalt. Darunter die letzten Pumas, Jaguare, Ozelots und Adler des Landes, 500 von 1000
Schmetterlingsarten Nicaraguas, 400 von 756 Zug- und Standvögeln und 120 von 200 Säugetieren des Landes. 217
Arten sind akut vom Aussterben bedroht, während 32 Arten gefährdet sind. Die einzigen, welche all dies von je her
schützen, sind die indigenen Bevölkerungsgruppen Mayangna und Miskito. Seit Generationen bewohnen sie den Wald
im Gleichgewicht mit der Natur. Durch die Zerstörung von Bosawas wird ihre Heimat, ihre Lebensform und Kultur
bedroht.
Die Zerstörung des Waldes für das legale und illegale Holzgeschäft, die Landwirtschaft und die Suche und den Abbau
von Metallen und Mineralien, haben dafür gesorgt, dass seit 1987 ca. 5.647,37 km² Wald verschwunden sind. Besonders
drastisch ist die Situation seit 2005. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit
(GIZ) hat Bosawas zwischen 2005 und 2010, überwiegend auf Grund der Landwirtschaft, insgesamt ca. 2.133,79 km²
Wald verloren, jährlich ca. 420 km² (eine Fläche über 2 mal so groß wie die Stadt Nürnberg). Bleibt es weiter bei einer
Abholzung von diesem Ausmaß und dieser Geschwindigkeit, wird Bosawas nach aktuellen Berechnungen in ca. 24
Jahren Geschichte sein (Plan de Manejo de la Reserva de Biosfera de Bosawas, 2011).
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Anfang Juli reiste ich mit 5 Kollegen von Misión Bosawas nach Musawas. Da die Reise per Landweg nach Bonanza
(gelegen in der Pufferzone) über 10 Stunden dauert, reisten wir per Flugzeug und im Anschluss per Auto nach Suniwas.
Von dort ging es mit Maultieren und Pferden weiter bis Musawas. Kurz vor der Landung in Bonanza ist die Zerstörung
bereits aus der Luft zu erkennen, eine Weidefläche neben der anderen, frisch abgeholzte oder abgebrannte Landstriche.
Einem Großstädter, der die Problematik nicht kennt, erscheint der Weg von Bonanza nach Suniwas wahrscheinlich wie
ein Ausflug in die Natur. Doch wo grüne Weideflächen liegen, müsste eigentlich ein Urwald stehen, und auch hier sind
frisch abgeholzte Gelände zu sehen.
Die Landwirtschaft hat sich bereits in die geschützten Kernzonen des Reservats verlagert. Der Anbau von Mais, Bohnen
und Café, die hierbei eingesetzten Chemikalien und vor allem die extensive Viehhaltung zerstören die Böden, welche
nicht für die landwirtschaftliche Nutzung geeignet sind und bedrohen die Wasserquellen. Sobald das Land nicht mehr
fruchtbar genug für den Anbau und die Viehhaltung ist, dringen die Bauern und Viehalter weiter in das Reservat vor.
Die Dürre, welche Nicaragua gerade erlebt, verschärft die Situation, viele Rinder verhungern und verdursten (bis zum
14. Juli, 2500 Rinder). Dann besteht das Risiko, dass einige Viehhalter ihre Rinder in Zonen verlagern, in welchen es
noch Wasser gibt, sprich, in welchen noch Wald existiert, z.B. nach Bosawas. Diesen holzen sie für ihre Weideflächen
ab, was auf Dauer wiederum zur Austrocknung des Landes führt. Ein Bekannter von mir der Viehhalter ist und
alternative Modelle der Viehhaltung ausprobiert kritisierte, dass die Regierungsberater den Viehzüchtern raten ihre
Rinder in die Feuchtgebiete zu verlagern. So dringt die Landwirtschaft immer weiter in die geschützte Zone vor. Die
Ironie des Teufelskreises wird klar: der landwirtschaftliche Sektor zerstört nicht nur das Reservat, seine Flora und Fauna
und bedroht die Lebensweise und Kultur der indigenen Völker, sondern vernichtet auch Land und Wasserquellen die er
selbst zum Überleben braucht.
Auf Dauer führen diese Art von Holzgeschäft und Landwirtschaft zu einem Verlust der Fruchtbarkeit der Böden und der
biologischen Vielfalt, sowie zu einer Klimaveränderung, die die Produktion von Lebensmitteln erschwert oder
unmöglich macht und steigert somit die Armut (es muss auch bedacht werden, dass die Biodiversität und die
Lebensmittelproduktion außerdem durch den Monokultur-Anbau von Zuckerrohr, Ölpalme etc. in anderen Landesteilen
bedroht wird).
Die Suche und Extraktion von (Edel-) Metallen und Mineralen stellt eine weitere Bedrohung dar. Vor allem in Bonanza
und Siuna wird in den Flüssen nach Gold gesucht (güirisería). Der traditionelle und industrielle Metall- und
Mineralienabbau findet vor allem im Ostsüdosten des Reservates statt. In und um den Ort Bonanza gibt es nach 100
Jahre langer Extraktion ernste Wasserverschmutzung durch Quecksilber und Zyanid. Seit 1995 ist das
Bergbauunternehmen Hemco dort tätig. Für einen Großteil der Pufferzone gibt es Konzessionen zur Suche nach
Metallen und Mineralen, an vielen Orten direkt angrenzend an die Kernzonen des Reservates.
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Landkonflikt
Das geschützte Land, auf dem all dies geschieht, wird illegal gehandelt. Oft handelt es sich dabei um indigenes
Territorium. Die “Colonos”, so werden die Mestizos bezeichnet, welche in das Reservat eindringen, kaufen das Land
illegal. Korrupte Anwälte verschaffen Ihnen gefälschte Papiere über das gekaufte Land. Seit Jahren erleben die
Mayangnas eine oft gewalttätige Invasion ihres Gebietes. Vereinzelt kommt es vor, dass Mayangnas ihr Land illegal
verkaufen (das Land ist unveräußerlich). Lusbin Taylor, Mayangna und Freiwilliger von Misión Bosawas, findet, dass
ein Mayangna, der sein Land verkauft, doppelt so lange ins Gefängnis gehen sollte als der Colono, der ihm das Land
abkauft und das indigene Territorium invadiert. Allerdings muss auch daran gedacht werden, dass manche Colonos
Erpressungen und Bedrohungen nicht scheuen. So müsste, denke ich, in jedem dieser Fälle danach gefragt werden, was
die Person dazu brachte, das Land zu verkaufen.
Ein oft ausgesprochenes Argument, die Invasion zu entschuldigen, ist die Armut der Landbevölkerung. So wird
argumentiert, dass die Familien in einer so prekären Situation leben, dass sie keine andere Alternative haben, als in das
Reservat einzudringen, um das Überleben ihrer Familie zu sichern. Die arme Bevölkerung in Nicaragua hat kaum
Zugang zu Land. Doch auf lange Sicht gesehen ist auch diesen Familien nicht geholfen indem sie in Bosawas bleiben.
Denn wenn kein Wald und kein fruchtbares Land mehr existiert, werden auch sie selbst die Zerstörung des Reservates
zu spüren bekommen. Die Regierung muss geeignete Alternativen für diese Familien schaffen und die Gesetze zum
Schutz des Biosphären-Reservats und der indigenen Territorien einhalten. Abgesehen hiervon stellen sie auch nicht das
Hauptproblem dar. Denn besorgniserregend ist, wie bereits dargestellt, vor allem die Invasion durch Holzfäller, Bauern
und Viehzüchter. Es wird unterschieden zwischen den “kleinen” Bauernbetrieben (seit den 50er Jahren wandern
Kleinbauern in das Naturreservat von Bosawas ein), Bauern mit Kapital, die ihre Besitztümer und ihren Viehbestand
vergrößern (die meisten sind bereits einige Jahre in Bosawas), sowie den reinen Viehzüchtern, die von den anderen in
der Landwirtschaft tätigen Personen als erfolgreichste Landwirte angesehen werden. Meist leben sie selbst nicht in
Bosawas. So kommen ihre Gewinne in der Regel nicht einmal den Menschen der Region zu Gute. Auf dem Weg von
Bonanza nach Suniwas bestätigte uns ein Freiwilliger aus Bonanza, dass viele der Vieh- und Grundstücksbesitzer des
Landes, an dem wir vorbeifuhren, in anderen Regionen Nicaraguas ansässig sind.
Offiziell haben alle indigenen Gemeinden die Titel über ihr Land erhalten. Betreten
werden darf ihr Territorium eigentlich nur, wenn sie eine offizielle Erlaubnis erteilen.
Doch ohne die Umsiedelung der Colonos, Ahndung ihrer Straftaten und die
Beendigung der Invasion, sind die Titel eine Farce. Die 9 indigenen
Territorialregierungen (Gobierno Territorial Indígena – GTI) der Mayangnas erhalten
seitens der nicaraguanischen Regierung kaum Beachtung. Ihnen wird kaum
Handlungsspielraum und Raum für Partizipation gelassen. Auch an finanzieller und
praktischer Unterstützung, um ihr Gebiet zu schützen, fehlt es. Links das Foto einer
Pressekonferenz von Gemeindeführern des Mayangna-Territoriums Sauni Arungka in
Managua. Eine Bank würde die genaue Vermessung und Kennzeichnung ihres Landes finanzieren. Doch die Behörden
unterstützen sie nicht bei der Umsetzung. So brauchen sie hierzu z.B. Polizeibegleitung, weil die Colonos oft bewaffnet
sind. Auch in Sauni As fehlt es an der Unterstützung durch die Polizei für die Patrouille zum Schutz des Territoriums.
Dort wurde von den Mayangnas mittlerweile eine Beschwerde über den zuständigen Polizeichef eingereicht. Oft haben
die Colonos Verbindungen zur Polizei oder sind mit den Polizisten verwandt, berichteten uns die Bewohner in
Musawas. Die Fortschritte in den Prozessen gegen die Invasoren sind minimal und viele von Ihnen bleiben ungeahndet
in Bosawas. In Sauni Bas wurden von 148 untersuchten und dokumentierten Fällen von Landraub nur 14 an die
Staatsanwaltschaft gegeben und zu Prozess gebracht. Vereinzelt konnten einige Familien durch Mediation zum
Verlassen des Gebietes gebracht werden, doch dies ist nicht die Regel. Regelmäßig wird die indigene Bevölkerung von
den Colonos bedroht. Im April 2013 wurde Elias Charles Taylor, Mayangna der Gemeinde Musawas, auf einer
Patrouille zum Schutz ihres Territoriums von Invasoren erschossen. Ein Mitglied der Frauenorganisation in Musawas
stellte uns seine Ehefrau Ricalina Davis vor, mit der Bitte um Kleiderspenden, denn seit dem Tod ihres Mannes hat sie
Schwierigkeiten, ihre sechs Kinder zu ernähren. Einer ihrer Söhne studiert in Puerto Cabezas, einer beendet gerade die
Schule, die anderen Kinder sind noch jünger.
Als wir in Musawas waren, erwähnten Gemeindeführer, Mitglieder des GTI und Freiwillige von Misión Bosawas die
aus Musawas und den umliegenden Gemeinden kommen, dass sie alle Instanzen ausgeschöpft haben um den Staat zum
Handeln zu bewegen und ihn zur Einhaltung der Gesetze zu bringen. Die Umsiedlung der Colonos und die Beendigung
der Invasion erscheinen in weiter Ferne. Der “Batallón Ecológico”, eine Militäreinheit, die zum Schutz des Reservates
eingesetzt wird, kann nicht alle Patrouillen begleiten, um den Mayangnas Schutz zu bieten. Außerdem gilt er als
Korrupt und lässt auf Befehl von oben auch mit Holz beladene Lastwagen passieren, die irreguläre Lizenzen haben. So
erzählten uns die Mayangnas von den Wagen des Unternehmers Campbell oder des Unternehmens Alba Forestal. Das
Ministerium für Umwelt und natürliche Ressourcen (Marena) ist praktisch ein Phantom-Ministerium mit viel zu wenig
Finanzierung und Personal. Der Export von Holz und Rindfleisch ist für den Staat ein wichtiges Geschäft an dem durch
die Politiker mitverdient wird, und die Lobby der Unternehmer und Viehzüchter ist groß. Das Nationale Forstinstitut
(Inafor) ist seit diesem Frühjahr nicht mehr dem Land- und Forstwirtschaftsministerium (Magfor), sondern direkt dem
Präsidenten Ortega unterstellt. Die Opposition kritisiert, dass der Staat und das Militär dadurch mehr Kontrolle über die
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Forstwirtschaft ausüben können. So können regierungsnahe Unternehmen, wie Alba Forestal (aus nicaraguanisch-
venezolanischem Kapital) und Militärs die in die Holzgeschäfte verwickelt sind, begünstigt werden.
Auch der GTI steht manchmal in der Kritik. So wirft ein ehemaliges Gründungsmitglied des GTI Sumo-Mayangna ihm
vor, seit Jahren nur auf Signale und Taten des Staates zu warten und nicht richtig auf sein Volk einzugehen. Und wie uns
von den Mayangnas in Musawas berichtet wurde, macht natürlich die Korruption auch vor den Mayangna-Politikern
nicht halt.
Reise nach Musawas
Im obigen Kontext habe ich bereits einige Erfahrungen unserer Reise nach Musawas geschildert. Der Flug von
Managua nach Bonanza dauert ca. 45 Minuten. Dort wurden wir von Freiwilligen aus Bonanza und Musawas abgeholt
und es ging weiter mit dem Auto nach Suniwas, eine ca. 1,5 stündige Fahrt. Von Suniwas nach Musawas braucht man
im “Mayangna-Schritt” ca. 2 Stunden. Wir kamen jedoch erst nach ca. 4 Stunden in Musawas an. Für uns Großstädter
war der Weg sehr anstrengend, sowohl zu Fuß, als auch mit den Pferden und Maultieren, denn es regnet viel in Bosawas
und die Wege sind sehr rutschig und ab und zu auch steil. Zum Teil reicht der Schlamm bis über die Knie. Auf dem
Rückweg konnten wir die Flüsse gerade noch so passieren. Der Weg ist wunderschön und je mehr man sich der
Kernzone des Reservates und dem Territorium der Mayangnas nähert, desto besser erhalten ist der Wald.
In Musawas sprachen wir mit religiösen Führern, Gemeindeführern und Mitgliedern des GTI. Ich glaube es bestand
trotz der in der Gemeinde aktiven Freiwilligengruppe von Misión Bosawas, noch Unklarheit darüber, was Misión
Bosawas tut, wie das Freiwilligenkollektiv arbeitet und wie eine Zusammenarbeit aussehen kann. Eine der ersten
Fragen, die die GTI-Mitglieder stellten, war ob Misión Bosawas direkten und guten Kontakt zur Regierung hätte und
unmittelbar Einfluss nehmen könnte, um die Invasion zu stoppen. Dies ist natürlich leider nicht möglich und außerdem
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sollten die Mayangnas im Kampf gegen den Landraub die Protagonisten sein. Hierbei sind sich auch die Mitglieder von
Misión Bosawas aus Musawas einig. Ziel ist es, solidarisch zu sein und ihre Anliegen zu unterstützen. Außerdem
möchte Misión Bosawas bei der restlichen Bevölkerung das Interesse für, und die Solidarität mit den Mayangnas
fördern, hin zu einer Kultur des Respekts zwischen indigener Bevölkerung und Mestizos, und der Achtung der
Menschenrechte der indigenen Bevölkerung. Es war sehr wichtig die Rolle des Freiwilligenkollektivs zu klären und
insgesamt sind alle zufrieden mit dem Treffen. So wurde ein Übereinkommen zur Zusammenarbeit unterzeichnet,
basierend auf den Forderungen, die die Mayangna-Gemeinden an die Regierung stellen.
Wir trafen uns mit den Freiwilligen von Misión Bosawas aus Musawas, Alal und anderen umliegenden Gemeinden des
Mayangna-Territoriums Sauni As, um gemeinsam die restlichen Aktivitäten für dieses Jahr zu planen und Ideen zur
politischen Einflussnahme zu entwickeln. Für die Gruppen in Managua und Matagalpa ist es von großer Bedeutung, die
Aktivitäten mit den Freiwilligen aus Musawas abzustimmen und zu wissen, was für die Mayangna-Gemeinden, die
unmittelbar von der Problematik betroffen sind, wichtig ist. Beispielsweise kann die Gruppe aus Managua sie bei der
Organisation von Pressekonferenzen und dem Kontakt zu Fernsehkanälen und Radiosendern in Managua unterstützen,
denn dies ist von Musawas aus oft schwierig zu organisieren. In Musawas zeigten wir außerdem zum ersten Mal den
Dokumentarfilm “El Canto de Bosawas”, denn dort wurde auch gedreht. Die Kinder hatten großen Spaß dabei, sich
selbst oder andere Personen aus ihrer Gemeinde auf der Leinwand zu sehen!
Treffen mit den anderen Freiwilligen aus Musawas und den umliegenden Gemeinden in der Schule. Das
Klassenzimmer, in dem sie sich regelmäßig versammeln, wurde zur „Aula Misión Bosawas“ ernannt:
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Auf unserer kurzen Reise konnte ich kaum Einblick in die Lebensweise, Geschichte, Traditionen und Kultur der
Freiwilligen aus Musawas erhalten. “Wie entwickelt ist die Lebensweise der Mayangnas?”, „Tragen sie die gleiche
Kleidung wie wir?“ Solche Fragen stellten mir viele Personen in Managua, wenn sie hörten, dass ich in Musawas war.
Dabei fällt mir auf, dass sie in der Schule, der Universität und zu Hause kaum etwas über die ursprünglichen Bewohner
des Landes und ihre Vorfahren lernen und oft Stereotype besitzen und, dass hier etwas Ähnliches passiert wie zwischen
Europa und den sogenannten „Entwicklungsländern“. Es fällt uns oft schwer den „kolonialen Blick“ zu verändern, ob
dieser nun bewusst oder unbewusst ist. Meine Kollegen aus Managua bezeichnen das oft vorurteilsbehaftete und
schwierige Verhältnis von Mestizos zu indigener Bevölkerung sicher zu Recht als belastendes koloniales Erbe. Was
bedeutet “Entwicklung” für die Mayangnas? Wir haben Lusbin Taylor, einen Mayangna-Freiwilligen von Misión
Bosawas danach gefragt. Bevor Lusbin von Ökonomie (er hat Finanzwesen studiert), Gesundheitsversorgung,
Infrastruktur und Bildungssystem redet, sagt er vor allem eins: Das Verständnis von Entwicklung in den Mayangna-
Gemeinden sei bereits stark von der westlichen Bedeutung beeinflusst. Aber für ihn selbst wäre Entwicklung, dass alle
gleich sind, egal wie unterschiedlich ihre finanzielle Situation ist, dass es keinem schlechter als dem anderen geht und,
dass es Solidarität gibt. Dann wäre eine Gesellschaft “entwickelt”.
Die Mayangnas leben seit Jahrhunderten im Einklang mit der Natur und
ernähren sich Großteils unabhängig von (Super-) Märkten und deren
Lebensmittelpreisen von dem, was sie zur Selbstversorgung anbauen und
dem, was Ihnen die Natur gibt – zumindest wenn sie innerhalb ihrer
Gemeinden leben. Dabei erhalten sie das, was den Menschen Leben gibt.
Sind sie denn weniger entwickelt als die Mestizo-Bevölkerung Nicaraguas
oder als die europäische Bevölkerung? In einigen Gemeinden gibt es kleine
Läden, z.B. in Musawas. Es ist einfacher, Koch-Öl zu kaufen, als Kochfett
auf die traditionelle Weise herzustellen. Erfrischungsgetränke und Kekse
sind natürlich genauso beliebt wie an jedem anderen Ort. Eine verständliche
Entwicklung die Lusbin aber auch kritisch sieht. Denn wie an allen “entwickelten” Orten der Erde, an denen
“konsumiert” wird, gibt es auch in Musawas ein Problem mit der Müllentsorgung.
Die ursprüngliche Lebensform und Kosmovision der Mayangnas geht seit vielen Jahren immer mehr verloren.
Trotzdem beschützen sie weiterhin den Wald und wissen um die Bedeutung eines gesunden Ökosystems. Sie wurden
von Engländern, Spaniern und Miskitos unterdrückt. Doch sie sind eines der indigenen Völker Nicaraguas, deren Kultur
noch am besten bewahrt ist. Lusbin erklärte uns, dass es, wie in allen Gesellschaften, eine Spaltung gibt zwischen
denen, die ihre Kosmovision und traditionelle Lebensweise beibehalten, bzw. wiederbeleben möchten, und denen, die
sich mehr einer “westlichen Entwicklung” annähern möchten. Er selbst glaubt, es sollte eine gesunde Mischung sein.
Ein vollständiges Zurück zur ihrer ursprünglichen Kultur und Lebensweise hält er nicht für möglich. Hierzu müssten sie
sich vollständig isolieren. Das sei weder in ihrem Interesse, noch sei es in Anbetracht der ständigen Invasion ihres
Territoriums möglich. Er findet es gut, wenn die traditionelle Medizin weiter praktiziert wird, denkt aber auch, dass es
wichtig ist, Zugang zu Krankenhäusern zu haben. Der GTI der vorherigen Regierungsperiode veranlasste die
Anschaffung einer Maschine zur Weiterverarbeitung der Reisernte. Als wir in Musawas waren wurde noch auf die
Ankunft der Maschine gewartet. Lusbin hält hiervon nicht besonders viel. Denn dann wird produziert, um Reis zu
verkaufen und er hat die Sorge, dass irgendwann so große Mengen Reis angebaut werden, dass dies das Ökosystem
negativ beeinflusst oder sogar die Mayangnas selbst beginnen einen Teil des Waldes zu roden. Orbin Zeledon hingegen,
ebenfalls Freiwilliger von Misión Bosawas und Assistent des GTI, sieht die Maschine als Forstschritt und glaubt, es
gebe bereits genügend Platz um Reis an zu bauen, so dass es nicht zur Rodung kommt. Die Mayangnas brauchen
natürlich auch ein Einkommen. Besonders wenn sie weg gehen um zu studieren. Viele Jugendliche aus Musawas
studieren an Universitäten in Puerto Cabezas, Leon oder Managua.
Auch bezüglich der Bildung spricht sich Lusbin für eine gesunde Mischung
aus. Die Schule in Musawas, die nach dem Lehrplan der Regierung
unterrichtet, und die Kirche führen dazu, dass unsere eigene, traditionelle
Bildung verloren geht, sagt er. Aber manche Dinge seien auch gut. So findet
er es z.B. wichtig, dass die Jugendlichen später Fächer wie Soziologie und
Anthropologie studieren, denn dies könne ihnen helfen, ihre eigene
Geschichte und Kultur zu analysieren, und ihre Kosmovision und
Lebensweise zu erhalten. Auch Fächer wie Agrar- und Forstwirtschaft hält er
für bedeutend. Sowie alle Fächer, die mit einem nachhaltigen Umgang mit der
Erde zu tun haben. So müssten sie z.B. entweder den Kauf von westlichen
Produkten und die Kioske in den Gemeinden eindämmen, oder sie brauchen eine gute Umweltbildung und Experten die
wissen wie Müll wiederverwertet und so entsorgt werden kann, dass er möglichst wenig Schaden anrichtet (es gibt, wie
in den meisten Regionen Nicaraguas, bisher wenig Kenntnis und Bewusstsein über die Auswirkungen von Müll, der
z.B. oft einfach in den Fluss geworfen wird).
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Ein Großteil der Bevölkerung aus Musawas ist christlich und besucht die Kirche. Lusbin erwähnte, dass viele
traditionelle Bräuche auch deshalb nicht mehr weitergeführt werden. Wer z.B. an die christliche Religion glaubt, kann
nicht mehr zum Suquia werden. Den Suquia habe ich verstanden als eine Art Weiser oder Magier, der sich in Tiere oder
Dinge verwandeln konnte und der vor allem in Gesundheitsfragen von Bedeutung war. Der letzte Suquia ist schon vor
vielen Jahren verstorben, er war 120 Jahre alt. Doch die Natur scheint ein zentrales Thema im Gottesdienst zu sein.
Leider hatten wir nur wenig Zeit mit den Freiwilligen aus Musawas über ihre Traditionen, ihren ursprünglichen Glauben
und ihre Geschichten und Legenden zu reden. Lusbin empfahl uns Bücher des deutschen Autors Dr. Götz Freiherr von
Houwald der scheinbar in Zusammenarbeit mit den Mayangnas Werke über die Geschichte und die mündlichen
Überlieferungen der Mayangnas schrieb.
Musawas liegt direkt am Río Waspuk:
Erfolge und Forderungen von Misión Bosawas
Die Problematik rund um Bosawas wurde bis vor kurzem kaum im Land diskutiert sondern flächendeckend ignoriert,
sowohl von der Politik, als auch von den Medien. Misión Bosawas erreichte in den letzten Monaten, dass das Thema
Bosawas von den Medien beachtet und auf die öffentliche Agenda gesetzt wurde. Die Sendezeiten die Misión Bosawas
zwischen Januar und April 2014 bekam entsprechen einem Betrag von über 200.000 Dollar, die die Medien
eingenommen hätten, wenn die Zeit für Werbung genutzt worden wäre. Auch die Politiker und die Jugendorganisation
der Regierungspartei reden mittlerweile über Bosawas. Die Bevölkerung erlangt immer mehr Kenntnis über die
Situation und ist ernsthaft besorgt um das Reservat. Die Veranstaltungen und Bildungsaktivitäten von Misión Bosawas
sind sehr gut besucht und täglich suchen Personen den Kontakt, die aktiv als Freiwillige bei Misión Bosawas
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mitmachen möchten, Anfragen zum Thema stellen oder die möchten, dass Misión Bosawas ihre Schule, Universität
oder Organisation besucht. Dabei wird ein steigendes Interesse an der indigenen Bevölkerung und deren Kultur sichtbar.
Seit kurzem gibt es eine Freiwilligengruppe der Universität URRACAN aus Puerto Cabezas in der Región Autónoma
Atlantico Norte, über die sich ein Teil von Bosawas erstreckt. Die Gründung von Freiwilligengruppen in der Region
von Bosawas ist wichtig für den Fortschritt der Arbeit von Misión Bosawas. Ein großer Erfolg ist die Beziehung, das
Vertrauen und die Zusammenarbeit, die mit den indigenen Gemeinden und der Territorialregierung der Mayangnas
aufgebaut werden konnte. Sie müssen die führenden Protagonisten im Kampf um ihre Selbstbestimmung und ihr Land,
die Gewährleistung ihrer Rechte und den Erhalt und die Regeneration von Bosawas sein. Misión Bosawas fungiert als
Bindeglied zwischen indigenen Gemeinden und der restlichen Gesellschaft.
Misión Bosawas fordert die Einhaltung der Menschenrechte der indigenen Bevölkerung, die Achtung der Gesetze zum
Schutz deren Territoriums und zum Schutz des Reservates, die Ahndung der Umweltverbrechen, des Landraubs und der
weiteren damit zusammenhängenden Straftaten. Zentrale Forderung ist eine Neuorientierung der Politik, hin zu einer
stärkeren Kohärenz zwischen Entwicklungs- und Umweltpolitik. Die Einführung von nachhaltigen, umweltfreundlichen
wirtschaftlichen Aktivitäten ist mehr als dringend. Misión Bosawas tritt ein für einen Dialog zwischen privatem und
öffentlichem Sektor, der Zivilgesellschaft, der Regierung, den Oppositionsparteien und den indigenen Gemeinden und
deren Territorialregierungen.
Dokumentarfilm - El Canto de Bosawas
Protagonist des Dokumentarfilms “El Canto de Bosawas” ist ein
nicaraguanischer Musiker der Pazifikküste, Ernesto “Matute”
López, der mit einem Team von Toningenieuren aus den USA
nach Bosawas fährt, um zum ersten Mal in der Geschichte die
Musik der Mayangnas aufzunehmen. In Nicaragua kann überall Musik von Miskito-Bands gekauft werden. Doch bisher
gab es keine Aufnahmen von Musikern der Mayangnas. Der Film begleitet das Team auf ihrer Reise, gibt einen Einblick
in die Kultur und Musik der Mayangnas und zeigt wunderschöne Landschaftsbilder. Auch über die aktuelle Problematik
wird geredet. Jedoch steht im Vordergrund die Musik und Kultur.
Oft gibt es Enttäuschung darüber, dass der Dokumentarfilm nicht detaillierter über die Problematik berichtet. Auch
werden gelegentlich Stereotype bedient. So sind es wieder einmal die Mestizos und US-Amerikaner, die auf
Entdeckungs- und Abenteuerreise gehen und die indigene Kultur entdecken. Viele Freiwillige von Misión Bosawas
teilten die Meinung, dass ein Mayangna Protagonist des Films hätte sein müssen, und nicht Matute und die
Toningenieure. Doch der Film ist gemacht für ein Publikum, das in Kontakt kommen soll mit einem Nicaragua und
einer Problematik, die es bisher nicht kennt. Viele Nicaraguaner kennen weder Bosawas, noch haben sie Kenntnis über
die Existenz der Mayangnas. In weiten Teilen der nicaraguanischen Bevölkerung gibt es kein großes Interesse an der
indigenen Bevölkerung und die Zerstörung der Umwelt ist ein unangenehmes Thema. Dass der Schwerpunkt nicht auf
der Problematik, sondern auf der Musik, also etwas universellem liegt, das die Menschen verbindet, sowie Matute als
bekannte Person des öffentlichen Lebens und beliebter Musiker, der sich mittlerweile ganz dem Umweltschutz
verschrieben hat und im Macizo de Peñas Blancas lebt, zieht das Publikum an. So können mit dem Film diejenigen an
das Thema herangeführt werden, die sich bisher nicht damit beschäftigt haben und die sich normalerweise keinen
Dokumentarfilm im Kino ansehen würden.
Ich denke nicht alle Dinge sind ganz so wie sie im Film dargestellt werden. Wenn Matute z.B. begeistert über das
Treffen mit dem Cacique (“Häuptling”) berichtet und ihn als Weisen der Mayangna-Bevölkerung darstellt, der die
Traditionen des Volkes bewahrt, muss scheinbar so mancher Mayangna schmunzeln. Lusbin erzählte uns, dass die Figur
des Cacique eigentlich keine traditionelle ist, sondern von den Spaniern erfunden wurde. Trotzdem hat der Cacique
Autorität und wichtige Aufgaben. Von vielen Zuschauern wird die Musik der Mayangnas als traditionell interpretiert.
Die Literaturgruppe “Grupo Literario Karebarro Una” stellte nach der Premiere klar, dass die ursprüngliche Mayangna-
Musik eigentlich nicht mehr existiert. Und sie widersprechen auch der Ansicht eines der Toningenieure aus den USA,
der meint, die Musik hätte Einflüsse jamaikanischer Musik der 60er Jahre. Ein weiterer Kritikpunkt ist die fehlende
Präsenz der Frauen im Film. Doch all dies dient letztendlich zum Anstoß eines wichtigen, spannenden Dialogs zwischen
Mayangnas, der restlichen nicaraguanischen Bevölkerung und Zuschauern anderer Herkunft, der bisher sehr produktiv
ausfiel und der hoffentlich dazu dient, den Kolonialblick auf die Bevölkerung indigener Herkunft zu überdenken. Ziel
ist genau dieser Dialog, sowie die nicaraguanische Bevölkerung für die Kultur, Musik und Kosmovision der Mayangnas
zu interessieren und zu begeistern. Sie sollen sich in Bosawas verlieben und verstehen, dass Bosawas auch für sie
lebenswichtig ist. Denn für etwas, das man nicht kennt und das man nicht liebt, kann man sich auch nicht einsetzen.
Dass der Dokumentarfilm in den Kinos in Managua bereits zum vierten Mal verlängert wurde spricht für sich… Ich
hoffe nun haben alle Lust auf den Film, denn die deutschen Untertitel und die Übersetzung von Informationsmaterial
von Misión Bosawas werden bald in Angriff genommen!
Todos somos Bosawas!
Wir alle sind Bosawas!