Post on 14-Oct-2020
TAPIES
Text : Jeremy RoeÜbersetzung: Dr Martin Goch
Layout: Baseline Co Ltd127-129 A Nguyen HueFiditourist 3rd FloorQuan 1, Ho Chi Minh City Vietnam
© Sirrocco, London UK © Confidential Concepts, worldwide, USA© Tàpies Estate / Artists Rights Society, New York, USA / VEGAP,Spain.
Weltweit alle Rechte vorbehalten
Soweit nicht anders vermerkt, gehört das Copyright der Arbeiten denjeweiligen Fotografen. Trotz intensiver Nachforschungen war es aber nichtin jedem Fall möglich, die Eigentumsrechte festzustellen. Gegebenenfallsbitten wir um Benachrichtigung.
ISBN : 978-1-78042-590-0
Antoni Tàpies
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Einleitung
Antoni Tàpies ist seit mehr als sechzig Jahren als Maler, Bildhauer, Druckgrafiker und
Autor tätig. Seine kreative und intellektuelle Arbeit ist von Anfang an tief in seiner
Heimatstadt Barcelona verwurzelt, deren Vermächtnis er als Zentrum moderner
avantgardistischer Kunst fortführt. Die internationale und universelle Bedeutung seiner Kunst
wurde schon zu Anfang seiner künstlerischen Laufbahn anerkannt; Ausstellungen seiner
Werke sind in aller Welt zu sehen. Gegen Ende des ersten Jahrzehnts seiner Laufbahn wurde
Tàpies als der wichtigste Vertreter einer neuen Strömung in der avantgardistischen Malerei, der
Art Informel, identifiziert. Gleichzeitig lässt sich sein Werk jedoch nur schwer klassifizieren, da
es auch Parallelen mit anderen Kunstströmungen, etwa dem Abstrakten Expressionismus, der
Pop Art, der Arte Povera sowie jüngeren postmodernen Ansätzen in der Malerei aufweist. Die
starke Anziehungskraft von Tàpies’ Werk erwächst aus seinem Bewusstsein der künstlerischen
und intellektuellen Traditionen des Westens und des Orients sowie aus seinem Interesse an
fundamentalen existenzialistischen und mystischen Fragen. Tàpies’ Arbeiten thematisieren uns
alle betreffende allgemein gültige Aspekte und fordern vom Betrachter ein intellektuelles
Engagement. Er isoliert sich nicht von der Gesellschaft und dem täglichen Leben. Im Gegenteil:
seine Kunst ist fest darin eingebettet. Sein eigenes Leben ist von der Politik maßgeblich
beeinflusst worden. Er arbeitete dreißig Jahre lang unter der Diktatur Francos und setzte sich
in seiner Kunst mit der Gesellschaft, in der er lebte, auseinander. Tàpies muss durchaus als ein
“Realist” angesehen werden. Der folgende Überblick über Tàpies’ Leben legt das
Schwergewicht auf seine Kunst und sein Denken, da beide im Mittelpunkt jeder
Künstlerbiographie stehen und uns die eigentliche kreative Persönlichkeit offenbaren.
Anfänge
Antoni Tàpies wurde 1923 geboren. In seiner Jugend erlebte er noch das Ende der Blütezeit der
spanischen und europäischen Avantgarde, bevor der Zweite Weltkrieg Europa mit Gewalt
überzog und das künstlerische Leben praktisch zum Stillstand brachte. Barcelona war seit der
Mitte des 19. Jahrhunderts Spaniens Metropole der avantgardistischen Kunst gewesen. aber
gleichzeitig entwickelte sich dort auch eine starke katalanische Identität. Die Familie Tàpies
repräsentierte die liberalen kulturellen Wertvorstellungen der 1920er Jahre, die Künstler wie
Picasso und Miró ermutigt und unterstützt und auch Ausstellungen der Surrealisten, der
Dadaisten und anderer Kunstbewegungen des frühen 20. Jahrhunderts ermöglicht hatten. Tàpies
erinnert sich, wie er im Alter von elf Jahren mit Hilfe einer der führenden Kulturzeitschriften
Barcelonas, D’Ací i d’Allà (Von Hier und Da), die pulsierende europäische Kultur kennen lernte.
1. Collage mit
Silberpapier, 1946.
Mischtechnik auf
Karton, 73 x 105 cm.
Privatsammlung,
Barcelona.
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2. Figur aus
Zeitungspapier und
Bindfäden, 1946.
Gemälde und Collage
auf Karton, 46 x 38 cm.
Privatsammlung,
Barcelona.
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3. Kratzer auf Karton,
1947. Kohle und
Kratzer auf Karton,
91 x 73 cm.
Galerie Beyeler, Basel.
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Die Zeitschrift vereinte Texte der führenden katalanischen Kritiker mit Abbildungen von
Werken so unterschiedlicher Künstler wie Duchamp, Kandinsky, Mondrian und Picasso. Die erste
Ahnung, dass sein Leben der Fortführung der kreativen Arbeit und der ästhetischen
Untersuchungen dieser herausragenden Künstler gewidmet sein sollte, könnte aus dieser Zeit
stammen, als Tàpies überdies begann, sich selbst das Zeichnen und das Malen beizubringen.
Diese autodidaktischen Wurzeln sind sicherlich zu einem Teil für seinen späteren unabhängigen
künstlerischen Forschergeist und die von ihm erzielten einzigartigen Effekte verantwortlich.
Tàpies’ unabhängiger Geist sollte ihn 1944 dazu bewegen, der von seiner Familie für ihn
vorgesehenen Karriere als Rechtsanwalt nicht zu folgen. Diese Charaktereigenschaft muss auch
vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Kontexts Spaniens
gesehen werden. Die 1930er und 1940er Jahre hatten in ganz Europa tiefe Narben hinterlassen.
Das Schicksal Spaniens war besonders tragisch, da die Brutalität des von 1936 bis 1939
dauernden Bürgerkrieges nahezu nahtlos in die bis 1975 anhaltende Unterdrückung durch den
Faschismus überging. Tàpies war zu jung, um unmittelbar am Bürgerkrieg beteiligt gewesen zu
sein, aber sein unabhängiger Charakter lehnte einen passiven Konformismus mit dem repressiven
Staat ab und trug dazu bei, selbst angesichts des leeren Kitsches des Faschismus eine
künstlerische Avantgarde am Leben zu erhalten.
Seine künstlerischen Bemühungen begannen mit einer 1944 gemalten Reihe von
Selbstporträts. Die ernste Miene mit dem suchenden Blick vermittelt den Eindruck der
Entschlossenheit und der Einsicht, Eigenschaften, die ihn befähigten, in der düsteren Zeit nach
General Francos Sieg ein großes und provokantes Werk zu schaffen. Er malte auch in den
folgenden Jahren einige durch eine selbstbewusste Pinselführung charakterisierte Selbstbildnisse.
Diese Wiederholung der Motivwahl lässt an einen Prozess der Selbstanalyse und gleichzeitig an
ein Bemühen denken, seine künstlerischen Fähigkeiten zu erforschen und zu entwickeln.
Sein Hang zur Innenschau wurde durch eine Zeit schwerer Krankheit noch gefördert. Tàpies
musste seine Schulausbildung 1940 krankheitsbedingt unterbrechen und verbrachte 1942 wegen
Herz- und Lungenproblemen eine Zeit im Krankenhaus. Darauf folgte eine lange Phase der
Rekonvaleszenz, in der er viel Muße zum Nachdenken und Lesen hatte. Wir werden später auf
die Auswirkungen dieser Zeit zurückkommen. Jedenfalls überlebte er und erlitt seitdem auch
keinen Rückfall mehr. Tàpies’ Selbstporträts waren ein Teil seiner eklektischen Annäherung an die
Malkunst. In anderen Werken erkundete er den Stil und die Techniken der avantgardistischen
Malerei. Er kreierte in makellosen Zeichnungen an Träume erinnernde Szenen, in denen der
Einfluss des Surrealismus mit seinem Interesse des Ausdrucks unbewusster Sehnsüchte durch
Sexualität und Gewalt spürbar ist. Dies ermöglichte es ihm, auch politische Aspekte des
diktatorischen Franco-Regimes zu thematisieren. Seine ersten Versuche als Maler illustrieren
außerdem sein Interesse an der Abstraktion. Collagen aus Bindfäden, wie sein Kasten aus
Bindfäden (1946), oder aus Papier verweisen auf dadaistische Vorbilder und sind gleichzeitig erste
Ausdrucksformen seiner Experimente mit ganz unterschiedlichen Materialien.
4. Porträt von Joan
Brossa, 1950-1970.
Öl auf Leinwand,
65 x 54 cm. Sammlung
Joan Brossa, Barcelona.
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