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k u l t u r m a g a z i n ensuite Nr. 56 August 2007 | 5. Jahrgang Uf dr Strass chasch nid bschiisse! Zwischen Puppen-Punk und kosmo- politischer Kleinkunst Seite 4 Hundstage mit Klee Magischer Akt der Beseelung Seite 10/35 Sommerclubbing Elektronische Spurenelemente mit Rumpelbeats Seite 13 Paul Senn Fotoreporter mit formal-ästhetischer Intensität Seite 34 Ausgabe Bern

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k u l t u r m a g a z i n

ensuiteNr. 56 August 2007 | 5. Jahrgang

Uf dr Strass chasch nid bschiisse! Zwischen Puppen-Punk und kosmo-

politischer Kleinkunst Seite 4

Hundstage mit KleeMagischer Akt der Beseelung Seite 10/35

Sommerclubbing Elektronische Spurenelemente

mit Rumpelbeats Seite 13

Paul SennFotoreporter mit formal-ästhetischer

Intensität Seite 34

Ausgabe Bern

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Der Vorverkauf läuft! Sämtliche Starticket-Vorverkaufsstellen in der SchweizTelefon 044 412 30 30www.theaterspektakel.ch oder www.starticket.ch

www.knie.ch

Bern, Allmend, 9. – 22. August

VorstellungenMontag bis Freitag 20h00Mittwoch und Samstag 15h00 + 20h00Sonntag 14h30 + 18h00

ZirkuszooDonnerstag, 09.08. 14h00 – 19h30Täglich 09h00 – 19h30

VorverkaufTicketcorner, Tel. 0900 800 800, www.knie.ch und an der Zirkuskasse:Donnerstag, 09.08. 12h00 – 21h00Montag – Samstag 10h00 – 21h00Sonntag 10h00 – 19h00Mittwoch, 22.08. 10h00 – 20h30

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 3

INHALT

ensuite im August

■ Ein dringender Appell an die Evolution: Wir

brauchen Schwimmhäute und Kiemen! So viel

Wasser wie in diesem Sommer hält ja kein Mensch

aus. Und wenn unsere StadtpolitikerInnen alles

dransetzen, die BernerInnen mit Wellen und Stadt-

bächen aufzuheitern, ich glaube, sie setzen mo-

mentan einfach auf das falsche Pferd (oder besser

Fisch). Dafür erhält der Bahnhofs-Baldachin in

diesem Sommer seine fehlende Begründung ge-

schenkt, wie ein Lottogewinn - nur ist anzunehmen,

dass wir, wenn der Bau mal fertig gestellt ist, eine

Hitzeperiode haben und wir uns unter dem Dach

wie in einem Mikrowellenofen fühlen werden… So

ist das Leben. Man wünscht sich was und man er-

hält es oder eben nicht – was soll’s.

Aber Wünsche sind nötig. Sie kreieren neue

Visionen und bringen Hoffnung ins Leben. Da

stimmt es mich nachdenklich, wenn ich sehe, wie

heute unsere Wünsche und Visionen von den

Marketingfi rmen kreiert und manipuliert werden.

Wir werden getrimmt in Strom, Handy-Hülsen und

iDings. Unsere Visionen gleichen unterdessen dem

Notizbuch eines Lifestyle-Magazin-Redaktors und

wir klonen uns täglich aufs Neue, erfi nden uns ko-

pierend neu – und vergessen dabei unsere eigene

kleine, persönliche Geschichte.

Doch dafür haben wir eine Häppi-Gesellschaft

mit den Häppi-Festivals und alle sind so lustig und

so party. Sie kippen zwar literweise Alkohol und

schmeissen jegliche Chemie hinten nach – damit

alles lustig bleibt. Denn ohne geht’s nicht. Man sug-

geriert uns Häppi-Live intravenös. Für die Orga-

nisatorInnen und die Strom-Handy-iDings-Firmen

ist das sicher lustig. Und die Masse verliert oder

gewinnt eine neue Vision – je nachdem wie wir es

betrachten – Hauptsache sie liefert Geld.

Deswegen ist uns zu wünschen, dass wir noch

weitere Baldachine, Stadtbäche und konfus-

moderne Zentren erfi nden. Die fördern we-

nigstens eine wahrhafte Kommunikation und

damit wirkliche Visionen. Und damit wären dann

auch diese blöden Baustellen in Bern einigermas-

sen erträglich…

Lukas Vogelsang

Chefredaktor

Impressum

Herausgeber: Verein WE ARE, Bern Redaktion: Lukas Vogelsang

(vl); Stephan Fuchs (sf); Anna Vershinova (av) // Claudia Badert-

scher (cb), Andrea Baumann (ab), Peter J. Betts (pjb), Jean-Luc

Froidevaux (jlf), Till Hillbrecht (th), Michael Imoberdorf (mi), Son-

ja Koller (sk), Andy Limacher (al), Belinda Meier (bm), Monique

Meyer (mm), Magdalena Nadolska (man), Eva Pfi rter (ep), Nicolas

Richard (nr), Caroline Ritz (cr), Benedikt Sartorius (bs), Anne-

Sophie Scholl (ass), Karl Schüpbach (ks), Sarah Stähli (ss), Tabea

Steiner (ts), Kathrina von Wartburg (kvw), Simone Wahli (sw),

Sonja Wenger (sjw) Cartoon: Bruno Fauser, Bern; Telefon 031 312

64 76 Kulturagenda: kulturagenda.ch; ensuite - kulturmagazin,

Bewegungsmelder AG, allevents, Biel; Abteilung für Kulturelles

Biel, Abteilung für Kulturelles Thun, interwerk gmbh. Korrekto-

rat: Monique Meyer (mm)

Abonnemente: 58 Franken für ein Jahr / 11 Ausgaben. Abo-

dienst: 031 318 60 50

ensuite – kulturmagazin erscheint monatlich. Aufl age: 10‘000

Anzeigenverkauf: [email protected] Layout: interwerk gmbh:

Lukas Vogelsang Produktion & Druckvorstufe: interwerk gmbh,

Bern Druck: Fischer AG für Data und Print Vertrieb: Gratisaufl a-

ge an 350 Orten im Kanton Bern; passive attack, Telefon 031 398

38 66 Web: interwerk gmbh

Hinweise für redaktionelle Themen (nicht Agendaeinträge!)

erwünscht bis zum 11. des Vormonates. Über die Publikation

entscheidet die Redaktion. Bildmaterial digital oder im Original

beilegen.

Agendahinweise bis spätestens am 18. des Vormonates. Redak-

tionsschluss der Ausgabe ist jeweils am 18. des Vormonates.

(siehe auch www.ensuite.ch - menü: veranstalter)

Die Redaktion ensuite - kulturmagazin ist politisch, wirtschaftlich

und ethisch unabhängig und selbständig. Die Texte repräsentie-

ren die Meinungen der Autoren/innen, nicht jene der Redaktion.

Copyrights für alle Informationen und Bilder liegen beim Ver-

ein WE ARE in Bern und der edition ■ ensuite.

Redaktionsadresse:

ensuite – kulturmagazin

Sandrainstrasse 3

3007 Bern

Telefon 031 318 6050

mail: [email protected]

www.ensuite.chKunstbeilage:

artensuite ab Seite 33

KULTUR & GESELLSCHAFTin anderem strassenzustand 4 | mode in afrika 6 |

natürlich greift der stier die 32

LITERATURrichard ford, jonathan lethem, sjon 12 | filoso-

fenecke 13

BÜHNEder bunte traum einer heissen sommernacht 9 |

hundstage mit klee 10 | «unter künstlern gelten

andere regeln als im büro» 11 | ausblick bühne 11

KINO / FILM60 jahre fi lmfestival locarno 19 | la vraie vie est

ailleurs 19 | ensemble, c‘est tout 20 | transfor-

mers 20 | el camino de san diego 21 | das andere

kino 22 | der subversive blockbuster 25

MUSIKim klub 13 | donau abwärts - murten classics 14

| der beat-man-way 17 | konzert-rückblick 17 |

ECM listening post 18 | cd-tipps 18

LIFESTYLEinsomnia 26 | stadt und land: mit neuster tunnel-

technik in die vorstellungswelt der «üsserschwii-

zer» gerückt: das wallis 30 | reiseziel hotel: mord

und totschlag zwischen rindsfilet und crème ca-

ramel 31

DIVERSES tratschundlaber 21 | leserbriefe / forum 26 |

von menschen und medien / fauser cartoon 27 |

stadtläufer 28 | sommerversuch I & II 28

KULTUR-PUBLIREPORTAGEsommerakademie 2007 im zentrum paul klee

65

STADT THUNwie im fi lm! copy paste im kuckucksnest 79

KULTURAGENDA kulturagenda bern 49 | biel 73 | thun 76

Bild Titelseite und links:Paul Senn Fotoreporter Ausstellung im Kunstmuseum BernPaul Senn, Strandleben, Coney Island, New York, 1946. FFV/KMB, Dep. GKS. © GKS.

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 074

■ Ein charmantes Understatement, die Bezeich-

nung «Strassenmusik-Festival»; darunter stellt

man sich alles andere vor, als drei Nächte lang

äusserst abwechslungsreiche Musik, Theater und

Artistik aus aller Welt. Die Organisatorinnen, Li-

sette und Christine Wyss, erfüllen einmal mehr den

selbsterhobenen Anspruch, Acts auf die Strasse

zu holen, über die man kaum je mit Einkaufstüten

in der Hand auf dem Heimweg stolpert. Wenn die

deutschen Gyp-Hopper «Ohrbooten» neben ei-

ner indischen Hochzeitskapelle und einer Balkan-

Brass-Brand spielen, auf die Appenzeller Streich-

musik eine Puppen-Punk-Show folgt und danach

der Ein-Mann-Loop-Jam, dann sinkt die Hemm-

schwelle vor Unbekanntem auf Randsteinhöhe,

manch Innenhof wird zum Experimentierfeld. Wir

umkreisen die Artisten bis die Anziehungskraft

nachlässt und steuern dann unsere Bahn weiter

hinein in den Kosmos der Kleinkunst.

Der direkte Kontakt mit dem Publikum ist ein

Härtetest. «Uf dr Strass chasch nid bschiisse!»,

damit meint Christine Wyss die fehlenden Möglich-

keiten optischer und akustischer Kosmetik mittels

Scheinwerfern und Abmischung. Zwar stellt sie

eine technische Aufrüstung auch unter Buskern

fest, das ausgeklügelte Rotationsprinzip der dreis-

sig Standorte setzt aber das Mitschleppen und

schnelle Aufbauen des Equipments voraus. Gefällt

es den Zuschauern nicht, oder entsteht keine In-

teraktion, zeigen sie dies ebenso schnell unmittel-

bar und direkt. Wer läuft hingegen schon aus dem

Auditorium Stravinski raus, wenn er über hundert

Franken Eintritt bezahlt hat? - ausserdem würde

die Künstlerin, geblendet vom Scheinwerferlicht,

weit weg auf der Bühne, diesen Ausdruck der Miss-

achtung kaum gebührend wahrnehmen.

Street-Credibility Das Buskers kennt weder

abgehobene Bühnen noch abgetrennte Zuschau-

erbereiche oder gar VIP-Lounges und ist daher

auch für Sponsoren wenig interessant (eine spe-

zielle Fernsehübertragung wird es dieses Jahr

geben, Jugendliche können sich als BuskerTV-

Macher anmelden unter www.achsensprung.ch).

Umso mehr sind die Organisatorinnen darauf

angewiesen, dass die Zuschauer neben dem Hut-

geld für die Artisten den minimalen Beitrag von

zehn Franken für die drei Tage mit dem Kauf eines

Bändelis abgelten. Dieses berechtigt zusätzlich zu

einem vergünstigten Eintritt ins Buskerhaus, wo

die Party (dieses Jahr erstmals mit zwei Freinäch-

ten) weitergeht, wenn Law-and-Order-Politiker-

Nachbarn ihre Nachtruhe einfordern. Woher wohl

das für Bern einzigartige Phänomen stammt, dass

Leute mitten in die Stadt ziehen, aber lieber nicht

unter Menschen wären? Ganz so museal ist die

zum mit Strassenmusik bespielen äussert geeig-

nete UNESCO-Welterbe-Kulisse doch auch wieder

nicht - nicht zu verwechseln mit dem «AMEXCO

Gelderbe»-Gebiet oberhalb Zytglogge mit den

standardisierten Mode- und Fastfoodketten, das ei-

nige Leute auch noch zu Bern zählen, kulturell und

vom sozialen Leben her mehrheitlich aber einem

globalen potemkinschen Dorf gleicht.

Gassenhauer und Strassenfeger Das Buskers

konnte sich in den vier Jahren von einer vagen Idee

zu einer festen Grösse entwickeln und wird von

Bern Tourismus als Top Event beworben, zusam-

men mit dem Jazz-Festival und dem Grand-Prix -

wobei die Teilnehmer an Letzterem nicht bloss we-

sentlich weniger gut riechen, sondern auch nicht

annähernd so gut tönen und nur die Kollapse, nicht

die Kollekten freiwillig sind. Die anfängliche Skep-

sis der Behörden gegenüber Strassenkünstlern

teilt jeder Berner: In meiner Jugend waren mir die

Gaukler, Musiker und Feuerspeier Inbegriff einer

urbanen Kultur, die ich von Interrail-Ferien kannte,

da sich selten einer ins rurale Bern verirrte (aus-

ser die heimischen Zampanoos natürlich), aber

sogar auf den hundeverkotetsten Boulevards von

Paris spielten - lag es an der irrigen Vorstellung,

sie würden hier mit in der Hutkollekte nur müh-

sam unterzubringenden Goldbarren überschüttet,

oder an der Angst vor den von den Wappentieren

schwer zu unterscheidenden, brummenden, aber

äusserst exzessiv grüssenden Eingeborenen?

Später besuchten uns manchmal sogar richtige

Musiker, wenn auch nicht gerade Bob Dylan oder

Beck, die, wie viele andere, ihre Karriere auf der

Strasse begannen. Aber ich erinnere mich an ei-

nen Schlagzeuger, der mit seiner virtuosen Trak-

KULTUR & GESELLSCHAFT

in anderem strassenzustand Von Jean-Luc Froidevaux - das 4. Buskers Bern Bild: zVg.

fokus

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 5

tierung eines einzelnen Snares meine Kultivierung

an ebendiesem Instrument initiierte, und da gab es

noch den Geigenwunderknaben, der von der Stras-

se entdeckt wurde. Darauf folgte die dunkle, aber

lange Epoche wolldeckenbehangener Hochlandpe-

ruaner mit Bambusfl öten, und heute erschüttert

vielleicht mal ein kräftiger, russischer Bariton die

Schaufensterscheiben. Ansonsten bremsen bloss

noch dekorativ mit Akkordeon ausgetattete osteu-

ropäische Bettler unsere Laufgeschwindigkeit un-

ter den Lauben auf weltweit tiefstes Niveau herun-

ter...da jetzt nachgewiesen wurde, dass wir auch

mit dem Mundwerk in Sachen Geschwindigkeit

nicht zur Weltspitze zählen, kriegen wir übrigens

jetzt am Buskers Unterstützung von der stärksten

Zunge, dem Weltmeister im Zungengewichtheben

(dessen Schlange allerdings Visa-Probleme hatte,

wie die angekündigten Sufi -Musiker aus Pakistan).

Aber das ist bloss eine der vielen Skurrilitäten, die

dieses Jahr noch um den Bizaar, der Plattform für

Kunstschaffende, erweitert werden.

4. Buskers Bern Strassenmusik-Festival

Do, 9. - Sa, 11. August 2007, 18:00–24:00 h,

Altstadt Bern

30 Gruppen (Musik, Artistik, Comedy, Theater,

Spektakel, Puppenshow) spielen auf rund 30

Plätzen nach Programm, total rund 250 Shows.

Dieses Jahr neu mit Bizaar, dem kreativen

Markt, BuskersTV, einer zweiten Jugendbühne,

einem erweiterten Kinder- und Familienpro-

gramm und zwei Freinächten im Buskershaus.

Infos und Programm unter

www.buskersbern.ch

Vorverkauf im Tourist Center Bahnhof und Bä-

rengraben, Bern Billet, Kulturbüro, Jugendamt

und OLMO.

fokus

Datum Donnerstag, 16. August Zeit 20:30 h Ort CinéSplendid 2, Bern

Infos www.xenixfilm.ch oder www.lavraievie.lefilm.ch

Gratis-Tickets

www.ensuite.ch (Link folgen)

oder Tel: 031 318 6050

die vorpremiere

ensuite

■ Dieser Film erzählt eine Geschichte

in drei Reisen. Jede dieser Reisen – nach

Marseille, Neapel und Berlin bzw. Dort-

mund – hat Frédéric Choffat mit einem

minimalen Team gedreht: Zwei Schau-

spieler, eine Kamerafrau, ein Toningenieur

und eine Assistentin. Jede Teilgeschichte

wurde chronologisch in einer Woche ge-

dreht. Die Drehvorlage bestand lediglich

aus einer detaillierten Beschreibung der

Struktur des Films. Die einzelnen Szenen

wie auch die Dialoge entwickelten sich je-

doch erst während der Reise selber.

Mehr auf Seite 19 in diesem Heft!

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 076

■ Im Rahmen des «Festival de la Mode Africaine»

zeigt eine Ausstellung in den Räumen der Firma

Zürcher und Stalder AG in Lyssach-Schachen BE,

was die Mode über Afrikas Kultur erzählt.

Der afrikanische Kostümfundus der deutschen

Ethnologin Ilsemargret Luttmann öffnet dem Be-

sucher ein Fenster zum sonnigen Afrika und gibt

eine Vorahnung auf das sinnliche Erlebnis, das der

Besuch eines afrikanischen Marktes unserem Auge

bescheren kann. Bunte Stoffe in fröhlichen Farben

wie wir sie aus Afrikareportagen oder dem eigenen

Urlaub kennen, sprechen vom sonnigen Gemüt der

Bewohner des schwarzen Kontinents und stehen

ganz im Gegensatz zu den negativen und traurigen

Nachrichten, die uns von dort meist erreichen.

Die dreissig Damen- und fünf Männergewänder

geben einen Überblick über die westafrikanische

Mode der letzten dreissig Jahre, während derer sich

als postkoloniales Produkt ein richtiger Modeboom

entwickelt hat. Die Kleider zeigen, dass afrikanische

Mode mühelos westliche Impulse aufsaugt, gleich-

zeitig aber der Tradition verbunden bleibt. Das

Kleidungsstück hat eine Bedeutung für die Identi-

tät und die Kultur eines Menschen, während es im

Westen zu einem reinen Konsumartikel geworden

ist, der ersetzt wird, sobald der nächste Modetrend

kommt.

Da die Demokratisierung der Mode in unserem

Sinn noch nicht stattgefunden hat, gibt Bekleidung

Aufschluss über soziale Hierarchien, Zivil- oder Be-

sitzstand. Anders als in der westlichen Welt, wo eine

mittellose Studentin in der Kopie eines Gucci-Kleides

von Zara für 60 Franken vornehmer aussehen kann

als die arrivierte Dame im Original für mehrere

tausend Franken, lässt Bekleidung in Afrika genuin

Rückschlüsse auf den sozialen Status zu. Man trägt,

was einem zusteht und greift nicht zu Mimikry und

irreführenden Signalen. Trotzdem widerspiegelt die

Mode kulturelle Phänomene. Statt wie bei uns die

Statusangst, bringen AfrikanerInnen ihre Wunsch-

träume zum Ausdruck. So wechseln die Moden von

Druckdessins mit den soziokulturellen Werten, die

sich heute auf technologische Errungenschaften wie

Handys, Generatoren oder Ventilatoren konzentrie-

ren. Für weniger Privilegierte sind sogar Petrollam-

pen noch Objekte der Begierde. Da die Vermittlung

von Mode nicht durch Werbung und Markennamen

erfolgt, ist deren Inszenierung durch den eigenen

Körper ein «Akt der Selbstvergewisserung und der

Identitätskonstruktion, die in spannungsvollem Ver-

hältnis zu der politischen Ohnmacht im öffentlichen

Raum und zur wirtschaftlichen Misere steht», wie

Dr. Luttmann in ihrem Aussstellungsprospekt aus-

führt.

Traditionellerweise wird der Stoff für ein afrika-

nisches Gewand auf dem Markt gekauft und beim

Schneider angefertigt. So entstehen handgefertig-

te Einzelstücke. Fremde Einfl üsse werden integriert

und zu afrikanischen Modellen umgearbeitet. Die

afrikanische Antwort auf den westlichen Business-

Anzug zum Beispiel nennt sich abacost (Wortschöp-

fung aus à bas le costume, nieder mit dem Anzug),

eine Art Hemdjacke zur Hose. Ebenso ist das afri-

kanische Damenkostüm taille-basse mit Wickelrock

und genähter Bluse im viktorianischen Stil, mit aus-

gestelltem Schösschen zur Betonung der Hüften,

eine Mischung aus traditionellen und westlichen

Elementen. Wenn die Frau verheiratet ist, trägt sie

das Kostüm als Dreiteiler, mit einem zusätzlich um

die Hüften geschlungenen Tuch, meist ein Batik-

Druck.

Die berühmten Batikstoffe, die unser Afrikabild

so nachhaltig prägen, haben ihren Ursprung jedoch

nicht in Afrika, sondern in Indonesien. Im 19. Jahr-

hundert haben Indonesiens holländische Kolonial-

herren damit begonnen, Kopien der balinesichen

und javanischen Woodblock(Holzstempel)-Drucke in

Holland industriell herzustellen. Die holländischen

Drucke der Firma Vlisco aus Helmond kamen jedoch

bei der indonesischen Bevölkerung nicht an. Durch

westafrikanische Soldaten, die auf der Insel statio-

niert waren, um Aufstände in der Kolonie zu kon-

trollieren, brachten sie die Ware nach Ghana, Togo,

in die Elfenbeinküste und Nigeria, wo sie reissenden

Absatz fand und wo Vlisco heute noch eine Mono-

polstellung geniesst. Den «wax hollandais» können

sich jedoch nur die reichen Afrikaner, vor allem

Städter leisten. Es existieren heute sogennanten

«fancies», billige Imitationen, die in afrikanischen

Fabriken mit hohem ausländischem Kapitalanteil

produziert werden, so dass der Profi t auch hier lei-

der nicht in afrikanische Taschen fl iesst, wenn es

nicht sogar chinesische und indische Billigprodukte

sind, die mittlerweile die afrikanischen konkurren-

zieren.

Westliche Designer inspirieren sich von afri-

kanischer Kultur Kaum eine europäische Kunst-

sparte hat sich noch nicht von Afrika inspirieren

lassen. Neben der bildenden Kunst und der Musik

gilt das auch für die Modewelt. Wir sind angetan von

der grafi schen Sprache Afrikas, der Farbpalette der

Savanne und den Motiven der afrikanischen Fauna

und Flora. Ganz selbstverständlich umgeben wir

uns mit Accessoires aus Holzkugeln, Basttaschen,

Glasperlen, Sisalgürteln, und wir tragen mit regel-

mässig wiederkommenden Modetrends Stoffe, die

von afrikanischen Mustern inspiriert sind.

Ein afrikanischer Designer macht europäische

Mode Der in Paris ansässige, malinesische Designer

Lamine Kouyaté, ist seit Jahren international er-

folgreich mit seinem Label Xuly Bët, das er in Pa-

ris präsentiert. Von der französischen Modemarke

Naf Naf wurde Koujaté für deren nächste Winter-

kollektion verpfl ichtet. Kouyaté möchte nicht mit

afrikanischer Ethno-Mode in Verbindung gebracht

werden und produziert einen farbenfrohen Street-

Style im Grunge-Look, mit nach aussen gekehrten

Nähten. Ein Look, der an jenes Recycling erinnert,

wie er es jahrelang in seinem Heimatland erlebt hat,

wenn sich Camionladungen von europäischen Alt-

kleidern über die Marktstände ergossen, wo lokale

Schneider die besten Stücke auswählten und sie auf

afrikanische Bedürfnisse umfunktionierten.

Recycling Einen Orden für echtes Recycling

verdienen die Handwerkskünstler von Madagaskar.

Dort ist Recycling kein Marketing-Gag, sondern eine

aus der Not entstandene Tugend. Aus Mangel an

Ressourcen greifen die Madegassen auf industrielles

Verpackungsmaterial zurück und produzieren mit

Fingerfertigkeit und Fantasie die unglaublichsten

Accessoires wie Auto-Miniaturen und Aktenkoffer

aus Milchpulverbüchsen, Hutschachteln und Über-

seekoffern aus Metall-Benzinkanistern oder Hand-

taschen aus Orangensaft-Tetrapak.

KULTUR & GESELLSCHAFT

mode in afrikaVon Sonja Hugentobler Foto: Sonja Hugentobler

Öffnungszeiten

Mo-Sa 14:00–17:00 h oder für Schulklassen nach

Voranmeldung 034 448 42 42

jeden Mittwoch 19:00 h Filmvorführung

Mi 8.8. Vortrag Dr. Bernhard Gardi , Leiter Wis-

sensch. Abtl. Afrika, Museum der Kulturen, Basel

So 2.9., 14:00-17:00 h Führung, Finissage und Ver-

kauf von Stoffen, Postkarten, Büchern etc.

Wo man afrikanische Mode fi ndet

■ In jeder grösseren Schweizer Stadt fi nden sich

Afrika-Shops, die unter anderem Stoffe, Kleider

und Schmuck verkaufen. Wir stellen vier vor:

Bei La Perla fi ndet die anspruchsvolle Schmuck-

liebhaberin authentisches afrikanisches Kunst-

handwerk, vom Besitzer Robert Bruderer direkt

aus Ostafrika importiert. www.ethnoschmuck.ch

La Perla, Metzgergasse 12, 9000 St. Gallen

Lea Kray verkauft in ihrer Boutique Joy Jewel

Damenmode aus afrikanischen Stoffen in mo-

dischen, westlichen Schnitten, die sie in ghane-

sischen Schneiderateliers in Kleinserien anferti-

gen lässt. www.joyjewels.com

Joy Jewel, St. Peterhofstadt 3, 8002 Zürich

Boutique Mambo ist ein afrikanischer Kurio-

sitätenladen, wo die Kongolesin Baheta Ba Sita

nebst Nahrungsmitteln und touristischen Artikel

auch Kleider und Metragen in authentischen Bo-

golanstoffen anbietet.

Boutique Mambo, Chemin du Bourg 20, 2502 Biel

Afro Shop Basel ist ein afrikanischer Kuriosi-

tätenladen. Man fi ndet von Haar- und Kosmetik-

produkten über CD bis zu Nahraungsmitteln alles,

was das Herz begehrt. www.afro-shop.ch

Afro Shop Basel, Gasstrasse 14, 4056 Basel

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1 von 311 Haltestellen:

Bahnhof.

56519_Inserat_ensuite.indd 1 23.7.2007 8:51:43 Uhr

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 9

■ Diese Augen. Diese riesigen gelb-orangen Au-

gen. Seit Juni starren sie mich an, von Plakatsäulen,

an Bahnhöfen, im Bus, im Tram. Verfolgungswahn.

Ich liess mich von den Uhuaugen hypnotisieren und

musste den Sommernachtstraum sehen!

Auf dem Theatergelände um das Burgerheim ist

der Uhu wieder da und schaut die Theaterfreunde

von Wegweisern, Speisekarten und Infotafeln an.

Er sorgt für Ordnung und leitet das Publikum an

den richtigen Ort. Doch die gute Organisation des

Anlasses ist nicht lediglich auf den Uhu zurückzu-

führen. Die MitarbeiterInnen haben orange Staff-T-

Shirts an und sind mit Walkie-Talkies ausgerüstet

– das Gelände ist nun mal gross und die Kommu-

nikation wird mit den technischen Hilfsmitteln ge-

währleistet. Mitten unter den Theaterbesuchern

fällt ein Dreiergrüppchen auf. «Wie steht es mit dem

Wetter? Werden wir abbrechen müssen?», fragt der

Regisseur Rolf Schoch. Die Antwort bekommt er

von der Heimleiterin des Burgerheims Marianne

Reinhard und vom OK-Präsidenten Peter Küpfer.

«Es wird eventuell gewittern.», «Für das Emmental

gab es eine Hagelwarnung». «Wir bleiben in Kon-

takt», sagt der Regisseur und macht seinen letzten

Kontrollgang, damit das Stück pünktlich beginnen

kann. Bevor die ZuschauerInnen in den Rängen

Platz nehmen, können sie das bereitstehende

Mückenspray anwenden und sich eine Wolldecke

gegen die Abendkälte mitnehmen. So werden die

Tücken eines Freilichttheaters überspielt und das

Publikum darf mit Spannung die Tribüne erobern.

Doch bevor man sich auf seinen Stuhl setzt, gibt es

ein Präsent: ein Zuckerbeutelchen zum 40. Jubilä-

um des Burgerheims – mit was wohl, ja natürlich

mit den Uhuaugen drauf!

In das saftige Grün des Waldstücks und rund

um einen Teich wurde das abstrakte Bühnenbild

platziert. Der Bühnenbildner Dany Rhyner hat die

weissen geometrischen Elemente als Kontrapunkt

zu der üppigen Natur des Burgerheim Parks ge-

wählt. Zwischen den Bäumen sind riesige Kugeln

und ein Würfel aufgestellt. Dazu kommt ein Stan-

genwald und kleinere Sitzwürfel. Das Bild soll von

den Figuren, von den Kostümen und vom Licht be-

lebt werden. Die SchauspielerInnen bringen bereits

in der ersten Szene viel Farbe auf die Bühne. «Von

Anfang an sah ich die Figuren in einer ganz klaren

Farbzuteilung, gegeben durch ihre Symbolik. Auch

um den Zuschauenden das Wirrwarr der Gefühle,

das temporeiche Hin und Her, das sich Verwirren

und wieder Entwirren als buntes und trotzdem

klares Bild zu präsentieren», so Eveline Rinaldi, die

Kostümbildnerin. Recht hat sie, die Kostüme helfen.

Die parallelen Handlungen in Shakespeares Stück

werden dank ihnen geordnet und leicht zum Nach-

vollziehen dargeboten. Da sind zum einen die Athe-

ner BürgerInnen, mit dem Königspaar und den bei-

den Liebespaaren, die durcheinandergeraten. Dann

wird man in die zauberhafte Feen- und Koboldwelt

um das Herrscherpaar Oberon und Titania entführt.

Ein schöner Regieeinfall ist dabei die Teilung des

Waldgeistes Puck in eine weibliche und eine männ-

liche Figur. Als dritten Handlungsstrang wird das

humoristische Spiel im Spiel einer Handwerkertrup-

pe verfolgt.

Obwohl sie manchmal in Pathos ausufern, ver-

mögen die Darstellenden in den tragenden Rollen

das Publikum zu überzeugen. Sehr positiv fallen die

beiden roten Pucks auf. Der männliche Puck, der an

Mephisto erinnert und die weibliche Puck, die eher

eine Bezaubernde Jinnie verkörpert, sind ständig in

Bewegung, schwirren leicht über die Bühne und zei-

gen eine für Laien herausragende Bühnenpräsenz.

Doch auch die Statisterie ist stets konzentriert und

hält souverän den Blicken der Zuschauermenge

Stand. Die kleinen Kinder als grüne Kobolde und

gelbe Elfen sorgen für einen ausgiebigen Jöö-Ef-

fekt, doch die eindeutigen Publikumslieblinge sind

die grauen Handwerker. Das Theater im Theater un-

terhält. Vor allem der als Thisbe verkleidete Flaut

und Zettel, der mal als Esel mal als Pyramus agiert,

bekommen Szenenapplaus und viele Lacher ge-

schenkt. Wie dankbar das Stück für Laien ist, sieht

man vor allem bei den Handwerkszenen.

Das rund 50-köpfi ge Ensemble hat es geschafft

einen Sommernachtstraum ohne unnötige Längen

und mit fl iessenden Übergängen auf die Bühne zu

bringen. Gewöhnungsbedürftig war die berndeut-

sche Textfassung von Laurenz Suter. Shakespeares

Sprache übersetzt in Worte wie «Meitschi», «Giele»,

«Müntschi» oder «i dräie düre» sorgt für den Lokal-

kolorit, den das Publikum jedoch offenbar zu schät-

zen weiss. Am meisten wird man aber von der Stim-

mung im Burgerheim verzaubert. Der Abend wird

von Vogelgezwitscher begleitet, plötzlich taucht ein

Fisch im Teich auf, sogar eine Fledermaus schwirrt

herum. Die Natur spielt mit. In sie hinein passen

Schochs Regieeinfälle wie riesige Seifenblasen als

Begleiterinnen der Elfen.

Unterdessen ist es dunkel geworden. Die Mitter-

nachtsglocke im Stück erinnert an die Geisterstun-

de. Die BürgerInnen Athens kehren nach Hause und

BÜHNE

der bunte traum einer heissen sommernachtVon Magdalena Nadolska – Shakespeares «Sommernachtstraum» auf Berndeutsch im Park des Burgerheims Bern Bild: zVg.

veranstaltungen

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 0710

überlassen die Bühne den Waldgestalten. Erst da, in

der Dunkelheit kommt das Bühnenlicht zur vollen

Geltung und die rosa-grüne Traumwelt legt ihren

letzten Zauber über das Publikum. Schade, dass

mein Freund der Uhu nicht zur Vorstellung erschie-

nen ist.

Die Aufführungen fi nden bis 11. August im Park des

Burgerheims Bern statt.

Infos:

[email protected]

www.einsommernachtstraum.ch

www.burgerheim-bern.ch

WIE KAM ES ZU DIESER INSZENIERUNG? ■ Das Burgerheim hatte vor vierzig Jahren die

«revolutionäre Idee, dass man Wohnungen für au-

tonomes Leben im Alter anbot, in welchen auch

Pfl egeleistungen möglich sind – eine Idee, welche

damals europaweit einzigartig war!», erzählt der

OK-Präsident Peter Küpfer im Programmheft. Die

Direktion des Burgerheims hat beschlossen das

Jubiläum mit einem Freilichttheater zu feiern.

Das gibt den BewohnerInnen des Burgerheims

die Möglichkeit an einem kulturellen Anlass teil-

zunehmen und bietet die Gelegenheit, Gäste aus

der Stadt ins Burgerheim einzuladen. Kurzerhand

wurde der Verein «Freilichttheater Burgerheim

2007» gegründet und ein Organisationskomitee

mit der Durchführung des Theaters im Park be-

auftragt. Für das Leitungsteam der Inszenierung

wurden Profi s engagiert, der Rest des Ensembles,

bis auf einen Profi -Schauspieler, bilden Laien. Am

10. Dezember 2006 fand das erste Treffen mit

SchauspielerInnen und dem Regisseur statt. Nach

Leseproben im Dezember hat das Ensemble dann

im Januar «richtig» zu proben begonnen. Alles in

allem wurde die Inszenierung in etwa 63 Proben

erarbeitet. Der Anlass könnte ohne die freiwilligen

HelferInnen niemals in diesem Rahmen stattfi n-

den. Jeden Abend sind neben dem Ensemble über

30 Leute anwesend, die ohne Lohn ihre Arbeit im

Dienste des Theaters verrichten.

Die Veranstalter griffen auf die hausinterne

Gastronomiemannschaft zurück und bieten dem

Publikum nicht nur Theater-, sondern auch Ver-

pfl egungskunst. Ob Firmenanlass mit Kombinati-

on des Theaters mit einem Apéro, einem individu-

ellen Nachtessen im Sinne eines Shakespearschen

Gaumentraumes oder eines Cüplis an der Träumli-

Bar, für jeden Geschmack ist etwas dabei. Bei je-

dem Wetter gibt es einen Saal oder eine Wiese, die

zum Restaurant umfunktioniert werden können.

So zum Beispiel das Hochhausdach des Burger-

heims, von wo man über das Theatergelände und

die Stadt eine wunderbare Aussicht hat.

Beratung und Reservation für Gastronomie:

Telefon 031 307 66 80.

■ Es ist Sommer und heiss. Ich will ins Mar-

zili. Drückender als die Grosswetterlage ist aber

der Redaktionsschluss. Statt passivem Aare-Ab-

wärtstreiben steige ich die Nydegg-Treppe hoch.

Oben angekommen klebt das T-Shirt an Rücken und

Bauch. Der Zwölfi -Bus kommt nicht. «Sch... Bahn-

hofsumbau», brummt ein älterer Herr. Ich nicke.

Dann kommt z’Zwölfi : aussen rot und innen heiss.

«Zentrum Paul Klee». Ich steige aus und melde

mich an der Rezeption. Zusammen mit dem Kurator

Dr. Michael Baumgartner betrete ich den Ausstel-

lungsraum. Mehrere Menschen lachen irgendwo im

hinteren Ausstellungsbereich. «Die sind beim Chap-

lin.» Aha. Lachen aus einer ganz anderen Richtung.

Ich bin irritiert. Ich glaubte, fröhliche Menschen

seien an Hundstagen nur in Freibädern anzutreffen.

Nach einer kurzen Einführung verabschiedet sich

Dr. Baumgartner. Ich stehe verloren zwischen den

Bildern, Videos usw. Wo soll man bloss anfangen?

Auf gut Glück stelle ich mich vor einen Bildschirm.

«Kasperletheater aus dem Jahr 1984.» Ich ziehe die

Ohrhörer über und nehme mir vor, mich möglichst

bald zu verdünnisieren (bevorzugt Richtung Mar-

zili). Ich bin halt kein Museumsmensch, rede ich mir

ein. Der Kasper legt los. Er ist grotesk-komisch, ein-

fach zum Totlachen. Eine ältere Frau steht mit mir

vor der Kiste. Wir können uns beide kaum halten

vor Lachen. Urkomisch. Sowohl die Situation (im

Kleezentrum mit einer älteren Dame vor einem

Fernsehen sich einen ablachen) wie der Kasper (ge-

frässiges Krokodil frisst Kaspers Freund Fritz und

einen Schirm). Und dann erlebe ich so etwas wie

meine erste Museums-Katharsis. Wie ein Bienchen,

dass auf einer Wiese von Blümchen zu Blümchen

fl iegt, springe ich von zeitgenössischer Videokunst

zu Chaplin, von Chaplin zu Klees Handpuppen und

von da zu dessen Bildern und wieder zurück.

Begleitprogramm Die Programmverantwortli-

che für Theater, Ursula Frauchiger, hat das weit ge-

fasste Themenfeld der Ausstellung («Überall The-

ater») für das Begleitprogramm eingegrenzt. Im

Fokus des Begleitprogramms steht die Animation

von Figuren, oder sakral ausgedrückt, der «magis-

che Akt der Beseelung toter Materie».

Das klingt ein bisschen wie Hokuspokus. Das

Prinzip ist aber ziemlich alltäglich. Gegenstände

werden im Alltag ständig sinnentleert und mit einer

neuen Funktion versehen. Beispielsweise dieses en-

suite-Heft. Im Moment ist es ein Magazin. Es kann

zusammengerollt auch als Fliegenklappe genutzt

werden. Oder man kann sich Notizen auf den Um-

schlag schreiben und es so als Notizheft brauchen.

Dieses Phänomen ist ein wichtiges Prinzip des

(klassischen) Theaters. Schauspieler Hans Muster

ist auf der Bühne nicht Hans Muster. Während der

Vorstellung ist seine Identität als Privatperson aus-

gelöscht. Er nimmt eine neue Identität, etwa jene

von Hamlet, an. Im Fokus des Rahmenprogramms

zu «Überall Theater» stehen aber nicht Schauspiel-

er, sondern Gegenstände. Auch Kartoffeln, Puppen

usw. können die Theaterfi guren verkörpern.

Als Theaterzuschauer kennt man normalerweise

lediglich die Aufführung, d. h. das fertige Produkt.

Die Produktion selbst bleibt einem meist vor-

enthalten. Man sieht zwar das Sosein von Bühnen-

fi guren, aber nicht, wie sie geworden sind. Das Rah-

menprogramm bietet Zuschauern die Möglichkeit,

mitzuverfolgen wie Bühnenfi guren entstehen.

Siehe Ausstellungskritik S. 35 im artensuite.

Weitere Infos: www.zpk.org.

BÜHNE

hundstage mit kleeVon Michael Imoberdorf - Sonderausstellung «Überall Theater» mit

Begleitprogramm im ZPK

Bild: Puppentheater mit zwei Kasperlefiguren: Der Teufel und Der Kasperl, 1916 (die Figuren wurden zusammen mit Rahmen und De-koration 1945 bei einem Fliegerangriff zerstört), um 1924, Foto-graf: Felix KleeZentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Familie Klee

veranstaltungen

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 11

AUSBLICK BÜHNE

■ Wir stellen hier zwei Produktionen aus dem

Begleitprogramm zur Sonderausstellung «Überall

Theater» des Zentrums Paul Klee vor. Improvisa-

tionen sind vergleichbar mit öffentlichen Proben

und bieten einen spannenden Einblicke in die Ent-

stehungsgeschichte von Theaterproduktionen.

Aus den Improvisationen heraus werden Stücke

entwickelt, die später in ganzer Länge gezeigt

werden.

Theater Handgemenge und KASOKA, Berlin

Maler Kasper

Figurenstück mit nachgebauten Handpuppen

von Paul Klee

■ Ein Maler steht vor seiner Staffelei und wird

ständig in der Arbeit unterbrochen. Besucher

stellen sich ein: Muse, Zeitgeist, Kritiker, Epigo-

ne, Tod und Teufel. Alle kommen sie vorbei und

verwickeln den Maler in ihre Geschichten, fordern

ihn heraus oder verführen ihn. Der Maler ist in der

Rolle des Kaspers gefangen, nur durch List ge-

lingt es ihm, seine Haut zu retten. (mi)

Improvisationen: 31. Juli bis 11. August (mit Mu-

seumsticket frei!)

Aufführungen: 8., 10. und 11. August um 17:00 h so-

wie 9. August um 20:00 h im Seminar Nord II

hermesdance, Bern

In der grünen Ecke des Kreises

Tanztheater mit Rekonstruktionsfragmenten aus

der Bauhausepoche

■ Karin Hermes orientiert sich für ihre Tanzthe-

aterproduktion «In der grünen Ecke des Kreises»

am interdisziplinären Diskurs, wie er auch für das

Bauhaus üblich war. Aus der Jetzt-Zeit und mit

heutigen Mitteln werden Rekonstruktionsfrag-

mente aus dem Triadischen Ballett (Choreografi e

Oskar Schlemmer), dem Solotanz von Gret Paluc-

ca, dem Stabtanz und dem Circus der Bauhaus-

bühne entweder historisch authentisch integriert

oder dekonstruiert. Die Rekonstruktionen basie-

ren auf der Recherche von Dokumenten und No-

tationen aus dem Zentrum Paul Klee, der Akade-

mie der Künste Berlin, der Universität Köln und

aus den Tanzarchiven Leipzig und Köln. (mi)

Improvisationen: 1. – 5. August zwischen 14:00

und 16:00 h im Forum (mit Museumsticket frei!)

Uraufführung: 11. September um 20:00 h. Wei-

tere Aufführungen: 12. und 13. September um

20:00 h

Tickets unter www.kulturticket.ch oder an

der Museumskasse

■ Hauptamtlich arbeitet Franziska Buser als

Produktmanagerin einer grossen Schweizer Firma.

Diesen Mai hat sie sich in die Terra incognita des

Kulturmanagments schweizerischer Kleinkunst

vorgewagt und in Eigenregie das Kulturfestival

«Begegnung im Wartsaal 3» auf die Beine ges-

tellt. Auf diverse Beine: Im Wartsaal am Helvetia-

platz begegnen sich vom 20. bis zum 25. August

die Tänzerinnen Franziska Buser und Regula Zoll,

der junge Zürcher Literat Matthias Amann, der

Berner Singer und Songwriter Matt, die tanzende

Querfl ötistin Isabel Lerchmüller und der Fotograf

Martin Bichsel, der die Ausstellung «Bous al Mar»

über das berühmte Stierfest im gleichnamigen

spanischen Ort zeigt.

Unterscheidet sich die Arbeit in der Büro-

welt von derjenigen mit Künstlern?

Die Mechanismen von Kultur- und Produkt-

managment ähneln sich im Grunde stark, doch

unter Künstlern gelten andere Regeln als im

Büro. Beispielsweise sind die Leute schlechter er-

reichbar, und man trifft sich auch mal um elf Uhr

abends, was im Büroalltag unvorstellbar ist.

Tanz, Literatur, Fotografi e und Musik unter

einem Dach - ist das nicht zu viel des Guten?

Ich hegte schon lange den Wunsch, ein Festival

zu organisieren, bei dem sich verschiedene For-

men der Kunst begegnen. Diese Begegnung soll

Verbindungen zwischen den Künsten entdecken,

aber auch Spannung erzeugen. Zudem kann so

ein breiteres Publikum angesprochen werden. Für

den Besucher hat dieses Konzept den Vorteil, dass

er sich nicht entscheiden muss, ob er eine Ausstel-

lung anschauen oder doch eher ein Konzert an-

hören will.

Der Wartsaal erscheint gar klein für solch

ein Projekt.

Als ich den Wartsaal zum ersten Mal sah,

dachte ich sofort: Hier könnte ich meine Idee

eines Begegnungsfestivals umsetzen. Trotzdem

zweifelte ich plötzlich, ob der Raum nicht doch zu

klein ist. Ich bin dann immer wieder vorbeispaziert

und habe «ineglüsslet» und mich immer mehr in

den Wartsaal verliebt. Wie viele Menschen unter-

schiedlichster Art sind sich hier schon begegnet?

Unzählige fl üchtige und sicherlich auch intensive

Begegnungen haben diesen Ort geprägt. Daher

verkörpert der Wartsaal das Begegnungskonzept

des Festivals ideal. Zudem sehe ich die be-

schränkte Grösse nun eher als Vorteil: Auf engem

Raum begegnet das Publikum den Künstlern un-

mittelbarer.

Und wie «begegnen» sich die einzelnen Kün-

ste?

Die Künstler begegnen sich einerseits örtlich:

Die Wartsaalbank wird dabei vermittelnd wirken.

Andererseits vereinen sich auch verschiedene

Künste: Isabel Lerchmüller spielt in der «Chorea

für eine tanzende Flötistin» von Christian Henking

Querfl öte, während sie tanzt; Regula Zoll und ich

tanzen zu Texten von Matthias Amann.

Tanzen zu Text?

Genau. Text hat einen eigenen Rhythmus, ein-

en Takt wie Musik.

Wirst Du dem Berner Publikum zukünftig

weitere Begegnungen mit Kunst ermöglichen?

Mit der «Begegnung im Wartsaal 3» spreche

ich die Besucher auf verschiedenen Sinnesebenen

an. Ein Traum wäre, ein Festival zu organisieren,

das gleichzeitig weitere Sinne einbezieht. Der

Riechsinn könnte dabei mit Düften angeregt, der

Tastsinn mit weichem Lehm, aus dem sich Statuen

formen lassen, angespornt werden!

Deine zukünftige Berufung scheint im Kul-

turmanagement zu liegen…

…, was ich mir tatsächlich sehr gut vorstellen

könnte. Mein Ziel wäre es dann, Veranstaltun-

gen ohne staatliche Unterstützung auf die Beine

zu stellen. Vielleicht könnte ich dazu ja sogar

die Kontakte einsetzen, die ich momentan in der

Wirtschaft knüpfen kann.

BÜHNE

«unter künstlern gelten an-dere regeln als im büro»Von Claudia Badertscher - Interview mit Franziska Buser, Organisatorin des

Festivals «Begegnung im Wartsaal 3» Bild: Claudia Badertscher

veranstaltungen

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 0712

literatur

Der Sommerhit 2007

Richard Ford: Die Lage des Landes. Roman. Aus

dem Amerikanischen von Frank Heibert.

■ Was 2002 «Die Korrekturen» von Jonathan

Franzen, 2003 «Middlesex» von Jeffrey Eugenides

war, ist dieses Jahr «Die Lage des Landes» von

Richard Ford, nämlich der literarische Sommerhit,

der anders als der musikalische stets aus Übersee

zu kommen scheint.

Und wie bei seinen Vorgängern handelt es

sich auch bei dem vorliegenden um einen höchst

umfangreichen Roman, der nichtsdestotrotz oder

vielleicht gerade deshalb den Weg an viele Strände

und Badeanstalten fi nden wird.

Ford, welcher mit «Die Lage des Landes» seine

vor bald zwanzig Jahren begonnene Frank- Bas-

combe-Triologie («Der Sportreporter», «Unabhän-

gigkeitstag») abschliesst, wird für sein neuestes

Werk nicht nur mit Lorbeeren überschüttet. Von

verschiedenen Seiten wird ihm Langatmigkeit,

gar Ereignislosigkeit vorgeworfen. Und tatsächlich

glänzt der Plot nicht eben mit Ereignissen.

John Updikes «Rabbit» nicht unähnlich, wenn

auch deutlich intellektueller, mimt Bascombe den

Durchschnittsamerikaner, welcher es als Makler zu

einem mehr als nur bescheidenen Erfolg gebracht

hat. Nun, gezeichnet von Prostatakrebs, von sei-

ner zweiten Ehefrau Sally nach Wiederauftauchen

deren ersten, bereits für tot erklärten Ehemann

Wally aufs Schmächlichste verlassen, gibt Frank

nicht etwa klein bei, sondern stellt sich seinem

Schicksal in Form des alltäglichen Lebens mit des-

sen ganz alltäglichen Aufgaben in den drei Tagen

erzählter Zeit vor Thanksgiving. Sei es auf der Be-

erdigung eines Freundes, im Gespräch mit seiner

Exfrau, in einer Lesbenbar oder in der Umklamme-

rung seines Sohnes Paul, bei Verkaufsgesprächen

mit potenziellen Käufern, in der Kontemplation mit

seinem tibetischen Mitarbeiter Mike, es ist stets

ein Vergnügen, Frank Bascombe zuzusehen. Und

am Ende ereilt ihn sogar so etwas wie ein Happy

End, wenn es auch zunächst ganz anders scheint.

Wer Ford live erleben möchte hat am 11. sowie

14. August anlässlich der Salzburger Festspiele Ge-

legenheit dazu. (sw)

Ford, Richard: Die Lage des Landes. Roman. Aus

dem Amerikanischen von Frank Heibert.

Berlin Verlag 2007. ISBN 978-3-8270-0065-1.

Plagiate und Liebe

Jonathan Lethem: You Don’t Love Me Yet. Roman.

■ Der 1964 geborene Jonathan Lethem ist, wenn

auch ein Grossteil seiner Romane in deutscher

Übersetzung vorliegen, in Europa immer noch

nicht hinlänglich bekannt.

Um den Lesern Lethems Werk näherzubringen,

scheint sein neuester Roman besonders geeignet,

hier kehrt er zum Setting seiner frühen Werke zu-

rück. Nicht das dunkle New York bietet den Rah-

men für diesen wesentlich fröhlicheren Roman

- im Vergleich etwa zu «Motherless Brooklyn» -,

sondern die Sonnenstube Kalifornien.

Lucinda und Matthew, beide Mitglieder einer

namenlosen Band, verbindet eine amour fou, der

sie sich beide zu entziehen versuchen. Als Lucin-

da im Kunstprojekt ihrer einstigen Collegeliebe

Falmouth, wo sie Beschwerdeanrufe in einer mög-

lichst neutralen Weise zu beantworten hat, auf

Carlton Vogelsong trifft, erlebt nicht nur ihr per-

sönliches, sondern auch das Schicksal der Band

einen Wendepunkt.

Sind es zunächst Vogelsongs Formulierungen,

welche sie betören, ist es bald auch dessen Person

selbst, die sie in ihren Bann schlägt. Sie wird zu

seiner Bettgespielin, wo sie sich einerseits seiner

oft herrischen Art unterwirft, andererseits seine

magischen Worte an den schreibblockierten Song-

schreiber Bedwin Greenish der Band weiterleitet.

Dieser kreiert daraus Songs, die der Band zumin-

dest zu einem lokalen Erfolg verhelfen. Insbeson-

dere der Song «Monster Eye» wird von der, wenn

auch kleinen, so doch stetig wachsenden Fange-

meinde positiv aufgenommen.

Eine Referenz an seinen ersten Roman «Gun,

with Occasional Music», mit welchem ihm seiner-

zeit der Durchbruch gelang, ist das Känguruh,

welches der Leadsinger der Band, Matthew, der

tagsüber in einem Zoo arbeitet, aus Mitleid für des-

sen offensichtliche Langeweile bei sich zu Hause in

der Badewanne beherbergt. Nebst derart skurrilen

Protagonisten ist der Roman aber vor allem eine

herzerwärmende Liebesgeschichte. (sw)

Lethem, Jonathan: You Don’t Love Me Yet. Roman.

Faber and Faber. United Kingdom 2007. ISBN 978-

0-571-23562-9. Auf Deutsch ist der Roman unter

dem Titel «Du liebst mich, du liebst mich nicht»

beim Tropen Verlag Berlin erschienen.

Winterliche Jagd

Sjon: Schattenfuchs. Roman. Aus dem Isländischen

von Betty Wahl.

■ Sjon, mit bürgerlichem Namen Sigurjon B. Si-

gurdsson, legte mit süssen fünfzehn Jahren seinen

ersten Lyrikband vor und ist bis heute ein Tausend-

sassa geblieben, der nicht nur als Texter für Björk

von sich reden macht, sondern auch für das Dreh-

buch von «Dancer in the Dark» von Lars von Tri-

er mitverantwortlich zeichnet. 1987 legte er nach

mehreren Lyrikbänden seinen ersten Roman vor.

Das nun in Deutsch erschienene Werk «Schat-

tenfuchs», welches bereits 2004 auf Isländisch

erhältlich war, mag zwar ein dünner Band sein,

verzaubert jedoch in seiner Mischung aus Prosa

und Lyrik, der Verwebung von Mystischem und Re-

alem.

In einem kalten isländischen Winter Ende des

19. Jahrhunderts begibt sich ein Pastor namens

Baldur auf die Fuchsjagd, während der er nicht nur

den Naturgewalten zu trotzen hat, sondern auch

einer listigen schwarzen Füchsin kaum beizukom-

men weiss.

Zur selben Zeit bereitet Friorik für seine liebe

Abba die letzte Reise vor. Abba, geistig behindert,

wurde vor Jahren aus einem Schiffswrack gebor-

gen und wurde zunächst wie ein Tier in einem

Käfi g gehalten, bis sie Friorik zu sich nach Hause

nahm, in ihr den Menschen erkennend.

Anders als Baldur, der sich als über der Natur

stehend empfi ndet, ist Pfl anzen-Friorik eins mit

den Elementen, dessen Bewunderung für das Werk

der Natur auch vor dessen Abnormitäten nicht halt

macht.

Sjons Wintergedicht mag etwas unpassend sein

im Sommer, in Anbetracht der momentanen Wech-

selfälle des Wetters scheint jedoch auch ein plötz-

licher Wintereinbruch nicht allzu fern.

Seine Wortbilder, die uns die unendlichen Wei-

ten des Inselstaates Island ahnen lassen, entführen

uns in eine Welt fernab der Errungenschaften der

Zivilisation und sind ganzjährig von besonderem

Reiz. (sw)

Sjon: Schattenfuchs. Roman. Aus dem Isländischen

von Betty Wahl. S. Fischer Verlag. Frankfurt am

Main 2007. ISBN 978-3-10-075120-1.

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 13

Von Alther&Zingg

«WIE SEHR WIR AUCH ALS NATUR- UND KULTURWESEN IN DIE UNAB-SEHBAREN PROZESSE DER WIRK-LICHKEIT EINGEBUNDEN SIND: WIR HABEN DARIN DANN UNSERE FREI-HEIT, WANN IMMER WIR ETWAS VON SELBST ANFANGEN.»Volker Gerhardt, 1999

■ Die Wirklichkeit: Ein Begriff, der uns Menschen

begleitet, defi niert wird, revolutioniert wird, neu

besetzt wird. Ob wir uns nun als Geschöpfe oder

als Schöpfer verstehen und begreifen, die Wirk-

lichkeit bleibt letztendlich vage und eine Frage

des Moments, der Kultur und der eigenen Wahr-

nehmung. Ihretwillen sind Kriege geführt, Köpfe

gerollt und Menschen in ihren elementaren Be-

dürfnissen eingeschränkt worden. Aber auch die

Freiheit, die viel gelobte, zeigt sich in verschie-

denen Facetten. Sei’s als Lebensgefühl der Unab-

hängigen, sei’s als politisches Gut der französisch

oder sonst wie revolutionierten Gesellschaften.

Filosofen setzen sich mit der Frage auseinander,

was die Wirklichkeit und die Freiheit ausmachen,

wie sie defi niert werden. In der Meinung Gerhardts

stellt die Wirklichkeit den Rahmen unseres Daseins

dar. Die Freiheit hingegen ist das Produkt unserer

selbst initiierten Handlungen. Dadurch werden wir

zu freien Radikalen innerhalb des Rahmens Wirk-

lichkeit, werden selbsterkennend über das Selbst-

bewusstsein zur Selbstverwirklichung fi nden.

«Das Ich ist der Souverän seiner eigenen Akte»,

schreibt Gerhardt. Vernunftbegabung als Fetisch

des modernen Menschen, kann man denken. Oder

doch eher ein Appell an jeden Einzelnen von uns,

sich seine Freiheiten, seine Wirklichkeit selber zu

schaffen, sich aus der Umklammerung der Ideen,

Instinkte und Triebe zu lösen? Was macht die indi-

vidualisierte Gesellschaft aus? Gibt es Kategorien

des Individualismus, beispielweise eine materielle,

spirituelle oder intellektuelle? Fragen im Span-

nungsfeld von Wirklichkeit und Freiheit. Etwas an-

fangen heisst auch, Bestehendes und Bekanntes

hinter sich zu lassen oder neu zu ordnen. Dies als

Preis für die Freiheit. Die Selbstverwirklichung zu

akzeptieren fällt nicht immer leicht, das Resultat

der eigenen Selbstanfänge liegt oft im Dunkeln.

Aber so kommt der Mensch als Individuum weiter

im Leben, erfährt sein Selbst und seine Umwelt

neu.

In diesem Sinne: Nehmen Sie sich die Freiheit,

fangen Sie etwas von selbst an und teilen Sie uns

Ihre Gedanken zum Thema doch gleich mit! Sie

können dies am Mittwoch, 29. August ab 19:00

Uhr im Tonus Musiklabor an der Kramgasse 10

tun. Alther&Zingg freuen sich auf Sie.

FILOSOFENECKEveranstaltungen

■ Nachdem in den neunziger Jahren Bands und

Projekte wie The Prodigy, The Chemical Brothers

oder Daft Punk Massstäbe in massentauglicher

elektronischer Musik setzten, dauerte es eine

ganze Weile, bis der letzte Schrei wieder einmal

im Computer-Lager gefunden wurde. 2007 ist

nun dieser Moment, in dem eigentliche Under-

groundphänomene wie das französische Label Ed

Banger mit Produzentenduos wie Justice auch in

der Tagespresse eine breite Plattform erhalten.

Als Katalysator dienen zudem junge Rockbands,

die elektronische Spurenelemente einsetzen und

so den leuchtstäbeschwenkenden New Rave erfan-

den.

New Rave soll Lifestyle sein, bei dem der Mut

zur Hässlichkeit in Sachen Modefragen für Aus-

senstehende als treibende Kraft erscheint. Und

es ist lustig, dass in diesem Kontext ein Abend

des traditionellen Dampfzentrale-Sommerfoyers

die zu Kindheitszeiten heissgeliebten Nintendo-

Compüterli und andere trashige Arcade-Games

aus der Versenkung holt: Die Teamtendo-Band aus

Paris wird am 12. August zur Pixeljagd aufspielen,

hofi ert von den omnipräsenten Round Table

Knights.

Neben der Berne-Beats-Eröffnungsnacht mit

der fast kompletten städtischen DJ-Prominenz

treten im Sommerfoyer auch minimale Techno-

Produzenten wie Agnès auf. Überraschend dürfte

auch der Abend mit Kalabreses Rumpelorchester

werden. Der Zürcher Produzent, Clubbetreiber

und Schlagzeuger Sacha Winkler alias Kalabre-

se wird sein vielgelobtes Album «Rumpelzirkus»

(Stattmusik) mit Liveband umsetzen. Die Platte

ist eine sorgfältig aufgebaute und geschlossene

Liedersammlung, einsetzbar für die unterschied-

lichsten (Club-)Stimmungen: Hier der klamau-

kige Beginn von «Öisi Zuekunft», der unmerklich

in organischen Minimal-House-Funk umschlägt

über das karge introvertierte «Heartbreak Hotel»

bis hin zum ausgelassenen Bläsersatz von «Auf

dem Hof». Kalabrese funktioniert Alltagsinstru-

mente zu Klangquellen um, zelebriert mit seinem

Stimmeinsatz seine nicht vorhandenen Qualitäten

als Sänger und zeigt, dass er sich selbst nicht zu

ernst nimmt, wie auch der Track «Aufm Klo» un-

terstreicht. Der kontrolliert verspielte «Rumpel-

zirkus» des Kalabrese kommt ohne billige Effekt-

hascherei, ohne grosse Gesten und ohne kurzle-

bige Trendhörigkeit aus – ein sehr cooles Album.

Dampfzentrale: Sommerfoyer 9.8. – 18.8, u. a. mit

Teamtendo (10.8.), Marco Repetto (15.8.) Agnès

(16.8.), Kalabreses Rumpelorchester (17.8). Kom-

plettes Programm: www.dampfzentrale.ch

Sommerclubbing bietet auch das Wasserwerk

mit Summer In The City bis am 18.8. Programm auf

www.wasserwerkclub.ch

SZENE

im klubVon Benedikt Sartorius

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 0714

■ Das Programm auf einen Blick: Je ein Sinfo-

niekonzert für die Wiener Komponisten Haydn,

Mozart, Beethoven, Schubert und für die Wien

nahe stehenden Deutschen Johannes Brahms und

Richard Strauss sowie eine Walzergala zum K&K-

Abschluss.

Wien bleibt aber nicht nur Wien. Der Auftakt

kommt vom Ostrand der Donaumonarchie: Die

Berner Gruppe Klezmer Pau Wau spielt sich mit

Musik aus dem Ursprung Europas in die Herzen des

Publikums (13./14./15.8., je 19:30 h).

Offen für Neues Ebenfalls eine östliche Spra-

che reden die Konzerte Offen für Neues, einmal

mit Werken von Bohuslav Martinu zu Texten von

Kafka (18.8., 17:00 h), einmal mit neuerer ser-

bischer Musik zu Texten von Ivo Andric und Miros-

lav Krleža (25.8., 17:00 h). Der Schauspieler Ulrich

Beseler und der Flötist Kaspar Zehnder treten mit

tschechischen (Jan Reznícek, Eduard Spácil) bzw.

serbischen KollegInnen (Misa Stefanovic, Deana

Patakovic) auf.

Ein besonderes Spannungsfeld entsteht im Pro-

gramm mit Maya Homburger (Barockvioline) und

Barry Guy (Kontrabass), welches Ignaz Franz Bi-

bers Rosenkranz-Sonaten, ein epochales Werk für

Violine solo, in zeitgenössisch improvisierenden

Kontext stellt (1.9., 17:00 h).

Ein Familienkonzert am See (1.9., 15:00 h) folgt

den Spuren Erich Kästners und Till Eulenspiegels,

zwei unterschiedlichen Schelmen der Weltlitera-

tur.

Kammermusik Angeführt von einer prominent

besetzten Aufführung von Franz Schuberts Oktett

(Paetsch, Kolly, Magnenat, Demenga, Khatcha-

tryan, Siegenthaler, Chenna und Darbellay 21.8.,

20:00 h) lenken auch die Kammermusik-Konzerte

den Blick immer wieder von Wien nach Osten:

Unter dem Motto «Donau abwärts» bringen Ana

Ioana Oltean (Flöte) und Simon Bucher (Klavier)

Werke von Beethoven, Bartók, Lipatti u. a. zur Auf-

führung (26.8., 17:00 h) und das Talich Quartett

stellt Mozarts «Jagdquartett» Kammermusik von

Kalliwoda und Dvorák gegenüber (2.9., 17:00 h).

Wiederum Dvorák, diesmal aber in Kombinati-

on mit Brahms (Liebeslieder-Walzer) und seinem

Schweizer Zeitgenossen Hans Huber ist im Vokal-

konzert mit Maria C. Schmid, Liliane Zürcher, Jan

Martin Mächler, René Perler sowie dem Klavierduo

Dominique Derron und Pius Urech zu hören (19.8.,

17:00 h).

Artist in Residence: Nemanja Radulovic

Mit Spannung erwartet werden die Konzerte des

diesjährigen Artist in Residence. Das Beethoven-

Konzert ist bereits ausverkauft. Für seine fulmi-

nanten Auftritte wurde Nemanja Radulovic bereits

mehrfach ausgezeichnet. Seit seinem Einspringer

für Maxim Vengerov 2006 öffnen sich dem 1985 in

Serbien geborenen Geiger alle Türen. (Rezital mit

Laure Favre-Kahn 2.9., 11:00 h, Sommernachtskon-

zert mit Solowerken von Bach, Ysaye und Miletic

28.8., 21:45 h).

Valiant Forum Die Förderung junger Talente

hat an den Murten Classics Tradition: Das Orchestre

des Jeunes de la Suisse Romande, das Jugendsin-

fonieorchester Aargau und der Jugendchor «molto

cantabile» aus Luzern sind die diesjährigen Gewin-

ner am Valiant Forum, um ihren defi nitiven Platz in

der Rangliste spielen und singen sie anlässlich des

Preisträgerkonzertes (28.8., 20:00 h).

Mozart im Schlosshof Die Kulisse des mittelal-

terlichen Schlosses und der Blick auf See und Jura

stehen seit den Anfängen der Sommerfestspiele

Murten im Zentrum des Festivals und garantie-

ren ein Fest für Ohr und Auge. Ebenfalls auf die

Anfänge zurück geht die Idee der Mozartserena-

den, welche in zwei Konzerten aufgegriffen wird.

In beiden Programmen stehen Werke im Zentrum,

welche Mozart in Wien geschrieben hat. Die Kla-

vierkonzerte KV 413-415 (mit Andrea Bacchetti und

der Cappella Istropolitana, 29.8., 20:00 h) und die

«Gran Partita» für 12 Bläser und Kontrabass (mit

der Sinfonietta Cracovia unter Kaspar Zehnder

22.8., 20:00 h).

Sommernachtskonzerte Im Park des Hotel

Vieux Manoir fi nden spätabends Sommernachts-

konzerte statt. Michaela Paetsch Neftel / Wieslaw

Pipczynski (29.8., 21:45 h) und Nemanja Radulovic

(28.8., 21:45 h) verneigen sich je in einer Hommage

vor Fritz Kreisler, das Klavierduo Soós-Haag führt

im Wiener- und im Böhmerwald spazieren (21.8.,

21:45 h), und Solisten der Sinfonietta Cracovia

spielen «Eine kleine Nachtmusik» und die Serenata

notturna von Mozart sowie Schönbergs «Verklärte

Nacht» (22.8., 21:45 h).

Und übrigens! Und vergessen wir nicht die Sin-

foniekonzerte im Schlosshof, die bereits eingangs

erwähnt wurden: z. B. Schubert mit Kaspar Zehn-

der, Brigitte Engerer (Klavier) und der Prague Phil-

harmonia (16.8., 20:00 h). Oder das Oboenkonzert

von Richard Strauss, 1945 für die Tonhalle Zürich

geschrieben und von Thomas Fuchs, ihrem gegen-

wärtigen Solo-Oboisten, gespielt (18.8., 20:00 h).

Oder Haydns «Jahreszeiten» mit Anne-Florence

Marbot, Clemens Löschmann, Dominik Wörner und

dem Schweizer Kammerchor (1.9., 19.00 h). Oder

die Walzergala zum Schluss und zum Auftakt für

«2008: 20 Jahre Murten Classics». (2.9., 20:00 h).

Weitere Informationen zu genauen Aufführungs-

orten und Programmen sowie Reservationen unter

www.murtenclassics.ch, Tel 0900 325 325, Infos

auch unter 079 408 37 61.

KLASSISCHE MUSIK

donau abwärtsVon Kaspar Zehnder - Zum Programm der Murten Classics (13. August – 2. September) Bild: zVg.

musik

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 15

musik

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IDEALE modeim Kellergeschäft

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SPEZIAL:

SCHLAFSÄCKE

AUS SEIDE

Kultur Casino Bern

Mittwoch, 26. September 2007, 19.30 Uhr

Slowakische Philharmonie und ChorVladimir Valek, LeitungBohuslav Martinu, Carl Orff

Montag, 22. Oktober 2007, 19.30 Uhr

Nationale Philharmonie RusslandV. Spivakov, Leitung - Nikolai Tokarev, KlavierProkofjew, Schtschedrin, R. Strauss, Schostakowitsch

Mittwoch, 28. November 2007, 19.30 Uhr

Orchestre Philharmonique de LiègePascal Rophé, Leitung - Schweizer KlaviertrioBizet, Daniel Schnyder (Uraufführung), Saint-Saëns

Montag, 28. Januar 2008, 19.30 Uhr

Residentie Orkest Den HaagNeeme Järvi, Leitung - Egils Silins, BaritonWagner, R. Strauss

Sonntag, 16. März 2008, 19.30 Uhr

Ural Philharmonic OrchestraDmitrij Liss, Leitung - Lylia Zilberstein, KlavierMussorgskij/Leopold Stokowski, Prokofjew

Sonntag, 18. Mai 2008, 19.30 Uhr

St. Petersburger PhilharmonikerYuri Temirkanov, LeitungSchostakowitsch

Abonnemente sind noch erhältlich bis 24. August. Preise: Fr. 102.-- bis 432.--. Auskunft über Tel. 031 859 77 43 oder e-mail: [email protected].

Konzept und Realisation Migros-Kulturprozent

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 17

musik

KONZERT-RÜCKBLICKMontreux Jazz FestivalDas diesjährige 41. Montreux Jazz Festival fand

vom 6. bis 21. Juli statt.

Wilco

■ Trotz widrigen Umständen – der Saal war be-

stuhlt und in ein Zweiklassensystem aufgeteilt,

die Atmosphäre glich einer Samstagabendshow-

Fernsehaufzeichnung – spielte die Chicagoer Band

Wilco als «Opening Act» (!) für Tori Amos das ver-

meintliche Konzert des Jahres. Das Sextett rund

um den Songwriter Jeff Tweedy, der bereits mit

seiner alten Band Uncle Tupelo stilbildend für den

sogenannten Alternative Country in Erscheinung

trat, spielte sich durch ein Set, das den Schwer-

punkt auf die neueste Veröffentlichung «Sky Blue

Sky» legte. Diese für Wilco-Verhältnisse konven-

tionelle Liedersammlung, die zunächst gar banal

anmutet und erst beim wiederholten Hördurch-

gang ihre Feinheiten freilegt, besticht durch erha-

bene Schönheit, durch Spielfreude und raffi nierte

Einfachheit, hinter der sich das Komplexe ver-

birgt.

Die Liedoberfl ächen befi nden sich bei Wilco in

ständigem Wandel. Ein Song wie «Via Chicago»

erschien im Konzert zunächst als Ballade, ehe der

Schlagzeuger Glenn Kotche und der Gitarrist Nels

Cline konspirative Blicke austauschten und in ein

wildes Noise-Inferno einstimmten, um wieder zur

Stille zurückzufi nden. Ein berührender Moment,

der für immer bleiben wird, wie auch der repe-

titive Scheunenstürmer «Spiders (Kidsmoke)»,

der den 75-minütigen Auftritt beschloss und den

Ausnahmestatus dieser einzigartigen Band nach-

haltig unterstrich. (bs)

CDs: Sky Blue Sky (Nonesuch / Warner)

Kicking Television – Live In Chicago

Rufus Wainwright

■ Spätestens die beiden grössenwahnsinnig or-

chestrierten und brillanten «Want»-Alben katapul-

tierten den selbsternannten Gay Messiah an die

Oberfl äche einer jüngeren Songwriter-Genera-

tion, die zu unterschiedlich ist, um sie auf einen

gemeinsamen Nenner zu bringen. Der Opernlie-

bhaber Rufus Wainwright betrat die kleine Mon-

treux-Halle in bayrischen Lederhosen, die sieben-

köpfi ge Begleitband schmetterte das broadway-

hafte Titelstück seiner jüngsten Platte «Release

The Stars» in den Raum, das grosse Entertainment

nahm seinen Lauf. Die Show – mit Selbstironie

und dem Spiel mit schwulen Codes durchzogen –

wechselte von stillen Judy-Garland-Interpreta-

tionen in musicalhaften Pomp über und gipfelte

in einem dilettantischen Tanz, während sich der

stimmlich verausgabte Wainwright in Frauenklei-

der kleidete und zum Schluss, genau, «Gay Messi-

ah» anstimmte. (bs)

CD: Release The Stars (Geffen/ Universal)

■ Reverend Beat-Man, Gründer und Vorsteher des

weit über die Landesgrenzen hinausausstrahlenden

Labels Voodoo Rhythm, ist ein Adept der Trash-

Kultur und destilliert seinen scharfen Brand aus B-

Movies, Wrestling, Science-Fiction, Rock’n’Roll und

dem Wanderpredigertum. Er zelebriert den Dilet-

tantismus, bezeichnet sich mit voller Überzeugung

als «Nichtkönner» und entlarvt sich als Tief- oder

eben doch als Hochstapler, der mit grossartigen

Veröffentlichungen den rohen, primitiven Blues seit

Jahren predigt – sei dies in seiner früheren Rolle als

Lightning Beat Man, sei dies als Gitarrist und Sän-

ger der irren The Monsters oder im Verbund mit der

Industrial-Truppe Herpes Ö Deluxe. So überrascht

es kaum, dass auch die neue Platte nur eines ist:

umwerfend – und vielfältiger als je zuvor. «Surreal

Folk Blues Gospel Trash Vol. 1» heisst diese, trägt

der Einfachheit halber einzelne Komponenten des

Beat-Man-Gegenuniversums gleich im Titel und

führt musikalisch weiter als der brillante, weit roh-

ere Vorgänger «Get On Your Knees».

Verlassener Cowboy Das Album beginnt mit

einem rollenden Delta-Blues: «The Clown Of The

Town» bringt den klagenden Beat-Man im Trio mit

Robert Butler an der Mundharmonika sowie den Ex-

Dead-Brother Delaney Davidson am Schlagzeug. Es

folgt die erprobte Ein-Mann-Band-Inkarnation. Der

Reverend stürzt sich in das arg verzerrte «I Belong

To You» und dampft das Gebräu zum Schluss in

eine reduzierte akustische Gitarre ein. Die Western-

Balladen «I’m Happy» und «Coco Grace» präsen-

tieren Beat-Man als verlassenen Cowboy im trä-

nenreichen Niemandsland, ehe wiederum mit Band

der rockende «Jesus Christ Twist» angestimmt

wird. Bedrohlich grollend beschwört der besessene

Prediger die Zuhörerschaft durch Lärmwände hin-

durch – der Teufelsritt dieser Platte.

Eine Türe öffnet sich knarzend, säuselndes Pfei-

fen wartet im hawaiianisch angehauchten Paradies

von «Our Girls», nur die Stimme kräht unnachahm-

lich weiter in rudimentärem Englisch mit Akzent. Ein

neues Leben soll begonnen, eine Familie gegründet

werden. Die Frau seines Lebens fi ndet sich schnell

im beschwingten Surf-Gitarren-Saloon von «Ano-

ther Day Another Live», der abrupte Abbruch des

Optimismus folgt auf dem Fuss, ein lebenserfah-

rener und gebrochener Reverend hat in «No Hope»

jegliche Hoffnung auf traute Zweisamkeit verloren.

Legendenbildung «I Wanna Know» ist ein schön

hinkender Rock’n’Roll-Kracher, neuerlich elegische

Stimmungen werden daraufhin angestimmt im von

einem Cello getragenen «One Fine Day»: Die unver-

gessene Verfl ossene wird besungen, irgendwann

wird sie zurückkommen, hoffentlich. Bei «Meine

kleine Russin» könnte der skurrile Finne M.A. Num-

minen Pate gestanden haben. Wie hier Beat-Man

– sekundiert von einer traurigen Mandoline – Sätze

wie «Lass uns Liebe machen am Strand und in dem

See» lüstern langzieht, ist ein komischer Höhepunkt

der Platte, der nur noch von seiner Lebensgeschich-

te zum Schluss übertrumpft wird.

Der 40-jährige bricht im siebenminütigen Jazz-

Shuffl e «The Beat-Man Way» selbstironisch seine

eigene Legende, warnt vor Drogenmissbrauch,

zeigt sich resistent gegen alle Autoritäten und gar-

niert die rastlose Geschichte mit einem von ame-

rikanischen Fernsehpredigern inspirierten Nahtod-

erlebnis. Natürlich wählt der Reverend weder Him-

mel noch Hölle, sondern antwortet kühl: «I don’t

give a fuck, I just do it the Beat-Man-Way!»

So geht die erste Folge der grossen, kontrast-

reichen und doch sturen Surreal-Folk-Blues-Gospel-

Trash-Liederersammlung in der Bar zu Ende, die

zweite Runde soll pünktlich zum Weihnachtsge-

schäft erscheinen. Was für ein Fest.

Surreal Folk Blues Gospel Trash Vol. 1 (Voodoo

Rhythm / RecRec) erscheint am 20. August.

Plattentaufe: 24. August, Dachstock, Reitschule

Bern.

SZENE

der beat-man-wayVon Benedikt Sartorius Bild: Daniel Desborough

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 0718

ECM listening post

Von Lukas Vogelsang

Sie wissen nicht [email protected]

musik

Editors – An end has a start

■ Ihr erstes Album «In The Dark Room» war eine

Überraschung und die Band hatte damit sogar ein

ebenso überraschendes Gastspiel in Bern. Mit «An

End Has A Start» haben die vier Engländer Tom

Smith (Vocals / Guitar), Chris Urganowicz (Guitar),

Russel Leetch (Bass Guitar) und Ed Lay (Drums)

ein fast ebenbürtiges Album nachgeworfen. Im di-

rekten Vergleich muss man allerdings dem Vorgän-

ger etwas mehr Charakter zubilligen. Dafür haben

die Editors mit dem zweiten Wurf ihren Stil klarer

herausgefi ltert und an der Soundhandschrift ge-

bastelt. Man muss sich an das Strickmuster jedoch

noch etwas gewöhnen. Die Arrangements sind

immer noch sehr gut, die melancholisch düstere

Singröhre von Leadsänger Tom Smith - er hat ein-

fach eine göttlich charismatische Stimme - durch-

dringen vor allem nach mehrmaligem Anhören des

Albums. Es hat mehr Kanten und Kratzer als zuvor.

Erstaunlich ist auch, dass einige Patzer auf der

Aufnahme geblieben sind: So gibt’s manchmal klei-

ne Unebenheiten in einigen Riffs, aber vor allem

Tom Smith fällt in einer wunderbaren Ballade fein

neben den Ton – und die Produzenten haben es be-

lassen. Damit fallen die Editors um ein vieles per-

sönlicher und nahbarer auf und der coole Chic von

rebellischen Designgitarreros kommt auf den Bo-

den. Der letzte Song «Well Worn Hand» entschul-

digt übrigens jede aufkommende Mainstreamlang-

weile. Reinhören! (vl)

www.editorsoffi cial.com

Im wunderschönen Monat Mai

■ Diese CD ist so was von daneben, dass nur noch

Kult übrig bleibt. Doch das ist richtig zu verstehen:

Zum einen wäre da der Titel: «Im wunderschönen

Mai – Dreimal sieben Lieder nach Schumann und

Schubert» – die CD kam im Juni heraus und im

August über diese CD zu berichten, hat was Gro-

teskes. Aber was kann man bei der Music Edition

«Winter & Winter» schon anderes erwarten – wobei

wir schon bei der zweiten Groteske wären. Diese

Edition hat schon viel von sich zu hören gegeben.

Eigenwillig sind die «Winters» ja – vor allem im

Sommer. Mit dem Mai-Werk geben sie eine Samm-

lung von herrlich schnulzigen Liedern von Robert

Schumann und Franz Schubert heraus – doch die

hat’s wirklich in sich. Barbara Sukowa (Gesang),

Reinbert de Leeuw (Piano) und das Schönberg En-

semble haben ganze 21 Juwelen auf CD gebrannt.

Kleine Kunstwerke, kleine Haar-zu-Berg-Steher.

Und die klingen ganz gut – einen gewissen Gla-

mour und Kitsch tut dem Wohnzimmer auf jeden

Fall gut. (vl)

www.winterandwinter.com

Jenny Chi – ChiBossa

■ Jung ist sie, die Jenny, schön ist sie auch,

kommt aus Zürich und eine Stimme hat sie– es ist

eine wahre Freude. Produziert wurde die CD von

Peter Bürli vom Radio DRS – Martin Pearson, der

schon für Queen und den Ex-Pink-Floyd Roger Wa-

ters im Studio stand, übernahm die Tontechnik.

Live - eben so, wie die meisten DRS-Aufnahmen

hergestellt werden – sind 13 ältere Bossa-Nova-

Stücke eingespielt worden. Der Sound ist brillant.

Für ein Debüt-Album ist es meisterlich gelungen,

das Konzept stimmt bis ins letzte Detail. Ruhig und

unkitschig, mit einer feinen unschuldigen Unsi-

cherheit, sensibel, ohne zerbrechlich zu scheinen

– so präsentiert sich sonst nur ein Stern. Der kaum

hörbare Akzent in Jennys Portugiesisch tut viel

Gutes für den Bossa. Er hilft der Rhythmik und hält

eine kühlwarme Distanz. Aber es ist nicht nur der

Charme von Jenny Chi – die hochkarätigen Musi-

ker, allen voran Ademir Candido (Gitarre) bringen

sehr viel mit ein. Michael Zismann (Bandoneon)

spielt bei einem Stück übrigens auch mit. Eine

wunderschöne Entschuldigung für den kaltnassen

Sommer. (vl)

www.jennychi.ch

Kleiner Tipp:Daliah

■ Wer nach dem Buskers-Festival von ihnen noch

nicht genug hat oder zum neuen Fanclub von Dali-

ah gehört, kann diese am 25. August am legendär-

en Murifeldfest nochmals auf der Bühne erleben.

Die sechs MusikerInnen haben sich im Spätsom-

mer 2006 zusammengefunden und spielen seit-

her ein musikalisches Potpourri zwischen Italien,

Frankreich, Deutschland, Schweiz und Südame-

rika. Reggae und Chanson werden mit Soul und

Funk gemischt, mit Blues- und Jazzteilen gewürzt.

Der Sound ist unaufdringlich cool und klingt span-

nend - für eine so junge Band ist ein interessanter

Mix entstanden, der diesem wässrigen Sommer

mit ein paar Streicheleinheiten auf die Sprünge

hilft. (vl)

www.daliah.ch

■ Für einmal haben wir keine neue Vorstellung

aus dem ECM-Label. Für einmal habe ich die er-

ste ECM-CD hervorgeholt, die ich gekauft hatte.

Das ist schon lange und doch erst 17 Jahre her

– aber eine Würdigung ist schon lange fällig.

Von 1983 bis 1989 spielte dieses Trio, Keith

Jarrett (Piano), Gary Peacock (Bass) und Jack

DeJohnette (Drums), eigentlich nur Jazzstan-

dards. Das war Konzept. Mit «Changeless» pro-

bierte Keith Jarrett neue Wege. Die vier Stücke

sind von ihm komponiert und wurden im Oktober

1987 an verschiedenen Konzerten live aufgenom-

men. Die CD kam dann erst 1989 heraus.

Ich hatte damals noch keinen Bezug zum

Jazz gefunden und stellte mich auch eher skep-

tisch. Noch hängte ich in psychedelischen Wol-

ken der 70er oder intellektualisierte The Velvet

Underground. Durch einen Freund stiess ich auf

«Changeless» und damit begann meine kleine

Jazzkarriere. Ich gestehe: Das nie endenwollende

«Dancing» zu Beginn der CD hat mich zum Jazz

bekehrt.

Anders als das legendäre «Köln Concert»

geht für mich diese Musik ein Stück tiefer und

ist irgendwie kräftiger. Es ist die fast nach einem

Ritual anmutende Perfektion des Trios, ineinan-

der verwoben, wie ein eigenes Instrument und

Klangkörper geformter Moment. Eine Reise

am Existenzpunkt des Seins. Eigentlich ist alles

komponiert und doch ist es Improvisation. Jeder

Ton kann nicht anders, als in diesem Moment so

gespielt werden. Damit ist «Changeless» mein

persönlicher Grundstein für ein Kunstverständ-

nis geworden. Aus dieser Musik entstand meine

Arbeit der sogenannten «Philosik» (eine Musik-

philosophie). Und damit wurde auch Manfred Ei-

cher, als sensibler Toningenieur der Zeit, ein Teil

dieses Prozesses. Changeless eben.

Keith Jarrett Trio / Changeless

ECM 1392

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 19

cinéma

SPOTLIGHT KINO

■ Das Filmfestival Locarno feiert dieses Jahr

vom 1. bis 11. August sein sechzigstes Jubiläum.

170 Filme wurden für den runden Geburtstag aus-

gewählt. Frédéric Maire, der das Festival dieses

Jahr zum zweiten Mal leitet, kündet es als «Festival

der Entdeckungen» und «Festival festive» an. Die

Filmauswahl refl ektiere den Zustand unserer Welt.

Eine Welt, die sich im Krieg, in der sozialen und

politischen Krise befi ndet. Filme aus über dreissig

Ländern sind in der offi ziellen Auswahl vertreten,

darunter um die zwanzig Debütfi lme und über

zwanzig Filme von Regisseurinnen. Ein Schwer-

punkt liege dieses Jahr auf dem amerikanischen

und dem asiatischen Kino.

Die Piazza Grande mischt wie gewohnt Hol-

lywood-Blockbuster («The Bourne Ultimatum»,

«Hairspray») und kleinere Produktionen («Nichts

als Gespenster», «The Drummer»).

«1 Journée» von Jacob Berger und «Vogliamo

anche le rose» der italienisch-schweizerischen Re-

gisseurin Alina Marazzi sind die beiden Beiträge aus

der Schweiz. Eröffnet wird das Piazza-Programm

am 1. August mit dem japanischen Anime «Vexille».

Der internationale Wettbewerb versammelt 19

Filme, die um den Goldenen Leoparden buhlen.

Maire lobt die geografi sche Bandbreite der Filme,

vertretene Länder sind unter anderen Argentinien

(«Las vidas posibles»), Südkorea («Boys of tomor-

row»), Algerien («La maison jaune») und Kanada

(«Contre toute espérance»). Der Schauspieler

Anthony Hopkins wird als Regisser in Locarno er-

wartet: Zusammen mit seinem Hauptdarsteller

Christian Slater präsentiert er seinen Film «Slip-

stream». Aus der Schweiz ist Fulvio Bernasconi

mit «Fuori dalle corde» dabei. Zur offi ziellen Jury

des internationalen Wettbewerbs 2007 gehört un-

ter anderen die französische Schauspielerin Irène

Jacob, der deutsche Regisseur Romuald Karmakar,

und der chinesische Regisseur Jia Zhang-Ke.

Schweizer Filme mit internationalem Poten-

zial In der Apellation Suisse hat die Organisation

Swiss Films zehn Schweizer Kinofi lme ausgewählt,

die sich durch «internationales Potenzial aus-

zeichnen» und seit dem letzten Locarno Festival

die Schweizer Kinolandschaft mitgeprägt haben.

Gezeigt werden fünf Dokumentar- und fünf Spiel-

fi lme, unter ihnen «Comme des voleurs» von Lio-

nel Baier und «Someone beside you» von Edgar

Hagen. Am 7. August fi ndet ausserdem zum zwei-

ten Mal der «Journée du Cinéma Suisse» mit Film-

vorführungen, Veranstaltungen, einer Masterclass

für Schauspieler und einer DVD-Lancierung statt.

Die Atelier-Ausstellung «Animated Switzerland»,

an der u. a. Sets der Grossproduktion «Max & Co»

ausgestellt sind, beschäftigt sich mit der Schweizer

Trickfi lmszene.

«Als Geburtstagsgeschenk» schenkt das Festival

dem Publikum die reizvolle Retrospektive «Retour

à Locarno». Diese widmet sich Regisseuren, die in

Locarno «geboren», hier entdeckt wurden und ih-

ren Durchbruch erlebt haben. Die Filmemacher

werden in Locarno anwesend sein und ihre Filme

präsentieren. Unter ihnen sind illustre Namen wie

Claude Chabrol, Alain Tanner, Mike Leigh, Catherine

Breillat, Raul Ruiz und István Szabó zu fi nden.

Die Filmreihe «Signore & Signore» schliesslich

ehrt die grossen Diven des italienischen Kinos:

Anna Magnani («Bellissima»), Sofi a Loren («La

ciociara»), Asia Argento («Il fantasma dell’ opera»)

oder Gina Lollobrigida («Pane, amore e fantasia»)

und viele weitere. Zwanzig Filme, die zwischen 1941

und heute entstanden sind, widerspiegeln zugleich

ein Stück italienische Kinogeschichte. Den Locarno

Excellence Award erhält diesen Jahr der Schau-

spieler Michel Piccoli, ein Aushängeschild des fran-

zösischen Autorenkinos. Den Ehrenleoparden wird

dem taiwanesische Regisseur Hou Hsiao-hsien ver-

geben, dessen neustes Werk «Le voyage du ballon

rouge», mit Juliette Binoche in der Hauptrolle, auf

der Piazza Grande zu sehen sein wird.

Film Festival Locarno

1. – 11. August, www.pardo.ch

FILM

60 jahre fi lmfestival locarno Von Sarah Stähli Bild: zVg.

LA VRAIE VIE EST AILLEURS BILD: ZVG.

■ Wir kommen alle mal in Berührung damit: Ir-

gendwann begegnen wir zum richtigen Zeitpunkt

einem Menschen, der sich als Schlüsselfi gur un-

auslöschbar in unser Leben einbrennt. Diese

Begegnungen sind eigentlich Fragen unseres

Unterbewusstseins. Die können auch mehrmals

geschehen. Es sind Wegkreuzungen in unseren

Leben, an denen wir entscheiden können oder

gar müssen, wohin wir weitergehen. In diesen

Bruchteilen von Momenten oder Stunden entste-

hen halbe Universen – in ein paar kleinen Bewe-

gungen, Worten oder Berührungen. Die Antwor-

ten aus diesen Begegnungen können schwierig

sein. Doch sie prägen uns sicher für den Rest der

Zeit und wir werden sie nie vergessen können.

In «La vraie vie est ailleurs» geht’s um drei

Reisende, die, in Genf startend, in unterschied-

liche Richtungen unterwegs sind. Ein Mann

steigt in den Zug nach Berlin, um seinen kleinen

Sohn kennenzulernen. Eine junge Italienerin

zieht nach Neapel um und eine Wissenschafterin

reist nach Marseille an eine Konferenz. Alle drei

begegnen auf ihrer Nachtreise einer Person, die

ihr Leben in Frage stellt. «Findet das wahre Leben

anderswo statt?» Das Zitat stammt von Arthur

Rimbaud und war Ausgangspunkt für den Film.

Der junge Regisseur Frédéric Choffat beschäftigt

sich in seinem Film mit der Frage: Wie kommen

Menschen mit ihrem Leben zurecht? Mit ihrem

Alltag? Ihren Wirklichkeiten?

Der Doppelbürger und 1973 geborene Choffat

hat bisher vor allem Dokumentations- und Kurz-

fi lme gedreht. «La vraie vie es ailleurs» ist sein

erster Spielfi lm. Der Film überzeugt mit einer

einfachen und stillen Erzählform. Die Schauspie-

ler, die Schauplätze, alles ist einfach gehalten.

Choffat gibt uns die Möglichkeit, ganz persön-

liche Momente dreier Menschen mitzuerleben.

Momente, die wir nicht einmal uns selber erzäh-

len könnten. Diese gewählte Nähe verleiht eine

berührende Intimität. Ein stiller Film, der uns ein

paar Fragen und Erinnerungen hinterlässt, die

wir so rasch nicht wieder vergessen werden. (vl)

Filmstart: Siehe Seite 5 in diesem Heft.

Page 20: ensuite · k ult urmagazin ensuite Nr. 56 August 2007 | 5. Jahrgang Uf dr Strass chasch nid bschiisse! Zwischen Puppen-Punk und kosmo-politischer Kleinkunst Seite 4

ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 0720

cinéma

FILM

transformersVon Sonja Wenger Bild: zVg.

SPOTLIGHT KINO

■ Atemberaubende Actionszenen, gut erzählte

Geschichten ohne viel Sinn, aber mit umso mehr

Pathos, unterhaltsame, wilde Spässe im Kino: Das

ist die Spezialität von Regisseur Michael Bay, und er

wird dabei immer besser. Nach «The Rock», «Arma-

geddon», «Pearl Harbour» und «The Island» wagte

sich Bay nun an eine Verfi lmung mit den Kultfi guren

der Transformers. Diese lebenden, intelligenten Ro-

boterwesen können sich, wie es der Name sagt,

blitzschnell in andere Maschinen verwandeln - und

sind seit Mitte der achtziger Jahre ein Verkaufshit

des US-amerikanischen Spielzeugherstellers Has-

bro. Und auch in Europa sind die Figuren bis heute

in immer neuen Ausführungen in den Kinderzim-

mern beliebt, genauso wie die gleichnamige Anima-

tionsserie und Comicbücher.

Doch nicht nur für die eingefl eischte Fange-

meinde - die noch vor Filmbeginn Zeter und Mor-

dio geschrien hat - ist der Film «Transformers» ein

martialisches Gaudi voller witziger Dialoge und

Hollywood in Reinkultur. Selbst ohne Kenntnis der

Vorgeschichte oder der einzelnen Charaktere ist

«Transformers» ein Vergnügen. Er bietet im Bereich

der Spezialeffekte bisher noch Ungesehenes, es

gibt Gut und Böse und ein Happy End - und mit Shia

LaBeouf als Sam Witwicky nach langer Zeit wieder

einen jungen Schauspieler, dessen Talent nur noch

von seinem Sympathiebonus übertroffen wird.

Die Geschichte selbst ist einfach gestrickt. Es gibt

die guten Transformers, die sogenannten Autobots,

die das Leben respektieren und sich, wenn auch mit

Waffen, eine friedliche Koexistenz aller wünschen.

Ihr Anführer ist Optimus Prime, im Original gespro-

chen von Peter Cullen. Sein Gegenspieler bei den

Bösen, den Decepticons, ist Megatron, mit der Stim-

me von «Matrix Agent Smith» Hugo Weaving, der

sich das Universum untertan machen will und dabei

alles auslöscht, was sich ihm in den Weg stellt. Beide

Seiten sind auf der Suche nach dem Allspark, eine

Art Meteor-Raumschiff, dass vor langer Zeit auf der

Erde bruchgelandet und die Lebensquelle aller Ma-

schinen ist.

Nun will es das Schicksal, dass Sams Grossvater

einst im Eismeer den Allspark entdeckte und da-

durch seinen Enkel heute zum Ziel der Decepticons

gemacht hat. Sam will nämlich die geheimnistra-

genden Erbstücke seines Opas verhökern, um sich

endlich ein Auto leisten zu können, das ihn für sein

Traumgirl Mikaela attraktiver machen soll. Dass der

abgewetzte Camaro, den er sich nicht ganz freiwil-

lig dafür aussucht, kein anderer als der gute Auto-

bot Bumblebee ist, realisiert Sam erst, als er seinem

eigenen Wagen nachrennt, weil er glaubt, dass ihm

dieser gerade gestohlen wird. Schneller als ihnen

lieb ist, fi nden sich Sam natürlich mit Mikaela mit-

ten im Kampf der Transformers wieder. Dass die De-

cepticons mit ihren unzerstörbaren Waffen bereits

damit begonnen haben, die USA anzugreifen, dass

ihnen ein ganzer Geheimdienst auf den Fersen ist

und Sams Eltern trotzdem von allem nichts erfahren

dürfen, macht das Ganze nur noch komplizierter.

Bevor sich am Ende alle miteinander vereinen,

um gegen das Böse zu kämpfen, muss Sam mal

kurz erwachsen werden und sich die US-Armee

gegen Skorpionroboter und einen hinterhältigen

Radioplayer wehren. Das Publikum seinerseits wird

mit coolen Sprüchen, rasanten Transformationen,

die man gar nicht oft genug sehen kann, und einem

übellaunigen, um sich ballernden Nokia-Handy be-

lohnt. Doch auch die menschlichen Nebenrollen

haben es in sich: Zwar bleibt John Voight als eben-

falls um sich ballernder Verteidigungsminister eher

schwach auf der Brust. Dafür kann sich kaum einer

besser auf die Schippe nehmen als der wunderbare

John Turturro.

Der Film dauert 143 Minuten und ist seit dem

31.7. in den Kinos.

ENSEMBLE, C‘EST TOUT■ Der neue Film von Regisseur und Drehbuch-

autor Claude Berri lässt viel Zeit und Raum für

den knochenharten Realismus und die feinglied-

rige Poesie des Alltags. Mit «Ensemble, c‘est

tout», nach dem gleichnamigen Roman von

Anna Gavalda aus dem Jahr 2004, erzählt uns

das französische Kino eine weitere warmherzige

Geschichte über die kleinen Schwierigkeiten und

grossen Schönheiten des Lebens.

Die Handlung umspannt ein Jahr im Leben

von vier Menschen, die sich alle auf verschlun-

genen Wegen in der viel zu grossen Pariser Alt-

bauwohnung von Philibert (Laurent Stocker) zu-

sammenfi nden. Sie beginnt im Garten der alten

Paulette (Françoise Bertin), die stürzt und sich

zu ihrem Entsetzen im Spital wiederfi ndet. Ihr

Enkel Franck (Guillaume Canet) kümmert sich als

einziger der Familie um sie, auch wenn er bei sei-

ner Arbeit als Koch kaum Zeit dafür fi ndet. Nach

Hause in sein Zimmer bei Philibert kommt er fast

nur um zum Schlafen, von seinem Mitbewohner

selbst hält er nicht allzu viel, und vor lauter Gries-

gram vergisst er beinahe, sich selbst zu mögen.

Philibert ist aber viel zu wohlerzogen und

schüchtern, um sich dagegen zu wehren. Eines

Tages unterhält er sich vor der Türe kurz mit der

introvertierten Camille (Audrey Tautou), die im

Dachzimmer des Hauses vor sich hin vegetiert.

Camille ist viel zu dünn und zerbrechlich, um dem

Leben etwas entgegenzusetzen und als sie krank

wird, nimmt Philibert sie zu sich in die Wohnung

und päppelt sie wieder auf.

Aus der anfänglichen Einsamkeit aller drei

entsteht so Schritt für Schritt eine dicke Freund-

schaft, und aus der ablehnenden Haltung von

Franck gegenüber Camille entwickelt sich Streit

um Streit eine Liebesbeziehung. Doch erst als sie

Paulette zu sich in die Wohnung holen und noch-

mals alle von vorne anfangen müssen, können

sie ihre eigenen Ängste überwinden.

«Ensemble, c‘est tout» handelt davon, was die

Einsamkeit in Menschen anrichtet, und auch, wie

sie aufblühen können, wenn sie diese erst über-

wunden haben. Mit subtilem Humor und feinen,

achtsamen Dialogen zeigt der Film auch, wie

viel Liebe und Freundschaft in jedem einzelnen

steckt, wenn man plötzlich zur Selbstlosigkeit

fi ndet - ohne dabei die eigene Freiheit aufgeben

zu müssen. (sjw)

Der Film dauert 97 Minuten und kommt am

23.8. in die Kinos.

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 21

cinéma

TRATSCHUNDLABER

Von Sonja Wenger

FILM

el camino de san diegoVon Sonja Wenger Bild: zVg.

■ Da ist man mal einen Monat weg und schon

verliert man die Übersicht. Also da war doch die

Hilton erst drin, dann draussen, dann wieder rein

und das Paris jetzt frei ist, hatte vor sechzig Jah-

ren auch noch einen anderen Beiklang als vor

sechzig Tagen. Vor kurzem konnte man nun bei

der britischen BBC lesen, dass die US-Behörden

herausfi nden wollen, ob die Hilton im Gefängnis

besser behandelt wurde als andere – also muss

sie vielleicht sogar wieder rein.

Gleichzeitig beklagte sich Victoria Beckham

nach ihrer Ankunft in Los Angeles allen Ernstes,

dass ihr Promileben schon sehr anstrengend sei.

Ständig rein in die Zeitungen, dann wieder raus

aus dem Fernsehen. Umbarmherzig wurde ja ihre

Ich-komme-in-Amerika-an-und-gebe-viel-Geld-

aus-Dokuserie auf eine Stunde gekürzt, worauf

die «New York Post» den Becks trotzdem noch

eine «Orgie der Genusssucht» vorgeworfen hat-

te - also wieder rein.

Defi nitiv raus aus allem ist wohl der ehemalige

«Lüthi & Blanc»-Darsteller Hans Schenker, nach-

dem er im «Blick» Anfang Juni die Schweizer

Promis «alle fertig» gemacht hatte. Eigentlich

schade. Da ist Stoff drin für fetzende Drehbücher,

denn in Schenkers Wortwitz sind durchaus Quali-

täten zu fi nden - ganz im Gegensatz zu den ver-

schnupften Retourkutschen in derselben «Blick»-

Ausgabe. Da meinte der «350-Tage-Fasnächtler»

Victor Giacobbo (seines Zeichens immerhin Ko-

miker und Satiriker): «Schenker ist ein tragischer

Soap-Darsteller.» Wie garstig - und defi nitiv out!

Neuerdings ist ja «grün sein» bei den Promis

super in, also grün im ökologischen Sinne, nicht

als Metapher vom Obst. So weiss das «In Style»

genau, was die Promis denn alles für die Natur

tun: Courtney Love beispielsweise braucht nur

Recycling-Toilettenpapier, «auch wenn es nicht

das Weichste ist». Die Brosnans benutzen «ein

geschlossenes Wassersystem für die Toilette»

- ausserdem setzen sie nützliche Links auf ihre

Webseite. Und Alicia Silverstone hängt ihre Wä-

sche zum Trocken im Freien auf - auch sie also

raus!

Damit man sicher drin bleiben kann, macht es

«Wii» nun möglich, von der Couch aus Holz zu

hacken und Tennis zu spielen. Zumindest in der

Werbung fi nden das alle lustig. Der letzte Schrei

des Monats fi ndet sich allerdings auf www.little-

lily.com. Dort kann man sich die «Oscar»-Outfi ts

der Stars für Hunde bestellen: Red-carpet-Coll-

ection für Diva-Dogs, besonders gut kommt der

Smoking von Leonardo DiCaprio. Vielleicht ist

das was für Tinkerbell Hilton, zur Feier, wenn

Frauchen das nächste Mal raus kommt?

■ Wenn einer eine Reise tut, da kann er was erle-

ben – eine Weisheit, die so universell ist wie das Le-

ben selbst. Wie bereits in früheren Werken hat der

argentinische Regisseur Carlos Sorin auch in seinem

neuen Film «El Camino de San Diego» hauptsächlich

mit Laiendarstellern gearbeitet. Nach «Historias mí-

nimas» aus dem Jahr 2002 und dem charmanten

«Bombón, El perro» von 2004 setzt Sorin so einen

erzählerischen Stil fort, der in jeder Szene die Au-

thentizität durchschimmern lässt und jede Filmmi-

nute zum Genuss macht.

Angesiedelt zwischen einer Semidokumentation

und einem witzigen Road Movie erzählt «El Camino

de San Diego» eine Geschichte, wie sie sich tatsäch-

lich hätte zutragen können. Der Waldarbeiter Tati

Benítez (Ignacio Benítez) ist ein glühender Anhän-

ger des argentinischen Fussballheiligen Diego Mara-

dona. Er weiss alles über sein Idol, trägt nur dessen

hellblau-weisses T-Shirt mit der Nummer zehn und

hat sich diese Nummer gar auf den Rücken täto-

wieren lassen. Sein uraltes Eintrittsbillett für ein

Maradona-Spiel hütet er wie eine Reliquie. Für seine

Freunde ist er ein sympathischer Spinner, aber ein

anständiger Kerl, und heimlich beneiden sie ihn wohl

auch ein bisschen um seine Leidenschaft.

Doch das Leben meint es nicht nur gut mit Tati.

Gerade als seine Frau (Paola Rotela, auch im echten

Leben mit Benítez verheiratet) mit dem dritten Kind

schwanger ist, verliert er seine Stelle. Als Hilfskraft

für den alten Holzschnitzer Silva sucht er danach im

Wald nach ausgefallenen Wurzeln und ungewöhn-

lichen Hölzern. Als er während eines Gewitters Un-

terschlupf sucht, glaubt er in einem Wurzelstrunk

das Gesicht von Maradona zu erkennen. Danach

beschäftigt ihn kaum noch eine andere Frage, als

was er damit machen könnte. Genau zu jener Zeit

wird Maradona mit einem Herzinfarkt in eine Klinik

in Buenos Aires eingeliefert - die Medien berichten

tagelang über nichts anderes, vor der Klinik versam-

meln sich Tausende seiner Anhänger.

Für Tati ist dieses Ereignis nicht nur ein Schock,

sondern auch ein Wink Gottes. Er selbst muss die

Wurzel zu seinem Idol in die Hauptstadt bringen, da-

mit sie ihm Glück und Gesundheit bringt. Auch wenn

das Geld hinten und vorne nicht reicht, Tati lässt sich

durch nichts mehr von seinem Vorhaben abbringen.

Was sich danach dem Publikum eröffnet, ist eine Rei-

se von der nördlichen Region Misiones in Richtung

Süden, die in vielerlei Hinsicht den Charakter einer

Wallfahrt trägt. Durch sein ruhiges, offenes Wesen

begegnet Tati allerlei Charakterköpfen, die ihm im-

mer zur rechten Zeit das Richtige bieten können.

Mal kann er in einem Ambulanzwagen zusteigen,

mal auf einem Laster reisen, dann wieder in einem

Bus voller fröhlicher Pilgerreisender. Schliesslich

nimmt ihn der brasilianische Lastwagenfahrer Wa-

guinho (Carlos Wagner La Bella) mit, auch wenn er

sich eine Spitze gegen Maradona und für Pelé nicht

verkneifen kann. Mit Waguinhos unerschütterlichem

Humor und erfrischenden Gutmütigkeit schafft es

Tati tatsächlich bis in die Hauptstadt. Doch die Odys-

see ist noch lange nicht zu Ende. Bis Tati mit all den

Begegnungen im Herzen zurückreisen kann, gilt es

noch ein paar Hindernisse mehr zu überwinden.

Geschickt hat der Regisseur eine Vielzahl von Er-

eignissen miteinander verwoben. Schon die kleinsten

Auftritte der Nebendarsteller lassen ganze Welten

und Lebensgeschichten entstehen. Sorin zeigt zu-

dem ein vollkommen unpathetisches Bild der stre-

ckenweise öden Landschaft Argentiniens, nur um

mit wenigen Sätzen, reduzierten Musikklängen oder

echten Gesichtern gleichzeitig eine Liebeserklärung

dafür zu verkünden. Mit all diesen Elementen ver-

sprüht «El Camino de San Diego» dann auch einen

ansteckenden Optimismus und ist ein wohltuendes

Plädoyer für das Reisen.

Der Film dauert 98 Minuten und kommt am 6.9.

in die Kinos.

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 0722

das andere kino

www.cinematte.ch / Telefon 031 312 4546 www.kellerkino.ch / Telefon 031 311 38 05 www.kinokunstmuseum.ch / Telefon 031 328 09 99

■ Es gehörte zu den Sommerferien wie Sonne,

Badi und Glacé: Das Sommerwunschprogramm im

Schweizer Fernsehen. Wenn die televisionären Bal-

ken in die Länge wuchsen, die anzeigten, für wel-

chen Film sich das Publikum entschieden hatte, war

die Spannung gross – ob Spaghettiwestern oder

Liebesschnulze, Klassiker oder B-Movie: Der Film-

genuss war ein anderer, wenn er in einer demokra-

tischen Wahl zustandekam.

Nach dem tollen Publikumsecho im vergangenen

Jahr liessen wir Ihnen auch in diesem Jahr die Wahl.

Über 160 Personen haben im Internet ihre Lieblings-

fi lme ausgewählt und damit ihr ganz persönliches

Cinématte-Sommerwunschprogramm zusammen-

gestellt.

Wir dürfen Ihnen zu einer exzellenten Wahl gra-

tulieren – zu einer attraktiven Mischung aus Alt und

Neu, aus Klassikern und Kultfi lmen, aus Ernstem

und Heiterem:

Eine liebevoll gezeichnete Dorfchronik ist Jour

de Fête, in dem Jacques Tati als staksiger Briefträ-

ger vergeblich versucht, die Post in seinem Dorf zu

modernisieren. Le Grand Bleu erzählt die Geschich-

te der Freitaucher Jaques Mayol und Enzo Molina-

ri, die eine gemeinsame Leidenschaft teilen – die

Liebe zum Meer, zur Tiefe und zum Tauchen. Eine

poetisch-melodramatische Erzählung mit faszinie-

renden Bildern und einem brillianten Soundtrack.

Als typisches Beispiel für die «Nouvelle Vague»

gilt die Gangster-Love-Story A Bout de Souffl e

von Jean-Luc Godard mit Jean-Paul Belmondo.

Der Musikfi lm The Wall erzählt seine Geschichte

vom Krieg, von der Isolation und den Drogen fast

ausschliesslich in Bildern und Musik. 1965 mit drei

Oscars ausgezeichnet wurde Zorba the Greek, in

dem Anthony Quinn als Alexis Zorba brilliert.

In Dead Poets Society versucht der neue

Englischlehrer eines konservativen Eliteinternats,

seine Schüler mit originellen Lehrmethoden zu ei-

genständig und kreativ denkenden Menschen zu

erziehen und ihnen seine Leidenschaft für Poesie

weiterzugeben.

Neu präsentiert in diesem Jahr das Lesbisch-

Schwule Filmfestival Queersicht mit Fresa y Choco-

late und Priscilla, Queen of the Desert zwei Klas-

siker im Rahmen des Sommerwunschprogramms.

■ JE VAIS BIEN, NE T‘EN FAIS PAS (Von Phi-

lippe Lioret, Frankreich 2006, 96‘, Französisch/d,

Spielfi lm) Nach ihrer Rückkehr aus den Sommer-

ferien erfährt Lili, dass ihr Zwillingsbruder nach

einem heftigen Streit mit dem Vater das Eltern-

haus verlassen hat. Wochen vergehen ohne ein Le-

benszeichen von Loïc. Lili befürchtet das Schlimm-

ste. Nach Monaten erhält sie überraschend eine

Ansichtskarte von ihrem Bruder, bald darauf eine

weitere, dann noch eine. Lili begibt sich auf die Su-

che nach dem Verschwundenen und kommt dabei

einem Familiengeheimnis auf die Spur... Im Zen-

trum von JE VAIS BIEN NE T‘EN FAIS PAS steht

ein rätselhaftes Familiengeheimnis, das auf den

ersten Blick recht harmlos erscheint, aber im Lau-

fe des Films erschreckende Dimensionen annimmt.

Treffend im Ton und voller Emotion erzählt der

Film von Zusammenhalt, Vertrauen, Schutz und

Intimität innerhalb der Familie. Erleben Sie Fran-

kreichs Shooting Star Mélanie Laurent in einem

intelligenten Gefühlsthriller von Regieausnahme-

talent Philipp Lioret.

IRON ISLAND (Von Mohammad Rasoulof,

Iran 2005, 90‘, Originalversion/d/f, Spielfi lm) Ein

schrottreifer Tanker, der im Persischen Golf ankert,

eine Handvoll prägnanter Darsteller und eine ori-

ginelle Drehbuchidee: Mehr braucht der iranische

Regisseur Mohammad Rasoulof nicht, um einen

Mikrokosmos seiner Gesellschaft auf dem Seelen-

verkäufer lebendig werden zu lassen. An Bord le-

ben die Bewohner in winzigen Parzellen. Trotzdem

halten sie auf dem rostigen Kahn auch noch Tiere.

Es wird gestritten, geliebt, gespielt und auch ge-

storben – das alles unter dem strengen Regiment

von Kapitän Nemat, der aus den armen und naiven

Bewohnern eine straff reglementierte Gesellschaft

macht, in der alles seinen Platz hat – sogar der

Schulunterricht. Aber die Tage der «Eisernen In-

sel» sind gezählt: Das Schiff sinkt langsam. Kein

Wunder, denn es wird Stück für Stück demontiert,

um das Altmetall zu verscherbeln. Die Bewohner

wissen nicht, welchem Schicksal sie der Kapitän

ausliefern will.

Die Spieldaten entnehmen Sie bitte unserer Home-

page www.kellerkino.ch.

■ SAISONSTART: 1. SEPTEMBER Ab 1. Septem-

ber stellen wir in der Reihe Filmemacher heute

den Regisseur Tony Catlif vor. Mit Gadjo dilo ge-

lang Catlif 1997 der internationale Durchbruch. Als

Berner Premiere zeigen wir u. a. seinen neusten

Film Transylvania.

Kunst und Film: Ab 1. September mit der dä-

nischen Künstlerin Simone Aaberg Kærn, welche

vom 31. August bis zum 6. Oktober in der Berner Ga-

lerie MADONNA#FUST zu sehen ist. Zwei Dokumen-

tarfi lme über Markus Raetz und Hans Josephson

stehen ab 9., bzw. 15. September auf dem Pro-

gramm. Mit seinen verblüffenden und poetischen

Installationen und Skulpturen hat der Berner Raetz

längst den internationalen Durchbruch geschafft,

während der 87-jährige Zürcher Josephson erst

seit ein paar Jahren als einer der bedeutendsten

Bildhauer unseres Landes gehandelt wird.

Bollywood & Beyond: In Ergänzung zur Aus-

stellung «Horn Please. Erzählen in der zeitgenös-

sischen indischen Kunst» (Kunstmuseum Bern, 21.

September 2007 – 6. Januar 2008) untersucht das

ergänzende Filmprogramm Erzählstrukturen im

indischen Mainstream- und Studiofi lm. Ab 22. Sep-

tember.

Theater und Film: In einer Zusammenarbeit mit

dem Stadttheater Bern präsentieren wir zu ausge-

suchten Bühnenproduktionen Filme, u. a. Federico

Fellinis Prova d’orchestra. Ab 9. September.

Filmgeschichte: Ab Oktober bieten die Kinema-

thek Lichtspiel und das Kino Kunstmuseum gemein-

sam eine fortlaufende, fi lmgeschichtliche Reihe an.

Sie zeigt chronologisch, anhand von rund 50 Film-

beispielen, die Entwicklung des Kinofi lms von ihren

Anfängen bis zum Ende des letzten Jahrtausends

auf.

FREUNDE PROFITIEREN! Werden Sie

FreundIn des Kino Kunstmuseum und profi tieren Sie

während der Kinosaison 07/08 von den Vorteilen:

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Infos: 031 311 60 06 oder

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 23

LICHTSPIELK I O i n d e r R e i t s c h u l e

NFür das Tagesprogramm die Tageszeitung oder das Internet www.bernerkino.ch

www.reitschule.ch / Telefon 031 306 69 69 www.lichtspiel.ch / Telefon 031 381 15 05 www.pasquart.ch / Telefon 032 322 71 01

Im Juli und August macht das Kino

in der Reitschule

Sommerpause

In der 2. Septemberwoche geht’s wieder los....

Vorschau auf das Herbst/Winter-Programm:

September:

Stummfi lme mit Live Musik in der Grossen Halle

der Reitschule

Oktober:

Auftakt zum 20-jährigen Jubiläum der Reitschule:

Das Kino wird vom Oktober bis in den März hinein

Programmthemen aufnehmen, die in den letzten

20 Jahren für das politische, gesellschaftliche

und kulturelle Selbstver ständnis der Kinogruppe

massgebend waren: Auf- und Widerstände, Soziale

Be wegungen, Kino von Frauen, Lesbisch-schwules

Kino, Kinoland Schweiz, Glo balisierung.

8. bis 11. November:

Lesbisch-Schwules Filmfestival QUEERSICHT

29. November bis 22. Dezember:

Naher Osten - Was vermag das Kino?

Filmreihe zu Palästina - Israel

Ab September wieder jeden 2. Donnerstag:

UNCUT - Warme Filme am Donners tag

■ Wir waren die Swissair. Piloten schauen zu-

rück. (Buchvernissage) Denis Hänzi präsentiert

das Resultat seiner kultursoziologisch angelegten

Studie, die die berufl ichen Selbstbilder von vier

ehemaligen Swissairpiloten nachzeichnet. In den

1970er Jahren haben sie sich der Fliegerei ver-

schrieben – jener von Fortschrittsoptimismus ge-

prägten Zeit also, als die Swissair den Ruf der welt-

besten Airline genoss und eine stolze, unabhängige

Schweiz verkörperte. Wie sehen die Berufspiloten

rückblickend «ihre» Airline? Wie denken sie über

den Untergang unserer einst so stolzen nationalen

Fluggesellschaft? Das Lichtspiel serviert dazu

Swissair- und Piloten-Filme aus dem hauseige-

nen Archiv. (Mo 13.8., 21:00 h)

Wiederum gibt es wunderbare deutsche Schla-

gerfi lme aus den Fünfziger-und Sechzigerjahren

(wieder)zuentdecken: so Fritz Umgelters Wenn die

Conny mit dem Peter mit dem legendären Traum-

paar Conny Froebes und Peter Krause (Mi 15.8.,

21:00 h). In La Paloma von Paul Martin konkurrie-

ren sich zwei Berliner Variétébühnen, indem sie

versuchen, sich gegenseitig die Stars auszuspan-

nen (Mi 22.8., 21:00 h), schöne Melodien und fl am-

mende Herzen sorgen in der turbulenten Komödie

Davon träumen alle Mädchen von Thomas Engel

für beste Unterhaltung. (Mi 29.8., 21:00 h)

Sortie du Labo: Mit S’Vreneli am Thunersee

(1936) erzählt Paul Schmid eine Geschichte von

unmöglicher Liebe im Jahre 1866. Der Dichter Ott

liebt die Dorfschönheit Vreneli. Vreneli jedoch liebt

den Jäger Hans. Hans liebt Vreneli, doch muss er

– zu Unrecht des Mordes beschuldigt – in die Frem-

de ziehen. So simpel und reaktionär die politische

Aussage der Geschichte auch daherkommt, die

Equipe war bunt gemischt: So wurde neben der

Hauptdarstellerin Lotti Geisler der intellektuelle

Willy Roettges, ein Mitglied der Basler Bohème,

als künstlerischer Berater beauftragt. Dieser holte

seine Kollegen aus dem avantgardistischen «Club

33» sowie dem antifaschistischen Kabarett «Ress-

lirytti» ins Boot. Eine durchaus spannende Vor-

stellung, wie vor den Augen erklärter Feinde des

Establishments ein traditioneller «Trachtenfi lm»

produziert wurde. (Mo 20.8., 21:00 h).

■ Original und Remake Wenn die Temperaturen

hochklettern und der Bielersee mit erfrischender

Abkühlung lockt, ist es Zeit für den legendären

Open-Air-Zyklus des Filmpodiums. Dieses Jahr gibt

es unter dem Titel Original und Remake besonde-

re Leckerbissen zu sehen, die abends unter freiem

Himmel über die Leinwand fl immern. Originalfi lme

haben den Ruf besser zu sein als die neueren Ver-

sionen. Ob sie es tatsächlich sind oder ob die Neu-

verfi lmungen, die häufi g mit mehr Spannung und

Action auftrumpfen, oben aus schwingen, darüber

können die Zuschauer jeweils am Freitag- und am

Samstagabend rätseln. Der direkte Vergleich of-

fenbart Unterschiede und Besonderheiten, aber

lässt trotzdem jeden Film für sich stehen. Die

meisten der ausgewählten Remakes sind Verfi l-

mungen eines literarischen Werkes und stehen

als Neuadaptionen im Bezug zum Originalfi lm und

zur Buchvorlage. Die Frage nach Echtheit, danach,

was das Original und was die Kopie ist, bildet das

Grundthema des Zyklus.

Gezeigt werden u. a. Es geschah am helllich-

ten Tag, ein Schweizer Film aus dem Jahre 1958,

der sich stark an einen Roman von Dürrenmatt

anlehnt. Der Krimi, der im Gedächtnis bleibt wie

klebriger Honig an den Händen, überzeugt durch

die beiden Hauptdarsteller Heinz Rühmann und

den späteren James-Bond-Bösewicht Gerd Fröbe.

Schokotrüffel und eine Zeichnung mit einem Rie-

sen spielen bei der Aufl ösung des Mordfalles an

einem kleinen Mädchen eine zentrale Rolle. Span-

nungsgeladen ist auch The Pledge (2001), das

US-amerikanische Pendant mit Jack Nicholson in

der Rolle des Detektiven Jerry Black, dem ein un-

gelöster Mordfall und ein Gelübde an die Hinter-

bliebenen des Opfers am Tag seiner Pensionierung

zum Verhängnis wird. In den weiten Nevadas, leer

und trostlos, kämpft er gegen die Einsamkeit und

dafür, dass er sein Versprechen einhalten kann.

King Kong, den berühmtesten Gorilla der Film-

geschichte in zwei Versionen; Lolita, beide Verfi l-

mungen des Skandalromans von Vladimir Nabo-

kov, der in seinem Buch das Tabuthema Pädophilie

unter dem Teppich hervorkehrte. Und: Shall we

Dance, The Ladykillers und Solaris.

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Alther&ZinggEin filosofisches Gespräch:

Mittwoch, 19. August 2007 // 19:00 htonus-labor, Kramgasse 10 Mitbringen: Ideen, Stimme, Instrumente oder so...

«WIE SEHR WIR AUCH ALS NATUR- UND KULTURWESEN IN DIE UNAB-SEHBAREN PROZESSE DER WIRK-LICHKEIT EINGEBUNDEN SIND: WIR HABEN DARIN DANN UNSERE FREI-HEIT, WANN IMMER WIR ETWAS VON SELBST ANFANGEN.»

Volker Gerhardt, 1999telefon 031 720 51 11www.fischerprint.ch

Wir machen

aus Gedanken

Druck(kult)sachen.

Kino am Fluss - Ihr Sommerwunschprogramm Donnerstag, 16. und Samstag, 18. August, 21.00h

A Bout De Souffle Regie: Jean-Luc Godard; mit: Jean-Paul Belmondo, Jean Seaberg; F/1960, OV mit d UT, 88 Min.

Gangster-Love-Story. Jean Seberg legt den verliebten Jean-Paul Belmondo herein. Jean-Luc Godards Regiedebüt gilt als typisches Beispiel der

"Nouvelle Vague". Ab Ende der 50er revolutionierte Frankreichs "Neue Welle" das Kino mit ruckartigen Schnitten, Handkamerabildern und Verzicht auf

Studioaufnahmen. Das Skript schrieb Godard mit Freund François Truffaut: eine leicht spöttische Hommage an die amerikanischen Noir-Thriller.

Wasserwerkgasse 7, Bern

Reservationen 031 312 45 46 oder www.cinematte.ch

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 25

■ Gleich am Ende der atemberaubenden «Itchy &

Scratchy»-Trickfi lm-im-Trickfi lmeingangssequenz,

in der das Atomwaffenarsenal der US-Armee zum

Einsatz kommt, stellt Homer Simpson, Vorsteher

der bekanntesten animierten Familie der Welt, die

entscheidende Frage: «Wie kann man nur so blöd

sein, im Kino für etwas zu zahlen, das man im Fern-

sehen umsonst bekommt!»

Der lang erwartete «The Simpsons Movie» stellt

so unmissverständlich seine Zeichenhaftigkeit und

die eigenen Produktionsbedingungen ins Zentrum

und verarbeitet alle popkulturellen Versatzstücke,

die in der wildgewordenen Medienwelt umherfl ie-

gen. Die Kinder spielen Shootergames, Bart Simp-

son muss hundertmal an die Wandtafel schreiben,

dass er diesen Film nicht downloaden darf und

verteilt lustige Seitenhiebe Richtung Disney, die

Leinwand wird durch eine Werbung der Simpsons-

Produktionsfi rma Fox in Beschlag genommen und

immer wieder ertönt der Ruf nach einem Sequel.

Grenzenloses Phänomen Diese selbstrefl exive

und ironische Ebene ist eine Erklärung für die im-

mense Bedeutung der seit achtzehn Jahren be-

stehenden Trickfi lmserie und es ist diese Ebene,

die die Simpsons zu einem gern untersuchten und

ergiebigen Sujet für die Sozial- und Kulturwissen-

schaften macht. Fast noch wichtiger für den im-

mensen Erfolg der über 400 Folgen à 22 Minuten,

die bei mehrmaligem Schauen immer mehr Facet-

ten freilegen, ist die Durchschnittlichkeit der gelben

Familie und den dargestellten Lebenswelten. Jede

und jeder darf sich einen Teil des grenzenlosen Phä-

nomens abschneiden und amüsiert sich auf seine

Weise, sofern man nicht mit Sittenwächtern und

Regierungen vom Schlage der Bush-senior-Admini-

stration sympathisiert, die in den Simpsons ein die

Gesellschaft korrumpierendes Element sahen.

Die Handlung des Kinodebüts ist simpel: Spring-

fi eld – dieser universale Nicht-Ort der US-amerika-

nischen Durchschnittsgesellschaft – ist in Gefahr.

Die Natur steht am Rande des Kollapses, der See

ist längst verätzt und natürlich will niemand, ausser

der engagierten Lisa Simpson, auch nur etwas von

einer drohenden Katastrophe wissen. Schon gar

nicht Homer, der durch seine Donutsucht die von

Grampa Simpson im religiösen Delirium beschwore-

ne Apokalypse auslöst. Die Folgen sind ein vieläu-

giges Mutantenhörnchen, das nach dem Passieren

einer augenscannenden Sicherheitsschleuse dem

dossierunkundigen Präsidenten Schwarzenegger

(«I’m elected to lead, not to read») vorgeführt wird

und ein Glasdom, der gleich einer Käseglocke die

Stadt hermetisch von der Aussenwelt abriegelt

– wäre da nicht ein kleines Schlupfl och, das der

fünfköpfi gen Familie die Flucht vor dem wütenden

Lynchmob ermöglicht.

Die Flüchtlinge reisen nach Alaska, das zunächst

als paradiesische Anderswelt erscheint, sich durch

Ölbohrungen und Details wie der «Eskimoe’s Ta-

vern» aber immer mehr als Spiegelbild der Heimat-

stadt entpuppt. Springfi eld mutiert in Abwesenheit

der Simpsons zur vor sich hin vegetierenden anar-

chischen Geisterstadt mit marodierenden Bewoh-

nern, die dem Erdboden gleichgemacht werden

soll. Selbstredend kann es nur einen geben, der

Springfi eld vor dem Untergang retten kann: Homer

Simpson, dieser unverantwortliche, tollpatschige

und doch so liebenswürdige Vielfrass.

Hochkomisches Actionkino Dem «Simpsons

Movie» gelingt es, die Möglichkeiten der grossen

Leinwand mit liebenswürdigen Details und virtu-

os inszenierten Szenen auszuschöpfen. Barts Nu-

disten-Skateboardfahrt ist rasendes Actionkino in

2D, der selbstmörderische Bombenentschärfungs-

roboter schönster Verweis auf einen anderen Mo-

nolithen der Hochkomik und wie in Homers Mund

– inspiriert durch sein wandelbares Hausschwein

– das Spiderman-Thema zum Spiderpigsong wird,

ist schlicht herzerwärmend komisch. In den tradi-

tionellen Starauftrittszenen parodiert Tom Hanks

sein Image als Gutmensch, der die Glaubwürdigkeit

der Regierung hochhalten muss und Green Day, die

millionenschwere Fun-Protest-Band, ertrinkt gna-

denlos im Lake Springfi eld.

Weniger überzeugend ist die Darstellung und

Einbindung der zahlreichen Nebenfi guren: Dem jäh-

zornigen Erzchristen Ned Flanders gelingt es ent-

gegen der Serietradition beinahe, sich als perfekter

Vater zu inszenieren und Russ Cargill – der neuen

Figur in der Simpsons-Welt – geht die Vielschich-

tigkeit von anderen zwielichtigen Seriengestalten

wie dem Energiemogul Mr. Burns oder Sideshow-

Bob ab. Speziell in den Flanders-Szenen schielt

das hochkarätige Autorenteam um den Simpsons-

Erfi nder Matt Groening zu stark Richtung Konsens

und vergisst für kurze Zeit die subversive Kraft des

gelben, unerschöpfl ichen Paralleluniversums, in

dem feinsäuberlich und nahezu permanent die All-

tagsmythen der globalen Gesellschaften zerpfl ückt

werden. Überdies gilt: Kein grosser Prophet ist, wer

diesem Film mehr Wirkung als Al Gores Klimafi lm

«An Inconvenient Truth» zuspricht, auch wenn

die Hebebühne bei Lisas Präsentation erheblich

klemmt.

«The Simpsons Movie» läuft seit dem 27. Juli im

Kino. www.simpsonsmovie.com

FILM

der subversive blockbusterVon Benedikt Sartorius Bild: zVg.

cinéma

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 0726

magazin

LESERBRIEFE / [email protected]

LeserbriefeWir freuen uns über Ihre Zuschriften. Je kürzer

ein Brief, umso grösser ist die Möglichkeit für

eine Veröffentlichung. Es ist nicht nötig, dass

der Inhalt sich nur auf Artikel bezieht, welche im

ensuite - kulturmagazin erschienen sind - aber

es wird die Veröffentlichung fördern. Die Redak-

tion behält sich vor, Artikel zu kürzen. Es wer-

den nur Zuschriften publiziert, welche mit Name

und Wohnort versehen sind. Einsendungen an:

ensuite - kulturmagazin, Leserdienst, Sand-

rainstrasse 3, 3007 Bern oder per Email: le-

[email protected]

Thema: L‘ Aubier - Oase der Sinneensuite, Juni 54/55, S. 34

■ Ich bin zwar Abonnent, weiss aber nicht, ob Ihr

so eine Leserseite habt - habe bis an noch nicht da-

rauf geachtet, ausser auf Eure so genialen Artikel

(wie den letzten mit dem Stadttheater) ... bin jetzt

aber schon ein paar Seiten weiter und beim Artikel

«l´aubier - oase der sinne» stecken geblieben.

Als langjähriger Ökofutterer (nicht erst seit

es in Hollywood in ist) hatte ich mich wie doll da-

rauf gefreut, dass erstens meine Frau und ich von

Freunden in das Hotel «Le café Hotel» (gehört

zusammen mit dem in Montezillon) eingeladen

wurden und dass on top of it ich noch von meiner

Frau ins Les Murailles 5 zum Znacht eingeladen

wurde.

Das Hotel in Neuchâtel ist sehr schön, die Zim-

mer herrlich einladend und die Ambiance in den

Stockwerken einmalig. Die Leute lieb! Einzig beim

Frühstück vermisste ich ein wenig Musik und die

Verbindung zum Bauernhof ... es war da nicht viel

zu spüren von einem Unterschied (ich bin ca. 150

bis 200 Nächte pro Jahr in Hotels).

Aber das mit dem l´aubier! Am Abend, nach ei-

ner Entdeckungstour durch Neuchâtel, ging‘s los.

Man kommt auch mit dem Zug dorthin! Das Heran-

treten ist super... diese Aussicht! Wahnsinn... und

der herzig einladende kleine Garten vor dem Haus.

Aber, wie Sie erkannt haben (oder Andrea Bau-

mann), musste man aber sofort die Kamera zü-

cken, weil dies die einzig wertvolle Ansicht von der

Liegenschaft ist.

Ein hässlicher Wintergartenanbau zerstört

schnell die innere Ruhe des Gebäudes. Weder mo-

dern noch romantisch. Weder cool noch warm!

Chance verpasst. Die Einrichtung könnte von ei-

nen billigen Möbelhaus, welche es entlang der A1

zu Massen gibt, stammen. IKEA hätte da Wärmeres

und Moderneres zu bieten. Wenn schon bei IKEA

... überall stehen, hängen oder liegen Gegenstände

oder Möbel herum, die eine Ambiance vorspielen

sollen. Weil sie aber ganz offensichtlich nicht ge-

braucht werden, auch die Schränke nicht, strahlen

sie soviel Charme aus, wie die hohlen Bücher in

den Ausstellungswohnwänden bei Hubacher.

Und so geht es weiter mit dem Essen dann. BIO

muss doch nicht einfallslos sein! Auch nicht grau!

Wie Vegi auch nicht mehr nur Bohnen und Braun

ist! Wo ist das Gefühl, der Bauernhof sei grad ne-

benan? Warum habe ich Salate auf dem Teller,

die sicher nicht von dem Hof sind, sondern wahr-

scheinlich von einem Bio-Bauern in Kenia? Bio

heisst auch Saison ... ok, ich hatte auch Spargeln,

aber auch den Verdacht, dass die aus einen Bio-

Glas kommen. Ok, vielleicht bin ich ein zu extre-

mer Gourmet - darum gehe ich halt auf den Berner

Markt (der beim Münster) und mache meine Freu-

den für uns und Freunde selber. Kochen kann ich.

Und Lust für Bio habe ich auch - weil dies ein Moti-

vator ist, die volle Natur auf dem Gaumen zu spü-

ren und das mit gutem Gewissen.

Also, ein paar weniger Auszeichnungen

und aber viel mehr Gefühl und LUST - bitte!

Auf ein andermal - früher waren die Bio-Weine

ja auch alle schlecht, so als Erkennungszeichen.

Und heute von Weinliebhabern aber ganz an die

Spitze gebracht. Das dauerte, aber es lohnt sich. In

diesem Sinne ... ich freue mich auf die Geniesser in

der BIO-Gastro-Branche ;-) Es gibt solche ... habe

ich auch schon entdeckt!

Thomas Kaupert; Bern

INSOMNIA

HEIMAT?Von Eva Pfi rter

■ Mitternacht auf meinem Berner Balkon. Es

ist still. Grillen zirpen leise, irgendwo raschelt

ein Tier im Garten unter mir, ab und zu fährt ein

Auto vorbei – langsam, zivilisiert, ohne viel Gas

zu geben. Und dann ist’s wieder still Die Mittel-

linie der Strasse leuchtet grellweiss ins schwarze

Nichts. Ein Glas Rotwein steht auf dem Tisch,

das Kräutergärtchen gedeiht, die Wäsche an der

Leine duftet frisch. Die Luft ist wunderbar; kühl

und vollgesogen mit Feuchtigkeit und dem leich-

ten Duft verspäteten Frühlings. Über dem Gurten

hängt eine graue Wolke. Ein altes Velo quietscht

in der Kurve. Der Nachbar nebenan hustet und

rückt einen Stuhl zurecht. Die Nachbarin über

mir lacht am Telefon. Teenager schlendern vor-

bei, lachend, rauchend, fl irtend. Dann sind sie

weg und es ist wieder ruhig. Die Nacht strahlt

alles aus, was die Schweiz ausmacht: Wohl-

befi nden, Sicherheit, Raum für mich. Raum, den

niemand antastet. Ich könnte ewig sitzen bleiben,

ins Dunkel hinausschauen und wohlig vor mich

hin schlummern. Ich könnte schlafen. Wunderbar

schlafen. Doch ich kann nicht.

Mitternacht auf meinem Römer Balkon. Die

Luft ist schwer und warm. Der laue Wind streicht

über mein Gesicht. Er duftet nach Aufwachen,

Leben, junger Nacht. Eine Autotür knallt und eine

zweite. Stöckelschuhe tänzeln über den Asphalt

und jemand ruft «Aspetta!». In der Strasse un-

ter meinem Balkon sitzt eine Gruppe Studenten

auf Automotorhauben, lachend, diskutierend, in

der einen Hand den Aperitivo haltend. Der letzte

Bus brummt vorbei, laut und schwer wie ein al-

ter Walfi sch. Meine Mitbewohnerin rennt zur

Tür, begrüsst eine Freundin und rauscht hinaus,

eine Duftwolke zurücklassend. Der Martini auf

der staubigen Balkonbrüstung ist schon fast zu

warm. In der Küche klappert Emma mit Töpfen

vom Nachtessen. Zwischendurch klingelt eines

ihrer beiden Handys. An meinen Schuhen hängt

noch etwas Sandstaub.

Ich könnte ewig so stehen bleiben. An meiner

Balkonbrüstung. Aufs Kino hinabschauend, das

Leben ist. Die warme Luft ist alles, was mir Italien

bedeutet: Lebenshunger, Überschwang, Leichtig-

keit. Süss und gleichzeitig schwer. Es ist zu laut

zum Schlafen. Es ist beinahe zu hell, auch wenn

es eigentlich dunkel ist. Ich könnte bleiben. Ewig

bleiben. Doch ich kann nicht.

Kultur geht uns

alle was [email protected]

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 27

magazinCARTOON

www.fauser.ch

VON MENSCHEN UND MEDIEN

biedere, gemütliche neidhammelVon Lukas Vogelsang

■ Der Möchtegernsommer ist für Medien sicher

nicht einfach. Da die Nachrichtenagenturen feri-

enbedingt, ebenfalls reduziert, wichtige und un-

wichtige Agenturmeldungen verbreiten, müssen

unsere JournalistInnen selber ans Werk. Das kann

übel sein – vor allem wenn diese aus der Übung ge-

kommen sind - und man wünscht sich zuweilen die

verfl ucht langweiligen Agenturen wieder zurück

an den Arbeitsplatz.

So hat «Der kleine Bund» vom 14. Juli eine

wunderbare Sommerfüllidee gehabt und füllte die

Beilage mit dem Thema: «Unsere kleine Stadt».

Und natürlich ist damit Bern gemeint und natür-

lich dreht sich alles um den Vergleich mit Zürich.

Aber dem nicht genug: Die Diskussion ist vom

Chefredaktor Arthur K. Vogel sogar selber ange-

zettelt und geschrieben worden – einem Luzerner,

der seit Anfang dieses Jahres in Bern wohnt. Einer

eben, der das Duell der Berner gegen die Zürcher

noch nicht miterlebt hat oder eben dann nur am

Rande. Was er sicher mitbekam, ist, dass die Re-

aktionen Bern-Zürich und dann retour Zürich-Bern

ganz gut für Diskussionsstoff sorgen. Einzig, der

Rückschlag aus Zürich ist meistens um ein Höl-

lisches tiefer unter der Gürtellinie – und niemand

wagt sich dagegenzstellen, wohlweislich, dass der

Funken Wahrheit eine Flamme ist und es besser ist,

zu schweigen… Bern ist unverbesserlich selbstbe-

sessen. Neidisch sind wir, weil uns die lockere Art

der Zürcher nicht bekommt, neidisch sind wir, weil

die Welt in Zürich stattfi ndet und nicht hier in un-

serem ach so gemütlichen Nest. Der Tod von Bern

heisst Kleindenken, Politik und Medien. Wir sind

(und das ohne Wertung) eine Beamtenstadt und

keine Firmenhochburg. Wer in Bern etwas sein will,

muss erst die gnadenlose Attacke von geltungs-

süchtigen Karrierebeamten überleben oder aber

mit den Medienhäuser verbandelt sein – denn in

unserem Zürcher Medienhaus wird nur über «Ge-

kauftes» geschrieben.

Tja, was für ein Vogel also. Unklarer wird das

Ziel von «Unsere kleine Stadt». Soll es eine Platt-

form für lechzende Zürcher Journalisten sein?

Ist es die Einladung, uns im August in Olten zum

Kantönliduell zu treffen? Oder sollte es tatsäch-

lich die Berner motivieren, stolz über ihre verfi lzte

Baugrube zu sein? Der Chefredaktor Vogel stüpft

sich gleich selber ins Luzerner Füdli, wenn er Je-

an-Martin Büttner (vom «Tagesanzeiger») neben

seinem Artikel schreiben lässt: «Von den Zürchern

sind solche Abfälligkeiten selten zu hören – aus

dem einfachen Grund, dass sich diese gar nicht für

Bern interessieren.» Man könnte frivol anhängen:

Den Berner interessiert es auch nicht.

Die Kommune Bern wird Vogel mit diesem Artikel

kaum gewinnen können. Denn irgendwann – be-

stens bemüht, das Sandsteinlager in einem guten

Licht erscheinen zu lassen – verfällt er selber in

einen Anti-Berner-Släng, redet von «gestörtem

Verhältnis», wenn’s um den Verkehr geht, dass es

«ihm den Hut lüpft», dem Berner, und dass diese

«rätselhaft» über das Roadpricing nachdenken.

Da redet der Chefredaktor vom «Bund» über Ab-

fälle und Strassenpoller und meint wohl, damit

einen Zürcher beeindrucken zu können oder dem

Berner die Brusthaare zu polieren. Ich kann mir

auch schlecht vorstellen, dass man sich in Zürich

dafür interessiert, ob wir in der Buslinie 11 und 21

Platz haben oder nicht.

Vielleicht täten die von Vogel abgewerteten

Zürcher «Privatisierungsfetischisten» Bern ganz

gut. Je mehr man seinen Artikel liest, umso klarer

wird einem, dass der Arthur K. Vogel Bern nicht

gern hat. Er lebt hier wegen der Arbeit – eine Art

Zwangsgemeinschaft -, aber mehr hat er hier

nicht verloren. Oder wie einst ein Militäroffi zier

vor meinem Rauswurf der grünen Institution bei-

zubringen versuchte: «Du bist keiner von uns und

wirst es nie werden!» Ich war dankbar und stolz

darauf – es scheint, der Vogel auch.

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 0728

magazin

www.ensuite.chWissen was im nächsten Monat läuft.

Ein Abo macht Sinn.

Von Andy Limacher

■ nr. 33 // badespass. Regelmässige Leser die-

ser Kolumne wissen mittlerweile, dass ich im

Weissenbühl wohne. Geografi sch nahe liegend

für den Badespass wären für mich also vor allem

Eichholz und Marzili, und allenfalls Weyermanns-

haus und Ka-We-De. Aber in keinem dieser Bäder

lasse ich mich sehen.

Am liebsten kämpfe ich mich an denjeni-

gen Sonntagen, an denen der Asphalt brodelt,

nämlich quer durch die Stadt: Zuerst die Mon-

bijoustrasse hinauf, dann quer über die Gross-

baustelle und anschliessend den Killerhügel des

Nordrings hoch. Wenn mir dann der Schweiss in

Strömen aus den Poren dringt, weiss ich, dass ich

mir den Besuch im Wylerbad verdient habe.

An dieser Stelle hätte ich jetzt gerne einen

Stadtläufer-typischen Abschnitt mit Fakten plat-

ziert. Zum Beispiel: Beim Wyler wurde schon

Ende des 18. Jahrhunderts gebadet. Oder: Das

Wylerbad ist das einzige Bad in Bern, bei dem

das Wasser nicht chemisch aufbereitet wird. Die-

se beiden Fakten treffen aber leider auf das Mar-

zili beziehungsweise das Lorrainebad zu. Im Ge-

gensatz dazu ist das Wylerbad völlig faktenfrei,

was bedeutet, dass Sie mit meiner persönlichen

Wahrnehmung vorlieb nehmen müssen.

Nun, selbst bei grossem Andrang fi ndet sich

im Schwimmbecken immer ein Plätzchen. Auch

einen Schattenplatz muss ich jeweils nicht lan-

ge suchen. Die grosse Sportwiese ist defi nitiv

ein Plus, und die Pommes sind immer frisch und

knackig. Darüber hinaus schätze ich die Lage:

Schweizer Qualitäts-Bio-Glacé bekomme ich

im Luna Llena gleich um die Ecke, und auf dem

Nachhauseweg stehen mir für ein kühles Blondes

optional Kairo, Brass und Du Nord offen.

Nicht dass sie mich jetzt für einen halten, der

nie in die Aare steigt. Aber wenn schon, dann

ohne die Fleischbeschauung im Marzili. Sie fi n-

den mich auf der kleinen Wiese unterhalb der

Lorraine – unweit des Wylerbads.

STADTLÄUFERSOMMERVERSUCH I■ Kluge Köpfe schützen sich – vor der Sonne. Am

Besten, man cremt sich das Gesicht und die Haare

ein, und frau trägt einen Tschador, belehrt mich

ein Freund. Ich gucke mich im Restaurant um und

frage mich, von welcher Gefahr er wohl spricht.

Weit und breit nur käsebleiche Wintergesichter.

Dasselbe Bild bietet sich auf Berns Strassen: Die

reinste Milchschwemme, und das ohne Subven-

tionen. Dabei ist schon Ende Juli. Auch um mich

steht’s nicht besser: Aus dem Spiegel linst mir ein

weisses Antlitz entgegen. Im Gegensatz zu den

japanischen Touristinnen vor dem Zyglogge, die

ihr Sonnenschirmchen fl ugs in einen Regenschirm

umfunktioniert haben, freue ich mich darüber

aber gar nicht. Was soll nur aus all den Kleidern in

kräftigen Farben werden, die mir «InStyle» wärm-

stens zur «knackig braunen Haut» empfohlen hat,

und die nun im Schrank den Motten harren?

Insgeheim keimen in meinem Kopf frevlerische

Fragen: Wo ist die Klimaerwärmung, wenn man sie

braucht? Haben sich die Grünen zu früh gefreut?

Ich entschliesse, dieser Misère nicht mehr länger

tatenlos zuzusehen. Wie in allen schwierigen Leb-

enslagen stöbere ich in einem original indianisch-

en Wiki. Unter dem Stichwort «Wetter» fi nde ich

aber nur Hinweise zu Thomas «der aus grossen

roten Knöpfen weissagt» Bucheli und Anleitungen

zu Regen-, nicht aber zu Sonnentänzen. Mir bleibt

also nichts anderes übrig, als auf eine Errungen-

schaft der modernen Zivilisation zurückzugre-

ifen: Die Sonnenbank! Stracks marschiere ich zur

nächstgelegenen Bank-Filiale und starre in die

Röhre, was meinem Teint jedoch nicht die er-

hoffte Farbe verleiht. Enttäuscht gehe ich weiter,

überhole auf dem Bundesplatz backbord die Alin-

ghi, die nun – was der weissen Tücher wegen erst

wenige wissen - dort anstelle des Bundeshauses

steht, und fi nde mich vor der Auslage einer Apo-

theke wieder: Im Handumdrehen ruckzuck braun

werden! Mit diversen Tuben und Sprays bewaffnet

mache ich mich auf den Heimweg. Angekommen

teste ich die Wundermittelchen sogleich allesamt

an meinen Beinen, und siehe da - es wirkt! Schon

nach wenigen Minuten nimmt meine Haut den

auf der Packungsbeilage versprochenen «ausge-

wogenen sun touch» an. Erfreut stürze ich mich in

ein Röckchen und betrachte das Ergebnis im Spie-

gel - doch, o weh! - Für Momente wähne ich ein

Zebra in meinem Zimmer. Bald aber realisiere ich,

dass es meine Beine sind, die mir da in tiefbraun-

weisser Safaribettwäscheoptik entgegenblinken.

Zum Glück regnet’s heftig ans Fenster, und

Meteo-Wetterfrosch Bucheli bestätigt: Es soll noch

lange weiterregnen! Das erste Mal diesen Sommer

bin ich ihm für diese Nachricht dankbar. (cb)

SOMMERVERSUCH II■ Der Sommer will nicht und alle Versuche,

Stimmung zu erzeugen, sind im Juli verwässert.

Nehmen wir ein Heim-Beispiel: Das Gurtenfesti-

val, ein Anlass, der vorwiegend Teenies anspricht.

Der missglückte Versuch eines Sommerfestivals

mit guter Musik und Sonnenbrand zeichnet der

betörend stinkende Morastboden und die tonnen-

schweren Abfallberge. Die Organisatoren reiben

sich natürlich immer noch die Hände: Das Festival

macht schätzungsweise 8 bis 10 Millionen Franken

Umsatz auf dem Hausberg. Da sind 80‘000 Fran-

ken für die Bodensanierung nur lächerlich. Tele-

Bärn hat sich zumindest um eine gute Reportage

bemüht und fragte die betrunkenen Besucher-

kinder, an welche Bandnamen sie sich denn von

den 54 Artistengruppen erinnern könnten. Mehr

als sechs schaffte niemand. Die Kinder waren zu

betrunken, zum anderen waren sie an diesem Fe-

stival nicht wegen der Musik. Warum dann?

Sex, Drugs und Alkohol. Unser Jugend ersäuft

sich selbst. Um mehr geht’s nicht mehr. «Hinten

knutscht ein Pärchen hemmungslos herum. Bis er

kurz abbricht, den Kopf dreht und kotzt. Dann küs-

sen sie weiter.» Dies rapportierte Marina Bolzli am

23. Juli auf espace.ch. Am Festival-Eingang wur-

den «Notfallpäckli» ausgehändigt mit Kondomen.

Welch ein Versprechen. Das Festivalzeltlager oder

eben «die grösste Jugendherberge der Welt» wur-

de im Vorfeld als Tummelplatz für den Beischlaf

propagiert. In Artikeln wurde belustigend gewarnt,

nicht zu erschrecken, wer oder was am Morgen ne-

ben sich aufzufi nden sei… Da beruhigen auch die

Worte der Festivalpromotoren nicht, die öffentlich

sich loben, «auf dem Gurten seien schon Kinder

gezeugt worden!». Wow. In den 68ern wurde dazu

wenigstens noch philosophiert...

Zwischenfl ash: Das «Sunday Times Magazine»

zeigte in der Ausgabe vom 22. Juli (also zeitparal-

lel zum Gurtenfestival) vom einen Artikel über jun-

ge Mütter. Also eigentlich Kinder, die im Alter von

14 oder 15 bereits geschwängert sind und Kinder

gebären. Auf der Titelseite baucht die nackte 15-

jährige Aimee, im achten Monat schwanger. Kein

Einzelfall unter Minderjährigen, sondern gemäss

der «Sunday Times» eine «epidemische» Entwick-

lung. Das emotionale Unverständnis ist medial

gross vorbereitet. Es riecht nach Skandal – und ist

es eigentlich auch. Nur fragt sich, in welche Rich-

tung der Skandal zeigt.

Wo ist der moralische Zeigefi nger? Warum sagt

niemand was? Ganz einfach: Wer sollte denn? Die

Medien sind Parter der Organisatoren, die Spon-

soren können sich nicht negativ outen und das Pu-

blikum hat vergessen, dass es dabei war... (vl)

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 29

magazin

KULTUR & GESELLSCHAFT

natürlich greift der stier die Von Peter J. Betts

■ Natürlich greift der Stier die Muleta an, mit der

ihn die1 Frau oder der Mann während der «suerte

de muerte» reizt und ermüdet, bevor sie oder er

ihn mit einem Degenstich zwischen die Schulter-

blätter tötet. Die Muleta: für den Stier ein «rotes

Tuch»? Ich denke, der gequälte, wütende Stier

würde mit Tötungsabsicht jede von einem Men-

schen provokativ gemachte Bewegung angreifen,

weil er sie mit Mensch gleichsetzt und das wiede-

rum mit der Ursache seiner Qual. Dies, nachdem

ihn der Picador während der «suerte de varas» mit

seiner Lanze vom hohen Ross herab immer wieder

in den Nacken gestochen hat und nachdem, wäh-

rend der zweiten Phase der Agonie, der «suerte

de banderillas», ihm einige Paare mit Bändern um-

wickelter und Widerhaken versehener Stäbe in den

Widerrist gesteckt worden sind. Man schreibt des

Stiers Jagd mit Tötungsdrang dem «roten Tuch»

(nicht dem rot-grünen Baldachin) zu. Zwar ist

die Muleta durchaus ein rotes, durch einen Stock

versteiftes Tuch – aber: man sagt heute, der Stier

sei farbenblind. Er urteilt ohne Farbsinn über das

«rote Tuch». Man sagt, eine aus dem Nest gefal-

lene kleine Meise soll bitte ja nie ins Nest zurück-

gebracht werden, weil das Vögelein den Geruch

des (diesmal) rettenden Menschen annähme und

die Eltern es verständlicherweise (s. oben) des

menschlichen Geruches wegen ablehnen würden,

damit wäre dann die Rettungsabsicht zur Tötung,

vielleicht gar der ganzen Brut, mutiert. Meisen

haben keinen Geruchssinn. Haben kommunale

Exekutivbehörden einen Kultursinn? Hat das Kol-

lektiv des Gemeinderates gar Kunstsinn, wenn es

über die Qualität eines Kunstprojektes oder eines

Kunstwerkes befi ndet? Es kursiert die Anekdote,

dass der Gemeinderat (damals gab es noch keine

Gemeinderätinnen, trotzdem habe der Gemeinde-

rat schon damals Kunst im öffentlichen Raum ge-

bührend ernstgenommen) bei der Besichtigung ei-

ner Auftragsplastik von Max Fueter feststellte, der

Flötenspieler habe eindeutig einen zu kleinen Ge-

schlechtsteil. Der Künstler habe seiner Figur dann

gehorsamst nach bestem Wissen und Gewissen

einen stadtwürdigeren verpasst. Angeschraubt?

Angeschweisst? (Kann man Bronze schweissen, lö-

ten?) Der Gemeinderat, seiner Pfl icht zu nachhal-

tiger Verantwortung bewusst, sei höchst befriedigt

gewesen. Se non è vero, è ben trovato. Im Sitzungs-

zimmer des Gemeinderates im Erlacherhof ist auf

Ofenkacheln die eindrückliche Szene gemalt, wie

ein Architekt(?) auf seinen Knien den Gnädigen ein

prestigeträchtiges, städtebauliches Modell zur Be-

gutachtung präsentiert – so mag das Weltkulturer-

be seinen Anfang genommen haben: nicht sichtbar

vom hohen Ross herunter, mit, trotz eindrücklicher

Schwerter, Wohlwollen ausstrahlenden bärtigen

Männern und einem knienden Phantasten. Plus ça

change... Wunderbar, falls der Gemeinderat künftig

seine eigenen Richtlinien (kennt er sie überhaupt?)

bezüglich Kunst im öffentlichen Raum verbessern

will. Ein Masterplan muss her? Im Wettbewerb für

den neu zu gestaltenden Berner Bahnhofplatz hat-

te er, vielleicht unbewusst, bereits in der Praxis

eine Neuigkeit nicht verhindert: Wer sich am Archi-

tekturwettbewerb beteiligen wollte, musste bereits

für das Wettbewerbsprojekt mit einer externen

Künstlerin oder einem Künstler zusammenarbei-

ten, die/der dann bis zur endgültigen Realisation

des erkorenen Projektes als Teammitglied mit den

Architekten zusammenarbeiten sollte; als Kunst

erkennbare Kunst war dabei nur Teil der Aufga-

be des exotischen Teammitgliedes: Ansonsten –

und das war als wichtigster Teil erachtet worden

- sollte dessen Kreativität, als Blick von aussen

die Gesamtentwicklung, die Gesamtrealisation in

den verschiedensten Bereichen mitbestimmen.

Mit der Wahl des Architekturbüros durch die Jury

war also auch die Künstlerin oder der Künstler ge-

setzt und der im Rahmen der gesamten Baukosten

budgetierte Betrag für konkret sicht- oder fühl-

bare Kunst festgelegt. Weder Kunstkommission,

noch Abteilung Kulturelles, noch Gemeinde- oder

Stadtrat würden künftig etwas dazu zu sagen

haben. Die Jury, mit einer Vertretung von Kunst-

sachverständigen und vom Gemeinderat, wählte

endgültig, ausgenommen, natürlich, von rechtlich

bewilligungspfl ichtigen Vorhaben. So hatte man

gemeint. Damit hätte der Gemeinderat erstmals

seinen in eigenen Richtlinien festgehaltenen Ab-

sichten mutig Vorschub geleistet: für das Lösen

von öffentlichen Aufgaben Kulturschaffende zu-

sätzlich zu Fach- und Politvertretungen beizuzie-

hen und damit den schöpferisch anderen oder un-

voreingenommenen Blick von aussen gestalterisch

im Interesse der Öffentlichkeit zu nutzen. Auch

wenn Kulturschaffende und Politschaffende wenig

Verständnis füreinander zu haben pfl egen. Das

war natürlich lange bevor man beschlossen hatte,

das Forum für Gestaltung im Kornhaus eingehen

zu lassen. Wird der Gemeinderat jemals Sinn dafür

entwickeln, dass jene Menschen, deren einziges

Kapital, der einzige Werkstoff, das einzige Werk-

zeug von entscheidender Bedeutung die Phan-

tasie ist, Wesentliches dazu beitragen könn(t)en,

Probleme des Alltags nachhaltig anzugehen? Na-

türlich passt der gemeinderätliche KiöR-Entscheid

beim Bahnhofplatz zur zunehmend gängigen Pra-

xis, dass Investoren Generalunternehmungen be-

auftragen, mit prestigeträchtigen Stars der Archi-

tektur städtebaulich «bedeutende» Bauvolumina

zu realisieren: mit offener, d. h. beliebiger Nutzung

(egal, ob Kaserne oder Schulhaus oder Büroge-

bäude oder???), solange die horrenden Mietzinse

bezahlt werden können. Natürlich passt es zum

Trend, wunderbare Verpackungen zu «designen»,

die dazu gehörenden Verpackungsautomaten

zu bauen und sich erst dann zu überlegen, ob es

überhaupt einen passenden Inhalt gäbe, oder ob

die Werbebranche erst noch beauftragt werden

muss, ein entsprechendes Bedürfnis zu schaffen,

das man dann schon irgendwie gewinnbringend

erfüllen können wird. Aber eben: Stiere jagen das

«rote Tuch», ob farbenblind oder nicht. Meisen

ohne Geruchsinn lassen die von Menschen geret-

tete Brut wegen ihres angenommenen mensch-

lichen Geruchs eingehen. Und der Gemeinderat

befi ndet über die Qualität künstlerischer Projekte.

Mit welchen offi ziellen Begründungen auch immer.

Es wird keine wahrnehmbare Kunst beim neu ge-

stalteten Bahnhof geben.

1 «Der kleine Bund», 7. Juli 07, letzte Seite: viel-

leicht ist Ana Infante jetzt tatsächlich als offi ziell

geprüfter Matador eine der wenigen Stierkämpfe-

rinnen Spaniens, und ihr Traum hat sich erfüllt.

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ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 0730

■ Goethe mochte es nicht, das Wallis. Er schimpfte

über das Unwetter, das ihn am Furkapass fast zur

Umkehr gezwungen hatte. Schlechter Laune hatte

er sich auch dazu verleiten lassen, über die Leu-

te im Land herzuziehen. Er wetterte gegen deren

«Menschenwerk». Sion zum Beispiel gefi el ihm gar

nicht: «so ein Schindel- und Steinhaufen, mitten

in der grossen herrlichen Natur.» Seine zweite

Schweizer Reise hatte ihn 1779 von Genf her über

den Umweg zum Fuss des Montblanc und den Col

de Forclaz nach Martigny und das Rhonetal hinauf

geführt. Sein Reisebericht ist in Briefform stilisiert.

November war es: Hüfthoch im Schnee einsinkend,

durch dichtes Schneetreiben und ohne Sicht un-

ter drohenden Lawinenniedergängen verschaffte

Goethe sich die gesuchte Grenzerfahrung in der

Natur.

Rilke liebte das Land. Er machte das Wallis zu

seiner letzten Heimat und liess sich bei der Kirche

von Raron seine Grabstätte errichten. «Wie redet

und wirkt und handelt diese Landschaft zu mir!»,

schreibt er überschwänglich. «Sie ist herrlich

hart und gross, und ... mitten im Garten beinahe

zärtlich.» Das Zusammenkommen von Härte und

Sanftheit ist es, was Rilke immer wieder anzog in

dieser Landschaft.

Widersprüche prägen auch heute das Bild der

«Üsserschwiizer» von dem breiten Südtal: Char-

mant der Dialekt, für viele allerdings oft schwer

verständlich. Schön und stolz die kräftigen

schwarzen Kampfkühe. Hässlich die Industrie im

kahlen unteren Teil des Haupttals. Sonnigwarm die

mediterran anmutenden Südhänge. Einengend der

sture, schwere Katholizismus.

Mutige Aufbrüche Stur mögen manche Wal-

liser sein. Oder eigensinnig. So zum Beispiel

auch Adeline Favre aus dem Eifi schtal, dem Val

d’Anniviers. Es war ein Ereignis, als sie 1938 mit

dreissig Jahren die Fahrzeugprüfung ablegte: «Bei

Marius Zufferey, einem Neffen von mir, habe ich

meine ersten Fahrstunden genommen. Als wir

nach Venthôme kamen und ich eine Kurve nehmen

sollte, wusste ich plötzlich weder ein noch aus. Ich

klammerte mich ans Lenkrad und drückte mit aller

Kraft aufs Gaspedal. Marius zog die Handbremse,

aber ich blieb mit dem Fuss auf dem Gaspedal.

Wir fuhren eine Böschung hinauf, hinunter in ei-

nen Garten, verwüsteten ein Beet, wo Gurken und

Mais angepfl anzt waren, und landeten vor einem

Zwetschgenbaum, ohne ihn jedoch zu berühren.»

Aufs Gaspedal drückte Adeline auch sonst in

ihrem Leben. Als Zweitgeborene war sie nach Genf

gegangen, um den Beruf der Hebamme zu lernen

und blieb dort, als mit dem Tod der älteren Schwe-

ster die Pfl icht sie eigentlich zurückgerufen hätte

an den Hof der Eltern. Als ausgebildete Hebamme

ging sie schliesslich doch zurück ins heimische Tal

und brachte kühne neue Ideen mit sich. Sie war

die einzige Hebamme, die ein Auto besass und

praktische Überlegungen waren es auch, die sie in

ihrer täglichen Arbeit leiteten. Bei Adeline wurde

die Nabelschnur der Neugeborenen kurz nach der

Geburt abgeschnitten und die Plazenta verbrannt.

Sie, eine stämmige Frau, die 125 Kilo auf die Waa-

ge brachte, verwarf die Tracht und kleidete sich in

modische Kostüme. Sie machte sich stark für ein

neues Verständnis für die Lebenswelt der Frauen

und gewann damit nach und nach das Vertrauen

der Taleinwohnerinnen. 8000 Kinder hat sie in

dem weit verzweigten Tal auf die Welt gebracht.

Ihr Leben ist eindrücklich dokumentiert in dem

von ihr verfassten Lebensbericht «Ich, Adeline,

Hebamme aus dem Val d’Anniviers».

Besuchenden präsentiert sich das Val

d’Anniviers heute als wildromantisches Tal. Und

wenn man tagsüber in den Ortschaften nur weni-

gen Kindern begegnet, liegt das daran, dass heute

im Tal in Vissoie eine Tagesschule eingerichtet ist,

die einzige im Wallis. Ein Bruch mit der Tradition

und dennoch ein Geschenk, ermöglicht die Schule

doch den Eltern in den entlegenen Siedlungen eine

Arbeit ausser Haus anzunehmen.

In Sprache gezeichnet Unvermutete Seiten

sind im Wallis zu entdecken. Der Blick von fremden

und heimischen Schriftstellerinnen und Schrift-

stellern zeigt Wege in die Geschichte und in die Ge-

genwart des Tals. Fiktiver Reisebericht, poetischer

Vierzeiler, glühender Kitschroman, dramatischer

Comic oder schlicht gute und hierzulande wenig

bekannte Literatur – in deutscher, französischer

und englischer Sprache legt sich die literarische

Topografi e des Wallis über die Landschaft des

Rhonetals. Eine literarische Landkarte, die neue

Zugänge erschliesst in eine Landschaft, die hinter

den Bergen ganz nah liegt.

Das Buch:

Michael T. Ganz, Dominique Strebel (Hrsg.): Dies

Land ist masslos und ist sanft. Literarische Wande-

rungen im Wallis. Rotpunktverlag 2006.

STADT UND LAND

mit neuster tunneltechnik in die vorstellungs-welt der «üsserschwiizer» gerückt: das wallisVon Anne-Sophie Scholl Bild: zVg.

magazin

Page 31: ensuite · k ult urmagazin ensuite Nr. 56 August 2007 | 5. Jahrgang Uf dr Strass chasch nid bschiisse! Zwischen Puppen-Punk und kosmo-politischer Kleinkunst Seite 4

ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 31

magazin

■ Tina, eine attraktive, junge Frau bahnt sich

hastig einen Weg zwischen Tischen und speisenden

Gästen und spricht eine ebenso attraktive, junge,

selbstbewusste Frau in Trenchcoat und sportlicher

Mütze an: Frau Kommissarin! Ich möchte endlich

gehen! Ich bin am Ende mit meinen Nerven! Kom-

missarin Caprez antwortet gelassen: Noch ein paar

Minuten!

Tina reagiert verärgert auf soviel Coolness:

Aber verstehen Sie doch! Ich habe meinen Vater

und meine beste Freundin verloren! Und meine Mut-

ter liegt mit Schussverletzungen und einem Schock

im Spital! Caprez kontert scharfzüngig: Wir spielen

hier nicht Shakespeare, Frau Tamburic. Lassen sie

die Dramatik weg!

Kein Fernseh-Krimi, kein klassisches Bühnen-

stück – nein, DinnerKrimi nennt sich diese Theater-

form.

Unterhaltung in Form von Krimis kombiniert

mit kulinarischen Höchstgenüssen ist kein neues

Rezept. Aber Achtung - sowie Suppenhuhn nicht

gleich Suppenhuhn ist, ist DinnerKrimi nicht gleich

DinnerKrimi. Es kommt auf die Ingredienzen und

die Dosierung an. Die Krimiliteratur bietet zwar eine

eindrückliche Sammlung an Kriminalgeschichten

sowie eine Reihe von illustren Kommissaren, In-

spektoren und Detektivinnen, die sich als Vorlage

fast aufdrängen, so etwa Miss Marple, Hercule

Poirot, Mankell, Wachmeister Studer, Colombo, um

nur einige aufzuzählen. Für den Initianten Peter

Denlo war jedoch von Anfang an klar, seine Din-

nerKrimis sollen keine Historienkrimis werden.

Wie soll denn dies auch gehen? Die Gäste schlem-

men in Jeans, Poloshirt und Sneakers und sollen

gleichzeitig einen aktiven schauspielerischen Part

bei der Aufl ösung auf Schloss Eilean Donan in

Schottland im Jahr 1389 übernehmen! Vielmehr set-

zt der junge Autor und Schauspieler Denlo auf eine

vielschichtige, zeitgenössische Story, die genauso

zum Schmunzeln wie Miträtseln animiert.

Das Erstlingsstück «Zum Hauptgang: Mord» feierte

seine Premiere am 24. Mai 2007 im Hotel Uto Kulm

auf dem Üetliberg in Zürich und fand während der

Tournee durch die Deutschschweiz rasch ein breites

Publikum. In Bern ist DinnerKrimi jeweils im Land-

gasthof Sternen in Muri zu sehen. Nach der Cas-

tingphase und kurz vor Probenbeginn des zweiten

Stücks traf sich ensuite – kulturmagazin mit dem

Initianten Peter Denlo.

Was hat Dich interessiert, DinnerKrimi in der

Schweiz zu lancieren?

Aus der Not heraus kriegt der Mensch Ideen. Als

Schauspieler ist man immer auf der Suche nach Ar-

beit. Ein eigenes Projekt macht immer Sinn, braucht

jedoch Mut und Zeit. Die Idee von DinnerKrimi kam

mir in Deutschland, da diese Art von Theater in un-

serem Nachbarland seit Jahrzehnten ein breites

Publikum fi ndet. Und so dachte ich, dass dies bei

uns auch funktionieren könnte. Ausserdem reizte es

mich, Hotelräume zu Bühnen umzufunktionieren,

vor allem in der Schweiz, wo die Hotellerie eine von

Tradition gezeichnete Geschichte kennt.

Welche Hotels hast Du angefragt?

Mir war von Anfang an wichtig, Hotels und Res-

taurants, die eine hohe Qualität bieten, mit dabei

zu haben. Das Essen muss munden, das Ambiente

soll stimmen und zusammen mit dem Krimi soll ein

besonderer Abend entstehen. Klare Richtlinien sind

neben der Küche auch die Grösse der Räumlichkeit-

en und die Qualität des Services. Die Resonanz der

Hotels war so gut, und als Häuser wie das Roman-

tikhotel Wilden Mann in Luzern, das Schlossrestau-

rant Rapperswil oder das Hotel Uto Kulm auf dem

Üetliberg spontan zugesagt hatten, wusste ich, dass

mein Konzept aufgeht.

Wie läuft Dein DinnerKrimi ab?

Bei der Ankunft erhält der Gast einen Apéro.

Danach gibt es drei oder vier Gänge. Wir spielen

zwischen den Menüfolgen, damit sich der Gast aufs

Essen und dann wieder aufs Theater konzentri-

eren kann. Aber der Gast darf niemandem trauen,

sein Tischnachbar bei der Vorspeise könnte bere-

its ein Schauspieler sein und so gibt es durch das

Stück Mord und Totschlag, viele Verdächtige und

ein Detektiv. Aber keine Sorge, niemand wird in

Ohnmacht fallen und es spritzt auch kein Blut. Din-

nerKrimi sorgt für Unterhaltung und Spannung.

Zu viert spielen wir über zehn Rollen, was für viel

Abwechslung und gute Lacher sorgt.

Nach welchen Gesichtpunkten hast Du die

Story «Zum Hauptgang: Morde» geschrieben?

Das Stück ist ein Vierakter, in dem es gleich zum

Anfang einen Toten gibt und danach alle auf der

Suche nach dem Mörder oder Verdächtigen sind.

Der Fall wird übrigens von einer Frau aufgelöst,

denn ich habe mich bewusst für eine Kommissarin

entschieden, um dem Klischee von Colombo und

Derrick nicht zu entsprechen. Die Handlung durfte

nicht zu kompliziert werden, da man ja immer wie-

der durch das köstliche Essen abgelenkt wird. Gute

Witze und komische Situationen sind mir genauso

wichtig, wie eine gesunde Portion Interaktion mit

dem Publikum. Wenn ein Gast einen sachdienlichen

Hinweis hat, darf er diesen gerne laut einbringen.

Somit entsteht für uns Schauspieler Improvisa-

tion, die jede Vorstellung von DinnerKrimi einmalig

macht.

Wie viele Morde planst Du pro Stück ein?

Das verrate ich nicht. Kommt es Euch selber

ansehen und haltet die Augen offen, denn es kann

immer und überall etwas passieren.

Was serviert DinnerKrimi als nächstes?

Von Frauenfeld bis Interlaken, vom Kanton Ba-

sel-Stadt bis Nidwalden spielen wir von September

bis Dezember in insgesamt zehn Hotels. Das neue

Stück heisst «Gabel. Messer. Mord.» und wir werden

es uns nicht nehmen lassen, den bevorstehenden

Schweizer Wahlherbst durch den Kakao zu ziehen.

Somit ist diesmal nicht unsere Kommissarin ge-

fragt den Fall zu lösen, sondern Agent Kunz vom

Schweizer Geheimdienst.

REISEZIEL HOTEL

mord und totschlag zwischen rindsfi let und crème caramelVon Andrea Baumann (auf dem Bild: Peter Denlo als Herr Bühler)

Premiere von «Gabel. Messer. Mord.»:

Uto Kulm, Üetliberg, Zürich am 2. September 2007

Landgasthof Sternen, Muri Bern:

29.9./13.10./24.11.2007

Hotel Freienhof, Thun:

28.9./19.10./11.11.2007

Hotel Metropole, Interlaken:

15.9./6.10./1.12.2007

Kurhaus Weissenstein (Solothurn):

8./9./10.11.2007

Infos und weitere Locations:

www.dinnerkrimi.ch

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ararttensuiteensuitenr. 08 / 2007

Titelseite: Paul Klee Marionetten (bunt auf schwarz), 1930, Ölfarbe auf Karton, 32 x 30,5 cm, Kunsthaus Zürich, Schenkung Erna und Curt Burgauer / weiter Seite 33

Paul Senn - revidiert präsentiert 34 | Mienen, Masken, Possenspiel - Paul Klee und das Theater 35 | Kunst im Buch 37

| Galerienseiten 38/39 | In die Röhre gucken 41 | Fragen und Entdecken um des Spielens willen 42 | Berner Galerien

43 | Augenspiel 46 | Impressum 46 | Berner Museen Bern / Biel / Thun 47

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■ «Diese groben, fast trotzig hinge-zeichneten Linien! Alles schien mir so eindeutig auf diesen Bildern von ar-beitenden und fleissigen Schweizern. Da werden keine Fragen gestellt, nichts wird angezweifelt. Ein Opti-mismus wird da verbreitet, der einen Heutigen krank machen kann.» Mit diesen harschen Worten beschreibt Bernhard Giger 1982 den Eindruck,

Monika Schäfer

der eine erste Sichtung des Fotoar-chivs Paul Senns in ihm hinterlassen hat – Worte, die in Anbetracht von Senns immensem und vielfältigem Werk nur im Kontext der in den 1980er Jahren einsetzenden kritischen Aufar-beitung der Geschichte der Schweiz im Zweiten Weltkrieg nachvollzogen werden können. Tatsächlich hatte Paul Senn (1901-1953) mit den siebzig Fotografien des 1943 erschienen Bild-bandes «Bauer und Arbeiter» einen Beitrag für die geistige Landesvertei-digung geleistet. Die jahrzehntelange Rezeption Senns als Schilderer des einfachen Schweizer Lebens wird dem vielgereisten und durchaus ge-sellschaftskritischen Berner Foto-grafen aber in keiner Weise gerecht. Im Rahmen des Paul-Senn-Projekts sind nun seit 2004 die Aufarbeitung des umfangreichen Nachlasses und die Revision der Rezeption Senns im Gange. Bei der vertieften Sichtung des Fotoarchivs und der Restaurie-rung und zeitlichen Einordnung der einzelnen Bilder und Negative ist so-wohl in Vergessenheit geratenes als auch unbekanntes Material zum Vor-schein gekommen. In der aktuellen

Ausstellung im Kunstmuseum Bern, die gewissermassen als krönender Abschluss des Paul-Senn-Projekts gel-ten kann, werden unter anderem die zahlreichen Bildreportagen Senns in Erinnerung gerufen. So hat dieser der politisch links stehenden Illustrier-ten «Aufstieg» Fotografien für über 500 Reportagen geliefert. Darunter befinden sich etliche sozialkritische Beiträge, so zum Beispiel die Bildre-portage Senns über die Ausbeutung von Kindern in der Schwefelmine im sizilianischen Villarosa. Interessant ist in diesem Zusammenhang Senns Arbeit für «Die Nation» unter der Lei-tung Peter Suravas. Die Kombination von Senns Bildern und Suravas ein-dringlichen Texten ist nicht nur bei der Leserschaft auf grosse Resonanz gestossen. So hat die erste gemein-same Reportage «Kein Lohn – ein Hohn», ein Bericht über die erbärm-liche Lohnsituation von Emmentaler Heimarbeiterinnen, eine gesamt-schweizerische Diskussion über die-se und ähnliche Missstände ausgelöst und schliesslich für die Emmentale-rinnen zu einer Lohnerhöhung ge-führt. Paul Senn aufgrund solcher so-zialkritischer Arbeiten als «concerned photographer» zu bezeichnen, greift jedoch zu kurz. Zu vielseitig ist sein Gesamtwerk, als dass man es nur einem Schlagwort zuordnen könnte. Dies wird anhand der Fotografien aus den krisengeschüttelten 1930er Jahren deutlich: Einerseits thematisiert Senn Arbeitslosigkeit, Altersarmut und spa-nische Flüchtlingsströme, anderer-seits schiesst er Bilder vom Schweizer Grand-Prix, Bergwinter und Simm-entaler Fleckvieh. In der Berner Aus-

stellung ist auch Paul Senns in der bisherigen Rezeption vernachlässigter Leidenschaft fürs Reisen viel Platz ge-widmet. Er besuchte unter anderem Spanien, Italien, Amerika und Kana-da und brachte jeweils umfangreiches Bildmaterial mit nach Hause. Beson-deres Anliegen bei seinen Amerika-Reisen waren ihm die Lebenssituation der Afroamerikaner und die Gemein-schaften ausgewanderter Schweizer. Eine Sensation stellen die im Archiv entdeckten über tausend, teilweise noch unbekannten Farbfotografien dar – Paul Senns Werk erhält dadurch einen besonderen Stellenwert in der Geschichte der Schweizer Farbfoto-grafie. Einerseits setzte Senn die Far-be ein, um die Lebendigkeit der Men-schenmassen am Strand von Coney Island zusätzlich zu betonen, ande-rerseits gelangen ihm mit den beiden Touristinnen vor dem Grand Canyon und dem venezianischen Fischerboot mit gelben Segeln Bilder von grosser formal-ästhetischer Intensität. Die Fra-ge nach dem künstlerischen Wert der oftmals im Auftrag von Zeitschriften für Fotoreportagen geschossenen Bil-der stellt sich auch bei Paul Senn. Die Ausstellung im Berner Kunstmuseum, die die Arbeiten Senns aus ihrem pu-blizistischen Zusammenhang heraus-löst und zu Einzelbildern ästhetisiert, kann durchaus als Beitrag verstanden werden, Paul Senn nicht nur als Re-porter, sondern auch als Künstler zu begreifen. Bernhard Gigers Aussa-ge kontrastierend möchte ich sagen, dass die «Heutigen» an Paul Senns Fo-tografien sehr wohl ihre wahre Freu-de haben werden.

Paul Senn - revidiert präsentiertPaul Senn Fo-

toreporterKunstmuseum

Bern, Hod-lerstrasse 12,

Bern. Geöffnet Mittwoch bis

Sonntag 10:00-17:00 h, Dienstag 10:00-21:00 h. Bis

2. September.

Paul Senn. Farbfotografien

1946 - 1951Schule für Ge-staltung Bern

und Biel, Foyer, Schänzlihalde 31,

Bern. Geöffnet Montag bis Frei-

tag 08:00-21:00 h, Samstag 08:00-

12:00 h. 13. August bis

22. September. Eröffnung 16.

August, 17:00 h.

Mittagessen in der Berg-schule, Adelboden, Berner Oberland, 1935. FFV/KMB,

Dep. GKS. © GKS.

Flüchtlingskind im Lager von Rivesaltes, Frankreich,

1942. FFV/KMB, Dep. GKS. © GKS.

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■ Das menschliche Gesicht wurde vom Naturwissenschafter und Schrift-steller Georg Christoph Lichtenberg einst als die «unterhaltsamste Fläche auf Gottes Erdboden» bezeichnet. Das Spiel seiner Züge verrät gleichermas-sen Emotionen, wie es sie zu wecken vermag. Insbesondere für Schau-spieler ist die Mimik ein Ausdruck-sinstrument, mit dessen Hilfe sie

Nicola Schröder

Stimmungen erzeugen und transpor-tieren. Welch grosse Faszination das Schau- und mit ihm das Mienenspiel auf Paul Klee ausübte, zeigen viele seiner Arbeiten. In ihnen erscheinen menschliche Antlitze in den verschie-densten Spielarten. Klee setzte sich unter anderem mit der Varianz von Möglichkeiten auseinander, die eine einzelne Physiognomie bietet, indem er an ihr eine ganze Reihe von Emp-findungen erprobte. So finden sich

in einer Abfolge von Ölpausen auf Karton von 1919 die Darstellungen «Formender Künstler», «Empfindender Künstler» und «Abwägender Künstler» neben einem «Denkenden Künstler», die derzeit in der Ausstellung «Überall Theater» des Zentrums Paul Klee in Bern zu sehen sind. Die Gruppe veranschaulicht eine Auseinandersetzung mit dem darstel-lenden Potenzial von Gesichtszügen und zeigt gleichzeitig eine Reflexion der Künstlerfigur. In anderen Arbeiten studiert Klee die Schönheit in ihren Nuancen an verschiedenen Köpfen. In ihrer dominanten Rolle innerhalb der Ausstellung bilden Gesichter auch einen der Hauptanknüpfungspunkte für das begleitende Videoprogramm, das die künstlerische Bedeutung des Themas bis in die aktuelle Gegenwart belegen soll. Die Inhalte der Videos, die teils auf Bildschirmen, teils auf einer Grossbildprojektion zu sehen sind, werden in einer Reihe von Ge-

sprächen auf der Ausstellungsbühne mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Museums, Gästen und dem Publi-kum diskutiert. Auf diesem Weg steigt der Zuschauer in den Prozess der Re-flexion, der die gesamte Ausstellung durchscheint, mit ein: Schauspieler waren für Klee nicht nur Akteure auf der Bühne, sondern auch alltägliche Dinge und Personen. Er konnte sich zuweilen mehr über die Zuschauer der Vorstellungen amüsieren, nament-lich «Stadträthe, Vereinspräsidenten, Bundesbeamte und Grossmetzger mit geputztem Anhang» als über die Vorstellung selbst. Deshalb bevölkern neben zahlreichen Theaterfiguren und -grössen so viele Gesichtsdar-stellungen die Werke Klees, dessen ausgesprochenes Interesse für das Schauspiel in einer chronologischen Dokumentation als Rahmen der Aus-stellung nachvollzogen wird. Klee war ein grosser Liebhaber des Theaters, was ebenso die Kleinkunst und das

Mienen, Masken, Possenspiel – Paul Klee und das Theater

Paul Klee, komische Figur aus einem bayrischen Volksstück, 1924, 170, Feder und Aquarell auf Papier auf Karton, 22,7 x 20,3 cm, Zentrum Paul Klee, Bern, Leihgabe aus Privatbesitz

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Musiktheater einschloss. Klee griff Fi-guren und Motive des Theaters auf, um sie in eigenen bildnerischen Wer-ken in reflektorischer Art wiederzuge-ben. Auf der anderen Seite entwarf er selbst Puppen und Kunstfiguren, mit denen er sich spielerisch ausdrückte. So gehen in seinem Werk Illusion und Realität im Schaffensprozess in-nerhalb der Kreativität miteinander auf. Die Ausstellung «Überall Theater» zeigt mit einer grossen Auswahl von Arbeiten, die sich über Zeichnungen, Gemälde und experimentelle Blätter in Mischtechniken – darunter auch zahlreiche Leihgaben aus Privat- und Museumsbesitz – bis hin zur vollstän-dig versammelten Gruppe der Klee-schen Handpuppen erstreckt, das vielschichtige Wechselspiel zwischen Eingang und Wiedergabe von Inspi-ration. Gegen Ende seines Lebens werden Klees Kunstfiguren gar zu Metaphern des eigenen Verfalls und verschmelzen mit seiner persönlichen Geschichte. Die Gegenüberstellung von Werken Klees mit Dokumenten zur Schauspielkultur seiner Zeit, die durch Bild- und Tondokumente ver-vollständigt wird, macht deutlich, dass es sich um eine aussergewöhnliche Verflechtung von Leben und Kunst handelt, bei der die Grenzen nur schwer zu ziehen sind. In vielen Blät-tern spiegelt sich der aufkommende Starkult der zwanziger Jahre genauso wie der Wandel der Theater-, Varie-té-, und Zirkuswelt. Mit einem breiten Rahmenprogramm trägt das Zentrum Paul Klee der Idee von der Verflech-tung aus Leben und Spiel Rechnung und bereichert die Ausstellung mit

Darbietungen aus Tanz, Theater und Musik. Der Besucher soll eintauchen in die Welt der Gesten, Posen, Mie-nenspiele und Masken, wie Klee sie vorfand und kreierte. Puppenspiele-rinnen und Tänzerinnen vermitteln neben Sängern und Musikern einen emotional spürbaren Eindruck von der Vielfalt, die der Kunst Klees inne-wohnt. Diese Vielfalt unterstreicht das Zentrum neben der gegenwärtigen Wechselausstellung mit einer neuen Präsentation seiner Sammlungsbe-stände unter dem Titel «Ad Parnas-sum». Den roten Faden dieser Ausstel-lung bilden die beiden verwobenen Stränge des «Ad Parnassum»-Motivs und der Werke der Sonderklasse, die Klee mit seinem Siegel, das der Unver-käuflichkeit gleichbedeutend war, für seinen Nachlass reservierte. Das titel-gebende Schlüsselwerk der aktuellen Werkschau ist ein konservatorisches Sensibelchen, das die Ausstellungs-macher vor eine grosse Herausfor-derung stellte. Um die Leihgabe des Vereins der Freunde des Kunstmu-seums Bern von der Innenstadt zum wenige Kilometer entfernten Klee-Zentrum transportieren zu können, wurde ein aufwendiger Versuchslauf gestartet. In einem klimatisierten und luftgefederten Spezialtransporter wurde ein «Testbild» in einer gepol-sterten Klimakiste mit Wärmedäm-mung auf die Strecke geschickt, um mit Hilfe von spezieller Messtechnik die reale Belastung des Bildes bei seinem Umzug ermitteln zu können. Der Testlauf ergab, dass man die für die spröde gewordene Farbschicht

so gefährlichen Erschütterungen und Temperaturschwankungen auf ein vertretbares Mass eindämmen konn-te. Also durfte auch das Original seine Reise antreten. Umrahmt von weiteren Werken der «Sonderklasse», der höchsten Stufe im selbst erstellten Klassifikationssystem Klees für seine farbigen Arbeiten, demonstriert das Bild nun im Zentrum Paul Klee seine Ausnahmestellung. Das 1932 entstan-dene Werk in pointilistischem Duktus steht zentral für das immer wieder-kehrende Motiv des Berges und der verwandten Pyramide, das sich durch die gesamte Schaffenszeit Klees zieht. Einige seiner frühesten Werke mit re-alistischen Landschaftsdarstellungen eröffnen die Reihe chronologisch, die sich über seinen Karrieresprung in Zeiten des Blauen Reiters in Mün-chen, seine Arbeit im Umfeld des Bau-hauses während der zwanziger Jahre und die Akademiephase in Düssel-dorf bis hin zu seinem produktiven Spätwerk nachvollziehen lässt. Der Parnass als Götterthron und Sitz der Musen ist eines der meist verbreiteten Motive der Kunstgeschichte und steht damit nicht zuletzt für die ausge-prägte Auseinandersetzung Klees mit den Traditionen der bildenden Kunst. Der aufgeworfene Kontext gibt dem-nach einen subtilen Einblick in das Gebilde von Anspruch und Erfolg aus der Perspektive des Künstlers. Indem er Werke als gelungen markierte, ge-stand er sich die erfolgreiche Bestei-gung des Parnass – im übertragenen Sinne die Aneignung der künstle-rischen Sprache zu.Mehr dazu siehe Seite 10.

Paul Klee. Überall Theater

Bis 14. Oktober

Ad Parnassum. Die Ausstellung

rund um das MeisterwerkZentrum Paul

Klee, Monument im Fruchtland 3. Geöffnet Diens-tag bis Sonntag

10:00-17:00 h, Donnerstag

10:00-21:00 h. Bis 6. Januar 2008.

Paul Klee, Ad Parnassum, 1932, 274, Ölfarbe und

Kaseinfarbe auf Leinwand, 100 x 126 cm, Kunstmuse-

um Bern, Dauerleihgabe des Vereins der Freunde

Kunstmuseum Bern

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Kunst im BuchAlbtraum

■ Angst und Schrecken, wenn nicht sogar schiere Panik scheint Hiero-nymus Bosch verbreiten zu wollen. Pessimistisch und auf Furcht erre-gende Art und Weise hielt Bosch (um 1450-1516) seinen Zeitgenossen – und ebenso uns Gegenwärtigen – ihre Sünden vor Augen, prangert diese an und verweist vor allem mit unge-wöhnlicher Ausdrucks- und Schöp-ferkraft auf die Folgen eines sündi-gen Lebens: Detailreich zeigt Bosch qualvolle Folterungen der sündigen Seelen in Hölle und Vorhölle, dass dem Betrachter Hören und vor allem Sehen vergeht. Immer wieder sind es Torheit und die Angst vor dem Teufel und der Hölle, die thematisiert sind. Sicher ist darin ein Zeichen der Zeit zu sehen, denn gerade am Ende des 15. Jahrhunderts schienen Dämonen, Teufel und Hexen äusserst real und greifbar – so entstand der berüch-tigte «Hexenhammer» mit dem die Hexenverfolgung einen Höhepunkt erreichte. Kaum mehr als drei Dutzend Gemälde und eine handvoll Zeich-nungen sind von Hieronymus Bosch überliefert. Nichtsdestotrotz ist er ei-ner der bekanntes und beliebtesten Künstler der gesamten westlichen Kunstgeschichte. Seine Bildwelten und vor allem seine Fantasie gerade in der Erschaffung von Dämonen, Monstern und teuflischen Wesen fas-ziniert auch heute noch. Und sie wer-fen die Frage auf: Wieso? Wie konnte er eine derartig beunruhigende Welt erschaffen? Larry Silver (Professor für Kunst-geschichte an der Universität von Pennsylvania) führt kenntnisreich durch Boschs Werk: ausgehend vom wohl bekanntesten Gemälde Boschs, dem «Garten der Lüste», über seine Wurzeln bis hin zu Nachfolgern des Künstlers wie Joachim Patinier oder Pieter Bruegel. Der vierhundert Seiten starke Wälzer besticht durch die zahl-reichen hervorragenden Abbildungen, eine grosser Teil davon Details, wie sie gerade bei Bosch ungemein hilf-reich sind. (di)

Larry Silver, Hieronymus Bosch, Hir-mer, 2006, 424 Seiten, Fr. 214.00.

Bumblebee

■ Bunt und mehr chaotisch als über-schaubar kommen die Arbeiten von Christine Streuli daher. Schicht um Schicht baut sie ihre dichten Werke auf: in Acrylfarbe und Pinsel, mit Spray und Lack, im Abklatschverfah-ren oder mit Schablonen. Oberfläch-licher Kitsch? Nur dekoratives Orna-ment? So einfach kann man Streulis Malerei nicht abhandeln (schliesslich bespielt sie momentan gemeinsam mit Ives Netzhammer den Schweizer Pavillon an der Biennale in Venedig).«Sampling» könnte man Streulis Me-thode nennen. Denn was sie benutzt, kennt man: Es sind mittelalterliche Teppiche, Arabesken, Ornamente, Teppichstoffe, Blumenmuster, Ro-setten, Rorschachtests, die einfallen. Nichts Neues! Aber Streuli verbindet Nichtzusammengehörendes auf ge-schickte Art und Weise und kreiert so ihre Bildwelten, die nicht so einfach in aktuelle Malereirichtungen einzu-ordnen sind. Irgendwo zwischen Ab-straktion und Figuration schweben Streulis Werke. Es sind zwar allent-halben Figuren, Schmetterlinge, Blu-men und Arabesken auszumachen, aber sie sind immer Täuschung, sind Konstruktion. Passend dazu entste-hen die Arbeiten intuitiv und spon-tan: «So empfinde ich jedenfalls, wenn ich Farbtuben, Papier, Karton, Spraydosen, Holz oder Sonstiges um mich herumstehen sehe: Alles schreit nach Einsatz, nach Aktion oder Reak-tion, nach Bewegung.» Die erste umfassende Publikation zu Streulis Werk, sehr passend «bum-blebee» (Hummel) betitelt, wartet mit kurzen Texten zu Themen wie Sym-metrie oder Stillleben auf und gibt ei-nen guten Einblick in Streulis ausge-sprochen sinnliche Reizüberflutung. «Nichts ist tiefer als die Oberfläche», wie es Karl Kraus treffend ausdrückte. (di)

Christine Streuli. bumblebee, Verlag für moderne Kunst, 2006, 112 Seiten, Fr. 43.90.

Hitliste

■ Von A wie «Annabelle» über B wie «Bilanz» bis zu C wie «Capital», alle publizieren sie meist kurz vor dem Start der Art Basel ihre Kunst-Hitli-sten: Welches sind die besten Künst-ler und Künstlerinnen? Welches sind die wichtigsten Kunstschaffenden auf dem globalen Kunstmarkt oder in der Schweiz? Welches sind Auf- und Ab-steigerInnen dieses Jahres? Wie alles andere auf dieser Welt – vom Buchmarkt, über die Filmin-dustrie bis zur Musikbranche – wird bereits seit Jahr und Tag gelistet und juriert was das Zeug hält; es wird gemessen, berechnet, befragt und ermittelt, alles in Zahlen umgerech-net und mundgerecht in kleine gut verdauliche Bissen zugeschnitten, die als Fastfood in Sekundenschnel-le verzehrt werden können. Und wie ist das in der Kunstszene? Ist diese messbar? Kann Kreativität berechnet werden? In einem schmalen Büchlein von Jörg Becher sind nun auch «Die 50 wichtigsten Künstler der Schweiz» (wo bleiben die Künstlerinnen?) fest-gehalten. Bechers Hitliste beruht auf einer Anfang 2007 von «Bilanz» ausge-führten Umfrage unter 51 Kunstsach-verständigen. Im Vergleich zu dieser Methode erarbeitet das Magazin «Ca-pital» seit 1970 seinen Kunstkompass anhand von Ausstellungs- und Publi-kationserfolgen. Wer ausstellt, muss gut oder zumindest wichtig sein! Zu jedem der 50 Kunstschaffenden gibt es in Bechers Publikation einen kurzen Text, ein Werkbeispiel und ein Porträtfoto. Gerade die Fotos von Tom Haller vermögen zu überzeu-gen. Jedes Porträt ist anders und dem Künstler angepasst. Die Texte sind et-was kurz, so erlauben sie nur einen kleinen Einblick in das Werk der ver-schiedenen Künstler von Emmanuelle Antille bis Andro Wekua. (di)

Jörg Becher, Die 50 wichtigsten Künst-ler der Schweiz, Echtzeit Verlag, 2007, 224 Seiten, Fr. 38.00.

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Psychedelische Erlösungsphantasien

Der grosse Coup

Barocke Magie

■ Seit Mai dieses Jahres hat die Gale-rie «Milieu» an der Münstergasse 6 ihr Ausstellungsprogramm aufgenommen. Die stets offene Tür möchte auch fla-nierende Passanten einladen, einen Blick in den Kunstraum zu werfen. «Wir wollen primär junge Kunstinte-ressierte, aber auch Menschen anspre-chen, die vielleicht noch nie im Leben eine Galerie betreten haben», sagt Rémy Pia, einer der vier Galeristen, und vermutet, dass gerade Bern für eine junge Galerie mit dem Fokus auf internationale Newcomer ein ideales, noch unbespieltes Pflaster bietet. Ne-ben Rémy Pia stehen Arci Friede, Dave Marshal und Nicola Enrico Stäubli als Betreiber hinter der Galerie, die als

gemeinschaftliches Projekt geleitet wird. Zum Konzept gehört beispiels-weise, dass bisher in jeder Ausstellung mindestens ein Werk bereits unter 100 Franken zu erwerben war, so dass der Besitz von Kunst keiner kaufkräftigen Elite vorbehalten sein muss. Zurzeit zieren überaus bunte Ge-mälde des Amerikaners Kelsey Broo-kes die weissen Wände, wobei er das Gemäuer – inspiriert durch die Ge-wölbemalerei von Niklaus Manuel im Berner Münster – als gestalterisches Element ins Hängekonzept mit ein-bezogen hat. Der Künstler trägt die ornamentalen Strukturen, die er mit feinster Pinselarbeit auf die Leinwände appliziert, über deren Ränder hinaus

und verwandelt den gesamten Raum in ein psychedelisches Liniengewirr. Seine vielarmigen, indischen Gott-heiten wissen den Betrachter in allen erdenklichen Farbkombinationen zu betören, doch zugleich irritiert hier eine verrenkte Hip-Hop-Attitüde, dort ein Pin-up-Girl in eindeutiger Pose oder gar das kuschelige Gesicht ei-ner Disney-Figur. So kreuzen sich die anbetungswürdigen Götzen der west-lichen Konsumwelt mit den sagenum-wobenen Heilsbringern des Orients zu ungewöhnlichen, grotesk witzigen und zugleich merkwürdig abstos-senden Collagen – universelle Bilder der Erlösung in Sex, Konsum und glo-balisierten Identitäten. (sm)

Kelsey BrookesMilieu, Galerie /

Artspace, Münster-

gasse 6, Bern. Ge-

öffnet Donnerstag

13:30-19:00 h, Frei-

tag 13:30-19:00 h,

Samstag 12:00-17:00

h. Bis 25. August.

■ Sie wuseln wieder rum, die schrul-lig liebenswerten Charaktere, die im Eröffnungs-Video des Kulturraums der «Valiart» im vergangenen Sommer die Wände unsicher gemacht haben. Beherzt hat damals die gebrechliche Oma mit einem gezielten Schlag den Bankräuber zur Strecke gebracht. Der neuste Streich aus dem Hause «Pixel-farm», Tom Hänni, Simon Küffer und Reno Bertolotti, zeigt nicht etwa die Fortsetzung der Geschichte, sondern das Prequel vor dem grossen Raub, die Vorgeschichte, die den Hintergrund der Protagonisten beleuchtet. In stringenter Schwarzweissästhetik umspielen animierte Video-Einstel-lungen die fünf rauchenden und trin-

kenden Pokerfaces, die sich in der Mit-te des Raumes als skulpturale Runde versammelt haben. Auf drei Wänden wird jeweils gleichzeitig die Herkunft und Vergangenheit, die Rolle im ge-planten Raub sowie die Zukunft, Er-wartungen und Wünsche eines jeden Protagonisten dargelegt, den der Be-trachter über ein Schaltpult per Knopf-druck ins Zentrum des Interesses rü-cken kann. Da sitzt beispielsweise der breitschultrige, gutmütige Gorilla – ein belesener Schöngeist – während sich die Gangsterlady beseelt vom Helfer-syndrom und aus Liebe zum starken Helden als Politesse in den Raub mit reinziehen lässt. Die Idee, den sozialen Hintergrund

und die individuellen Beweggründe zu erörtern, aus denen schliesslich kriminelle Handlungen erwachsen können, ist vielversprechend. Sie greift aber einerseits in der allzu klischee-haften Beschreibung der Einzelper-sonen etwas zu kurz, als eine wirk-liche, sozialkritische Aussage gemacht werden könnte und wirkt andererseits zu melancholisch ernsthaft, damit man sie als überspitzte Parodie entlarven könnte. Sie stellen eher romantisierte Vorstellungen dar, wie man sich als Durchschnittsnormalo in einen spekta-kulären Bankraub phantasieren kann, über den dann in der Zeitung zu lesen wäre: «Grosser Coup geglückt». (sm)

Der grosse CoupValiart Kulturraum,

Theaterplatz 7, Bern.

Geöffnet täglich 9:00-

18:30 h, Donnerstag

bis 21:00 h, Samstag

9:00-16:00 h. Bis 25.

August.

■ Unumstösslich in der Vergangen-heit entschwunden und doch auf selt-same Art präsent wirken die Gesichter in Chantal Michels neuster Werkserie, die in der barocken Abteikirche in Bellelay zu sehen ist. Es sind Kopien nach grossen Meistern des Künstlers Hermann Gerber, die Michel in ihren Fotografien nachstellt, womit sie einen zusätzlichen Schritt vom eigentlichen Original weg, hin zu einer eigenen Umsetzung geht. Als Hommagen an berühmte Vorbilder wie Paul Klee oder Ferdinand Hodler stellen Michels Bilder Fragen nach dem einzigartigen, originalen Werk und seines Stellen-werts in der Geschichte der Kunst. Es ist erstaunlich, die Wandelbarkeit

Chantal Michels von Foto zu Foto mit-zuverfolgen, wissend, dass sich hinter der Kostümierung und der Gesichts-bemalung immer die Künstlerin selbst verbirgt. Wenn die hyperrealistische, fotografische Abbildung auf die ma-lerisch applizierte Farbe auf dem Ge-sicht der Künstlerin trifft, entsteht ein irritierender Effekt, der die Spannung der Bilder zwischen Anwesenheit und Abwesenheit der «Unwiderruflichen» ausmacht. Chantal Michel hat gemeinsam mit dem Kuratorinnen-Team Caroline Ni-cod und Valentine Reymond ein Ge-samtkunstwerk geschaffen. Wenn sich die Fotografien gleichen Formats fres-kengleich und wie Grabplatten in die

unterste Zone der Kirchenwand ein-fügen, dann werden in der Hängung die Bedingungen des besonderen Ausstellungsraums nicht nur berück-sichtigt, sondern harmonisch in das Gesamtkonzept der Kirche eingebun-den. Es ist der Dialog mit dem Ort, der den besonderen Reiz der Ausstellung ausmacht. Das durchdachte Hänge-konzept, das auf die kirchliche Litur-gie abgestimmt ist, sakraler Gesang, der den Besucher schon an der Pforte empfängt und ihn durch den Besuch begleitet sowie die Werke selbst verlei-hen dem bedeutungsvollen Kirchen-raum noch zusätzlich eine stimmige Atmosphäre zu einem Kunstgenuss der aussergewöhnlichen Art. (sm)

Chantal Michel, Die Unwieder-ruflichenAbtei von Belle-

lay, bei Tavannes,

Delémont. Bus auf

Reservierung ab

Tavannes: 0800

55 3000. Geöffnet

täglich 10:00-12:00

h, 14:00:18:00 h. Bis

16. September.

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■ Als die amerikanische Künstler-ikone Robert Smithson 1970 seine be-rühmte Schuttmole «The Spiraly Jetty» im Salt Lake in Utah auslegte, konzi-pierte er direkt neben seinem Land Art Werk ein Kino, in dem der künst-lerische Entstehungsfilm zur Monu-mentalskulptur hätte gezeigt werden sollen, und zwar unter Tags. Eine spiralförmige Wendeltreppe sollte

Sylvia Mutti

den Besucher in einen Vorführraum im Untergeschoss geleiten, in dem man wortwörtlich – und nicht ohne ironisches Augenzwinkern – einen Underground-Film zu sehen bekom-men hätte. Errichtet wurde das Kino im Untergrund nie und auch die spi-ralförmige Mole war während Jahren in den Tiefen des Sees versunken. Nun holt das Haus für Kunst Uri Verborgenes ans Tageslicht, aus der Unterwelt an die Erdoberfläche: «Im Untergrund / Below ground level» ist eine abwechslungsreiche, interna-tionale Show zeitgenössischer Werke, die sich unter anderem dem Phäno-men des Tunnels verschrieben ha-ben. Zwischen hell und dunkel, oben und unten, klaustrophobischer Enge und weit verzweigten Kanalsystemen zeigen fünfzehn Kunstschaffende Ar-beiten, die sich sowohl geografisch als auch metaphorisch mit dem Thema beschäftigen. Der Standort Uri, ganz in der Nähe des Gotthards, bietet sich für diesen Gegenstand in idealer Wei-se an, so dass die Ausstellung zum Jubiläum «125 Jahre Gotthardbahn» konzipiert wurde. Die Kuratorin der Ausstellung, Syl-via Rüttimann, hat gemeinsam mit Monika Hardmeier einen als Lese-buch konzipierten Katalog herausge-geben. Zehn Autorinnen und Autoren beleuchten den Tunnel aus kunst-historischer, geschichtlicher, philo-sophischer, künstlerischer, literatur- und filmwissenschaftlicher Sicht und bringen mit ihren Beiträgen Licht ins Dunkel. Als hätte der Rasen vor dem

Kunsthaus eine Lunge, bemerkt der aufmerksame Besucher beim Eintre-ten wie sich das Grün rhythmisch hebt und senkt. Hat sich hier etwa ein Murmeltier oder ein Krümelmon-ster unter dem Gebäude eine Schlaf-höhle gegraben? Mit «Wenn es hier wäre» hat Eva Baumann die äusseren Anzeichen von unsichtbarem Leben geschaffen, das als Mysterium unter der Erdoberfläche haust. Oberfläche gegen Untergrund, dunkel versus hell, schwarz gegen weiss: Hiervon zeugt ein besonderes Bijou der Ausstellung, eine Videoarbeit des Südafrikaners William Kentridge. In seinem als animierte Kohlezeich-nung gestalteten Film «Mine», konstru-iert sich der materielle Reichtum des weissen Patrons buchstäblich aus den Höhlensystemen seiner Bergwerke, in denen schwarze Arbeiter schuften. Die englische Doppelbedeutung des Titels, «Bergbaumine» und das Posses-sivpronomen «mein» reflektiert die un-gleichen Besitzverhältnisse sowie die soziale Unterdrückung der schwar-zen Bevölkerungsschicht zur Zeit des Apartheidregimes. Dem unwirtlichen Arbeitsumfeld unter Tage hat auch Milo Keller in seinen ästhetischen Fo-toarbeiten ein Denkmal gesetzt. Wie der weit aufgerissene Schlund eines Brontosaurus ragt ein geöffnetes Rohr aus dem Tunnel heraus, vergleichbar mit einem skulpturalen Readymade. Die Fotos inszenieren die gewaltige Arbeitskonstruktion im künstlichen Licht der Neonröhren, was ihnen et-was Ungetümes, Ursprüngliches und zugleich märchenhaft Unwirkliches verleiht. Inmitten der natürlichen Erde entsteht eine völlig technisierte Welt von eigenartig kühler Schön-heit. Viel weniger spektakulär und auf das Wesentliche reduziert, fliesst das «Kanalvideo» von Peter Fischli und David Weiss rund eine Stunde lang dahin. Während eine Kamera sich von sphärischen Klängen begleitet durch eine enge Röhre vorwärts be-wegt, wechselt das Bild vom Hell ins Dunkel und wieder zurück zu Hell.

Wie leuchtende Halos kommen die Schnittstellen der Rohre auf einen zu und umgeben das schwarze Loch in der Mitte mit schimmerndem Schein, wobei eine immerwährende Sonnen-finsternis entsteht und vergeht. Der Untergrund bietet für zahl-reiche literarische Arbeiten Inspirati-on. Er gewährt zum einen Schutz und Geborgenheit oder ist zum anderen Halbwelt, Ort des Illegalen, Erschre-ckenden. Taucht der Zug in Friedrich Dürrenmatts beängstigender Kurzge-schichte «Der Tunnel» nie mehr aus der Röhre auf und rast in einem höl-lischen Tempo ins Verderben, so lässt auch Claudio Fähs Kurzfilm seine Pro-tagonistin bei «Kilometer 11» im Gott-hard herumirren. In leicht trashiger Manier gedreht und mit spannungs-reicher Bombastmusik unterlegt, ma-nifestiert sich hier der Underground im Genre des Films. Die tröstliche, erlösende Aussicht dagegen, dass einen das Licht am Ende des Tunnels empfängt, führt uns Rudolf Steiner in einem Videobei-trag vor Augen, die einer Nahtoder-fahrung gleichkommt: Ein tanzender schwarzer Punkt hüpft zunächst auf hellem Hintergrund über den Mo-nitor, wird immer grösser und ent-puppt sich schliesslich als Ausgang eines Tunnels, dem der Künstler mit der Kamera in der Hand entlangging. Der Lichtpunkt nimmt mit zuneh-mender Dauer überhand, bevor sich der Schwarzweisskontrast völlig um-dreht und die Szenerie in gleissendes Hell taucht – mit den Worten Falcos: «Out of the dark, into the light.» Dem Himmel so nahe, dies könnte auch das Motto Sandro Steudlers «L-Beam» sein. Um dies zu erfahren, muss man allerdings zuerst in die Knie gehen: Auf Bodenhöhe blickt der Betrachter in einen Schacht, der über eine ver-winkelte Spiegelkonstruktion direkt in den Himmel führt, als hätte sich das Oben an das Unten angenähert, als stünde man unmittelbar an einem Abgrund, an dessen Ende die unend-liche Freiheit, das Licht am Ende des Tunnels wartet.

Im Untergrund / Below Ground LevelHaus für Kunst Uri, Herrengasse 2, Altdorf. Ge-öffnet Donners-tag und Freitag 15:00-19:00 h, Samstag und Sonnag 12:00-17:00 h. Bis 2. September.

In die Röhre gucken

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■ Sie sind die Meister des skurrilen, ironischen Humors, der kunstgewor-denen Banalität und poetischen Ge-ste mit Fragezeichen – und dies schon seit 1979. Damals entschlossen sich Peter Fischli und David Weiss von nun an zu zweit ihre weitere künst-lerische Karriere zu verfolgen. Was sie mit grossem Erfolg tun: Beliebt bei Kunstkritik wie Publikum sind

Sylvia Rüttimann

ihre Werke in vielen wichtigen Aus-stellungen zu sehen, nicht zuletzt an der Biennale Venedig und der docu-menta in Kassel, wo ihr Film «Der Lauf der Dinge» 1987 grosse Aufmerksam-keit erregte, die beiden an die Spitze der Schweizer Kunst der Gegenwart katapultierte und international be-kannt machte. Fast dreissig Jahre Arbeit, da ist schon einiges zusammengekommen. Zeit für eine Retrospektive. Und so ist es nun also auch geschehen: Kura-toren Bice Curiger und Vicente Todoli haben zusammen mit den Künstlern eine Schau eingerichtet, die zuerst in der Londoner Tate Modern und noch bis September dieses Jahres im Zür-cher Kunsthaus zu sehen ist. Es ist ein Werk, dessen Einzelteile reichlich be-kannt sind, von dem man aber auch nach mehrmaliger Betrachtung im-mer wieder von neuem begeistert ist. Nur schon «Der Lauf der Dinge». Berechtigterweise ist er in die Ge-schichte erfolgreicher Künstlerfilme eingegangen. Einerseits unverschämt

einfach, kommt er doch mit fast kei-nen Filmschnitten und kleinstmög-licher Handlung aus – Ursache und Wirkung –, fesselt er trotzdem durch seine Komplexität (immerhin geht es nach Wikipedia um die «Ausnutzung der Schwerkraft, der Zentripetalkraft, des Trägheitsmoments, des 3. Axi-oms, des Hebelgesetzes u. a.») und unbezahlbare Komik. Faszinierend wie Fischli/Weiss es schafften, mit unglaublicher Unpräzision die Dinge ins Rollen zu bringen. So ungeschickt und tölpelhaft und doch genau und wirkungsvoll hat kaum jemand alte Reifen, Flaschen, Kübel, Leitern, Müll-säcke und ähnliche Alltagsgegenstän-de in Bewegung gebracht, so dass der eine den anderen wiederum in Fahrt bringt. Um was genau auszudrücken? Man weiss es nicht so genau, sicher-lich kann das Ganze philosophisch aufgeladen werden, aber das Wich-tigste ist und bleibt der Humor, der Spass am physikalischen Ernst. Der Film kann noch so oft angesehen werden, das Schmunzeln bleibt ei-gentlich nie aus. Das zeigen auch die Reaktionen der immer sehr zahlreich vor der grossformatigen Projektion sitzenden Zuschauer im Kunsthaus. Einen «childlike spirit of discovery» hat die Tate den beiden denn auch attestiert. Was die Vorgehensweise der Künstler tatsächlich ganz gut be-schreibt. Schon die frühe «Wurstserie», aber auch die Filme «Der geringste Widerstand» und «Der rechte Weg» waren diesem Konzept verpflichtet, und hier wiederum spielt der Weg

eine wichtige Rolle: Die Künstler tre-ten verkleidet in den bizarren Rollen als Ratte und Bär auf und begeben sich auf eine Reise zum Leben, ma-chen Entdeckungen und erleben Enttäuschungen, untersuchen über-kommene Sicherheiten, versuchen die Welt zu erklären, ein Modell zu finden, und finden sich öfters im Scheitern. Als einen Versuch enzy-klopädischer Welterfassung, gespickt mit Humor und Bastlertrieb, erweist sich die mehrteilige Arbeit aus unge-branntem Ton «Und plötzlich diese Übersicht». Liebenswerte und wort-spielerische Szenen, die die Zuschau-er einmal grinsen, dann lauthals la-chen lassen. Und so kann man sich durch die Abteilungen des Bürkli-Saales seinen Weg entlang dem Fischli/Weiss‘schen Universum medialer Vielfältigkeit bahnen, vorbei an den spektakulär unspektakulären Flughäfen, Blumen, Würsten, Fragen, Tonfiguren, Videos und Skulpturen, die manchmal so aussehen als wären sie gar keine. Baumstämme liegen da rum, ein Le-derhocker, auf den man sich besser nicht setzen sollte, da er ein aus Poly-uhrethan abgeformtes Kunstwerk ist. Sogar ihr eigenes Atelier haben die Künstler so gefälscht und ins Kunst-haus geschafft, samt leerer Pizzaver-packung. Das ist lustig, aber auch ein wenig befremdend, ging es doch den beiden Künstlern eigentlich nie um die eigene Person des Künstlers. Selbstironie?

Fragen und Entdecken um des Spielens willen

Peter Fisch-li und David

Weiss. Fragen & Blumen

Kunsthaus Zü-rich, Heimplatz 1.

Geöffnet Diens-tag bis Donners-tag, 10:00-21:00

h, Freitag bis Sonntag 10:00-17:00 h. Bis 9.

September.

Peter Fischli / David Weiss, Mick Jagger und Brian

Jones befriedigt auf dem Heimweg, nachdem sie ‚I Can‘t Get No Satisfaction‘

komponiert haben, aus der Serie «Plötzlich diese

Übersicht», 1981, Ungebrannter Ton.

© 2007 Peter Fischli / David Weiss

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BERNERGALERIEN

Altes SchlachthausMetzgergasse 15, BurgdorfT 034 422 97 86Sa & So jeweils 11:00-17:00 hJwan Luginbühl zeigt bewegliche Eisenfi-guren. Jeden zweiten Sonntag mit Shuttle-Bus zum Skulpturenpark von Bernhard Lu-ginbühl bis 4.11.

annex14 - Galerie für zeitgenössische Kunst Junkerngasse 14, 3011 Bern T 031 311 97 04 / www.annex14.chMi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h oder nach VereinbarungHochschule der Künste BernMit Werken von: Constance Allen, Nino Ba-umgartner, Mohéna Kühni, Daniela Marko-vic, Annina Matter, Yvonne Motzer, Nicole Murmann, Nora Schmidt, Inga SteffensEröffnung Di, 21.8., ab 18:00 hMi, 22. - Sa, 25.8.

Art-HouseMittlere Strasse 3A, 3600 Thun T 033 222 93 74 7 www.art-house.chMi&Fr 14:00-17:30 h / Do 16:00-19:30 h / Sa 11:00-16:00 h und nach VereinbarungBarbara Schultz Malerei- PinselzeichnungenVernissage: 11.8., ab 17:00 hFinissage: 8.9., ab 14:00 h

Art + VisionJunkerngasse 34, 3011 Bern T 031 311 31 91Di-Fr 14:00-19:00 h / Do 14:00-21:00 h / Sa & So 11:00-16:00 h

Bärtschihus GümligenDorfstrasse 14, 3073 Gümligen Mary Poppins!superkalifragilistigexpialigetisch

Fri-Art 22 Petites Rames, 1700 Fribourg T 026 323 23 51 / www.fri-art.chDi-Fr 14-18:00 h / Sa&So 14:00-17:00 hExposition 4aemotional landscapes ibis 19.8.

bk Galerie Bernhard Bischoff & PartnerSpeichergasse 8, 3011 Bern T 031 312 06 66 www.bernhardbischoff.chMi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h oder nach Absprache Landscapes ReloadedKatia Bourdarel, Raffaella Chiara, Rainer Ei-sch, Bernhard Huwiler, Christian Indermüh-le, Reto Leibundgutbis 11.8. (nur nach Voranmeldung geöffnet)Diplomausstellung des Studiengangs Kunst in den Berner Galerien «The Students are alright»Mit Werken von: Constance Allen, Nino Ba-umgartner, Mohéna Kühni, Daniela Marko-vic, Annina Matter, Yvonne Motzer, Nicole Murmann, Nora Schmidt, Inga SteffensMi, 22. - Sa, 25.8.

Galerie 25 Regina Larsson2577 Siselen / T 032 396 20 71 www.galerie25.chFr-So 14:00-19:00 h oder nach tel. Verein-barung«Zeichnungen»Peter Engl, Berlin D, Lilly Keller, Cudrefin, Brigitte Konrad, Berlin D, Oliver Maurer, Neuchâtel NE , Erica Pedretti, La Neuveville

BE, Ezra Pirk, Ebikon LU, Renate Salzmann, Schwarzenegg BE, Fernand Schmutz, Bü-lach ZH, Anja Storz, Bern BE, Sylvia Vanan-deroye, Uettligen BEVernissage: So, 26.8., ab 14:00 h26.8. - 23.9.

Galerie 67Belpstrasse 67, 3007 Bern / T 031 371 95 71www.galerie67.chMo 14:00-18:30 h / Di-Fr 9:00-12:00 h & 14:00-18:00 h / Sa 10:00-12:00 h

Galerie ArtdirektHerrengasse 4, 3011 Bern / T 031 312 05 67www.artdirekt.chSüdsicht O7Ausstellung in der Klinik SüdhangKlinik für Suchttherapien, Südhang 1, 3038 Kirchlindach. Öffnungszeiten: Mi-Fr 17:00-20:00 h / Sa & So 14:00-18:00 hVera Goulart (Brasilien-Worb), Werner Neu-haus (Moosegg), Kathrin Racz (Bern), Nick Röllin (Bern), Anna Schmid (Spiez), Nikola Zaric (Lausanne)

Galerie bis HeuteAmtshausgasse 22, 3011 BernT 031-311 78 77 / www.galerie-bisheute.chDo-Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h & nach VereinbarungDie Galerie bleibt bis 23. August geschlos-sen.Nächste Vernissage:Ronald KodritschOne more wastes sunsets, please! 8.9. - 6.10.

Galerie Beatrice BrunnerNydeggstalden 26, 3011 Bern T 031 312 40 12 / www.beatricebrunner.chMi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h

Galerieneintrag: Auf den Seiten «Galerien in Bern» werden nur

noch Galerien publiziert, welche unsere jährli-

che Publikationsgebühr bezahlt haben. Wer

sich hier eintragen lassen möchte, melde sich

bei der Redaktion: Telefon 031 318 6050 oder

[email protected].

Bernhard Huwiler, Devils Tower, Kaltnadel auf Rives Bü tten bis 11.08.07 Galerie Bernhard Bischoff

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Galerie BärtschiNydeggstalden 32, 3011 Bern T 031 311 61 15www.art-baertschi.chDo-Fr 14:00-18:30 h & Sa 10:00-16:00 h

Galerie Christine BrüggerKramgasse 31, 3011 BernT 031 311 90 21Mi-Fr 14:00-18:30 h & Sa 11:00-16:00Uwe Gräbner, Alex Zürcher, Peter Pernath

Galerie Duflon & RaczGerechtigkeitsgasse 40, 3011 Bern T 031 311 42 62 Do 14:00-19:00 h, Fr 16:00-19:00 h & Sa 12:00-17:00 h oder nach tel. Vereinbarung.Pierre Bonard Gouachenbis 4.8.Franz RothMalereiVernissage: 10.8, ab 18:00 h11.8 - 29.9.

Galerie Henze & KettererKirchstrasse 26, 3114 Wichtrach T 031 781 06 01 / www.henze-ketterer.chDi-Fr 10:00-13:00 h & 14:00-18:00 h / Sa 10:00-16:00 h

Galerie im GrabenWaldeckstrasse 12, 3052 ZollikofenT 031 911 96 06 Fr 17:00-19:00 h / Sa 16:00-19:00 h & So 11:00-17:00 h

Galerie Madonna#FustRathausgasse 14, 3011 BernT/F 031 311 28 18 / www.madonnafust.chMi/Fr 12:30-18:00 h / Do 12:30-20:00 / Sa 10:00-16:00 h und auf Anfrage

Simone Aaberg Kaern, Petre Elena Köh-le und Nicolas Vermot Petit-OutheninVernissage: 31.8., 17:30-20:00 h

Galerie Margit HaldemannBrunngasse 14, Brunngasshalde 31 T 031 311 56 56 / [email protected], www.galeriehaldemann.chMi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h Bis Mitte August ist die Galerie nur nach Vereinbarung geöffnet!Barbara EllmererWaldstücke und BildnisseVernissage: Mi, 22.8., 18:00-20:00 h22.8. - 22.9.Soirée des Vereins Berner Galerien: Fr, 14.8., Galerien bis 23:00 h offen

Galerie Martin KrebsMünstergasse 43, 3011 Bern T 031 311 73 70 / www.krebs.artgalleries.ch/Di-Fr 14:30-18:30 h / Sa 10:00-14:00 hHannes Egli«Das Berner Münster»«La Strada»Vernissage: Mi, 15.8, 18:00-20:00 hKurzausstellung auch am So 10:00-14:00 h geöffnet!Thomas Baumgärtel«Landschaft»Vernissage: Mi, 22.8, 18:00-20:00 h22.8. - 29.9.

Galerie KornfeldLaupenstrasse 41, 3001 Bern T 031 381 46 73 / www.kornfeld.chMo-Fr 14:00-17:00 h

Galerie Ramseyer & KaelinJunkerngasse 1, 3011 BernT 031 311 41 72Mi-Fr 16:00-19:00h / Sa 13:00-16:00h

Galerie RigassiMünstergasse 62, 3011 Bern T 031 311 69 64 / www.swissart.net/rigassiDi-Fr 11:30-13:30 h & 15:30-19:00 h / Sa 10:30-16:00 h oder nach tel. VereinbarungChristina Priska Oldani - Bilder und Zeichnungen Michael Ball - Skulpturenbis 18.8.Provisorium. Galerie im Atelier – Atelier in der GalerieEin Ausstellungsprojekt von Selma Käppeli und Nicola MüllerschönVernissage: Di, 21.8., 19:00 h22.8.- 15.9.

Galerie Rosengarten ThunHaus Immer, Bälliz 35, ThunT 033 223 12 42 / www.galerie-rosengarten.chDi-Fr 14:00-17:00 h & Sa 10:00-16:00 hFritz Rieder4.8 - 25.8.

Galerie Silvia SteinerSeevorstadt 57, 2502 Biel / T 032 323 46 56 / www.silviasteinergalerie.chMi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 14:00-17:00 h oder nach Vereinbarung

Galerie Tom BlaessUferweg 10b, 3013 Bern / T 079 222 46 61www.tomblaess.ch

Galerie Toni MüllerHerzogstrasse 3, 3014 Bernwww.galerie-toni-mueller.chMi-Fr 15:00-18:30 / Sa 11:00-14:30 oder nach VereinbarungKarin FrankVerbindungen / VerbindlichkeitenAcrylbilderbis 11.8.

Rainer Eisch, mr_broum bis 11.08.07 Galerie Bernhard BischoffChristina Priska Oldani, Bilder und Zeichnungen bis 18.08.07 Galerie Rigassi

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Kabinett BernGerechtigkeitsgasse 72-74, 3011 BernT 031 312 35 01 / www.kabinett.chDo & Fr 14:00-19:00 h / Sa 11:00-16:00 hMarkus RaetzWerke aus der Sammlung Toni Gerberbis 18.8.Diplomausstellung des Studiengangs Kunst in den Berner Galerien «The Students are alright»Mit Werken von: Constance Allen, Nino Ba-umgartner, Mohéna Kühni, Daniela Marko-vic, Annina Matter, Yvonne Motzer, Nicole Murmann, Nora Schmidt, Inga Steffensab 20:00 h Apéro bei der Galerie StageMi, 22.8. - Sa, 25.8.

Klinik Bethesda Tschugg 3233 Tschugg BE / T 032 338 4 444 www.klinik-bethesda.ch täglich 8:00-19:00 h Patente Gene Martina Lauinger Apéro vor dem Weinkeller, Rundgang mit der Künstlerin: 4.8., 11:00-13:00 h, bis 28.9.

Kornhausforum - Forum für Medien und GestaltungKornhausplatz 18, 3011 Bern T 031 312 91 10 / www.kornhausforum.chDi-Fr 10:00-19:00 h / Do 10:00-20:00 h / Sa 10:00-16:00 hSexarbeitbis 1.8.pong. mythosVernissage: 19.8., 18:00 hab 16.8.Facing Peace - Face à la PaixVernissage: 22.8., 19:00 h22.8. - 1.9.

Kunstraum OktogonAarstrasse 96, 3005 BernFr 16:00-19:00 h / Sa 11:00-15:00 h

KunstreichGerechtigkeitsgasse 76, 3011 Bern T 031 311 48 49 / www.kunstreich.chMo-Fr 9:00-18:30 h / Do 9:00-20:00 h / Sa 9:00-16:00 hYatchi IthoSuishu Tomoko23.8. - 29.9.

Milieu Galerie/ArtspaceMünstergasse 6, 3000 Bernwww.milieu-digital.comDo&Fr 13:30-19:00 h / Sa 12:00-17:00 hKelsey BrookesSupernumeraryNew paintings and prints

ONO Bühne Galerie BarKramgasse 6, 3011 Bern T 031 312 73 10 / www.onobern.chNachtgalerie Fr&Sa 22:00-24:00 h oder nach tel. VereinbarungCorina Steiner und Elke LehrenkraussFotografiebis 31.8.

peripherie arts Im Stufenbau, Pulverstrasse 8, 3063 IttigenTel 076 325 19 11 / www.peripherie-arts.chDi&Mi 18:00-20:00 h (oder nach tel. Ver-einbarung)

PROGR Zentrum für KulturproduktionSpeichergasse 4, 3011 Bern / www.progr.ch«Unknown Pleasures»bis 10.8.Di 14:00-20:00 h & Mi-Sa 14:00-17:00 hDiplomausstellung des Studiengangs

Kunst in den Berner Galerien «The Students are alright»Mit Werken von: Constance Allen, Nino Ba-umgartner, Mohéna Kühni, Daniela Marko-vic, Annina Matter, Yvonne Motzer, Nicole Murmann, Nora Schmidt, Inga Steffensab 20:00 h Apéro bei der Galerie StageMi, 22. - Sa, 25.8.

R A U MMilitärstrasse 60, 3014 Bern www.kulturraum.chMi-Fr 16:00-19:00 h / Sa 12:00-16:00 hr a u m SommerSchaufenstermit Reto Steiners Klon VI (Kreis) 2005 Gips(Besichtigung: durch das Schaufenster oder klingeln oder vereinbaren 079 307 31 42.)bis 12.8.Frauen mit KöpfchenAusstellung Ruth BurriBilder und ObjekteVernissage: Fr, 24.8., 18:00-20:00 h24.8. - 14.9.

SELZ art contemporainClos du Tacon 20 A; 2742 Perrefittewww.selz.chT 079 779 56 27

SLM KunstausstellungDorfplatz 5, 3110 Münsingen T 031 724 11 11Mo-Do 8:00-12:00 h & 13:30-17:00h / Fr 8:00-12:00 h & 13:30-18:00 h

StadtgalerieSpeichergasse 4, 3001 Bern T 031 311 43 35 7 / www.stadtgalerie.chDi 14:00-20:00 h & Mi-Fr 14:00-17:00 h«Unknown Pleasures»Thomas Bayrle, Pierre Bismuth, Wim Delvo-ye, Cyprien Gaillard, Doug Fishbone, Shih

Martina Lauinger, Klone Chromosomen 4.08.-28.09.07. Klinik Bethesda Tschugg Ruth Burri, Malerei & Objekte von 24.08.-14.09.07 raum Corina Steiner & Elke Lehrenkrauss, Portrait bis 31.8. ONO, Bern

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Von Dominik Imhof

■ Da man uns Berner Kunstliebhabern und Augenmenschen die Kunst im öffentlichen Bahnhofsraum – d. h. die einzigen Licht-blicke rund um den Bahnhofsplatz – aufs Hinterlistigste, wenn nicht sogar aufs Grob-Fahrlässigste geraubt hat und uns dem lär-menden, chaotischen und schwer zu über-windenden Baustellenzirkus überlassen hat, wo wir doch klimatisierte, menschenleere und folglich erholsame museale Räumlich-keiten gewohnt sind, da dachte man sich wohl in irgendeiner mehr oder weniger ho-hen Behördenstelle, es muss Ersatz in eben-so skulptural-objekthafter Weise an anderer Stelle geschaffen werden. So findet man seit geraumer Zeit eine neue Einrichtung auf dem Kornhausplatz, die ganz unheilvoll auf den braven Kindlifrässerbrunnen blickt, mit dem sie ja so gar nichts verbindet. Ein riesiger Betonsockel, dem man den Ver-such jegliche Vandalenakte bereits im Vor-feld durch enormes Gewicht im Keime zu ersticken von weiter Ferne bereits ansieht – selbst mit einem geschlossenen Auge. Da-rüber erstreckt sich ein Stahlungetüm in die Höhe, 5,5 Meter sind es, das seiner boden-

Impressum

artensuite erscheint monatlich als Beila-ge im ensuite - kulturmagazin. Herausgeber: edition ■ ensuite, Bern Redaktion: Dominik Imhof (di); Moni-que Meyer (mm), Sylvia Mutti (sm), Nicola Schröder (ns), Sylvia Rüttimann (sr), Moni-ka Schäfer (ms)

Die Redaktion artensuite ist politisch, wirtschaftlich und ethisch unabhängig und selbständig. Die Texte repräsentieren die Meinungen der Autoren/innen, nicht jene der Redaktion.

Copyrights für alle Informationen und Bil-der liegen beim Verein WE ARE in Bern und der edition ■ ensuite.

Redaktionsadresse: artensuiteSandrainstrasse 3 3007 Bern Telefon 031 318 6050 Mail: [email protected] www.artensuite.ch

Augenspiel

haftenden Halterung alle Ehre macht. Euro-Countdown-Uhr nennt man so etwas. Gott sei Dank, wissen wir doch jetzt bei jeder Kornhausplatz-Traversierung wie lange wir noch auf den nächstjährigen Fussballzauber warten müssen. Übrigens gibt es derartige Uhren auch an den anderen Austragungsorten der Euro 08. Dort sind sie auch nicht schöner. Wer aber rasche Erholung von diesem sechs Tonnen Ungetüm braucht, dem sei hier ein Tipp mit auf den Weg gegeben: Gehen Sie nur wenige Schritte weiter ins Postgäss-lein. Da hat der im November 2005 verstor-bene Künstler Carlo E. Lischetti den oberen Postgassbrunnen aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts unter dem Titel «Keine Brun-nenfigur» 1991 umgestaltet – hier kann man wirklich von Gestaltung sprechen. Unschein-bar, scheinbar funktional führt zum Sockel neben dem eigentlichen Brunnenbecken eine Treppe mit Geländer hinauf. Wie der Ti-tel bereits klar macht, gibt es oben nichts: die Brunnenfigur fehlt. Jeder kann selber zum Denkmal werden. Schlicht, einfach, aber umso präziser ist Lischettis Denkmal.

DENN BERN IST ÜBERALL!

www.ensuite.ch

Chieh Huang, Alevtina Kakhidze, Lang/Baumann, Elodie Pong, Boy & Erik Stappa-erts, Aaron Schusterbis 10.8.

VALIART KulturRaumBundesgasse 26, 3001 BernTäglich 9:00-18:30 h / Do bis 21:00 h / Sa bis 16:00 h Der grosse CoupPixelfarm (Tom Hänni, Simon Küffer, Reno Bertolotti)Sound: Fabian FriedliEin Projekt der Serie Hands up! rund um den Mythos Bankraub im digitalen Zeitalter.bis 25.8.

Wartsaal 3Helvetiaplatz 3, 3005 Bern T 031 351 33 21 / www.wartsaal3.chtäglich 11:00-19:00 h

Temporäre Austellungen

Stadtarchiv Bern Erlacherhof, Junkerngasse 47 Mo-Fr 8:00-12:00 h, 13:30-17:00 h Wenn alles wahr wäre ...Wahlpropaganda zu den Gemeindewahlen

in der Stadt Bern zwischen 1937 und 1988 bis 31.8.Heiliggeistkirche BernDer geschlossene öffentliche Raum / GrenzenEine szenische Installationab 12:00 hbis 9.8.

Diplomausstellung des Studiengangs Bildnerisches GestaltenHKB, Vestibül, Fellerstrasse 11, 3027 BernDiplomausstellung des Studiengangs Bild-nerisches GestaltenMit Werken von Estelle Currat, Sandro Galli, Florian Glanzmann, Dominic Gyger, Tho-mas Kägi, Sarah Kaufmann, Yves Lavoyer, Patricio Perez, Rebecca Siegfried, Nadja Spa-linger, Julia SteinerVernissage: Fr, 24.8., 18:00 h,25.-29.8.

Alterswohnheim SteingrüebliSchiessplatzweg 36, 3072 OstermundigenMo&Di 10:00-17:00 h / Mi-So 10:00-19:00 hAgathe ZinsstagSkulpturenBruno Unterrassner Fotografien

Wenn alles wahr wä re ... bis 31.8. Stadtarchiv Bern

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BERNER MUSEENBERN / BIEL / THUNAbegg-StiftungWerner Abegg-Strasse 67, 3132 Riggisbergtäglich 14:00-17:30 hSonderausstellung 2007Drachen aus Seide, Blumen aus Gold.Textile Schätze der chinesischen Liao-Dynastie (907-1125)bis 11.11.

Antikensammlung BernHallerstrasse 12, 3012 BernMi 18:00-20:00 hDie Antikensammlung beherbergt nebst den Abgüssen (rund 230 Exponate antiker Skulpturen von den Anfängen der griechi-schen Archaik bis zur römischen Spätantike) auch eine kleine Sammlung mit originalen Fundstücken aus der griechisch-römischen Antike.

Bernisches Historisches MuseumHelvetiaplatz 5, 3005 BernDi-So 10:00-17:00 hBerns Weg in die ModerneWarum ist die Gegenwart so geworden wie sie heute ist? Die Sonderausstellung lädt ein zu einem Gang durch die Schweizer Verfas-sungsgeschichte und die Geschichte Berns im 19. und 20. Jahrhundert.bis 6.1.2008Erlebnispark PhysikBildungsvergnügen für die ganze Familiebis 14.10.

Centre DürrenmattChemin du Pertuis-du-Sault 74, 2000NeuchâtelMi-So 11:00-17:00 hAm Rande der Sprachebis 26.8.

Einstein-HausKramgasse 49, 3011 Bern1.10.-16.12., Di-Fr 10:00-17:00 h / Sa 10:00-16:00 hFührungen jederzeit nach Absprache

HeilsarmeemuseumLaupenstrasse 5, 3001 BernDi-Do 9:00-12:00 h & 14:00-17:00 hDokumente, Zeitschriften, Bilder, Fotos, Grammophonplatten, Kassetten, Musikinst-rumente und andere Sammelobjekte.

Institut für Archäologie der Universität BernLänggassstrasse 10, 3012 Bern T 031 631 89 92Mo-Fr, 8:00-17:00 h

Kunsthaus Centre Pasqu’artSeevorstadt 71-75, 2502 BielMi-Fr 14:00-18:00 h / Sa&So 11:00-18:00 hOut of ArtVernissage: 2.6, 17:00 hbis 5.8.Gian Pedretti - Der Maler / Le peintreEinzelausstellung Vernissage: 2.6., 17:00 hbis 5.8.SURREALITES - Aspekte des Surrealen in der zeitgenössischen KunstVernissage: Sa 18.8, 17:00 h19.8. - 21.10.Photoforum PasquartJacob Holdt - United States 1970-1975bis 12.8.

Kunsthalle BernHelvetiaplatz 1, 3005 BernMi-So 10:00-17:00 h / Di 10:00-19:00 hAllan KaprowKunst als Leben - Art as Lifebis 26.8.

Kunstmuseum BernHodlerstrasse 8-12, 3007 BernDi 10:00-21:00 h / Mi-So 10:00-17:00 hSerge Spitzer – Installation Re/Search (Alchemy and/or Question Marks with Swiss Air)», 1996-2002bis Ende 2007 Expressionismus aus den Bergen - Kirchner, Bauknecht, Wiegers und die Gruppe Rot-Blaubis 19.8.Ueli Berger: Alles in Allem - Arbeiten auf Papier 1967-2007bis 5.8.Im Kabinett: Lascivie e santità - Druck-graphik der Carraccibis 5.8.«Verfluchter Kerl!» Karl Stauffer-Bern: Maler, Radierer, Plastiker17.8. - 2.12.

Kunsthaus LangenthalMarktgasse 13, 4900 LangenthalMi & Do 14:00-17:00, Fr 14:00-19:00 h, Sa& So 10:00-17:00 h

Kunstmuseum ThunHofstettenstrasse 14, 3602 ThunDi-So 10:00-17:00 h / Mi 10:00-21:00 hSimon Dybbroe MøllerLike Origami Gone Wrongbis 19.8.Pamela Rosenkranzbis 19.8.360° Thun - Marquard Wocher und das Panorama in Thunbis 28.10.

museum franz gertschPlatanenstrasse 3, 3401 BurgdorfDi-Fr 10:00-18:00 h / Mi 10:00-19:00 h /Sa&So 10:00-17:00 hfrisch gestrichenVernissage: 3.8., 18:30 h4.8. - 28.10.Max Roth - Monolothische Skulpturenbis 28.10.

Museum für KommunikationHelvetiastrasse 16, 3000 BernDi, Do-So 10:00-17:00 h & Mi 10:00-19:00 h«nah und fern: Menschen und ihre Me-dien»DauerausstellungAs Time Goes ByteNeue Dauerausstellung zur Computerge-schichte und digitalen KulturBilder, die haftenNeue Dauerausstellung zu den Briefmarkeninstant cityEin elektronischer Musik Bau Spiel Automat«instant city» steht in der Ausstellung «As Time Goes Byte» und ist vieles zugleich: in-teraktives Computergame, unberechenbares Musikinstrument, theaterales Gesellschafts-spiel und Leuchtkörper.bis 12.8.

Museum Neuhaus BielSchüsselpromenade 26, 2501 BielDi-So 11:00-17:00 h / Mi 11:00-19:00 hBürgerlicher Lebensstil im 19. Jahrhun-dert: Wohnen und Haushalten

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Die Stiftung Sammlung Robert präsentiert eine neu gestaltete permanente Ausstellung im Museum Neuhaus.Historische Umzüge und NarrentreibenDie Bieler Fasnachtstradition 1896-200716.8. - 11.11.Kinosammlung William Piasio:Archäologie des Kinos

Museum Schwab / Museum für ArchäologieSeevorstadt 50, 2502 BielDi-Sa 14:00-18:00 h / So 11:00-18:00 hDas archäologische Fenster der Region Permanente AusstellungKeltenjahr 2007La Tène. Die Untersuchung. Die Fragen. Die Antworten.bis 24.2.

Naturhistorisches Museum der Burgergemeinde BernBernastrasse 15, 3005 BernMo 14:00-17:00 h / Di/Do/Fr 9:00-17:00 hMi 9:00-18:00 h, Sa&So 10:00-17:00 hAnpasser und Alleskönner - Tiere in der StadtDauerausstellung

Psychiatrie Museum BernBolligenstrasse 111, 3060 BernMi 14:00-16:00 hNeben historisch wichtigen Gegenständen und Dokumenten beherbergt das Museum auch eine Sammlung bildnerischer Patien-tenarbeiten, die mehrheitlich auf jener Mor-genthalers beruht. Sie umfasst über 2500 Bilder (Zeichnungen, Aquarelle, Ölbilder und Collagen), rund 1500 Textblätter sowie viele Stoffarbeiten, Objekte aus Holz, Ton, Keramik und anderen Materialien.

Schloss LandshutSchweizer Museum für Wild & Jagd3427 UtzenstorfDi-Sa 14:00-17:00 h«abnorm? Vom Kopfschmuck bei Reh und Steinbock»bis 21.10.Abendführungen 2007 auf Schloss LandshutJeweils am letzten Donnerstag der Monate Mai bis September, in der Regel von 19:30 – ca. 20:30 h

Schloss MünsingenSchlossstrasse 13, 3110 Münsingenjeweils am Sonntag, 14:00-17:00 h oder nach Vereinbarung

Schlossmuseum ThunSchlossberg 1, 3600 Thun10:00-16:00 hDas historische Museum mit einmaliger Aussicht auf Stadt, See und Alpen.TöpferwerkstadtTypische Heimberger Keramik Werkstatt des 19. JahrhundertsTeil der Dauerausstellung

Schweizerische NationalbibliothekHallwylstrasse 15, 3003 BernMo-Fr 9:00-18:00 h / Mi 9:00-20:00 h / Sa 9:00-16:00 h / So 12:00-17:00 hDas neue Bild der SchweizEine Ausstellung des ETH-Studio Basel – In-stitut Stadt der Gegenwartbis 1.9. Schweizerisches Alpines MuseumHelvetiaplatz 4, 3005 BernMo 14:00-17:00 h / Di-So 10:00-17:30 hBerge bauenAuf rund 220m2 sehen Sie die Sonderausstel-lungen zu Themen der Bergwelt im 2. Stock des Schweizerischen Alpinen Museums. bis 10.2.2008

Schweizerisches Schützenmuseum BernBernastrasse 5, 3005 BernDi-Sa 14:00-17:00 h / So 10:00-12:00 h &14:00-17:00 hDas 13. Sternzeichen – Der Armbrust-schützebis 2.12.

Universitätsbibliothek BernMünstergasse 61-63, 3011 BernMo-Fr 8:00-19:00 h / Sa 8:00-12:00 hMusik in Bern zwischen spätmittelalter und Reformationbis 14.10.

Stiftung Historisches Erbe SBBBollwerk 12, 3000 Bern 65Mo-Fr 9:00-12:00 h & 13:30-17:00 hDie Infothek der Schweizer Bahnge-schichte zum Nachlesen und Ansehen.

Unsere öffentlich zugängliche Infothek bie-tet Ihnen u. a. folgende Dienstleistungen an: regelmässige Publikation ausgewählter Neuerscheinungen. Beratung in Dokumen-tationsfragen und bei Recherchen. Lese-plätze mit Internetarbeitsplatz, Lexika usw. Konsultationsmöglichkeit für aktuelle Zeit-schriften, Wörterbücher, Nachschlagewerke und aktuelle Fahrpläne ausländischer Bahn-unternehmungen.

Zentrum Paul KleeMonument im Fruchtland 3, 3001 BernDi-So 10:00-17:00 h / Do 10:00-21:00 hKindermuseum Creaviva 10:00-17:00 h, Dobis 21:00 hPaul Klee – Ad Parnassumbis 14.10.Paul Klee – Überall Theaterbis 14.10.TheaterweltenInteraktive Stationen für KinderMaske, Garderobe, Bühne, Geräusche, Schattentheater. Für Kinder und Erwachsenebis 25.11.Führungen und Aktivitäten finden Sie in der ensuite - kulturmagazin-agenda und unter www.zpk.org