Mitmach-Web bringt Unternehmen ins Rotieren

Post on 20-Mar-2016

213 views 0 download

description

Social Media Auf Facebook, Twitter & Co hat Erfolg, wer sich den Kunden stellt – manche Firmen tun sich noch schwer damit

Transcript of Mitmach-Web bringt Unternehmen ins Rotieren

Mittwoch, 13. April 2011 | az 3Social Media

«Sehr stolz» sei ihr Mann, schwärmtTrudy Weber. Seit 30 Jahren kenneman ihn «hier in Spanien» unter demNamen «Ricola» – diesem «Super-Schweizer Produkt». Derweil warntWerner Beinhart, jeden Tag würdeman Süssstoffe wie Aspartam konsu-mieren, «ohne zu wissen, dass dieseStoffe gefährlich sind». Und SabrinaKeagan bittet, Ricola möge doch baldein «Zeltli» mit «exotic flavor»kreieren.

Kommentar, Meinung, Wunsch-zettel. Die Facebook-Fanpage des Ba-selbieter Bonbonherstellers bietettäglich eine bunte Mischung. Seit En-de letzten Jahres ist Ricola auf dergrössten Social Media Plattform prä-sent und konnte bereits eine Gefolg-schaft von der Grösse der Stadt Ba-den – sprich 17 000 User – hinter sichscharen: «Direkte, ungefilterte Rück-meldungen zu erhalten, ist enormwertvoll», sagt Kommunikationslei-ter Bernhard Christen. Künftig sollengehäufte Kommentare auf Facebookin die Produkteentwicklung einflies-sen. Denkbar sei auch, die Onlinege-meinschaft über neue Kreationen ab-stimmen zu lassen. Eine eigentlicheSocial Media Strategie fehlt dem Bon-bon-Produzenten aber noch: «ZumStart haben wir gewisse Richtlinienerlassen.»

Auch sei der Schritt ins Social Webnicht ohne Nebengeräusche erfolgt,räumt Christen ein: «Der Respekt vorder Direktheit des Feedbacks war imBetrieb sicher da.» Ein Bewusstseins-wandel war vonnöten. Die Frage derRessourcen stand ebenfalls im Raum:Neben der Zusammenarbeit mit ei-ner externen Werbeagentur hat Rico-

la eigens eine Social Media Manage-rin angestellt. Sie wacht über die Fa-cebook-Präsenz und hält mit regel-mässigen Inputs die Fanpage aktuell.Kontinuität sei hierbei wichtig, sagtChristen: «Wir beantworten nicht je-den Beitrag, aber sicher jede Frage.»Das schaffe in der Netzgemeinde Ver-trauen.

Manuel P. Nappo leitet den Studi-engang «Social Media Management»an der HWZ Hochschule für Wirt-schaft in Zürich. Auf Facebook müss-ten die Unternehmen mit Anspruchs-gruppen in einen Dialog auf Augen-höhe treten: «Das sorgt für Missver-ständnisse und Überraschungen.»Denn klassisches Marketing sei bis-lang eine Einbahnstrasse gewesen:«Einfach die PR-Meldung auf Face-

book posten, reicht nicht mehr.»Nappo ist überzeugt, dass Social Me-dia nur dann Sinn macht, wenn einRuck durchs Unternehmen geht:«Denn behaupten ist etwas völlig an-deres als fragen.»

Matchentscheidend ist hier die Fir-menkultur: Kommunikation könnenicht mehr von oben herab kontrol-liert werden. Viel mehr gelte es, «ehr-lich und authentisch» Meinungen zumoderieren. Würden die Unterneh-men auch zu ihren Fehlern stehen,erhöhe dies das Vertrauen in die Mar-ke. Denn eins ist sicher: «Auch wenneine Firma auf Facebook nicht prä-sent ist, wird dort trotzdem fleissigüber sie diskutiert.» Doch häufig wür-den Wunsch und Realität auseinan-derklaffen: «Social Media ist keinZauberstab, der alle Probleme löst»,sagt Experte Nappo. Was fehlt, sei ei-ne konzise Strategie. Nur gerade einFünftel der Firmen habe wirklich ei-nen Plan. Und bloss ein Drittel evalu-iert die Ergebnisse. Zu diesem

Schluss kommt eine Umfrage vonBernet PR unter 56 grossen Schwei-zer Unternehmen. Das strategischeVakuum nährt überzogene Erwartun-gen: Auf einen Schlag ganz viele Fa-cebook-Fans und ganz viel Dialog,lautet der Befehl aus der Teppich-Eta-ge. Dies, nachdem Facebook, Twitter& Co «sehr verspätet zum Thema imTopmanagement» wurden, wie And-rea Back vom Institut für Wirt-schaftsinformatik der Universität St.Gallen konstatiert. Back vergleichtSocial Media mit dem Gespräch amKaffeeautomaten oder in der Rau-cherecke: «Von heute auf morgen ge-winnen sie dort auch keine neuenFreunde.» Das brauche Zeit. SocialMedia sei Ausdauersport, so Back.

Auch macht nicht jede Plattformfür jedes Unternehmen gleichermas-sen Sinn. Es gelte der eiserne Grund-satz: «Wo die Zielgruppe ist, da mussdie Firma hin.» Während Facebookbeispielsweise die ideale Kommuni-kationsplattform für Konsumgüterist, hat Twitter einen massenmedia-len Info-Charakter. Gemäss einer Stu-die von Yahoo Research erzeugen aufdem Kurzmitteilungsdienst lediglich0,05 Prozent die Hälfte aller Mittei-lungen. Und Youtube wiederum –ebenfalls Teil des Mitmach-Webs –finde im InvestitionsgüterbereichAnklang, sagt Nappo. So nutze einSchweizer Maschinenhersteller denVideodienst, um Fehlerlösungen fürseine Produkte zu dokumentieren.«Und spart sich somit einen Teil desKundendienstes.»

Fehlende RichtlinienAuch müssen die internen Prozesse

stimmen: Facebook-Benutzer hieltensich nicht an vordefinierte Kunden-kanäle, weiss Simon Künzler vomOnline-Marketingberater Xeit: «Dakommt alles rein – von der charman-ten Anfrage für eine Gratis-Pellerineam nächsten Open Air bis hin zur bit-terlichen Klage über ein Abo-Stornie-rung.» Social Media fordere alle her-aus – vom Personal- über den Kunden-dienst bis hin zur Entwicklungs-abteilung.

Bereichsübergreifende Zusammen-arbeit ist das eine. Stimmige Feed-backs sind das andere: Die Unterneh-men müssen den richtigen Ton tref-fen, schliesslich seien «Märkte stetsGespräche», so Künzler. Gemäss Um-frage von Bernet PR verfügen nur30 Prozent der Unternehmen überRichtlinien, wie sich die Angestelltenzu verhalten haben. Vorbildlich ist derBasler Pharmariese Roche. In dessenMitarbeiter-Manual sind Sätze zu le-sen wie «Während Ihre Aussage in ei-nigen Teilen der Welt zutreffen mag,kann sie in anderen Ländern falschaufgefasst werden oder Vorschriftenverletzen.» Schliesslich macht SocialMedia den Stammtisch global.

VON SVEN MILLISCHER

Social Media Auf Facebook, Twitter & Co hat Erfolg, wer sich den Kunden stellt – manche Firmen tun sich noch schwer damit

Mitmach-Web bringt Unternehmen ins Rotieren

«Wo die Zielgruppe ist,da muss die Firma hin.»Andrea Back,Wirtschaftsinformatik Uni SG

Nur ein Drittel der Firmen hat Social Media Richtlinien für Angestellte. HO

Unternehmen und Social Media

Quelle: Social Media Studie Schweiz Grafik: az/bar

22%

Ja

35%

Aufwand

grösser

39%

Ja

13%

Geplant

43%

Nein

5%

Extern

24%

Ausgeglichen

17%

Nutzen

grösser

24%

Weiss

nicht

Geplant

Nein20%

20%1–3 Monate

5–6 Monate

8–12Monate

>12Monate

17%

13% 8%

Hat Ihr Unternehmen eine

Social Media Strategie?

Ist Aufwand oder Nutzen

grösser?

Hat Ihr Unternehmen Personal

für Social Media?

Wenn es einen «Gefällt mir»-Knopfdafür gäbe, Mark Zuckerberg würdeihn mit Sicherheit anklicken. Ohneviel tun zu müssen, kann der Face-book-Gründer zusehen, wie die Ban-ken sein Unternehmen von Monat zuMonat mit immer astronomischerenSummen bewerten. 24 MilliardenDollar, 50 Milliarden Dollar, 65 Milli-arden Dollar. Der Marktwert des sozi-alen Netzwerks hat sich zwischen Ju-ni 2010 und März 2011 verdreifacht:41 Milliarden Dollar in nur neunMonaten, unglaublich.

Der Wert des Unternehmens über-steigt damit den Gewinn um mehrals das 100-Fache. Nach eigenen An-gaben erwirtschaftete Facebook inden ersten neun Monaten 2010 einenUmsatz von 1,2 Milliarden Dollarund wies einen Gewinn von 355 Mil-lionen Dollar aus. Zahlen für das gan-ze Jahr gibt es nicht. Als privates Un-ternehmen darf sich Facebook nochverschwiegen geben. Noch: 2012 sollder Börsengang folgen.

Angst vor einer erneuten Internet-blase scheinen die Investoren nichtzu haben. Die Unternehmen stehenbei Zuckerberg Schlange: Alle wollenvor dem Börsengang ein möglichstgrosses Stück des Facebook-Kuchensabschneiden. Im März ergatterte sichder Investmentfonds General Atlan-tic rund 2,5 Millionen Aktien vonehemaligen Facebook-Mitarbeitern.Kaufpreis unbekannt. Damit hält Ge-

neral Atlantic einen 0,1-prozentigenAnteil am Unternehmen. Im Januarinvestierte bereits die GrossbankGoldman Sachs 450 Millionen Dollar.

Ziel: Eine Milliarde MitgliederDas Interesse der vielen Geldgeber

erklärt sich wenn nicht aus dem be-scheidenen Umsatz, dann aus demstarken Anstieg der Mitgliederzahlen.Anfang April zählt Facebook weltweitüber 664 Millionen Mitglieder. Dasentspricht einem Zehntel der Weltbe-völkerung. Im August 2012 will Face-book die Marke von einer MilliardeMitglieder übertreffen. Facebook istdie meistbesuchte Website auf demPlaneten. «Die Hälfte der Mitgliederloggt sich einmal pro Tag ein», sagt ei-ne Facebook-Sprecherin.

Auch in der Schweiz verbreitetsich Facebook erfolgreich. Über31 Prozent der Schweizerinnen und

Schweizer haben einen Facebook-Account. Im Vergleich mit Deutsch-land sei die Penetration deutlich hö-her. «Die Schweizer sind halt sehrtechnikaffin», so die Sprecherin. ProMonat sind die 2,5 Millionen Schwei-zer Benutzer mindestens einmal aufFacebook online.

Traum für MarketingleuteDabei ist Facebook längst nicht

mehr nur eine Spielerei, wo man dieFotos des Wochenendes hochlädtoder sich über die Lieblingsmusikaustauscht. Facebook ist zu einerWerbeplattform mutiert, auf der Un-ternehmen für ihre Marke und ihreProdukte bewerben.

Dabei verfügt Facebook über Infor-mationen, von denen die Marketing-leute nur träumen: Alter, Geschlecht,Wohnort, Nutzungsverhalten – allesliegt bei Facebook offen da. Werbean-

zeigen können quasi personalisierteingeblendet werden. Die Werbungauf Facebook funktioniere bereitssehr gut, sagt die Facebook-Spre-cherin. Grund: «Die Unternehmen le-gen ihre Zielgruppe selbst fest.» An-zeigen können eigenhändig aufge-schaltet werden. Bezahlt wird nur,wenn ein Facebook-Benutzer die ent-sprechende Anzeige anklickt «Cost-per-Click» nennt sich das.

Zudem erhöhen die Mitglieder dieAttraktivität für die Werbenden nochzusätzlich. Wer sich mit einer Markeoder einem Produkt identifiziert undden «Gefällt mir»-Knopf klickt, derzeigt dies seinen Facebook-Freunden,aber auch dem Unternehmen selbst.Und schon hat dieses ein neues Ziel-objekt gefunden. Mit jedem zusätzli-chen Mitglied wird Facebook deshalbfür die Werbewirtschaft interessan-ter und für die Investoren wertvoller.

VON ROMAN SCHENKEL

Wachstum Facebook zählt bald700 Millionen Mitglieder.Seinen Marktwert beziffern dieBanken auf 65 Milliarden Dollar– wegen des Werbepotenzials.

Facebook steigert seinen Wert mit jedem neuen Mitglied

Ob SBB, Swisscom, Kuo-ni oder die KrankenkasseHelsana. Kein renom-miertes Unternehmenliess es sich vor drei, vierJahren nehmen, in dervon Avataren bevölker-ten virtuellen Welt vonSecond Life eine Depen-dance zu eröffnen. Un-mengen von Linden-Dol-lars, die offizielle Second-Life-Währung, wurdenhierzu investiert. Diesesind frei in US-Dollar

konvertierbar. Die künstli-che Welt ist eine offenePlattform, auf der alle

User dreidimensionaleObjekte kreieren undauch verkaufen können.Und noch immer kannsich Second Life mit über21 Millionen registriertenBenutzerkonten rüh-men. Doch die virtuelleApokalypse hat längsteingesetzt: Die Zahl deraktiven Benutzer hat be-reits vor vier Jahren denZenit überschritten. Diemeisten Firmen haben ih-re virtuelle Geschäftstä-tigkeit längst eingestellt.Nicht zuletzt, weil der vir-tuelle Rummelplatz mit

Reputationsrisiken wieRotlicht-Etablissement zukämpfen hatte. Die Be-treiberin, die US-FirmaLinden Labs, musste imletzten Jahr 100 ihrer 300Stellen abbauen. Offen-bar setzt Linden Labsnun Hoffnung auf mobileAnwendungen fürs Han-dy. Doch Social-Media-Experten winken ab. Die3-D-Fantasiewelt mit ih-ren Avataren sei der fal-sche Ansatz. ErfolgreicheAnwendungen wie Face-book würden reale Bezie-hungen befördern. (MIL)

■ SECOND LIFE: DIE VIRTUELLE APOKALYPSE