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Gute Nachrichten: Die Welt ist zu retten! 05 -2012 DAS MAGAZIN FÜR KINDHEIT UND KULTUREN SCHWERPUNKT: BESSERE WELT Glück als Maßstab. Der Wirtschafts- wissenschaftler Michael Pirson skizziert eine humane Wirtschaft. Interview S. 12 „Das Leben im Kern“: Interview mit der israelischen Autorin Zeruya Shalev. S. 40 Sagen, was sie denken. Burmas Jugend testet die neue Freiheit. Reportage S. 48 Papa ist ein Vollidiot! Glosse S. 56 Haus der Heilung. Hilfe für misshandelte Kinder in Griechenland S. 58

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GuteNachrichten:

Die Weltist zu

retten!

05-2012

DAS MAGAZIN FÜR KINDHEIT UND KUlTURENSCHWERPUNKT: BESSERE WElT

Glück als Maßstab. Der Wirtschafts-wissenschaftler Michael Pirson skizziert eine humane Wirtschaft. Interview S. 12

„Das Leben im Kern“: Interview mit derisraelischen Autorin Zeruya Shalev. S. 40

Sagen, was sie denken. Burmas Jugend testet die neue Freiheit. Reportage S. 48

Papa ist ein Vollidiot! Glosse S. 56

Haus der Heilung. Hilfe für misshandelteKinder in Griechenland S. 58

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Editorial / Contributors Impressum Orte der Kindheit Kurzgeschichten Schwerpunkt: Bessere WeltDie Welt ist noch zu retten!Die Wirtschaft wird humaner, Gewalt nimmt ab, Bildung wird wieder ein Abenteuer, durch digitale Medien wird Macht gerechter verteilt. Sechs Wissenschaftler erklären, warum sich unsere Kinder auf die Zukunft freuen können. Und was wir dafür tun müssen. Man müsste mal …Gute Ideen hat jeder, aber manche Menschen setzen sie auch um. Projekte, die große Kreise ziehen Infografik: Jugendgewalt Seite 31: So wertvoll können 31 Euro sein Einer kommt – Einer geht Eine Frage geht um die Welt Jeder Mensch hat seinen eigenen Ton Essay Geschichten, wie wir sie nur von einem Märchenerzähler hören.Literatur von Rafik Schami Meine Welt von morgen „Die Adoption war meine persönliche Art, auf den Akt der Gewalt zu reagieren.“Nachdem die israelische Bestseller-Autorin Zeruya Shalev bei einem Attentat schwer verletzt wurde, hat sie einen Jungen adoptiert. Interview Fragen an Ulrich Sommer: der Eltern-Ratgeber Sie sagen, was sie denken!Unter Burmas Militärregime wuchsen Kinder ohne Väter auf und Jugendliche saßen in Gefängnissen. Jetzt nutzt die junge Generation die Freiheit, um ihr Land neu zu gestalten. „Liebe Tochter, dein Papa ist ein angepasster Vollidiot!“ Glosse Haus der HeilungIm Haus Eliza, Griechenland, steht ein ganzes Therapeuten-Team bereit, um vernachlässigten und misshandelten Kleinkindern zu helfen, damit die Kinder möglichst bald wieder in einer Familie leben können. Die Kinder von Koserow auf Usedom Wie waren Sie als Kind, Ranga Yogeshwar?

Mein Himmel, mein Land: Israelische Jungen und Mädchen haben für eine Aus-stellung der SOS-Kinderdörfer ihr Leben porträtiert. Heraus kamen eigene, ungestellte Bilder. Seite 40

Der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Michael Pirson hält es für wichtiger zu messen, wie glücklich die Menschen eines Landes sind, anstatt wie reich das Land ist. Seite 12

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66Neue Freiheit: Jahrzehntelang waren die jungen Leute in Burma zum Schweigen verurteilt. Jetzt tasten sie sich vorsichtig in neue Zeiten vor. Seite 48

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Von links nach rechts:Ingrid Famula, Andrea Seifert, Simone Kosog

Nächste AusgabeNovember 2012

Beigelegt beiTagesspiegel, sowie Teil-ausgaben der Frankfurter All-gemeinen Zeitung, der Ost - see-Zeitung, der Schweriner Volkszeitung und der ZEIT.

Liebe Leserinnen und Leser,

halb leer oder halb voll? Wie man die Lage der Welt sieht, ist auch eine Frage der Perspektive. ubuntu wagt in dieser Ausgabe den optimistischen Blick – gemeinsam mit einigen ziemlich klugen Menschen, die alle gute Gründe dafür liefern, dass unser Planet doch noch zu retten ist: Die Wirt-schaft wird humaner, proklamiert der Wirtschafts-wissenschaftler Michael Pirson, Armut ist be-siegbar, sagt die Soziologin Esther Duflo, Bildung wird wieder ein Abenteuer, glaubt der Pädagoge Yaacov Hecht. Der Haken an der Sache: Das funk-tioniert nur, wenn wir alle kräftig dazu beitragen – nicht moralisch gemeint, sondern sehr pragma-tisch. Falls uns mittendrin der Mut verlässt, bleibt uns das Sprichwort: „Am Ende ist alles gut. Und wenn nicht alles gut ist, ist es auch nicht das Ende!“

Ihre ubuntu-Chefredaktion

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Impressum

ChefredaktionIngrid Famula, Simone Kosog

BildredaktionAndrea Seifert

SchlussredaktionAdelheid Miller

Mitarbeiter dieser AusgabeAngelika Dietrich, Hubert Filser, Monika Franta, Susanne Frömel, Paul Hahn, Martina Koch, Verena Mayer, Carolin Reiter, Anke Richter, Anna Sauerbrey, Stefan Scheytt, Claudia Singer, Ulrich Sommer, Carsten Stormer

Kaufmännischer BereichIngrid Famula, Andrea Seifert

GestaltungANZINGER | WÜSCHNER | RASPMünchen

LithografieMXM, München

LeserserviceTel. 089/17 914-140 [email protected]/ubuntu

HerausgeberSOS-Kinderdörfer weltweit –Hermann-Gmeiner-FondsDeutschland e. V.Ridlerstraße 5580339 MünchenVorstand:Dr. Wilfried Vyslozil

AnzeigenGroßmann.KommunikationGabriele GroßmannGrünwalder Straße 105 c81547 MünchenTel.: 089/64 24 85 64Fax: 089/64 24 93 99grossmann.kommunikation@ t-online.de

DruckAppl – Echter DruckDelpstr. 15, 97084 Würzburg

Verantwortlich für den redaktionellen Inhalt:Ingrid Famula (Adresse s. Herausgeber)

Die Zeitschrift ubuntu und alle darin veröffentlichten Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede durch das Urheberge-setz nicht ausdrücklich zugelassene Nutzung oder Verwertung bedarf der schriftlichen Einwilligung des Her-ausgebers. Eine Vermietung oder ein Nachdruck, auch auszugsweise, sind nicht gestattet. Insbesondere ist eine Einspeiche-rung oder Verarbeitung der auch in elektronischer Form vertriebenen Zeitschrift in Datensystemen ohne Zustimmung des Herausgebers unzu-lässig. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fo tos wird keine Haftung übernommen.

Leserbriefe an:SOS-Kinderdörfer weltweit –ubuntuRidlerstraße 5580339 München

Als Stefan Scheytt den Wirt-schaftswissenschaftler Michael Pirson in der Nähe von Basel zum Interview traf, bekam er einen kleinen Einblick in dessen internationales Leben. Hier, in seiner Heimat, verbringt Pirson zur Zeit sein Sabbatical zusam-men mit seiner russischen Frau und seinen beiden Söhnen. Michael Pirson hat schon in der Schweiz, in Frankreich, China, Costa Rica und den USA gelebt. Fester Wohnsitz ist aktuell New York.

Stefan Scheytt

Carsten Stormer war bereits viele Male in Burma, deshalb konnte er sich nicht vorstellen, dass sich dieses Land tatsäch-lich wandelt. Und wurde über-rascht! Vor allem beeindruckten ihn diejenigen, die am meis- ten unter dem alten Regime ge-litten hatten, wie die ehema-ligen politischen Gefangenen. Nun saß er gemeinsam mit ihnen auf der Straße bei einer Tasse Tee und diskutierte über Menschenrechte – und keiner kam dafür ins Gefängnis.

Die einen kaufen keine Klei-dung mehr, die anderen strei-chen die Nachhilfestunden für ihre Kinder oder sparen bei den Lebensmitteln. Wirklich jeder, den Angelika Dietrich in Griechenland getroffen hat, konnte erzählen, wie ihn die Krise persönlich trifft. Bemer-kenswert fand die Autorin, wie die Mütter in den SOS-Kinder-dörfern versuchen, die Jungen und Mädchen von der Krise ab-zuschirmen. Sie sollen so wenig wie möglich davon spüren.

Angelika Dietrich Carsten Stormer

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ubuntu Editorial/Contributors

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WasserwerferFoto Alex Goh Chun Seong

Als der Fotograf Alex Goh Chun Seong an einem heißen Sommertag im Nordosten Balis unterwegs war und bei Kali nahe der Stadt Klungkung zu diesem Wasserfall kam, musste er sich entscheiden: Sollte er sich selbst erfrischen oder doch lieber die Kinder foto-grafieren? Zum Glück entschied er sich dafür, die Hitze noch eine Weile zu ertragen und viele, viele Fotos zu machen, bis er schließlich den richtigen Moment erwischte, in dem die Kinder in vollendeter Choreo gra-phie nahezu gleichzeitig ihre Ladung losschleuderten. Kein Feuerwerk – ein (Freuden)wasserwerk!

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Ehemalige Kindersoldaten können ihr Trauma überwinden, sagen Psychologen und Psychothe-rapeuten der Universitäten Biele-feld und Konstanz. Die Experten haben in Uganda mit Kindern ge-arbeitet, die gezwungen worden waren, als Soldaten zu kämpfen und zu töten, und die später unter posttraumatischen Belastungsstö-rungen litten. Situationen, die sie nicht verarbeiten konnten, durch-lebten die Kinder in Gedanken im-mer wieder. Die Psychologen konnten den Betroffenen mit der so genannten „Narrativen Exposi-tionstherapie“ helfen: Hier erzäh-len sie immer wieder in chronolo-gischer Reihenfolge die negativen und positiven Ereignisse ihres Le-bens. Mit der Zeit lernen sie, dass die Erlebnisse zu ihrer Autobiogra-fie gehören und empfinden sie nicht mehr als bedrohlich. Bereits nach wenigen Sitzungen erzielt man mit dieser Methode Erfolge und selbst Laientherapeuten kön-nen sie anwenden. In Uganda hat-ten die Wissenschaftler mit Laien gearbeitet, die auch darin geschult wurden, Symptome posttrauma-tischer Belastungsstörungen zu erkennen.

Hilfe für ehemalige Kindersoldaten

WENN DIE SCHöNSTEN GESCHICHTEN DAS LEBEN SCHREIBT, DANN GILT DAS AUCH FÜR DIE GANZ KLEINEN. ZUM BEISPIEL DIESE.

SeeLeNLOSBesuch vom Nachbars-kind. Im Regal stehen ge-schnitzte Männchen, auf deren Körper gleich der Kopf sitzt. Das Nachbars-mädchen schaut kritisch: „Heee … das ist doch nicht richtig … der Kopf ist doch nicht direkt auf dem Körper. Da fehlt doch … die Seele!“

COOLer SONGDraußen im Park. Ein Junge, gekleidet in Skaterhose und T-Shirt, singt vor sich hin: „Einigkeit und Recht und Freiheit …“ Nach einer Weile murmelt er: „Echt cooler Ohrwurm!“

NerVeNSACHeEin Vater ist mit seinem Sohn im Museum. Der Sohn, vielleicht vier Jah-re alt, quengelt: „Papa, ich will jetzt nach Hause!“ Der Vater fragt nach dem Grund. Darauf der Junge: „Um was zu essen. Und um Papa zu nerven!“

PrOPHezeIuNGIm Auto auf der Rück-bank, Schwester und Bru-der unterhalten sich. Schwester, 4: „Jungs sind total blöd!“ Bruder, 8: „Aber eines Tages wirst du einen Jungen heira-ten.“ Schwester: „Nein! Nie! Ich heirate nur dich!“ Bruder in sachlichem Ton: „Aber dann kriegen wir Missgeburten.“

DAHOAM IS DAHOAMGespräch am Küchen-tisch. Vater: „Die Berge bei Bad Tölz sind die Bayerischen Alpen. Wir sind ja in Bayern.“ Sohn, 6: „Nein, wir sind in München!“ Vater: „Aber München ist in Bayern.“ Tochter, 3: „Aber in einem anderen Stadtteil, nicht in Send-ling.“ Sohn: „Doch! Bad Tölz ist auch in Send-ling.“

WO DIe KLeINeN MeNSCHeN WOHNeNSamstagabend. Der Vater sitzt vor dem Fernseher und sieht sich die Fußball-Bundesliga an. Die kleine Tochter, 3, kommt dazu und fragt: „Papa, warum schaust du den klei-nen Männern beim Fuß-ball zu?“

Neulich …

Wenn Kinder Unterstützung bekom- men, können Traumata zum größten Teil überwunden werden.

Horst Köhler, ehemaliger Bundes-präsident, war zu Besuch bei den SOS-Kin-derdörfern in Benin. Besonders impo- nierte ihm das pädagogische Konzept der künstlerisch-musischen SOS-Schule. Köhler: „Als Ökonom bin ich überzeugt, dass die Kunst und die kulturelle Tradi-tionspflege Schlüsselfaktoren für die Ent-wicklung eines Landes sind!“

Früher hat Abba „SOS“ gesungen, heute unterstützen die ehemaligen Mitglie-der der weltberühmten Popgruppe die SOS-Kinderdörfer. Agnetha Fältskog, Benny Andersson, Björn Ulvaeus und Anni-Frid Lyngstad haben sich „wiedervereint“, um den Bau eines Familienhauses für zehn Waisenkinder im neuen SOS-Kinderdorf Bossangoa in der Zentralafrikanischen Republik zu finanzieren. Das Dorf wird in Erinnerung an Astrid Lindgren auf Ini-tiative von Lindgren-Verwandten und zwei schwedischen Unternehmen gebaut. „Die SOS-Kinderdörfer haben einen sehr ernst-haften und langjährigen Ansatz. Wir sind beeindruckt davon und dachten, dass es schön sei, ein Haus in dem Dorf zu haben!“, sagt Björn Ulvaeus.

HORST KöHLER BESUCHT SOS-KINDERDORF IN BENIN

ABBA UNTERSTüTZT DEN BAU EINES NEUEN SOS-KINDERDORFS

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Mama Mutig Am Rande des Samburu-National-

parks in Kenia gründete Rebecca Lolosoli das Frauendorf Umoja. Es ist ein Ort, der Frau-en Zuflucht gewährt, die in der Kultur der Samburu auch heute noch häufig als Eigen-tum ihrer Männer betrachtet werden. Viele der Frauen, die in Umoja leben, sind hier-her geflohen, nachdem sie vergewaltigt oder von ihren Ehemännern verprügelt wurden. Andere kommen aus Furcht vor Genitalver-stümmelung oder Zwangsehen. In Umoja leben sie nach eigenen Regeln: Jeder ist hier gleichberechtigt. Gemeinsam meistern die Frauen Schwierigkeiten und Anfeindun-gen. In „Mama Mutig“ erzählt die Grün-derin Rebecca Lolosoli gemeinsam mit der Fernsehautorin Birgit Virnich die Geschich-te ihres Dorfes. Rebecca Lolosoli wird in-zwischen von Hillary Clinton unterstützt und wirbt auf internationalen Konferenzen für die Rechte der Frauen.Rebecca Lolosoli, Birgit Virnich, Mama Mutig. Wie ich das erste Frauendorf Afrikas gründete, Südwest Verlag, 17,99 EuroFo

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rebecca Lolosoli (links) hat das

Dorf der Frauen ge gründet. Dessen

Geschichte erzählt sie gemeinsam mit der

Autorin Birgit Virnich.

Die Kinder minderjähriger Mütter sterben häufiger

Kinderehen sind die Ursache der vielen Säuglingstode im indischen Bundes-staat Westbengalen. Das sagen Ärzte und Sozio logen in der „Hindustan Times“ aus Kolkata (Kal kut ta). Besonders in so verarm-ten Distrikten wie Malda oder Murshida-bad werden immer noch viele Kinderehen geschlossen. Wenn die minderjährigen Ehefrauen Kinder bekommen, seien diese in den allermeisten Fällen mangelernährt und untergewichtig, betonen die Wissen-schaftler.40 bis 50 Prozent der Kinder von Müttern unter 18 Jahren sind zudem Frühgeburten. „Minderjährige Mütter entbinden immer

ungesunde Kinder“, sagt Debashis Bhattacharjee, Chef des Malda Medical College and Hospital (MMCH). Im Malda Medical College and Hospital sind innerhalb von 36 Stunden 22 Kinder gestorben. Inzwischen sind auch das Gesundheits- und Familienministerium des Staates auf das Problem aufmerksam geworden. Sie wollen Auf-klärungskampagnen starten, um das Bewusstsein zu schärfen und dazu beizutragen, Kinderhochzeiten einzudämmen.

IM NAMEN DER PARTEI

In China sollen Waisenkinder nicht mehr wegen ihres Namens diskriminiert werden können. Die Zeitung China Daily schreibt, die Regierung wolle Waisenhäusern verbieten, den Kindern Namen zu geben, die später zu Nachteilen führen. Oft werden Waisenkinder in China nach dem Ort benannt, in dem sie gefunden werden. Oder aber, ihr Name hat einen politi-schen Beiklang. So haben viele Kinder, die vor 2010 ins Waisen-haus gekommen sind, den Nach-na men „Dang“ bekommen, was soviel wie „Partei“ bedeutet. „Wir wollen nicht, dass die Waisen Etiketten tragen, die darauf schlie-ßen lassen, dass diese Kinder anders sind als jene, die Eltern ha-ben“, sagte Chen Lunan vom So-zialministerium. Laut Statistikamt leben in China etwa 100.000 Kin-der in 900 Waisenhäusern.

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KINDER FORDERN MEHR PRIVATSPHÄRE IM INTERNET

„Privatsache!“, war das Thema der 14. Schweizerischen Kinderkonferenz in Us-ter. Etwa 50 Kinder und Jugendliche forder-ten am Ende mehr Freiräume und mehr Schutz der Privatsphäre im Internet. Einträ-ge und Fotos in Sozialen Netzwerken wie Facebook sollten von Anfang an nur für den eigenen Freundskreis sichtbar sein. Jetzt sei es genau umgekehrt. Aus Unwissen stell-ten Kinder oft Texte oder Bilder ins Netz, die für jeden zugänglich seien. Die Kinder beklagten sich auch, dass es nicht genug öffentliche Räume für sie gebe. Sie forderten Orte, an denen nur Kinder und Jugendliche Zutritt haben, keine Erwachsenen, die sich allzu oft in ihre Freundschaften einmisch-

Bitte nachmachen!

Ein Kinderdorf aus Papier

… vorgeführt von Dario, 9, und Elvira, 4, aus München. Dario ist in der dritten Klasse und Elvira im Kin-dergarten.

Material: Tetrapacks, Schuhkartons, alte Zeitschriften, Strohhalme, Brief-klemmen, Büroklammern und natürlich der kostenlose SOS-Bastelblock.Anleitung: Jede der 22 Seiten des Recyc-ling-Bastelblocks symbolisiert einen Aspekt der SOS-Kinderdörfer. Da kann man aus der SOS-Mutter eine Finger-puppe basteln, ihr eine Gitarre umhängen und sie auf dem selbstgewebten Papier-Teppich positionieren. Man kann mit den Papierkindern Skateboard fahren oder Pilze sammeln im selbstbemalten Wald. Aus Saftkartons, alten Zeitschriften und Milchtüten entsteht eine Wohnzim-mereinrichtung. Und wer seine eigene Ausstellung machen will, muss nur die Rahmen auf Seite 6 ausfüllen.Die Figuren und Gegenstände entste-hen, indem Vorlagen ausgeschnitten, zusammengesteckt, gefaltet, gelocht, gewebt oder geklebt werden. Auch Anre-gungen zum Selbsterfinden von Pa-piermodellen stehen auf einigen Seiten.Schwierigkeitsgrad: Von schwer bis leicht, je nach Projekt.Alter: Ab 5, mit den gebastelten Objek-ten können aber auch kleinere Kinder spielen.

Den SOS-Bastelblock können Sie kosten-los unter 0800 /50 30 300 (gebührenfrei) oder [email protected] bestellen. Wir freuen uns aber sehr über einen Produk-tions- und Versandkostenbeitrag. Bitte verwenden Sie dafür den Zahlschein auf der vorletzten Seite.

Dario: „Die zacken vom Krokodil sind nicht so leicht aus-zuschneiden!“ elvira: „Ich mag die Schulhefte. Die sind wie echte.“

ten. Die Kinder trugen ihre Forderung Fachleuten, Politikern, Eltern und Medien vor. Organisiert wurde die Konferenz von der Stadt Uster und der Kinderlobby Schweiz. Die Kinderlobby Schweiz fördert die Ver-breitung und Umsetzung der UN-Kinder-rechte in der Schweiz. Auch in diesem Jahr hat die Kinderlobby wieder zwei der Teil-nehmer zu Kinderlobbyisten ernannt, die sich mit Politikern treffen und ihr Anlie- gen vertreten. So soll sichergestellt werden, dass die Forderungen der Kinder auch wirk-lich gehört werden.

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„Ich bin weil wir sindund wir sindweil ich bin !“Nach diesem Motto - es ist unsere

Übersetzung des Zulu-Wortes UBUNTU - arbeiten und leben wir zusammen!

Über Fragen oder Anmeldungen zum kommenden Schuljahr freuen wir uns:

UBUNTU -das CircusjahrAn der Heide 1-3 * 25358 Horst (Holstein)Fon 04126 - 395510 * Fax 04126 - 395511

www.ubuntu.de * [email protected]

UBUNTU -der Circuserfreut seit 18 Jahren die Herzen und

Gemüter der Menschen in Norddeutschland !Für verhaltensoriginelle Kinder und

Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren, die in ihrem familiären oder schulischen Umfeld Belastungen ausgesetzt sind, die der Freude

am Leben und Lernen massiv entgegenstehen, gibt es seit über 10 Jahren

für eine „Auszeit“ unsere Circus-SchuleUBUNTU -das Circusjahr

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„Grünes“ SOS-Indien ökologische Nachhaltigkeit

beim Bauen und bei der Energie-wirtschaft ist das große Thema der SOS-Kinderdörfer im nächsten Jahrzehnt. Im SOS-Kinderdorf Cochin in Indien wurde dem Schau-spieler und SOS-Botschafter Rainer Hunold jetzt die Kinderdorf-eigene Biogas-Fermentations-anlage erklärt: In einen unterirdi-schen Bottich werden sämtliche Küchen- und Pflanzenabfälle ge-kippt. Mit einem simplen Verfahren werden diese in Gas umgewan-delt, das zum Kochen genutzt wird. Die pflanzlichen überreste wer-den am Ende als Düngemittel ver-wendet. Die Ersparnis beträgt über 50 Prozent. Rainer Hunold engagiert sich seit 10 Jahren eh-renamtlich und besucht regelmä-ßig SOS-Einrichtungen.

Der Schauspieler Rainer Hunold ist langjähriger

SOS-Botschafter. In Indi-en informierte er sich

über die Bemühungen der SOS-Kinderdörfer, nach-

haltig zu wirtschaften.

GESCHLECHT BESSER GEHEIM HALTEN

Das Geschlecht eines Kindes soll während der Schwanger-schaft geheim bleiben, empfiehlt das „Komitee für Gleichberech-tigung von Frauen und Männern“ des Europäischen Rats. In Län-dern wie Armenien, Albanien oder Georgien werden bis zu zehn Pro-zent der Schwangerschaften ab-gebrochen, wenn Eltern erfahren, dass sie ein Mädchen bekommen. Der Europäische Rat warnt, dass die Geburtenrate von Mädchen in diesen Ländern stark zurückgeht. Die Folgen seien zunehmende Pro-bleme bei der Partnerwahl, Zer-rüttung familiärer Strukturen so-wie Zunahme von Prostitution und Frauenhandel. In Deutschland darf das Geschlecht übrigens erst verraten werden, wenn die Frist für einen straf freien Abbruch ver-strichen ist.

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Der deutsche Wirtschaftswissen-schaftler Michael Pirson fordert, dass statt des Brutto-sozialprodukts der „well-being“-Faktor eines Landes mehr in den Mittelpunkt rücken soll. er misst, wie glücklich die Menschen sind.

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Die Welt ist noch

zu retten!RENOMMIERTE WISSENSCHAFTLER GLAUBEN, DASS UNSERE KINDER

DOCH NOCH EINE LEBENSWERTE ZUKUNFT VOR SICH HABEN, WENN WIR JETZT DIE WEICHEN RICHTIG STELLEN. SECHS VISIONäRE

SAGEN UNS, WARUM ALLES GUT WERDEN KöNNTE – UND WAS WIR DAFÜR TUN MÜSSEN.

Fotos Michela Morosini Interview Stefan Scheytt

in ihrem eigenen Interesse ist, das System zu verändern, weil einfach viel zu viel nicht funktioniert. Es gibt noch einige – darun- ter vor allem Banker – die das ver drängen, aber das ist natürlich keine Lösung.Warum kann es so nicht weitergehen?Wir wissen alle, dass der Lebensstil der west-lichen Gesellschaften und die Erwartun-gen, die er in den ärmeren Teilen der Erde weckt, die Ressourcen völlig überfordern. Wir praktizieren eine extrem unnachhaltige Form des Wirtschaftens; verschärft wird die Situation durch eine wachsende Weltbe-völkerung. Die Ungleichheit zwischen den einigen hundert Millionen Menschen, denen es sehr gut geht, und den Milliarden Men-schen, denen es relativ schlecht geht, ist eine Frage der Fairness, die das jetzige Sys-tem ebenfalls nicht löst, sondern zuspitzt. Schließlich verletzt unsere Art zu wirtschaf-ten fundamental das Vertrauen, das in einer funktionierenden Gesellschaft benö-tigt wird.Sie setzen auf die Idee der „Humanisti-schen Wirtschaft“. Was ist das?Die „Humanistische Wirtschaft“ unterschei-det sich von anderen Wirtschaftsystemen

Herr Pirson, was bedeutet es, wenn eine Zeitschrift wie das manager maga-zin – wie jüngst geschehen – nach einem neuen Kapitalismus ruft? Das Magazin fordert, dass der „Humankapitalismus“ den „Finanzkapitalismus“ ablösen soll!Das ist ein Aufruf zur Revolution! (lacht) Nein, im Ernst, so eine Aussage ist nicht revolutionär, sie zeigt aber, wie weit die Erkenntnis vorgedrungen ist, dass es so nicht weitergehen kann. Auch im Harvard Business Review, dem Standardmagazin für Manager in den USA, erscheinen seit ge-raumer Zeit ähnliche Artikel und im Land wird sehr viel diskutiert. Überall auf der Welt erkennen immer mehr Menschen, dass es

Das Glück als Maßstab für die Wirtschaft

DER WISSENSCHAFTLER MICHAEL PIRSON PROGNOSTIZIERT DIE „HUMANISTISCHE WIRTSCHAFT“.

ganz einfach dadurch, dass der Mensch und seine authentischen Bedürfnisse im Mittel-punkt stehen – er ist nicht mehr nur Mittel zum Zweck. Wenn man sehr weit zurück-geht, findet man, dass im aristotelischen Sinn die Wirtschaft immer an irgendeine Form von politischer Moral gebunden war, dass sich die Ökonomie immer der Philoso-phie unterordnete. Aber dann löste sich die Wirtschaft allmählich von den allgemeinen Moralvorstellungen, ihr Modell wurde der homo oeconomicus – das völlig verzerrte Bild des Menschen, der sich in seinem wirt-schaftlichen Handeln nur eigennützig ver-hält, den moralische Überlegungen nicht kümmern, der allein seinen Profit maxi-mieren will. Dieses Modell scheinen einige Menschen erschreckend gut auszufüllen: Dieser „Homo oeconomicus“ begegnet uns doch immer wieder im ganz realen Leben. Ja, es gibt den „Homo oeconomicus“ – Psy-chologen nennen ihn Psychopathen oder Soziopathen. Zwar machen diese Menschen nur etwa ein Prozent der Menschheit aus, aber interessanterweise sind sie überpropor-tional in Führungsetagen von Unternehmen

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so denken und handeln.Was soll sich konkret ändern?Der größte Hebel wird sein, dass man auf nationaler und internationaler Ebene den Erfolg von Politik nicht mehr allein durch das Wachstum des Bruttosozialprodukts misst.Was sollen wir stattdessen messen?Neben der rein materiellen Dimension müs-sen endlich auch soziale Dimensionen über den Zustand einer Gesellschaft bewertet werden, also so wichtige Kennzahlen wie Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, An-alphabetismus und andere Bildungsindi-katoren; in der Wissenschaft fassen wir das unter dem Begriff „well-being“ zusammen, man könnte auch sagen: Je günstiger all die Indikatoren sind, umso glücklicher sind die Menschen. Die OECD misst well-being auch schon für alle OECD-Staaten, und selbst im konservativ regierten Großbritan-nien beschäftigt man sich intensiv mit verschiedenen Indices des well-being, auch wenn man dort sonst alles tut, um die hei-mische Finanzindustrie zu schützen.Für Unternehmen zählt am Ende des Ge-schäftsjahres aber kein hoher well-being-Wert, sondern Profit.Wenn sich auf der politischen Ebene das Konzept des well-being etabliert, wird das auch auf die Unternehmensebene aus-strahlen, dann werden auch aufgeklärte Un-ternehmer schauen, dass sie nicht immer wieder in diese einfältige Profitmaximie-rungsgeschichte geraten. Und auch auf der individuellen Ebene werden sich immer mehr Menschen darin bestärkt fühlen, sich nicht mehr zum Sklaven des ökonomisti-schen Gedankens zu machen. Es gibt ja welt-weit schon viele Unternehmen, die sich von einem humanistischen Ansatz leiten las-sen, sich der „Glücksschöpfung“ verschrie-ben haben. Unser Netzwerk hat in drei Büchern mehr als 30 Fallstudien von huma-nistischen Unternehmen gesammelt, ihre Zahl wächst schnell. Was sind das für Unternehmen? Es sind viele anthroposophisch orientierte Firmen darunter, ebenso Unternehmen mit genossenschaftlichen Strukturen, auch der deutsche Mittelstand ist gar nicht so ökonomistisch. Wissenschaftlich ist übri-gens der Nachweis längst erbracht, dass diejenigen Unternehmen langfristig am er-folgreichsten sind, die sich nicht allein am Profit, sondern an übergeordneten Zielen orientieren.

vertreten. Und die restlichen 99 Prozent sehen sich genötigt, sich diesem psychopa-thischen Verhaltensmodell anzupassen. Daher versuchen viele, ihren Lebenssinn in materiellen Statussymbolen wie Eigenhei-men, teuren Autos und Urlaubsreisen zu finden. Erstaunlich ist doch aber, dass wir in den Familien, in Schulen, Kirchen und Vereinen genau das Gegenteil leben: Dort lernen schon kleine Kinder – völlig zurecht – dass man teilen und einander helfen soll, dass man nach Kompromissen und nach Ausgleich suchen soll.Wie passt das zusammen?Menschen sind komplex, sie handeln oft paradox, und es ist ja auch nicht per se mo-ralisch verwerflich, im eigenen Interesse zu handeln. Aber zu unseren Interessen ge-hört es eben auch, dass wir gute Beziehun-gen zu anderen Menschen haben, dass wir sie nicht ständig abzocken, dass wir nicht bedenkenlos die Umwelt zerstören; wir be-greifen doch, dass wir unseren Kindern und Enkeln keinen geplünderten Planeten hinterlassen dürfen. Und dennoch hält der Ökonomismus an seinem bizarren Para-digma fest.Dennoch werden die Menschen ihre Ge-wohnheiten und Leitbilder nicht so schnell aufgeben. Wie wollen Sie es schaffen, das Bild des gierigen, geizigen, selbstsüch-tigen homo oeconomicus zu ersetzen?Das „Humanistic Management Network“, das ich mitgegründet habe und das mit Partnern auf der ganzen Welt zusammenar-beitet, wirbt für ein ganzheitliches Verständ-nis vom Menschen. Zentral ist für uns die Frage, wie ein Wirtschaftssystem beschaf-fen sein muss, damit es die Menschen nicht nur materiell befriedigt und kurzfris-tig happy macht, sondern ihnen in einem umfassenden Sinn Glück ermöglicht. Bezeichnenderweise sind die 500 Millionen Menschen in den wohlhabenden westli-chen Gesellschaften kaum glücklicher oder sogar weniger glücklich als Menschen in viel ärmeren Ländern.Im Moment gilt doch aber: Geld macht glücklich.Das nehme ich ganz anders wahr. Die meis-ten Leute in den westlichen Gesellschaften sind sehr frustriert mit der Art und Weise, wie es jetzt abläuft, die meisten denken be-reits humanistisch; wir brauchen sie nur dort abholen, wo sie ohnehin schon sind, sie brauchen nur Zuspruch, Ermutigung und die Gewissheit, dass sehr viele andere auch

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Sein Glück kann man überall finden, auch als

tauchende Fischerin in Süd korea – wenn die

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bleibt, wie es ist!Die Trägheitskräfte sind natürlich sehr stark, dennoch wird der Leidensdruck bald so hoch werden, dass sich etwas Grundle-gendes ändern muss und auch schon ändert – schauen Sie nur auf die Wahlen in Frank-reich und Griechenland. Wird der neue Staat so etwas wie Hedge-fonds verbieten, die sich häufig durch hochriskante Anlagestrategien auszeich-nen?Wenn sie pure Spekulation betreiben ohne realwirtschaftliche Anbindung, müssen sie

reguliert werden. Ihre Spekulation verur-sacht Kosten für die Allgemeinheit, dafür müssten sie Steuern zahlen oder Transak-tionsgebühren. Aber ich glaube nicht, dass man sie per se verbieten sollte, sie würden einfach eine sehr marginale Rolle spielen.Wie wird Ihr Konzept unter Fachleuten diskutiert?Es wird respektiert und erhält immer mehr Zustimmung, weil alle wissen, dass wir die Antworten auf die Probleme, die der Öko-nomismus schafft, nicht im Ökonomismus finden können.Haben Sie einen konkreten Fahrplan für die Umsetzung?Wir sind keine Weltregierung und wollen auch keine sein. Letztendlich kann so eine Umstellung nur durch Umdenken erfolgen, und das kann man nicht mit „Fahrplänen“ gestalten. Die „Humanistische Wirtschaft“ ist keine neue Erfindung von uns, in der Praxis und Theorie war sie schon immer vor-handen, wurde aber zunehmend margina-lisiert. Unser Netzwerk und unsere Partner arbeiten deshalb aktiv an einer Wiederbele-bung der humanistischen Praxis.Sie sind Vater von zwei Kindern. Glauben Sie, dass Ihre Kinder die „Humanistische Wirtschaft“ noch erleben werden?Klar, denn es gibt sie ja schon seit Men-schengedenken, und das Bedürfnis danach wird immer größer, auch wenn sie noch nicht Mainstream ist.

„Viele, die im alten System ‚funktionieren‘, sind frustriert, zynisch

und unglücklich!“

Michael PirsonDer deutsche Wirtschaftswissenschaftler und Politologe Michael Pirson, 38, lehrt Social Entrepreneurship und Management an der Fordham University in New York. Pirson gehört zu den Gründungsmitgliedern des Humanistic Management Network (www.humanetwork.org).

BuchempfehlungenMichael Pirson und seine Partner haben eine Reihe von englischsprachigen Büchern zum Thema herausgegeben. zu finden unter: www.palgrave.comAußerdem: Jost Hamschmidt, Michael Pirson: Case Studies in Social entrepreneurship and Sustainability: The oikos collection Vol. 2: Greenleaf Publishing, 30,99 EuroAuf deutsch: Felber, Christian: Die Gemein-wohl-Ökonomie. Das Wirtschaftsmodell der zukunft. Deuticke, 17,90 Euro

Haben Sie konkrete Beispiele?Goetz Werner vom Drogeriemarkt dm im deutschsprachigen Raum, Ricardo Semler vom brasilianischen Mischkonzern Semco, Ibrahim Abouleish von der ägyptischen Fair-Trade-Kooperative Sekem, natürlich Frie-densnobelpreisträger Muhammad Yunus von der Grameen Bank in Bangladesch und viele mehr, die weniger prominent sind, aber ebenso gute Arbeit machen.Sehen Sie Ihr Modell der „Humanistischen Wirtschaft“ als Alternative zum Kapita-lismus?Die „Humanistische Wirtschaft“ kann durchaus auch bewährte kapitalistische Konzepte enthalten wie Kooperativen und Genossenschaften, die recht gut funktio-nieren, relativ stabil sind und ihren Kunden, Mitar beitern und der Gesellschaft Vorteile verschaffen. Solche Formen des Wirtschaf-tens werden in den Medien leider zu selten gezeigt, weil sie offenbar zu wenig sexy sind. Es wäre ein wichtiges Signal, wenn sich hochrangige Politiker auch mit solchen Unternehmern öffentlich zeigten, nicht immer nur mit den angestellten Managern der Dax-30-Konzerne. Von denen bekommt man immer dieselben Anworten: Steuern runter, Kosten runter. Es gibt Unternehmer, die kompetenter sind, wenn es um tiefer-gehende Fragen geht.Braucht Ihr Modell Wachstum?Die Frage ist, was wachsen soll. In einem Wald mit ausgewachsenen Bäumen braucht es kein Wachstum mehr; wenn aber schon Bäume abgestorben sind, braucht es frisches Wachstum, und wenn einige große Bäume vielen kleineren das Licht nehmen und sie in ihrem Wachstum hemmen, muss man einige große fällen. Es geht also um ein klu-ges Abholzen und Aufforsten. Die Unter-nehmen mit einem humanistischen Ansatz müssen schon wachsen können, sonst kön-nen wir die Probleme, die es überall auf der Welt gibt, nicht lösen.Welche Rolle spielt bei Ihnen der Staat? Es ist ein Bürgerstaat, in dem Legitimation und Beteiligung entscheidend sind. Dieser Staat reguliert da, wo es notwendig ist, aber vieles dürfte durch Selbstregulierung zu lösen sein. Ich setze auf die Lernfähig-keit der Menschen. Im Moment haben wir aber noch zu wenig kritische Bürger, und natürlich gibt es auch immer Regierende, die genau das wollen: unaufgeklärte Bür-ger. Auch in der Wissenschaft wollen sich noch zu wenige mit der Thematik befassen. Das spricht doch eher dafür, dass alles

Wie setzen Sie persönlich das Konzept um?Mein ganzes Leben ist der humanistischen Transformation der Wirtschaft gewidmet. Ich arbeite als Wissenschaftler an den Grundlagen des Konzepts, ich unterrichte diese Themen, schreibe darüber. Ich helfe auch Unternehmen bei der Umsetzung und berate Politikgestalter. Außerdem sitze ich im Aufsichtsrat von mehreren interna-tionalen Sozial-Unternehmen.Ist Ihnen schon der Vorwurf gemacht worden, Ihre Vorstellungen seien naiv?Ja, das höre ich manchmal. Dazu kann ich nur sagen: Es tut mir leid für diejenigen, die sich in diesem ökonomistischen System zum Affen machen; viele, die in diesem System „funktionieren“, sind frustriert, zy-nisch und unglücklich, weil sie eigentlich gar nicht damit zurechtkommen. Ich möchte nicht deren Erfahrung machen, und meine Erfahrung ist auch eine andere: Ich merke doch an mir selbst, was mich glück-lich macht und was nicht. Im SUV durch New York zu fahren, gehört jedenfalls defi-nitiv nicht zu den wichtigen Dingen im Leben.

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Michael Pirson glaubt, dass seine

Kinder in den Genuss der „Huma-

nistischen Wirt-schaft“ kommen wer-

den. Das Bedürfnis nach einer mensch-

lichen Welt werde immer größer, sagt

Pirson.

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Sie ist eine von sieben Milliarden: Noch nie wuchs die Weltbevölkerung so schnell wie heute. Dennoch glaubt der experte rainer Münz, dass der Platz für alle reicht.

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Als Danica May Kamacho am 30.10.2011 in einem Kreißsaal in Manila ge-boren wurde, schaute die Welt zu. Danica war der siebenmilliardste Mensch der Erde. Ihren Geburtstag rief die UNO zum „Tag der sieben Milliarden“ aus, UN-Vertreter kamen zum Gratulieren, und noch ein Kind nahm an dem Ereignis teil: die heute zwölfjährige Lorrize Mae Guevarra. Sie war 1999 als sechs-milliardster Mensch geboren worden.Von sechs auf sieben Milliarden Menschen in etwas mehr als einem Jahrzehnt – einen solchen Zuwachs hatte es noch nie gegeben. Zu unseren Lebzeiten hat sich die Zahl der Menschen verdoppelt, und sie wird weiter-wachsen auf neun bis zehn Milliarden bis Ende des 21. Jahrhunderts. Nicht neu ist hingegen die Diskussion darüber, wie viele Menschen die Erde verträgt. Und wo! Inter-essant ist, dass es immer die anderen sind, die zu viele sind – ob im 18. Jahrhundert der britische Denker Thomas Robert Malthus die „Bevölkerungsfalle“ zuschnappen sah, oder Ökonomen heute vor der Bevölkerungs-explosion in Afrika oder Asien warnen. Dabei ist die Zahl der Menschen gar nicht das Problem, findet der Bevölkerungswis-senschaftler Rainer Münz. Er ist davon überzeugt, dass sie bald stagnieren wird, da die Menschen überall auf der Welt weniger Kinder bekommen, sobald sich ihre Lebens-verhältnisse verbessern, sie Zugang zu Bil-dung erhalten. Nicht nur, dass damit das Wissen um Verhütung und Kinderkrank-

DER öSTERREICHISCHE öKONOM RAINER MÜNZ GLAUBT, DASS DIE MENSCHEN WELTWEIT WENIGER KINDER BEKOMMEN, WENN SICH IHRE LEBENSVERHäLTNISSE VERBESSERN.

Text Verena Mayer

Keine Angst vor überbevölkerung

Zum WeiterlesenAktuelle Texte von Rainer Münz finden sich auf der Homepage des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung: www.berlin-institut.org Gemeinsam mit dem Politikwissenschaftler Albert F. Reiterer hat Münz das Buch Wie schnell wächst die zahl der Menschen? Weltbevölkerung und weltweite Migration geschrieben. Fischer, 2007, 345 Seiten, 9,95 Euro

heiten steigt – besonders in den boomenden Städten sind zwei gut qualifizierte Kinder von größerem Nutzen als viele schlecht aus-gebildete. Für Frauen bedeutet eine bessere Ausbildung auch, dass sie später heiraten, die Familienplanung hinauszögern. Bei-spiel Singapur: Hatte eine Frau dort früher im Schnitt fünf Kinder, ist es heute eins. Außerdem hängt alles davon ab, welche Ansprüche die sieben Milliarden Menschen haben. Man stelle sich nur vor, alle würden so leben wie die Einwohner der Stadt New York, die mehr Strom verbraucht als der gesamte afrikanische Kontinent. „Heute konsumieren 20 Prozent der Weltbevölke-rung etwa 80 Prozent der Menge an nicht erneuerbaren Energien. Dafür kann man nicht das Bevölkerungswachstum in Afrika oder Südasien verantwortlich machen“, sagt Rainer Münz, der von 2008 bis 2010 als Mit-glied im „Rat der Weisen“ der europäischen Union saß. Zugespitzt ausgedrückt: Nicht in Bangladesch sind zu viele, sondern bei uns.Mit Effizienz könne man den Bedürfnissen der wachsenden Bevölkerung Herr werden, sagt Rainer Münz. Schon heute gebe es we-niger Hunger auf der Welt. Die aktuell sie-ben Milliarden seien besser ernährt als die eine Milliarde von 1800, die der Philosoph Malthus fürchtete. Wer heute über Ressour-cen verfüge, müsse sie mit anderen teilen. Das könne bedeuten, „auf den Rindsbraten oder die nächste Flugreise zu verzichten“.Und die kleine Danica aus Manila? Sie zu-mindest wird es einfacher haben als viele andere. Zur Geburt erhielt sie ein Stipen-dium für ein späteres Studium.

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Als Peter Kruse vor zwei Jahren auf der Internetkonferenz Republica in Berlin auf-trat, reimte der Moderator: „Begrüßt mit mir des Internets Muse: Dr. Peter Kruse.“ Damit hatte der promovierte Psychologe, Unternehmensberater und „Zukunftsfor-scher“ einen weiteren Titel hinzu gewon-nen: „Internetmuse“, oder auch: „Internet-guru“. Mit seinem langen, weißen Bart sieht Kruse zwar eher nach Guru als nach Inter- net aus. Doch der Eindruck täuscht. Kruse glaubt an die Macht des Webs. Er ist über-zeugt, dass die digitale Vernetzung die Ge-sellschaft verändern wird – zum Besseren.Peter Kruse hat Psychologie, Humanmedi-zin und Biologie studiert, beschäftigt sich aber heute in erster Linie mit der Organisa-tion von Unternehmen. Der Wissenschaft-ler sagt: „Ich betrachte jedes System wie ein soziales Gehirn.“ Er geht davon aus, dass Netzwerke von Menschen intelligenter und kreativer sind als die Summe der Einzelnen. Erst dort, wo sich Leute mit unterschiedli-chen Talenten verbinden, sagt Kruse, ent-stehen Kreativität und „Schwarmintelligenz“. Und nirgendwo ist die Vernetzung dichter als im Internet.Das Potenzial des Webs ist aus Kruses Sicht deshalb enorm. In sozialen Netzwerken erreichen Impulse binnen kürzester Zeit sehr viele Menschen und können diese in Bewegung versetzen. Das können triviale Be-wegungen sein wie etwa „Facebook-Partys“,

DER PSYCHOLOGE PETER KRUSE IST ÜBERZEUGT, DASS DIE NEUEN MEDIEN POLITISCHE MACHT UMVERTEILEN WERDEN.

Text Anna Sauerbrey

Die Macht des Schwarms

Peter Kruse im NetzAuf der Internet-Plattform www.youtube.com ist Peters Kruses Kurzvortrag revolutionäre Netze durch kollektive Bewegungen, gehalten im Deutschen Bundestag, abrufbar.

aber auch politische. So wird die Wucht des Arabischen Frühlings in Teilen der digitalen Vernetzung der Oppositionellen zugeschrie-ben. Dieses Mobilisierungspotential, sagt Kruse, wird zu einer Repolitisierung der Gesellschaft führen, denn die Menschen gewöhnen sich daran, als „Schwarm“ Gehör zu finden. Partizipation werde zum „fast selbstverständlichen Anspruch und tiefen Bedürfnis“. Die Folge: Das politische System muss sich öffnen und die Macht verschiebt sich vom „Angebot“ auf die „Nachfrage“, von Politikern und Amtsträgern auf Wähler und Regierte.Viele Politik- und Sozialwissenschaftler sind skeptischer als Kruse. Martin Emmer etwa, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin, hat in einer Langzeitstudie erforscht, ob sich das Inter-esse der Bürger an Politik verändert oder sie eher bereit sind, sich politisch zu engagie-ren, wenn sie Zugang zum Internet erhal-ten. Die direkten Auswirkungen der Tech-nik waren gering. „Gerade ältere Menschen ändern sich nicht so schnell“, sagt Emmer. Ein völlig anderes Verhalten beobachten Sozialwissenschaftler allerdings in der Grup-pe der sogenannten „Digital Natives“, also derer, die mit dem Internet aufgewachsen sind. Bei ihnen treffen Kruses Hypothesen ein: Die Jungen sehen es als selbstverständ-lich an, dass ihre Meinungen berücksichtigt werden und bringen sich stärker in öffentli-che Debatten ein. „Hier sehe ich ein schlei-chendes Veränderungspotenzial, wenn diese Gruppe in gesellschaftlich relevante Positio-nen hineinwächst“, sagt Emmer. Wann dies soweit sein wird, ist nur eine Frage der Zeit.

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„Wer Armut bekämpfen will, muss dafür sorgen, dass die Kinder ausgebildet und geimpft werden“, sagt die französische Wirtschaftswissenschaftlerin Esther Duflo. Dieser Idee würde wohl jeder Entwicklungs-helfer zustimmen, dennoch scheitern rei-henweise ambitionierte Hilfsprojekte. „Nur selten macht sich jemand die Mühe nachzu-fragen, was die Armen selbst wollen, und vor allem, zu prüfen, ob Hilfsmaßnahmen wirklich funktionieren“, sagt die Harvard-Ökonomin. „Die Helfer wissen fast nie, was wirklich hilft. Sie haben keine Daten.“ Sie plädiert deshalb für eine neue Form der Unterstützung, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aufbaut. Evidenzbasierte Stu-dien sollen die Lage vor Ort genau analysie-ren. Gemeinsam mit ihrem Doktorvater Abhijit Banerjee gründete sie das „Jameel Poverty Action Lab“ (J-Pal), 55 Professoren unterstützen das Netzwerk. Bislang hat das Armutslabor 322 Studien in 52 Ländern koor-diniert und ausgewertet.Es sind oft einfache Erkenntnisse, die den Charme von Duflos Arbeit ausmachen. Die 39-Jährige hat zum Beispiel in Indien Schu-len untersucht, an denen sich die Lehrer häufig vor dem Unterricht drückten. Eine simple Maßnahme half: Die Lehrer muss-ten Fotos mit Zeitstempel zu Beginn und am Ende des Unterrichts machen. Nur mit den Fotos als Beweis bekamen sie ihr Gehalt. Die Zahl der Fehltage fiel auf die Hälfte. Duflos Gedanken sind durchaus radikal. Zum Beispiel zum Thema Bildung: „Statt

DIE WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFTLERIN ESTHER DUFLO HäLT ARMUT FÜR BESIEGBAR – WENN MAN WEISS, WAS MAN TUT.

Text Hubert Filser

Viele kleine Wege aus der Armut

BuchhinweisAbhijit Banerjee und Esther Duflo: Poor economics. A radical rethinking of the Way to Fight Global Poverty. Public Affairs, 2011, 27 Dollar. www.pooreconomics.com, www.povertyactionlab.org

wenigen Kindern sehr viel beizubringen, sollten wir möglichst vielen Kindern so viel wie gerade nötig beibringen“, sagt sie. Das mangelnde Bildungsniveau zum Beispiel in Afrika habe damit zu tun, dass man oft nur die besten Schüler fördere. Der Rest fällt durchs Raster.Manchmal sind die Effekte ihrer Maßnah-men verblüffend. In einer Langzeitstudie an Grundschulen in Kenia zeigte sie auf, dass Kinder, die Tabletten gegen Würmer bekom-men, häufiger in die Schule gehen, weil sie seltener krank werden. Diejenigen Schü-ler, die zwei Jahre lang die Wurmkur mit-machten, verdienten später durchschnitt-lich 20 Prozent mehr als diejenigen, die sich nur ein Jahr lang entwurmen ließen.„Wir müssen bei allen Maßnahmen wissen, was im Detail funktioniert“, sagt Duflo. In Kenia fand sie heraus, dass die Bauern ihre Felder nur deshalb zu wenig düngten, weil der Dünger erst zu Beginn der Saison verfüg-bar war, als die Bauern ihre Einnahmen für die Ernte vom Herbst längst ausgegeben hatten. Sie schlug vor, gleich nach der Ernte Düngergutscheine zu verkaufen inklusive Gratislieferung im Frühjahr – die Dünge-quote stieg um 50 Prozent. Duflo berät mitt-lerweile Regierungen und Hilfsorganisatio-nen. In ihrem Büro hängt ein von Bill Gates unterschriebener Brief. Sie weiß, wie wich-tig solche Unterstützung ist. Dass Armut oft mit Hunger gleichgesetzt wird, findet Duflo falsch. „Wenn die Armen die Wahl haben, wollen sie nicht unbedingt mehr essen, son-dern Dinge, die besser schmecken.“ Armut ist auch Langeweile. Wer nichts hat, verlebt immer die gleichen Tage, ohne Abwechs-lung. Diese Apathie zu durchbrechen ist auch ein Weg aus der Armut.

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Gesunde Kinder fehlen weniger häu-fig in der Schule. und wer seltener in der Schule fehlt, verdient später mehr Geld – es sind sol-che Wirkungsketten, die die Armutsfor-scher von J-Pal inter-essieren.

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Jedes einzelne Kind bringt beson-dere Begabungen mit, sagt Yaakov Hecht. um dem ge-recht zu werden, muss sich die ganze Stadt öffnen.

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Der israelische Pädagoge Yaacov Hecht glaubt daran, dass jedes Kind etwas Einzig-artiges mit in die Welt bringt. Aufgabe von Bildung sei es, das Kind dabei zu unterstüt-zen, dieses Besondere zu entdecken und aus-zubilden. Die klassischen Schulen sind dem international gefragten Bildungsvisionär da-für viel zu eng, weshalb er bereits vor 25 Jah-ren die erste sogenannte „demokratische Schule“ gründete: Schüler sind hier an allen Entscheidungen beteiligt und bestimmen selbst über ihre Bildung. Lernen kann in die-sem Kontext alles beinhalten, Mathematik wie Gitarrespielen, Kochen wie Geschichts-unterricht. Als Fortführung dieser Idee ent-wickelte Yaacov Hecht die „education cities“, in denen die ganze Stadt zum Lernort wird – für Hecht die Bildungsform der Zukunft.In den „education cities“ vernetzen sich die Bildungseinrichtungen einer Stadt mit den Institutionen und Betrieben. Zum Beispiel in dem Ort Mitzpe Ramon. Die kleine Stadt hatte das Problem, dass die jungen Leute ab wanderten, unter anderem, weil sie mit dem Bildungssystem unzufrieden waren. Es leben viele verschiedene Bevölkerungsgrup-pen in Mitzpe Ramon und die herkömm-lichen Schulen schafften es nicht, ihnen al-len gerecht zu werden. Gemeinsam mit den Bildungsverantwortlichen etablierte Yaacov Hecht ein individuelles Lernprogramm, bei dem jeder Schüler sich an seinen Stärken und besonderen Begabungen orientierte und festlegte, was er in diesem Bereich errei-chen möchte. Während ein Teil des Unter-richts weiterhin in der Schule stattfand,

DER ISRAELISCHE BILDUNGSPIONIER YAACOV HECHT SIEHT DIE ZUKUNFT DER SCHULEN IN IHRER öFFNUNG. LERNEN SOLL ÜBERALL STATTFINDEN UND DAS GANZE LEBEN BEINHALTEN.

Text Simone Kosog

Die ganze Stadt wird zur Schule

Weitere Informationenauf der website www.education-cities.com.Vom 28. Juli – 5. August 2012 findet außerdem die diesjährige Euro-päische Konferenz für demokratische Bildung (EUDEC) in Freiburg statt, ein Ableger der internationalen Bewegung (IDEC), die Yaacov Hecht gegründet hat. Informationen unter www.eudec.org

strömten die Schüler für ihr individuelles Lernprogramm aus: in den Tierpark, die Labore der Universität oder in Restaurant-küchen und lernten dort, was sie wirklich interessierte. In kurzer Zeit stieg die Attrak-tivität des Ortes deutlich!Auch in Bat Yam, einem Vorort von Tel Aviv, wurde ein ähnliches Programm umgesetzt, außerdem trafen sich die Schüler regelmä-ßig am Morgen mit einem Lehrer oder Erzie-her in kleinen familiären Gruppen, in de-nen die Schüler mit all ihren Interessen und Themen wahrgenommen wurden. Das Er-gebnis: Die Leistungen verbesserten sich deutlich, die Gewalt ging um mehr als 70 Prozent zurück und die Schüler fühlten sich weitaus stärker mit ihrer Heimat verbun-den. 97 Prozent erklärten, dass sie stolz sei-en, aus Bat Yam zu kommen. Yaacov Hecht wundert das nicht: „Ein Kind, das sich von seiner Stadt umarmt fühlt, antwortet mit Liebe!“Gerade in Zeiten der Globalisierung seien die „education cities“ ein Weg, die kulturel-le, lokale und nationale Identität eines Kin-des zu stärken. Auch die Städte würden von den neuen Netzwerken profitieren, die ein Motor für Innovation seien. Nachdem Yaacov Hecht sein Modell bisher in verschiedenen israelischen Städten umgesetzt hat, soll nun die Stadt Caguas in Puerto Rico „education city“ werden. Caguas Bürgermeister William Miranda Torres sieht darin einen Gewinn für alle: „Es ist wichtig zu verstehen, dass Bildung viel mehr ist als Schule. Bildung be-deutet die Chance, in einem menschliche-ren Land zu leben.“

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Die Menschheit hat begriffen, dass es auf Dauer bes- ser ist, in Frieden zu leben, sagt der Wissenschaftler Steven Pinker. Ganz offensichtlich lässt sich der Frie-den auch genießen.

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Seit Jahrtausenden nimmt die Gewalt zwischen Menschen ab, sagt der amerikani-sche Psychologie-Professor Steven Pinker. Alle erkennbaren Trends weisen hin auf ei-nen künftigen ewigen Frieden, so der Har-vard-Forscher. Eine ungewöhnliche Aus-sage angesichts der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts mit seinen 55 Millionen Toten oder der Völkermorde von Ruanda, der Konflikte in der arabischen Welt. Und doch belegt Pinker seine Thesen mit nüch-ternen Daten: Die gewaltsamen Tode im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße hätten abgenommen, das Risiko eines gewaltsa-men Todes lag vor Jahrtausenden bei den Jä-gern und Sammlern noch bei 15 Prozent, im 20. Jahrhundert sind die Werte auf unter ein Prozent gesunken. „Alle verfügbaren Zah-len zeigen, dass die Gewalt tatsächlich zu-rückgeht“, sagt Pinker. Wir leben in einer Phase des „neuen Friedens“. „Alle Menschen haben den angeborenen Wunsch nach ei-nem Leben in Freiheit und Glück.“Lange Zeit bekämpften sich herumziehende Horden steinzeitlicher Jäger bis aufs Blut, später bildeten sich dann die ersten Herr-schaftsgebiete, das Gewaltmonopol hatten die ersten Monarchen. Die bekriegten sich zwar untereinander, aber doch schon nach gewissen Regeln. Auf diese Phase folgte dann der moderne Staat, der das Gewaltmo-nopol für sich beanspruchte und der Masse die Waffen entzog, dafür aber Sicherheit nach innen und außen gewährleistete. Vor der Entstehung der Staaten war die Tötungs-rate unter den Menschen laut Pinker sehr viel höher. „Die fünf historischen Kräfte, die

DER WISSENSCHAFTLER STEVEN PINKER IST ÜBERZEUGT, DASS DIE GEWALT ZWISCHEN MENSCHEN ABNIMMT.

Text Hubert Filser

Frieden zahlt sich aus

BuchhinweisSteven Pinker: Gewalt. eine neue Geschichte der Menschheit Frankfurt am Main, 2011, Fischer Verlag, 1.212 Seiten, 26 Euro

der Gewalt entgegenwirken, haben derzeit zumindest tendenziell Oberhand: der demo-kratische Rechtsstaat mit seinem Gewalt-monopol, die wirtschaftliche Globalisierung, die Feminisierung der Gesellschaft, der Kos-mopolitismus und der Fortschritt von Wis-senschaft und Vernunft“, sagt Pinker.In seinem Buch „Gewalt“ schreibt Pinker, dass im Menschen gute und dunkle Mächte miteinander ringen. Er nennt sie die „vier besseren Engel“ (Empathie, Selbstbeherr-schung, Moral, Vernunft) und die „fünf in-neren Dämonen“ (Raub, Machtstreben, Ra-che, Sadismus, ideologische Verblendung). Wir entscheiden, wer hier siegreich ist, in-dem wir uns überlegen, was sich letztlich mehr auszahlt. Demnach hätte die Mensch-heit im Lauf der letzten Jahrtausende begrif-fen, dass es auf Dauer besser sei, in Frieden zu leben. Schließlich befänden sich, so Pin-ker, seit 10.000 Jahren alle Formen der Ge-walt auf dem Rückzug. Auch für den 2. Welt-krieg hat Pinker Zahlen bereit: Würde man sie mit ähnlichen Ausnahmeereignissen früherer Zeiten vergleichen und in Relation zur Bevölkerungszahl setzen, hätten zwei Milliarden Menschen den Tod finden müs-sen. Zum Vergleich nennt Pinker die mörde-rischen Kriegszüge der Mongolen, die im 13. Jahrhundert laut Angabe von Chronisten rund 40 Millionen Tote forderten. Pinker ist für seine Thesen auch angegriffen worden. Die gewaltsam getöteten Menschen im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße als alleinigen Ausdruck von Gewalt zu neh-men, sei allzu simpel. Zudem gehe Pinker bei der Wahl mancher Quellen nicht immer wissenschaftlich sauber vor. Es gibt Histori-ker, die meinen, dass sich die These höchs-tens für die letzten 500 Jahre halten ließe. Aber selbst, wenn sie recht haben, und die Gewalt „nur“ in den letzten 500 Jahre konti-nuierlich abgenommen hat – dann wäre das auch eine positive Botschaft.

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Selber loslegenPROJEKT „DAS MACHT SCHULE“Eigeninitiative und Verantwortung lernt man nicht aus Büchern, sondern aus eigener Erfahrung. Das ist der An-satz des Ingenieurs Bernd Gebert. Sein Projekt „Das macht Schule“ will Jugend-liche ermutigen, selbst aktiv zu werden und eigene Projekte umzusetzen; das kann die Renovierung eines Klassenzim-mers (rechts) sein oder die Gründung einer Mensa-AG. Auf seiner Website www.das-macht-schule.net bekommen die Akteure Anregung als auch Hilfe-stellung und sie erfahren von den Pro-jekten anderer. 800 Schulen und über 50.000 Kinder und Jugendliche haben schon mit gemacht. Bernd Gebert möch-te auf diese Weise die Zukunftsfähig-keit der Gesellschaft stärken.

Was ist Glück? MUTMACHER IN SCHULEN

Seelische Gesundheit ist ein hohes Gut, sagt die Journalistin Manuela Richter-Werling (links). Deshalb entwickelte sie das Projekt „Irrsinnig Menschlich“: Sogenannte „Mutmacher“, die selbst schon psychische Krisen durchlebt haben, gehen in Schulklassen. Die persönliche Begegnung hilft den Schülern zu reflektieren: Was ist Glück? Wie kommt es zu Krisen? Was kann ich tun, um mein Wohlbefinden zu verbessern? Auch die Lehrer können lernen: Wie unterstütze ich die Jugendlichen optimal? „Irrsinnig Menschlich“ erreichte im Jahr 2010 über 8.500 Schüler. www.irrsinnig-menschlich.de

Man müsste mal …

WIR ALLE HABEN IDEEN, MIT DENEN MAN DIE WELT VERBESSERN KöNNTE. NUR MÜSSTEN WIR SIE

AUCH UMSETZEN – SO WIE DIE GRÜNDER DIESER PROJEKTE HIER. DIE WELT DANKT!

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Lebensbejahend„PAPILIO“ STäRKT DIE KLEINSTENZwar gab es bereits vor „Papilio“ Program-me zur Vorbeugung von Sucht und Gewalt, aber kaum eines setzt so früh an: „Papilio“, ent wickelt von der Erzieherin Heidrun Mayer, will die soziale und emotionale Kom-petenz von Kindergartenkindern stärken und ihnen eine lebensbejahende Grund-haltung vermitteln. Paula und die Kisten-kobolde (links) helfen dabei. Hinter der Idee steckt die Erkenntnis, dass Verhaltens-probleme, die zu Sucht und Gewalt füh- ren, meist in der frühen Kindheit ihren Ur-sprung haben. Bislang hat „Papilio“ bereits 4.800 Erzieherinnen weitergebildet. www.papilio.de

Ich kann was! ERFOLGE IN DER „PROJEKTFABRIK“ Ich kann was! Dieses Gefühl möchte die Sozialarbeiterin Sandra Schürmann arbeitslosen Jugendlichen in ihrer „Projektfabrik“ mitgeben: Gemeinsam mit lokalen Unternehmen und unter pro-fessioneller Leitung erarbeiten sie ein Theaterstück (links). Sie erfahren dabei, dass sie mit Durchhaltevermögen, Fantasie und Eigeninitiative viel schaffen können. Parallel findet ein Bewer-bungs training statt, anschließend absolvieren die Jugendlichen ein Praktikum. Von 2.200 Teilnehmern konnten über 40 Prozent in den Arbeitsmarkt oder Bildungseinrichtungen vermittelt werden. www.projektfabrik.org

Erziehungshilfe DIE „ELTERN-AG“

Die „Eltern-AG“ ist eine Elternschule, die Müttern und Vätern aus bildungsfernen Schichten hilft, ihre Erziehungskompetenz zu stei-gern, sich zu vernetzen und bestehende Angebote besser für ihre Kinder zu nutzen. Entwickelt hat sie der Psychologie-Professor Mein-rad Armbruster aus Magdeburg, der selbst aus kleinen Verhältnis-sen stammt. Sein Ziel: Bildung für alle Kinder, unabhängig von ihrer Herkunft, zugänglich zu machen. Die „Eltern-AG“ hat inzwischen 753 Eltern mit 1.856 Kindern erreicht. www.eltern-ag.de

Kette der Hilfe „CHANCENWERK“ FÜR BILDUNG

Nach wie vor schneiden Kinder mit Migrationshintergrund im deut-schen Bildungssystem unterdurchschnittlich ab. Murat Vural, Elek-troingenieur (links), will mit einem einfachen System dagegen vorgehen. Sein Verein „Chancenwerk“ engagiert Studierende, die Schülern höherer Klassen in Kleingruppen beim Lernen helfen. Die Schüler zahlen aber nichts dafür, sondern unterrichten ihrerseits Kinder der unteren Klassen. Mitarbeiter von „Chancenwerk“ coachen die Lehrenden und optimieren den Unterricht. Im Jahr 2010 hat „Chancenwerk“ auf diese Weise 544 Schülern mit 46.000 Betreu-ungsstunden geholfen. www.chancenwerk.org

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„Ashoka“ fördert das soziale UnternehmertumAlle vorgestellten Projekte werden von Ashoka Deutschland gefördert. Ashoka ist eine gemeinnützige Organisation, die soziales Unternehmer-tum unterstützt. „Ashoka-fellows“ erhalten finanzielle Hilfe, Beratung und profitieren von einem großen Netzwerk. Gefördert werden Ideen, die sich bereits bewährt haben und das Potenzial zur flächendeckenden Verbreitung haben. Infos unter www.germany.ashoka.org

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JUGENDGEWALT: DIE WIRKLICHKEIT IN SCHULEN – UND IHR ABBILD IN DEN MEDIEN

Verletzungen bei Schulschlägereienje 1.000 Schüler.

Zeitungsartikel, in denen das Wort „Jugendgewalt“

vorkommt in überregionalen Zeitungen, absolut. In

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„Ich verliebte mich in meine Kinder,

als ich den ersten Schrei hörte!“

MAGGIE UND GRACE SIND WUNSCHKINDER AUF UMWEGEN. IHRE MUTTER WILL IHNEN DIE LIEBE GEBEN,

DIE SIE SELBST VON IHREN ELTERN NIE BEKOMMEN HAT.

Foto Giora Dan Text Anke Richter

Einer kommt

Rebecca Lee kommt gerade von der Uni, wie jeden Mittwoch – ihre Juraprüfung steht bald an. Doch statt zu lernen, macht sie erst mal zwei Fläschchen warm und ver-abschiedet die Kinderfrau. In ihr gemütli-ches Haus am Hang scheint die Sonne auf bunte Retro-Sofas, im Garten tollen zwei Hunde zwischen den Blumen. Auf dem Sofa liegen, in flauschige Decken gewickelt und friedlich schlafend, zwei kleine Wesen, fast zum Verwechseln ähnlich. Maggie und Grace sind gerade drei Monate alt geworden. Es ist schwer, sich in dieser Idylle vorzustel-len, welche Ängste ihre Mutter, eine ehema-lige Sozialarbeiterin, im letzten Jahr durch-gemacht hat. Von außen betrachtet ist sie eine junge 40-Jährige, klug und aktiv, die das späte Glück genießt, noch Mutter gewor-den zu sein. Aber so einfach war es nicht.Rebecca Lee selbst hat Elternliebe kaum er-lebt. Ihre Mutter war psychisch krank und unfähig, sich und die Kinder vor dem bruta-len Vater zu schützen. „Eines Tages nach der Schule fanden wir meine Mutter gefesselt vor, bewusstlos von all den Schlägen.“ Sie sagt das in trockenem Ton – ein Kapitel aus einer anderen Welt. Als Rebecca sieben Jah-re alt war, kam sie mit ihren Geschwistern das erste Mal in ein Heim. Dann entführte der Vater die Kinder und nahm sie jahrelang mit auf die Flucht. Erst Jahre später konn-ten sie wieder zur Schule gehen. „Ich hatte nie vor, selber Mutter zu werden“, sagt Rebecca Lee. Aber dann kam plötzlich dieser unerklärliche Drang, als sie 38 war. Lebensgefährte Graham, der bei einer Versi-cherung arbeitet, war damals fast 50. Re-beccas Bruder war Vater geworden, dann ihre Schwester. Auch Rebecca und Graham entschlossen sich, ein Kind zu bekommen, aber Rebecca wurde nicht schwanger. In teuren, anstrengenden Prozeduren versuch-te sie es mit künstlicher Befruchtung. „Total besessen“, wie sie heute sagt.

Beim sechsten Mal klappte es. Doch anstatt erleichtert und glücklich zu sein, setzte Panik ein: Kann ich dieses Kind überhaupt richtig lieben? „Ich hatte solche Angst, eine schlechte Mutter zu sein.“ Die alten Wun-den brachen auf. Und es war nicht nur ein Embryo, es waren zwei. Rebecca Lee war komplett überfordert von dem, was ihr be-vorstand. „Alle erwarteten, dass ich nun froh bin, aber ich habe nur gelitten, mona-telang. Völlig schizophren.“

Als zuerst die zierliche Maggie, dann die kräftigere Grace per Kaiserschnitt in der Kli-nik in Christchurch zur Welt kamen, wurde endlich der Schalter umgelegt. „Ich verliebte mich, als ich den ersten Schrei hörte“, sagt ihre Mutter. Sie ist rührend um die Mäd-chen besorgt. Die Eltern wollen ihren Kin-dern möglichst viele Anregungen geben, um die wachsenden Gehirnzellen zu stimu-lieren. „Ich lese ihnen Bilderbücher vor und lege Musik auf, Kinderlieder aus aller Welt.“ Da scheiden sich dann die Geister bei ihr und dem weniger experimentierfreudigen Vater. „Sie sind wie kleine Schwämme, die alles aufsaugen. Und langsam entdecken sie sich gegenseitig. Seit einer Woche schaut Grace dauernd zu Maggie rüber.“ Die Mädchen lassen sich problemlos überall mit hinnehmen, werden gerne herumge-reicht und sind in ihrem verschlafenen Vor-ort fast eine kleine Attraktion. Rebecca Lee ist froh, dass es zweieiige Zwillinge sind, damit die Mädchen sich stärker individuell entwickeln. Ihr größter Wunsch: „Sie sollen sich immer sicher fühlen. Niemals allein.“ Und sie weiß jetzt, dass aus kaputten Fami-lien auch wieder heile werden können. „Da hat sich was geschlossen.“

rebecca Leewünscht sich, dass sich

ihre Kinder Maggie und Grace immer sicher

fühlen und niemals alleine.

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ubuntu Portrait aus Neuseeland

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Diese unglaublich weißen Haare. Sie fallen auf den gerahmten Fotos auf, die an der Wand von Terehia Kipas kleiner Senio-renwohnung hängen. Und sie fielen da-mals, als ihr Mann Huia noch lebte, eben-falls jedem auf. Die zierliche kleine Dame sitzt in einem Fernsehsessel, auf dem Kopf ihr Hut. Per Knopfdruck fährt sie sich aus der Liegehaltung nach oben. „Wegen der Haare haben sie ihn alle immer ‚Poua Huia‘ genannt, Großvater Huia – da hatte er noch gar keine Enkel.“ Sie lacht. „Als ich ihn da-mals beim Tanzen kennenlernte, trug er ein kariertes Hemd wie ein Schotte. Ich habe ihn gar nicht für einen Maori gehalten.“ Dann wird sie still. Denn zuerst will sie kurz beten, auf Maori, um die 54 Jahre zu würdi-gen, die sie mit ihrem Mann verbracht hat. Die richtige Etikette ist wichtig, genauso wie das Protokoll, die Riten auf dem Marae – so heißt das Versammlungshaus der Maori. Dort, im Marae von Christchurch, hat Huia Kipa sein halbes Leben verbracht. Er war ei-ner der „elders“ dort, der Stammesältesten. Eine wichtige Rolle, die Respekt ihm gegen-über und seine Fürsorge verlangte. „Er küm-merte sich um andere. Das war sein Leben.“ Huia Kipa war auf dem Lande aufgewach-sen. Mit den anderen Maori-Jungen ging er Aale fangen, suchte im Sumpf nach Enten-eiern, lernte jagen und später Schafe sche-ren. Als älterer Mann führte er gerne Besu-cher an die Stätten seiner Kindheit, erzählte ihnen von den Traditionen, den Tieren, dem Essen, dem Leben in der indigenen Gemein-schaft. „Seine Abstammung und seine Fa-milie – das war für ihn einfach alles“, sagt seine Tochter Maire, die als Kind immer mit musste zu all den offiziellen Anlässen: Sin-gen im Altenheim, lange Sitzungen bei Wohltätigkeitsverbänden, Kochen im Ob-dachlosenasyl – die Eltern waren überall so-zial aktiv. „Mein Vater hatte einen tiefsit-zenden Gerechtigkeitssinn. Er wollte etwas

für andere tun. Als Maori hatte er es früher nicht immer leicht.“Er war ein konservativer Vater, besorgt und zutiefst christlich: „Nicht mal Küsse im Film durften wir sehen!“, lacht Maire. Sie hat ihn bewundert für seinen pausenlosen Einsatz. „So viel Liebe für alle, besonders seine sieben Enkel. Er machte Reisen mit ihnen und erzählte von früher, vom Jagen, von den heiligen Stätten am Fuße der Hü-gel. Das wusste er alles genau.“ Terehia, die

Witwe, betont, dass es ihm dabei nicht nur um die Form ging. „Wenn es darum ging, anderen zu helfen, hat er Rituale auch ein-fach ignoriert. Aber immer tat er es mit Res-pekt.“Dass der Vater an Alzheimer litt, wusste die Familie lange nicht. Er verschwand, vergaß einfache Dinge, hatte Ängste und Verfol-gungswahn. Vor vier Jahren entschloss sich die Familie Kipa schweren Herzens, ihren geliebten „Poua“ in einem Pflegeheim be-treuen zu lassen. Seine Demenz schritt im-mer weiter fort und seine greise Frau war krank und überfordert. Als im Februar 2011 ein schweres Erdbeben halb Christchurch zerstörte und 182 Menschen tötete, musste Huia Kipa aus seinem kaputten Heim ver-legt werden, raus aufs Land. „Das hat er kaum verkraftet“, sagt die Tochter. „Dann stürzte er.“ Ein weiteres heftiges Beben, im Juni, erlebte er im Krankenhaus mit. Einen Monat danach starb er. Es waren dunkle Zei-ten für seine Familie. „Für uns ist er ein Op-fer dieser ganzen Katastrophe geworden. Sonst wäre er noch am Leben“, so Maire. Ihre Mutter nickt in ihrem Sessel, mit feuchten Augen. Dann erzählt sie von den Männern aus der Suppenküche, die bei der Beerdigung auftauchten und über ihn reden wollten. Sie lächelt jetzt wieder, stolz. „Er war ja fast wie ihr Onkel.“

Als ein schweres Erd beben halb Christ-

church zerstörte, war das zuviel für ihn.

HUIA KIPA WAR EINER DER STAMMESäLTESTEN DER MAORI IN CHRISTCHURCH UND HOCH ANGESEHEN. WENN ES DARUM GING ANDEREN

ZU HELFEN, IGNORIERTE ER SOGAR DIE RITUALE.

Foto Giora Dan Text Anke Richter

Einer geht

Terehia Kipa lernte ihren Mann beim

Tanzen kennen. Wegen seiner schon damals

weißen Haare nannten ihn alle „Poua Huia“ –

Großvater Huia.

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ubuntu Portrait aus Neuseeland

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Ich wäre gerne eine Schriftstelle-rin. Es ist für mich viel leichter, meine Gedanken und Gefühle mit Worten auszudrücken.Migena, 15Tirana, Albanien

Ich möchte so sein wie Shakira: So singen und tanzen können wie sie, viele neue Orte kennen ler- nen und die Menschen, die meine Lieder lieben, glücklich machen.Janeth, 11Quito, Ekuador

Mein Vorbild ist unser Hausarzt. So wie er möchte ich etwas für Menschen tun, ihnen helfen und sie gesund machen. Alkida, 14Tirana, Albanien

Mein Vorbild ist Doktor Doolittle, auch wenn er nur eine Filmfigur ist. Ich möchte später Tierarzt werden und die Tiere so gut ver-stehen wie er.Nidza, 10Kraljevo, Serbien

Ich bin mein eigenes Vorbild. Ich beherrsche mich und weiß immer, was ich tue. So bin ich auch Vor-bild für andere!Kenu, 11Keila, Estland

Meine Mutter ist mein Vorbild, weil sie sich um mich kümmert und mich liebt. Wenn ich traurig bin, bringt sie mich zum Lachen. Wenn ich krank bin, holt sie den Doktor. Sie kocht mein Lieblings-essen: Pilaureis. Meine Mutter ist die beste.Mercy, 8Nairobi, Kenia

Mahela Jayawardena, der be-rühmte Cricket-Spieler. Ich spiele Cricket so oft ich kann und schaue mir jedes Spiel im Fern-sehen an – sobald ich mit den Hausaufgaben fertig bin.Ranga, 10Colombo, Sri Lanka

Mein Vorbild ist Arnold Schwar-zenegger. Ich mag, dass er so stark ist und die Art, wie er spielt. Ich mag seine Filme. Ich möchte so aussehen wie er.Andrei, 8Bauska, Lettland

Ich liebe meinen großen Bruder Matias. Er ist mein Vorbild. Mit 22 ist er der Älteste von uns fünf Geschwistern. Schon als Jun-ge musste er arbeiten, um meine Mutter zu unterstützen. Er teilt alles mit uns. So großzügig möch-te ich später auch sein.Luis, 11Salto, Uruguay

Mein Vorbild ist meine Klavier-lehrerin Anelia. Sie behandelt mich immer gut und selbst wenn ich einen Fehler mache, korri-giert sie mich freundlich.Dani, 10Trjavna, Bulgarien

Mein Vorbild ist meine Friseurin. Ihr Name ist Goga. Sie kann jede Frisur schneiden, die man sich nur vorstellen kann.Bela, 7Kraljevo, Serbien

Meine Tanzlehrerin Alicia ist mein Vorbild. Es ist toll, wie sie sich bewegt und uns das Tanzen beibringt.Analía Amarilla, 11Asunción, Paraguay

Albert Einstein ist mein Vorbild. Er entwickelte neue Ideen und Methoden, damit es den Menschen besser geht. Suresh, 14Jorpati, Nepal

Paola meine große Schwester, die gerade geheiratet hat. Das ist für mich nun auch ein Ziel.Pierette, 15Mbalmayo, Kamerun

David Beckham! Er ist einfach der beste Fußballer aller Zeiten.William, 11Kapstadt, Südafrika

Eine Frage geht um die Welt

Wer ist dein Vorbild?

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Gut sein beginnt mit der Wahrnehmung der Begabung, die tief in uns angelegt ist. Daraus folgt ein Entwickeln, Entfalten und in die Welt bringen.In diesem Sinne war auch Michelangelos „David“ schon im Marmorblock enthalten, aber er musste mit Hammer und Meißel freigesetzt werden, bis er jenes beeindru-ckende Kunstwerk wurde. Es ist Arbeit, oft harte Arbeit, sein eigenes Wesen befreit in der Welt wirken zu lassen.Menschen, die ihren Grundton gefunden haben und ihrem Wesen folgen, beeindru-cken und beseelen oft nicht nur ihr eige-nes Leben, sondern auch die Welt. Denken wir an Mahatma Gandhi, Nelson Mandela oder an manche Künstler, die ihre Bega-bung aus dem inneren Bedürfnis heraus ent-falten, in der Welt einen Beitrag leisten zu wollen. Tiefe Authentizität aus der Quelle des eigenen Wesens befreit, sie führt zur Verantwortung für sich selbst, das eigene Denken und Handeln, für das Leben.

Der Chor steht auf der Bühne, bereit für den großen Auftritt beim Chorwettbe-werb. Aber Daniel, der Dirigent, taucht nicht auf. Was die Sänger nicht wissen: Nach einem erneuten Herzinfarkt ist Da-niel zusammengebrochen. Schließlich beginnt Tore, ein behindertes Mitglied des Chors, seinen Ton zu singen, auch die anderen schließen sich an, improvisieren, bis schließlich alle Chöre einstimmen. Über Lautsprecher hört Daniel, am Boden liegend, diesen einzigartigen Gesang. Schon als kleiner Junge träumte er davon Musik zu machen, die die Herzen der Menschen öffnet. Er stirbt in jenem Mo-ment, in dem genau dies geschieht.

Nicht nur für Daniel verändert sich da-durch etwas in der Welt, sondern zumindest auch für die Menschen im Saal. Der Wett-bewerb ist bedeutungslos geworden; verun-sicherte Gesichter werden zu strahlenden Gesichtern. Es hätte diesen Moment nicht gegeben, wären nicht zwei Dinge zusam-mengekommen: Courage: Aufstehen und tun, was die Situ-ation verlangt, was die innere Stimme sagt. Kooperation: Unglaublich, welche Kraft entsteht, wenn viele oder gar alle den eige-nen Ton in die Welt bringen und wenn diese Töne zusammenwirken. Unsere Welt ist enger zusammengerückt und Kommunikation ist zum wichtigsten Handlungsinstrument geworden. Die Sys-teme werden immer komplexer. So eine

Welt braucht Kooperation. Es ist Zeit gewor-den, das Beharren auf Positionen und Ideo-logien zu verlassen. Es ist Zeit geworden, das „kooperative Gen“, wie der renommier-te Neurobiologe Joachim Bauer es nennt, in uns zu aktivieren. Kooperation ist mehr als die Addition von zwei Meinungen, drei Gesichtspunkten, vier Ansichten. Es ist de-ren Potenzierung. Wenn Menschen begin-nen ihre Ansichten, Ideen, Anliegen zu ver-binden, entstehen Synergien. Oft genug entsteht daraus Neues. Die komplexen Aufgaben dieser Welt wer-den wir nur bewältigen, wenn wir Koope-ration zu einem wesentlichen Paradigma erheben. Gemeinsam schaffen wir Energie. Diese menschliche Energie ist übrigens die einzig unerschöpfliche Energiereserve dieser Welt. Sie wird wichtiger denn je, denn die fossile Energie neigt sich dem Ende zu.

P S: „Da ist vieles ziemlich schön“, stellt Daniel Dareus spontan fest, als er zum ersten Mal das unharmonische Krächzen des kleinen Kirchenchors hört. Die Chor-mitglieder sind verblüfft, fallen sich vor Freude in die Arme. In der Folge üben sie unermüdlich für ihr erstes Konzert.

„Da ist vieles ziemlich schön.“ Wenn wir diese Anerkennung einem Menschen aus vollem Herzen zusichern können, stärken wir dessen Glauben an seine eigenen Kräfte. Auch bei den SOS-Kinderdörfern geht es uns darum, Stärken zu stärken und hinter vermeintlichen Schwächen die Stärken zu entdecken. Auch das verstehen wir unter „ubuntu“, also unter einem achtsamen und respektvollen Miteinander. In den SOS- Kinderdörfern versuchen wir aus dieser Hal-tung heraus, Familien zu unterstützen, ihr Zusammenleben zu verbessern oder Kin-dern ein neues Zuhause zu geben.

Jeder Mensch hat seinen eigenen Ton

Essay: Monika Franta

„Ich habe vor zuzuhören!“ So be-gründet Daniel Dareus die Rückkehr an den Ort seiner Kindheit. Nach einem Herzinfarkt zieht sich der angesehene Dirigent in dem Erfolgsfilm von Kay Pollak „Wie im Himmel“ in ein bescheide-nes Leben zurück. „Alle Musik ist schon da. Wir brauchen sie nur zu holen. Es geht ums Zuhören. Jeder Mensch hat seinen eigenen, einzigartigen Ton“, erklärt Daniel bald den verblüfften Mitgliedern des Kirchenchors der kleinen schwedischen Gemeinde.

Der Grundton jedes Menschen ist sein ein-zigartiges, nie kopierbares Wesen. Dieses Wesen ist ausgestattet mit einem Potenzial an Fähigkeiten, die es gilt zu entdecken und zu entfalten. Das ist etwas anderes, als uns in Disziplinen zu üben und Techniken anzueignen, die bloß dazu dienen, das Überleben zu sichern und sich Systemen anzupassen. Gut sein beginnt nicht mit Wollen, sondern mit Sein. Wenn wir uns darauf konzentrieren, Fertigkeiten, die uns erstrebenswert scheinen, zu perfektio-nieren, bleiben wir an der Oberfläche.

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Monika Frantaist Geschäftsführerin von SOS-Kinderdorf Niederösterreich. Zuvor leitete sie das größte europäische SOS-Kinderdorf in Hinter-brühl im Wienerwald. Den Film „Wie im Himmel“ von Kay Pollak kann Monika Franta absolut empfehlen!

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ubuntu Essay

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Mein Großvater väterlicherseits war witzig, großzügig und immer für ein Abenteuer bereit. Er lebte in Malula, einem christlichen Dorf in den Bergen. Wenn er uns in Damaskus besuchte, kam er oft alleine, da seine Frau, meine Großmutter, uns nicht mochte. Das beruhte auf Gegenseitigkeit. Wir waren die Brut ihrer verhassten Feindin, meiner Mutter, die mit ihren schönen Augen meinen Vater verführt hatte. Der Plan der Großmutter, ihren Sohn mit seiner reichen Cousine zu verheiraten, scheiterte an dieser hübschen, aber bettelarmen jungen Frau, die später meine Mutter werden sollte.Das Allerschlimmste für meine Großmutter aber kommt erst noch: Es war die Zunge meiner Mutter, mit der sie zehn Frauen vom Kali-ber meiner Großmutter an die Wand stellen konnte. Großmutter lästerte, meine Mutter habe ihre Zunge vom Teufel geliehen. Für meinen Großvater war dieselbe Zunge ein Garten voller Lachen, voller Gerüchte und Anekdoten, wie er sich einmal ausdrückte. Er selbst war schüchtern, und sein Leben lang bewunderte er die Schlagfertigkeit meiner Mutter.Ich wunderte mich immer, wie er es mit seiner Frau aushielt. Ein-mal fragte ich ihn, warum er nicht zu uns ziehe. Da lachte er: „Dei-ne Großmutter kann nicht einschlafen, wenn sie ihre Hände und Füße, die immer eiskalt sind, nicht bei mir deponiert hat. Und ich bin ein Ofen.“ Und als er abends seinen Rotwein genoss, sah er zu mir herüber und sagte nur: „Heizöl“. Keiner außer mir verstand ihn. Ich verschluckte mich vor Lachen, und mein Vater bekam ein rotes Gesicht, wie im-mer, wenn er mit seinem Vater schimpfen wollte und nicht durfte.Wenn Großvater bei uns übernachtete, bestand er darauf, auf einer Matratze im Kinderzimmer zu schlafen. Er lehnte das herrliche Gäs-tebett ab, das ihm mein Vater anbot. In jenen Nächten konnten wir, meine zwei Brüder und ich, kaum schlafen. Wir lachten über seine Geschichten, was nicht selten damit endete, dass unser Vater her-einkam und seinen Vater mahnte, endlich Ruhe zu geben und uns schlafen zu lassen. Er, der reiche und mächtige Großvater, mimte dann den Ängstlichen und versteckte sich unter seiner Decke, und wir konnten noch weniger einschlafen. Eines Nachts tanzte er auf seiner Matratze und sang laut und unver-ständlich. Die Melodie hörte sich sehr fremdartig an. Es handelte

sich, wie er behauptete, um Lieder und Gesänge der Dschinn, und seine Tanzpartnerin war keine Geringere als die Frau von Schamhu-resch, dem Herrscher der Dämonen. Dieser konnte nicht billigen, dass sich seine Frau in einen „Irdischen“, wie er Großvater verächt-lich nannte, verliebte. So ließ sich Großvater darauf ein, mit Scham-huresch zu kämpfen, nachdem dieser versprochen hatte, keine faulen Tricks anzuwenden. Dschinn haben nämlich die lästige An-gewohnheit, sich in Sekundenschnelle in eine andere Form und Er-scheinung zu verwandeln. Hat man sie am Hals gepackt, werden sie zu Skorpionen oder Krokodilen, legt man sie flach auf den Boden, werden sie zu einem See. Will man sie in den Hintern treten, wer-den sie zu Feuer und Glut. Das wussten wir aus früheren Erzählun-gen, und wir verfolgten die Schlägerei gespannt, bei der der Großva-ter sein Talent als Pantomime exzellent unter Beweis stellte. Man konnte beinahe die unsichtbare Faust des eifersüchtigen Dschinns sehen, wenn sie Großvaters Kinn traf. Der Kampf dauerte länger als zehn Minuten … Und das alles auf der Matratze in unserem Kinder-zimmer! Als plötzlich die Tür aufging, erstarrte mein Großvater zu einer Gipsfigur.„Soll ich den Hörern im Hof Eis servieren oder ihnen ein Eintritts-geld abverlangen?“, fragte mein Vater verärgert. Ich hob den Vor-hang. Tatsächlich saßen unsere Nachbarinnen und Nachbarn im Innenhof. Sie genossen in jener Sommernacht die kühle Luft unter freiem Himmel und desgleichen die Abenteuergeschichte meines Großvaters – bis die Zensur für eine Unterbrechung sorgte.„Eis wäre nicht schlecht“, erwiderte Großvater und sackte in sich zusammen, als wäre er ein Löffel Vanilleeis in einer heißen Pfanne. Mein Vater schüttelte nur den Kopf, schloss die Tür und kehrte in sein Zimmer zurück.„Und?“, flüsterte mein ältester Bruder, nachdem er sich vergewis-sert hatte, dass mein Vater weit genug weg war. „Wer hat gesiegt?“ „Natürlich ich, aber das hat mich einen Zahn gekostet“, erklärte Großvater, und er zeigte uns die Lücke in seinem Unterkiefer. Ich werde nie vergessen, wie er geduldig den Mund aufhielt, während wir drei mit der Taschenlampe seinen Unterkiefer erforschten.So war er bis zum letzten Tag seines Lebens, von dem ich noch erzäh-len werde. Aber lange davor, an einem Tag in Frühjahr 1953, fragte er mich, ob ich mit ihm durch die Altstadt spazieren wolle.

Geschichten, wie wir sie nur von einem

Märchenerzähler hören – Die Frau, die ihren

Mann auf dem Flohmarkt verkaufte

Text Rafik Schami

Illustration Andreas Lechner

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Wir schlenderten durch die Gerade Straße. Mir schien an jenem Tag, dass alle Händler, Bettler, Polizisten, Lastenträger und Wirte mei-nen Großvater kannten und mochten. Sie grüßten ihn freundlich, und drei-, viermal luden ihn Männer zu einer Tasse Kaffee ein. Er lehnte höflich ab und wiederholte, er wolle mit mir, seinem Enkel, zum Flohmarkt gehen. Und das war keine Lüge gewesen, denn tat-sächlich hörte ich an jenem Tag zum ersten Mal in meinem Leben vom „Suk Qumeile“, dem Flohmarkt. Ich war verwundert und dach-te, mein Großvater wolle sich einen Scherz mit mir machen. Aber er schwor bei der heiligen Maria, dass eine ganze Straße den Namen Flohmarkt trage. Man könne dort interessante alte Dinge finden. Dann erzählte er mir, welche Raritäten er bisher dort schon erstan-den hatte. Und auch von den Tricks der Händler, billige Ware als An-tiquität zu tarnen und Anfängern für viel Geld anzudrehen.Suk Qumeile lag in der Nähe der Zitadelle. Auf beiden Straßenseiten waren kleine, winzig kleine Läden dicht aneinandergereiht, und da es mehr Waren als Platz gab, standen auch die Bürgersteige voller Kleider, Spielzeug und Haushaltsgeräte. Es störte aber niemanden. Die Passanten gingen auf der Fahrbahn, und die wenigen Auto-fahrer, die vorbeikamen, hatten eine Engelsgeduld. Sie schlängel-ten sich im Schritttempo zwischen den Menschen hindurch und hupten nur, wenn man sie vergaß.Ich durfte alles anfassen und fand bald einen bunten Musikkreisel, der zwar zwei Dellen hatte, aber wunderschöne Musik machte. Die Händlerin wollte – meinem Großvater zuliebe – keinen Gewinn ma-chen und verlangte drei Lira. Mein Großvater behielt trotz der Schmeichelei einen kühlen Kopf und kaufte mir den Kreisel nach kurzem Feilschen für eine Lira. Für sich selbst erstand er bei einem anderen Händler eine Goldmünze und sagte leise zu mir, er habe diese seltene Münze seit Jahren gesucht. Schließlich hielt er sich eine ganze Weile bei einem Händler auf, dessen Laden, abgesehen von Zetteln, die an der Wand klebten, leer war. Ich wunderte mich und fragte meinen Großvater, was der Mann verkaufe. „Offiziell Häuser“, antwortete er. „Der Mann ist ein Makler. Aber inoffiziell verkauft er die besten Gerüchte, die man haben kann, weil er alle Häuser der Stadt und ihre Geheimnisse kennt.“ „Hallo“, rief ein Dattelverkäufer meinem Großvater zu, als wir wei-tergingen, „willst du zwei Kilo Kummer kostenlos haben oder ein Kilo irakische Datteln, bei denen du deinen Kummer vergisst?“„Dann lieber die Datteln“, erwiderte mein Großvater, und ich bekam vom Verkäufer eine Tüte mit großen saftigen Datteln. Plötzlich wurden mein Großvater und ich auf eine Menschentraube aufmerksam, die sich vor einem Laden gebildet hatte und bis zum Bürgersteig auf der anderen Straßenseite reichte. Mein Großvater, raffiniert wie er war, rief den Männern und Frauen, die uns im Wege standen, zu: „Macht Platz für das Waisenkind“. Nichts auf der Welt setzt einen schwergewichtigen Araber so schnell in Bewe-gung wie die Aufforderung, einem Waisenkind Durchgang zu ge-währen. Mein Großvater schob mich vor sich her und schlüpfte, ge-schmeidig wie ein Schatten, hinter mich, bevor sich die Öffnung

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Schweigsam zogen wir weiter, mein Großvater und ich. Mir schien, als hätte der Vorfall auch ihn mitgenommen. Erst auf dem Weg zu-rück, etwa auf der Höhe vom Suk al Busurije, dem Gewürzmarkt, fragte ich ihn, warum die Frau ihren Mann verkauft hatte.„Weil sie arm ist. Immerhin kann sie mit dem Geld in schlechten Zeiten wie diesen überleben, und der Mann hat jemanden gefun-den, der ihn für seine Pferde braucht.“ Er hielt kurz inne. „Die Pfer-de nehmen es ihm nicht übel, wenn er den ganzen Tag schweigt, aber die Frauen mögen das nicht.“„Und wird Großmutter dich verkaufen?“Er lächelte. „Nein, ich glaube nicht, denn ich erzähle ihr dauernd etwas Neues, und dann vergisst sie, dass sie mich loswerden wollte.“ An diesem Tag fasste ich den geheimen Vorsatz, Frauen immer Ge-schichten zu erzählen, damit sie mich nicht verkaufen. Und noch einen geheimen Plan heckte ich auf dem Nachhauseweg aus. „Liebte die Frau den Mann?“, fragte ich Großvater. „Natürlich, du hast gesehen, wie sie beide beim Abschied weinten. Der Käufer tröstete sie, dass ihr Mann sie besuchen dürfe, so oft er wolle.“ Nun war mein Plan perfekt. Zu Hause angekommen, machte meine Mutter Augen, als ich ihr vorschlug, meinen schweigsamen ernsthaften Vater auf dem Floh-markt zu verkaufen und dafür den alten preiswerten Großvater und noch dazu ein Radio zu erstehen. „Aber ich liebe deinen Vater“, sagte sie, wie ich erwartet hatte und wie alle Welt wusste. „Macht nichts. Er kann dich so oft besuchen, wie er will“, beruhigte ich sie. „Nein, nein“, sagte die Mutter, „den verkaufe ich nicht, und deinen Großvater bekommen wir gratis.“Merkwürdigerweise kaufte mein Vater eine Woche später ein Radio für meine Mutter. Wahrscheinlich aus Dankbarkeit. Das waren da-mals sehr teure Geräte, die wie ein Möbelstück aussahen. Neben dem Arzt Michel waren wir die einzigen in der Gasse, die so ein Pracht-stück besaßen. Und so kamen alle Nachbarn zu uns, um Kaffee zu trinken und Lieder, Nachrichten und Geschichten zu hören.Manchmal jammerte mein Vater, dass das Radio mehr Kaffee ver-brauche als Strom. Dann sah ich zu meiner Mutter und flüsterte nur: „Flohmarkt“, und sie lachte verschwörerisch.

wieder schloss, und so standen wir binnen kürzester Zeit in der ers-ten Reihe.„Waisenkind?“, raunte ich, denn meine Eltern waren erst Anfang dreißig. „In siebzig Jahren bestimmt“, entgegnete er und richtete den Blick nach vorne. Ich wollte noch fragen, woher er das wisse, aber das Ge-schehen vor mir faszinierte mich so sehr, dass ich meine Eltern schnell vergaß. Mit offenem Mund starrte ich auf den Mann, der auf einem alten Sessel vor dem Laden saß. Er hielt ein Stück weißer Pap-pe vor sich, auf dem mit großen Buchstaben stand: Zu verkaufen. Das konnte ich gerade schon entziffern. Am Eingang des Ladens stand neben Haushaltsgeräten und einem Haufen alter Kleider eine ältere Frau in einem blauen Overall. Sie stritt gerade mit einem jungen Mann, der nicht einsehen wollte, warum sie ihren Mann zum Verkauf gab. Ich will wirklich nicht lügen und behaupten, ich hätte mit sieben Jahren alles verstanden. Was ich aber verstand, war, dass die Frau den Mann verkaufen wollte, weil dieser alt war. „Und obwohl dieser Mann keineswegs stumm ist, macht er den Mund nicht auf, tage-, monate-, jahrelang kann der Mann ohne Worte leben“, rief die Frau in diesem Augenblick bitter, was ich nie vergessen habe. Und was ich auch verstand, war, dass sich der Mann mit Pferden gut auskannte und dass die Frau drei behinderte er-wachsene Söhne zu ernähren hatte. Die Aufregung war groß, aber die Frau hielt allem stand. Auch vor einem besonders dürren Mann, der die Polizei rufen wollte, fürchtete sie sich nicht. Nach einer Weile ging ein älterer Herr in einem feinen europäischen Anzug zu der Frau hin und zählte ihr den verlangten Preis Schein für Schein auf die Hand. Wie viel das war, weiß ich heute nicht mehr. Aber ich erinnere mich, dass die Frau ihren Mann ein letztes Mal umarmte und weinte.

Rafik Schami, Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte Oder wie ich zum Erzähler wurde176 Seiten, ISBN-13: 978-3-446-23771-1, 17,90 Euro (D), 18,40 Euro (A), 25,90 CHF (CH)© 2011 Carl Hanser Verlag München

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Meine Welt von Morgen „Mein Bass ist mein bester Freund, und ich verbringe viel

Zeit mit Proben. Beruflich möchte ich aber lieber Kommuni-kationsdesignerin werden und Internetseiten entwickeln. Das scheint mir zukunftsträchtiger. Andererseits möchte ich lieber Kinder als eine Karriere. Klingt noch unentschlossen? Das bin ich auch. Deswegen möchte ich nach dem Abitur gern eine Pause machen und reisen oder ein Soziales Jahr absolvieren. Ich glaube, dass es uns Menschen in Zukunft eher schlechter gehen wird als besser. Umso wichtiger ist es mir, nicht wegzusehen, sondern zu helfen und zu teilen. Ich glaube, wir alle müssen lernen, sparsamer zu leben. Als SOS-Botschafterin habe ich jetzt schon Gelegenheit, mich für Benachteiligte einzusetzen.“Katrin Schulz, 16, hat mit dem Landesjugendorchester Mecklen-burg-Vorpommern das SOS-Kinderdorf Keila in Estland besucht. Der Film „Nachwuchsmusiker als SOS-Kinderdorfbotschafter in Estland“ ist zu sehen unter www.sos-kinderdoerfer.tv

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„Die Adoption war meine persönliche Art

auf den Akt der Gewalt zu reagieren.“

NACHDEM DIE ISRAELISCHE BESTSELLER-AUTORIN ZERUYA SHALEV BEI EINEM ATTENTAT

SCHWER VERLETZT WURDE, HAT SIE EINEN JUNGEN ADOPTIERT. AUCH IN SHALEVS NEUEM

ROMAN „FÜR DEN REST DES LEBENS“ WILL DIE HELDIN EIN KIND AUFNEHMEN.

Interview Martina Koch

Fotos aus der Ausstellung „Kindheit in Israel“ Foto

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widmen, entspannt sich auch unser inneres Kind, es kann heilen.Wie helfen Ihnen denn Ihre Kinder, das Kind in Ihnen zu besänf-tigen?Ich habe durch meine Kinder gelernt, mich an kleinen Dingen zu erfreuen. Wenn etwas meinen kleinen Sohn glücklich macht, fühle ich das gleiche Glück. Die Welt mit seinen Augen zu sehen, macht sie viel interessanter und verheißungsvoller. Es ist ein großes Privi-leg, Kinder zu haben – und sie großzuziehen.Sie haben drei Kinder …Den Kleinen, einen Teenager-Sohn und eine 24-jährige Tochter aus einer früheren Ehe. Sie ist schon aus dem Haus, aber wir sind sehr eng miteinander, sie hilft mir auch viel mit dem Kleinen.2004 wurden Sie in Jerusalem, nahe Ihres Hauses, bei einem Selbstmordattentat schwer verletzt. Unmittelbar neben Ihnen explodierte ein vollbesetzter Bus. Bei dem Anschlag starben neun Menschen, 50 wurden verletzt. Als „Reaktion“ darauf, wie Sie sagen, haben Sie vor vier Jahren einen heute fünfjährigen russi-schen Jungen adoptiert.Ja, es war meine persönliche Art auf den Akt der Gewalt zu reagie-ren. Die grauenhaften Bilder des Anschlags haben mich nicht losge-lassen. Ich wollte etwas tun, das das Leben im Kern trifft, um das auszubalancieren.(Shalevs Ehemann, der israelische Journalist und Schriftsteller Eyal Megged, betritt den Raum. Sie fragt nach, ob ihr Sohn noch geweint habe. Ihr Mann beruhigt sie, alles in Ordnung.)Auch Ihre Protagonistin Dina aus „Für den Rest des Lebens“ will ein Kind adoptieren. Dina fühlt eine enge Verbundenheit mit

Zeruya Shalev: Entschuldigen Sie meine Verspätung, ich habe noch mit meinem kleinen Sohn geskypt. Er konnte sich schlecht trennen.Haben Sie ein schlechtes Gewissen, weil Sie nicht bei ihm sind?Ein wenig, weil ich auf Lesereise bin, und er zuhause geblieben ist. Aber das ist eine Ausnahme, im Alltag verbringen wir viel Zeit mit-einander.Vor ein paar Jahren veröffentlichten Sie das Kinderbuch „Mamas liebster Junge“. Die wesentliche Aussage der Geschichte lautet, dass nichts das Selbstbewusstsein eines Kindes so erstarken lässt wie die bedingungslose Liebe seiner Mutter. Auch in Ihrem neuen Roman „Für den Rest des Lebens“ geht es um Mutterliebe.Diesmal wird aber eher der Umkehrschluss durchgespielt: Es gibt nichts Schmerzlicheres, als von der Mutter nicht geliebt zu werden, keine oder wenig Bestätigung zu erfahren. In „Für den Rest des Le-bens“ wird die Protagonistin Dina von ihrer Mutter weniger geliebt als ihr Bruder Avner.Sie sagten mal, Kinder geben uns die Möglichkeit unsere eigene Kindheit zu korrigieren.Wenn wir erwachsen werden, liegt das ganze Drama in uns selbst, die Vergangenheit ist nicht mehr zu ändern. Wir können lediglich unsere Haltung verändern zu dem, was wir erlebt haben. Wenn wir uns unseren Kindern zuwenden, kriegen wir vielleicht wieder mehr Kontakt zu dem Kind in uns, vielleicht lieben wir es dann wieder mehr. Wir tragen doch alle noch unsere Kindheit mit uns herum –und das Kind, das wir waren. Dieses Kind braucht Trost und Auf-merksamkeit. Wenn wir unseren Kindern viel Aufmerksamkeit

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ihrer Tochter. Als die sich von ihr zu lösen beginnt, wird Dinas Wunsch nach einem weiteren Kind stärker. Dinas Familie rea-giert ablehnend. Wie hat Ihre reagiert?Ganz anders als im Buch. Die Adoption an sich ist eine biografische Parallele, aber der ganze Hintergrund, die Familiensituation und wie Sachen motiviert sind – das ist alles komplett anders. Mein Sohn zum Beispiel hat mich damals richtig zur Adoption gedrängt – Dinas Tochter ist dagegen. Literatur ist bei mir oft eine Mischung aus dem, was ich erlebt habe, und ganz viel Erfindung. Ich wollte, dass Dina das erlebt. Dinas Hauptthema ist nicht die Tatsache, dass sie ein Kind adoptieren will, sie könnte auch etwas ganz anderes ma-chen. Ihr Antrieb ist, etwas gegen den Willen ihrer Familie zu tun, und die Erfahrung zu machen, stark genug zu sein, es dann auch durchzuziehen, nicht aufzugeben. Dina will ihr Leben verändern, aber ihre Familie will nicht mitziehen. Deshalb muss sie ihr bei-bringen, ihr wieder zuzuhören. Sie selbst muss auch lernen, sich wieder zuzuhören. Das alles spukte mir im Kopf rum, deshalb war es wichtig, die Einwände der Familie so zu komponieren. Es wäre eine andere Geschichte geworden, hätte ihre Familie sie einfach nur un-terstützt.Sie sagten mal, man könne nur mutmaßen, was für Persönlich-keiten sich aus leiblichen Kindern entwickeln, noch mehr gelte das aber für adoptierte Kinder. Wie gehen Sie damit um?Ich habe versucht, mir möglichst viel zu diesem Thema anzueig-nen – vor der Adoption und auch danach. Im Grunde ist es wie bei leiblichen Kindern, nur ein bisschen schwieriger. Die Schwierigkei-ten können extremer sein.Zum Beispiel, weil ein adoptiertes immer ein verlassenes Kind ist?Ja, und jedes traumatisierte Kind hat seine eigene Art damit umzu-gehen. Man muss mehr darauf Rücksicht nehmen, ihnen vielleicht auch mehr Aufmerksamkeit widmen, aber gleichzeitig sollte man konsequent sein, weil sie auch klare Grenzen brauchen. Das musste ich erstmal lernen, ich war immer eine ziemlich weiche Mutter. Aber nach der Adoption habe ich gemerkt, dass mein Sohn vorher ein anderes Umfeld hatte, dass er eine strengere Mutter braucht. Ich musste mich ändern, um ihm die Mutter zu sein, die er braucht. Obwohl ich schon erfahren war, musste ich noch eine Menge dazu-lernen. Eine Adoption ist ein echtes Abenteuer. Andererseits verges-se ich manchmal, dass ich nicht seine leibliche Mutter bin. Dann ertappe ich mich dabei, dass ich mich zu erinnern versuche, wie die Schwangerschaft mit ihm verlief.Was denken Sie über prominente Adoptivmütter wie Madonna oder Angelina Jolie?Ich kann nicht beurteilen, ob sie gute Mütter sind, ich kenne sie nicht. Aber wenn sie den Kindern genug Liebe geben können, ist das doch eine gute Sache. Einem Kind ein Zuhause zu geben, ist das Großartigste, was man tun kann. Mutter sein gibt einem die Mög-lichkeit, ein besserer Mensch zu werden.In „Für den Rest des Lebens“ geht es auch um die Zeit, in der man

Ausgestattet mit einwegkameras zogen 100 Kinder aus den beiden israelischen SOS-Kinderdörfern Neradim und Megadim los, um für die Ausstellung „Kindheit in Israel“ ihr Leben zu porträtieren, ihre Freunde und ihre Familie, ihr Umfeld. Heraus kamen authentische Bilder mit eige-nem, oft sprödem Charme. Der Fotograf Stephan Pramme steuerte Porträts der Kin-der (Foto links) zur Ausstellung bei.

„Einem Kind ein Zuhause zu geben, ist

das Großartigste, was man tun kann.“

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selbst Kinder hat und sich gleichzeitig um seine alten Eltern kümmern muss. Gibt einem nicht auch das die Chance, ein besse-rer Mensch zu werden?Ganz bestimmt! Aber es ist auch ziemlich anstrengend. Mein Vater ist inzwischen sehr betagt, und ich bin immer hin- und hergerissen zwischen meinem Kleinen, der viel will, und meinem Vater, der mich auch braucht.Die vielen palästinensischen Terroranschläge, aktuell dazu noch Israels Kriegsdrohungen gegen den Iran – ist das israelische Fami-lienleben nicht von permanenten existenziellen Ängsten ge-prägt?Das hat großen Einfluss auf unseren Alltag. Die Menschen sind ner-vöser. Was die Anschläge betrifft, ist es inzwischen etwas ruhiger geworden. Aber während der Zeit mit den vielen Attentaten wollte man immer wissen, wo sich die Familie gerade aufhält. Ich habe versucht, das Leben meiner Kinder komplett zu kontrollieren, um sie zu beschützen. Wissen Sie, meine Tochter war beim Militär, mein sechzehnjähriger Sohn wird in anderthalb Jahren dahin müs-sen, ich mache mir schon jetzt Sorgen …Nach dem Attentat haben Sie sich den Machsom-Watch-Frauen angeschlossen. Die Frauen, darunter Mütter und Schwestern von Soldaten, protestieren gegen die Okkupation und die Checkpoints im Westjordanland, indem sie den Transfer an den Checkpoints

beobachten. Es geht ihnen darum zu verhindern, dass Palästi-nenser von israelischen Soldaten gedemütigt werden. Ist das auch eine Möglichkeit, als Mutter der Ohnmacht zu entkommen?Das war ein Versuch, mit den Folgen des Attentats umzugehen. Als Mutter eines Soldaten ist man vor allem ganz hingebungsvoll: Man wartet auf ihn, kocht für ihn, macht ihm die Wäsche, fährt ihn überall hin, man tut einfach alles dafür, es ihm leichter zu ma-chen. Man grübelt darüber, wie sie ihn behandeln, ob er leidet, ob es militärische Aktionen gibt. Man ist so hilflos.Wie war das denn bei Ihnen und Ihren Eltern?Mir fällt da ein Telefonat mit meiner Mutter ein. Das war im Früh-jahr 2002, rund zwei Jahre bevor ich bei dem Anschlag auf den Bus verletzt wurde. Damals hatte ich mich im „Café Moment“ in Jerusa-lem für ein Interview verabredet – obwohl ich normalerweise eigent-lich gar nicht in Cafés gehe.Weil Sie Angst vor Attentaten haben?Nein, ich habe nur keine Zeit dazu. Ich saß dort also mit einem Schweizer Journalisten, als meine Mutter anrief. Sie fragte mich, wo ich wäre. Als ich ihr das sagte, bat sie mich, das Café auf der Stelle zu verlassen, weil sie so ein schlechtes Gefühl hätte. Nun, ich war mitten im Interview, aber ich versprach ihr, sofort danach zu gehen. An diesem Tag ist nichts geschehen, aber einen Tag später gab es dort einen Anschlag, bei dem viele Menschen verletzt und getötet wurden. Da hatte Ihre Mutter so was wie den sechsten Sinn …So kann man’s auch sehen, aber bedenken Sie, dass ich damals schon über 40 Jahre alt war und meine Mutter um die 80, und sie versuchte immer noch, mein Leben zu kontrollieren – dieses Verhal-ten ist vor allem der allgegenwärtigen existenziellen Bedrohung ge-schuldet. Zudem gibt es da diese Form von Anhänglichkeit bei vielen jüdischen Familien. Die Familie ist einfach deine Basis, man lebt noch ein traditionelles Familienmodell. Das hat meist Vor- und Nachteile.Die Kehrseite ist, dass unsere Eltern uns nicht genügend losgelassen haben und wir nun unsere Kinder nicht genügend loslassen. Zum Beispiel ist meine Tochter meine beste Freundin, und ich versuche, ihre beste Freundin zu sein. Manchmal ruft sie mich drei, vier Mal am Tag an. Das ist schön, aber auch ein bisschen viel. Hinzu kommt, dass Israel ein kleines Land ist. Selbst, wenn Eltern und Kinder in verschiedenen Städten wohnen, muss man keine so weiten Strecken wie zum Beispiel in Deutschland zurücklegen.Obwohl wir in Deutschland heute nicht diese existenzielle Bedro-hung kennen, gibt es auch bei uns das Phänomen der Überbehü-

„Ich war über 40 und meine Mutter um

die 80, und sie versuchte immer noch, mein

Leben zu kontrollieren.“

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tung. Viele Mittelschicht-Eltern neigen dazu, ständig um ihre Kinder zu kreisen, was ihnen den Namen „Helikopter-Eltern“ ein-gebracht hat. Schon Grundschulkinder haben ein Mobiltelefon, damit ihre Eltern sie immer erreichen können und umgekehrt.Moderne Familien schaffen moderne Probleme. In den 1950 er-, 60 er-, 70 er-Jahren liefen Kinder eher nebenbei, mag sein, dass die heutige Eltern-Generation viel mehr auf ihre Kinder konzentriert ist. Daraus ergeben sich neue Schwierigkeiten, etwa, dass die Kinder nicht mehr eigenständig Probleme lösen können. Wir sollten uns nicht gleich darauf konzentrieren, dem Kind zu helfen, gleich einen Ratschlag parat haben, sondern ihm erstmal gut zuhören. Man will sein Kind vor Fehlern bewahren und macht dabei selbst welche.Besitzen Ihre Kinder iPods?Nein, aber ich bin da nicht fanatisch. Wir sollten weder Fernsehen noch Computer verbieten. Wir haben Computer im Haus. Ich finde, es ist okay, sie Computerspiele machen zu lassen, solange man das zeitlich begrenzt.Und dann läuft’s bei Ihnen reibungslos?Natürlich mache ich manchmal Fehler. Erziehung ist ein sehr dyna-mischer Prozess. Man lernt die ganze Zeit und verbessert sich.

Mein zimmer, meine Freunde, unsere Sport-

anlage: Viele der Motive, die die Kinder für die

Ausstellung fotografier-ten, zeigen, dass sie sich

hier, in ihrem SOS-Kin-derdorf, zuhause fühlen.

Ausstellung „Kindheit in Israel“Die Ausstellung „Kindheit in Israel“ ist ab dem 7. September im Berliner Büro der SOS-Kinderdörfer, Gierkezeile 38, zu sehen. Den Katalog erhalten Sie kostenlos unter 030/3450 6997-12. Wir freuen uns aber über einen Produktions- und Versandkostenbeitrag. Bitte verwenden Sie dafür den Zahlschein auf der vorletzten Seite.

Zeruya Shalevist 2000 mit dem Roman Liebesleben, dem ersten Teil einer Beziehungs-Trilogie, zur internationalen Bestsellerautorin geworden. Kürzlich ist ihr vierter Roman Für den rest des Lebens (Berlin Verlag, um 23 Euro) er-schienen. Es ist ihr bisher politischstes Buch, das die Geschichte einer israelischen Familie über mehrere Generationen erzählt. Zeruya Shalev, 52, lebt mit ihrer Familie in Jerusalem.Fo

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Stunde am Tag. Dabei geht es vor allem dar-um, dass Ihr Kind sich wahrgenommen, ge-hört und verstanden fühlt.4. Seien Sie Vorbild und ziehen Sie sich selbst in aller Ruhe an.5. Planen Sie einen fixen Ablauf. Waschen, Zähneputzen, Anziehen, Bett machen, Früh-stücken und so weiter und handhaben Sie das jeden Tag gleich.6. Beharren Sie konsequent auf Ihren For-derungen. Nicht laut und hektisch, sondern mit ruhiger und fester Stimme. Lassen Sie an Ihrer inneren Haltung keinen Zweifel aufkommen, dass Sie auf Ihren Forderun-gen bestehen.7. Probieren Sie ein wenig aus, was mehr wirkt. Eine kurze klare Aufforderung, nach der Luise vielleicht alleine aktiv wird. Oder ruhig daneben stehen bleiben und damit Ihre Unnachgiebigkeit demonstrieren. Auch hier gilt: Werden Sie nicht laut, sondern be-geben Sie sich auf Augenhöhe und reden Sie mit ruhiger fester Stimme.8. Gestehen Sie Ihrem Kind angemessene Möglichkeiten zu, sein Bestreben nach Au-tonomie auszuleben. Bieten Sie ihm an mit-zuentscheiden, was es anzieht. 9. Zeigen Sie dem Kind ruhig und sachlich die logischen Folgen der Trödelei oder der zu dünnen Kleidung auf und lassen Sie es diese Folgen auch erleben. Wenn sich Luise zu dünn anzieht, lassen Sie sie ausprobieren, ob sie nicht doch friert. Wenn Sie Sorge ha-ben, sie könnte krank werden, können Sie ja einen Pullover mitnehmen. Oder Sie las-sen Luise im Kindergarten selber den Grund für ihr Zuspätkommen erklären. Das Allerwichtigste bei alldem ist, das Kind liebevoll anzunehmen, in seinen Bedürfnis-sen und Befindlichkeiten wahrzunehmen und mit Ruhe und Konsequenz zu agieren!

WENN ES UM FRAGEN DER PäDAGOGIK, ELTERN-KIND-KONFLIKTE UND IHRE LöSUNG GEHT, HABEN DIE SOS-KINDERDöRFER EINE MENGE ZU SAGEN! 60 JAHRE INTENSIVE ARBEIT MIT KINDERN SIND DIE BASIS DAFÜR. ULRICH SOMMER, PSYCHOTHE-RAPEUT FÜR KINDER UND JUGEND-LICHE, GIBT RAT!

ulrich Sommerist Psychotherapeut für Kinder und Jugend-liche und Pädagogischer Leiter des Diagnose- und Therapiezentrums „Bienenhaus“ der SOS-Kinderdörfer in Hinterbrühl, österreich. Kindern und Jugendlichen mit massiven Pro-blemen wird dort stationär geholfen.

Haben auch Sie eine Frage an ulrich Sommer?Dann schreiben Sie an:Redaktion ubuntu, SOS-Kinderdörfer weltweit, Ridlerstr. 55, 80339 München oder [email protected]

Lieber Herr Sommer, ich habe mit meiner Tochter Luise seit einiger Zeit ein riesiges Thema mit dem Anziehen! Mor-gens vor dem Kindergarten trödelt sie her-um oder weigert sich mit Geschrei, eine Jacke anzuziehen. Oft geraten wir beide dann in einen heftigen Streit. Am liebsten würde ich sie manchmal im Nachthemd losschicken!Claudia B., Düsseldorf Wozu raten Sie mir?

Liebe Frau B., diese Schwierigkeiten sind ein sehr häufiges Problem und gehören in einem gewissen Ausmaß zur normalen Entwicklung eines Kindes. Möglicherweise befindet sich Luise noch in der Trotzphase – eine absolut gesunde und notwendige Ent-wicklungsphase. Dabei geht es um die Los-lösung aus der Symbiose mit der Mutter als erste Bindungsperson und die ersten Schrit-te in Richtung Autonomie und Identitäts-entwicklung. Es könnte aber auch sein, dass Ihre Toch-ter nicht gerne in den Kindergarten geht, weil dort etwas vorgefallen ist. Oder Luise wünscht sich von Ihnen mehr Aufmerksam-keit. Oder sie macht mit ihrem Widerstand auf ein innerfamiliäres Problem aufmerk-sam. Zum Beispiel könnte sie darunter lei-den, dass ihr häufig Vorwürfe gemacht werden, ihr nichts zugetraut wird oder es Spannungen innerhalb der Familie gibt.Für den konkreten Umgang mit dem Wider-stand und dem Trödeln sind zunächst ein paar Dinge wichtig.1. Verzichten Sie auf ständige Ermahnun-gen und bleiben Sie ruhig! Grundsätzlich wird von Ihnen ausgehende Hektik den Druck auf Luise erhöhen und die Dynamik verschärfen. Planen Sie unbedingt genü-gend Zeit ein. Beginnen Sie mit dem Anzie-hen zum Beispiel eine Viertelstunde früher. 2. Klären Sie mögliche weitere Ursachen. Reden Sie mit Ihrem Kind in einer ruhigen Minute über das Trödeln und über den Kin-dergarten – aber erwarten Sie nicht unbe-dingt, dass Luise ihnen den Grund nennen kann. Erklären Sie in ruhigem Ton, warum solche Situationen für Sie schwierig sind. 3. Nehmen Sie sich regelmäßig Zeit, in der Ihr Kind Ihre ungeteilte positive Aufmerk-samkeit bekommt. Oft reicht eine halbe Il

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Luise will sich morgens nicht anziehen. Wie können wir Streit vermeiden?

Fragen an Ulrich Sommer

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Spiritualität für SkeptikerAufklärer

ganze Menschen

Der Wissenschaftler Harald Walach defi niert Spiritualität als gültige Erfah-rung von Wirklichkeit, die jeder Mensch kennt: Intuition für das Richtige, Gespür für die Lebensaufgabe, Bewusstsein der Verbundenheit. Für ihn ist spirituelle Erfahrung die unverzichtbare Grund-lage für ein erfülltes, gesundes Leben.

Harald Walachs Plädoyer für eine neue Kultur der Ganzheit bricht ein Tabu: Die Aufklärung ist ohne refl ektierte, undog-matische Spiritualität unvollständig.

»Gute Wissenschaft und aufrechte Spiritualität sind beide einer radikalen Offenheit verpfl ichtet.«

Harald Walach

Spiritualität

Warum wir die Aufklärung

weiterführen müssen

272 Seiten, 29,80 Euro

ISBN 978-3927369-56-6

In Ihrer Buchhandlung oder direkt bei

www.drachenverlag.de

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Honey Oo drückt den Rücken durch, lächelt und geht in grazilen Schritten über die Straße, geradewegs auf eine Gruppe von Männern zu. Die zierliche Frau trägt eine gebügelte weiße Bluse und einen dunklen Longyi, den traditionellen Wickelrock der Burmanen. Die Männer sind Agenten der Regierung. Sie sind alle gleich gekleidet in weißen Hemden, mit dunklen Sonnenbril-len, jeder hat eine Kamera in der Hand. Ho-ney Oo wiegt sich in den Hüften, posiert vor den Kameras. Die Männer zeigen keine Re-gung. Zwar haben sie sich hier, vor dem Par-teibüro der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), postiert, um die Besucher zu fotogra-fieren, aber eingreifen dürfen sie seit Neu-estem nicht mehr. Es sind solche Szenen, die beweisen: Burma hat sich wirklich ver-ändert!Honey Oo kann es immer noch nicht fassen. Wie zur Bestätigung sagt sie sich selbst im-mer wieder solche Sätze auf: „Die Agenten sind zwar noch da, aber sie können uns nichts mehr anhaben!“ Oder: „Wir können nun sagen, was wir denken – und werden dafür nicht mehr verhaftet!“ Das war lange anders. Als Honey Oo im Spätsommer 2007 an den Mönchsprotesten teilnahm, wurde sie abgeführt. 17 Jahre alt war sie damals und studierte Jura. Ihren 18. Geburtstag verbrachte sie in einem von Burmas berüchtigten Gefängnissen. Sie wurde verhört, geschlagen, mit Schlaf- und Essensentzug gefoltert. Aus den Nachbar-zellen hörte sie Schreie. In einem Schaupro-zess verurteilte man sie zu zehn Jahren Haft, womit sie durchaus in der Norm lag. Jahrzehntelang war Burma eine Militärdik-tatur. Die Generäle regierten das Land uner-bittlich. Wer sich auflehnte, wurde zur Rai-son gebracht, und wenn es sein musste, ließen die Generäle auf die eigene Bevölke-rung, sogar auf Mönche schießen. Die Presse

Sie sagen, was sie denken!

uNTer BurMAS MILITärreGIMe WuCHSeN KINDer OHNe VäTer AuF uND JuGeNDLICHe SASSeN IN GeFäNGNISSeN.

JeTzT NuTzT DIe JuNGe GeNerATION DIe Neue FreIHeIT, uM IHr LAND Neu zu GeSTALTeN.

Fotos und Text Carsten Stormer

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Oben: Bis zum Januar saßen viele Studenten noch im Ge-fängnis. Jetzt sind sie dabei eine Studentenvereinigung zu gründen, um Burma in die Demokratie zu führen.Unten: Seit es nicht mehr verboten ist, werden überall im Land Bilder von Nobel-preisträgerin Aung San Suu Kyi verkauft.

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ben sie früher auch getan, aber doch scheint ihr Lachen jetzt leichter, die Atmosphäre gelöster.Oder zumindest wird die Hoffnung größer. Ma Thiery wartet seit sieben langen Jahren auf ihren Mann. Ihren richtigen Namen will die Frau nicht nennen und auch ein Treffen mit uns lehnt sie ab. Ihre Geschichte erzählt sie am Telefon und über facebook. Nichts riskieren. Zusammen mit seinem Vater wurde ihr Mann damals abgeholt und in das Gefäng-nis der Stadt Mandalay gesteckt, 570 Kilo-meter von seinem Zuhause in Rangun ent-fernt, weil er gegen die Zensurgesetze des Landes verstoßen und unerlaubte Nachrich-ten verbreitet haben soll. Ma Thiery hat ih-rem Sohn eine andere Geschichte erzählt, gesagt, dass Vater und Großvater auf Reisen im Ausland seien. Sie hat ihn schützen wol-len, aber als die Wahrheit schließlich raus-kam, brach für den Jungen eine Welt zu-sammen. Ma Thiery sagt: „Mein Sohn ist ohne Vater und Großvater, ohne Vorbilder aufgewachsen! Wir wurden genug bestraft. Wir wünschen uns so sehr, dass sie endlich freikommen.“ Aus Sicherheitsgründen hat sie den Sohn später zu Verwandten nach Australien gebracht, dort geht er zur Schu-le, weit weg von der Familie und der burma-nischen Realität. Erst wenn der Vater tat-sächlich wieder frei ist und Burma den Wandel von einer Diktatur in eine Demokra-tie geschafft hat, möchte sie ihn zurückho-len. „Uns fehlen gut ausgebildete Fachkräf-te. Ich hoffe, dass die jungen Leute, die im Ausland studieren und arbeiten, dann zu-rückkommen und helfen, das Land aufzu-bauen.“ In ihrer Stimme schwingt zaghafte Zuversicht mit.Auf der Suche nach weiteren Zeichen eines neuen, freien Burmas fahren wir übers Land. Dreißig Kilometer nördlich von Ran-gun, am Ufer des Bago-Flusses, sitzt der Mönch U Nandarthiri, ein schmales Männ-lein in safranroter Robe, in einem beschei-denen Kloster. Viele der Mönche hier ge-hören der „All-Birma Monks’ Alliance“ an, jener Gruppe, die im Jahre 2007 die „Safran-Revolution“ begann und offen gegen die Militärdiktatur und für bessere Lebensbe-dingungen und Demokratie protestierte. U Nandarthiri ist 58 Jahre alt, aber er wirkt jünger. Da der Abt des Klosters gerade auf Reisen ist, ist er zur Zeit verantwortlich für die 520 Waisen, Halbwaisen und Kinder ver-armter Eltern, die im Kloster leben. Sie alle gehören zu den Volksgruppen der Shan,

wurde zensiert, Regimegegner wurden ein-geschüchtert oder eingesperrt, rebellieren-de Volksgruppen bekämpft. Wer damals als Ausländer in Burma unterwegs war, konnte erleben, wie sehr die Angst das Leben der Menschen bestimmte. Fremden gegenüber schwieg man besser.Dann kam der 7. November 2010 und mit ihm die erste Parlamentswahl seit über zwanzig Jahren. Sie war weder frei noch fair, und deshalb glaubte niemand an die Bekenntnisse der Generäle, die versprachen, die Militärdiktatur in eine Zivilregierung umzuwandeln und das Land behutsam in eine Demokratie zu führen. Ein ebenso un-erwarteter wie beispielloser Reformprozess folgte. Eine Woche nach den Wahlen entlie-ßen die Generäle Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi aus dem Hausarrest und ließen ihre Partei, die Nationale Liga für Demokra-tie (NLD), für die Nachwahlen im April zu. Zwar wurde nur ein kleiner Teil der Parla-mentssitze neu verteilt, aber die NLD siegte eindeutig und bekam 43 der 45 freien Sitze. Und weiter: Die staatliche Zensur wurde ge-lockert, das Internet liberalisiert; YouTube, Gmail, Facebook und die Web seiten von BBC und CNN sind nicht mehr gesperrt. Und es wurden 651 politische Gefangene aus der Haft entlassen, unter ihnen Honey Oo. „Unsere Pflicht ist es jetzt, unser Land zu ge-stalten, eine Demokratie für die Generation nach uns zu schaffen, damit Kinder endlich in Freiheit aufwachsen können“, sagt Ho-ney Oo voller Überzeugung – und ohne Bit-terkeit. Es scheint, als helfe ihr die neue wichtige Aufgabe über das Unrecht der Ver-gangenheit hinweg. Sie entschuldigt sich, als ihr Mobiltelefon klingelt – auch das ist ein neues Geräusch in Burma. Früher waren Mobiltelefone so teuer, dass sie sich kaum jemand leisten konnte. Jetzt, nachdem die Preise rapide gesunken sind, telefoniert, wer irgend kann. Am Telefon ist eine Freundin, die Honey Oo an die Geburtstagsfeier von „Jimmy“ Kyaw Min Yu erinnert – als ob Honey Oo das ver-gessen könnte! Jimmy war einer der Anfüh-rer der Studentenproteste im Jahre 1988 und saß insgesamt über 20 Jahre im Gefängnis. Deshalb ist das anberaumte Treffen weit mehr als eine Geburtstagsfeier. Honey Oo verspricht pünktlich zu sein, aber jetzt muss sie los, denn schließlich ist sie heute nicht aus Zufall hierher, zum Haupt-quartier der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), gekommen. Zusammen mit zahlrei-chen anderen Menschen quetscht sie sich

hinein in den Saal, in dem gleich ihre Hel-din einen kurzen Auftritt haben wird. Die Besucher sind aufgeregt, gerührt, manche haben jetzt schon Tränen in den Augen, noch bevor die Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi überhaupt erschienen ist. Gegensei-tig heften sie sich Plaketten mit dem golde-nen Pfau ans Revers, ihrem Symbol für Frei-heit, das lange Zeit verboten war.

Es ist stickig im Saal, die Deckenventilato-ren schaffen kaum mehr, als die heiße Luft zu verquirlen. Den Menschen läuft der Schweiß runter. Als die „Lady“, wie Aung San Suu Kyi von ihren Anhängern ehrfürch-tig genannt wird, endlich erscheint, er-starrt die Menge für einen Moment, dann bricht Jubel los. Die Jahre des Hausarrests haben Furchen in das schmale Gesicht der Oppositionsführerin gegraben, unter den Augen liegen schwarze Schatten, aber sie lächelt, ist da mit all ihrem Charisma, schüttelt Hände, nimmt Blumen entgegen und dankt für die Unterstützung. Für mehr reicht die Zeit nicht. Seit sich in Burma die Welt zu drehen begonnen hat, ist Aung San Suu Kyi von einem Termin zum nächsten unterwegs. Höflich schiebt sie sich bald wieder hinaus, steigt in einen weißen To-yota und verschwindet in der Mittagshitze.Draußen auf den Straßen sieht Burma aus wie es immer aussah, zumindest auf den ersten Blick. Mönche in roten Roben ziehen durch die Straßen und nehmen die Almosen gläubiger Buddhisten entgegen. In den Gar-küchen der Seitenstraßen verkaufen Frauen Fischsuppe und gebratene Nudeln. In den Straßencafés sitzen Männer auf winzigen Plastikschemeln, trinken grünen Tee und rauchen die Zeit weg. Am Nachmittag lau-fen die Schulkinder in ihren grünen Unifor-men nach Hause, kichernd und schnat-ternd, verliebte Paare gehen Händchen haltend am Ufer des Inya-Sees spazieren, und später am Abend, als die untergehende Sonne Burma in goldenes Licht taucht, spie-len Jugendliche in Hinterhöfen Chinlon, eine Art Volleyball mit Füßen. All dies ha-

„Ich hoffe, dass die jungen Leute aus

dem Ausland zurückkommen!“

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Mag sein, dass sich diese Punks heute kleiden können, wie sie wollen – an ihrer Meinung über die regierung ändert das erstmal nichts.

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Mon, Arakan, Karen, Chin, die jahrzehnte-lang von der Militärdiktatur bedroht wur-den. „In diesem Land hatten Kinder der ethnischen Minderheiten bislang kaum Zu-gang zu ihrer Kultur, zu ihrem historischen Erbe oder zu Bildung“, sagt der alte Mönch mit leiser Stimme. Räucherstäbchen ver-strömen den Geruch von Sandelholz. Vor allem das Volk der überwiegend christli-chen Karen wurde verfolgt und aus der Hei-mat verdrängt. Zahlreiche Karen sind nach Thailand geflohen, wo sie heute in Flücht-lingslagern leben, andere haben sich im Dschungel versteckt und teilweise Rebellen-truppen gebildet, die hier für die Kämpfe gegen die burmesische Armee mobilisiert wurden. Seit einigen Wochen herrscht nun Waffenstillstand, aber immer noch kommt es zu vereinzelten Gefechten. Klar ist, dass der Weg der Versöhnung, sollte die Regie-rung es ernst damit meinen, ein weiter ist. Ob er den politischen Wandel spüre, wollen wir von dem Mönch wissen. Er habe davon gehört, sagt er vorsichtig, aber Politik sei ein Mysterium für ihn. „Ich bin Mönch, ich wandele nicht in dieser Welt dort draußen“, erklärt er und kichert leise. Ganz offensicht-lich hält er es immer noch für geschickter, sich im Vagen zu bewegen. So schnell schüt-telt man die gewohnten Schutzmaßnah-

men nicht ab. Aber auch bei ihm ist verhal-tene Freude zu spüren. Hoffnung sei ja etwas Menschliches, sagt der Mönch. Als Buddhist glaube er zwar an das Nirvana, aber es wäre durchaus reizvoll, wenn sich das Leben noch zu Lebzeiten verbessern würde. Er erzählt, dass die Regierung dem Kloster eine Million Kyat gespendet habe, umgerechnet etwa 1.200 Euro. Für ihn ein Zeichen des Neubeginns.Ein Mädchen tippelt in den Gebetsraum, kniet sich vor dem Mönch nieder, faltet die Hände und murmelt ein Gebet. Aye Myat Lin ist seit vier Jahren im Kloster und geht in die neunte Klasse. In zwei Wochen ste-hen die Examen an, weshalb die 14-Jährige zur Zeit viel im Gemeinschaftsschlafsaal anzutreffen ist, den sie sich mit sechzig an-

deren Mädchen teilt. Hier lernt sie Burma-nisch und Englisch. Sie ist sich sicher: „Ich werde das Examen bestehen, denn ich will mal Lehrerin oder Ärztin werden, um mei-nem Volk zu helfen.“ Lernen war bislang ein Privileg in Burma. Nur die Hälfte der burmanischen Kinder be-endet die Grundschule. Viele Eltern können es sich nicht leisten, ihre Kinder zur Schule zu schicken, allein deshalb gilt es als großes Los, wenn ein Kind einen Platz auf der Klos-terschule bekommt. Nicht wenige von Aye Myat Lins Altersgenossen arbeiten bereits in Fabriken, Teehäusern, Edelsteinminen, auf den Feldern oder im Straßenbau. Als wir das Kloster verlassen wollen, zieht uns ein junger Lehrer in ein leer stehendes Klassenzimmer. Er möchte auch noch etwas sagen: Auch er wünscht sich ein demokrati-sches und wirtschaftlich stabiles Burma. Ein Land, in dem Kinder eine Zukunft ha-ben – eben das, was sich alle wünschen. Aber er ist vorsichtig. „Die Regierung ver-traut uns nicht, da sie weiß, dass wir alle hier Aung San Suu Kyi unterstützen“, sagt er. Aung San Suu Kyi sei die Einzige, die Burma versöhnen und in die Demokratie führen könne, weil sie das Vertrauen der Menschen besitze. Zum Abschied schenkt er uns einen Ansteck-Pfau.

„Wenn wir zu schnell ins Licht

treten, schmerzen die Augen.“

Schlangestehen für die Beichte: Lange zeit hatten es die Karen schwer in Burma. Jetzt hoffen sie auf erleichterung.

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Das Geburtstagsfest für „Jimmy“ Kyaw Min Yu findet in einem alten Kloster am Stadt-rand von Rangun statt. 43 Jahre alt wird er an diesem Tag. Als er 1988 zum ersten Mal ins Gefängnis kam, war er noch Student oder besser: Studentenführer. Oder auch: Idol und Posterboy der Widerstandsbewe-gung. Sein Vergehen: Er soll elektronische Medien missbraucht und den Landesfrieden gestört haben. Jetzt haben sich Oppositio-nelle, Studenten, Journalisten, Menschen-rechtler und Mönche versammelt, um Ko Jimmy zu feiern, unter ihnen auch Honey Oo, die erklärt, dass Ko Jimmy ein Freund, Mentor und Vorbild für sie und viele andere sei. Das Hühnercurry ist noch nicht ganz aufgegessen, da werden die Gespräche schon politisch. Ein Mann erklärt einer Gruppe Studenten, dass Evolution besser sei als Re-volution. „Wenn wir zu schnell ins Licht tre-ten, schmerzen die Augen“, sagt er.Honey Oo sitzt zusammen mit Freunden un-ter einem Tamarindenbaum. Sie schmieden Pläne für die Zukunft. Zwar ist sie nur auf Bewährung entlassen und darf weder ihr Jurastudium weiterführen noch sich poli-tisch engagieren, aber sie hat sich schon früher nicht an Verbote gehalten, als das noch gravierendere Folgen hatte. Zusammen mit Freunden hat sie die „Myanmar All Stu-

dent Democratic Organisation“ gegründet, eine politische Studentenvereinigung, die Demokratie und Menschenrechte fordert. Der Name sei zwar etwas sperrig, gibt die junge Frau zu, aber darauf komme es im Au-genblick nicht an. Es gibt viel zu tun. „Es ist unsere Pflicht, unser Land zu gestalten und dabei mitzuhelfen, es in eine Demokratie zu führen.“ Sie wisse genau, dass der Ge-heimdienst sie weiter überwache, manch-mal klopfen die Mitarbeiter abends an ihre Tür und fragen, was sie den ganzen Tag ge-macht habe. Aber Angst habe sie keine. „Die habe ich im Gefängnis verloren.“„Wir hoffen das Beste und sind auf das Schlimmste vorbereitet“, erklärt Honey Oo ruhig. An den Fingern ihrer linken Hand zählt sie ab, was sie sich für Burma wünscht: Eine bessere Schulbildung für Kinder und bessere Bezahlung für Profes-soren und Ärzte, damit diese nicht mehr Taxi fahren müssen, um ihre Familien zu ernähren. Mehr Geld für die Bauern, damit sie nicht mehr Hunger leiden müssen. Me-dizinische Versorgung für Menschen, die es sich nicht leisten können, einen Arzt aufzu-suchen. Und sie möchte sich nicht mehr für ihre Gedanken rechtfertigen müssen, möchte die Musik hören und die Kleider tra-gen, die sie will.

Am schwierigsten sei es, das Denken der Burmanen zu verändern, sagt Honey Oo. Von Generation zu Generation haben die Menschen gelernt sich anzupassen, bloß nicht aufzufallen. Honey Oo schaut auf ihre Uhr. Höchste Zeit. Gleich beginnt ein Seminar, das sie unbe-dingt besuchen möchte. Das Thema: Ver-antwortung junger Menschen in einer Zivil-gesellschaft.

Burma, Birma oder Myanmar?Ein Land und drei Namen: Zwar lautet der offizielle und 1989 von der Militärregierung festgelegte Name des Landes Myanmar, aber er wurde von vielen Ländern nicht anerkannt – auch aus Protest gegen das totalitäre Regime. Burma und Birma sind Synonyme, die bis heute ebenfalls verwendet werden.

Die „Lady“ Aung San Suu Kyi hat in der langen

zeit des Hausarrests nichts von ihrem Charis-

ma verloren. Ihre An-hänger nutzen die Chance

zum gemeinsamen Foto.

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„Liebe Tochter, dein Papa ist ein angepasster Vollidiot!“Text Susanne Frömel

Vor einiger Zeit las ich den Artikel eines ZEIT-Redakteurs. Er hatte eine Art öf-fentlichen Entschuldigungsbrief an seine Tochter geschrieben. Er entschuldigte sich, dass das Kind sogar auf dem Weg ins Kino Rechenaufgaben lösen müsse, weil man sonst den Anforderungen der Schule nicht gerecht werden könne. Dass er, wenn er abends von der Arbeit käme und sie bei den Hausaufgaben anträfe, vor lauter Scham ebenfalls noch Aufgaben erledige – damit das Kind in seinem Schicksal nicht alleine wäre. Der Artikel ging über eine ganze Zei-tungsseite, klagte das Bildungssystem an und das grauenhafte Ausgeliefertsein aller Beteiligten, ich glaube, irgendjemand hat dem Autor sogar einen Preis dafür verlie-hen. Dabei hätten ein paar knackig zusam-mengefasste Zeilen auch genügt: „Tochter, ich bin ein angepasster Vollidiot und wenn du später das Verlangen haben solltest, mir aus einem Rebellionsbedürfnis heraus in meine schweinslederne Aktentasche zu kot-zen, dann werde ich persönlich die dafür nötigen Bier-Mix-Getränke bezahlen.“ Aber so etwas trauen sich die Leute natürlich nicht, das ist ihnen zu präzise. Ich verstehe Eltern, die für ihre Kinder et-was Besseres wollen. Aber ich verstehe jene nicht, die das Glück ihres Kindes opfern, da-mit die Verwandtschaft später nicht sagt: „Jaja, der kleine Nico, er war immer schon ein bisschen langsam. Sogar die achte Klasse musste er wiederholen.“ Einen Men-

schen erzieht man nicht zu Leistungswil-len, in dem man ihm Gehorsam und Fleiß eindrischt. Schaffenskraft, und zwar egal, ob als Zweiradmechaniker oder König der Welt, ist eine Pflanze, die auf dem Boden der Neugier wächst. Wenn ein Mensch et-was tut, das Sinn macht, will er mehr da-

von, das liegt in seiner Natur. Wenn ein Mensch auf dem Weg zum Kino rechnen muss, damit die Schulnoten stimmen, schätzt er den Kinobesuch nicht geringer, sondern grübelt mit großer Wahrschein-lichkeit darüber nach, warum 13 mal 12 nicht irgendwas mit 33 ist und warum Papa so ein enttäuschtes Gesicht macht. „Bin ich nicht gut genug?“ – diese Frage sollte sich kein Kind stellen müssen. Man sollte ihnen auch nicht beibringen, dass Bestechung ein probates Mittel ist, um die Schullaufbahn zu bewältigen. „Komm schneller, Baldur“, hörte ich morgens eine Mutter zu ihrem präpubertären Wonneprop-pen sagen. „Wenn wir uns beeilen, können

wir der Frau Wilke den Kuchen geben, bevor die anderen da sind. Du wirst sehen, das wird sie sich merken!“ Überhaupt ist Eltern jedes Mittel Recht, um das Kind in der Schu-le günstig zu positionieren. Elternsprecher sein langt heute nicht mehr, da werden in der Freizeit Klassenräume gestrichen, Brote geschmiert und eine Zirkus-AG angeboten, dazu noch zwei, drei freiwillige Lerngrup-pen am Nachmittag, „für die Kinder, die nicht so toll mitkommen wie meine Flora.“ Geht die Welt wirklich unter, wenn ein Kind in der dritten Klasse noch nicht einwandfrei rechtschreibt? Ist es wesentlich, als Sechst-klässler das Dividieren von sechsstelligen Zahlen zu beherrschen? Und wenn nicht, ist es dann richtig, dass man schon als Kind die ganze Zeit das Gefühl hat, mangelhaft zu sein? Was ist wichtiger für die Gesellschaft: ein Mensch, der eine ausgezeichnete Her-zensbildung hat (und im Zweifel 14 Schul-jahre auf dem Buckel) oder ein angepasster Streber mit Einsen im Zeugnis, der alles tut, damit Papa ihm ab und an einen Lob-Bro-cken hinwirft? Man hat als Eltern durchaus die Wahl. Und wer wirklich so scharf ist auf eine problemlose Schullaufbahn, der soll nach Nordrhein-Westfalen ziehen. Da kriegt jeder das Abitur. Sogar ich.

„Was ist wichtiger: Herzensbildung

oder Einsen auf dem Zeugnis?“

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ubuntu Glosse

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SOSKINDERDÖRFER

Ausführliche Informationen zu diesen Unterstützungsmöglichkeiten erhalten Sie bei: Frau Karien Bruynooghe, Telefon: 089/17914-218 • E-Mail: [email protected] • Ridlerstr. 55 • 80339 München www.hermann-gmeiner-stiftung.de

Die Hermann-Gmeiner-Stiftung wurde vor zehn Jahren durch die SOS-Kinderdörfer weltweit errichtet. Ihr Ziel ist, zur Finanzierung der weltweit 518 SOS-Kinderdörfer sowie der über 1.600 weiteren SOS-Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen, Krankenstationen, Ausbildungs-zentren und Sozialzentren beizutragen.

SOS-FÖRDERFONDSRichten Sie einen SOS-Förderfonds ein, dessen Erlös an die SOS-Kinderdörfer geht. Den Namen Ihres Förder-fonds sowie die begünstigte SOS-Einrichtung können Sie selbst bestimmen.

ZUSTIFTUNG Erhöhen Sie mit Ihrer Zustiftung das Stiftungskapital und somit die Erträge der Hermann-Gmeiner-Stiftung, die an die SOS-Kinderdörfer fließen.

SOS-FREUNDEDARLEHEN Stellen Sie der Hermann-Gmeiner-Stiftung eine Summe als Darlehen zur Verfügung. Der Erlös geht an die SOS-Kinderdörfer. Wenn Sie den Betrag wieder selbstbenötigen, erhalten Sie die Summe zurück.

TREUHANDSTIFTUNGGründen Sie unter unserem Dach eine Treuhandstiftung zugunsten der weltweiten SOS-Kinderdörfer. Sie könnenden Namen sowie die begünstigte SOS-Kinderdorf-Einrichtung Ihrer Stiftung bestimmen.

P.S.: Zuwendungen an die Hermann-Gmeiner-Stiftung können Sie – zusätz-lich zu Spenden –bis zu 1 Mio. Euro steuerrechtlich absetzen.

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Haus der

Heilung

Links: Vertrauens-volle Beziehungen

sind die Basis dafür, dass die Kin-

der ihr Trauma überwinden können.

Rechts: Souli Fir-filioni wohnt bei

den Kindern, ist für sie da, kocht und

wäscht für sie. Die Kinder nennen sie

Tante – und hängen sehr an ihr.

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ubuntu SOS-Reportage

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Wie konzentriert sie die Schüssel fest-hält. Wie andächtig sie Tante Souli dabei zuguckt, als diese in der Schüssel Milch, Zucker und Kakao verrührt, bis daraus eine dickflüssige Schokocreme wird. Wie sie dann ihr Schälchen leer löffelt, auskratzt und den Löffel, als Tante Souli ihn schon abräumen will, noch einmal gründlich ableckt.Als Katerina * vor anderthalb Jahren ankam, hier im Kinderhaus Eliza in Athens Norden, mit nichts als den Kleidern, die sie am Körper trug, da kannte sie keine festen Mahlzeiten, keinen geregelten Tagesablauf. Knapp zwei Jahre war sie damals alt, sie schlief am Tag und wanderte nachts durchs Haus, durchwühlte den Mülleimer auf der Suche nach Essen. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten benutzte sie kein Besteck, ja, nicht einmal ihre Hände – sie aß wie ein Tier. Oder wie jemand, der schon erfahren hatte, wie schlimm Hunger sein kann, wie überlebenswichtig Essen ist. Die Mahlzei-ten bedeuteten: satt sein! Sie bedeuteten aber auch: Liebe, Fürsorge, Geborgenheit.Das Eliza-Hostel, in dem Katerina jetzt lebt, ist ein Haus für misshandelte und vernach-lässigte Kleinkinder, ein Haus für Kinder, die mehr brauchen, als ein funktionierendes

Zuhause, deren Wunden eine neue, liebe-volle Kinderdorf-Familie allein nicht heilen kann. Die Kinder, die hierher kommen, brau-chen viel Aufmerksamkeit und die Unterstüt-zung von Psychologen und Therapeuten.Die ursprüngliche Idee zu dieser Einrich-tung stammt von der Künstlerin Marina Karella, Gattin des Prinzen Michael von Griechenland. Sie hatte den Verein „Eliza“ gegründet, um Kindern in Not zu helfen, benannt nach einem Mädchen, das 1995 in den USA an den Folgen von Misshandlung gestorben war. Marina Karella nahm mit Mitarbeitern der SOS-Kinderdörfer Kontakt auf, und schließlich, im Mai vor drei Jah-ren, wurde das Haus in Athens Norden ein-geweiht. Bis heute zahlt Marina Karella die Hälfte der Kosten. Da der Bedarf auch in anderen Städten groß war, eröffneten die SOS-Dörfer kurze Zeit später ähnliche Häuser in Thessaloniki und Alexandroupoli, wo es ebenfalls SOS-Kin-derdörfer gibt.Sieben Jungen und Mädchen zwischen zwei und sieben Jahren leben derzeit in dem hellorangen zweistöckigen Haus Eliza in Athen: Katerina, kinnlange, dunkelblonde Haare, dunkle Augen – nach wie vor auf Es-sen fixiert. Ihr Bruder Spyros, der zwei ist, aber dessen Gesicht viel älter wirkt. Die bei-den sind das neunte und zehnte Kind einer Familie. Als sie hier ankamen, konnte Spy-ros, damals zehn Monate alt, seinen Rücken noch nicht aufrecht halten, außerdem wa-ren er und seine Schwester halb taub. Un-zählige Infekte hatten die Gehörgänge der Kinder fast vollständig verstopft. Jetzt saust Spyros ins Wohnzimmer zum Sofa und als er gerufen wird, wendet er sofort den Kopf. Nicht nur dem Gehörgang geht es wieder besser.

Hier leben außerdem die Brüder Manolis, viereinhalb, und Kostas, sieben – die zuerst direkt in ein SOS-Kinderdorf gebracht wor-den waren, dann aber ins Haus Eliza kamen, weil man merkte, dass sie viel therapeu-tische Hilfe brauchten: Manolis, der keine Gefahren kennt und so wild ist, dass sie wegen ihm das Balkongitter erhöht haben, und der neulich am Kopf genäht werden musste. Die Fäden hat er sich dann selbst gezogen. Und Kostas, der eigentlich zu alt ist fürs Kleinkinderhaus und schon in der Schule sein sollte. Der aber noch längst nicht schulreif ist und sich nicht in Grup-pen integrieren kann.Giorgos, fünf, ist aus Thessaloniki hierher gebracht worden, 500 Kilometer mit dem Krankenwagen und mit Verletzungen am Kopf, von denen keiner wusste, woher sie stammten.Dimitris, fünf, sprach anfangs so eigenar-tig, dass ihn niemand verstanden hat. Und Stefanos, fünfeinhalb, ist auf dem Entwick-lungsstand eines Dreijährigen und spricht immer noch kein Wort.Kein Schild an der Gartenmauer, keine Tafel am Tor verrät, wer hier lebt, die Hinweis-schilder und Sponsorentafeln sind nur in-nen angeschraubt, Eliza will ein Haus sein wie jedes andere, ohne Stempel. Im Garten, umgeben von Zitronen- und Olivenbäumen, stehen ein Gartenhäuschen, eine Schaukel, ein Klettergerüst, im Gras sind Dreiräder und Spielzeugautos verteilt.Auf der Terrasse klammert sich Kostas an Valentina, die Pädagogin, die sich gerade zum Elternsprechtag im Kindergarten auf-machen will. Valentina ist Kostas Bezugs-person und es passt ihm gar nicht, dass sie ohne ihn irgendwohin geht. Andreas Bozo-nis, Psychologe und Leiter von Eliza, greift

IM „HAUS ELIZA“ IN GRIECHENLAND KÜMMERN SICH DIE THERAPEUTEN DER SOS-KINDERDöRFER UM KLEIN-KINDER, DIE VERNACHLäSSIGT UND MISSHANDELT WURDEN. SIE BEREITEN SIE DARAUF VOR, MöGLICHST BALD WIEDER IN EINER FAMILIE ZU LEBEN.

Fotos Claudia Wiens

Text Angelika Dietrich

* Namen der Kinder geändert

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rechts: Zur SOS-Fa-milienhilfe gehört

auch die Lernhilfe. Mit dem Programm wer-den Familien in Not

unterstützt, um zu ver-hindern, dass sie aus-

einanderbrechen. unten: Das Haus Eliza

sieht aus wie jedes andere Haus. Die Kin-

der sollen möglichst normal aufwachsen –

ohne Stempel.

Oben: Im SOS-Kinderdorf Vari leben auch einige der Kinder, die ihre ersten Jahre im Haus Eliza verbracht haben. rechts: Fallenlassen, rumhängen – auch das bedeutet zuhause sein. unten: Manche der kleinen Kinder im Haus Eliza mussten sogar das Spielen erst wieder lernen.

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Links: Über den Dächern Athens liegt das SOS-Kinderdorf Vari. rechts: Jedes Kind im Haus Eliza wird indivi-du ell betreut. Die Therapeuten helfen den Kindern, Entwicklungs-rückschritte aufzuholen und eine positive Hal-tung zum Leben zu ent-wickeln.

Immer mehr griechische Eltern wollen ihre Kinder in ein SOS-Kinderdorf geben.

IN ZEITEN DER WIRTSCHAFTSKRISE IST DIE ARBEIT DER SOS-KINDERDöRFER DRINGENDER DENN JE.

Seit Beginn der Wirtschaftskrise in Griechenland 2009 baten 850 Familien in den drei griechischen SOS-Sozialzentren um Unterstützung. Tendenz steigend. Stergios Sifnios, Leiter der SOS-Familienhilfe in Griechenland, sagt: „Die Situation wird immer schwieriger.“ Die meisten der Familien wurden in die SOS-Familienhilfe aufgenommen, ein Programm, das Kinder und ihre Familien dabei unterstützt, einen Weg zurück in ein selbständiges Leben zu finden. In einem ersten Schritt bekommen die Fami-lien Kleidung, manchmal Geld, und einmal im Monat ein großes Paket Lebensmittel. Die Kinder bekommen Unterstützung bei den Hausaufgaben, Sozialarbeiter und Psychologen arbeiten mit den Familien. Aber auch SOS spürt die Auswirkungen der Krise: Die Spenden sind letztes Jahr um 15 Prozent zurückgegangen – weil die Menschen weniger Geld haben und weil Spenden nicht mehr von der Steuer abgesetzt werden können. Außerdem müssen Hilfsorganisationen seit neuestem selbst Steuern auf die Spenden und Schenkungen zahlen. Der nationale Leiter der SOS-Kinderdörfer Griechenland, George Protopapas, schimpft: „Die griechischen Waisen sind die einzigen Waisen weltweit, die für ihre Bildung und Zukunft Steuern zahlen müssen!“Und die Nationalbank, die bisher das SOS-Sozialzentrum in Athen fast komplett finanziert hatte, hat ihre Unterstützung komplett gestrichen. Dabei sind die Sozial-zentren Ausgangspunkt der SOS-Familienhilfe und die ist in der Krise wichtiger denn je. „Wir werden die SOS-Familienhilfe weiter ausbauen, auch, wenn es schwer wird, die Gelder zusammen zu bekommen. Die Not ist zu groß, als dass wir jetzt wegschauen dürften!“, sagt George Protopapas. Im April wurden neue Sozialzentren in Nordgriechenland und auf Kreta eröffnet.Auch die Anfragen von Eltern, die ihre Kinder in eines der SOS-Dörfer geben wollen, nehmen stetig zu. Stergios Sifnios sagt: „Früher kamen die Kinder zu uns, weil sie misshandelt worden waren oder die Eltern psychische Probleme hatten, heute, weil die Eltern wirtschaftliche Probleme haben.“ Seit Beginn der Finanzkrise sind neun Kinder neu aufgenommen worden, doch der Bedarf ist weitaus größer. Ab Sommer soll deshalb in jedem griechischen SOS-Kinderdorf ein zusätzliches Haus für Kinder zur Verfügung stehen, die vorübergehend einen Platz brauchen, bis sich die wirt-schaftliche und persönliche Situation in der Familie gebessert hat. Danach soll die Familienhilfe greifen, denn SOS-Philosophie ist es, dass die Kinder, wenn es ir-gendwie geht, bei den leiblichen Eltern aufwachsen.

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ein, Valentina kann los. Wütend schlägt Kostas mit einem Stock auf die Lorbeerbü-sche im Garten ein.Es gibt hier nicht die klassischen SOS-Müt-ter wie in den SOS-Kinderdörfern – die Kinder sollen wissen, dass dies nicht ihre endgültige Familie ist, es ist nur ein vorü-bergehendes Zuhause. Eines, in das Kinder kommen und in der Regel nach einem bis eineinhalb Jahren wieder gehen, wenn Ent-wicklungsverzögerungen in den meisten Fällen aufgeholt und Verhaltensauffällig-keiten behoben sind. Erst dann werden sie in einer Familie leben, erst dann wird eine „Mutter“ für sie sorgen. Bis es soweit ist, kümmern sich im Haus Eli-za fünf Pädagogen, ein Sozialarbeiter, eine Psychologin, ein Kinderpsychiater und ein Kinderarzt um Förderung, Gesundheit und Seelenheil der sieben Kinder. Jeder Thera-peut ist für ein bestimmtes Kind zuständig. Dazu kommen die sogenannten SOS-Tanten Souli Firfilioni und Aretina Mougana: Sie leben zusammen mit den Kindern, kochen und waschen für sie. Die Kinder hängen an ihnen; wenn Katerina nachts aufwacht, läuft sie manchmal in das Zimmer von Tante Aretina, nur um zu gucken, ob sie noch da ist.„Gerade, weil die Kinder so jung sind, wenn sie zu uns kommen, stehen die Chancen für sie gut, das macht uns Mut“, sagt Andreas Bozonis. „Wenn wir nicht so früh beginnen würden, würden die Kinder später vermut-lich Probleme haben, sich in der Schule oder im sozialen Umfeld anzupassen.“ Auch die leiblichen Eltern der Kinder werden in die Arbeit mit eingebunden, sie bekommen The-rapien und dürfen ihre Kinder besuchen – sofern sie Interesse haben. Jedes Jahr berich-ten die Mitarbeiter von Eliza auf einem medizinischen Kongress von ihren Fort-schritten und Erfahrungen.

Seine SOS-Kinderdorf-Mutter mal ganz für sich alleine zu haben – das genießt jedes der Kinder.

Aufgenommen werden können nur die gra-vierendsten Fälle. Meist kommt das Jugend-amt auf die SOS-Kinderdörfer zu, die in der Regel dann das Sorgerecht für die Kinder bekommen. Selbst wegen der Wirtschafts-krise kamen schon Kinder zu Eliza: Eine an-dere private Hilfsorganisation musste aus Geldmangel schließen – drei Schwestern, die dort betreut worden waren, zogen hier-her um. Inzwischen leben sie im SOS-Kin-derdorf in Alexandroupoli.Es ist Nachmittag, die jüngeren Eliza-Kin-der haben ihren Mittagschlaf beendet, Spy-ros stapft verschlafen die Treppe herunter. Tante Aretina hilft ihm in die Jacke. Er läuft in den Garten, Katerina schiebt ihn auf ei-nem Plastikauto herum, die anderen Jungs klettern auf das Spielgerüst, verfolgen sich auf dem Dreirad. Später stehen Einzelför-derungen auf dem Programm wie Logopä-die, Ergotherapie, Psychotherapie.

SOS-Griechenland in Blog und Film:Auf der Internetseite www.sos-kinderdoerfer.tv ist der Film „Krise in Griechenland“ zu sehen. Unter blogs.sos-kinderdoerfer.de/sos-aus-athen berichtet der Psychologe Nikos Kaitsas regelmäßig von der Arbeit der griechischen SOS-Kinderdörfer und gibt Eindrücke zur aktu-ellen Situation seines Landes.

Insgesamt 17 Kinder sind bisher im Haus Eli-za in Athen aufgewachsen. „Unsere große Frage ist immer wieder: Wo gehen die Kin-der später hin?“, sagt Psychologe und Leiter Andreas Bozonis. Ein einziger Junge kehrte wieder zu seinen Eltern zurück. Ein Mäd-chen wurde adoptiert, alle anderen leben jetzt in den drei SOS-Kinderdörfern. So wie die Brüder Giannis und Panos und die sie-benjährige Maria, die im SOS-Kinderdorf in Vari, einem Vorort von Athen, ein Zuhause gefunden haben. Zwölf hellgelbe Wohnhäu-ser kleben dort am Hang wie Nester, umge-ben von Oliven- und Orangenbäumen. Blick aufs Meer.„Aphrodite schreibt in ihr Heft“, diktiert Kinderdorf-Mutter Leta dem achtjährigen Giannis. Am nächsten Tag steht ein Diktat an. Maria macht Mathehausaufgaben, Pa-nos, vier, hat Schnupfen und hängt bei Leta auf dem Arm. Giannis sitzt am runden Tisch im Wohnzimmer, hinter ihm im Regal ein Stapel Spiele – Memory, Puzzles, Uno, Mas-termind. Konzentriert beugt er sich über sein Heft. Leta sagt: „Das ist ein großer Erfolg, dass er still sitzt und schreibt.“ Frü-her war er unruhig, aggressiv. Maria sagt, die Jungs sind wie Brüder für sie. Als sie neu war im SOS-Kinderdorf, war sie oft traurig und hat sich nach dem Kleinkinder-haus Eliza gesehnt. Dort gab es viele Leute, die sich um sie gekümmert haben. „Diese Aufmerksamkeit“, sagt Mama Leta, „brau-chen sie auch in der Familie.“ Sie deckt den Tisch, es gibt Linseneintopf, dazu Salat mit Schafskäse.Familienleben im SOS-Kinderdorf – das soll für die Kinder von Eliza nicht die einzige Al-ternative sein, aber es ist immer eine Opti-on. „Es gibt uns Sicherheit, dass wir immer die SOS-Dörfer haben, in denen die Kinder danach leben können“, sagt Eliza-Leiter An-dreas Bozonis. Doch die griechischen Mitar-beiter setzen seit kurzem auf eine andere Lösung: Sie suchen für die Kinder Pflegefa-milien, die von SOS begleitet und finanziert werden. Diese Lösung wäre laut Bozonis op-timal, denn „einige der Kinder brauchen auch dann noch, wenn sie älter werden, eine Eins-zu-eins-Betreuung und dafür sind die SOS-Familien zu groß.“ Das Pilotpro-gramm startet gerade. Die ersten Kinder, für die eine Pflegefamilie gefunden wurde, sind Katerina und ihr Bruder Spyros. Im Sommer sollen die beiden dort einziehen.

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Foto und Text

Paul Hahn

könnte, wie sie der Pirat auf sei-ner Flagge trägt. Dagegen erklärt John Luca rou-tiniert, was man als Hoteliers-

Sohn zu beach-ten hat: „ ‚Hallo‘ sagen zu den

Gästen und Mitarbeitern ist das höchste Gebot!“ Schließlich sei die Hotelanlage der Lebensmittelpunkt der Familie, und die Gäste sind immer gegenwärtig.Anja Raffelt ist sich bewusst, dass ein ge-regeltes Familienleben anders aussieht. „Aber ich selbst fand es nie schlimm, wenn die Eltern keine Zeit hatten.“ Dann war ihre Oma für sie da. Oder sie ging mit ihren Freundinnen in die Hotel-küche, wo die Köche den Mädchen war-men Vanillepudding servierten. Ihr Sohn John Luca sieht das auch eher positiv: „Bis meine Mutter abends nach Hause kommt, habe ich das Sofa für mich allei-ne und kann meine Playstation direkt am Fernseher anschließen.“ Und morgens, wenn das mit dem Aufstehen nicht so richtig klappt, sei die Mutter ja da und fahre ihn schnell zum Bahnhof, damit er seinen Zug zur Schule in Zinnowitz noch kriegt. Aktuell träumt John Luca aller-dings davon, mit dem Tretroller zum Zug zu fahren. Mit betriebswirtschaftlichen Argumenten versucht er, seine Mutter da-von zu überzeugen, dass dies eine gute Idee ist: „Du sparst Zeit, und im Zug kos-tet der Roller nichts.“Auch das Gastronomen-Gen scheint John Luca geerbt zu haben. „Ich möchte unbe-

Auf der einen Seite liegt die Ostsee, auf der anderen das Achterwasser, ein in-neres Küstengewäs-ser. Auf den gerade mal 300 Metern da-zwischen, da, wo die Insel Usedom am schmalsten ist, befindet sich das Dorf Kose-row. Keine schlechte Ausgangsposi tion für einen Jungen wie John Luca, der gewisser-maßen als Wasserratte auf die Welt gekom-men ist und auch mit seinen aktuell elf Jahren am liebsten jeden Tag zum Baden und Surfen gehen würde.Aber was, wenn die Eltern ausgerechnet im Sommer so gut wie gar keine Zeit für einen Strandtag haben? John Lucas Eltern leiten in vierter Generation das Hotel Han-se-Kogge und dort ist im Sommer Hoch-saison. Die Lösung für das Strandproblem ist seit langem erprobt. Anja Raffelt, John Lucas Mutter, sagt: „Ich ruf dann einfach die Rettungsschwimmer an und bitte sie, ein Auge auf meinen Sohn und seine Kumpels zu werfen. So haben das schon meine Eltern gemacht.“ Für solche Fälle ist die Insellage Gold wert: Auf Usedom kennt je-der jeden, sagt Anja Raffelt, und wenn nö-tig, passt man aufeinander auf.Wie schon seine Mutter und sein Onkel, wachsen John Luca und sein fünfjähriger Cousin Paul Hugo zwischen Küche, Hotel-betten und Speiselokal auf. Paul Hugo küm-mert das wenig. Er denkt Holzschwert-schleudernd eher darüber nach, wie er solche Totenkopf-Ohrringe bekommen

dingt kochen lernen!“, erklärt er. Inzwi-schen hat sich auch sein Opa Michael Raffelt dazugesellt. Der Senior strahlt und sagt: „Deine Rühreier neulich waren wirk-lich lecker!“ Jedes Talent sei willkommen im Familienbetrieb Raffelt, betont er. Er selbst hatte nach der Wende mit viel Engagement und langem Atem das Speiselokal „Central“ zu einer Wellness-Hotelanlage ausgebaut, mit inzwischen 230 Betten und bis zu 75 An-gestellten. Auch heute ist er sich nicht zu schade, mal abzuspülen, wenn es klemmt.Auch John Luca profitiert von den vorhande-nen Kompetenzen. Wenn er mit den Ma-theaufgaben nicht klar kommt, geht er ein-fach zu Sabine, der Buchhalterin, ins Büro. Zu Küchenchef René hat er ebenfalls einen guten Draht, und wenn sich die Gelegen-heit bietet, verbringt er den Nachmittag mit Freunden auf der eigenen Kegelbahn. Trotz allem sind es die Winter, auf die sich John Luca und Paul Hugo am meisten freu-en. Früher war es dann deutlich ruhiger und die Eltern hatten mehr Zeit. „Da hat mich John Luca ab und zu gefragt: „Mama, wann ist endlich wieder Winter?“, erinnert sich Anja Raffelt. Inzwischen ist das Hotel zwar nahezu das ganze Jahr über ausgelas-tet, aber der Winter bleibt das Highlight. John Luca sagt: „Da machen wir alle ge-meinsam drei Wochen Urlaub.“

Die Insel Usedom und das Dorf KoserowAls Badewanne Berlins wird die Ostseeinsel Usedom von den Hauptstädtern gern bezeich-net. In Koserow soll sich einst in den Höhlen des Streckelberges der gefürchtete See-räuber Klaus Störtebecker versteckt haben.

Paul Hugo, fünf, und John Luca, elf, wachsen

zwischen Strand- körben, rezeption und

Ho tel küche auf. Ihre Eltern leiten das Hotel

Hanse-Kogge in dem Dorf Koserow auf Usedom.

Koserow auf Usedom

Die Kinder von …

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ubuntu Portrait

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ADHS wird zu häufig diagnostiziert Was seit langem ver-

mutet wird, belegen For-scher der Ruhr-Universität Bochum und der Universi-tät Basel erstmals mit reprä-sentativen Daten: ADHS, die Aufmerksamkeitsdefi-zit- und Hyperaktivitäts-störung, wird zu häufig di-agnostiziert! Befragt ha-ben die Forscher insgesamt 1.000 Kinder- und Jugend-psychotherapeuten und -psychiater bundesweit, von denen 473 teilnahmen. Sie erhielten je eine von vier Fallgeschichten, sollten eine Diagnose stellen und eine Therapie vorschlagen. Nur in einem von vier Fällen lag anhand der geschilder-ten Symptome eindeutig ADHS vor. Es zeigte sich, dass

sich viele der Therapeuten an Prototypen orientierten: Das typische ADHS-Kind ist demnach männlich und zeigt Symptome von moto-rischer Unruhe, mangeln-der Konzentration oder Im-pulsivität. Entsprechend bekamen mehr Jungen die

Diagnose ADHS. Die Studie zeigt: Um eine falsche Dia-gnose und eine vorschnelle Behandlung zu verhindern, ist es entscheidend, sich an den festgelegten Kriterien zu orientieren – anstatt das Urteil anhand von Faust-regeln zu fällen.

MIGRANTEN WISSEN, WIE BILDUNG AUSSEHEN SOLL

Zuwanderer haben eine klare Vorstellung von Bildung, ergab eine Infratest-Umfrage im Auftrag der Bertelsmann Stiftung: Be fragt wurden über 2.000 Personen, da-von je 250 mit türkischem und rus-sischem Migrations-Hintergrund. Während nur 86 Pro zent der deut-schen Befragten für einen verbind-lichen Kita-Besuch stimmten, wa-ren es bei den rus sischstämmi gen 92 Prozent, bei den türkisch-stämmigen sogar 96 Prozent. über 70 Prozent aller Befragten wün-schen sich Ganztagsschulen, zudem befürworten die meisten eine bes-sere Ausstattung der Schulen in Problemvierteln. Ein gerechtes Bil-dungssystem ist für die meisten Befragten der Schlüssel für Integra-tion und wirt schaftlichen Erfolg.

Stottern verliert sich oft von alleine

Etwa fünf Prozent aller Kin-der unter zwölf haben eine Phase, in der sie stottern. Meist tritt sie zum ersten Mal auf, wenn die Kinder zwischen zwei und sechs Jahre alt sind. Drei Viertel dieser Kinder überwinden ihr Stottern innerhalb von ein bis zwei Jahren von selbst, meldet der Bundes-verband für Logopädie. Typische Symptome sind das unfreiwillige Wiederholen von Silben und Lau-ten. Dazu können aber auch Be-gleitsymptome auftreten, wie das Mitbewegen von Körperteilen, Schweißausbrüche, Erröten oder Vermeiden bestimmter Wörter oder Sprechangst. Der Bundes-verband rät betroffenen Eltern, das Kind nicht zu unterbrechen, wenn es stottert, selbst langsam zu sprechen, das Kind nicht mit Ratschlägen unter Druck zu setzen und nicht mit anderen Kin-dern zu vergleichen. Wichtig auch: dem Kind gut zuhören und es ansehen.

Freiwilliges Engagement von Jugendlichen in Deutschland

Ob sich Jugendliche frei-willig engagieren, hängt

von Bildung und Ge-schlecht ab. Das besagt eine Studie des Bun-

desministeriums für Fa-milie, Senioren, Frauen

und Jugend. Jugendliche mit höherer Bildung

engagieren sich beson-ders häufig: So haben

74 Prozent der Jugendli-chen, die politisch en-

gagiert sind, Abitur oder streben das an, im

Sport sind es 67 Prozent. Frauen helfen eher im

kirchlichen und sozialen Bereich (zu je 55 Pro-

zent) mit.

COMPUTERSPIELEN KANN SCHLAU MACHEN

Ausgewählte Computerspiele können Kinder klug machen. Das zeigt eine Unter-suchung von Psychologen der Julius-Maxi-milians-Universität Würzburg. Die Forscher haben ein wissenschaftlich anerkanntes Training zur Steigerung des logischen Den-kens als Computerspiel umgesetzt. Dabei begeben sich die Kinder auf die virtuelle Su-che nach einem blauen Diamanten und be-wältigen währenddessen 120 Aufgaben. Für die Studie wurden Kinder aus drei bayeri-schen Förderklassen in zwei Gruppen einge-teilt: Während die eine Gruppe per Com-puter den blauen Diamanten suchte, erhielt die andere normalen Unterricht. Im Intelli-genztest zeigte sich, dass die Kinder aus der „Diamanten-Gruppe“ ihr logisches Denk-vermögen um durchschnittlich 11 Punkte erhöhen konnten.

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ubuntu Wissen

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Ranga Yogeshwar

Wie waren Sie als Kind …

Interview Hubert Filser

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Ranga Yogeshwar, 53,studierte Physik, bevor er seine Karriere als Wissenschaftsredakteur begann. Seit 1993 leitet er die Wissenssendung „Quarks & Co“ des WDR. Ranga Yogeshwar ist luxemburgischer Staatsbürger. Er lebt in Hennef bei Köln mit seiner Frau, vier Kindern und einer eigenen Sternwarte.

Auf Ihrer Internetseite gibt es ein Kinderfoto, das Sie in karierten Hosen neben einem alten Auto zeigt. Ihr Kopf reicht gerade mal bis zum Scheinwerfer. Das Auto war ein britischer Standard Vangu-ard. Mein Vater hatte ihn vollkommen aus-einandergenommen und alles wieder zu-sammengebaut. Er war stolz und machte mit uns Kindern die Jungfernfahrt. Wir saßen auf Apfelsinenkisten, im Auto gab es sonst keine Sitze. Nach westlichem Standard war so eine Fahrt vermutlich völlig verboten.Sie aber sind nach indischen Standards aufgewachsen. Ihre frühe Kindheit haben Sie in Bangalore in Südindien verbracht. Welche Erinnerungen haben Sie daran? Es sind sehr sinnliche Momente. Nach-mittags um fünf Uhr kam in meiner Kind-heit immer der Monsunregen. Der röt liche Boden schäumte auf, in der Luft lag Was-serdampf. Den Geruch des indischen Regens kann ich heute noch abrufen. Sie sind der Sohn eines indischen Ingeni-eurs und einer luxemburgischen Kunst-historikerin. Was waren Sie für ein Kind? Definitiv ein Träumer. Meine Mutter hat mir erzählt, dass ich in Bangalore stunden-lang mit einem kleinen Papierflugzeug über die Wiesen lief. Sie sagte, sie sei beim Zuschauen wahnsinnig geworden. Waren Sie damals schon so neugierig wie heute als Wissenschaftsjournalist? Ich war schon immer extrem beharrlich. Ich habe mir auch früh Gedanken gemacht, was wohin gehört. In meinem Elternhaus fiel mir zum Beispiel auf, dass viele Le-bensbereiche völlig getrennt voneinander waren. Mit dem Gärtner in unserem Haus sprachen wir Tamil, unsere Köchin kam aus dem Bundesstaat Karnataka und sprach Kannada. Die Freunde meines Vaters, die

zu Besuch waren, redeten Englisch. Und in der Schule lernte ich Hindi.Sie sind als Kind oft umgezogen. Ja, meine Biografie ist sehr zerstreut, in verschie-denen Ländern und Sprachen. Mein erster Schultag ist ein Schultag in Indien. Mein erster Kuss ist mit Luxemburg verbunden.Haben Sie als Kind unter den Umzügen gelitten? Kinder sind Bewahrer, ein Kind will nie umziehen. Immer, wenn ein Wech-sel anstand, hieß es für mich: Ich musste vollkommen umdenken, die Sprache eines Landes lernen, ständig etwas nachholen. Durch die vielen Umzüge habe ich manch-

mal das Gefühl, dass ich eine multiple Per-sönlichkeit habe. Früher habe ich zum Bei-spiel auf Englisch gerechnet, weil das mit der Grundschule in Indien gekoppelt war. Ge dichte habe ich als Jugendlicher in Fran-zösisch geschrieben, der Schulsprache in Luxemburg.Verbinden Sie mit den vielen Wechseln eher ein Gefühl der Vielfalt oder der Zer-rissenheit? Schwer zu sagen. Ich habe ja einen Zwillingsbruder, mit dem ich alles teilen konnte. Insofern war ich nie allein. Gleichzeitig wurden ständig unsere Wurzeln gekappt – wie bei einer Pflanze, die man ständig umtopft. Es gibt Gärtner, die sagen, so werde die Pflanze stabil.

Und? Vielleicht bin ich stabil geworden und habe nicht die Verlustängste wie andere. Andererseits ist mein Leben ein bisschen so wie der Beginn der Winterreise von Franz Schubert: „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus.“ Es gibt immer einen Rest an Distanziertheit.Ist das sowas wie der rote Faden in Ihrem Leben? Die Existenz zwischen zwei Stühlen ist tatsächlich ein Thema, das sich durch-zieht: zwei Kulturen, Indien und Luxem-burg, zwei Disziplinen, Kunst und Wissen-schaft. Mein Vater schwärmte als Ingenieur von technischen Dingen, meine Mutter sprach euphorisch über die Kunst. Sie sind nach Ihrem indischen Opa Ranga-nathan benannt. Wie wichtig war er in Ihrem Leben? Großeltern haben für Kinder immer eine stabilisierende Funktion. Sie ziehen zum Beispiel in der Regel nicht so viel um. Mein Opa war in Indien sehr an-erkannt als Mathematiker und Bibliothekar, er ist dort wie ein Guru behandelt worden. Er war ein bisschen wie Gandhi gekleidet, in weißer Baumwolle, puristisch und ein-fach. Er hat mir immer vermittelt: Trau dich, sieh die Welt neu und schaffe Deine eigenen Regeln! Ihr indischer Großvater war immer gegen die Heirat Ihrer Eltern. Alle waren dage-gen. Meine luxemburgische Großmutter sagte immer: Du kannst einen wunderbaren Weißwein und einen wunderbaren Rot-wein nehmen, wenn du sie mischt, kommt nichts raus. Ich war die Mischung. Später hat sie ihre Meinung zumindest in Bezug auf uns Kinder geändert!

„Großeltern haben für Kinder

eine stabilisierende Funktion.“

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ubuntu Interview

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40SOS-Kinderdörfer gibt es allein in Indien, das „dorfreichste“ SOS-Land.

72SOS-medizinische Zentren bieten Hilfe und beraten in Gesundheitsfragen.

455.000Menschen werden hier jährlich medizinisch versorgt.

Gerne können Sie Sich auch telefoniSch informieren unter: 0800 50 30 300 (Gebührenfrei) oder beSuchen Sie unS auf unSerer WebSite

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46.000Paten und über eine Million aktive Freunde unterstützen die SOS-Kinderdörfer weltweit.

518SOS-Kinderdörfer gibt es weltweit.

Caldonazzoist ein norditalienisches SOS- Feriendorf, in dem jeden Sommer

1.400SOS-Kinder aus bis zu 16 Ländern Europas ihre Ferien verbringen.

1.500Kilogramm Nudeln werden in dieser Zeit gegessen.

10Tonnen Obst und Gemüse werden vertilgt.

170Meter Apfelstrudel sind der kuli-narische Höhepunkt.

900Schüler besuchen die SOS- Schule in Port-au-Prince in Haiti, doppelt so viele wie vor dem Erdbeben 2010.