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Zusammenfassungen der Vorträge Freiburg im September 2013

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Zusammenfassungen

der

Vorträge

Freiburg im September 2013

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Die Mensch-Tier-Beziehung:

Was gibt es Neues aus der Forschung für die Praxis?

Andrea Beetz1 & Marie-Jose Enders-Slegers2

1: Department für Verhaltensbiologie, Universität Wien, Österreich und Institut für sonderpädagogi-

sche Entwicklungsförderung und Rehabilitation, Universität Rostock, Deutschland; andre-

[email protected]

2: Department Anthrozoologie, Open Universität Heerlen, Fakultät Psychologie Niederlande

[email protected]

In den letzten Jahren hat die Forschung zur Mensch-Tier-Beziehung und tiergestützten Interventio-

nen sowohl in den USA, als auch im deutschsprachigen Raum einen Aufschwung erlebt. Dazu haben

neue Forschungsförderungen wie z.B. durch das National Institute of Health (NIH, genauer NICHD; in

Kooperation mit Mars/Waltham) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), sowie die stete

Förderung von Projekten in Deutschland, Österreich und der Schweiz durch die Firma Mars/Waltham

beigetragen. Insbesondere die verstärkte Integration physiologischer Messdaten basierend auf ei-

nem theoretischen Erklärungsmodell sowie die interdisziplinäre Kooperation von Psychologie, (Son-

der-)Pädagogik, Biologie und Human- und Veterinär-Medizin tragen zur Anerkennung der Mensch-

Tier-Forschung innerhalb der eigenen Disziplinen bei.

Viele Studienergebnisse ergänzen das Verständnis der Mensch-Tier-Beziehung, z. B. Erkenntnisse zur

Bindung und Stressregulation in Mensch-Hund-Dyaden. Aus anderen Studien lassen sich Empfehlun-

gen für die Praxis ableiten, z.B. unter welchen Umständen und in welcher Art und Weise therapeuti-

sches Reiten für Mutter-Kind-Dyaden sinnvoll ist. Aber im Rahmen der Forschung fallen auch immer

wieder Praxisansätze auf, die bedenklich stimmen, da sie die involvierten Tiere überfordern. Daher

ist es besonders erfreulich, dass es einige neuere Studien gibt, welche die Seite des Tieres aufgreifen

und dessen Belastung durch den tiergestützten Einsatz messen. Daraus lassen sich für die qualitativ

hochwertige Praxis noch exaktere Angaben zum Einsatz verschiedener Tiere ableiten (z. B. auch

durch das Wissen über eine mögliche Diskrepanz zwischen physiologischem Stress und Stresssignalen

im Verhalten). Zudem können einfach zu handhabende Forschungsinstrumente auch zur eigenen

Überprüfung in der Praxis einfach eingesetzt werden (z.B. Herzfrequenzmessung beim therapeuti-

schen Reiten).

In der Praxis gibt es ebenso neuere Entwicklungen, vor allem im Bereich von Assistenzhunden bei

verschiedenen psychischen und physischen Erkrankungen. Ein Beispiel welches genauer vorgestellt

wird, ist der Einsatz von Hunden in einem Programm für mit Kindern mit Autismus (3 – 8 Jahre alt),

welches in den Niederlanden durchgeführt und evaluiert wird.

Forschung und Praxis gehen Hand in Hand – und obwohl schon viele Fortschritte erzielt worden sind,

gibt es noch genügend Potential für weitere Entwicklungen. Sowohl an der Anerkennung der Praxis

als auch an der Etablierung der Mensch-Tier-Forschung an den Universitäten muss weiter gearbeitet

werden, auch wenn sich erste Erfolge bereits abzeichnen.

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Wirkmechanismen tiergestützter Interventionen

Rainer Wohlfarth1,2

1: Pädagogische Hochschule Freiburg, Kunzenweg 21, 79117 Freiburg

2: Freiburger Institut für Tiergestützte Therapie, Zum Litzfürst 8a, 79194 Gundelfingen

[email protected]

Die empirische Fundierung sowohl der Wirkung tiergestützter Interventionen als auch möglicher

Wirkmechanismen ist schwach. Meist werden zur Erklärung der Wirkungen tiergestützter Therapie

allgemeine Grundbedingungen für eine Mensch-Tier-Beziehung (z.B. Biophilie Theorie) herangezo-

gen. Da sich die Interaktionen zwischen Therapeut, Klient und Tier in einer therapeutischen Situation

grundsätzlich von einer Interaktion zwischen Bezugsperson und Heimtier unterscheiden, ist es mehr

als fraglich, ob dieser Transfer tatsächlich möglich ist.

Bislang liegen kaum theoretische Rahmenkonzepte für tiergestützte Interventionen vor, die es er-

möglichen in Untersuchungen prüfbare Hypothesen abzuleiten. Theoretische Überlegungen lassen

den Schluss zu, dass Tiere im Therapie- oder Förderprozess an unterschiedlichen Stellen wirksam

sind:

Zu Beginn fungieren Tiere als Eisbrecher, indem sie die Beziehungsgestaltung zwischen Therapeut

oder Pädagoge und Klient förderlich unterstützen. Sie helfen anfängliche Wider-stände der Klienten,

die sich aus dem spezifischen Setting ergeben, zu mindern, indem sie helfen eine angenehme offene

Atmosphäre entstehen zu lassen, in der es leichter fällt über die eigenen Probleme und Schwierigkei-

ten zu sprechen.

Im weiteren Prozess helfen Tiere, die Klienten zu motivieren, an der Therapie/Förderung aktiv teilzu-

nehmen und sich für therapeutische oder pädagogische Maßnahmen zu öffnen. Tiere können wäh-

rend der Sitzungen beruhigend und angstmindernd wirken. Durch sie können Erlebnisse entstehen,

welche belohnend wirken und somit die Mitarbeit des Klienten stärken.

Durch Übertragungs- und Projektionsprozesse können sie Klienten helfen leichter über ängstigende

und beunruhigende Aspekte zu sprechen und auch leichter an unbewusste Inhalte zu gelangen. Glei-

ches gilt wenn Tiere als ‚sicherer Hafen‘ und ‚sichere Basis‘ fungieren. Auch dann fällt es in der Regel

leichter schmerzhafte Erlebnisse zu reflektieren. Zudem wird der Klient eher neue Möglichkeiten

erkennen und kreativer neue Verhaltensweisen erproben, wenn er sich sicher fühlt und emotionale

Unterstützung erfährt. Dadurch kann sich das innere Arbeitsmodell verändern wie auch die Selbst-

wirksamkeit zunehmen.

Es ist allerdings festzuhalten, dass Forschungsergebnisse derzeit noch wenig Auskunft darüber geben,

wie bestimmte Persönlichkeitsmerkmale der Klienten (z.B. Neurotizismus, allgemeine Ängstlichkeit,

Offenheit oder Extraversion) oder bisherige Erfahrungen mit Tieren (z.B. Tierbesitz in der Kindheit;

Tierbesitz aktuell; Einschätzung der Beziehung zum eigenen Tier) tiergestützte Interventionen beein-

flussen.

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Neugierig bleiben!

Wissenschaftliche Evidenzbasierung oder praktisches Erfahrungswissen:

Was hilft den praktisch Tätigen?

Erhard Olbrich

[email protected]

Um es gleich vorweg zu sagen: Wir brauchen sowohl die (natur-)wissenschaftliche Erklärung der Pro-

zesse, die in Tiergestützten Interventionen ablaufen, als auch die praktischen Erfahrungen, die Fall-

studien oder das originelle, oft intuitive Erfassen der Effekte Tiergestützter Therapie beschreiben,

wie sie uns etwa das Kind zeigt, das die Therapeutin beglückt vom Rücken des Pferdes her anlächelt.

Wir brauchen die „unexakten“ Wahrnehmungen der sensiblen Beobachter genau so wie die oft grau

erscheinende Arbeit der „exakten“ Wissenschaftler, die mit experimentellen Methoden spezifische

Hypothesen testen. Wir müssen uns um die Synthese bemühen, deren Fehlen Lorenz (1963, S. 138)

schon beklagte: „Dem grossen Seher erscheint der Wissenschaftler, der Beweise fordert, nur allzu

leicht als der „ärmlichste von allen Erdensöhnen“ und umgekehrt erscheint dem analytischen Wis-

senschaftler der Gebrauch der unmittelbaren Wahrnehmung als Erkenntnisquelle im höchsten Masse

verdächtig.“

Mehr aber zu den Inhalten: Unsere Arbeit ist interdisziplinär. Evolutionspsychologen haben genau so

ihren Anteil daran wie Neurobiologen, Veterinärmediziner hören die Aussagen von Ethikern, Kynolo-

gen setzen sich mit den Prinzipien der Testkonstruktion auseinander, Pädagogen kommen mit Reite-

rInnen ins Gespräch. Viele sind beteiligt. Alle brauchen eine grosse Offenheit füreinander.

Wir haben inzwischen faszinierende Erkenntnisse der Neurobiologie – das kürzlich erschienene Buch

Attachment to Pets von Julius und MitarbeiterInnen stellt sie überzeugend dar. Und wir haben einen

riesigen Fundus von genauso faszinierenden Beobachtungen und Beschreibungen von sozialen, emo-

tionalen, von körperlichen und kognitiven Effekten von Tieren für Menschen. Aber die Brücke zwi-

schen den Prozessen, die ein Tröpfchen Oxytocin auslöst, und den Erfahrungen, die in Menschen

bewusst werden, auch von denen, die unbewusst bleiben, aber dennoch Realität sind, Verhalten

beeinflussen, diese Brücke ist ebenso noch nicht geschlagen wie die Verbindung zwischen dem Feu-

ern von Spiegelneuronen und dem sozialen Mitschwingen mit anderen Lebewesen.

Es ist ein Plädoyer für Synthese, für die schwierige interdisziplinäre Arbeit und die Suche nach den

jeweiligen Sachverhalten entsprechende Erhebungs- und Auswertungsmethoden, das vorgetragen

wird. In einigen Fällen ist sie erbracht worden ist, überwiegend will sie aber noch gefunden werden.

Dazu hilft Neugierde – von allen Beteiligten.

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Tiere in der Pädagogik: Sind Tiere die besseren Pädagogen?

Versuch einer kritischen Thematisierung

Lotte Rose

Professur für Pädagogik der Kinder- und Jugendarbeit

Fachhochschule Frankfurt am Main - University of Applied Sciences

Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit (Fb4)

[email protected]

Tiergestützte Praxisansätze erfreuen sich in der professionellen (sozial)pädagogischen Arbeit großer

Beliebtheit. Das gleiche gilt für die familiale Erziehung. Auch hier werden Tiere als Hausgenossen für

Kinder begrüßt. Unterstellt und in der entsprechenden Fach- und Popularliteratur auch vielfach aus-

giebig geschildert wird, dass der Umgang mit Tieren eine entwicklungsförderliche Wirkung auf Kinder

hat. Es ist dies eine Vorstellung, die in der gesellschaftlichen und fachlichen Öffentlichkeit ein hohes

Maß an Zustimmung findet. Dass Tieren Kindern gut tun, scheint allgemein plausibel – auch ohne

sonderliche empirische Beweisführungen und Theoretisierungen. Oft genug wird dem Tier hierbei

eine regelrechte ‚Pädagogenrolle’ mit exklusiven wundersamen Wirkungen zugeschrieben, die Men-

schen nicht innehaben (können).

Der Beitrag will dieser Vorstellung kritisch nachgehen. Welche Narrative tragen den Diskurs zu den

‚tierischen Pädagogen’? Welche Konstruktionen erzeugen ihre enorme Plausibilität, und auf welchen

Idealisierungen basieren sie? Was wird bei alledem auch tabuisiert? Und schließlich: Welchen Inte-

ressen dient der Diskurs? Vor diesem Hintergrund sollen Herausforderungen für Disziplin und Profes-

sion tiergestützter Pädagogik skizziert werden.

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Hundegestützte Pädagogik in der Schule

Lydia Agsten

Sonderschullehrerin

Auf der Emst 9

58638 Iserlohn

[email protected]

www.colecanido.de; www.schulhundweb.de;

www.schulhundkonferenz.de: www.brabeckschule.de

Viele Pädagoginnen, die von ihren Hunden in den Unterricht begleitet werden, sind daran interes-

siert qualitativ gute Arbeit zum Wohle der Schüler und Hunde zu leisten. Ca. 250 KollegInnen haben

sich deshalb mittlerweile der freiwilligen Selbstverpflichtung des Fachkreises Schulhunde angeschlos-

sen, zu dem das oben abgebildete Logo gehört. Ich möchte in meinem Vortrag schwerpunktmäßig

auf die Unterschiede beim Einsatz von Schulhunden und Therapiehunden eingehen und die Ausbil-

dung der Schulhundteams. Besonders der Einsatz von Schulhunden boomt mit allen Vor- und Nach-

teilen und ich gehe in Deutschland von weit über 1000 eingesetzten Hunden in der Schule aus!

Gravierende Unterschiede im Einsatz von Schulhunden (Präsenzhunden) und Therapiehunden sind:

• Die Hunde werden primär im regulären Unterricht mit bis zu 30 Schülern eingesetzt, wo

der Focus auf Fächern wie Deutsch, Mathe … liegt. Die Konzentration ist also in der Regel

nicht nur auf die Interaktion des Hundes mit ein oder wenigen Kindern gerichtet.

• Es muss nicht „den Schulhund“ geben! Je nach Schülerklientel muss ein grundsätzlich ge-

eigneter Hund nach seinen Stärken und Schwächen individuell ausgebildet und eingesetzt

werden. (Inklusionshelferhunde)

• Der Umgang mit dem Schulhund in der Schule muss immer so gestaltet werden, dass ei-

ne Übertragung auf den Umgang mit Hunden im Alltag gegeben ist. (Schulhunde dürfen

keine „Plüschhunde“ sein, mit denen man alles machen kann!)

Zurzeit gibt es in Österreich an den PHs die ersten Weiterbildungen von Pädagogen, die ihre Hunde in

der Schule einsetzen. In Deutschland gibt es bisher keine einheitlichen Regelungen ob und nach wel-

chen Kriterien Lehrerinnen von ihren Hunden begleitet werden dürfen. Manche Vorgesetzten wollen

sich absichern, indem sie einen Wesenstest, eine Begleithundeprüfung o. ä. von den Hunden verlan-

gen. Diese Tests sagen aber nichts über die Eignung des Hundes als Schulhund aus!

Da es zurzeit kaum spezielle Ausbildungen für Pädagoginnen gibt, die ihre Hunde in der Schule ein-

setzen, hat sich auf der 1. Schulhundkonferenz im Oktober 2011 in Dortmund der AK Schulhund-

teamausbildung gebildet. Hier wurden in mehreren Treffen von den Teilnehmern Kriterien für eine

adäquate Schulhundteamausbildung entwickelt. Infos sind im Schulhundweb unter

http://www.schulhundweb.de/index.php/Arbeitskreis_Schulhundteamausbildung zu finden.

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„Besser Lesen mit Hund?“ Praxis und Effekte von Einsätzen mit Schulhunden

Meike Heyer

Wilhelm-Busch-Straße 12

26131 Oldenburg

[email protected]

In einer kontrollierten Interventionsstudie wurde, am Beispiel einer Leseförderung, untersucht ob

der Einsatz eines Hundes den Lernprozess und das Lernergebnis positiv beeinflussen kann. Vier Schü-

lergruppen von je 4 Schülern der 3. Jahrgangsstufe erhielten über einen Zeitraum von 14 Wochen

eine wöchentliche Leseförderung. In zwei Experimentalgruppen wurde mit einem echten Hund gear-

beitet, in zwei Kontrollgruppen mit einem Stoffhund. Vor, während und nach der Intervention wur-

den Leseleistung, Lesemotivation, Leseselbstkonzept, lernbegleitende Emotionen sowie das Lernkli-

ma mittels standardisierter Schulleistungstests erhoben.

Die Ergebnisse zeigen, dass der Einsatz eines Hundes die Leseleistung signifikant mehr verbessert, als

eine konzeptionell identische Förderung mit einem Stoffhund. Weitere signifikante Effekte der hun-

degestützten Leseförderung fanden sich in den Teilkomponenten des Leseförderungsprozesses Moti-

vation, Selbstkonzept, Emotionen und Lernklima. Während der Lernzuwachs der hundegestützt ge-

förderten Schüler über die Sommerferien hinweg stabil bleibt, sind die erzielten Verbesserungen der

Kontrollgruppe während der Ferien rückläufig (Beetz & Heyer, i. Vorb.).

Eine fundierte Ausbildung des Mensch-Hund-Teams und ein tierschutzgerechter Einsatz des Hundes

bilden die Grundvoraussetzung für die praktische Arbeit. Um die positiven Wirkungen von Schulhun-

den zur Verbesserung der Leseleistung zu nutzen, ohne dabei vom Lerngegenstand abzulenken, sollte

die aktive Einbindung des Hundes in Verbindung mit lesedidaktischen Förderinhalten erfolgen, z.B.

ein Blitzlesetraining von Strukturwörtern. Zu den Strukturwörtern gehören im Deutschen Konjunkti-

onen, Subjunktionen, Artikel, Pronomen und Präpositionen, die ca. 40% des Vokabulars eines Textes

ausmachen. Ein messbarer Lernerfolg setzt beim 3-maligen Lesen der Wörter ein. Ein/e SchülerIn

erhält 3 Dosen, in denen sich jeweils der identische Kartensatz von 10 Wörtern befindet. Nach Auf-

forderung öffnet der Hund eine Dose und der/die SchülerIn liest ihm die Wörter laut vor. Die Lesezeit

wird gestoppt und in einem Diagramm visualisiert. Anschließend öffnet der Hund die nächste Dose

und die Wörter werden ein weiteres Mal gelesen. Als nicht wertender Zuhörer erhöht der Hund die

Motivations- und Anstrengungsbereitschaft und begünstigt, durch physiologische und psychologische

Wirkungen auf den Menschen (z.B. Stressreduktion, vgl. Beetz, 2012), Lernerfolge. Beim gemeinsa-

men Lesetraining mit dem Hund erfahren die Kinder einen Zusammenhang zwischen Anstrengung,

Üben und Lernerfolg – die Basis für erfolgreiches Lernen.

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Literatur

Beetz, A. (2012). Hunde im Schulalltag. Grundlagen und Praxis. München: Reinhardt.

Beetz, A. & Heyer. M. (i. Vorb.). Lesen mit Hund. Reinhard.

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Profitieren auch Hochbegabte von Tieren

Tina Nordmann

Les Jardins d’Oulens

Rue du Village 9

1522 Oulens-sur-Lucens

[email protected]

„Wer hat, dem wird gegeben“ so heisst es in der Bibel, aber in der Schule wird Hochbegabten nicht

immer gegeben.

Diese Meister im lateralen Denken, Feinfühligkeit, Wortgewandtheit und stolze Besitzer eines her-

vorragenden Gedächtnisses treffen häufig auf Unverständnis ihrer Umwelt. Kein Wunder, wenn bis

zu 15% Minderleister werden und kaum Hochbegabte unter den Hochleistenden zu finden sind. An-

statt Intelligenzbestien bezeichnet der französische Psychiater Olivier Revol sie als Wachposten, als

diejenigen, die Dinge früher als die anderen wahrnehmen. Dies ist auch schon der einzig gemeinsame

Punkt bei Hochbegabten, die keinesfalls eine einheitliche Masse bilden. Jeder einzelne von ihnen

muss in seiner Irreduzibilität anerkannt werden.

Die Welt so zu betrachten, wie sie ist und nicht wie sie sein sollte, ist eine der grössten Schwächen

der Erwachsenenwelt. Hochbegabten fällt es schwer, ihre Augen vor dieser Inkongruenz zu schlies-

sen. In der Arbeit mit Tieren bewegen wir uns in der konkreten, non-verbalen Welt. Unsere Worte

allein haben keine Wirkung. Wir benötigen unseren Körper und unseren Geist, um eine Mitteilung zu

überbringen bzw. eine Beziehung aufzubauen. Alfred v. Martin sagte „Was uns heute nottut, sind

echte Bindungen.“ Möglichweise fühlen sich deswegen so viele Hochbegabte zu Tieren hingezogen.

Tiere ermöglichen uns, Bindungen einzugehen, auch mit unseren Mitmenschen.

Möchte man mit Tieren tier- und menschengerecht arbeiten, muss man sich unendliches Wissen

anschaffen. Gefragt sind Kopf, Körper und Geist, ein wahrlich hochbegabtengerechtes Projekt. Wir

müssen die Fähigkeit entwickeln, Fakten zu verstehen, Wissen zu speichern, zu vergleichen, darüber

nachzudenken und es in unserer Vorstellung wachsen zu lassen. Tiere erfordern klare, präzise Mittei-

lungen und geistige Präsens. Sie lehren uns altmodische Eigenschaften wie Verpflichtung, Gehorsam,

Achtsamkeit, persönlichen Einsatz und eine innere Haltung. Sie interessieren sich allein für unser

Handeln, da sie keinen Zugang zur Welt der Worte haben. Im Gegenzug fällen sie keine Urteile und

sehen uns, nicht unsere Fassade. Balsam auf unserer Seele. Lebendige Wesen erfordern Zeit: Gras

wächst nicht schneller, weil man daran zieht, und ein Hund lernt nicht zu apportieren, nur weil man

es ihm erklärt. Lernen bedeutet nicht allein, Dinge zu verstehen. Erfolgreiches Lernen benötigt Erfah-

rungen. Erfahrungen zu sammeln benötigt Zeit. Erfahrungen müssen im „wirklichen“ Leben erworben

werden, möchten wir später erfolgreich in die Welt der Ideen eintreten. Im Umgang mit Tieren kön-

nen wir Erfahrungen sammeln, das Menschsein sozusagen praktisch trainieren.

Tiergestützte Arbeit ist Lebenskunst. Wie Bent Branderup sagt „Lebenskünstler leben nicht länger,

aber mehr.“ Mögen wir in diesem Sinne unsere Hochbegabten in Schule und Alltag begleiten.

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Das Pferd als Vermittler zum körperlichen Erleben:

Die Experientielle Reittherapie.

Silvia Gerster

Diplom-Psychologin

Glotterpfad 12

79194 Gundelfingen

[email protected]

Pferde können in der Psychotherapie allgemein dazu behilflich sein, als „Kommunikationshelfer“ die

Kontaktaufnahme zu erleichtern, Urvertrauen zu vermitteln, neue Erfahrungen mit der eigenen Kör-

perlichkeit zu ermöglichen, durch direkte Rückmeldung Verhaltensänderungen zu begünstigen und

eine Projektions- u. Identifikationsfläche anzubieten. Dies wird in der Experientiellen Reittherapie

genutzt, um heilsame Erlebensprozesse zu ermöglichen bzw. zu intensivieren.

Denn ausgehend vom Klientenzentrierten Ansatz nach Rogers konnte sein Mitarbeiter Gendlin eine

Bezugnahme auf das eigene Erleben (“Experiencing“) als zentraler Wirkmechanismus in der Psycho-

therapie identifizieren. Um diese Bezugnahme zu erleichtern, therapeutisch anzuleiten und zu nut-

zen, entwickelte Gendlin die Methode des Focusing.

In der Experientiellen Reittherapie wird mit Hilfe verschiedener erlebensorientierter Übungen mit

dem Pferd und dem Focusing auf dem Pferd dem gegenwärtigen Erleben Aufmerksamkeit geschenkt

und so eine Verbesserung psychischer Probleme ermöglicht. Das Pferd fungiert in diesem Sinne als

Katalysator für Erlebensprozesse. In der therapeutischen Arbeit erfolgen Diagnostik, Zielformulierung

und Handlungsplanung anhand körperlicher, sozialer, psychisch-emotionaler und identitätsstiftender

Erlebensbereichen, um eine ganzheitliche Verbesserung zu erzielen.

Die Wirksamkeit dieses Verfahrens konnte im Rahmen einer Pilotstudie belegt werden.

Literatur:

Schley, K. & Gerster, Silvia (2009). Experientielle Reittherapie. Ein erlebensorientiertes Lehr- und

Arbeitsbuch. Offenburg: Adebar-Verlag.

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Equotherapie für onkologisch erkrankte Kinder und Jugendliche

Roswitha Zink

Verein e.motion Equotherapie

Baumgartner Höhe 1

A-1140 Wien

[email protected]

www.pferd-emotion.at

Der Verein e.motion arbeitet zusammen mit dem St. Anna Kinderspital dem Allgemeinen Kranken-haus Wien und der Österreichischen Elterninitiative der Kinderkrebshilfe. Krebserkrankte Kinder brauchen viel Vernetzung, ein soziales Helfersystem sowie verlässliche Sponsoren. Nur dank dieser Kooperation ist Therapie mit Pferden möglich. e.motion ist ein gemeinnütziger Verein. Wir haben 17 Pferde und betreuen 400 Kinder jährlich. Das Setting wird in Einzeleinheiten, Kleingruppen, Famili-enwochenenden und Impulswochen geteilt. Equotherapie ist eine fix definierte Methode an unserem Betrieb. Wir sprechen vom üben „Burgen“ zu bauen und über Grenzen zu „schauen“. Burgen schützen uns vor etwas oder vor jemandem. Kinder und Jugendliche mit einer Krebserkrankung, haben keinen Außenfeind. Es zerfällt das System von gut und böse, denn ein Teil des eigenen Körpers schadet ihnen selbst. Chemotherapie, die Klinik, die Ärzte - es ist vieles ambivalent. Wie geht´s jetzt weiter? Ich starre auf den Boden. Steig auf. Sagt das Pferd. Und wir gehen immer weiter. Eine positive Einstellung zu den Therapien ist wichtig, andererseits bereiten Kindern Spritzen, Venen-floh, Strahlentherapie und der Verlust des gewohnten Systems (Familie,…) Schmerzen und Angst. Wo bleibt da die „Burg“, der sichere Ort? Unsere Pferde haben eine klare Kommunikation mit wenigen Ambivalenzen. Sie kennen kein Ärztelatein und wissen nichts über Krebs, sie leben Hier und Jetzt. Was ist das Leben? Frage ich. Warte. Flüstert das Pferd. Spürst du das? Das ist der Moment. Und darin liegt das Geheimnis des Lebens.

Neben dem „sicheren Ort“ ist es auch wichtig, den Blick über die Burgmauern nicht zu verlieren.

Denn Krebs macht auch egoistisch, aus Ohnmacht und Liebe wird das betroffene Kind zum Mittel-

punkt der Familie. Da tut es gut die „Anderen“ nicht zu vergessen und das eigene Leid zu relativieren.

Mit wessen Hilfe könnte man besser über die Grenzen der eigenen Burgmauern hinaus(sch)reiten als

mit einem Pferd? Einem nicht menschlichen Partner, der einen durch das eigene Königreich und vor

allem noch weit darüber hinaus trägt? Unsere Pferde fordern heraus, reagieren nicht einfach wenn

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etwas gesagt wird und sie haben nicht in dem Maße Mitleid, sondern fordern liebevolle und auch

mal strenge Worte.

Literatur:

Bittmann, V.(2007): Konstruktivistische Aspekte der Equotherapie, Univ. Wien

Fischer, S.(2011): Psychodynamisch orientierte Diagnostik in der Equotherapie, Univ. Wien

Gansterer, D.(2011): Equotherapie und Mentalisierung, Univ. Wien

Poinstingl, K.(2011): Die freie körpersprachliche Interaktion mit dem Pferd als Szene, Univ. Wien

Zink, R.(2004): Paradigmen der Mensch- Tierbeziehung. Univ. Wien

Zink, R.(2006): Sprachheiltherapie mit Pferden In: Mitsprache, Fachzeitschrift für Sprachheilpädago-

gik, Jg.(38); 2006

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Katzen als Begleiterinnen in der Psychotherapie

Elisabeth Frick Tanner

Fachpsychologin für Psychotherapie FSP

Psychotherapeutische Praxis Altamira

Iddastrasse 51

CH- 9008 St. Gallen

[email protected]

www. tiergestuetzte-psychotherapie.ch

Seit 25 Jahren begleiten uns nebst andern Haustieren verschiedene Katzen in der psychotherapeuti-

schen Praxis. Aufgrund unserer Erfahrungen wird die tiergestützte Psychotherapie anhand zweier

Fallbeispielen dargelegt. Dabei wird das Bindungs-und Beziehungsverhalten der KlientInnen im Um-

gang mit unseren Katzen besonders beachtet.

Voraussetzungen für gelingende therapeutische Arbeit mit Katzen sind:

Auswahl gut sozialisierter Katzen, die während ihrer frühen Sozialisationszeit (2. bis 7. Le-

benswoche) mit Artgenossen und Menschenkontakten aufgewachsen sind. Beziehungen zu

Menschen und Artgenossen erleben diese Tiere mit Freude und stressfrei.

Entsprechend der artgerechten Haltung von Katzen sind die Tiere orts- und menschengebun-

den: Das Revier unserer Katzen ist zugleich unsere psychotherapeutische Praxis. Zusammen

mit unseren Tieren wohnen und arbeiten wir im gleichen Haus am Stadtrand von St. Gallen.

Die Katzen verfügen über mehrere geeignete Rückzugsmöglichkeiten. Unsere beiden Katzen

Pandora und Kleopatra haben eine tragfähige und sichere Beziehung zu uns als Therapeuten.

Für eine zuverlässige und stressfreie Arbeitsweise erscheint uns wesentlich, dass die Tiere

sich nicht gefährden, z.B. durch Strassenverkehr, streunende Hunde etc. Wir erlebten zu Be-

ginn unserer Praxistätigkeit negative Erfahrungen mit freilaufenden Hauskatzen. Unsere lang-

jährige Begleiterin, Tara, war eine Siam-Thai Katze, die mit uns 17 Jahre lebte. Diese Katze

begnügte sich mit einem kleinen Auslaufrevier in unserem Garten. Sie war vor allem auf den

Kontakt mit Menschen ausgerichtet.

Zurzeit begleiten uns zwei junge Siam-Thai-Katzen. Anhand der zwei Beispiele werden die

Individualitäten unserer Katzen aufgezeigt und in ihrer Bedeutung für die therapeutische Ar-

beit thematisiert. Beobachtungen der Interaktionen werden aufgenommen. Die unter-

schiedlichen Verhaltensweisen und Morphologien der beiden Katzen („Spiel-“ und „Kontakt-

typ“) ermöglichen zusätzliche Hinweise auf die Befindlichkeiten und Lebenserfahrungen der

KlientInnen. Gemeinsam werden die Erfahrungen mit den Katzen auf das eigene Erleben der

KlientInnen übertragen.

Die therapeutische Atmosphäre wird durch die Anwesenheit der Tiere mitgeprägt. Auch die Befind-

lichkeit des/der TherapeutIn wird dadurch positiv beeinflusst. Die dyadische therapeutische Bezie-

hung wird durch die Anwesenheit der Katzen erweitert und bereichert (Triangulierung). Grundlagen

der psychotherapeutischen Behandlungen sind die Methoden der Psychotherapie. Die Katzen beglei-

ten, unterstützen und erweitern diesen heilenden Prozess.

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Fakt oder Fiktion?

Positive Wirkungen von Tieren auf demenziell erkrankte Menschen

Sandra Wesenberg

TU Dresden, Fakultät Erziehungswissenschaften, 01062 Dresden

[email protected]

Immer mehr Pflegekräfte, Ergo- und Physiotherapeuten in Altenpflegeeinrichtungen sind von den

positiven Wirkungen überzeugt, die Tiere insbesondere für das Wohlbefinden und die Gesundheit

demenziell erkrankter Menschen haben können, und integrieren Hund, Katze oder Kaninchen in ver-

schiedener Weise in ihre tägliche Arbeit. Die Forschung zu den förderlichen Effekten der Interaktion

mit Tieren für alte und demenziell erkrankte Menschen war dabei lange Zeit dominiert von Einzelfall-

schilderungen, Praxisberichten und Felduntersuchungen mit kleinen Stichproben. Erst seit den

1980er und 90er Jahren mehren sich auch größer angelegte Studien mit experimentellen oder quasi-

experimentellen Designs, hochwertige qualitative Untersuchungen und differenzierte Programmeva-

luationen.

Verschiedene Reviews (vgl. u.a. Filan & Llewellyn-Jones 2006, Bernabei et al. 2013) sowie ein eigener

Überblick zum aktuellen Forschungsstand verweisen auf vielfältige positive Wirkungen von Tieren,

v.a. Hunden, auf ältere Menschen mit Demenz. So werden demenzspezifische psychopathologische

Auffälligkeiten in der Interaktion mit Tieren reduziert, das emotionale Wohlbefinden verbessert und

soziale Verhaltensweisen verstärkt.

Aufgrund verschiedener Schwächen der vorliegenden Studien (wie etwa geringer Stichprobengrößen,

Vernachlässigung relevanter Einflussfaktoren) sind die Befunde insgesamt noch vorsichtig zu bewer-

ten und bedürfen unbedingt der Überprüfung und Differenzierung. Die wissenschaftliche Erforschung

der Wirkungen von Tieren auf Menschen in verschiedenen Lebenskontexten, insbesondere auf de-

menziell erkrankte Menschen, sieht sich zukünftig vor der „Herausforderung, verlässliche und fun-

dierte Wirkungsnachweise und -mechanismen der Interaktionsprozesse zwischen Mensch und Tier

und deren mannigfaltiger Auswirkung auf gesundheitliche, soziale und emotionale Reize zu erbrin-

gen“ (Hegedusch & Hegedusch 2007, S. 94) und hierbei auch die potentiellen Gefahren und Grenzen

von Mensch-Tier-Begegnungen einzubeziehen.

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Literatur

Bernabei, V., De Ronchi, D., La Ferla, T. et al. (2013). Animal-assisted interventions for elderly pa-

tients affected by dementia or psychiatric disorders: A review. Journal of Psychiatric Research, 47(6),

762-773.

Filan, S.L. & Llewellyn-Jones, R.H. (2006). Animal-assisted therapy for dementia: A review of the liter-

ature. International Psychogeriatrics, 18(4), 597-612.

Hegedusch, E, & Hegedusch, L. (2007). Tiergestützte Therapie bei Demenz. Die gesundheitsförderliche

Wirkung von Tieren auf demenziell erkrankte Menschen. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft.

Wesenberg, S. (2012). Wirkungen tiergestützter Interventionen auf demenziell erkrankte Pflege-

heimbewohner. In Buchner-Fuhs, J. & Rose, L. (Eds.), Tierische Sozialarbeit. Springer, 383-397.

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Besuche mit Kleintieren in Alters- und Pflegeheimen

Barbara Schaerer

Fachstelle Leben mit Tieren im Heim

Aretshaldenstr.65

CH-8607 Aathal

www.tiere-im-heim.ch

[email protected]

Viele Institutionen der Alterspflege können oder wollen keine eigenen Tiere halten, da ihnen dazu die

nötigen Ressourcen fehlen. Ein mobiler Tierbesuchsdienst ist eine Möglichkeit, betagten, oft auch

demenzbetroffenen BewohnerInnen, den Kontakt zu Tieren zu ermöglichen und Abwechslung und

Anregung in den Heimalltag zu bringen. Besuche mit Hunden sind bekannt, der Einsatz von Hühnern,

Meerschweinchen und Kaninchen ist in der Schweiz noch ein Pioniergebiet. Das grosse Potential der

kleinen Tiere wird weitgehend unterschätzt, obwohl sie insbesondere in der Begegnung mit demenz-

betroffenen Menschen ein breites Wirkungsspektrum abdecken können. Alle Sinne werden bei ei-

nem gezielten Einsatz der Tiere angesprochen, auch bei HeimbewohnerInnen, bei denen die verbale

Kommunikation nur noch eingeschränkt oder nicht mehr möglich ist. Der Besuch der Tiere macht

grosse Freude, bietet aber auch Möglichkeiten, vorhandene Kompetenzen zu stärken. Tiere erreichen

vielfach auch demenzbetroffene Menschen, bei denen aufgrund ihrer krankheitsbedingten Ein-

schränkungen andere Angebote der Aktivierung an Grenzen stossen.

Tiergestützte Intervention mit Kleintieren lässt sich auch sehr gut ergänzen mit dem Einsatz von Ma-

terialien aus der Natur, die in einem Bezug zur jeweiligen Jahreszeit und zur eingesetzten Tierart ste-

hen wie z.B. Heu, Futterpflanzen der Tiere, Blumen. Sowohl die Tierarten wie Hühner, Meerschwein-

chen oder Kaninchen als auch deren Produkte (z.B. Eiern, Federn, Felle) haben für viele betagte Men-

schen aus der eigenen Biografie einen hohen Bekanntheitsgrad und bieten deshalb einen grossen

Anreiz für Gespräche und den Austausch von Erinnerungen.

BewohnerInnen eines Heimes sind in ihrem Alltag auf Pflege und Fürsorge der Heimmitarbeitenden

angewiesen. Im Kontakt mit den Tieren werden die Rollen vertauscht- für einmal sind die Tiere die

„Empfangenden“ von liebevollen Worten, zärtlichen Berührungen, Nahrung und die BewohnerInnen

die „Gebenden“. Fürsorglichkeit und Verantwortung für Andere ist ein grundlegendes Bedürfnis, das

auch im hohen Alter und durch Demenzbetroffenheit nicht verloren geht aber im Heimalltag kaum

gelebt werden kann. Hier haben die Besuchstiere eine besonders wichtige Funktion.

Wie bei jeder TGI gilt es, dem Schutz der Tiere und deren verantwortungsvollem Einsatz grösste Be-

achtung zu schenken. Nur Kaninchen, Hühner oder Meerschweinchen, die an den nahen Kontakt mit

Menschen gewöhnt sind und die daran Spass haben, eignen sich für eine solche Aufgabe. Fachwissen

zu der jeweiligen Tierart als auch Zeit, die „Kleinen“ mit Sorgfalt und Geduld an ihre Aufgabe heran-

zuführen sind Voraussetzungen- nebst Kenntnissen der fachgerechten TGI- Besuche mit Kleintieren in

Heimen durchzuführen.

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Innovationen in tiergestützten Interventionen bei älteren Menschen: The

bond between older people and companion animals: research and innovative

practices.

Marie-Jose Enders-Slegers, Phd,

Professor in Anthrozoology

Faculty of Psychology

Open University Heerlen

Netherlands

Since life expectancy is growing the key issue for elderly people became how to age well and how to

postpone the last period of infirmity. The theories about aging are shifting focus from decline and

disengagement towards activity theory, towards lifelong processes of adaptation, towards optimiza-

tion and compensation.

‘Aging well’ means good health, vitality, emotional wellbeing, cognitive competence, purpose and

meaning in life, personal growth, good coping strategies, social networks, social productivity, materi-

al and financial security. Research showed that a bond with a companion animal can play an im-

portant role in many of these processes and it looks as if this is valued in new innovative policies in

the Dutch nursing- and care homes.

In the Netherlands in 89% of the care institutions for elderly (nursing homes included) companion

animals are admitted. Half of the animals are owned by a resident. Fifty percent of the homes do

have admissions policies, 28% of the institutions do have policies about keeping animals, about hy-

giene and/or safety.

A review will be given 1) about what companion animals can mean for independent living elderly,

how they assist in ‘ aging well’ .and 2) about what companion animals can attribute to the quality of

life of the elderly living in care- and nursing homes.

Studies from the Netherlands as well as from abroad will be discussed to reveal the underlying

mechanisms of the effects of the presence of the resident and/or visiting companion animals, with

attention for the pro- and cons of companion animal presence (issues about animal welfare, zoono-

sis, workload caretakers etc.)

Recommendations will be made to secure human as well as animal wellbeing in this (too?) fast grow-

ing field.

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„Animal-Human-Welfare“ in tiergestützten Interventionen: Welche Bedin-

gungen müssen gegeben sein, dass tiergestützte Therapie wirkt?

Lisa Maria Glenk

Komparative Medizin, Messerli Forschungsinstitut, Veterinärmedizinische Universität Wien,

Medizinische Universität Wien und Universität Wien

[email protected]

Tiergestützte Therapie ist ein Überbegriff für Maßnahmen, bei denen der gezielte Einsatz von Tieren

eine positive Wirkung auf den Menschen hat. Die häufig auch als Co-Therapeuten bezeichneten Tiere

wirken als soziale Eisbrecher, indem sie freundlich auf Menschen zugehen und sich bereitwillig strei-

cheln lassen. Ihre Anwesenheit motiviert viele Patienten erst, überhaupt an einer Therapie teilzu-

nehmen. Per Definition wird tiergestützte Therapie von Professionellen (z.B. Personen mit psychoso-

zialen, medizinischen und/oder pädagogischen Hintergrund) im Bereich ihrer Expertise durchgeführt.

Die Absolvierung einer fachspezifischen Weiterbildung qualifiziert Personen mit entsprechenden

Quellberufen zur eigenständigen Planung und Durchführung von tiergestützten Interventionen (e.g.

tiergestützte Therapie, tiergestützte Aktivitäten, tiergestützte Pädagogik). Auch für die Ausbildung

und Zertifizierung von Tieren gibt es spezielle Richtlinien. Diese umfassen mitunter, dass Tiere nach

ihrem Temperament ausgewählt und speziell trainiert werden, sowie gesund und schmerzfrei sein

müssen. Üblicherweise fungieren Mensch und Tier im Team als untrennbare therapeutische Einheit.

Die Verantwortung für das Wohlbefinden aller Beteiligten liegt im Sinne der Professionalität und

Qualitätssicherung aber einzig und allein beim Menschen (i.e. Therapeuten). Fachpersonen sollten

nicht nur akute Stresssignale und Unwohlsein bei Mensch und Tier zuverlässig erkennen, sondern

auch subtile Zeichen der Überforderung sofort wahrnehmen und dementsprechend handeln.

Grundvoraussetzung für eine gewinnbringende, therapeutische Begegnung zwischen Mensch und

Tier sind unbedingte Freiwilligkeit aller Beteiligten, artgerechter und respektvoller Umgang und das

Vorgehen nach ethischen Richtlinien. Idealerweise basiert tiergestützte Therapie auf wissenschaftli-

chen Grundlagen und wird in ein ganzheitliches Behandlungskonzept integriert. Der Verlauf einer

tiergestützten Therapie muss sowohl dokumentiert, als auch evaluiert werden. Insbesondere im Um-

gang mit Tieren empfiehlt sich ein adäquates Risikomanagement, um im konkreten Fall (e.g. Unfall,

plötzlicher Ausfall des Therapietieres) angemessen zu reagieren. Für Menschen in psychosozialen

Berufen ist es üblich, sich regelmäßig der Supervision zu unterziehen. Professionelle Beratung und

Gespräche helfen dabei, Eindrücke und Gefühle zu verarbeiten, die im Rahmen der Arbeit auftreten.

Auch Tiere sollten wiederholt einem Veterinärmediziner mit verhaltensbiologischen Kenntnissen

vorgestellt werden, um individuelle Auffälligkeiten und Veränderungen, die in Zusammenhang mit

dem therapeutischen Einsatz stehen könnten, frühzeitig aufzuspüren.

Tiergestützte Therapie ist eine junge Forschungsdisziplin, obwohl sie in der interdisziplinären Praxis

schon lange Anwendung findet. Um wissenschaftliche Erkenntnisse optimal für Praktizierende nutz-

bar zu machen, sind Untersuchungen in unterschiedlichen therapeutischen Umgebungen notwendig,

denn viele der Forschungsergebnisse sind nur schwer generalisierbar. Berufsverbände, Ausbildungs-

stätten und fachspezifische Organisationen sind dazu aufgerufen, allgemein verständliche Fachlitera-

tur zu verbreiten, Weiterbildung und bessere Vernetzung zu fördern. Es gilt, Standards für den pro-

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fessionellen Einsatz von Tieren in der Therapie auf nationaler und internationaler Ebene zu etablie-

ren und deren Transfer in die Praxis zu unterstützen.

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Der therapeutische Nutzen der Natur:

Ist Green Care nur tiergestützte Therapie plus?

Dorit Haubenhofer 1, 2

1 Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik, Angermayergasse 1, A-1130 Wien

2 Verein Tiere als Therapie – Wisenschafts- und Ausbildungszentrum, Veterinärplatz 1, A-1210 Wien

[email protected]

Green Care ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl einzelner Maßnahmen. Diese haben zwar individu-

elle Ziele, Zielgruppen und Methoden, aber auch Gemeinsamkeiten:

1) Arbeit mit belebten (Pflanzen, Tiere) oder unbelebten (Wasser, Steine,…) Elementen der Na-

tur, die individuell (EIN Tier, EINE Pflanze), oder in Settings (Kombination z.B. in Form land-

wirtschaftlicher Betriebe, Gärten, Parks, …) eingesetzt werden.

2) Dasselbe Grundmotiv: Förderung (Erhalt) der körperlichen/mentalen Gesundheit, Verbesse-

rung der sozialen Bedingungen und/ oder der pädagogischen Entwicklung.

3) Mehr oder weniger strukturiertes Programm mit vordefinierten Zielsetzungen: Das jeweilige

Ziel (etwa eine Art der Therapie/Pflege/Rehabilitation zu bekommen, etwas zu lernen oder

sich persönlich weiter zu entwickeln) wird gesteuert angestrebt. Ein Urlaub im Grünen ist

nicht Green Care.

4) Individuelle Unterstützung nach Maß: Es gibt kein vorgefertigtes Schema F, welches im

Checklisten Format abgearbeitet wird, sondern die Zielsetzungen und deren Erreichung wer-

den individuell erarbeitet und umgesetzt.

Tiergestützte Therapie ist also ein Teil von Green Care, ebenso wie z.B. Gartentherapie oder soziale

Landwirtschaft. Seit der Entstehung des Green Care Begriffs in seiner theoretischen Form vor ein

paar Jahren wird er inzwischen im deutschsprachigen Raum auch in der Praxis implementiert. Es gibt

in Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, eine Zeitschrift green care, eine eigene Website

(www.greencare.at), sowie Forschungs- und Praxisprojekte.

Die Idee von Green Care ist nicht neu – vieles davon ist besonders in der Praxis seit langem bekannt.

Dennoch ist es in unserer modernen Welt oftmals von Nöten, altes Wissen und Aktivitäten in einen

neuen Mantel zu kleiden, um sie in der Gesellschaft, der Politik, der Wirtschaft und den verschiede-

nen Dienstleistungssektoren durchzusetzen. So ist es auch mit den Grundmotiven von Green Care;

der Einsatz von Pflanzen, Tieren und Natur zur Verbesserung der menschlichen Gesundheit und im

Kampf gegen aktuelle Probleme moderner Industriegesellschaften wie fortschreitende Urbanisierung

und die damit einhergehende Entfremdung von natürlichen Lebensräumen, der Landwirtschaft und

Nahrungsmittelproduktion, Adipositas bei Erwachsenen und Kindern, oder Überalterung in der Ge-

sellschaft ist schon lange bekannt. Verpackt im neuen Green Care- Mantel wird ein weiterer Vorstoß

gemacht, diese Thematiken an die unterschiedlichsten Akteure zu vermitteln.

Neben diesen Hintergrundinformationen zum Green Care Begriff behandelt der Vortrag den aktuel-

len Stand der Green Care Forschung und praktische Anwendungsbeispiele.

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Tiergestützte Therapie bei frühkindlichem Autismus:

Ist der Hund ein wirksamer Co-Therapeut?

Wiebke Schwartze1,2

Tiergestützte Therapeutin (ISAAT), Hundeausbilderin (zert.)

1: Universität Leipzig, Institut für Förderpädagogik

2: 55B Whitelow Road

Manchester M21 9HG (UK)

[email protected]

Mensch und Hund sind im Laufe ihrer Entwicklung eine beispiellose Verbindung eingegangen, von

der beide Seiten nach wie vor auf unterschiedliche Art und Weise profitieren können. In vielen Berei-

chen unterstützen Hunde den Menschen und stellen ihm unter anderem ihre zum Teil überragenden

Sinne zur Verfügung. Andere Fähigkeiten des Hundes haben sich erst aus diesem engen Zusammen-

spiel ergeben, so zum Beispiel die einzigartige Begabung menschliches Sozial- und Kommunikations-

verhalten zu lesen. Auf der Grundlage der besonderen Qualität dieser Beziehung ergeben sich zudem

immer wieder neue Anknüpfungspunkte für die Erschließung weiterer Arbeitsbereiche. Eine solche

Möglichkeit besteht in der Integration eines Hundes in therapeutische Kontexte. Dazu gehört neben

vielfältigen anderen Ansätzen auch die therapeutische Intervention bei Kindern mit frühkindlichem

Autismus. Menschen mit dieser Variante einer Autismus-Spektrums-Störung weisen per Definition

charakteristische Auffälligkeiten in den Bereichen soziale Interaktion und Kommunikation sowie aus-

geprägte repetitive Verhaltensweisen auf. In diesem Zusammenhang ist die Formulierung und Um-

setzung von Therapiezielen unter Berücksichtigung eines speziell für diese Arbeit ausgebildeten The-

rapiebegleithundes eine vielversprechende Ergänzung konventioneller Methoden. So bietet ein Hund

beispielsweise eine ganze Reihe von spezifischen Merkmalen, über welche die Sinnhaftigkeit zielge-

richteten kommunikativen Verhaltens vermittelt beziehungsweise mit deren Hilfe eine dementspre-

chende pragmatische Kompetenz neu etabliert werden kann. Die sich daraus ergebenden Möglich-

keiten reichen von grundlegenden Voraussetzungen, wie der Herstellung gemeinsam gerichteter

Aufmerksamkeit, über non-verbale Kommunikationsformen, wie Gesten, bis hin zu vollständig verba-

len Ausdrucksformen. Ein Hund stellt dazu ähnliche, aber nicht identische, Kanäle zur Verfügung. Im

besten Fall werden somit die Interventionsmöglichkeiten des Therapeuten erweitert; der Hund wird

zum Ko-Therapeuten. Eine auf dieser Basis erfolgreich gestaltete Kommunikation und Interaktion

bildet ein wirksames Mittel, um der pervasiven Tendenz zu sozialer Isolation bei frühkindlichem Au-

tismus entgegenzuwirken.

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Wer bindet sich an wen? Mensch-Hund und Hund-Mensch Bindung

Iris Schöberl

Forschungsgruppe Mensch-Tier-Beziehung

Department für Verhaltensbiologie, Universität Wien

Konrad Lorenz Forschungsstelle, Grünau im Almtal

[email protected]

Hunde nehmen in unserer westlichen Gesellschaft in verschiedensten Funktionen eine immer größer

werdende Rolle ein. Dadurch intensiviert sich der Kontakt zwischen Mensch und Hund und die Frage,

welche Faktoren die Mensch-Hund-Beziehung beeinflussen gewinnt an Bedeutung. Hierbei ist auch

wesentlich, ob zwischen Mensch und Hund eine echte Bindung überhaupt möglich ist.

Der Begriff Bindung beschreibt das Verhalten und die Gefühle gegenüber der Bindungsfigur. Wobei

diese nicht beliebig austauschbar ist und somit eine echte Bindung personenspezifisch ist. Das Bin-

dungsverhalten zielt darauf ab, die Nähe zur Bindungsfigur aufrecht zu erhalten, wohingegen das

Fürsorgeverhalten der Bindungsfigur darauf abzielt, das Bindungsverhalten erfolgreich durch soziale

Unterstützung zu deaktivieren. Zu den Charakteristika einer sicheren Bindung zählt, dass

• die Bindungsfigur als sichere Basis für Exploration und sicherer Hafen in stressvollen Situ-

ationen dient

• die Nähe zur Bindungsfigur zu Beruhigung durch hormonelle Prozesse führt

• die Bindungsfigur zur Regulation negativer Emotionen hilfreich ist

• eine ungewollte Trennung zu Distress führt

• die Nähe zur und gemeinsame Aktivitäten mit der Bindungsfigur mit positiven Emotionen

verbunden sind

Eine echte Bindung scheint auch zwischen Mensch und Hund möglich zu sein. Alle wesentlichen Kri-

terien werden – zumindest in einigen Mensch-Hund-Beziehungen - erfüllt. Mensch und Hund suchen

Nähe zueinander bzw. versuchen diese aufrecht zu erhalten. Der Körperkontakt wird gesucht und

kann beruhigend wirken. Besonders in belastenden Situationen wird Bindungsverhalten wie Schutz

suchen, winseln etc. gezeigt bzw. die Nähe zur Bindungsperson angestrebt. In der Anwesenheit der

Bindungsfigur wird das Explorationsverhalten gefördert und es kommt zu einer stressreduzierenden

Wirkung durch die Ausschüttung des sogenannten Bindungshormons. Diese Effekte können beide

Seiten betreffen, sowohl Mensch als auch Hund. Jedoch handelt es sich nicht bei jeder Mensch-

Hund-Beziehung um eine echte Bindung. Für die Untersuchung der Mensch-Hund-Bindung müssen

mehrere Faktoren herangezogen werden, sowie im Rahmen unseres Projekts „Faktoren der Mensch-

Hund-Beziehung1“ geschehen. Einerseits die Physiologie, wie Stresshormone oder Herzfrequenz, und

andererseits das Verhalten und die Interaktionen zwischen Mensch und Hund. Weiter wurde ver-

sucht bewusst zugängliche Aspekte der Bindung von Mensch an Hund über Fragebögen zu erfassen.

Für die Untersuchung, inwiefern der Hund an seinen Menschen gebunden ist, wurde der Ainsworth

Stranges Situation Test angepasst. Erste Ergebnisse unserer Studie zeigen einen Zusammenhang von

1 Projekt unter der Leitung von Prof. Kurt Kotrschal und finanziert vom Fonds zur Förderung der wis-senschaftlichen Forschung in Österreich

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Persönlichkeit von Mensch und Hund sowie deren Interaktion mit physiologischen Reaktionen ge-

zeigt. So hatten Hunde aus synchronen Mensch-Hund-Teams eine höhere Herzfrequenzvariabilität,

was in Zusammenhang mit erhöhtem Wohlbefinden und Gesundheit steht. Dies ist vor allem deshalb

von Bedeutung, da sich in Studien zur Mutter-Kind Bindung gezeigt hat, dass Mütter mit sicher ge-

bundenen Kindern mit diesen synchron interagieren und erhöhte Oxytocinwerte hatten (Feldmann et

al. 2007). Auch der Interaktionsstil spielt eine Rolle in der Mensch-Hund-Beziehung. Je sicherer der

Besitzer an seinen Hund gebunden war, desto freundlicher interagierte er während einer Spielsitua-

tion mit dem Hund und umso mehr initiierte er Spiel.

Diese ersten Ergebnisse untermauern die Annahme, dass es vielerlei Einflussfaktoren auf die

Mensch-Hund-Beziehung gibt und eine echte Bindung möglich ist. Unabhängig von der Bindung spie-

len die Persönlichkeit von Mensch und Hund und der Interaktionsstil eine wesentliche Rolle inner-

halb der Beziehung. Somit sollte im Training von Mensch-Hund-Teams mehr auf systemische, als nur

auf lerntheoretische Ansätze zurückgegriffen werden.

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Bindung und Stressregulation mittels Hund

Karin Hediger

IEMT Schweiz, Institut für interdisziplinäre Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung, CH-8052 Zürich

Swiss TPH, Schweizerisches Tropen- und Public Health-Institut, Socinstrasse 57, CH-4051 Basel

[email protected] I [email protected]

Ausgehend von der Fragestellung der DACH-Studie, inwiefern Hunde bei Kindern mit einer un-

sicheren oder desorganisierten Bindung stressregulierende Effekte haben, wird im Referat das theo-

retische Modell der DACH-Forschungsgruppe und die zugrundeliegenden psychophysiologischen

Mechanismen der Wirkungen von tiergestützten Interventionen erläutert. Im Anschluss werden die

wichtigsten Ergebnisse der Studie vorgestellt. Zum Schluss folgt die Präsentation einiger Implika-

tionen für die Praxis.

Unsicher und desorganisiert gebundenen Kindern fehlt der stressprotektive Effekt einer sicheren

Bindung. Sie haben Schwierigkeiten, soziale Unterstützung durch andere Personen anzunehmen und

zur Stressregulation einzusetzen.

Bisherige Forschungsergebnisse zeigen, dass erstens Hunde stressreduzierende Effekte auf Men-

schen haben, zweitens zu Tieren Bindungen im bindungstheoretischen Sinn aufgebaut werden kön-

nen und drittens, dass diese Bindungen unabhängig von der bereits bestehenden zwischen-

menschlichen Bindungsorganisation ist. Vor diesem Hintergrund wurde die Hypothese aufgestellt,

dass unsicher und desorganisiert gebundene Kinder die Unterstützung eines Hundes besser anneh-

men und zur Stressregulation einsetzen können als die eines Menschen.

Untersucht wurde daher die psychophysiologische Stressreaktion (erhoben via Speichelcortisol und

Fragebogen) von 47 unsicher und desorganisiert gebundenen Kindern im Alter zwischen 7 und 12

Jahren während des "Trier Social Stress Test für Kinder (TSST-C)" in Anwesenheit eines Hundes, einer

Studentin oder eines Stoffhundes.

Die vorgestellte Studie zeigt, dass unsicher und desorganisiert gebundene Kinder soziale Unter-

stützung durch einen Hund besser annehmen und zur Stressregulation einsetzen können als soziale

Unterstützung durch einen Menschen. Die Kinder reagieren mit einer geringeren Cortisolreaktion auf

den Stresstest in Anwesenheit des Hundes, als wenn sie von einem Menschen oder einem Stoffhund

unterstützt werden (Beetz, Julius, Turner, & Kotrschal, 2012; Beetz et al., 2011; Hediger, 2012).

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Literatur

Beetz, A., Julius, H., Turner, D. C., & Kotrschal, K. (2012). Effects of social support by a dog on stress modulation in male children with insecure attachment. Front Psychol, 3.

Beetz, A., Kotrschal, K., Turner, D. C., Hediger, K., Uvnäs-Moberg, K., & Julius, H. (2011). The effect of a real dog, toy dog and friendly person on insecurely attached children during a stressful task: An exploratory study. Anthrozoös, 24(4), 349-368.

Hediger, K. (2012). Hunde und die Stressreaktion unsicher und desorganisiert gebundener Kinder. Göttingen: Cuvillier.

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Tiergestützte Therapie zur Stressreduktion bei erwachsenen Männern:

Welchen Einfluss hat das Bindungsmuster?

Bettina Mutschler 1 & Rainer Wohlfarth 1,2

1: Freiburger Institut für tiergestützte Therapie

2: Pädagogische Hochschule Freiburg

[email protected]

Hintergrund: Aufbauend auf der Studie von Beetz et al (2012) bei unsicher gebundenen Kindern

wurde die stressreduzierende Wirkung eines Therapiebegleithundes in einer sozial belastenden Situ-

ation bei erwachsenen Männern untersucht. Hier werden erste Ergebnisse präsentiert. Einschrän-

kend muss festgehalten werden, dass die Daten noch nicht vollständig ausgewertet sind. Insbesonde-

re liegen noch keine vollständig ausgewerteten Daten zur Herzfrequenzvariabilität und zum Interak-

tionsverhalten vor.

Methode: In einem 2x 2 faktoriellen Design wurden 47 Männer im Alter von 20-60 Jahren zu ihrer

Stressbelastung untersucht: 1. Bindungsmuster: unsicher vs. sicher. Das Bindungsmuster wurde über

das Adult Attachment Interview erhoben; 2. Intervention: Therapiebegleithund vs. Leises Lesen. In

der Interventionsgruppe konnten die Männer mit einem Therapiebegleithund vor und während der

Belastungssituation interagieren, wohingegen Probanden der Kontrollgruppe die Möglichkeit hatten

leise zu lesen. Zur Induktion der Stressbelastung wurde der standardisierte Trierer Soziale Stresstest

(TSST) durchgeführt. Als abhängige Variablen wurden erfasst: selbsteingeschätztes Befinden (Freude,

Aufregung, Kontrolle), Herzfrequenzvariabilität und Kortisol.

Ergebnisse: Bei den sicher gebundenen Männern zeigte sich ein deutlich niedriger Kortisolspiegel in

der Bedingung „Hund“ und im Vergleich zur Bedingung „Leises Lesen“. Bei unsicher gebundenen

Männern zeigten sich keine Unterschiede. Bei der Herzfrequenzvariabilität zeigen erste Ergebnisse

bei den unsicher gebundenen Männern eine deutliche Abnahme in der Bindung „Hund“, was auf

mehr Stressbelastung schließen lässt. In der Selbstbeurteilung gaben die Männer in der Therapie-

hundegruppe, unabhängig vom Bindungsmuster, mehr Freude an.

Diskussion: Entgegen den Ergebnissen von Beetz, dass der Kortisolspiegel bei unsicher gebundene

Jungen in einer belastenden Situation durch die Interaktion mit einem Hund reduziert wird, zeigen

diese Ergebnisse bei erwachsenen Männern eine belastungsmindernde Wirkung bei sicherem (!!)

Bindungsmuster. Das Ergebnis lässt vermuten, dass es bei Erwachsenen möglicherweise zu einer

Übertragung des bestehenden Bindungsmusters auch auf Tiere kommt. Vermutet werden kann da-

her, dass sich die unsicher gebundenen Männer nicht auf den Therapiebegleithund einlassen und

daher auch nicht von ihm profitieren konnten. Dies bedeutet, dass ein Tier nicht jedem Menschen

Unterstützung geben kann und nicht bei jedem Menschen belastungsmindernd wirkt.

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Innovative Ansätze tiergestützter Arbeit in der Jugendhilfe“

Die Neugestaltung der Mensch-Tier-Beziehung – eine Zeitaufgabe ?

Arche Alfsee – die Entwicklung einer integralen Idee

Beate Wulf

Arche Alfsee

Bootshafenstr.1

49597 Rieste

[email protected]

www.arche-alfsee.de

Die stationäre Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung der Arche Alfsee ist mit ihrem speziellen, systemi-

schen Konzept der „5-Tage-Gruppe“ eingebettet in einen Betrieb, der unterschiedliche gesellschaftli-

che Bereiche beinhaltet und miteinander vernetzt:

Ökologische Landwirtschaft, Alternative Werkstatt für behinderte Menschen, Tourismus/ Ferien-

wohnungen, Praxis für Ergotherapie, Heimeinrichtung nach §34 und 35a KJHG, Café mit kulturellen

Veranstaltungen, Haustierpark, Betreutes Wohnen nach dem Persönlichen Budget, Bildungsangebote

für Schulen etc. . In allen Arbeitsbereichen haben die Tiere ihre besondere Bedeutung. Mit

dem Schwerpunkt Erhaltungszucht der alten, vom Aussterben bedrohten Haustierrassen im Hau-

stierpark ist die Bedeutung und Grundlage der „notwendigen“ Daseinsberechtigung des Tieres an

sich verankert.

Produktorientierte Ausbeutung und sentimentale Häschenidylle sind die gesellschaftlichen Extreme,

zwischen denen sich unser Verhältnis zu Tieren neu positionieren muß.

Die Kinder der „5-Tage-Gruppe“ werden in einem authentischen Umfeld mit vielseitigen Alltagsstruk-

turen stark gemacht, ihre „Aufgaben“ mit Eltern, Schule und Mitmenschen in einem anderen Licht zu

sehen…

Besonders „besondere“ Kinder und Jugendliche haben heutzutage ein feines Gespür für Authentizi-

tät. Ein Häschen anzuschaffen, damit Hänschen Durchhaltevermögen lernt, funktioniert nicht. Natür-

lich lernt er Durchhaltevermögen, aber nicht in dieser geradlinigen Denkweise. Kinder sind Meister

darin, die Haltung ihrer Betreuer zu offenbaren.

Toleranz und Respekt vor anderen Lebewesen einzufordern, aus einer defizitorientierten, Tiere in-

strumentalisierenden Haltung heraus, weckt erst mal nur eins: den Widerspruchsgeist.

Die Weisheit, das Eigenleben der Tiere als einen Spiegel menschlicher, seelischer Fähigkeiten zu be-

greifen, bietet vielfältige Erlebnismöglichkeiten im therapeutischen/ pädagogischen Prozeß die Aus-

einandersetzung mit einem bestimmten Thema zu begleiten. Die Qualität der verschiedenen Tierar-

ten kann dabei sowohl mit menschlichen Bedürfnissen oder Wesenseigenschaften in Korrelation

stehen (Bedürfnis nach Zuwendung, Körperkontakt, Bewegung, Sicherheit usw.) oder sie kompensie-

ren.

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Aus den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen wissen wir, die Verknüpfung neuronaler Netze

durch wiederholte Anregung neuartiger Erfahrungsreize ist die neurobiologische Grundlage von Ent-

wicklung. „Erfahrungen strukturieren das Gehirn“ (Gerald Hüther).

Vor diesem Hintergrund führen tiergestützte Interventionen zu emotionsbasierten Neuerfahrungen

in der Interaktion und damit zur Bereitschaft zu lernen, bzw. zur Veränderung.

Entwicklungsspirale Beate Wulf ,

Arche Alfsee

Tiergestützte

Intervention

als Verstärkung

von…

auf physischer, kognitiver,

psychischer und geistiger

EbeneWechselbeziehung

Wechselbeziehung

Kompetenzerweiterungals Folge der

Bewältigung von Neuerfahrungen,

z.B. Empathie-

Fähigkeit gegenüber

Fremden Lebewesen

Stabilisierung der

Fähigkeiten

Allgemeines

Wohlbefinden

Synthese/ Integration

von Neuerfahrungen

Exploration

Entdeckerlust z.B. fremder

Verhaltens- und Reaktionsweisen

durch anregende Maßnahmen

Bindungssicherheit

Sicherheit und Vertrauen zum

Therapeuten, in der therapeutischen

Situation z.B. mit einem noch

unbekannten Tier

Wechselbeziehung

Wechselbeziehung

Indem wir uns als Vermittler aktiv auf den Weg zum anderen machen und die freiheitliche Begeg-

nung als Grundmaxime verinnerlichen, bauen wir an der Brücke zwischen Mensch und Tier.

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Tiere in der Sozialpädagogik: „Ich bin Müll“ – Tiergestützte Arbeit mit Men-

schen in schwierigen Lebenslagen

Wedigo von Wedel

H-TEAM e.V. München

Plinganserstraße 19

81369 München

[email protected]

Im Rahmen aufsuchender Sozialarbeit arbeite ich mit Menschen, die konkret von Wohnungsverlust

bedroht sind weil sie übermäßig sammeln. Das Sammeln geht so weit, dass der Mensch selbst kaum

noch Platz in der Wohnung hat. Es wird „sauber“ gesammelt, aber auch Müll und verderbliche Stoffe

können hohen emotionalen Wert und einen funktionalen Sinn haben. Das Vermüllen der eigenen

Wohnung bzw. das Überfrachten der Räume ist Ausdruck einer psychischen Grunderkrankung und

mündet hier in der Entwicklung von Desorganisationssyndromen. Die Betroffenen leben vereinsamt,

meiden engeren Kontakt und lassen niemanden mehr in die Wohnung.

Wie wir alle uns mit unserer häuslichen Habe und Einrichtung identifizieren, ist dies bei dem be-

schriebenen Personenkreis ebenso. So wird deutlich, wie es um das Selbstwertgefühl der Betroffe-

nen bestellt ist. Die Aussage, „ich bin Müll“, meint genau diesen Aspekt. Wenn das Selbstwertgefühl

durch eine lange Kette von Trennungen, Verlusten, Misshandlungen usw. derart gebrochen ist, dass

Menschen ihren Wert dem von Müll gleichsetzen, wird nachvollziehbar, dass eine solche innere Rea-

lität einer äußeren Entsprechung bedarf. Ähnlich dem Effekt, dass wir bei einer depressiven Ver-

stimmung Regentage als entlastend empfinden, Sonnschein uns hingegen unsere Verstimmung deut-

licher spüren lässt.

In der aufsuchenden Sozialarbeit begegnen wir Menschen ohne Vertrauensfähigkeit. Der Mensch als

solches wird negativ gesehen. Bevor spezifische Sozialarbeit beginnen kann, muss die Beziehungsar-

beit in den Vordergrund rücken. Beziehungsarbeit ist zunächst Selbstzweck, ein von positiv-offener

Haltung angebotener Erlebensraum mit sozialen Interaktionen.

Hier können Tiere wahre Wunder wirken. Aus jahrelanger Beobachtung habe ich den Eindruck ge-

wonnen, dass bei dem beschriebenen Personenkreis häufig eine Affinität zu Tieren besteht. Tiere

sind die besseren Freunde usw., so die Auffassung. Das Tier (bei mir der Hund) wirkt als sozialer Mitt-

ler, öffnet Türen und, viel wichtiger, die Herzen. Bei planvollem Einsatz des Hundes wird eine emoti-

onale Kommunikation in Gang gesetzt, die verbal und nonverbal partnerschaftliches Handeln zu einer

wohltuenden und freudvollen Realität werden lässt. Ein wesentlicher Faktor für gelingende Bezie-

hungsarbeit ist mir besonderer Erwähnung wert.

Das Gespann Helfer-Tier als Modell. Die bei aufsuchender Sozialarbeit notgedrungen spontane und

unmittelbare Sorge um mein Tier, die Wahrnehmung von Stress und die entsprechende Reaktion,

das Schützen, die hohe Wertschätzung ihm gegenüber, all das muss sich offenbaren. Dann bietet es

eine wunderbare Gelegenheit, mich, den Menschen, zu prüfen. Stehe ich zu meinen Worten? Bin ich

eindeutig und klar? Kann man sich auf mich verlassen? Nur wenn ich mich dem eigesetzten Tier ge-

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genüber als gerecht erweise, steigt bei der betroffenen Person spürbar die Bereitschaft, der Sehn-

sucht, Vertrauen schenken zu können, Raum zu geben, es mit mir zu wagen.

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„Hund hinter Gittern“ – Traumtänzerei, Tierquälerei oder hat das alles viel-

leicht doch einen Effekt?

Carmen Lüger

LVR-Klinik Bedburg-Hau,

Bahnstrasse 6

47551 Bedburg-Hau

[email protected]

Seit geraumer Zeit werden Tiere ganz bewusst wegen ihrer positiven und beruhigenden Wirkung auf

den Körper, die Seele, sowie den Geist des Menschen im Rahmen therapeutischer Settings einge-

setzt. Hierbei kommt dem Hund als „Freund des Menschen“ eine ganz besondere Bedeutung zu. Er

ist das erste Tier in historischer Hinsicht, welches domestiziert wurde. Der Hund gehört unter den

Vierbeinern zu denjenigen, welche sich in der gemeinsamen Geschichte in seinem Ausdrucksverhal-

ten am besten auf den Menschen eingestellt hat und bei vielen positive Gefühle, Gedanken und Erin-

nerungen auslöst. Seine wohltuende Wirkung auf den Menschen ist inzwischen hinlänglich bekannt

und wissenschaftlich belegt: Studien zeigen, dass sich Menschen in Stresssituationen in der Gegen-

wart eines Hundes besser entspannen und weniger stressbedingte Symptome, wie beispielsweise

schwitzige Hände, höheren Blutdruck oder erhöhte Pulsfrequenz, aufweisen.

Oftmals haben insbesondere suchtmittelabhängige oder mental beeinträchtigte Menschen jahrelang

enttäuschende Erfahrungen mit ihren Mitmenschen erleben müssen und dadurch sämtliches Ver-

trauen in ihr soziales Umfeld verloren. Im Kontakt zu den Hunden erleben diese Betroffenen erstmals

häufig nach langen Jahren bedingungslose Akzeptanz, ehrliche und direkte Rückmeldung. Hunde

besitzen einen hohen Aufforderungscharakter, dem sich das menschliche Gegenüber kaum entziehen

kann. Die menschlichen Partner müssen nicht befürchten, abgewiesen oder alleingelassen zu wer-

den. Hunde akzeptieren ihr menschliches Gegenüber vorbehaltlos und ungeachtet von Äußerlichkei-

ten, Lebensgeschichten, Krankheiten, Devianzen, Intelligenzquotienten und Straffälligkeiten. Sie

vermitteln Sicherheit, da sich das menschliche Gegenüber der uneingeschränkten Zuwendung gewiss

sein kann, der Hund nicht kritisiert, in seiner Botschaft Eindeutigkeit liegt und das Verhalten relativ

vorhersagbar ist.

Eine weitere sehr wertvolle Eigenschaft von Hunden ist, dass sie instinktiv die Stimmungslagen der

sie umgebenden Menschen wittern und dementsprechend reagieren. Positive Erfahrungen im

Mensch-Tier-Kontakt führen im besten Fall dazu, dass die betroffenen Menschen ermutigt werden,

Vertrauen zu einem anderen Lebewesen aufzubauen und diese Erfahrungen auf die Beziehungsebe-

ne Mensch-Mensch mit dem Tier als Brückenfunktion zu übertragen. Diesen Effekt möchte sich die

LVR-Klinik in Bedburg-Hau zunutze machen. Seit dem Frühjahr 2012 werden Hunde auf den forensi-

schen Stationen der LVR-Klinik Bedburg-Hau von unterschiedlichen Berufsgruppen und in verschie-

denen Settings eingesetzt - der Einsatz wird teilweise wissenschaftlich begleitet.

In dem Vortrag wird exemplarisch die Tätigkeit eines Hundes in einer forensischen Abteilung darge-

stellt.

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Tiere als Co-Therapeuten in der Arbeit mit suchtkranken Menschen

Joachim J. Jösch

Suchthilfe Rhein-Main

Fachkrankenhaus Vielbach

Stationäre Vorsorge Abstinente Unterbringung

Ambulante Integrationshilfe

Nordhofener Str. 1 - 56244 Vielbach

[email protected]

www.fachkrankenhaus-vielbach.de

In der Therapie alkoholkranker Männer geht das Fachkrankenhaus Vielbach neue Wege: Es setzt er-

folgreich Tiere als Co-Therapeuten ein. Auf dem großzügigen Areal des Reha-Zentrums versorgen

Rehabilitanden Ziegen, Hühner, Pferde, Meerschweinchen, Kaninchen, Katzen und Amphibien. Auf

den Zimmern können sie Kleintiere wie Meerschweinchen halten. Und für Klienten, die einen Hund

haben, gibt es besonders großzügige Unterbringungs- und Betreuungsangebote.

Menschen, die mit Tieren zusammen leben, erfahren mehr Lebensqualität und Teilhabe. Im Bereich

der Suchtkrankenhilfe werden Tiere bislang – wenn überhaupt – nur in marginalem Umfang zielge-

richtet in die Arbeit mit Betroffenen und die Erweiterung ihrer Teilhabechancen integriert.

Im Fachkrankenhaus Vielbach fragen sucht- und psychisch kranke Menschen nach Orientierung: bis-

her entwurzelt, vielfach traumatisiert, verzweifelt und einsam. Sie sind auf menschlicher Ebene so oft

enttäuscht oder sogar missbräuchlich behandelt worden, dass es ihnen sehr schwer fällt, ihren Mit-

menschen zu vertrauen. Ihre bisherigen Lebensumstände am Rande der Gesellschaft erzwingen Miss-

trauen quasi als Überlebensstrategie. Diese Menschen finden zu Tieren leichteren Zugang, als zum

menschlichen therapeutischen Personal.

Wenn Erkrankungen und Lebensumstände in einem solchen Ausmaß chronifiziert sind, wie bei den in

Vielbach vorrangig behandelten Suchtkranken aus sozial besonders prekärer Lebens- und Wohnsitua-

tion, bietet der Einsatz tierischer Co-Therapeuten ein großes therapeutisches Potenzial.

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Profitieren psychisch kranke Kinder von tiergestützter Therapie?

Dorothea Dapper

Dipl. Sozialarbeiterin

Systemische Familientherapie i.A.

Fachkraft für TGT, TGP, TGF

[email protected]

Haus- u. Nutztiere können bei allen klinischen Diagnosen zum Einsatz kommen. Das multiprofessio-

nelle, therapeutische Milieu bietet bereits für Kinder ab dem 6.Lebensmonat die Chance auf korrigie-

rende Erfahrungen. Elternarbeit bekommt einen großen Raum. Die Kommunikations- und Explorati-

onsfreude der Kinder wird gesteigert. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit steigert das Selbstbe-

wusstsein und das Selbstwertgefühl. Damwild, Esel, Ziegen, Schafe, Hunde und Kleintiere werden

eingesetzt. Pflege- und Versorgungsarbeiten, Führarbeiten, Trainings stehen auf dem Plan. Foto und

Video gestütztes Arbeiten ergänzen die Praxis.

Poststationäre Förderung biete ich nebenberuflich, freiberuflich an: www.aat-dapper.de und seit

August diesen Jahres durch die Institutsgründung: www.istt-nrw.de

Das Institut für systemische und tiergestützte Therapie bietet: Tiergestützte Interventionen, Soziale

Kompetenztrainings und Seminare & Veranstaltungen zu o.g. Themen. Die Angebote finden im Insti-

tut als auch in Institutionen statt. Aufgrund der steigenden, akuten stationären Fallzahlen wird die

Handlungsnotwendigkeit auf der mittelfristigen, poststationären Ebene deutlich steigen.

Das Angebot des Instituts ist an den Ressourcen und familienspezifischen Stärken orientiert. Unser

Bestreben ist es Primärinterventionen anzubieten; Sekundärpräventionen sind arbeitsintensiv und

lassen weitere Salutogenese nur in geschwächter Form zu. Erste Hilfsangebote sollten in wertschät-

zendem und an den individuellen Stärken des Milieus stattfinden.

Einige regionale Jugendämter( Marl, Herten) haben bereits die Chance ergriffen und nutzen unsere

Angebote. Wir werden über den § 27 ff SGB VIII finanziert.

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Quo Vadis? Entwicklungsperspektiven der Wissenschaft und Praxis bei tierge-

stützten Interventionen

Andrea Beetz1 und Dennis C. Turner2

1: Universität Rostock, Deutschland und Universität Wien, Österreich 2: Universität Zürich und Institut für angewandte Ethologie und Tierpsychologie, I.E.T. Schweiz

An den Konferenzen der IAHAIO und ISAZ in Chicago, Juli 2013, wurde deutlich, dass sich die Wissen-

schaft im Bereich der tiergestützten Interventionen und Mensch-Tier-Beziehung deutlich verbessert

hat. Subjektive Daten werden mit objektiven Messdaten kombiniert – Herzfrequenz, Herzratenvaria-

bilität, Speichelkortisol entwickeln sich zu einem Standard, gemessen oftmals auch beim Tier. Psy-

chologische Instrumente wie Fragebögen werden durch Messungen zur Konzentration und Aufmerk-

samkeit ergänzt. Gerade durch die neuen Möglichkeiten der Forschungsförderung, vor allem in den

USA, aber auch Europa, hat die Wissenschaft einen Aufschwung erlebt, der hoffentlich anhält. Den-

noch besteht hier noch viel Bedarf, an größeren Evaluationsstudien ebenso wie an der theoriebasier-

ten Grundlagenforschung zur Mensch-Tier-Beziehung. Insgesamt entwickelt sich das Feld erfreuli-

cherweise in Richtung mehr Interdisziplinarität und Akzeptanz in den einzelnen Disziplinen wie Psy-

chologie, Biologie, Pflegewissenschaften, Medizin und Tiermedizin.

In der Praxis ergeben sich vor allem im Bereich der Assistenzhunde viele neue Entwicklungen, die

jedoch noch kaum von der Forschung aufgegriffen werden. Hunde helfen heute Menschen mit Dia-

betes, Epilepsie, Autismus aber auch Posttraumatischer Belastungsstörungen den Alltag besser zu

meistern. Im Rahmen der Forschung fallen jedoch ebenso kritische Projekte auf, die das Tier instru-

mentalisieren und seine Bedürfnisse hinten anstellen.

Sowohl in Forschung als auch Praxis der tiergestützten Interventionen muss in Zukunft noch mehr auf

die Rolle und das Wohlergehen des Tiers geachtet werden. Nur dann wird sich das Feld weiter etab-

lieren und Positives in Therapie und Pädagogik bewirken. Auch die Erarbeitung international gültiger

Definitionen, Standards in Praxis und Ausbildung werden an Wichtigkeit gewinnen (müssen) – erste

Anfänge sind hier bereits gemacht.

Das Feld der tiergestützten Interventionen und Forschung zur Mensch-Tier-Beziehung wird weiter

wachsen. Dies bringt den Bedarf nach Qualitätskriterien und guter Grundlagenforschung als Basis für

Ausbildung und guter Praxis mit sich. Für Fortschritte in Forschung und Praxis ist eine engere Zu-

sammenarbeit und Abstimmung der beiden Bereich notwendig – Qualität im einen ist bedingt durch

die Qualität im anderen Bereich.

Als langjähriger Präsident der IAHAIO, als Mitgründer der ESAAT und als Sekretär der International

Society for Animal-Assisted Therapy (ISAAT) plädiert(e) Dennis Turner immer für eine intensivere

Zusammenarbeit zwischen WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen. Nicht nur an internationalen

Konferenzen war dies zu spüren, sondern auch in der von IAHAIO geplanten Fallstudien-Datenbank,

welche unter bestimmten Bedingungen, allen Forschern und Praktikern zur Verfügung stehen wird.

Die Nützlichkeit der transdisziplinären Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung hat er zum Beispiel

mit seinen Studien über Mensch-Katze Interaktionen demonstriert.

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Als Verhaltensforscher wird Dennis Turner im ersten Teil dieses Beitrags den ihm am dringendsten

scheinenden Forschungsfragen, die sowohl für den Grundlagenforscher wie auch Praktiker von Be-

deutung sein könnten, aufführen.

Danach führt die Psychologin Andrea Beetz (ISAAT Präsidentin, Board member von IAHAIO und ISAZ,

wissenschaftlicher Beirat des Berufsverbands für Tiergestützte Therapie und Fördermaßnahmen) auf

Basis der aktuellen Forschung und Praxis, wie sie an den Konferenzen der IAHAIO und ISAZ in Chica-

go, Juli 2013, vorgestellt wurde, den Entwicklungsbedarf im Hinblick auf tiergestützte Interventionen

aus.