Post on 19-Oct-2020
OlafurEliasson
Symbiotic Seeing
Kunsthaus Zürich
17.1.—22.3.2020
Olafur Eliasson, Escaped light landscape, 2020Courtesy of the artist; neugerriemschneider, Berlin; Tanya Bonakdar Gallery, New York / Los AngelesPhoto: Alcuin Stevenson / Studio Olafur Eliasson
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5Zu diesem Stück
Ein Berg kommt ins Rutschen und ein Mensch ver-liert sein Gedächtnis. Viel mehr passiert erst ein-mal nicht in der 1979 von Max Frisch veröffentlichen Erzählung Der Mensch erscheint im Holozän. Der Text erzeugt in der Langsamkeit des Erzählens einen kontemplativen Sog, der vielleicht dem Zustand beim Betrachten einer Landschaft gleicht.
Der Weg von der Idee bis zur Veröffentlichung war verschlungen: Während des fast zehnjährigen Arbeitsprozesses änderte Frisch mehrmals den Titel: von «Klima» zu «Regen» und schliesslich zu Der Mensch erscheint im Holozän. In seinem Berliner Jour- nal findet sich dazu folgende enerviert anmutende Notiz: «Dritter Anlauf zu der Erzählung aus dem Tes-sin (REGEN); es müsste doch möglich sein, ein Tal zu erzählen». Bei dem abgeschiedenen Tal, in dem er seinen Protagonisten Herrn Geiser ansiedelt, handelt es sich um das Onsernonetal im Tessin, wo Frisch selbst gelebt hat. Lange experimentierte er mit der literarischen Form, bevor er schliesslich zu jener Montagetechnik fand, in der die Erzählung nun vorliegt. Immer wieder flicht er enzyklopädische Notizen zur Erd- und Naturgeschichte in die Er-zählung der beginnenden Demenz von Herrn Geiser ein, der sich eine Zettelsammlung an der Wand anlegt, um sich die Zeit im abgeschnittenen Tal zu vertreiben. Nachdem der Versuch nach Basel zu kommen scheitert, ergibt er sich dem Vergessen.jw
76 Besetzung Besetzung
Maske: Carla Alarcon Jill Heim
Garderobe: Eva Allemann, Simone Choffat, Nicole Jaggi
Konstruktion: Sigi Fuchs
Kostümbearbeitung: Susanne Boner
Theaterplastik: Christine Rippmann
Technischer Direktor: Dirk Wauschkuhn
Stv. Technischer Direktor: Carsten Grigo
Leiter Foyer / Empfang: Robert Zähringer
Leiter Theaterkasse: Freddy Rodríguez
Produktions- &Werkstättenleiter:
Paul LehnerLeitung Bühnentechnik:
Ralf Kranzmann
Leiter Beleuchtung: Rainer Küng
Leiter Ton- und Videotechnik: Jens Zimmer
Leiterin Maskenbildnerei: Judith Janser Ruckstuhl
Leiterin Kostümwesen: Hanne Wulff
Damengewandmeisterin: Cäcilie Dobler
Herrengewandmeisterin: Anita Lang
Leiterin Ankleide: Sandra Caviezel
Kostümbearbeitung: Susanne Boner
Leiter Requisite: René Kümpel
Leiterin Malsaal: Annette Erismann
Leiter Schreinerei: Ivano Tiziani
Leiter Schlosserei: Guido Brunner
Leiter Tapeziererei: Michel Jenny
Der Mensch erscheint im HolozänEin visual Poem von Alexander Giesche nach der Erzählung vonMax Frisch
Mit: Karin Pfammatter Maximilian Reichert
Kinderstatist*innen: Benjamin Bubica Rosa Curi Alexia Finocchiaro-Piu Julia Kalberer Matti Kramer Cara Stäger
Kinderstimme Einspieler: Shelley Fistarol
Inszenierung: Alexander Giesche
Bühne: Nadia Fistarol
Kostüme: Felix Lübkemann
Komposition: Ludwig Abraham
Video: Luis August Krawen
Licht: Frank Bittermann
Dramaturgie: Joshua Wicke
Theaterpädagogik: Patrick Oes
Audience Development: Philine Erni
Produktionsassistenz: Natascha Zander
Bühnenbildassistenz: Marie Hartung
Kostümassistenz: Ulf Brauner
Theaterpädagogische Assistenz: Nadir Ak
Produktionshospitanz: Lara Fuchs
Bühnenbildhospitanz: Wessely, Huijun Tan
Inspizienz: Michael Durrer
Soufflage: Rita von Horváth
Übersetzung Übertitel: Naomi Boyce
Einrichtung Übertitel: Naomi Boyce / Panthea
Operator Übertitel: Maja Bakos Marion Baumgartner
Bühnenmeister: Matthias Mücke
Beleuchtung: Rouven Keller
Ton: Paul Hug, Holger Wendt
Videotechnik: Corina Caviezel Benjamin Hauser
Requisite: Marianne Boos Daniel Läuchli
Premiere: 23. Januar 2020, Pfauen
Unterstützt von Ars Rhenia.Mit Dank an: Prof. Dr. Barbara Schmugge, Michael Schmieder, Prof. Dr. Thomas Strässle, Haus Sonnweid, Klinik Hirslanden, Stone Island.
Aufführungsrechte: Suhrkamp Verlag Berlin.In einer Fassung von Alexander Giesche, Ludwig Abraham und Team.
9Editorial
Liebe Leser*innen,
Was Sie in den Händen halten, ist ein etwas unge-wöhnliches Programmheft. Es sind die Ablagerun-gen, die Sedimente des Arbeitsprozesses, an dessen Anfang Max Frischs Erzählung Der Mensch er-scheint im Holozän stand und an dessen Ende eine poetische Bühnenlandschaft von Alexander Giesche und seinem Team entstanden sein wird; eine lücken-hafte Sammlung, ein Archiv des Materials, das übersetzt, geformt und transformiert die Substanz eines Visual Poems bildet. Anders als in anderen Archiven ist seine Ordnung eher assoziativ, netzwerk-artig und vielleicht macht das seine Poesie aus: Dass seine Bedeutung eher in den Räumen zwischen den Einzelteilen, in seinen Lücken entsteht und sie dadurch fluid und mehrdeutig bleibt. Verschiebt sich ein Teil dieses Gefüges, verschiebt sich das Ganze – wie bei einem Mobile. Die Wissensordnung, die dieser Sammlung seine Form gibt, steht nicht vorher fest, sondern entsteht im Prozess. Sie ist in einer zentralen Arbeitsmethode von Alexander Giesche und seinem Team entstanden: «Die Wand». In dieser stillen Recherche ist das komplette Team auf der Probe eingeladen, einzeln den eige-nen Interessen, Anschlüssen an ein Thema oder einem Stoff nachzugehen. Die einzige Regel ist, dass sich diese Recherche im Raum niederschlägt.
1110 Editorial Editorial
Dann wird das so gesammelte Material gemeinsam in Bewegung gebracht und assoziativ angeordnet.
Dieses Heft lädt Sie also an «Die Wand» ein. Es berührt damit schon in der Form einen Themen-komplex, der auch Max Frisch beim Schreiben von Der Mensch erscheint im Holozän umgetrieben hat: Die Frage nach dem Status von Wissen und Nicht-Wissen.
Die äussere Erosion des Berges korrespondiert in Frischs Erzählung mit der inneren Erosion des Gedächtnisses des Protagonisten Herrn Geiser, der einem anderen Archivar nachempfunden ist: Armand Schulthess, ein Nachbar von Max Frisch aus dem Onsernonetal. Anstatt seine Sammlung an der Wand anzulegen, flocht Schulthess sein gesam-meltes Wissen in den Wald. Über Jahre hinweg stanzte er enzyklopädische Notizen auf Deckel und Böden von Blechdosen, um sie in die Bäume eines kleinen Waldstücks rund um sein Haus zu hängen. Durch Drähte, Fäden und ein kompliziertes Netz aus Wegen waren die Themenfelder von Biologie, Lite- ratur über Astrologie zu einem kosmologischen Ganzen verwoben. Auch dieses lebendige Archiv, dieser Garten des Wissens muss durch den Wachstum der Pflanzen, durch Wind und Wetter in den Blättern und Notaten in andauernder Bewe-gung gewesen sein.
Der Wald und die Wand als Wissensordnungssyste-me legen eine weitere Assoziation nah: Ihre ge-wachsenen Verbindungen, der hohe Grad der Vernet- zung und ihr kollaborativer Charakter (vor allem im Falle der Wand) erinnern an die Art und Weise, wie Inhalte im Internet gespeichert, vergessen und ge-ordnet werden. Eine der Lehren aus dem 30jährigen Umgang mit der Cloud ist wohl, dass mehr Daten nicht unbedingt zu mehr Information führen, dass Vergessen ein produktiver Vorgang sein kann und dass einem Archiv Lücken gut tun. Vielleicht gar, dass wir uns in einem Zustand der digitalen De-menz befinden.
Auch wegen des Gefühls, die hyperkomplexe Informationsflut ohnehin niemals überblicken zu können, fällt es so schwer, sich so etwas wie den Klimawandel vorzustellen und die Konsequenzen aus dem Wissen darüber zu ziehen. So jedenfalls die These des Philosophen Timothy Mortons. Dabei sind die Belege für die menschengemachte Verände-rung der Natur zahlreich: Die Felsen der portu-giesischen Atlantikküste sind mit einer Schicht aus Plastik überzogen, in den Alpen schneit es Kunst-stoff und die Spuren menschen- bzw. kapitalismus-gemachten Klimawandels lagern sich als neue Schicht um die Erde ab und fügen dem geologischen Archiv des Erdzeitalters ein neues Kapitel hinzu: Das Anthropozän.
1312 EditorialEditorial
Dauer. Dieser Raum wird zur Echo- und Wunderkam-mer, legt eine eigene, lückenhafte und poetische Sammlung an und gleicht darin in vielen Aspekten jenen kosmologischen Objektarchiven der Renais-sance, die noch keinen Unterschied zwischen natür-lichen und künstlichen Objekten machten. Auch heute, im Anthropozän, verschwimmt die Grenze zwischen Natur und Kunst.
Das vorliegende Programmheft setzt das Visual Poem eher fort, als es kommentieren oder gar entschlüsseln zu wollen. Sowohl in der Inszenierung als auch beim Anschauen und Lesen dieses Pro-grammheftes sind Sie dazu eingeladen, sich auf die Atmosphären einzulassen und vielleicht mehr ihren Sinnen zu trauen, als allzu genau nach einem letztgültigen Sinn zu suchen.
Viel Freude dabei! jw
Menschliche Geschichte und Geschichten können deswegen heute wohl noch weniger ohne das Wetter gedacht werden, als 1979 Max Frisch die fol-gende Beobachtung in seiner Erzählung nieder-schrieb: «Romane eignen sich in diesen Tagen über- haupt nicht, da geht es um Menschen in ihrem Verhältnis zu sich und zu anderen, um Väter und Mütter und Töchter beziehungsweise Söhne und Ge-liebte usw., um Seelen, hauptsächlich unglückliche, und um Gesellschaft usw., als sei das Gelände da-für gesichert, die Erde ein für allemal Erde, die Höhe des Meeresspiegels geregelt ein für allemal.»
Max Frischs erklärtes Ziel «ein Tal zu erzählen» hat auch das Nachdenken über diese Inszenierung inspiriert: Die Bühnenkunst von Alexander Giesche und seinem Team erzählt vieles über den Raum. Es ist ein Theater der Mittel und Atmosphären, von «räumlich ergossenen Stimmungen», wie der Theo-retiker Gernot Böhme sie beschreibt. Das Gesche-hen zwischen Dingen, Räumen, Licht, Sound auf der Bühne ist dabei ebenso wichtig wie die Handlungen der Spieler*innen - gewissermassen werden auch sie mitsamt des Textes zu einem Teil einer poetischen Bühnenlandschaft, die sich zusammen mit den Wet-terlagen der Inszenierung andauernd im Werden befindet. Auch hier entsteht die Bedeutung oder besser entstehen die Bedeutungsschichten eher im Dazwischen, in den Lücken, aber auch der
Berg, [b ɛrk]Berg werden im Allgemeinen alle be-trächtlichen Erhöhungen, die minder bedeutenden dagegen Hügel oder An-höhen genannt.
BROCKHAUS 1837
Landschaft als Heimat…Da kenne ich Flurnamen, die nicht angeschrieben sind, oder wenn ich sie nach Jahrzehnten vergessen habe, so erinnere ich mich sie gekannt zu ha-
ben.
Fig. 2 The permafrost – the permanent frost – is melting. The very ground trembles, rots, ruptures, and stinks. It cannot be relied upon. The exploded pingos and open melt lakes of the Siberian plain, seen from the air, resemble brain scans of spongiform encephalopathy patients, their cortexes pitted and scarred by the death of nerve cells.
Alzheimer Plaques sind Eiweissablagerungen im Gehirn.
Alzheimer Plaques sind Eiweissablagerungen im Gehirn.
Fig. 3 Zumeist fließt das Leben dahin wie ein Fluss. Manchmal verlässt der Fluss sein Bett, ohne dass es einen geologischen Grund oder eine unterirdische Verwerfung gäbe, um diese Überschwemmung oder jene Abweichung zu erklären.
Wolfgang Giesche* 22. März 1947; † 24. August 2019
https://www.youtube.com/watch?v=nrQIM1ZzKlA
5150 Quellennachweise
Umschlag & Renderings: Luis Krawen
Zu diesem Stück und Editorial sind Originalbeiträge von Joshua Wicke für dieses Programmheft.
Quellen:S. 5 Max Frisch, Aus dem Berliner Journal. Herausgegeben von Thomas Strässle unter Mitarbeit von Margit Unser. © Suhrkamp Verlag Berlin 2015S. 12 Max Frisch, Der Mensch erscheint im Holozän. © Suhrkamp Verlag Berlin 1979Hartmut Böhme: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik. © Suhrkamp Verlag Berlin 2015
Bildarchiv und Collagen aus der Sammlung von Alexander Giesche und Team unter Verwendung folgender Zitate:
S. 19 Max Frisch, Schweiz als Heimat. Herausgegeben von Walter Obschlager. © Suhrkamp Verlag Berlin 1990S. 20 James Bridle, The New Dark Age. Technology and the End of the Future. Verso Books: 2018 S. 25 Catherine Malabou, Onto-logie des Akzidentiellen. morale provisoire #3. Merve Verlag: 2011 S. 28 Arno Geiger, Der alte König in seinem Exil. Hanser Literatur-verlage 2011
S. 30 Wikipedia, BetroffenheitS. 31 TagesanzeigerS. 33 Max Frisch, Der Mensch erscheint im Holozän. © Suhrkamp Verlag Berlin 1979S. 34 Wikipedia, ErosionS. 36 Wikipedia, Beton S. 37 Der grosse Brockhaus, BetonS. 38 Kate Tempest, All humans too late S. 43 Quelle unbekannt S. 44 Wikipedia, Weisses RauschenS. 45 Georges Didi-Hubermann, «Das Archiv brennt», in: Ders., Knut Ebeling (Hrsg.), Das Archiv brennt, Kulturverlag Kadmos 2013 S. 46 Timothy Morton, Hyperob-jects. University of Minnesota Press 2013 Max Frisch, Fragebogen. Erwei-terte Ausgabe. Herausgegeben von Tobias Amslinger und Thomas Strässle. © Suhrkamp Verlag Berlin 2019Tina Turner, I can´t stand the rain
Archivpflege & Scans:Lara Fuchs
Herausgegeben von derSchauspielhaus Zürich AGZeltweg 5, 8032 Zürich
Saison 2019/2020
Intendanz: Benjamin von Blomberg, Nicolas Stemann
Redaktion: Joshua Wicke
Gestaltungskonzept: Studio Laurenz Brunner
Satz: Pascal Alexander
Schriften: Rekord, Magister (Source Type)
Druck: Multicolor Print AG
Offizielle Ausstatter des Schauspielhaus Zürich:MAC Cosmeticsmodissa Optiker Zwickersüdhang WeineGlen FahrnRicola
Änderungen vorbehalten
Produziert in der Schweiz auf FSC zertifiziertem Papier und 100% Altpapier
Impressum
KOMPETENZ, DIE VERTRAUEN SCHAFFT.
IHR HERZ SCHLÄGT FÜR DAS THEATER – UNSERES FÜR IHRE GESUNDHEIT
Künstlerinnen und Künstler sind Meister ihres Fachs. Ihre Werke sind einzigartig, perfekt arrangiert und bis ins Detail durchdacht. Wir nehmen uns diese zum Vorbild: Denn dank modernster Medizin, qualifizierter Fachkräfte, optimal abgestimmter Teamarbeit, per- sönlicher Pflege und Liebe zum Detail zählt unsere Klinik zu den besten. Ein Unterschied ist jedoch wichtig: Bei uns stehen nicht die Akteurinnen und Akteure im Rampenlicht, sondern Sie.
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