Systematische synchrone Beschreibung der slawischen ... · Themen: 1. Grundbegriffe der Phonetik 2....

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RV: Allgemeine Einführung in die slaw. Sprachen, Literaturen und ihre Geschichte

(Dr. Emmerich Kelih)

Systematische synchrone Beschreibung derslawischen Sprachen:

Teil I: Phonologie/Phonetik

am 05.11.2008

Themen:

1. Grundbegriffe der Phonetik

2. Einführung in die Phonologie

3. Slawische Laut- und Phonemsysteme (ausgewählte Aspekte)

4. Zusammenfassung

Laut: Unspezifische Bezeichnung für kleinste auditiv, akustisch oder artikulatorisch unterscheidbare Elemente der gesprochenen Sprache.

1. Phonetik: Grundbegriffe

Phonetik: Produktion – Übertragung - Wahrnehmung

Gebiete der Phonetik:

• artikulatorische

• akustische

• auditive

Spezifikation zur artikulatorischen Phonetik:• Initiation

• Phonation

• Artikulation(Sprachlautproduktion: sekundär; primär: vitale Funktionen)

Zwei Klassen: Vokale vs. Konsonanten

Vokale: zentral offener Ansatzrohr, Abstand zum Gaumensegel, Zungenposition: horizontal; vertikal!

Darstellung: Vokaldreiecke, V-Vierecke usw.

mittlerehoch /И/ /У/mittel /Е/ /О/

tief /А/

vertikale Zungen-bewegegung

(Position)

Horizontale Zungenbewegung

vordere hintere

z.B. Beispiel: Russisches Vokalsystem

Suprasegmentale Eigenschaften von Vokalsystemen

Betonung, Akzent, Vokalquanität als zusätzliche distinktive Eigenschaft:

Russisch: dynamischer, freier Akzent (ljubljú – ljúbiš)

Makedonisch: dynamischer, aber nicht freier Akzent; Antepänultima ist betont (péčurka, makédonski)

Tschechisch: wichtige Rolle der Vokalquantität (Länge)

(zpráva ‚Bericht‘ - zprava ‚von rechts‘)

B/K/S: Quantitäts- und Intonationsunterschiede

Zwei Bestimmungskriterien:

1. Artikulierendes Organ (Unterkiefer, Oberkiefern, Zunge (!), Gaumensegel, Gaumenzäpchen, Rachen, Kehlkopf)

2. Artikulationsstelle: (Lippen(labial), obere Schneidezähne (dental), Zahndamm (alveolar), harter Gaumen –Vordergaumen (palatal), weicher Gaumen – Hintergaumen (velar), Gaumenzäpfen (uvular) ...

Konsonanten:

ad Phonation:

kontrollierte Stimmtonerzeugung durch Stimmlippen, (Stimmlippen in Phonationsstellung: Anspannung, steigender subglottaler Druck, Sprengung des Stimmlippenverschlusses)

Beispiel: Kroatisches Konsonantensystem

b d g stimmh.p t k stimmlos

dž, đ stimmh.c č, ć stimmlosz ž stimmh.

f s š h stimmlosv j

Nasale m n njrl lj

aleveolar palatal velar

Art.modus

bilabiallabio-dental dental

Art.-Ort

ObstruentenPlosive

Affrikate

Frikative

neutral SonantenVibranten

Akustički kriteriij

Quelle: Turk, Marija (1992): Fonologija hrvatskoga jezika (raspodjela fonema). Rijeka –Varaždin: Izdavački centar Rijeka.

Wichtige Merkmale von Konsonantensystemen

Stimmhaftigkeit / Stimmlosigkeit: Bilden von „Korrelationspaaren“

z.B. p – b, t – d, s – z, š – ž … usw.

in allen slawischen Sprachen

Palatalisierungskorrelation:

Sekundäre Artikulation (Zungenrücken geht Richtung harten Gaumen (Palatum)

z.B. Russisch: skazal (er erzählte) vs. tol‘ko (nur) d.h. l – l’, r – r’, v – v’ …

in ostslawischen Sprachen (Russisch, Ukrainisch, Weißrussisch)

im Polnischen und Untersorbischen (eingeschränkt, linguistisch umstritten)

im Bulgarischen (vor dialektal: Ostbulgarisch)

„Laut“-Inventare: slawischer Sprachen:

Sprache Anzahl V Anzahl C InventarRussisch 5 (6) 34 (37) 39 (43)

Kroatisch 6 (5) 25 31 (30)

Slowenisch 9 20 29

segmentale Einheiten

suprasegmentale Eigenschaften müssen/werden/können gesondert betrachtet werden

unterschiedliche Anzahl von Phonemen, je nach phonologischer Theorie !

Probleme der Koartikulation & phonetische Prozesse

= Überlagerung von Sprachbewegungen

= Änderung des Lautwertes im Sprechfluss

Stimmtonverlust: Rusisch

dt. Übersetzung phonetischchleb Brot chle[p]sad Garten sa[t]nož Messer no[š] poezd Zug poe[st]izb Zimmer, gen. pl. i[sp]zdorov gesund zdoro[f]glaz Augen gen. pl. gla[s]sneg Schnee sne[k]mozg Hirn, Gehirn mo[sk]

nadežd Hoffnungen, gen. sg. nade[št]

Gilt aber nicht im Kroatischen:

Burg – gra[d], Garten – sa[d];

Stunde – sa[t], Ra[d] – Arbeit,

ra[t] – Krieg, Zahn – zu[b];

breg – Ufer; no[ž] – Messer,

Horn – ro[g]; ro[k] – Frist;

Probleme der Koartikulation & phonetische Prozesse: ff.

• regressive Assimilation

Russisch:Orthographisch Bedeutung Phonetisch

trubka Rohr tru[pk]aredko selten re[tk]o

knižka Büchlein kni[šk]aovca Schaff o[fc]azavtra morgen za[ft]rablizko nahe bli[sk]o

Wortform Bedeutung Wortform mit Ass. Bedeutungsvat Hochzeitsgast Svadba < svat + ba Hochzeit

vrabac Spatz (nom. sg.)

Vrapca < vrabac + ca Spatz (gen.sg.)

glas Stimme, Laut Glazba < glas+ba Musik

Kroatisch:

2. Phonologie: Grundbegriffe

Wissenschaftshistorischer Exkurs

Jan Baudouin de Courtenay (1845-1929)

theoretische Ansätze

• Methoden der Sprachwisssenschaft(historische Betrachtung, vergleichende Sprachwissenschaft)

• Sprache ist kein Organismus, sondern psychophysische Tätigkeit

• Trennung von reiner und angewandter Sprachwissenschaft

• Hervorheben der lebenden (!) Sprachen

• zwei Dichotomien: (a) Sprache in potentia und

(b) Sprachtätigkeit im Konkreten

• Unterschied von Statik und Dynamik

Beitrag zur Phonologie ?

Weiterer Beitrag: Unterscheidung von Phonetik und Phonologie

• Bedeutung der Experimentalphonetik

• strikte Trennung zwischen Laut und Buchstaben

• strikte Trennung zwischen Laut und Phonem (!)

Definition des Phonems:

Phonem = eine einheitliche, der phonetischen Welt angehörende Vorstellung, welche mittelst psychischer Verschmelzung der durch die Aussprache eines und desselben Lautes erhaltenen Eindrücke in der Seele entsteht = der psychische Äquivalent des Sprachlautes. (BdC 1883: 54)

+ Funktion der Laute

Weiterentwicklung: Fundamente der Phonologie

Nikolaj SergeevičTrubeckoj

(1890-1938)

Postume Ausgabe des Buches:

Trubetzkoy, N.S. (1939): Grundzüge der Phonologie.Prague. [= Travaux de Cercle linguistique de Prague; 7]

Definition des Phonemes (nach N.S. Trubeckoj)

Funktion von Phonemen:

1. distinktiv (bedeutungsunterscheidende)

2. deliminativ (abgrenzend, Grenzsignale setzend)

Das Phonem ist die kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit.

[...] Oder Laute „die die intellektuelle Bedeutung differenzieren“ können […] (Trubetzkoy 1939: 34).

Regeln für die Gewinnung eines Phoneminventar (2 von 4)

1. Wenn zwei Laute derselben Sprache genau in derselben lautlichen Umgebung

vorkommen und miteinander vertauscht werden dürfen, ohne dabei einen

Unterschied in der intellektuellen Wortbedeutung hervorzurufen, so sind diese

zwei Laute nur fakultative phonetische Varianten eines einzigen Phonems.

2. Wenn zwei Laute genau in derselben Lautstellung vorkommen und nicht

miteinander vertauscht werden können, ohne daß sich dabei die Bedeutung

der Wörter verändern oder das Wort unkenntlich werden würde, so sind diese

zwei Laute phonetische Realisationen zweier verschiedener Phoneme.

Bildung von Minimal-Paaren

Substitutions-Methode

Minimalpaare

= Zwei Ausdrücke (Wörter, Morpheme) einer Sprache mit verschiedener Bedeutung, die sich nur durch ein (!) Phonem in der gleichen Position unterscheiden.

Wort 1 Wort 2 dt. Übersetzung (1) dt. Übersetzung (2)dura ducha Idiotin Geist,dam tam geben dortrot kot Mund Katzežar šar Hitze Ball, Kugelzloj sloj böse Schichtden’ ten’ Tage, Schattenzub sup Zahn Schleimsuppebrat brat’ Bruder angreifen, greifen,

Beispiele: Russisch

Beispiele: Kroatisch

Wort 1 Wort 2 dt. Übersetzung dt. Übersetzung

piti biti trinken seinpojiti dojiti tränken, zum Trinken

gebenstillen, säugen

bar par Paar, Pärchenprsti pasti Finger fallen, hinfallenkrv kov Blut Gepräge, Prägungtrn ten Dorn Teint, Gesichtshaut,

Hautfarbe

Zusammenfassung:

Phonetik

>> Lehre von der materiellen Seite der Sprache

>> Rolle der Koartikulation

>> phonetische Analyse Voraussetzung für das Aufstellen eines Phoneminventar

>> unterschiedlicher Lautbestand der slawischen Sprachen

>> wichtige Unterschiede im Vokal- und Konsonantensystem

Zusammenfassung:

Phonologie

>> Rolle einer Leitwissenschaft in der Sprachwissenschaft

>> Lehre von abstrakten Lauteinheiten

>> Rolle der bedeutungsunterscheidenden Funktion

>> Eruieren der relvanten Lauteinheiten aus einem Lautstrom bzw. Vielzahl von Lautinvarianten

>> Querverbindungen zur Phonetik

>> Querverbindungen zur Morphologie (Morphonologie)

Nachdrücklich empfohlene Literatur:1. Rehder, P. (eds.) (2006): Einführung in die slavischen Sprachen. (Mit einer

Einführung in die Balkanphilogie). 5. Auflage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Kommentar: auch ältere Ausgaben hinsichtlich von Phonetik/Phonologie empfehlenswert, kompakte linguistische Übersicht zu slawischen Sprachen;

2. Hall, T.A. (2000) Phonologie. Eine Einführung. Berlin, New York: Walter de Gruyter.

Kommentar: allgemein linguistisch, kein direkter Bezug zu slawischen Sprachen, aber thematisch und didaktisch gut aufgearbeitet; guter Überblick über Alternativen und Weiterentwicklungen der strukturalistischen Phonologie!