Post on 26-Sep-2015
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Umfang acht Seite Einzelbezug 15 Pfennig
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DER STURMWOCHENSCHRIFT FR KULTUR UND DIE KNSTE
Redaktion und Verlag: Berlin-Jlalensee, Katharinenstrasse 5
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:-: durch den Verlag und smtliche Annoncenbureans :-:
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Herausgeber und Schriftleiter:
HERWARTH WALDEN
JAHRGANG 1911 BERLIN DEZEMBER 1911 NUMMER 89
Inhalt: TRUST: Liteatur: DerZeit-Geist-Kleist / Der Tiger kein ehrlich ringender Mensch / OTTO RUNG: Der Vagabund / ELSE LASKER-
SCHLER: Briefe nach Norwegen / LOTHAR VON KUNOWSKI: Mnchener Sezession /J. A.: Kunst, Demokratie undPresse /Beachtens-werte Bcher / ARTUR SEGALj: Holzschnitt
Artur Segal: Holzschnity
708
Literatur
Der ZeitGeist-Kleist
Der Ulkredakteur Herr Fritz Engel, derauch
den Zeitgeist beherrscht, ist berdie Bedeutung
des Dichters Heinrich von Kleistnicht klar. Er
wandte sich in dieser Verzweiflung andie be-
deutendsten Vertreter der deutschen Nation,nm-
lich an die Herren Frst Blow, Paul Lindau,Fritz
Mauthner, Otto Brahm, Ludwig Fulda,Hermann
Suderrnann, Herbert Eulenburg,Max Dreyer,
Friedrich Dernburg, Wilhelm v. Scholz,Wilhelm
Schmidtbonn, Otto Erler, J. Minor, RichardM.
Meyer, Hans Kyser. Alle dieseHerren besttigen
teils per Vers teils per Prosa" demHerrn Engel,
da Kleist etwas gekonnt hat. Ich finde dieAuswahl
uerst glcklich. Man gewinnt durch siezwar
keine Vorstellung von Kleist, aber Herr Engel ver-
liert durch sie das Recht auf den Ulk. Er wirkt
nmlich pltzlich komisch. Hingegen httendie
Antworten kaum witzloser ausfallen knnen. Frst
Blow, der von Literatur nichtszu verstehen
braucht, findet das Schicksal Heinrich vonKleists
tragisch". Aber glcklich zu preisen seiTheodor
Krner, der, das Schwertlied auf den Lippenund
den Befreiungskrieg vor Augen denschnsten
Tod fand." Kleist sah den Befreiungskrieg nicht
mehr vor Augen, doch, sagt Frst Blow, er
schrieb den herrlichen Sang Germania anihre
Kinder, fr mein Gefhl den schnsten undmch-
tigsten Schlachtgesang, der je voneiner deut-
schen Lippe flo." Koernerkonnte sein
Schwertlied wenigstens auf den Lippenhalten. Es
ist nicht gut, wenn ein entflossener Reichskanzler
mal eine deutsche Lippe fr die Literatur riskiert.
Wenn ich ganz aufrichtig sein soll, darfich
wohl sagen, da ich fr keinen unsererDichter ein
strkeres persnliches Gefhl hege, als fr Heinrich
von Kleist." Mehr kann Kleist wirklichnicht ver-
langen, als da Herr Paul Lindau seinetwegenim
Zeitgeist ganz aufrichtig ist. Man wei, wie sich
solche Aufrichtigkeiten fortsetzen: Keinanderer
hat so wie er gewisse eigentmliche Wendungen
dieselben Empfindungen wie vor 50 Jahren
ungesuchte Schnheiten, denen sichnoch viele
Dutzende gleichwertige anreihen lieen ichfhle
nur: es ist so." Es mu wohl so sein,da Paul
Lindau sich bei dieser Gelegenheit, wie er nun
einmal ist, die Aufrichtigkeit nicht nehmen lt.
Nach dem Dichter der Philosoph. Herr Fritz
Mauthner liebt Kleist. Gleich der Beginn seiner
Erklrung fhrt in die Tiefe: In einem reichen
Hause des Berliner Tiergartenviertels plauderten
unserer drei, nachdem wir ausgewhlte Speisen und
Getrnke zur Genge genossen hatten." DieLiebe
geht durch den Magen. Und man ist beruhigt, da
der ausgewhlte Philosoph sich den Magen ge-
ngend vollgepumpt hat. Der Hausherr hatte zur
Unterhaltung seiner Gste unbezahlbare seltene
Handschriften vorgelegt, zuletzt die beiden Bltter,
auf welche Kleist vor seinem Freitode einige An-
ordnungen niedergeschrieben hatte." Ein Philosoph
zu Tische verpflichtet. Und der Hausherr aus dem
Tiergartenviertel nimmt alles vom Besten. Rh-
mend bemerkt Herr Mauthner: Der Sammler
nannte den Preis, den diese Bltter heute unter
Brdern wert wren: ,Soviel hat der gute Kleist
niemals fr eines seiner unsterblichen Werke er-
halten'." Nicht einmal zu Tisch wurde der gute
Kleist eingeladen. Htte man mir nach Tisch von
Preisen unter Brdern und vom guten Kleist ge-
sprochen, so wrde ich ohne weiteres dem aus-
gewhlten Tischherrn eine Ohrfeige versetzt haben.
Ein Philosoph kann offenbar mehr vertragen, er ist
mit dem reichen Hausherrn und dem guten Kleist
gleich intim. Der dritte Mann zum Skat war ein
Mann von internationaler Tagesweltberhmtheit."
Tageswelt soll wohl eine bescheidene Umschrei-
bung fr Zeitgeist sein. Denn der Tagesweltbe-
rhmte sprach davon, wie der gute Kleist den
Ruhm gesucht, aber nur Nachruhm gefunden habe.
Und da es un s zum Ruhm gereiche, ihm ein
Denkmal errichtet zu haben," Auch der Tages-
weltberhmte htte die Ohrfeige verdient. x\ber
Fritz Mauthner kann selbst diesen Reichtum an
Geist wrdigen", und er bemerkt lyrisch: Es
klang wie das Knallen eines Champagnerpiropfens".
Der gute Mauthner liebt Kleist.- Da ist Kleistnicht
mehr zu helfen.
Otto Brahm fordert ein Monument Kleists fr
die Reichshauptstadt. Der hundertjhrige Todes-
tag mahnt an eine alte Schuld". Warum eigentlich
alle Leute bei solchen Anlssen an unbezahlte
i
Rechnungen denken mssen.
Und nun der gute Fulda: natrlich per Vers:
Ewig werden wir weinen
Wir Kleinen
Um diesen Einen.
Das blinde Geschick, das ihn erschlug
Den Ungeduldigen
Mit rauhen Schlssen
Nie nie hat ein zerbrochner Krug
Edleren Trank vergossen.
Ein echter deutscher Dichter, der gute, gerhrte
Fulda. Wenn er vom zerbrochenen Krug hrt,
mu er an den Suff denken und ist begeistert.
Anders der gute Sudermann. Kleists unseli-
ges Sterben htte dendeutschen Dichtern ein
Opfer- und Erlsungstod werden knnen und ms-
sen." Suderrnann ist ein moderner Mensch, der
durch sein zahlreiches Dabeigewesensein bei Wohl-
ttigkeitsfesten aller Art etwas fr die soziale
Frage brig hat. Kleists Tod, meint er, wre dazu
angetan gewesen, die Ausgereiften daran zu ge-
mahnen, wie man dichterische Smlinge mit leiser
Hand hegt und hochzieht." Es wird nicht ganz
klar, ob sich der Suderrnann zu den Ausgereiften
oder zu den Smlingen rechnet. Immerhin wnscht
er, da wir alle Einkehr halten mgen.
Herr Herbert Eulenberg glaubt sich berechtigt,
im Namen Kleists Klage gegen das deutsche Volk
wegen nicht gengender Anerkennung zu erheben.
Er behauptet zu wissen, da Kleist am kalten
Ruhm im Sarkophage friert":
Ihr seid erst halb das Volk, das ich ersehnt,
(habe fehlt)
Ihr lerntet mich zu achten, mich zu lieben,
Die Glut, die Euch in meinem Werk verblieben,
(ist fehlt)
Hat wenigen nur beglckt die Brust gedehnt.
Schade, da Eulenberg vor Abfassung der Ge-
dichtes mit den fehlenden Hilfsverben die Fahnen
des Zeitgeistes nicht schwingen konnte. Er htte
sonst gewut, da Heinrich von Kleist wenigstens
von Frst Blow, Lindau. Mauthner, Fulda und
Sudermann geliebt wird. Er hat sogar den Besten
unseres Zeitgeists genug getan.
Also auch dem guten Max Dreyer. Der ist
ganz gerhrt, wie der gute Fulda. Das bringt die
Seelenverwandtschaft mit sich. Schon mit neun
Jahren versprach Herr Dreyer feierlich, sich nicht
durch Trnen auf dieser Erde zu beflecken. Als
er aber das Ktchen von Heilbronn las, konnte er
nicht umhin, zu zerflieen. Es geht nichts ber
ein deutsches Dichtergemt.
Friedrich Dernburg ber Heinrich von Kleist:
Ein Dramatiker aus der Heroenzeit. Spez i a 1 -
marke: Der preuische Leutnant in der Welt-
literatur."
Auch die Literaturhistoriker uern sich, um
Herrn Fritz Engel zu beruhigen. Herr J. Minor aus
Wien: Kleist ist das schwierigste Problem der
Literaturgeschichte, je weiter die Forschung fort-
schreitet, um so schwieriger wird das Problem."
Was Herrn J. Minor beweisen sollte, da er
besser daran tte, nicht weiter zu forschen", son-
dern lieber vllig aus der Literaturgeschichte fort-
zuschreiten.
Abgrndig bemerkt Herr Professor Richard
M. Meyer zu Berlin: Die Entwicklung des In-
halts und die Ausbildung der Form gehen gerade
bei einer so ungemein selbstndigen Persnlichkeit
notwendig auf gemeinsame tiefere Ursachen zu-
rck." Damit Professor Richard M. Meyer die un-
gemein tiefe Meinung bekommen konnte, mute
Kleist erst hundert Jahre tot sein.
Herr Fritz Engel, der dieses Gedenkblatt"
zum hundertsten Todestage Heinrichs von Kleists
am 21. November 1911 herausgab, hat einem groen
Dichter alles angetan, was er kleinen Dichtern der
Gegenwart antun kann: ihn durch Tagesweltbe-
rhmtheiten lieben und loben zu lassen. Die gro-
en Dichter der Gegenwart werden erst nach
hundert Jahren von ihm auf dieselbe Weise be-
leidigt werden.
Der Tiger kein ehrlich ringender Mensch
Jeder ehrlich ringende Mensch hat Stunden
der Bitterkeit. Knstler sind, sofern sie ihren Na-
men verdienen, ehrlich ringende Menschen." Diese
Psychologie und Verherrlichung des Knst-
lers verdankt man keinem Geringeren als Herrn
Georg Hirschfeld. Herr Hirschfeld mu es wissen.
Ihm sind schon viele Stunden der Bitterkeit be-
reitet worden, er lebt in Dachau, wo die Knstler
nur so herdenweise zu finden sind, und er ringt so
ehrlich, da ihm eine Prmie aus der Kleiststiitung
ziemlich sicher ist. Die Knstler haben es schwer
im Leben. Sie sehen Nichtknstler vor sich, die
sie mit Zhnen und Tatzen angreifen, was der
Lwe, wie die Naturgeschichte lehrt, nie tut. Der
Tiger tut es, der ist aber auch kein
ehrlich ringender Mensch." Der Lwe
und der Hirschfeld sind es. Sie wollen zwar die
Kunst, aber die Kunst will nicht auf sie anbeien.
Wie es ja auch in der Naturgescihchte schon ganz
richtig steht. Herr Hirschfeld ist gegen die Thea-
terkritiker. Ich auch. Ich bin aber auch gegen
Herrn Hirschfeld. Alle Theaterkritiker, sagt Herr
Hirschfeld, haben Dramen in der Schublade und
sind auf die Dichter wtend, die aufgefhrt werden.
Herr Hirschfeld unterscheidet Schauspielerstcke,
Kritikerstcke und Dichterstcke. Und er be-
hauptet, da von diesen dreien ein Dichterstck-
werk stets das Beste sei. Man wird eitel, wenn
man Stckwerk dichtet. Aber Herr Hirschfeld
bleibt den Beweis fr seine Behauptungen nicht
schuldig. Er prsentiert zwei Kritiker, die schlechte
Stcke geschrieben haben. Diese Kritiker heien
Karl Ettlinger aus Mnchen und Ludwig Bauer
aus Wien. Nun wird niemand, auer dem Herrn
Hirschfeld und den Preisrichtern der Kleiststiftung,
diese beiden Herren fr Kritiker halten. Sie sind
vielmehr durchaus Schaffende, wie Herr Hirsch-
feld. Karlchen in der Jugend und Bauer in Wien.
Trotz seinem Kritikeramt ist Karlchen bei Herrn
Hirschfeld beliebter als der rohe Bauer. Karl
Ettlinger hat den dstern, blutbespritzten Mantel
des Kunstrichters nie getragen." Also, was will
denn Hirschfeld von ihm. Wo doch Karlchen ein
bischen menschliche Gte und ein Schtzungs-
vermgen ohne Ha (fr Herrn Hirschfeld) hat."
Warum mu er dann Karlchen noch so bitteres
nachsagen, da der ein tieferes Verhltnis zur
Kunst hat." Wenn schon dem Kritiker die Ein-
mischung in Privatangelegenheiten belgenommen
wird, warum mu der Dichter solche erweislich
unwahre Tatsachen verbreiten. Aber Herr Hirsch-
feld ist doch ein guter Mensch. Er denkt an eine
Rhrung zurck, die ich empfand, als ich in Ett-
lingers Schwankgeplauder pltzlich das Wort hrte:
Einen Menschen genau kennen, heit ihn ver-
loren haben." Man ist gleichfalls gerhrt, man
atmet auf, da Hirschfeld seinen Ettlinger wenig-
stens nicht verlor, und da es wenigstens drei ehr-
lich ringende Menschen auf der Welt gibt: den
Lwen, die Hirschfeld und das Karlchen.
Trust
709
Arosophie.
Von Mynona
Des Morgens hat man schne kalte Luft, ich
ging aus. Am Dnhoffsplatz traf ich den Marsbe-
wohner Myno Deusp, er hielt den folgenden Vor-
trag vor ein paar Leuten, die Droschkenkutscher
zu sein schienen; auch einige leichte Mdchen
standen dabei und stenographierten eifrig. Aber
kaum war das letzte Wort verklungen, da stellte
. ich mich ihm vor und bat ihn um einige Erluterung.
Sind Sie auch Droschkenkutscher?" fragte er an-
gestrengt. Ich sagte: Logischer". Diese Ant-
wort schien ihn mchtig zu rhren. Sie haben
unmenschlicher Weise nicht nein gesagt, und des-
wegen sollen Sie mich zu fassen" kriegen. Ich
will Ihnen den ganzen Zauber beibringen aber
nicht hier. Folgen Sie mir!" Damit ergriff er mich
tei der Hand, ich fhlte mein Eigengewicht, als
ob mein Schwerpunkt sich verschoben htte, wohl-
tuend alteriert; wir erhoben uns in den Luftraum,
standen einige hundert Meter ber dem Kreuzberg
still und leicht in der Luft, und Myno sprach:
Also, damit Sie den Vortrag von vorhin nachtrg-
lich besser verstehen, das Zeichen oo bedeutet
doch: unendlich"? Na! Ich meine man blo: man
soll im oo so leben wie man mit oo z h 11! Nm-
lich nicht vom Anfang, den es nicht gibt, bis zum
Ende, das es auch nicht gibt; sondern vom Nichts,
von der Null als wie von der reinen Mitte aus,
nach minus und plus des oo hin. Achten Sie nun
wohl auf die Torheit der menschlichen Vernunft,
da sie das Nichts des Unterschiedes im oo als
Tod verstehe! Also wenn die Weltkraft uner-
schpflich wre, so wrde der Mensch sie doch fer-
tig" kriegen, konstant" kriegen ohne die leiseste
Ahnung vom Leben dieses Scheintodes, dieser Le-
kensstarre, dieser Leben-Null!!!! (Myno spie auf
den Berg). Verstehen Sie! Der Mensch begreift
ias oo niemals, weil er glaubt, es sei ohne
Grenze; und die Grenze nicht, weil er whnt, sie
sei das Endliche" imoo !!! Daraus mu ein hb-
scher Bldsinn werden. Kraft, sagt er, nimmt nicht
b noch zu, daher ist sie nie gleich 00. Himmel!
Deswegen nur, wegen dieser elendigen logischen
und sinnlichen Versndigung an seinem oo bleibt
der Mensch der Mensch. Wir Martianer kennen
eine sehr gefhrliche Krankheit, nmlich das Ster-
ben vor Lachen ber den Menschen; ber seine
possierlichen Allren im Umgange mit seinem per-
snlichen, leibeigenen 00. Besonders der Tragik
dieses Tieres widersteht so leicht kein Zwerchfell.
Hamlet ist bei uns eine Lachsalven erregende
Parodie, ohne da wir eine Silbe zu ndern brauch-
ten. Ein Wort von Schiller bringt uns um. Unser
witzigster Autor ist Schopenhauer aus Danzig.
Das menschliche Lachen ist uns eher antipathisch;
amsanter ist der qualvolle Mensch, ich verrate
ihnen, da die vereinigten Bewohner smtlicher
Planeten des Sonnensystems sich die Erde als un-
freiwillige Lustspielbhne eingerichtet haben." Er
gab mir einen Sto in die Seite, da ich in der Luft
auf dem Kopf stand; er drehte mich liebreich wie-
der um und wollte Abschied nehmen. Erlauben
Sie, Herr Deusp", sagte ich, bevor Sie verreisen,
mchte ich meine Erdschwere wiederhaben; und
brigens, nehmen Sie Rcksicht auf meine
Fassungskraft! Erklren Sie, statt zu lachen!"
Myno winkte, pltzlich hatten wir mitten in
Lften zwei Klubsessel unter uns; es war herrlich!
Das oo ", dozierte Myno, scheint ne kol-
lossale Sache, ist aber fr Personen, die mit umzu-
gehen wissen, man blo ein Kinderspiel;
ein Wider spiel. Es ist nmlich, wo und
wie Sie es nur finden, ein Unterschied, ein Selbst-
unterschied, und sein Selbst ist Person, denn Ich"
ist nur Pseudonym der ewig anonymen Person.
Einen Selbstunterschied nennt man Polaritt: Das
oo ist eben nicht einfltig schlicht, sondern polar-
geschlechtlich. Sie werden begreifen, welchen
Fehler man macht, wenn man, es zu erwgen, we-
der eine Wage benutzt noch den Wgenden in
Betracht zieht! Und nur eine grobe Krmerwage
wrde, auf jeder ihrer beiden Schalen mit oo be-
lastet, mit ihrer Zunge ttlich einstehen, und uns
vom Gleichgewicht eines oo eine leblose Vor-
stellung geben. Bei Konstanz", bei Erhaltung" hat
der Mensch kein Arg daraus, da doch hier ein oo
gegen ein oo sich aufhebe. Diese Aufhebung ist
doch ein kraftstrotzendes Drittes! Diese haarfeine
Messerschneide, ber die der Unterschied einer
ganzen Welt balanziert, erachtet der Mensch als
nichts! Er sieht den Unterschied dieses Nichts
nicht! Sein Aberglaube an die Einartigkeit
des oo verdirbt ihm das Auge fr dessen wahre
Uebereinstimmung mit sich selbst, die aus dessen
echtem Selbstwiderstreit hervorgeht,
und die sogenannte Erhaltung aller Kraft ist ja ein
totgeborenes Kind, so lange man diesen Ehestand
der Kraft (des oo) verkennt! Mit einem Schlu-
wort: die Kraft wehrt sich nicht etwa
gegen dasoo, also keineswegs gegen unerme-
liche Verluste und Gewinne: sondern allein gegen
das Fehlen einer sie erhaltenden", das bedeutet
aber: kompensirenden, balanzierenden, also kei-
neswegs toten, sonder blhenden Mitte!
Mitte! Mitte? 's klingt so wunderlich", meinte,
ich. Myno lie die Klubsessel verschwinden; wir
standen kerzengrade in der Luft, es briselte ange-
nehm, der Himmel berzog sich mit leichten Wol-
ken. Myno knpfte sich den flatternden schwarzen
Rock zu und sagte so laut, da ich frchtete, man
hre es bis unten: Die echt lebendige Mitte des
oo ist eben Person, ist eben persnlich. Da hat
zum Beispiel auch die Zahlunendlichkeit in ihrer
Mitte eine Lcke, ein Loch, das der Arithmetiker
persnlich ausfllen sollte; statt dessen zhlt er
nichts und wieder nichts = 0! Oha! Der
Mensch ist ein wahres Labsal fr einen alten Mar-
tianer! Er winkte eine Wolke heran und ver-
schwand in ihr, es guckte nur noch ein schwarzes
Zipfelchen seines Rockes hervor. Ich sank wie im
lift glimpflich auf den Kreuzberg; die Kutscher
sahen so vergngt aus.
Der Vagabund
Von Otto RungSchlu
Da lie sich der Polizeileutnant auf einen Stuhl
fallen und blickte ratlos um sich, auf die still-
schweigenden und verschlossenen Gesichter der
brigen Familie.
Jan Eriksens Belagerungszustand dauerte vier,
fnf, sechs und noch mehr Tage. Er hatte alle
Tren verschlossen und verbarrikadiert und sa
mitten im Ezimmer, mit Lebensmitteln wohl ver-
sehen, jedoch in ttlicher, dumpfer Angst vor der
Zukunft.
Er war vollkommen verwirrt von allen den
Dingen, die ihm seit seiner Ankunft in diesem
merkwrdigen Hause widerfahren waren. Lautlos
hatte es sich ihm geffnet, ohne das gewhnliche,
zornige und unwillige Knarren, und ihn aufgenom-
men. Mitrauisch und mit scheelem Blick hatte
er sich whrend der ersten Tage in die neue Si-
tuation gefunden, und war schon ein wenig auf
der Lauer gewesen, nach einer Chance* fr einen
guten Coup, um sich fr einige Zeit zu versehen
und dann durchzubrennen. Versuchsweise hatte er
sich dann auch etwas vorgewagt, mit dem Finger
an einige von allen den Herrlichkeiten gerhrt,
nach denen er Lust versprte und sie wurden
in seine Hand gelegt. Er hatte nach mehr ge-
griffen, und sofort war auch das in seinen Hut ge-
fallen.
Zugleich aber sah er in dem ruhigen, lcheln-
den Antlitz seines Wirtes nichts als hinterlistige,
undurchschaubare Verrterei. Er hatte die unklare
Empfindung, da es mit dem Geschehenen nicht
seine Richtigkeit habe, da es nicht nur ungewhn-
lich, sondern auch unordentlich und unzulssig sei;
und seine plumpen Begriffe setzten dies in die ber-
zeugung um, da man ihn zum Narren hielt. Und
damit erwachte in ihm eine heftige, begehrliche
Raserei: nun wollte er sich nichts versagen! Nun
wollte er mit beiden Hnden zugreifen, wollte sich
mit Speise und Trank fllen, wollte schlafen und
faulenzen in erster Linie aber dafr sorgen, da
er diese verfluchte, boshafte, mignstige Fratze
los wrde, die offenbar blo auf eine Chance lau-
erte, um sich ber ihn lustig zu machen. Hinaus
mit dem Gesicht, aus dem Weg mit der Fratze!
Aus dem Hause, du Spion der Hlle! Und pltz-
lich erkannte er, da das Haus sein eigen war,
und da er zu allem mglichen Glck geboren war,
zu einem Gaudium und einem Entzcken, wie es
keinem anderen auf der Welt beschieden war.
Zunchst konstatierte er sein Glck und seine
Macht, indem er eine Menge Porzellan in Stcke
schlug und eine Stuhllehne zerbrach. Das durfte
er. Und er durfte noch vielmehr. Er pausierte
und lauschte. Niemand kam und packte ihn beim
Kragen. Die Welt stand ihm offen. Er war des
Glckes ltester Spro.
Am folgenden Tage aber sa er im Ezimmer
hinter verbarrikadierten Tren und umklammerte
seinen Knppel mit den Hnden: seine Zhne klap-
perten, und frchterlich harte Gedanken klopften
hinter seinen Schlfen. Jetzt muten sie ja kom-
men! Der Feind! Die Polizei! Alle die, die
hinter ihm hergewesen waren, die ihn schnde be-
handelt und gehetzt hatten. Offenbar hatten sie
ihm den Strick nur ein wenig nachgelassen, da
er ein Ende weit laufen knnte, und nun kamen sie,
um ihn heranzuziehen, wohlzufrieden mit der Zer-
strung, zu der sie ihn veranlat hatten; und dies-
mal war ihm mindestens ein Jahr Arbeitshaus
sicher! Aber er wrde sich nicht ergeben! Er
bestand auf seinem Recht. Alles um ihn her war
ja mit Fug und Recht sein Eigentum. Das Sofa
und der Tisch dort, die Speisekammer und das
Ganze! Das alles war ihm in den Scho gefallen!
Dem ersten, der ihm in den Weg trte, wrde er
den Schdel zerschmettern! Achtung! Ich bin
wach, und ich schlage!
Aber es lie sich niemand im Garten sehen.
Vor der Pforte standen allerdings vier Kinder, die
einander bei der Hand gefat hatten und zum
Hause hinaufgafften. Doch als Jan Eriksen sich
im Fenster zeigte, schumend vor Grimm und Er-
regung, rannten sie schreiend und lachend fort,
ohne einander loszulassen. Niemand erschien im
Garten auch die Polizei lie sich nicht blicken.
Nicht ein blanker Knopf zeigte sich! Kalter Angst-
schwei bedeckte Jan Eriksens Stirn.
Spt am Nachmittag sammelte sich Publikum
auf der andern Seite des Weges an, junge Leute
aus dem Villenviertel, die auf der Heimfahrt vom
Geschft von ihren Rdern sprangen und fragten,
wie zum Kuckuck es heute denn mit Klerkers Va-
gabund stehe, ferner eine Anzahl geduldiger Zu-
schauer, namentlich Kinder, die trotz dem Verbote
ihrer Mtter hinterm Zaune standen, einander an-
stieen und auf den Fingern pfiffen.
Endlich um sechs Uhr erschien Schutzmann
Jessen. Die Hnde auf dem Rcken, kam er lang-
sam heran. Jan Eriksen erhob sich, pltzlich er-
muntert, erleichtert, kampfbereit. Nun sollte es
also losgehen, Gott sei Dank!
Aber Jessen ging ruhig weiter, teilte hier und
da an die Rangen, die am meisten Lrm machten,
ein paar flchtige Backpfeifen aus und trieb die
brigen wie eine Schar schreiender Spatzen aus-
einander. Der Festung Jan Eriksens warf er keinen
Blick zu.
Nach einer Weile sah Jan Eriksen seinen Wirt
im dunkelbraunen Paletot und weichen Hut den
Villenweg passieren. Aber auch er blieb nicht
stehen. Er ging zusammen mit einem lteren, be-
leibten Manne, der eifrig gestikulierte und redete.
710
Herr Klerker wendete seine groe, weie, ruhige
Fratze nach der Villa hin; und Jan Eriksen glaubte
zu sehen, wie er ihm die Zunge herausstreckte.
Und dann kam die Nacht, eine stockfinstere,
brtende Nacht, di-e Jan Eriksens Welt vllig ver-
dunkelte. Schlaflos wlzte er sich auf seinem
Sofa umher, entsetzt und im Innersten erschttert.
Das Leben war pltzlich ein emprter Ozean ge-
worden, ein Erdbeben tobte in den Dingen. Nir-
gends ein fester Halt . . . alles schwankte und
sank.
Eriksen knirschte mit den Zhnen und weinte.
Was wollten sie von ihm? Was wollten sie mit
ihm machen? Was wrde morgen geschehen?
Nichts ..
.
Und bermorgen? Nichts . . . Wie
glcklich war er in seinen alten, dreckigen Lum-
pen gewesen, die ihm so gut gepat hatten! Nun
aber war er hinausgeschleudert worden in den
den Raum, in furchtbarstes Dunkel und Schrecknis.
Blitzartig empfand er das Rtsel des Lebens, die
Mystik des Daseins.
Und als dann inmitten der nchtlichen Finster-
nis die zwlf metallenen Schlge der Stubenuhr
durch die staubschwere Ruhe des Zimmers drhn-
ten, da fuhr er auf in Platzangst und Panik und
tastete wie seekrank umher in der Oede des Rau-
mes...
bis er das Bndel seiner alten Kleider
fand, die den vertrauten Geruch seines eigenen
lieben Krpers in sich trugen. Ja, sie paten ihm
und beruhigten seine Haut. Und die Faust packte
den alten, treuen Stock. Der machte seinen
schwankenden Gang fester und sicherer! Und
ganz leise ffnete Jan Eriksen die Kchentr ein
wenig und sprang lautlos ins Freie, wie damals,
als er das letzte Mal auf Diebespfaden ging. Er
nahm nichts mit aus diesem verrckten Hause
nicht einmal einen Stiefel. Da drauen lag die
Allee und die Landstrae auf der zu wandern ihm
vom Schicksal bestimmt war der lange- gerade
Weg, auf dem er gemchlich hingleiten konnte,
ber rollenden Steinschutt und zwischen den zwei
Grben. . .
Erst zwei Tage spter, als man Jan Eriksen
nicht mehr zuerckerwarten konnte, bezog Kterker
wieder verwundert sein Haus. Die Welt ist noch
nicht reif," sagte er kopfschttelnd. Dann nahm
er eine Zigarre, die sein Vagabund bersehen hatte,
zwischen zwei Bchern hervor, wo sie als Zei-
chen gedient hatte.
Briefe nach Norwegen
Von Else Lasker-Schler
Lieber Herwarth und lieber Kurt. Manchmal sieht
Cajus-Majus aus durch das Telephon wie ein Po-
saunenengel, namentlich zur Ausposaunenstunde in
der Dmmerung. Er sitzt mit zwei Flgeln an seinem
Schreibtisch, dabei fliegt ihm so alles ins Fenster
lierein, wie aus dem literarischen Schlaraffenland.
Immer gerad, wenn er eine ausgezeichnete Httmo-
riade schreibt, komm ich dazwischen mit meinem
verdammten Klingeln. Ich trage noch dazu ein
Glckchen um den Hals. Ich kann direkt manchmal
ein Schaf sein. Was brauch ich ihn zu tragen, .)b
den Leuten meine Norwegischen Briefe gefallen?
Er wird immer jemand wissen, der streikt. Gestern
hat sich Dein Doktor stirnrunzelnd bei ihm beklagt
ber sein Vorkommen in meinen Briefen an Euch.
Da war ich ja nun platt. Ferner will sich ein Ur-
enkel Bachs das Leben nehmen, (er hat es Cajus-
Majus versprochen), falls ich ihn erwhnte in mei-
ner Korrespondenz. Schade um ihn, er hat ein ro-
siges glorreiches Lcheln um den Mtand. Er wird
sich nun in die Wellen des heiligen Antonius str-
zen, weil eine Dichterin ihm ein Stn-dchen brachte
verwegen mitten im Sturm.
Lieber Kurt. Er drohte mir gestern selbst.
Ist meine Antwort juristisch einwandsfrei? Mein
Herr. Sie wollen sich das Leben nehmen, falls
ich Sie im Sturm erwhne, oder haben Sie vor,
mich indirekt auf die Idee zu bringen? Zumal
Sie annehmen konnten, da ich nicht sentimental
bin, ich jedem seine Neigungen lasse, vor allen Din-
gen mirs nicht auf so ein Menschenleben
ankomme. Aber bis jetzt kmen Sie fr mich noch
nicht als Modell in Frage weder als Portrait noch
als Karikatur. Zwar ist es mir schon gelungen aus
einer prden Null ein Wort zu formen. Aber ge-
dulden Sie sich, seien Sie guten Mutes. Hoch-
achtungsvoll.
Herwarth, Loos ist kein einfacher Gorilla er
ist ern Knigsgorilla. Er fragte mich, ob er sich
auch mal wieder selbst begegnen wrde im Sturm?
Weit du schon, er trgt vorbergehend einen
Backenbart, der wirkt milde bei ihm, zur
Schonung seiner reinen Gesichtszge. Die meisten,
die Bartbast tragen, wollen damit Mnnlichkeit mar-
kieren, oder breite Muler oder lange Kinne ber-
wltigen. Adolf Loos erzhlte mir Geschichten
aus den afrikanischen Wldern, seine Augen blick-
ten voll ernster Anmut. 0, er ist gtig und das
ist Gotteigenschaft, das hchste was man von einem
Menschen sagen kann.
Liebe Kinder, ich habe Karin Michaelis geant-
wortet: Karin. Ich werfe zuerst ein Sternchen in
das K deines Vornamens und gre dich! Deine
Bcher sind verschiedenfarbene Tauben, weie
blaue, aber auch rote, dmonische Tauben uad
goldene und silberne Wirbelwindtauben sind dar-
unter. Deine Bcher setze ich darum nicht in den
Bcherschrankkfig. Tino von Bagdad.
Herwarth, du kannst folgendes im Sturm ver-
ffentlichen :
Unter blinder Bedeckung Heinrich Manns,
reichte der Abb6 Max Oppenheimer den Kritikern
xMnchens das Blut Kokoschkas.
Abbe Maler Oppenheitner mu heute meine
Zeilen empfangen haben: Lieber Max Oppenheimer.
Ihre ostentative Kleidung hat mir Freude gemacht
dem eingefleischten Publikum gegenber. Es tag
nicht nur Mut, auch Geschmack darin. Ich ging dop-
pelt gerne mit Ihnen nach Mnchen in Ihre Bilder-
ausstelhing, aber es hingen nicht Ihre Bilder an den
Wnden, sondern lauter Oskar Kokoschkas. Und
da muten Sie gerade mich mitnehmen, die Ihr Ori-
ginal kennt. Hielten Sie mich fr so kritiklos
oder gehren Sie zu den Menschen, die Worte,
Gebrden des Zweiten anzunehmen pflegen, darin
sie verliebt sind? Sie sind, nehme ich an, in Ko-
koschka verliebt und Ihre Bilder sind abgepflckte
Werke, darum fehlt ihnen die Wurzel. Das Bild
Heinrich Manns hat mir ausnehmend gefallen wie
eine glnzende Kopie und ich sah in seinen Farben
und Rhythmen auer dem Schriftsteller auch den
Maler Oskar Kokoschka, nicht Sie. Steckt etwa
Max Oppenheimer in Kokoschkas Bildern?
Man kopiert doch ehrlich in den Museen die alten
Meister und setzt nicht seinen Namen darunter.
Kokoschka ist ein alter Meister, spter geboren,
ein furchtbares W'under. Und ich kenne keine
Rcksicht in Ewigkeitsdingen, Sie sollten auch pie-
ttvoller der Zeit gegenber sein. Bin Ihnen sonst
ehrenwrtlich wie immer gut gesinnt, Max Oppen-
mer, lieber Abbe
7. Dezember 1911
Else Lasker-Schler
Wer zweifelt an seinen Urwchsigkeit? Er
nimmt gern seine erste Gestalt an als burischer
Engel.
Ich ging heute in Begleitung meines Dienst-
mdchens durch die Friedrichsruherpeterbaum-
strae in Halensee an den Bahnschienen entlang.
Mein Dienstmdchen ist mein Galleriesonntags-
iniblikum zu halben Preisen. Ich kann mich nie s
i'echt, nebenj ihr gehend, meiner Gedanken freue
oder daran zu Grunde gehn, sie bringt mich immer
aus meinen Inspirationen. Sie tut nmlich nur so,
in Wirklichkeit ist ihr alles langweilig, aber sie hat
sich schon an den Rhythmus der Bahnlinien meiner
Sprache gewhnt, wenn auch mit Hindernissen;
manchmal entgleist sie, doch immer kommt sie ber
mich hinweg zu ihrem Schatz; an ihn denkt sie
irdisch, unterirdisch, sie whlt, wenn ich ihr vom
Himmlichsten erzahle. Warum habe ich ihr von
St. Peter Hille erzhlt, vom Angesicht Stefan Ge-
orges? Welches Ausnahmeglck es fr mich be-
deuten wrde, in sein Angesicht eine lange Stunde
blicken zu drfen, und noch einige Menschen
mchte ich wohl betrachten, wie die Gottwerke
alter Dome und Tempel. Nur St. Peter Hille konnte
man nicht anblicken, er war unsichtbar, er war eine
Sonne, die anblickte." Ich erzhlte sicher ohne
Pathetik, ich sprach wie zu einem Kind und denn-
noch schme ich mich seitdem vor dem Geschpf;
so habe ich mich in der Schule schon geschmt
meiner schnsten Geschenke wegen; die Welt
ist angefllt von Dienstmdchen und Knechten (von
armen und reichen, von gebildeten und rohen); der
Deutsche verwechselt immer Roheit mit Urwuchs;
und doch wrde mich eine Kartoffelknolle eher
verstehn wie so ein urwchsiger Mensch. Ich hasse
die Liebe unter den Alltglichen, wenn der Prophet
noch lebte, ich wrde an ihn einen Hirten-
brief schreiben, da er die Liebe verbiete.
St. Peter Hille war Aesthet. Lieben drfen
sich Tristan und Isolde, Carmen und Escamillo,
711
Ratcllff und Marie, Sappho und Aphrodite, der
Mohr von Venedig und Desdemona, Wilhelm von
Kevtaar, Du, Herwarth, und Gretchen, Romeo und
.hiJia, Faust und Margarete, Mephisto und die
Venus von Slam, der weie Panther und Joseph der
Egypter, Sascha der gefangene Prinz und Schehe-
resade er" nannte mich Scheheresade. Gute
Nacht.
Liebe Kinder, heute besuchte mich der
Bildhauer Georg Koch und brachte mir Chokoladen-
bonbons mit. Ich a alle die sen Dinger mit Marzi-
pan und Zuckerfllung hintereinander auf. Die waren
in silbergrnes Papier eingewickelt mit Goldsternen,
fieb spielte die ganze Nacht damit; erst trug, ich
einen Mantel aus dem seligen Mrchenschein, dann
standen meine Fe in silbergrnen Schuhen mit
Siemen, eine Krone glnzte in meinen Haaren, ich
sa pltzlich im Zirkus mit Lorchen Hundertmark,
die! durfte mich begleiten, das kleine Kutscher-
kind, ihr Vater fhrt die Wagen spazieren von
meiner allerliebsten Tante Johanna. Lorchen und
ich sind beide zehn Jahre alt und schwrmen heim-
lich fr Joy Hodgini; wir stoen uns groblickend
an und nennen ihn Traumbild. Es hat kein Mensch
gehrt, alles guckt in die groe runde Manage und
viele, viele Hnde klaschen. Lieschen Hundert-
mark hat eine Kommode, darauf stehen: ein Mu-
schelkstchen, in seinen Spiegel starrt der goldene
Porzellanengel vom Sockel. Ein kleiner, blauer
Glasleuchter mit einer gelben, gerippten Weih-
nachtskerze und ein Wachsherz auf einer Karte
Hegt neben einem glitzernden Osterei, mani sieht
darin das Feenreich. Und daneben liegt ein Gebet-
buch aus grnem Samt, aus mt hing ein Buch-
zeichen aus silbergrnen Glanzstaniol mit goldenen
Sternen,
Weit du schon, Herwarth, da Paul Zech aus
Elberfeld nach Berlin zieht? Ich riet ihm zu dem
Stadtwechsel, er braucht Dir nicht erst immer
seine Verse schicken. Aus seinem letzten Oedicht
qualmen Schornsteine, Ru liegt auf jedem Wort.
Er ist der einzige Heimatdichter im groen Stil.
Lieber Herwarth, ich habe diese Nacht wieder
verbummelt getrumt. Ich schlenderte ber den
Kurfrstendamm wie ein Strolch angezogen, in zer-
lumpten Hosen und grnlich, abgetragenem Rock,
ich dachte nur stumpfe Dinge, auch war ich ange-
trunken aus Traurigkeit. Der Wind heulte
meine rote Nase an. Du kennst doch so einen
Znstand gemildert bei mir, wenn Du ver-
reist warst und wiederkamst, und mich) hier oben
am Henriettenplatz trafst, als ob ich obdachlos
sei. Diesmal kam mir im Traum Kete Parsenow
entgegen, die Venus von Siam. Sie sann nach irgend
einem Wort, dann ergriff sie mich mit ihren Hn-
den aus Elfenbein, aber mit der Energie eines Gens-
darms Tino!"
Herwarth, Kurtchen, ich vergesseimmer seinen
Namen er ist aus dem schsischen Tirol,schrieb
ein Buch ber gemalte Irdenkochtpfe, angehender
Direktor der Museen hier. Mehr weiich nicht
von ihm. Uebrigens besitzt er eine eigene Mb-
lierung von der Urgrotante geerbt; und eine lnd-
liche Base der Mona Lisa hat er an der geblmten
Tapete hngen, das Gemlde erbte er auch von
seiner Erztante Isabella.
Mnchner Sezession
Von Lothar von Kunowski
Diese Kritik Lothars von Kunowski erschien im
Jahre 1900 und wurde in sein Buch Lichtund Helligkeit"
aufgenommen
Durch strenge Auswahl der Werke hat die
Mnchner Sezession den ersten Schritt zur K u n s t
getan. Aber der Verlust in der Anzahl der Werke
mu ersetzt werden durch den Reichtum dessen,
was von jedem Einzelnen gegeben wird. Es ge-
ngt nicht, wenige sehr einfache Arbeiten zu ver-
ffentlichen : alles Vornehme ist einfach, aber es ist
zugleich reich, Vornehmheit und Armut sind un-
vereinbare Widersprche. Stuck ist ein einfacher
Mann, er hat in einer Zeit der Verschwommenheit
eine kernige Bauernsprache eingefhrt. Er sagt
unverhohlen das Wenige, was er zu sagenhat, in seinen Furien" durch Verbindung von
vier Gestalten, eines fliehenden Mannes und
dreier schwebenden Weiber, von denen zwei
/erfolgen, eine sich in den Weg stellt, indem alle
vier den Raum derart erfllen, da sie das Neben-
schliche rcksichtslos beiseite drngen. Es bleibt
der Gegensatz zwischen Mann und Weib, A.igsi
und Rache, hellen und dunklen Leibern, roten, gel-
ben, grnen Gewndern weithin dekorativ wirk-
sam. Prft man jedoch das Einzelne, das Mienen-
spiel der Kpfe, die Hnde, Fe, die Falten der
Gewnder, Steine und Bume, so ergibt sich, da
Stuck zu wenig fein und zu wenig reich ist, um
als vornehm gelten zu knnen. Man vergleiche
hiermit eines der Werke von Mantegna, dem an
Wucht und Geschlossenheit der Komposition we-
nige und man wireji jeden Kopf,
jeden Krper, Panzer, Helm und Frchtekranz eines
besonderen Rahmens fr wert erachten. Zahlreiche
Abbildungen einzelner Teile von Gemlden der
Renaissance wrden aufklrend wirken ber die
Grnde der Vornehmheit norditalienischer Kunst.
Zur Einfachheit und zum Reichtum mu sich die
Ehrlichkeit gesellen. Der Knstler soll von den
lteren Meistern den Pflug ihrer Methode, aber
nicht zugleich deren Frchte bernehmen. Karl
Haiders Landschaften erinnern an Arbeiten aus der
Mitte des Jahrhunderts in Anordnung, Farbe und
Durchfhrung, als htte man sie einem Museum
entnommen. Betrachtet man sie genauer, so schwin-
det der trgerische Schein. Die Vorgnger dieses
Knstlers malten die Bume so, wie sie sahen, ihr
Baumschlag" war das Ergebnis sorgfltiger Na-
turstudien. Haider malt keinen Baum, wie er Ihn
sieht, er sucht vielmehr die Sorgfalt der Aelteren
vorzutuschen, indem er jeden Baum aus tausend
vollkommen gleichfrmigen Kringeln zusammen-
setzt. Hundert solcher Fichtenbume rckt er zu-
sammen und whnt einen Wald gemalt zu haben.
Der Baum als eine lebendige Persnlichkeit von.
bestimmter Eigenart ist ihm durchaus gleichgltig;
er strebt nach dem Ruhm alter Meister, die doch in
Wahrheit das Schema einer Fichte, Linde, Buche
aus dem Vergleich der wirklichen Bume mglichst
ehrlich zum dauernden Gebrauch fr sptere Zeiten
feststellten, damit die Nachfolger fortbilden, nicht
das Gefundene zur banalen Redensart verflachen
knnten. Noch in seinem siebzigsten Jahr wan-
delte der alte Preller tglich mit dem Skizzenbuch
in die Campagna, damit das Schema seiner Bume
nicht verknchere. Darum ist die homerische Ab-
geklrtheit seiner Odyseelandschaften in Weimar
durchdrungen von jugendlicher Frische.
Ehrlichkeit ist eine Dienstmdchentugend*
wenn sie nicht mit Selbstndigkeit vereinigt ist.
Knstler sein, heit Gegenstze in sich zur Einheit
einer Schpfung auflsen: der Knstler soll abhn-
gig von der Natur sein, um unabhngig natrlich zu
bleiben. Schramms Hhner und Truthhne sind
nur ehrlich beobachtet, ihre sonnigen Farben ver-
raten eine berraschende Aufnahmefhigkeit fr
Natureindrcke, aber es scheint, als habe der Knst-
ler die Hhner der Farben wegen und nicht die
Farben als Ausdruck des Lebens der Hhner ge-
malt. Der Augenblick des Sich-selbstndigmachens
ist entscheidend fr die Entwicklung des Knstlers;
in gewissen schpferischen Zustnden mu Ver-
gangenheit und Gegenwart, also Tradition und Na-
tur in Nacht versinken vor dem Ausbruch eines
neuen Lichtes. Das Licht der Idee ist das Leben
der beobachteten Naturwesen, welches im Knst-
ler zu neuer, vollendeter, reinerer Erscheinung
drngt, als es in der Natur selbst geschieht. So
wunderlich Der schwarze Ritter" von Branden-
burg uns erscheint, dieses Bild ist vielleicht zu we*
nig ehrlich gesehene Farbe, aber in der Erschei-
nung des schwarzgepanzerten Ritters und in den
leuchtenden Leibern der Waldfeen birgt sich ein
seelischer Vorgang, dem der Knstler in allem, was
iung ist, und in sich selbst auf die Spur kam. Wir
wandeln alle dster durch einsame Wlder, ber
uns das schwirrende Insekt der Grbelei, zur Seite
kauernd und hinterrcks schwebend das Jauchzen,
Lcheln, Hhnen von Geistern der Schnheit und
Sinnenlust, die kein schwarzer Panzer vollstndig
bannen kann. Wir wollen nicht lachen ber den
tollen Einfall mancher jungen Knstler. Die Zeit
der Einflle, der Improvisationen, des khnen Lau-
schens auf die Stimme des Inneren, und das Nie-
derschreiben des also Vernommenen ohne Rck-
sicht auf die Meinung der Welt gehen jeder hoff-
nungsreichen Kunstperiode voraus.
Der vornehme Mann mibraucht seine Selb-
stndigkeit nicht; auch in den Stunden der Einsam-
keit wei er den Feinden echter Kunst zu wider-
stehen, dem Hochmut und Grenwahn, er vermei-
det den Schwulst und die Undeutlichkeit dessen,
der nur fr sich und nicht fr andere schafft, er
bleibt wahrhaftig gegen sich selbst. Janks Bau-
ern", Weib und Mann, bis zur Hfte gesehen, da-
hinter die Kpfe zweier Schimmel, alles vor rot-
glhender Landschaft, geben ein Bild von schwung-
voller Erfindung in Linien und Farben. Aber die
Wahrhaftigkeit fordert, da man mehr gebe, als
man in dem Augenblick des Entwerfens persnlich
ist, sie fordert, da der Knstler im Werk sein gro-
es Knnen, seine vergangene, gegenwrtige und
zuknftige Persnlichkeit zusammenschliee Die
gniale Idee soll das Gef sein, in welches hinein
sich das gesamte Wissen, Fhlen, Wollen des
Schpfers ergiet. Er soll sich im Werk auswach-
sen, sich seines Besitzstandes invollem Umfange
bewut werden, damit er ihn nie wieder verlieren
kann. Janks Bilder sind vorzglich Untermalun-
gen, jeder Schritt weiter inder Durchfhrung
wrde dem Knstler Selbsterkenntnis bringenber
das, was er wei und was er nicht wei.Fhrt er
712
jedoch fort wie in der Hetzjagd Heidi" sich das
Gestndnis ber die Unzulnglichkeit seiner Kennt-
nisse zu ersparen, so wird er vielleicht auch die
verlieren, deren er gewi ist, und in einem Schwulst
hastiger Pinselstriche enden.
Man sieht, da die Wahrhaftigkeit smtliche
anderen Tugenden des Knstlers fordert: in die
Einfachheit eines selbstndigen Entwurfs fhre er
den Reichtum seines Wissens und Empfindens ein,
damit er seine Einflle durchbilde, bis sie einen
ehrlichen Vergleich mit der Natur ermglichen.
Viele Knstler frchten diesen ehrlichen Vergleich,
und so bleiben sie dem Laien unverstndlich. Sle-
vogts Verlorener Sohn" ist ein Bild, dessen Ge-
stalten vergeblich nach einer definierbaren Ober-
flche ringen, mit Ausnahme eines Kopfes, der neu-
gierig aus dem Chaos der Farben hervorlugt. Den-
noch ahnt der Kenner eine Flle von Talent, das
fr alle sichtbar wrde, sobald der Knstler sich
ernsthaft fragte, ob er von jenem Gewand, Tep-
pich, Frauenkrper nicht weniger gegeben habe, als
er vermge. Die Ursache der Unaufrichtigkeit ist
vielen Knstlern gemein: sie wollen bedeutender
erscheinen, als sie sind. Entschlssen sie sich, ihren
Einfall bis zur Verstndlichkeit auszugestalten,,
wrden sie die Krper aus dem Hintergrunde her-
ausarbeiten, die Finger mit Ngeln versehen, die
Bume mit Blttern, so wrde pltzlich niemand;
mehr von einem neuen Velasquez, Rubens. Tizian
sprechen, sondern nur von einem guten Hand-
werksmeister. Liebermann, der noch heute von
vielen als der Homer des heroischen Bauernlebens
gefeiert wird, entpuppt sich, nachdem er die Ne-
belkappe der Verschwommenheit in seinem bis auf
die Physiognomien und Sonnenflecke durchgefhr-
ten Altmnnerhaus" abgelegt hat, keineswegs als
ein Geist, der diesem Ruhme entspricht. (Ich habe
ihn seitdem hher zu schtzen gelernt und er
mich.)
Ein Bild entdeckte ich, aus dem der Geist der
Wahrhaftigkeit spricht, man hat es in einen dunklen
Gang an die dunkelste Stelle gehngt, damit der
Wahrheit der Schleier nicht fehle. Bartnings
Campagna" ist das Werk eines jungen Mannes,,
er noch nicht gereift ist, den groen Ent-
wurf zu wahren, aber es gibt ein Alter,,
in dem Gewissenhaftigkeit und peinliche Sorgfalt
das Natrliche und darum Wahrhaftige sind. Alle
groen Knstler, auch Rubens, Rembrandt, Lio-
nardo begannen ihre Laufbahn mit Arbeiten von
unheimlicher Peinlichkeit. Bartning hat die Steine
der grauen Mauer des Vordergrundes gemalt, als;
wolle er sich an jedem seines Knnens bewut
werden, er hat jede Blume am Fu der Mauer in:
der Besonderheit ihres Wuchses entfaltet, jeden
Ast der beiden Bume mit Blttern versehen. Er
sagte sich: Ein Baum mu unbedingt Bltter ha-
ben, seine Aeste drfen nicht Klumpen roter, wei-
ter oder gelber Watte tragen, wie diejenigen der
Landschaften von Richard Pietzsch. Ich gestehe
zu. da ich das Geheimnis, wenige Bltter an ge-
wissen Stellen fr alle Bltter sprechen zu lassen,,
noch nicht gefunden habe, mein Bild wird ein Ge-
stndnis dieser Unreife, aber auch ein Zeugnis
meines Eifers sein." Diese Wahrhaftigkeit ist die
Ursache der Poesie, welche von dem Jngling auf
der Mauer herab in die Ebene zu den blauen Ber-
gen und getrmten Wolken die Landschaft durch-
zieht, als lse sich die Mhsamkeit und Strenge
des Vordergrunds fr den Betrachter wie fr den
Knstler in das leichte Aufatmen der Ferne. Der-
gleichen ist angenehmer zu schauen, als die Por-
trts von Samberger, der kaum Mund, Nase und
Augen zur Aehnlichkeit gebracht hat, als schon
sein Pinsel in wtendem Freudentaumel Hinter-
grund, Kragen und Rock durch Geschwindigkeit be-
wltigt. Einem lteren Manne wie Uhde verzeiht
man, da er in seiner Ruhepause im Atelier" sich
vielfach andeutend bewegt. So lste sich die voll-
endete Oberflche der Werke Tizians im Alter auf
in ein lockeres Gewebe von Pinselstrichen, aber
mit jedem dieser Striche wies die zitternde Hand
des Greises zurck auf die unermeliche Zahl der
Werke, in denen er sich einfach und reich, ehrlich,
selbstndig und wahrhaftig ausdrckte als ein vor-
nehmer Knstler. Welche von den Mitgliedern
der Sezession werden es erreichen, noch im Alter
so zu erscheinen?
*
Nachtrag aus dem Jahre 1911: Seit dem
Jahre 1906 macht sich in der Berliner Sezession ein
frischerer Zug geltend. Man zeigt sogar graphische
Ausstellungen, in denen die unterdrckte Jugend
zur Geltung kommt. Im Jahre 1900 war jenes oben
erwhnte Bild Ludwig Bartnings das einzige
frische, jugendliche Werk, das ich in Sezessions-
ausstellungen entdecken konnte. Alle anderen Ta-
lente waren durch abstrakten Maldrill in Oel uni-
formiert. Ich entschlo mich daher, eine Schule
fr Rhythmus in Zeichnung und Malerei zu erff-
nen. Ihre Resultate wurden in vierhundert Ar-
beiten begabter junger Maler 1903 in Mnchen,
Breslau, Leipzig ausgestellt. Ich fhrte eine Flle
von Talentproben in Aquarell, Bleistift, Kohle, Fe-
der, Tempera ins Feld gegen den vollendeten
Stumpfsinn einer niedergeknebelten, sezessionisti-
schen Jugend. Als Beweis sind in meinem neue-
sten Werk Unsere Kunstschule" die Kritiken ein-
sichtiger Mnner ber jene Ausstellungen meiner
Schule abgedruckt.
Seit dem Jahre 1905 regte ich die gesamte Ber-
liner Kunstwelt an durch etwa dreiig kleine Ate-
lierausstellungen, in denen zur Sprache kam, was
die neuesten Berliner Sezessionskataloge zum be-
sten geben. Das von mir erschlossene und durch
die Spezialarbeiten Rhythmus und Bilderbogen"
nebst Unsere Kunstschule" seit 1903 bekannte Ge-
biet der Konstruktion in Naturstudien wrde ra-
scheren Eingang in die knstlerische Jugend fin-
den, wenn mein Schler Karl Scheffler die Platt-
form von Kunst und Knstler" weniger bentzte,
um seinen Meister zu belehren, sondern seinen
Lesern wrtliche Auszge aus meinen Bchern
ber Konstruktion zum Besten gbe.
Karl Schefflerist auch heute noch der Meinung,
da man die soeben in sechshundert Arbeiten mei-
ner Schule im Berliner Kunstgewerbe-Museum der
Oeffentlichkeit vorgestellte wesentlich gereiftere
Jugend niederknebeln msse. Diese Jugend hat
aber in diesen sechshundert Arbeiten geleistet, was
die Sezession nicht geleistet hat: eine anschauliche
Raumlehre fr Naturstudien und Wandbild solcher
Maler, die den Schefflerschen Grundsatz der Maler
mu dumm sein" nicht anerkennen wollen.
*
Da ich als lehrender Mann im allgemeinen
auf Strenge dringe, gehrt zu meinem Beruf, das
heit zum Beruf eines Menschen, der hundert Mit-
tel gefunden hat, jungen Knstlern zu helfen, Es
gehrt nicht zum Beruf von Mnnern, die immer
blo auf der Jugend herumhacken, ohne ihr auch
nur einen Pfifferling praktisch brauchbarer Hilfe zu
bieten.
Meine Berliner Ausstellung verband Frische
mit Strenge. Aber wesentlich in ihr waren die
Gebietserschlieungen fr junge Krfte. Man erin-
nere sich nur an das Blumengebiet. Welche Flle
praktischer Anwendungen sind hier schon in frhe-
ster Jugend mglich.
Ich lebe zwanzig Jahre fast ausschlielich un-
ter jungen Knstlern. Die wildesten Kerle haben
sich in meine Behandlung gegeben. Keiner wird
sagen knnen, da ich seine Eigenart nicht gefr-
dert htte, indem ich sie kultivierte.
Kunst, Demokratie und
Presse
Der lyrische Phariser
Den unbefreiten Knechten, die der Gott, der
Eisen wachsen lie, bekanntlich nicht wollte, singt
jetzt ein Engel Kampflieder. Ein Maisenkommis,
der ein passendes Gedicht fr jedes Ereignis auf
Lager hat, fordert die Mitbrger auf, sich recht-
zeitig zu ermannen, denn
Es kommt der Tag, der Tag bricht aq,
Ein Tag so hoffnungsjung und klar:
Der zwlfte Januar.
Er bringt den Sieg nach der Gefahr.
Ein Tag voll hellem Morgenlicht,
Ein groer Tag, der Ketten bricht.
Er wird an- und auch Ketten brechen, nur drft,
ihr, Mitbrger und Freunde,
ihn miachten nicht,
Nur badet heut' schon euer But
In dieses Tages Flammenglut
O schmiedet sthlern euern Mut.
Was klemmen euch und drcken mag.
Denkt nur: es kommt, es kommt der Tag,
Der Widerhieb, der Gegenschlag!
Wenn euch der Junker schtzt und hhnt,.
Wenn ihr beim teuren Brote sthnt ?
Wenn ihr des Fleisches euch entwhnt,
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