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Literatur und Kunst 29.11.14 / Nr. 278 / Seite 65 / Teil 01 À NZZ AG Mahner, Mystiker, Men- schenfreund Ein Blick auf den Schweizer Komponisten Klaus Huber Der Komponist Klaus Huber, der morgen Sonntag seinen neunzigsten Geburtstag begeht, hat die neue Musik schon nach 1945 geprägt. Bis ins Alterswerk hat er sich neue Verfahren erschlossen. Über die Anfänge seiner polykulturellen Musik weiss man hingegen wenig. Corinne Holtz Ein unveröffentlichtes Jugendwerk Klaus Hubers heisst «Zwergenmenuett». Dessen Handschrift lässt einen Pubertierenden vermuten, der um die fünfzehn Jahre alt ist und ein Allegretto für Geige und Klavier vorlegt. Man trifft auf ein dem Walzer anverwandeltes Menuett in a-Moll, das einen A- und einen B-Teil sowie eine Reprise aufweist und in diesen Formabschnitten kontrastierendes musi- kalisches Material verwendet, das miteinander ver- wandt ist. Das Manuskript verrät einerseits den sorgfältig geschulten Anfänger in Notation und andererseits den versierten Geiger, der klare Vor- stellungen über den Ausdrucksanspruch von Mu- sik hat. So heisst es über den Tempoverlauf des Allegrettos im B-Teil «etwas bewegter» und im Zuge von harmonischer Verdichtung «schneller werdend», während die Überleitung zu den Schlusstakten einer Kadenz gleicht und von der Geige allein gespielt wird. Magie des Musikaufschreibens Das «Zwergenmenuett», ein Gesellenstück aus den 1930er Jahren, verrät ausserdem den Sohn, der in die Fussstapfen des Vaters tritt und sich damit in eine störungsanfällige Konstellation begibt. Klaus Huber hat sich nicht öffentlich über die Beziehung zu seinem Komponisten-Vater geäussert, dem er jeweils seine «Ergebnisse» schenkte, um eine Ein- schätzung bittend. «Meine Anfänge waren alles andere als brillant oder auffallend», sagt er im Rückblick und spricht vom Zwerg, der das «Schwimmen wirklich lernen musste». Komponie- ren ist aus seiner Sicht ein «Akt der Befreiung, der immer auf die Zukunft gerichtet ist»; er könnte so- mit auch für die Ablösung vom übermächtigen Vater stehen. Walter Simon Huber ist seinerzeit ein geachteter Komponist von Schul- und Kirchenmusik in der Erinnerung des Sohnes «ziemlich ehrgeizig», aber «kaum» aufgeführt. Er wirkt ab 1941 als Schul- und Kirchenmusiker in Küsnacht und setzt sich für die Wiederentdeckung von Heinrich SchützMusik ein. Dieser Einsatz mündet in pionierhafte Auffüh- rungen und 1956 in die Dissertation über die «Motivsymbolik bei Heinrich Schütz». Der Sohn Klaus Huber, am 30. November 1924 geboren, beginnt mit sieben Jahren Geige zu spie- len und greift zu einem Instrument, dessen Mög- lichkeiten der Komponist Klaus Huber erst nach 1960 zu entdecken beginnt: die Überwindung der «weltbeherrschenden temperierten Chromatik», wie sie durch das Klavier in Stein gemeisselt scheint und durch die Figur des Vaters und Tasten- instrumentalisten festgeschrieben ist. Den Sohn zieht es zur Geige und zu ihrem untemperierten Wesen. Sie ist bundlos und ruft nach der steten Anpassung von Tonhöhe, Intervallik und Klang- farbe. Das Stimmen der vier Saiten im Quint- abstand verlangt einem Anfänger viel ab. «Das hat dem kleinen Klaus gefallen», erinnert sich der Protagonist und beschreibt das Einkreisen einer untemperierten Quinte als berauschenden Vor- gang. Hält der Wirbel am angepeilten Ort und kann das Intervall einschwingen, ist das «wie Weihnachten». Ähnlich magisch verhält es sich mit dem «Musikaufschreiben». Seit dem achten Lebensjahr komponiert er; im Alter von elf Jahren gelingt ihm seine erste Veröffentlichung. Es ist ein Kanon, den sein Vater «so gelungen fand, dass er ihn kalli- grafierte» und als Neujahrskarte drucken liess. Ausserdem beginnt der Sohn zu transkribieren. So trifft man in der Sammlung seiner Musikmanu- skripte auf Johann Sebastian Bachs Invention BWV 773 und die Sinfonia BWV 791, übertragen für zwei Geigen bzw. zwei Geigen und Bratsche. Schief in der Zeit Bereits in den Jugendwerken greift Klaus Huber auf Textquellen zurück, die seine Musik prägen sollten: auf die Bibel (in «Engelchor» für Sopran, Violine, Violoncello und Klavier, 1936) sowie auf weltanschaulich geprägte Dichtung (in «Ich bin bedrängt» für Singstimme und vermutlich Geige auf ein Gedicht des Schweizer Dichters und Anthroposophen Albert Steffen, 1930er Jahre). Aus dem Protestanten ist noch nicht der Marxist und der daraus erwachsende Dialektiker der 1960er Jahre geworden. Damals ist er der Jugend- liche, der in der gut bestückten Bibliothek seines Elternhauses fündig wird. Dort stehen neben der Hausbibel die deutschen Klassiker sowie spirituell inspirierte Literatur. Sein Selbstverständnis klärt sich in den 1950er Jahren, als er auf kaum wahrgenommene Dichte- rinnen wie Mechtild von Magdeburg und Catharina Regina von Greiffenberg stösst, deren Texte ver- wendet und von den «Managern» des Avantgarde- Betriebs belächelt wird. «Jemand, der mittelalter- liche Mystikerinnen und Barockdichterinnen kom- poniert, kann nicht wirklich zeitgenössisch sein», gibt man dem schief in der Zeit stehenden Kompo- nisten zu verstehen. Bestätigt wird dieser Ruch, als er in der Kammersinfonie «Oratio Mechtildis» (1956/57) monumentale Oktaven inszeniert und in der «Terzen-Studie» für Orchester (1958) das als verbraucht geltende Intervall ins Licht stellt. Damals, sagt Huber, «begab ich mich in eine innere Emigration: zu der häretischen Gegenwelt des Christentums, der Mystik, die einen nach innen

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Front 11.06.12 / Nr. 133 / Seite 1 / Teil 01

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BÖRSEN UND MÄRKTE

Investoren wetten auf LockerungenInvestoren in den USA bringen sichzurzeit in Position, um von einer wei-teren quantitativen geldpolitischenLockerung zu profitieren.

Seite 21

Literatur und Kunst 29.11.14 / Nr. 278 / Seite 65 / Teil 01

À NZZ AG

Mahner, Mystiker, Men-schenfreund

Ein Blick auf den Schweizer Komponisten Klaus Huber

Der Komponist Klaus Huber, der morgenSonntag seinen neunzigsten Geburtstagbegeht, hat die neue Musik schon nach1945 geprägt. Bis ins Alterswerk hater sich neue Verfahren erschlossen. Überdie Anfänge seiner polykulturellenMusik weiss man hingegen wenig.

Corinne Holtz

Ein unveröffentlichtes Jugendwerk Klaus Hubersheisst «Zwergenmenuett». Dessen Handschriftlässt einen Pubertierenden vermuten, der um diefünfzehn Jahre alt ist und ein Allegretto für Geigeund Klavier vorlegt. Man trifft auf ein dem Walzeranverwandeltes Menuett in a-Moll, das einen A-und einen B-Teil sowie eine Reprise aufweist undin diesen Formabschnitten kontrastierendes musi-kalisches Material verwendet, das miteinander ver-wandt ist. Das Manuskript verrät einerseits densorgfältig geschulten Anfänger in Notation undandererseits den versierten Geiger, der klare Vor-stellungen über den Ausdrucksanspruch von Mu-sik hat. So heisst es über den Tempoverlauf desAllegrettos im B-Teil «etwas bewegter» und imZuge von harmonischer Verdichtung «schnellerwerdend», während die Überleitung zu denSchlusstakten einer Kadenz gleicht und von derGeige allein gespielt wird.

Magie des MusikaufschreibensDas «Zwergenmenuett», ein Gesellenstück ausden 1930er Jahren, verrät ausserdem den Sohn, derin die Fussstapfen des Vaters tritt und sich damit ineine störungsanfällige Konstellation begibt. KlausHuber hat sich nicht öffentlich über die Beziehungzu seinem Komponisten-Vater geäussert, dem erjeweils seine «Ergebnisse» schenkte, um eine Ein-schätzung bittend. «Meine Anfänge waren allesandere als brillant oder auffallend», sagt er imRückblick und spricht vom Zwerg, der das«Schwimmen wirklich lernen musste». Komponie-ren ist aus seiner Sicht ein «Akt der Befreiung, derimmer auf die Zukunft gerichtet ist»; er könnte so-mit auch für die Ablösung vom übermächtigenVater stehen.

Walter Simon Huber ist seinerzeit ein geachteterKomponist von Schul- und Kirchenmusik – in derErinnerung des Sohnes «ziemlich ehrgeizig», aber«kaum» aufgeführt. Er wirkt ab 1941 als Schul- undKirchenmusiker in Küsnacht und setzt sich für dieWiederentdeckung von Heinrich Schütz’ Musikein. Dieser Einsatz mündet in pionierhafte Auffüh-rungen und 1956 in die Dissertation über die«Motivsymbolik bei Heinrich Schütz».

Der Sohn Klaus Huber, am 30. November 1924geboren, beginnt mit sieben Jahren Geige zu spie-len und greift zu einem Instrument, dessen Mög-lichkeiten der Komponist Klaus Huber erst nach

1960 zu entdecken beginnt: die Überwindung der«weltbeherrschenden temperierten Chromatik»,wie sie durch das Klavier in Stein gemeisseltscheint und durch die Figur des Vaters und Tasten-instrumentalisten festgeschrieben ist. Den Sohnzieht es zur Geige und zu ihrem untemperiertenWesen. Sie ist bundlos und ruft nach der stetenAnpassung von Tonhöhe, Intervallik und Klang-farbe. Das Stimmen der vier Saiten im Quint-abstand verlangt einem Anfänger viel ab. «Das hatdem kleinen Klaus gefallen», erinnert sich derProtagonist und beschreibt das Einkreisen eineruntemperierten Quinte als berauschenden Vor-gang. Hält der Wirbel am angepeilten Ort undkann das Intervall einschwingen, ist das «wieWeihnachten».

Ähnlich magisch verhält es sich mit dem«Musikaufschreiben». Seit dem achten Lebensjahrkomponiert er; im Alter von elf Jahren gelingt ihmseine erste Veröffentlichung. Es ist ein Kanon, densein Vater «so gelungen fand, dass er ihn kalli-grafierte» und als Neujahrskarte drucken liess.Ausserdem beginnt der Sohn zu transkribieren. Sotrifft man in der Sammlung seiner Musikmanu-skripte auf Johann Sebastian Bachs InventionBWV 773 und die Sinfonia BWV 791, übertragenfür zwei Geigen bzw. zwei Geigen und Bratsche.

Schief in der ZeitBereits in den Jugendwerken greift Klaus Huberauf Textquellen zurück, die seine Musik prägensollten: auf die Bibel (in «Engelchor» für Sopran,Violine, Violoncello und Klavier, 1936) sowie aufweltanschaulich geprägte Dichtung (in «Ich binbedrängt» für Singstimme und vermutlich Geigeauf ein Gedicht des Schweizer Dichters undAnthroposophen Albert Steffen, 1930er Jahre).Aus dem Protestanten ist noch nicht der Marxistund der daraus erwachsende Dialektiker der1960er Jahre geworden. Damals ist er der Jugend-liche, der in der gut bestückten Bibliothek seinesElternhauses fündig wird. Dort stehen neben derHausbibel die deutschen Klassiker sowie spirituellinspirierte Literatur.

Sein Selbstverständnis klärt sich in den 1950erJahren, als er auf kaum wahrgenommene Dichte-rinnen wie Mechtild von Magdeburg und CatharinaRegina von Greiffenberg stösst, deren Texte ver-wendet und von den «Managern» des Avantgarde-Betriebs belächelt wird. «Jemand, der mittelalter-liche Mystikerinnen und Barockdichterinnen kom-poniert, kann nicht wirklich zeitgenössisch sein»,gibt man dem schief in der Zeit stehenden Kompo-nisten zu verstehen. Bestätigt wird dieser Ruch, alser in der Kammersinfonie «Oratio Mechtildis»(1956/57) monumentale Oktaven inszeniert und inder «Terzen-Studie» für Orchester (1958) das alsverbraucht geltende Intervall ins Licht stellt.

Damals, sagt Huber, «begab ich mich in eineinnere Emigration: zu der häretischen Gegenweltdes Christentums, der Mystik, die einen nach innen

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Front 11.06.12 / Nr. 133 / Seite 1 / Teil 01

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BÖRSEN UND MÄRKTE

Investoren wetten auf LockerungenInvestoren in den USA bringen sichzurzeit in Position, um von einer wei-teren quantitativen geldpolitischenLockerung zu profitieren.

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Literatur und Kunst 29.11.14 / Nr. 278 / Seite 65 / Teil 02

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nimmt». Dieser Rückzug nach innen ist ausserdempolitisch begründet und verweist, lange vor 1968,auf einen möglichen Ursprung von Hubers enga-gierter Musik. Er steht im Bezug zur Flüchtlings-politik der Schweiz im Zweiten Weltkrieg; Huberstösst sich an den Mitläufern. An den Grenzen«wurden viele Juden abgewiesen und damit demsicheren Tod überantwortet» – diese «Hypothekschleppe ich mit».

Lesen und Geigen sind die zentralen Hand-lungsfelder des jungen Huber, dem der Vater vomKomponistenberuf abrät, wobei er ihn dazu anhält,stattdessen seine zeichnerische Begabung zu pfle-gen. Die Erfahrungen als Leser und Geiger, aberauch die des sich durchsetzenden Sohnes kann manmit Recht als Ausgangspunkt von Klaus Huberszunehmend polykulturell ausgestalteter Musik be-zeichnen. Er selbst spricht von seinem Werdegangals «Selbstgewinnung». Diese setzt Krisenbereit-schaft und daraus erwachsende Neuorientierungvoraus. «Sich auszuruhen auf einem bequem er-reichten Stand der Komposition, ist etwas, wasmich von der schöpferischen Arbeit abhält.» DasSchöpferische, betont er, bedürfe der Resonanzdurch ein Gegenüber. «Was ich heute bin, ver-danke ich ganz unterschiedlichen Menschen.»

BezugspersonenSeine Mutter erschliesst sich, wie später der Sohn,durch Bücher die Welt. Sie führt ein Kind imWagen spazieren, als sie Klaus Hubers zukünfti-gem Vater in einem Park in München zum erstenMal begegnet. Der Kompositionsstudent aus derSchweiz hält sie für eine verheiratete Frau, tatsäch-lich ist sie jedoch als Kindermädchen in fremdenDiensten unterwegs. Später stiehlt sie sich alsHausfrau und Mutter Zeit, Bücher zu lesen undGedichte zu rezitieren. «Meiner geliebten Mutterzum 71. Geburtstag am 11. August 1970» heisst einunveröffentlichtes Gelegenheitswerk des verbun-den gebliebenen Sohnes.

Anderer Art ist die Prägung durch den Geigen-unterricht bei Theodor Klajnman und Stefi Geyer– zwei Persönlichkeiten, deren Biografien bis anhinnur bruchstückhaft bekannt sind. Dem jüdischenGeiger Theodor Klajnman gelingt die Flucht ausPolen in die Schweiz. Mit der Unterstützung ausMusikerkreisen, darunter Walter Simon Huber,beginnt er zu unterrichten und begegnet KlausHuber. Dieser schlägt sich nach der Ausbildungzum Lehrer zwei Jahre im ländlichen Gibswil imZürcher Oberland durch.

«Klajnman legte die handwerkliche Grundlagefür alles, was ich später bei Stefi Geyer verfeinernlernte», sagt Klaus Huber. Sie ist vor allem alsMuse der Komponisten Bela Bartok und OthmarSchoeck in Erinnerung und im Zusammenhangmit den für sie entstandenen Violinkonzerten.Dass die gefeierte Geigerin auch eine ermutigendePädagogin gewesen ist, lassen die Lebenswegeihrer Studierenden am Konservatorium Zürichvermuten. Viele von ihnen stossen Aussergewöhn-liches an und engagieren sich über das Künstler-sein hinaus. Klaus Huber ist von 1947 bis 1949 inihrer Klasse und wird zu einem wegweisendenKomponisten und Kompositionslehrer. Aida Stu-cki ist Mitbegründerin des Piraccini-Stucki-Quar-tetts, führt am Konservatorium Winterthur überJahrzehnte Studierende zum Diplom und begleitetAusnahmebegabungen über lange Zeiträume.Anne-Sophie Mutter ist die berühmteste ihrer er-

folgreichen Schülerinnen und Schüler und ver-dankt ihr im Nachruf 39 «unvergessliche, gemein-same» Jahre.

Die Grundlagen des kompositorischen Hand-werks erarbeitet sich Klaus Huber bei Willy Burk-hard. Der Komponist ist ein Freund der Familieund wird zum Taufpaten auserkoren, als sich dieGeburt eines zweiten Kindes ankündigt. Klaus, dasPatenkind, beschliesst spät – mit 23 Jahren –, Musikzu studieren. 1947 gibt er den Primarlehrerberufauf und tritt am Konservatorium an. Parallel zumGeigenstudium beginnt er Theorie und Komposi-tion zu studieren, konzentriert sich acht Jahre langauf das kontrapunktische Schreiben und dessen an-spruchsvolles Regelwerk. Die Analyse als Refle-xionsfeld fehlt weitgehend, ebenso die Diskussionüber die Ästhetik von Entwürfen, nie wird einStück der Studierenden aufgeführt. «Diese Praxis-abstinenz im Kompositionsfach hielt sich hart-näckig», stellt Huber fest, der ab 1973 den Kompo-sitionsunterricht an der Hochschule für MusikFreiburg im Breisgau reformieren sollte. Dass ersich im Laufe des Studiums den Verfahrensweisender Wiener Schule zuwendet, denen Burkhard ausreligiösen Gründen kritisch gegenübersteht, ist dererste Schritt der Selbstgewinnung.

MikrotonalitätKlaus Huber hat seinen Werdegang bis 1989 in fünfAbschnitte gegliedert, die jeweils Ausbruchsversu-che markieren und dazu führen, den Umgang mitdem musikalischen Material zu revidieren. DasKorsett des europäischen Tonsystems ritzt er erst-mals in «Alveare vernat» und fügt Dritteltöne ein(1965), dann wendet er sich der Vierteltönigkeit zuund entdeckt in der dritteltönigen Stimmung Spiel-raum für die Ausweitung konstruktiver wie expres-siver Möglichkeiten. 1991, im Jahr des Golfkriegs,stösst er auf das Referenzwerk über die Grund-lagen arabischer Musik – auf «La musique arabe»von Baron Rodolphe Erlanger –, während er sichin den Jahren vorher erst einmal der Dichtung undPhilosophie des arabischen Kulturraums genäherthat. Auf diesem Hintergrund ist eine weitere Zäsurerfolgt und sein Alterswerk entstanden. Er beginntVerfahren der traditionellen arabischen Musik(insbesondere deren Intervallik und Stimmungen)zu erforschen. Der Prozess der Aneignung setztmit der Einladung des führenden Ensembles Al-Kindi in das Experimentalstudio des SWR nachFreiburg im Breisgau ein, um empirisches Materialzu gewinnen. Huber gibt den Musikern eigene Ma-quamat (Tonarten) vor, welche jene ihren strengenRegeln gemäss improvisatorisch entfalten.

Die Erforschung gipfelt in einem Werk, das alsVermächtnis Klaus Hubers gelten könnte. In «DieSeele muss vom Reittier steigen» (2002) haltensich Ausdruck und Konstruktion sowie Mystik undZeitgenossenschaft in einzigartiger Weise dieWaage. Das Kammerkonzert für die konzertieren-den Instrumente Violoncello und Baryton (einNachfolger der Tenor-Bass-Gambe), einen ara-bisch singenden Kontratenor sowie ein 37-köpfigesOrchester auf historischen Instrumenten ist aucheine Metapher für die Komplexität polykulturellenZusammenlebens. Jenseits von Exotismus undEffekt schöpft Klaus Huber aus dem Inneren desmusikalischen Materials und lotet die Spielmög-lichkeiten der konzertierenden Instrumente bis andie Grenzen aus.

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Front 11.06.12 / Nr. 133 / Seite 1 / Teil 01

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BÖRSEN UND MÄRKTE

Investoren wetten auf LockerungenInvestoren in den USA bringen sichzurzeit in Position, um von einer wei-teren quantitativen geldpolitischenLockerung zu profitieren.

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Leidens- und FriedensfähigkeitDie gesellschaftliche Dimension des Werks kris-tallisiert sich in einem Vers, der den Komponistenins Innerste trifft. «Der Wolf döst auf der Hautmeiner Ziege. Er träumt, wie ich, wie der Engel,dass das Leben hier ist, nicht dort unten.» DieseZeilen sind 2002 inmitten der belagerten StadtRamallah geschrieben worden und stammen vompalästinensischen Schriftsteller Mahmoud Dar-wisch. Die Leidens- und die Friedensfähigkeit, soHuber, berühren sich in einer tiefen «existenziel-len Schicht», unter der Oberfläche des «omniprä-senten» Spasses. Die Musik hat die Fähigkeit, indiese Tiefe zu greifen.

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Corinne Holtz lebt als Musikpublizistin in Zürich.