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Experiment: Künstler ge mein schaften Salons im Fanny Hensel-Saal April–Juni 2014

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KünstlergemeinschaftenSalons im Fanny Hensel-Saal April–Juni 2014

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Eine Veranstaltungsreihe der Hochschule für Musik und Theater Hamburg unter Leitung von Prof. Dr. Beatrix Borchard in Kooperation mit Dr. Bettina Knauer und Prof. Marc Aisenbrey – gefördert durch die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und die Gerhard Trede-Stiftung

Experiment: Künstlergemeinschaften Salons im Fanny Hensel-SaalApril-Juni 2014

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Inhalt

Sinfonia domestica I 8Pauline de Ahna und Richard Strauss

Das verborgene Band 36Fanny Hensel und Felix Mendelssohn Bartholdy

Stimme und Geige 58Amalie und Joseph Joachim – und Johannes Brahms

Sinfonia domestica II 100

Impressum 102Bild- und Textnachweise 102

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Statt eines Vorworts ein Zitat

Wie in tausend anderen Dingen, so sind dem Künstler und als solchem natürlich be-sonders dem Musiker auch in der Liebe feinere Sensibilität, reicheres Phantasievermö-gen, stärkere Erlebniskraft Quell intensiveren Glücks und zugleich tieferen Leidens. Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt! Dieser Gegensatz von höchster Lust und schmerzlichstem Leid wird vom Künstler in unerbittlichem Auf und Nieder einer weit-ausschwingenden Kurve immer wieder durchmessen und findet auch in seiner Liebe die entsprechende Resonanz, bei dem einen Meister stärker, bei dem anderen weniger stark zutage tretend. In ihm liegt auch die Problematik der Musikerehe, die von der Frau besondere Einfühlungsgabe verlangt und im gewissen Sinne Wandlungsfähigkeit ebenso erfordert wie Stetigkeit. Geliebte und Mutter, Muse und werktätige Mitstreiter-in im Lebenskampf, diese seltene Mischung bringt vielleicht die sicherste Gewähr, im Ehebund mit einem Künstler, der doch bis zu einem gewissen Grade stets ein Kind bleibt, voll zu bestehen und eine Verbindung dauernd und haltbar zu gestalten.

Aber wie vielgestaltig sind die Frauencharaktere, die in die Lebensgeschichte unserer großen Musiker eingegangen sind! Hier Egoismus und kalte Berechnung, da opfernde Liebe, und wieder heroischer Verzicht, gleich rasch sich verzehrendem Strohfeuer. Aber eine Frau, sie hält immer stand, sie eifert dem Schaffenden zu den herrlichsten Kunstwerken an, sie versagt nie, sie enttäuscht nie. Es ist die Frau, die sich der Künstler in seinen Träumen erstehen läßt, deren Idealbild in der Welt seiner Töne Spiegelung findet und die sich nur diese und jene Gestalt in der Wirklichkeit borgt.

So ist es naheliegend, daß der schaffende Musiker im Konzertsaal, auf der Opernbühne die Verkörperung seines Frauenideals sucht und zuweilen auch findet, daß gerade die Künstlerin, die sein Werk überzeugend zu deuten weiß, auch als Frau am leichtesten Zugang zu seinem Herzen findet. Umgekehrt sieht der Komponist in der Geliebten ger-ne das Urbild dessen, was er in einer Opernrolle, in einem musikalischen Kunstwerk zu gestalten wünscht.

Aus: Roland Tenschert, Musikerbrevier. Nachdenkliches und Ergötzliches aus dem Reich der Musik. Wien 1940, S. 56f.

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Sinfonia domestica IPauline de Ahna und Richard Strauss

Ich weiß, daß einige Leute glauben, das Werk sei eine spaßhafte Darstellung des häuslichen Glücks. Aber ich gestehe, daß ich nicht spaßig sein wollte, als ich sie komponierte. Was kann denn auch ernsthafter sein, als das Eheleben? Die Heirat ist das ernsteste Ereignis im Leben, und die heilige Freude einer solchen Vereinigung wird durch die Ankunft des Kindes erhöht.

Richard Strauss mit seiner Familie in Berlin, 1904.

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Die erwachte Rose (1880)

Die Knospe träumte von Sonnenschein,

Vom Rauschen der Blätter im grünen Hain,

Von der Quelle melodischem Wogenfall,

Von süßen Tönen der Nachtigall,

Und von den Lüften, die kosen und

schaukeln,

Und von den Düften, die schmeicheln

und gaukeln.

Und als die Knospe zur Ros’ erwacht,

Da hat sie mild durch Tränen gelacht

Und hat geschaut und hat gelauscht,

Wie’s leuchtet und klingt,

Wie’s duftet und rauscht.

Als all ihr Träumen nun wurde wahr,

Da hat sie vor süßem Staunen gebebt

Und leis geflüstert: Ist mir’s doch gar,

Als hätt ich das alles schon einmal erlebt.

Friedrich von Sallet (1812–1843)

Rote Rosen

(1883)

Weißt du die Rose, die Du mir gegeben?

Der scheuen Veilchen stolze, heiße

Schwester;

Von Deiner Brust trug noch ihr Duft

das Leben,

Und an dem Duft sog ich fest mich

und fester.

Ich seh Dich vor mir, Stirn und Schläfe

glühend,

Den Nacken trotzig, weich und weiß

die Hände,

Im Aug noch Lenz, doch die Gestalt

erblühend voll,

Wie das Feld blüht um Sonnenwende.

Um mich webt Nacht, die kühle,

wolkenlose,

Doch Tag und Nacht, sie sind in eins

zerronnen.

Es träumt mein Sinn von Deiner roten Rose

Und von dem Garten, drin ich sie

gewonnen.

Karl Stieler (1842–1885)

Zueignung (1885)

Ja, du weißt es, teure Seele,

Daß ich fern von dir mich quäle,

Liebe macht die Herzen krank,

Habe Dank.

Einst hielt ich, der Freiheit Zecher,

Hoch den Amethysten-Becher,

Und du segnetest den Trank,

Habe Dank.

Und beschworst darin die Bösen,

Bis ich, was ich nie gewesen,

heilig, heilig an’s Herz dir sank,

Habe Dank.

Hermann von Gilm zu Rosenegg (1812–1864)

Nichts (1885)

Nennen soll ich, sagt ihr, meine

Königin im Liederreich?

Toren, die ihr seid, ich kenne

Sie am wenigsten von euch.

Fragt mich nach der Augen Farbe,

Fragt mich nach der Stimme Ton,

Fragt nach Gang und Tanz und Haltung,

Ach, und was weiß ich davon!

Ist die Sonne nicht die Quelle

Alles Lebens, alles Lichts?

Und was wissen von derselben

Ich, und ihr, und alle? – Nichts.

Hermann von Gilm zu Rosenegg (1812–1864)

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Weimar 10.Mai 1894

Meine Verlobung mit Fräulein Pauline de Ahna, Groh. Sächs. Hofopern-Sängerin, beehre ich mich ergebenst mitzuteilen.

Richard StraussGroßherzogl. Sächs. Kapellmeister

Richard Strauss’ Musikdrama „Guntram“ ging am Donnerstag unter ungemein starkem Erfolg in Szene. Der Komponist wurde nach jedem Aktschluß wiederholt gerufen, zu Beginn des dritten Aktes mit Beifallsbezeugungen empfangen und nach Schluß des Werkes mit einer Ovation geehrt. Die Mitwirkenden leisteten auf der Bühne Ausgezeich-netes, die Reproduktion der ungemein schwierigen Partitur von Seiten der Hofkapelle unter Strauss war eine glänzende.

Fräulein de Ahna hat sich eigentlich an der Freihild zur vollen Künstlerschaft empor-gesungen.

Theaterzettel der Uraufführung vom 10. Mai 1894.

Pauline de Ahna als Freihild und

Heinrich Zeller als Guntram.

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Die Georgine (1885)

Warum so spät erst, Georgine?

Das Rosenmärchen ist erzählt,

und honigsatt hat sich die Biene

ihr Bett zum Schlummer ausgewählt.

Sind nicht zu kalt dir diese Nächte?

Wie lebst du diese Tage hin?

Wenn ich dir jetzt den Frühling brächte,

du feuergelbe Träumerin,

wenn ich mit Maitau dich benetzte,

begöße dich mit Junilicht,

doch ach, dann wärst du nicht die Letzte,

die stolze Einzige auch nicht.

Wie, Träum’rin, lock’ ich vergebens?

So reich’ mir schwesterlich die Hand,

ich hab’ den Maitag dieses Lebens

wie du den Frühling nicht gekannt;

und spät wie dir, du Feuergelbe,

stahl sich die Liebe mir ins Herz;

ob spät, ob früh, es ist dasselbe

Entzücken und derselbe Schmerz.

Hermann von Gilm zu Rosenegg (1812–1864)

Allerseelen (1885)

Stell auf den Tisch die duftenden Reseden,

Die letzten roten Astern trag herbei,

Und laß uns wieder von der Liebe reden,

Wie einst im Mai.

Gib mir die Hand, daß ich sie heimlich

drücke

Und wenn man’s sieht, mir ist es einerlei,

Gib mir nur einen deiner süßen Blicke,

Wie einst im Mai.

Es blüht und duftet heut auf jedem Grabe,

Ein Tag im Jahr ist ja den Toten frei,

Komm an mein Herz, daß ich dich wieder

habe,

Wie einst im Mai.

Hermann von Gilm zu Rosenegg (1812–1864)

Ständchen (1886)

Mach auf, mach auf, doch leise mein Kind,

Um keinen vom Schlummer zu wecken.

Kaum murmelt der Bach, kaum zittert im

Wind

Ein Blatt an den Büschen und Hecken.

Drum leise, mein Mädchen, daß nichts

sich regt,

Nur leise die Hand auf die Klinke gelegt.

Mit Tritten, wie Tritte der Elfen so sacht,

Die über die Blumen hüpfen,

Flieg leicht hinaus in die Mondscheinnacht,

Zu mir in den Garten zu schlüpfen.

Rings schlummern die Blüten am

rieselnden Bach

Und duften im Schlaf, nur die Liebe ist

wach.

Sitz nieder, hier dämmert’s geheimnisvoll

Unter den Lindenbäumen,

Die Nachtigall uns zu Häupten soll

Von unseren Küssen träumen,

Und die Rose, wenn sie am Morgen erwacht,

Hoch glühn von den Wonnenschauern der

Nacht.

Adolf Friedrich, Graf von Schack (1815–1894)

Pauline de Ahna Strauss, ca. 1900.

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Mädchenblumen (1888)

Kornblumen

Kornblumen nenn ich die Gestalten,

die milden mit den blauen Augen,

die, anspruchslos in stillem Walten,

den Tau des Friedens, den sie saugen

aus ihren eigenen klaren Seelen,

mitteilen allem, dem sie nahen,

bewußtlos der Gefühlsjuwelen,

die sie von Himmelshand empfahn.

Dir wird so wohl in ihrer Nähe,

als gingst du durch ein Saatgefilde,

durch das der Hauch des Abends wehe,

voll frommen Friedens und voll Milde.

Mohnblumen

Mohnblumen sind die runden,

rotblutigen gesunden,

die sommersproßgebraunten,

die immer froh gelaunten,

kreuzbraven, kreuzfidelen,

tanznimmermüden Seelen;

die unter’m Lachen weinen

und nur geboren scheinen,

die Kornblumen zu necken,

und dennoch oft verstecken

die weichsten, besten Herzen,

im Schlinggewächs von Scherzen;

die man, weiß Gott, mit Küssen

ersticken würde müssen,

wär’ man nicht immer bange,

umarmest du die Range,

sie springt ein voller Brander

aufflammend auseinander.

Epheu

Aber Epheu nenn’ ich jene Mädchen

mit den sanften Worten,

mit dem Haar, dem schlichten, hellen

um den leis’ gewölbten Brau’n,

mit den braunen seelenvollen Rehenaugen,

die in Tränen steh’n so oft,

in ihren Tränen gerade sind

unwiderstehlich;

ohne Kraft und Selbstgefühl,

schmucklos mit verborg’ner Blüte,

doch mit unerschöpflich tiefer

treuer inniger Empfindung

können sie mit eigner Triebkraft

nie sich heben aus den Wurzeln,

sind geboren, sich zu ranken

liebend um ein ander Leben:

an der ersten Lieb’umrankung

hängt ihr ganzes Lebensschicksal,

denn sie zählen zu den seltnen Blumen,

die nur einmal blühen.

Wasserrose

Kennst du die Blume, die märchenhafte,

sagengefeierte Wasserrose?

Sie wiegt auf ätherischem, schlankem

Schafte

das durchsicht’ge Haupt, das farbenlose,

sie blüht auf schilfigem Teich im Haine,

gehütet vom Schwan, der umkreiset sie

einsam,

sie erschließt sich nur dem Mondenscheine,

mit dem ihr der silberne Schimmer

gemeinsam:

so blüht sie, die zaub’rische Schwester

der Sterne,

umschwärmt von der träumerisch

dunklen Phaläne,

die am Rande des Teichs sich sehnet

von ferne,

Pauline de Ahna in einem New Yorker Fotostudio.

und sie nimmer erreicht, wie sehr sie

sich sehne.

Wasserrose, so nenn’ ich die schlanke,

nachtlock’ge Maid, alabastern von Wangen,

in dem Auge der ahnende tiefe Gedanke,

als sei sie ein Geist und auf Erden gefangen.

Wenn sie spricht, ist’s wie silbernes

Wogenrauschen,

wenn sie schweigt, ist’s die ahnende Stille

der Mondnacht;

sie scheint mit den Sternen Blicke zu

tauschen,

deren Sprache die gleiche Natur sie

gewohnt macht;

du kannst nie ermüden, in’s Aug’ ihr zu

schau’n,

das die seidne, lange Wimper umsäumt hat,

und du glaubst, wie bezaubernd von

seligem Grau’n,

was je die Romantik von Elfen geträumt hat.

Felix Ludwig Julius Dahn (1834–1912)

Cäcilie (1894)

Wenn du es wüßtest,

Was träumen heißt von brennenden

Küssen,

Von Wandern und Ruhen mit der Geliebten,

Aug in Auge,

Und kosend und plaudernd,

Wenn du es wüßtest,

Du neigtest dein Herz!

Wenn du es wüßtest,

Was bangen heißt in einsamen Nächten,

Um schauert vom Sturm, da niemand

tröstet

Milden Mundes die kampfmüde Seele,

Wenn du es wüßtest,

Du kämest zu mir.

Wenn du es wüßtest,

Was leben heißt, umhaucht von der

Gottheit

Weltschaffendem Atem,

Zu schweben empor, lichtgetragen,

Zu seligen Höhn,

Wenn du es wüßtest, wenn du es wüßtest,

Du lebtest mit mir.

Heinrich Hart (1855–1906)

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Morgen! (1894)

Und morgen wird die Sonne wieder

scheinen

und auf dem Wege, den ich gehen werde,

wird uns, die Glücklichen sie wieder einen

inmitten dieser sonnenatmenden Erde…

und zu dem Strand, dem weiten,

wogenblauen,

werden wir still und langsam niedersteigen,

stumm werden wir uns in die Augen

schauen,

und auf uns sinkt des Glückes stummes

Schweigen.

John Henry Mackay (1864–1933)

Sehnsucht (1896)

Ich ging den Weg entlang, der einsam lag,

Den stets allein ich gehe jeden Tag.

Die Heide schweigt, das Feld ist

menschenleer;

Der Wind nur weht im Knickbusch um

mich her.

Weit liegt vor mir die Straße ausgedehnt;

Es hat mein Herz nur dich, nur dich

ersehnt.

Und kämest Du, ein Wunder wär’s für mich,

Ich neigte mich vor dir: ich liebe dich.

Und im Begegnen, nur ein einzger Blick,

Des ganzen Lebens wär er mein Geschick.

Und richtest du dein Auge kalt auf mich,

Ich trotze Mädchen dir: ich liebe dich.

Doch wenn dein schönes Auge grüßt

und lacht,

Wie eine Sonne mir in schwerer Nacht,

Ich zöge rasch dein süßes Herz an mich

Und flüstre leise dir: ich liebe dich.

Detlev von Liliencron (1844–1909)

Heimliche Aufforderung (1897)

Auf, hebe die funkelnde Schale empor

zum Mund,

Und trinke beim Freudenmahle dein Herz

gesund.

Und wenn du sie hebst, so winke mir

heimlich zu,

Dann lächle ich und dann trinke ich still

wie du …

Und still gleich mir betrachte um uns das

Heer

Der trunknen Schwätzer – verachte sie

nicht zu sehr.

Nein, hebe die blinkende Schale, gefüllt mit

Wein,

Und laß beim lärmenden Mahle sie

glücklich sein.

Doch hast du das Mahl genossen, den

Durst gestillt,

Dann verlasse der lauten Genossen

festfreudiges Bild,

Und wandle hinaus in den Garten zum

Rosenstrauch,

Dort will ich dich dann erwarten nach

altem Brauch,

Und will an die Brust dir sinken, eh du’s

erhofft,

Und deine Küsse trinken, wie ehmals oft,

Und flechten in deine Haare der Rose

Pracht.

O komme, du wunderbare, ersehnte Nacht!

John Henry Mackay (1864–1933)

Hat gesagt – bleibt’s nicht dabei (1898)

Mein Vater hat gesagt,

Ich soll das Kindlein wiegen,

Er will mir auf den Abend

Drei Gaggeleier sieden;

Siedt er mir drei,

Ißt er mir zwei,

Und ich mag nicht wiegen

Um ein einziges Ei.

Mein Mutter hat gesagt,

Ich soll die Mägdlein verraten,

Sie wollt mir auf den Abend

Drei Vögelein braten;

Brät sie mir drei,

Ißt sie mir zwei,

Um ein einziges Vöglein

Treib ich kein Verräterei.

Mein Schätzlein hat gesagt,

Ich soll sein gedenken,

Er wöllt mir auf den Abend

Drei Küßlein auch schenken;

Schenkt er mir drei,

Bleibt’s nicht dabei,

Was kümmert michs Vöglein,

Was schiert mich das Ei.

Aus: Achim von Arnim und Clemens Brentano,

Des Knaben Wunderhorn

Wiegenlied

(1899)

Träume, träume, du mein süßes Leben,

Von dem Himmel, der die Blumen bringt.

Blüten schimmern da, die leben

Von dem Lied, das deine Mutter singt.

Träume, träume, Knospe meiner Sorgen,

Von dem Tage, da die Blume sproß;

Von dem hellen Blütenmorgen,

Da dein Seelchen sich der Welt erschloß.

Träume, träume, Blüte meiner Liebe,

Von der stillen, von der heilgen Nacht,

Da die Blume seiner Liebe

Diese Welt zum Himmel mir gemacht.

Richard Dehmel (1863–1920)

Richard Strauss und Pauline De Ahna, ca. 1910.

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Kleine Grießknöderl in Suppe · Für 4 Personen

34 g weiche Butter (2–3 EL), 1 Ei, 2 EL Grieß, Salz, frisch geriebene Muskatnuß,

1 l Hühnerbrühe

Butter, Ei, Grieß, Salz und Musaktnuß verrühren. Erscheint die Masse zu klebrig, noch etwas Grieß hinzufügen. Ist sie zu trocken, etwas Milch darunterrühren. Die Grießmasse ½ Stunde quellen lassen.Die Hühnerbrühe erhitzen. Mit Teelöffeln von der Masse Klößchen abstechen und in der heißen, aber nicht kochenden Hühnerbrühe 10 Minuten ziehen lassen. Die Grießklößchen sind gar, wenn sie an die Oberfläche steigen.

Hirnbavesen · Für 4 Personen

1 Kalbshirn, 1 Semmel vom Vortag, 1 Ei, Salz, 1 EL gehackte Petersilie,

Butterschmalz zum Braten

Das Kalbshirn unter fließendem kalten Wasser zwei- bis dreimal abspülen und Blut sowie verfärbte Häutchen entfernen. Anschließend 1 bis 2 Stunden in kaltes Wasser legen. Das Hirn in sprudelndem Wasser etwa 5 Minuten blanchieren. Inzwischen die Semmel in Wasser einweichen. Das Hirn abtropfen lassen, dann sehr fein schneiden. Die Semmel ausdrücken. Hirnstücke, Semmel und Ei zu einem Teig verkneten. Salzen und die Petersilie untermischen. Aus dem Teig Kroketten formen und diese in heißem Butterschmalz ausbacken.

Schokoladen-Auflauf · Für 4 Personen

250 ml Sahne, 85 g Schokolade, 35 g Butter, 40–45 g Mehl, 4 Eiweiß, 50 g Zucker,

2 Eigelbe, Butter für die Form

Das Backrohr auf 200 Grad vorheizen. Die Schokolade in Stücke brechen und in der Milch schmelzen. Die Butter zerlassen, das Mehl darunterrühren und mit der Schoko-ladenmilch ablöschen. Die Masse unter ständigem Rühren einmal aufkochen lassen. Abkühlen lassen. Die Eiweiße zusammen mit dem Zucker steif schlagen. Die Eigelbe unter die Schokoladenmasse ziehen. Zuletzt den Eischnee unterheben. Eine feuerfeste Auflaufform ausfetten, die Masse einfüllen und etwa 45 bis 60 Minuten backen.

Aus Pauline de Ahna-Strauss’

Kochbuch

Die Villa Strauss in Garmisch; Foto: Josef Lehmkuhl.

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DER KOMMERZIENRAT

Ach! Sie kennen sie nicht, Herr Justizrat! Ein Ekel! Er ist ein reizender Mensch. Aber die Frau: einfach fürchterlich!

DER KAMMERSÄNGER

Sie haben etwas gegen die Frau.

DER KOMMERZIENRAT

Kunststück, bei die Behandlung!

STROH

Aber es ist doch eine sehr tüchtige Frau!

DER KOMMERZIENRAT

Für ihn vielleicht.

DER KAMMERSÄNGER

Gucki

DER JUSTIZRAT

Wer spielt aus?

STROH

Ich! Bei Grand die Asse auf den Tisch.

Sie spielen

DER JUSTIZRAT

Er soll die Frau riesig gern haben –

DER KOMMERZIENRAT

Wie sie ihn auch oft behandelt, sogar vor Leuten!

STROH

Ich finde, die Frau wird schwer verkannt. Sie ist sehr temperamentvoll, vielleicht zu hitzig –

DER KAMMERSÄNGER

ruft Schneider! Neunundzwanzig haben Sie! Sechzig Gute für mich!

STROH

fortfahrend ein bisschen wild und rück-sichtslos sie spielen immer weiter aber ich glaube, sie hat ein gutes Herz und sie sorgt sehr gut für ihn.

DER KOMMERZIENRAT

Na ja, irgendeinen Vorzug muss sie wohl haben. Zum Justizrat Sie haben ja das Vergnügen, sie nicht zu kennen, aber wen sie näherer Bekanntschaft würdigt –

Richard Strauss, Intermezzo

ZWEITER AUFZUG / ERSTE SZENE

Die Skatpartie

Komfortables Wohnzimmer mit guten modernen Bildern und Bronzen im Hause des Kommerzienrats. Am Skattisch in der Mitte des Zimmers unter einem großen Luster sitzen der JUSTIZRAT, der KOMMERZIENRAT, der KAMMERSÄNGER und KAPELLMEISTER STROH beim Skatspiel Der Justizrat mischt die Karten und gibt aus.

Hans Hotter über die Skatpartien im Hause Strauss

Der Meister spielte ein wenig zu riskant, überreizte sich, wie man beim Skat sagt, und merkte schon nach drei Strichen, daß er keine Chance mehr hatte zu gewinnen. Wü-tend warf er die restlichen Karten auf den Tisch und brach zornig in jene Worte aus, die aus seinem Mund gehört zu haben sich wahrscheinlich nur wenige rühmen können:

„Jetzt leckt’ mich alle am …!“ Mit diesem einen Spiel hat er fast 800 Mark verloren, mit all den Contras, Recontras und Subs. Mit wilder Energie und Verbissenheit, seinem un-glaublichen Können und auch einer gehörigen Portion Glück gelang es ihm, innerhalb von zwei Stunden seinen Verlust bei uns auf ca. 300 Mark herunterzuarbeiten. Dann betrat seine Gattin Pauline den Raum und erkundigte sich, wie lange das denn heute wieder dauere. „Ja, also, meine Herren“, sprach der Herr des Hauses resignierend,

„dann mach ma halt Schluß, und“, mit gedämpfter Stimme auf die Skatabrechnung deutend, „das erledigen wir schon noch. Ich bring Sie noch hinaus.“ Wir erhoben uns, Strauss begleitete uns bis zur Straße, nicht ohne noch einen kurzen prüfenden Blick in die Richtung des Hauses geworfen zu haben. Dann griff er kurz in die Rocktasche, hol-te drei zerknüllte Hundertmarkscheine hervor; drückte sie mir in die rechte Hand und grunzte ärgerlich: „Und jetzt schaut’s, daß weiterkommt’s, Saubuam, elendige!“ Damit drehte er sich auf dem Absatz um und schritt rasch zu seinem Haus zurück.

Richard Strauss bei seiner Lieblingsbeschäftigung Skat,

mit dem befreundeten Dirigenten Fritz Cortolezis.

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DER JUSTIZRAT

Ich gebe Kontra.

DER KAMMERSÄNGER

Bei Null ouvert?

ROBERT

Rekontra. Nicht zu fassen! Legt die Karten auf.

DER KOMMERZIENRAT Das ist aber doch kein Kontra, ich bitte Sie!

DER JUSTIZRAT

Mit zwei Sieben?

DER KOMMERZIENRAT Trotzdem, Sie sehen ja!

ROBERT

Keine Leichenreden! Aufschreiben! Zweihundert Gute für mich! Sie geben!

DER KAMMERSÄNGER

Wie lange bleiben Sie diesmal, Meister?

ROBERT

Vier Wochen. Noch zwei Konzerte ohne das übrige. Zum Kommerzienrat Sie reizen.

DER KOMMERZIENRAT Gleich, ich habe noch nicht ausgepackt. Zehn!

DER KAMMERSÄNGER

Gibt’s nicht. Nur Solo.

DER KOMMERZIENRAT Seit wann denn?

DER KAMMERSÄNGER

Schon immer bei uns.

DER KOMMERZIENRAT Na, also achtzehn.

DER KAMMERSÄNGER

Passen!

DER JUSTIZRAT

Passen!

DER KOMMERZIENRAT Nein! Diese Maurer! Einen auf achtzehn hängen zu lassen!

DER JUSTIZRAT

Ja, das einzige, was heute billig ist!

DER KOMMERZIENRAT nimmt auf Zwei Wenzel!

DER KAMMERSÄNGER

Da siehst du, ob wir gemauert haben.

DER KOMMERZIENRAT Coeur solo. Die Herren können schenken!

DER JUSTIZRAT

zu Robert Wie geht es Ihrer Frau Gemahlin?

ROBERT

Ich danke, gut. Habe heut einen Brief von ihr, sie hat jetzt recht nette

schlaflose Nächte, sag’ ich Ihnen. Acht-zehn! Achtzehn! Herr Kammersänger!

DER KAMMERSÄNGER

Einen Moment, ich bin noch nicht auf dem Kontor, halte ich –

DER KOMMERZIENRAT Vierundzwanzig!

DER JUSTIZRAT

Für Sie, mein Herr!

ROBERT

tritt ein Guten Abend, meine Herren! Entschuldigen Sie, aber die Probe war nicht abzukürzen –

DER KAMMERSÄNGER

spottend Am Anfang jeder Spielzeit haben Sie immer einen kolossalen Probeneifer, so gegen den März zu legt er sich.

ROBERT

Naja, einmal im Jahr. Wenn ihr euch das alles merken würdet, was ich euch da sage, für drei Jahre müsst’ es genügen.

STROH

Sie können gleich eintreten, verehrter Meister, noch dieses Spiel!

DER KAMMERSÄNGER

dröhnend Hast du schon zur Nacht gebetet, Desdemona!

STROH

ruft Neunundfünfzig. Haben Sie denn

keinen König mehr zum Reinschmei-ßen? Neunundfünfzig ohne vier! kostet ein Vermögen!

DER JUSTIZRAT

zum Kammersänger Sehr fein gespielt, dass Sie Pique nicht brachten! zu Stroh Du hättest dieses Spiel nicht gewonnen!

ROBERT

behaglich Ach, so ein Skätchen ist ein Genuss, die einzige Erholung nach Musik!

DER KOMMERZIENRAT spottend Besonders, wenn die Frau recht weit weg ist!

ROBERT

gutmütig Na ja, Sie wissen: ich habe meine Frau sehr gerne, nur beim Skat ist es angenehm, wenn keine Damen im Nebenzimmer.

DER KOMMERZIENRAT Alle Augenblicke steckt eine den Kopf zur Tür herein: „Sind die Herren schon bald fertig?“ „Gleich, mein Engel,“ sagt er, hol dich der Satan, denkt er. Oder: „Gewinnen die Herren?“ Nur ein Vorwand, um schnell nachzusehn, ob der Gatte verliert oder gewinnt, und zu Hause dann, au wei!

ROBERT

Na, so schlimm ist’s nicht. Null auf dem Pferde!

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DER KOMMERZIENRAT Hilflos? Davon hab’ ich noch nichts gemerkt.

ROBERT

Doch, oft rührend hilflos und kindlich dabei, das hat mir die Nerven gestählt. Nervosität gibt’s nicht: Mangel an Selbstzucht.

DER KOMMERZIENRAT Na, hör’n Sie – das ist stark!

ROBERT

Behaupte ich gegen jeden!

DER KAMMERSÄNGER

Ramsch!

DER KOMMERZIENRAT Sie selbst sind allerdings ein gutes Beispiel. Ich mit einer solchen Frau sässe längst im Irrenhause!

DER JUSTIZRAT

Ich habe fünfundsechzig.

ROBERT

zum Kommerzienrat Trotz Ihres schlechten Spiels.

DER KOMMERZIENRAT Natürlich, wenn ich an die Frau nur denke, bekomme ich das Zittern.

ROBERT

mit Wärme Und für mich ist sie grade das Richtige. Ich habe ein Talent zum Verdösen, Verbummeln; was aus mir

geworden, danke ich ihr, besonders die Gesundheit! Sie hat mich aufgepulvert.

DER KOMMERZIENRAT Aufpulvern, das kann sie! Dynamit!

ROBERT

Nur nicht übertreiben! Mir tut das gut, ich muss Leben und Temperament um mich haben. Jeder Mensch hat seine zwei Seiten, der Unterschied ist nur, dass der eine nur das Gute zeigt, das sind die Menschen mit der angenehmen Fläche. Während sie, – sie ist eine von den ganz zarten, schamhaften Naturen mit rauher Schale, ich kenne manche – es sind die Besten! Ein Igel, nach außen mit Sta-cheln gepanzert – Das Dienstmädchen tritt ein und gibt Robert ein Telegramm. Zum Kammersänger Bitte, geben Sie für mich – er hat das Telegramm geöffnet und starrt es fassungslos an.

DER JUSTIZRAT

Was gibt’s? Doch nichts Unangenehmes? Was ist Ihnen?

ROBERT

Was soll denn das heissen?

DER JUSTIZRAT

Darf man wissen, von wem?

ROBERT

Jedenfalls von meiner Frau.

DER KOMMERZIENRAT Sticht der Igel?

Gesellschaft: ein junger Mann, der mit ihr spazierengeht und Sport treibt.

DER KAMMERSÄNGER

Na, hör’n Sie, Meester?!

ROBERT

Wieso? Meine Frau, die kennen Sie nicht.

DER KOMMERZIENRAT Na, ich kenne sie.

ROBERT

Auch Sie nicht!

DER KOMMERZIENRAT Oho!

ROBERT

Weil sie Ihnen einmal –

DER KOMMERZIENRAT einmal? Ein Dutzend reicht nicht –

ROBERT

wie ich gerne zugebe, unangenehme Dinge und sehr mit Unrecht, deswegen kennen Sie sie doch nicht genau.

DER KOMMERZIENRAT Danke für noch nähere Berührung. Bin schon nervös genug.

DER KAMMERSÄNGER

Sind wir hier zum Unterhalten oder zum Skatspielen? Schieberamschrunde.

ROBERT

Sehr wohl! Wenn er auf meiner Frau herumhackt, muss ich sie doch ver-teidigen. Ich nehme zu Grand auf.

DER JUSTIZRAT

Einer verdirbt’s immer.

STROH

zu Robert Sie sind wirklich ein rührender Ehemann!

ROBERT

Und ich fühle mich sehr wohl dabei.

DER KOMMERZIENRAT Das wundert mich ja, Sie haben keine Nerven!

ROBERT

Gott sei Dank nicht! Alles Training!

DER KOMMERZIENRAT Daran fehlt es Ihnen ja nicht.

DER KAMMERSÄNGER

ruft Schwarz, Ihr Ludersch!

STROH

So ein Glückspilz!

ROBERT

Dass ich gezwungen bin, ihr gegenüber, die hitzig, starker Phantasiemensch, von etwas mangelnder Selbstdisziplin oft rührend hilflos –

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DER KAMMERSÄNGER

Schwach auch er, schwach alle!

DER KOMMERZIENRAT Wahrlich, ich sage euch: mit der Frau ist schon im Frieden nicht zu spaßen, nun ein solcher Kriegsanlass, oh je, oh je, er tut mir leid!

DER KAMMERSÄNGER

Ein Fehltritt, ist er solcher Büßung wert?

STROH

Dass er die Mieze Maier auch kennt, das hätt’ ich ihm allerdings nicht zugetraut!

DER JUSTIZRAT

Nun, wie wär’s, meine Herren, spielen wir noch ein bißchen, uns von dem Schrecken zu erholen?

DER KOMMERZIENRAT Meinen Sie nicht, man sollte sich nach dem Meister doch ein bißchen umsehn, er schien wirklich aufs tiefste er-schrocken? Ich werde ihn morgen an-rufen, wenn er die Sache ein bißchen beschlafen hat.

Sie setzen sich wieder zum Spiel, Stroh gibt die Karten aus.

DER KOMMERZIENRAT Achtzehn!

DER JUSTIZRAT

Zwanzig!

DER KOMMERZIENRAT Vierundzwanzig!

DER JUSTIZRAT

Ich passe!

DER KAMMERSÄNGER

Passe.

DER KOMMERZIENRAT Ich spiele Treff solo!

ROBERT

Ich bitte, jetzt keinen Scherz!

DER JUSTIZRAT

Doch nicht wirklich was Ernsthaftes?

ROBERT

Ich bin sprachlos. Zu Stroh Lesen Sie!

STROH

liest „Du kennst Mieze Maier. Deine Untreue erwiesen. Wir sind auf immer geschieden.“ Keine Unterschrift.

ROBERT

Meine Frau unterschreibt nie eine Depesche. Ist sie verrückt?

DER JUSTIZRAT

Schon lang ein wenig.

ROBERT

Nun hören Sie auf! Das ist kein Scherz mehr. Mieze Maier!

STROH

Sie kennen die auch?

ROBERT

Wer ist denn das?

STROH

Nun, so etwas’ – so, so, la la.

ROBERT

Sie kennen sie?

STROH

Flüchtig.

ROBERT

Aber ich habe keine Ahnung.

STROH

Das sagt ein jeder, wenn’s herauskommt.

ROBERT

Ich muss schon bitten!

STROH

Entschuldigen Sie, aber ich begreife ja, dass es peinlich ist, wenn das Frauchen es erfährt.

ROBERT

Da hört sich aber doch schon die Geschichte auf … plötzlich ruhig Die Herren entschuldigen, wenn ich Sie verlasse, aber mir ist die Lust zum Spielen vergangen. Ich muss die Sache erst überdenken – die Herren sind ja zu vieren! Adieu! Schnell ab.

DER KOMMERZIENRAT Verfluchte Chose! Frau Christine wird toben!

DER KAMMERSÄNGER

Ich möchte nicht in seiner Haut stecken!

DER JUSTIZRAT

Ich habe es ihm eigentlich nicht zugetraut!

STROH

Das Muster eines Ehemanns!

DER JUSTIZRAT

Nun, er wird sich schon herauswinden! Richard Strauss mit Schwiegertochter und

Pauline in Garmisch.

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Schlechtes Wetter (1918)

Das ist ein schlechtes Wetter,

Es regnet und stürmt und schneit;

Ich sitze am Fenster und schaue

Hinaus in die Dunkelheit.

Da schimmert ein einsames Lichtchen,

Das wandelt langsam fort;

Ein Mütterchen mit dem Laternchen

Wankt über die Straße dort.

Ich glaube, Mehl und Eier

Und Butter kaufte sie ein;

Sie will einen Kuchen backen

Für’s große Töchterlein.

Die liegt zu Hause im Lehnstuhl

Und blinzelt schläfrig ins Licht;

Die goldnen Locken wallen

Über das süße Gesicht.

Heinrich Heine (1797–1856)

An die Nacht (1918)

Heilige Nacht! Heilige Nacht!

Sterngeschlossner Himmelsfrieden!

Alles, was das Licht geschieden,

Ist verbunden,

Alle Wunden

Bluten süß im Abendrot.

Bjelbogs Speer, Bjelbogs Speer

Sinkt ins Herz der trunknen Erde,

Die mit seliger Gebärde

Eine Rose

In dem Schoße

Dunkler Lüste niedertaucht.

Heilige Nacht, züchtige Braut,

Deine süße Schmach verhülle,

Wenn des Hochzeitsbechers Fülle

Sich ergießet;

Also fließet

In die brünstige Nacht der Tag!

Clemens Brentano (1778–1842)

Ich wollt ein Sträußlein binden(1918)

Ich wollt ein Sträußlein binden,

Da kam die dunkle Nacht,

Kein Blümlein war zu finden,

Sonst hätt ich dir’s gebracht.

Da flossen von den Wangen

Mir Tränen in den Klee,

Ein Blümlein aufgegangen

Ich nun im Garten seh.

Das wollte ich dir brechen

Wohl in dem dunklen Klee,

Doch fing es an zu sprechen:

„Ach, tue mir nicht weh!

Sei freundlich im Herzen,

Betracht dein eigen Leid,

Und lasse mich in Schmerzen

Nicht sterben vor der Zeit!“

Und hätt’s nicht so gesprochen,

Im Garten ganz allein,

So hätt ich dir’s gebrochen,

Nun aber darf’s nicht sein.

Mein Schatz ist ausgeblieben,

Ich bin so ganz allein.

Im Lieben wohnt Betrüben,

Und kann nicht anders sein.

Clemens Brentano (1778–1842)

Einerlei(1918)

Ihr Mund ist stets derselbe,

Sein Kuß mir immer neu,

Ihr Auge noch dasselbe,

Sein freier Blick mir treu;

O du liebes Einerlei,

Wie wird aus dir so mancherlei!

Achim von Arnim (1781–1831)

Richard Strauss, Pauline de Ahna und ihr Sohn Franz 1910.

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mehr so poetisch gehört habe wie von Pauline. Ebenso „Trau durch die Dämmerung“, „Morgen“, „Freundliche Vision“ in ganz gleichmäßigem Ton und poetischer Stimmung. „Jung Hexenlied“ und viele andere Novitäten für Amerika mußte sie da capo singen. Sie pointierte vortrefflich, sprach ausgezeichnet aus. Ihre Freihild war die einzige gesang-lich und darstellerisch perfekte Leistung in den beiden „Guntram“-Aufführungen von Weimar und München.

Als Gast sang sie in München und Karlsruhe unter Mottl die Elsa, die heilige Elisabeth von Liszt unter Nocodé und Kniese in Dresden und Bayreuth, außerdem das erste Blumenmädchen der zweiten Gruppe in Bayreuth, die zweite Rheintochter und Marcelline („Fidelio“) in München.

Auf meinen Konzertreisen in Paris bei Colonne und Lamoureux [sang sie] in Barcelona, Madrid (Liebestod), Amsterdam, Berlin, Frankfurt, Köln etc. meine für sie instrumen-tierten Lieder („Cäcilie“, „Rosenband“, „Liebeshymnus“, „Morgen“, „Wiegenlied“, „Freund-liche Vision“) immer da capo.

Schade, daß sie sich früh dem schönen Beruf einer vorbildlich ausgezeichneten Hausfrau und Mutter zugewandt hatte.

„Gedächtnisdenkmal“

Lugano, 22. Mai 1947Richard Wagners 124. Geburtstag

Nach dem Zusammenbruch deutscher Opernkultur am 1. September 1944 meiner lieben Frau ein kleines Gedächtnisdenkmal, bevor ich selbst dieses zerstörerische Künstler-dasein verlasse.

Ich lernte Pauline etwa 1887 in Feldafing kennen, wo ich bei meiner braven Tante Johanna Pschorr wie schon öfter in ihrer schön gelegenen Villa zu Gast war. Dort besuchte mich 1892 auch Cosima Wagner mit Eva und aß friedlich mit ihrem alten Gegner Franz Strauss zu Mittag. Paulinens Vater, der wackere General de Ahna, hatte eine schöne Baritonstimme und war so musikalisch, daß er das Meistersinger-Duett (Hans Sach-Walter) des III. Aktes sich selbst einstudieren konnte. Pauline hatte schon einige Monate auf der Münchner Musikschule studiert und in einem Prüfungskonzert im Odeon sogar mit Dilettantenmut die „Freischütz“-Arie naiv und unter dem Beifall ihrer militärischen Verehrer herausgeschmettert. Da dem Vater die Umgangsformen am Odeonsplatz nicht paßten, übergab er sie mir zum Unterricht, zu dem ich gleichzeitig Darstellungsstunden bei Frau Julie Ritter – die Nichte Richard Wagners und selbst gute Schauspielerin – empfohlen hatte. Pauline hatte schon schauspielerisches Talent, das durch die gütige, kluge Gattin Alexander Ritters in gute Bahnen gelenkt wurde. Ich studierte in München mit Pauline Agathe, Elsa, Gretchen von Gounod, und als ich 1889 als Kapellmeister nach Weimar ging, folgte mir Pauline als Schülerin dahin. Nach einem erfolgreichen Debüt als Pamina wurde 1890 auch sie als jugendlich dramatische Sängerin engagiert und sang im Laufe von vier Jahren Agathe, Elsa, Friedensbote in

„Rienzi“, Hänsel (Uraufführung), Mignon, Venus, Elvira, Pamina, Königin („Fauler Hans“), „Fürst und Sänger“ (Mottl), „Der König hat’ s gesagt“ (Chabrier), „Fidelio“(!) und Isolde (!!!) ohne Strich, „Guntram“.

Sie hat (noch immer) eine schöne symphatische Stimme, hatte in Weimar noch bei Frau Merian, Schwester der Witwe Joachims Raffs und Lehrerin Karl Scheidemantels, etwas Unterricht zur Befestigung der Kopfstimme, durchaus poetischen Vortrag, was später beim Vortrag meiner Lieder ihr besonders in Amerika viel Beifall brachte. Dort schrieb ein Kritiker: „Frau Strauss trug die Lieder ihres Gatten so lebendig vor, daß man glaubte, sie habe dieselben komponiert, während er ziemlich gelangweilt (overbored) am Klavier saß.“ Ihre ausgezeichnete Atemführung kam ihr besonders in der Pamina-Arie, der As-dur-Kavatine der Agathe, dem Gebet der Elisabeth (Bayreuth) zugute, die ich niemals

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Vier letzte Lieder (1948)

für Sopran und Orchester, nach Gedichten

von Hermann Hesse und Joseph von

Eichendorff

Frühling

In dämmrigen Grüften

träumte ich lang

von deinen Bäumen und blauen Lüften,

Von deinem Duft und Vogelsang.

Nun liegst du erschlossen

In Gleiß und Zier

von Licht übergossen

wie ein Wunder vor mir.

Du kennst mich wieder,

du lockst mich zart,

es zittert durch all meine Glieder

deine selige Gegenwart!

Hermann Hesse (1877–1962)

September

Der Garten trauert,

kühl sinkt in die Blumen der Regen.

Der Sommer schauert

still seinem Ende entgegen.

Golden tropft Blatt um Blatt

nieder vom hohen Akazienbaum.

Sommer lächelt erstaunt und matt

In den sterbenden Gartentraum.

Lange noch bei den Rosen

bleibt er stehn, sehnt sich nach Ruh.

Langsam tut er

die müdgeword’nen Augen zu.

Hermann Hesse (1877–1962)

Beim Schlafengehen

Nun hat der Tag mich müd gemacht,

soll mein sehnliches Verlangen

freundlich die gestirnte Nacht

wie ein müdes Kind empfangen.

Hände, laßt von allem Tun

Stirn, vergiß du alles Denken,

Alle meine Sinne nun

wollen sich in Schlummer senken.

Und die Seele unbewacht

will in freien Flügen schweben,

um im Zauberkreis der Nacht

tief und tausendfach zu leben.

Hermann Hesse (1877–1962)

Im Abendrot

Wir sind durch Not und Freude

gegangen Hand in Hand;

vom Wandern ruhen wir beide

nun überm stillen Land.

Rings sich die Täler neigen,

es dunkelt schon die Luft.

Zwei Lerchen nur noch steigen

nachträumend in den Duft.

Tritt her und laß sie schwirren,

bald ist es Schlafenszeit.

Daß wir uns nicht verirren

in dieser Einsamkeit.

O weiter, stiller Friede!

So tief im Abendrot.

Wie sind wir wandermüde –

Ist dies etwa der Tod?

Joseph von Eichendorff (1788–1857)

Richard Strauss beim nachmittäglichen Kaffee mit seiner Frau Pauline und

seinem Sohn Franz und dessen Ehefrau Alice.

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Fanny Hensel an Felix Mendelssohn Bartholdy, Sommer 1829:Eben habe ich meine Lieder fertig geschrieben u. bitte Dich, verfahre damit, nicht als seyen sie aus der Ferne an Dich gerichtet, denn das giebt der Sache nur einen relativen Werth, sondern als hätte ich die Lieder mit den und den Fehlern gemacht, und bäte Dich um eine kritische Rücksicht darauf. Eins ist darunter, welches ich für eins meiner besten Lieder halte …

Felix an seinen Bruder Paul, am 3. Juli 1829 aus Schottland:…um mich herum waren nur Musiker aber keine Musik, und schon wollte ich mich zwingen, doch irgend einen Geschmack an ihren Machwerken zu finden, da kamen Fannys Lieder. Ich denke es ist die schönste Musik, die jetzt ein Mensch auf der Erde machen kann. Wenigstens hat mich nie etwas so durch und durch belebt und ergriffen.

… Den Schluss vom 2ten mit dem Vöglein in der Linden, spielte ich mir gestern Nacht ein paar mal ganz ruhig vor, und machte dann in meinem Zimmer Tollheiten, und schlug auf den Tisch, mag wohl auch sehr geweint haben, dann spielte ich ihn aber eine Viertel-stunde lang immer fort, und nun kenne ich ihn genau …

Das verborgene BandFanny Hensel und Felix Mendelssohn Bartholdy

Fanny und Felix; Bildmontage.

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adressiert, ein kurzes Lied ohne Worte in A-Dur, das Felix Mendelssohn Bartholdy in Sorge um die hochschwangere Schwester aus München nach Berlin schickt, sowie eine Frühfassung seines später als op. 30,2 erschienenen Liedes ohne Worte in b-Moll, mit dem er kurz darauf zur Geburt ihres Sohnes gratuliert. Die diesen Kompositionen bei-gefügten Zeilen deuten verschiedene Kriterien der Bewertung adressierter bzw. nicht-adressierter Musik an, ebenso beginnt sich darin bereits eine unterschiedliche Haltung der beiden KorrespondentInnen gegenüber adressierter Musik abzuzeichnen. Felix Mendelssohn Bartholdy befindet sich dabei offenbar in einem Konflikt zwischen

„Wahrheit“ als zentrale Forderung an adressierte Musik und ästhetischen bzw. kompo-sitionstechnischen Kriterien, die für die Qualität nicht-adressierter Musik maßgeblich sind. Die zeitgebundene und persönliche Wahrheit eines konkreten Augenblicks zwi-schen Verfasser und Adressatin dient ihm in der Ankündigung des b-Moll-Liedes – wenn auch zögernd – als Argument, das die Vernachlässigung ästhetischer Aspekte rechtfertigen kann: Ich hätte Dir gern ein Lied geschickt, aber es ist zu schlecht geraten. – Eben sehe ich es mir noch einmal an und denke: Ach was! das Herz war schwarz, Du ver-stehst Dich darauf: da ist es […]; ist Dirs zu schlecht, so kann ich nicht helfen, mir war so, als ich Euern halb ängstlichen, halb erfreuten Brief bekam.

In den Worten, die das A-Dur-Lied begleiten, klingt eine weitere an nicht-adressierte Musik zu stellende Forde-rung an, deren Mangel, bezogen auf adressierte Musik, angebracht sein kann: […] ich möchte gern bei Dir sein u. Dich sehn, u. Dir was erzählen, es will aber nicht gehn. Da habe ich Dir denn ein Lied aufgeschrieben, wie ichs wünsche u. meine; dabey habe ich Dein gedacht u. es ist mir sehr weich zu Muthe dabey. Neues ist wohl fast nicht drin, denn Du kennst mich ja u. weißt wer ich bin; der bin ich denn immer noch, u. so magst Du da-rüber lachen u. Dich freuen, denn was anderes kann ich Dir wohl sagen u. wün-schen; was besseres aber nicht; Neuartig-keit als Forderung an eine Musik, mit der ein junger Komponist sich der Öffent-lichkeit präsentiert, tritt hier hinter die Ansprüche zurück, denen nach der

Während ihrer gemeinsam verlebten Kindheit und Jugend in der Leipziger Straße weiß jeder von dem anderen, woran er gerade arbeitet. Die beiden tauschen ihre Gedanken täglich aus und erhalten gemeinsam Unterricht bei C. F. Zelter. Dabei entstehen Vertonungen, die man durchaus miteinander vergleichen kann. Melodische Motive, Tempobezeichnungen oder Formen, die sie in ähnlicher Weise verwenden, lassen einige Kompositionen von Fanny und Felix miteinander korrespondieren.

Korrespondenz in Tönen

Die unter der Bezeichnung Lied ohne Worte berühmt gewordene Variante des lyrischen Klavierstücks wurzelt in be-sonderem Maße in der gemeinsamen musikalischen Jugend der Geschwister Fanny Hensel und Felix Mendelssohn Bartholdy. Die erste mit dem Titel Lied versehene Klavierkomposition Felix Mendelssohn Bartholdys ist eine Ein-tragung ins Stammbuch der Schwester als Geburtstagsgeschenk. Bezogen auf dieses Stück ist die Bezeichnung Lied ohne Worte in einem Brief Fanny Hensels an Karl Klingemann aus dem Jahr 1828 erstmals nachgewiesen. Klavierstücke, die auf die späteren Lieder ohne Worte verweisen, finden sich in den Übungs-büchern Fanny Hensels schon wesent-lich früher, und es ist denkbar, daß Kom-positionen dieser Art zunächst ein Spiel der in enger künstlerischer Gemein-schaft aufgewachsenen Geschwister

waren, die einander ihre Kompositionen zur Begutachtung zeigten und in Tage- und Stammbüchern musikalisch miteinander kommunizierten. Musikalische Anspielun-gen und gegenseitige Zitate, die insbesondere Lieder mit und ohne Worte als Mittel vertrauter Kommunikation ausweisen, finden sich vor allem in den Kompositionen der Geschwister aus der Zeit der ersten Reisejahre Felix Mendelssohn Bartholdys. Lieder mit und ohne Worte wurden nun auch in Briefen verschickt. Bekannte Beispiele hierfür sind der Liederkreis, den Fanny Hensel im Mai 1829 an den Bruder nach England

Das Geburtshaus Fanny und Felix Mendelssohns

in der Großen Michaelisstraße 14, Hamburg.

Fanny Hensel, Portrait 1847, Stahlstich von Eduard Mandel

nach einer Zeichnung von Wilhelm Hensel (1794–1861).

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Fanny Hensel brauchte bekanntlich ein Leben lang, um endlich gegen das „Interdict“ von Vater und Bruder mit ihren Kompositionen an die Öffentlichkeit zu treten. Es ist die Frage, ob sie dabei die Trennung von „privater“ – an einen Kreis Eingeweihter gerichteter – und „öffentlicher Musik“, […] so deutlich vollzieht, wie die – ausgespro-chenen oder unausgesprochenen – Implikationen der Autorschaft dies nahelegten. Gerade unter den Kompositionen, die sie am Ende ihres Lebens herausgab bzw. für die Veröffentlichung vorbereitete und aus denen ihr während der Italienreise gewachsenes kompositorisches Selbstbewußtsein spricht, befinden sich solche, die als Antworten auf Kompositionen ihres Bruders die frühe Praxis dialogischen Komponierens fort-setzen.

Neben dem Klaviertrio op. 11 gilt dies für das Lied ohne Worte op. 6,1, das Fanny Hensel ebenso wie das Trio in den letzten Herbst- und Wintermonaten vor ihrem Tod kom-ponierte. Das Lied op. 30,3, auf das sie sich dabei bezieht, entstand mehr als elf Jahre früher und war aufgrund seiner leichten Spielbarkeit vermutlich auch schon zu ihrer Zeit eines der bekanntesten Lieder ohne Worte Felix Mendelssohn Bartholdys. Mit den kurzen Ritornellen, in seiner Schlichtheit und Kürze, gehört es zu den sogenannten

„Chorliedern ohne Worte“, für die es unter Fanny Hensels Klavierstücken keine Ent-sprechung gibt. Als kürzestes der gedruckten Lieder ohne Worte Felix Mendelssohn Bartholdys überhaupt steht es schon äußerlich im denkbar größten Gegensatz zu Fanny Hensels Klavierschaffen. Weder Kürze noch Einfachheit sollten jedoch über die Bedeutung der Chorliedminiaturen Felix Mendelssohn Bartholdys hinwegtäuschen, die gerade aufgrund ihrer äußeren Begrenztheit als Prototypen seiner Auseinander-setzung mit dem Goethe-Zelterschen Liedideal angesehen werden können. Das „Chor-lied“ fehlt in keiner der zu Felix Mendelssohn Bartholdys Lebzeiten herausgegebenen Sammlungen mit Liedern ohne Worte. Wie wichtig ihm selbst die chorliedartigen Miniaturen waren, ist darüber hinaus an dem zentralen Platz abzulesen, den er ihnen jeweils in der Mitte der ersten drei Hefte zuwies.

Fanny Hensel nimmt den Dialog mit dem Lied ihres Bruders zunächst über das be-kannte Thema von op. 30,3 auf. Die erste Melodiephrase von op. 6,1 korrespondiert in ihrem rhythmisch-metrischen Grundmuster sowie ihrem melodischen Gestus deutlich hörbar mit derjenigen aus Felix Mendelssohn Bartholdys Lied. […] Während sich die HörerInnen von Felix Mendelssohn Bartholdys op. 30,3 durch das Eingangsritornell eingestimmt auf Tonart, Tonraum, Taktart und Tempo in der berechtigten Erwartung eines liebenswürdigen Stücks ohne weitere Überraschungen […] beruhigt zurücklehnen können, werden sie in Fanny Hensels op. 6,1 bereits beim Einsatz des Themas verun-sichert. Analog zu op. 30,3 eröffnet sie ihr Lied zwar ebenfalls mit einer kurzen Einstim-mung auf die Tonart As-Dur, die Melodie setzt jedoch schon nach einem halben Takt

Brieftheorie des 18. Jahrhunderts ein „guter bürgerlicher Brief“ zu genügen hatte: Er sollte ein Gespräch ersetzen und den – in diesem Fall eben altbekannten und ver-trauten – Verfasser bei der Adressatin vertreten. Fanny Hensel, der der Weg in eine anonyme Öffentlichkeit versperrt war, mußte der musikalische Gesprächspartner zugleich das sachverständige Publikum ersetzen. Für den an den Bruder adressierten Liederkreis fordert sie ausdrücklich die Haltung eines „Collegen“ ein: Eben habe ich meine Lieder fertig geschrieben und bitte Dich, verfahre damit, nicht als seyen sie aus der Ferne an Dich gerichtet, denn das giebt der Sache nur einen relativen Werth, sondern als hätte ich Lieder mit den und den Fehlern gemacht, und bäte Dich um eine kritische Rücksicht darauf.

Fanny Hensel geriet nicht durch das Komponieren an sich in Widerspruch zum Frauenbild ihrer Zeit, vor dessen Hintergrund Vater und Brüder ihr verboten, Musik als ihren Beruf zu betrachten. Komponieren als „gesellige Erbauung im häuslichen Rah-men“ – oder in dessen Verlängerung auch als Kommunikation mit den abwesenden Mitgliedern des Hauses – war durchaus mit den gesellschaftlichen Rollenzuweisungen an eine Frau vereinbar. Lieder mit und ohne Worte, die als Ergüsse unmittelbarer Emp-findung galten und nicht als „tönende Erkenntnis“, – wie die Sonatenform mit ihren Verfahren thematisch-motivischer Arbeit – schienen nach den Vorstellungen der Zeit diesem Rahmen angemessen. Ein Widerspruch zu den an sie gerichteten Rollenerwar-tungen ergab sich für Fanny Hensel erst aus dem Wunsch, mit ihrer Musik an die Öf-fentlichkeit zu treten. Maßgeblich hierfür waren auch die Bedingungen der Autorschaft selbst: Wir haben früher darüber gesprochen, und ich bin immer noch derselben Mei-nung, – ich halte das Publiciren für etwas Ernsthaftes (es sollte das wenigstens sein) und glaube, man solle es nur thun wenn man als Autor ein Leben lang auftreten und da-stehen will. Dazu gehört aber eine Reihe von Werken, eins nach dem andern, – von einem oder zweien ist nur Verdruß von der Öffentlichkeit zu erwarten, oder es wird ein sogenanntes Manuscript für Freunde, was ich auch nicht liebe. Ein Autor ist ein einzel-ner, er schafft nicht nur Werke, sondern „ein Werk“. Die Einheit des Autors und des Werks ergeben sich aus „einer Reihe von Werken“, die sich aufeinander beziehen – oder auch voneinander abgrenzen lassen. Adressierte Texte – oder adressierte Musik

– stören diese Einheit, denn sie implizieren die Antwort eines anderen. So verstanden ist der Begriff Autor […] der Angelpunkt für die Individualisierung in der Geistes-, Ideen- und Literaturgeschichte. (Michel Foucault, Was ist ein Autor?) Er macht – auch in der Musikgeschichte – den Kontext unsichtbar, in dem die Werke produziert werden, und schließt Frauen gleich in doppeltem Sinne aus: erstens als „Mitautorinnen“, Material-lieferantinnen oder auch als „Frau an seiner Seite“, und zweitens durch den unauflös-baren Widerspruch zu einem Rollenbild, das es einer Frau verwehrte, sich überhaupt als „einzelne“ zu denken. Ein weiblicher Autor war eine „contradictio in adjecto“.

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Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847)

Nachtlied

Vergangen ist der lichte Tag;

Von ferne kommt der Glocken Schlag.

So reist die Zeit die ganze Nacht,

Nimmt manchen mit, der’s nicht gedacht.

Wo ist nun hin die bunte Lust,

Des Freundes Trost und treue Brust,

Des Weibes süßer Augenschein?

Will keiner mit mir munter sein?

Da’s nun so stille auf der Welt,

Ziehn Wolken einsam übers Feld,

Und Feld und Baum besprechen sich, –

O Menschenkind, was schauert dich?

Wie weit die falsche Welt auch sei,

Bleibt mir doch Einer nur getreu,

Der mit mir weint, der mit mir wacht,

Wenn ich nur recht an ihn gedacht.

Frisch auf denn, liebe Nachtigall,

Du Wasserfall mit hellem Schall!

Gott loben wollen wir vereint,

Bis daß der lichte Morgen scheint!

Joseph von Eichendorff (1788–1857)

Die Liebende schreibt

Ein Blick von deinen Augen in die meinen,

Ein Kuß von deinem Mund auf meinem

Munde,

Wer davon hat, wie ich, gewisse Kunde,

Mag dem was anders wohl erfreulich

scheinen?

Entfernt von dir, entfremdet von den

Meinen,

Führ’ ich stets die Gedanken in die Runde

Und immer treffen sie auf jene Stunde,

Die einzige: da fang’ ich an zu weinen.

Die Träne trocknet wieder unversehens:

Er liebt ja, denk’ ich, her, in diese Stille,

O solltest du nicht in die Ferne reichen?

Vernimm das Lispeln dieses Liebewehens;

Mein einzig Glück auf Erden ist dein Wille,

Dein freundlicher zu mir; gib mir ein

Zeichen!

Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832)

Allnächtlich im Traume seh’ ich dich

Allnächtlich im Traume seh’ ich dich

Und sehe dich freundlich grüßen,

Und laut aufweinend stürz’ ich mich

Zu deinen süßen Füßen.

Du siehst mich an wehmütiglich

Und schüttelst das blonde Köpfchen;

Aus deinen Augen schleichen sich

Die Perlentränentröpfchen.

Du sagst mir heimlich ein leises Wort

Und gibst mir den Strauß von Zypressen.

Ich wache auf, und der Strauß ist fort,

Und das Wort hab’ ich vergessen.

Heinrich Heine (1797–1856)

ein, und zwar in Quintlage und über einer betonten Durchgangsdissonanz im Baß. Wenn die Melodie im zweiten Takt auf betonter Zeit zum ersten Mal den Grundton er-reicht, erklingt dazu mit f-Moll die Tonika-Parallele. Schon am Anfang werden wir also darauf vorbereitet, daß die Grundtonart des Liedes immer in der Schwebe bleibt. [ …] Fanny Hensel erweist sich in ihrem Lied als „musikalische Vagabundin“, die weder in der selbstgewählten Tonart beheimatet ist, noch zu der Melodie zurückfindet, die sie eingangs in Anknüpfung an das Lied ihres Bruders anstimmt. Vagabundin ist sie auch in ihrer Behandlung der Gattung, die ihr als Frau zugewiesen war und die sie sich an-geeignet hatte. Sie sprengt die Form von der Melodie her – von innen heraus – ohne daß die Sonatenform, die unter dem Deckmantel des Liedes hervorscheint, als solche erreicht würde. Aneignung wird dabei zum grundsätzlichen Infragestellen aller Vor-gaben durch die ihr „auferlegte“ Gattung. Aus dem Dialog mit dem schlichten Lied des Bruders, in dem Fanny Hensel diese für sie durchaus typische Form der Aneignung der seinen gegenüberzustellen scheint, spricht neben aller Vergeblichkeit, mit der ihr Lied gegen die eigenen Grenzen anzurennen scheint, zugleich das Selbstbewußtsein, – im Lied zwar keine kompositorische „Heimat“ gefunden, durch dieses hindurch jedoch eine eigene Stimme bewahrt zu haben.

Aus: Cornelia Bartsch: Das Lied ohne Worte op. 6,1 als offener Brief, in: Beatrix Borchard und Monika Schwarz-Danuser (Hrsg.): Fanny Hensel geb. Mendelssohn Bartholdy. Komponieren zwischen Geselligkeitsideal und romantischer Musikästhetik. 2. Auflage Kassel 2002).

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Der Herbstwind rüttelt die Bäume

Der Herbstwind rüttelt die Bäume,

Die Nacht ist feucht und kalt;

Gehüllt im grauen Mantel

Reite ich einsam, einsam im Wald.

Und wie ich reite, so reiten

Mir die Gedanken voraus;

Sie tragen mich leicht und luftig

Nach meiner Liebsten Haus.

Die Hunde bellen, die Diener

Erscheinen mit Kerzengeflirr;

Die Wendeltreppe stürm' ich

Hinauf mit Sporengeklirr.

Im leuchtenden Teppichgemache,

Da ist es so duftig und warm,

Da harret meiner die Holde,

Ich fliege in ihren Arm!

Es säuselt der Wind in den Blättern,

Es spricht der Eichenbaum:

«Was willst Du, törichter Reiter,

Mit Deinem törichten Traum?»

Heinrich Heine (1797–1856)

Ach Lieb, ich muß nun scheiden

Ach Lieb, ich muß nun scheiden,

gehn über Berg und Tal,

die Erlen und die Weiden,

die weinen allzumal.

Sie sahn so oft uns wandern

zusammen an Baches Rand,

das eine ohn' den andern

geht über ihren Verstand.

Die Erlen und die Weiden

vor Schmerz in Tränen stehn,

nun denket, wie's uns beiden

erst muß zu Herzen gehn.

Felix Dahn (1834–1912)

Herbstlied

Ach, wie so bald verhallet der Reigen,

Wandelt sich Frühling in Winterzeit!

Ach, wie so bald in traurendes Schweigen

Wandelt sich alle die Fröhlichkeit!

Bald sind die letzten Klänge verflogen!

Bald sind die letzten Sänger gezogen!

Bald ist das letzte Grün dahin!

Alle sie wollen heimwärts ziehn!

Ach, wie so bald verhallet der Reigen,

Wandelt sich Lust in sehnendes Leid.

Wart ihr ein Traum, ihr Liebesgedanken?

Süß wie der Lenz und schnell verweht?

Eines, nur eines will nimmer wanken:

Es ist das Sehnen, das nimmer vergeht.

Ach, wie so bald verhallet der Reigen!

Ach, wie so bald in traurendes Schweigen

Wandelt sich alle die Fröhlichkeit!

Karl Klingemann (1798–1862)

Auf dem Teich, dem Regungslosen

Auf dem Teich, dem Regungslosen,

Weilt des Mondes holder Glanz,

Flechtend seine bleichen Rosen

In des Schilfes grünen Kranz.

Hirsche wandeln dort am Hügel,

Blicken in die Nacht empor;

Manchmal regt sich das Geflügel

Träumerisch im tiefen Rohr.

Weinend muß mein Blick sich senken;

Durch die tiefste Seele geht

Mir ein süßes Deingedenken,

Wie ein stilles Nachtgebet.

Nikolaus Lenau (1802–1850)

Durch den Wald, im Mondenscheine

Durch den Wald, im Mondenscheine,

Sah ich jüngst die Elfen reuten;

Ihre Hörner hört ich klingen,

Ihre Glöckchen hört ich läuten.

Ihre weißen Rößlein trugen

Güldnes Hirschgeweih und flogen

Rasch dahin, wie wilde Schwäne

Kam es durch die Luft gezogen.

Lächelnd nickte mir die Köngin,

Lächelnd, im Vorüberreuten.

Galt das meiner neuen Liebe,

Oder soll es Tod bedeuten?

Heinrich Heine (1797–1856)

Leise zieht durch mein Gemüt

Leise zieht durch mein Gemüt liebliches

Geläute;

klinge, kleines Frühlingslied, kling hinaus

ins Weite.

Kling hinaus bis an das Haus, wo die

Veilchen sprießen!

Wenn du eine Rose schaust, sag, ich lass sie

grüßen.

Heinrich Heine (1797–1856)

Wenn sich zwei Herzen scheiden

Wenn sich zwei Herzen scheiden,

Die sich dereinst geliebt,

Das ist ein großes Leiden,

Wie's größ'res nimmer gibt.

Es klingt das Wort so traurig gar:

Fahr' wohl, fahr' wohl auf immerdar!

Wenn sich zwei Herzen scheiden,

Die sich dereinst geliebt.

Da ich zuerst empfunden,

Daß Liebe brechen mag:

Mir war's, als sei verschwunden

Die Sonn' am hellen Tag.

Mir klang's im Ohre wunderbar:

Fahr' wohl, fahr' wohl auf immerdar!

Da ich zuerst empfunden,

Daß Liebe brechen mag.

Mein Frühling ging zur Rüste,

Ich weiß es wohl, warum;

Die Lippe, die mich küßte,

Ist worden kühl und stumm.

Das eine Wort nur sprach sie klar:

Fahr' wohl, fahr' wohl auf immerdar!

Mein Frühling ging zur Rüste,

Ich weiß es wohl, warum.

Emanuel Geibel (1815–1884)

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Ein Schifferkleid trag’ ich

zur selbigen Zeit,

und zitternd dir sag’ ich:

das Boot ist bereit!

O komm jetzt, wo Lunen

noch Wolken umzieh’n,

laß durch die Lagunen,

Geliebte, uns flieh’n!

Thomas Moore (1779–1852)

Übers. Ferdinand Freiligrath (1810–1876)

Des Mädchens Klage

Der Eichwald braust, die Wolken ziehn,

Das Mägdlein sitzt an Ufers Grün,

Es bricht sich die Welle mit Macht,

mit Macht,

Und sie seufzt hinaus in die finstre Nacht,

Das Auge von Weinen getrübet.

„Das Herz ist gestorben, die Welt ist leer,

Und weiter gibt sie dem Wunsche nichts

mehr,

Du Heilige, rufe dein Kind zurück,

Ich habe genossen das irdische Glück,

Ich habe gelebt und geliebet!“

Es rinnet der Tränen vergeblicher Lauf,

Die Klage, sie wecket die Toten nicht auf;

Doch nenne, was tröstet und heilet

die Brust

Nach der süßen Liebe verschwundener

Lust,

Ich, die Himmlische, will’s nicht versagen.

„Laß rinnen der Tränen vergeblichen Lauf,

Es wecke die Klage den Toten nicht auf!

Das süßeste Glück für die traurende Brust,

Nach der schönen Liebe verschwund’ner

Lust,

Sind der Liebe Schmerzen und Klagen.“

Friedrich Schiller (1759–1805)

Fanny Hensel (1805–1847)

Aus meinen Tränen

Aus meinen Tränen sprießen

Viel blühende Blumen hervor,

Und meine Seufzer werden

Ein Nachtigallenchor.

Und wenn du mich lieb hast, Kindchen,

Schenk’ ich dir die Blumen all’,

Und vor deinem Fenster soll klingen

Das Lied der Nachtigall.

Heinrich Heine (1797–1856)

Wenn ich in deine Augen seh’

Wenn ich in deine Augen seh’,

So schwindet all’ mein Leid und Weh;

Doch wenn ich küße deinen Mund,

So werd’ ich ganz und gar gesund.

Wenn ich mich lehn’ an deine Brust,

Kommt’s über mich wie Himmelslust;

Doch wenn du sprichst: ich liebe dich!

So muß ich weinen bitterlich.

Heinrich Heine (1797–1856)

Im wunderschönen Monat Mai

Im wunderschönen Monat Mai,

Als alle Knospen sprangen,

Da ist in meinem Herzen

Die Liebe aufgegangen.

Heinrich Heine (1797–1856)

Auf Flügeln des Gesanges

Auf Flügeln des Gesanges,

Herzliebchen, trag ich dich fort,

Fort nach den Fluren des Ganges,

Dort weiß ich den schönsten Ort;

Dort liegt ein rotblühender Garten

Im stillen Mondenschein,

Die Lotosblumen erwarten

Ihr trautes Schwesterlein.

Die Veilchen kichern und kosen,

Und schaun nach den Sternen empor,

Heimlich erzählen die Rosen

Sich duftende Märchen ins Ohr.

Es hüpfen herbei und lauschen

Die frommen, klugen Gazelln,

Und in der Ferne rauschen

Des heil’gen Stromes Well’n.

Dort wollen wir niedersinken

Unter dem Palmenbaum,

Und Liebe und Ruhe trinken,

Und träumen seligen Traum.

Heinrich Heine (1797–1856)

Venetianisches Gondellied

Wenn durch die Piazetta

die Abendluft weht,

dann weißt du, Ninetta,

Wer wartend hier steht.

Du weißt, wer trotz Schleier

und Maske dich kennt,

Wie die Sehnsucht

im Herzen mir brennt.

Cécile Mendelssohn Bartholdy, geb. Jeanrenau, 1846.

Portrait von Eduard Magnus (1799–1872).

Felix Mendelssohn Bartholdy, 1830.

Portrait von James Warren Childe.

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Wanderlied

Von dem Berge zu den Hügeln,

Niederab das Tal entlang,

Da erklingt es wie von Flügeln,

Da bewegt sichs wie Gesang;

Und dem unbedingten Triebe

Folget Freude, folget Rat,

Und dein Streben, sei’s in Liebe!

Und dein Leben sei die Tat.

Denn die Bande sind zerrissen,

Das Vertrauen ist verletzt;

Kann ich sagen, kann ich wissen,

Welchem Zufall ausgesetzt,

Ich nun scheiden, ich nun wandern,

Wie die Witwe trauervoll,

Statt dem Einen, mit dem Andern

Fort und fort mich wenden soll!

Bleibe nicht am Boden heften,

Frisch gewagt und frisch hinaus!

Kopf und Arm mit heitern Kräften,

Überall sind sie zu Haus;

Wo wir uns der Sonne freuen,

Sind wir jede Sorge los,

Daß wir uns in ihr zerstreuen,

Darum ist die Welt so groß.

Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832)

Warum sind denn die Rosen so blaß

Warum sind denn die Rosen so blaß?

o sprich mein Lieb warum?

Warum sind denn im grünen Gras

die blauen Veilchen so stumm?

Warum singt denn mit so kläglichem Laut,

die Lerche in der Luft?

Warum steigt denn aus dem Balsamkraut

verwelkter Blütenduft?

Warum scheint denn die Sonn’ auf die Au,

so kalt und verdrießlich herab?

Warum ist denn die Erde so grau,

und öde wie ein Grab?

Warum bin ich selbst so krank und trüb?

Mein liebes Liebchen sprich

O sprich mein herzallerliebstes Lieb,

warum verließest du mich?

Heinrich Heine (1797–1856)

Maienlied

Läuten kaum die Maienglocken,

Leise durch den lauen Wind,

Hebt ein Knabe froh erschrocken,

Aus dem Grase sich geschwind.

Schüttelt in den Blütenflocken,

Seine feinen blonden Locken,

Schelmisch sinnend wie ein Kind.

Und nun wehen Lerchenlieder

Und es schlägt die Nachtigall,

Von den Bergen rauschend wieder

Kommt der kühle Wasserfall.

Rings im Walde bunt Gefieder,

Frühling, Frühling ist es wieder

Und ein Jauchzen überall.

Und den Knaben hört man schwirren,

Goldne Fäden, zart und lind,

Durch die Lüfte künstlich wirren,

Und ein süsser Krieg beginnt.

Suchen, fliehen, schmachtend irren,

Bis sich Alle hold verwirren.

O besel’gend Labyrinth!

Joseph von Eichendorff (1788–1857)

Nachtwanderer

Ich wandre durch die stille Nacht,

Da schleicht der Mond so heimlich sacht

Oft aus der dunkeln Wolkenhülle,

Und hin und her im Tal,

Erwacht die Nachtigall

Dann wieder alles grau und stille.

O wunderbarer Nachtgesang,

Von fern im Land der Ströme Gang,

Leis Schauern in den dunkeln Bäumen --

Irrst die Gedanken mir,

Mein wirres Singen hier,

Ist wie ein Rufen nur aus Träumen.

Joseph von Eichendorff (1788–1857)

Bitte

Weil' auf mir, du dunkles Auge,

Übe deine ganze Macht,

Ernste, milde träumerische,

Unergründlich süße Nacht.

Nimm mit deinem Zauberdunkel

Diese Welt von hinnen mir,

Daß du über meinem Leben

Einsam schwebest für und für.

Nikolaus Lenau (1802–1850)

Sechs Lieder für eine Stimme mit Begleitung des Pianoforte (op. 1)

Schwanenlied

Es fällt ein Stern herunter

aus seiner funkelnden Höh,

das ist der Stern der Liebe,

den ich dort fallen seh.

Es fallen vom Apfelbaume,

der weißen Blätter so viel,

es kommen die neckenden Lüfte,

und treiben damit ihr Spiel.

Es singt der Schwan im Weiher,

und rudert auf und ab,

und immer leiser singend,

taucht er ins Flutengrab.

Es ist so still und dunkel,

verweht ist Blatt und Blüt’,

der Stern ist knisternd zerstoben,

verklungen das Schwanenlied.

Heinrich Heine (1797–1856)

Fanny und Wilhelm Hensel.

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50˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Morgenständchen

In den Wipfeln frische Lüfte,

Fern melod’scher Quellen Fall

Durch die Einsamkeit der Klüfte,

Waldeslaut und Vogelschall,

Scheuer Träume Spielgenossen,

Steigen all’ beim Morgenschein

Auf des Weinlaubs schwanken Sprossen

Dir in’s Fenster aus und ein.

Und wir nah’n noch halb in Träumen

Und wir thun in Klängen kund,

Was da draußen in den Bäumen

Singt der weite Frühlingsgrund.

Regt der Tag erst laut die Schwingen:

Sind wir Alle wieder weit –

Aber tief im Herzen klingen

Lange nach noch Lust und Leid.

Joseph von Eichendorff (1788–1857)

Gondellied

O komm zu mir, wenn durch die Nacht

Wandelt das Sternenheer,

Dann schwebt mit uns in Mondespracht

Die Gondel übers Meer.

Die Luft ist weich wie Liebesscherz,

Sanft spielt der goldne Schein,

Die Zither klingt und zieht dein Herz

Mit in die Lust hinein.

O komm zu mir, wenn durch die Nacht

Wandelt das Sternenheer,

Dann schwebt mit uns in Mondespracht

Die Gondel übers Meer.

Das ist für Liebende die Stund’,

Liebchen, wie ich und du;

So friedlich blaut des Himmels Rund,

Es schläft das Meer in Ruh.

Und wie es schläft, da sagt der Blick,

Was keine Zunge spricht,

Die Lippe zieht sich nicht zurück,

Und wehrt dem Kusse nicht.

O komm zu mir, wenn durch die Nacht

Wandelt das Sternenheer,

Dann schwebt mit uns in Mondespracht

Die Gondel übers Meer.

Thomas Moore (1779–1852)

Übers. Emanuel Geibel (1815–1884)

September Fließe, fließe, lieber Fluß Nimmer werd ich froh.

Mai Nun blüht das fernste, tiefste Thal.

Fanny Hensel, Das Jahr – mit Gedichten und Vignetten von Wilhelm Hensel

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53˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

52˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Ach! wie ist es doch gekommen

Ach! wie ist es doch gekommen,

Daß die ferne Waldespracht

So mein ganzes Herz genommen,

Mich um alle Ruh gebracht.

Wenn von drüben Lieder wehen,

Waldhorn gar nicht enden will,

Weiß ich nicht, wie mir geschehen,

Und im Herzen bet ich still.

Könnt ich zu den Wäldern flüchten,

Mit dem Grün in frischer Lust

Mich zum Himmelsglanz aufrichten –

Stark und frei wär da die Brust!

Hörnerklang und Lieder kämen

Nicht so schmerzlich an mein Herz,

Fröhlich wollt ich Abschied nehmen,

Zög auf ewig wälderwärts.

Joseph von Eichendorff (1788–1857)

Suleika

Ach, um deine feuchten Schwingen,

West, wie sehr ich dich beneide:

Denn du kannst ihm Kunde bringen

Was ich in der Trennung leide!

Die Bewegung deiner Flügel

Weckt im Busen stilles Sehnen;

Blumen, Auen, Wald und Hügel

Stehn bei deinem Hauch in Tränen.

Doch dein mildes sanftes Wehen

Kühlt die wunden Augenlider;

Ach, für Leid müßt’ ich vergehen,

Hofft’ ich nicht zu sehn ihn wieder.

Eile denn zu meinem Lieben,

Spreche sanft zu seinem Herzen;

Doch vermeid’ ihn zu betrüben

Und verbirg ihm meine Schmerzen.

Sag’ ihm, aber sag’s bescheiden:

Seine Liebe sei mein Leben,

Freudiges Gefühl von beiden

Wird mir seine Nähe geben.

Marianne von Willemer (1784–1860)

Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832)Johann Wolfgang von Goethe West-östlicher Divan Blumen- und Zeichenwechsel

Um nicht zu viel Gutes von der sogenannten Blumensprache zu denken oder etwas Zartgefühltes davon zu erwarten, müssen wir uns durch Kenner belehren lassen. Man hat nicht etwa einzelnen Blumen Bedeutung gegeben, um sie im Strauß als Geheim-schrift zu überreichen, und es sind nicht Blumen allein, die bei einer solchen stummen Unterhaltung Wort und Buchstaben bilden, sondern alles Sichtbare, Transportable wird mit gleichem Rechte angewendet.

Doch wie das geschehe, um eine Mitteilung, einen Gefühl – und Gedankenwechsel hervorzubringen, dieses können wir uns nur vorstellen, wenn wir die Haupteigen-schaften orientalischer Poesie vor Augen haben: den weit umgreifenden Blick über alle Weltgegenstände, die Leichtigkeit zu reimen, sodann aber eine gewisse Lust und Richtung der Nation, Rätsel aufzugeben, wodurch sich zugleich die Fähigkeit ausbildet,

Moritz Daniel Oppenheim (1800–1882),

Felix Mendelssohn-Bartholdy spielt vor Goethe, 1864.

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54˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

55˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Trauben, die blauen Soll ich vertrauen? Quecken Du willst mich necken. Nelken Soll ich verwelken? Narzissen Du mußt es wissen. Veilchen Wart ein Weilchen. Kirschen Willst mich zerknirschen. Feder vom Raben Ich muß dich haben. Vom Papageien Mußt mich befreien. Maronen Wo wollen wir wohnen? Blei Bin dabei. Rosenfarb Die Freude starb. Seide Ich leide. Bohnen Will dich schonen. Majoran Geht mich nichts an. Blau Nimm’s nicht genau. Traube Ich glaube. Beeren Will’s verwehren. Feigen Kannst du schweigen? Gold Ich bin dir hold. Leder Gebrauch die Feder. Papier So bin ich dir. Maßlieben Schreib nach Belieben. Nachtviolen Ich laß es holen. Ein Faden Bist eingeladen. Ein Zweig Mach keinen Streich. Strauß Ich bin zu Haus. Winden Wirst mich finden. Myrten Will dich bewirten. Jasmin Nimm mich hin. Melissen *** auf einem Kissen. Zypressen Will’s vergessen. Bohnenblüte Du falsch Gemüte. Kalk Bist ein Schalk. Kohlen Mag der *** dich holen.

Und hätte mit Boteinah soNicht Dschemil sich verstanden,Wie wäre denn so frisch und frohIhr Name noch vorhanden?

Rätsel aufzulösen, welches denjenigen deutlich sein wird, deren Talent sich dahin neigt, Scharaden, Logogryphen und dergleichen zu behandeln.

Hiebei ist nun zu bemerken: wenn ein Liebendes dem Geliebten irgendeinen Ge-genstand zusendet, so muß der Empfangende sich das Wort aussprechen und suchen, was sich darauf reimt, sodann aber ausspähen, welcher unter den vielen möglichen Reimen für den gegenwärtigen Zustand passen möchte. Daß hiebei eine leidenschaft-liche Divination obwalten müsse, fällt sogleich in die Augen. Ein Beispiel kann die Sache deutlich machen, und so sei folgender kleine Roman in einer solchen Korres-pondenz durchgeführt.

Die Wächter sind gebändigetDurch süße Liebestaten;Doch wie wir uns verständiget,Das wollen wir verraten;Denn, Liebchen, was uns Glück gebracht,Das muß auch andern nutzen,So wollen wir der LiebesnachtDie düstern Lampen putzen.Und wer sodann mit uns erreicht,Das Ohr recht abzufeimen,Und liebt wie wir, dem wird es leicht,Den rechten Sinn zu reimen.Ich schickte dir, du schicktest mir,Es war sogleich verstanden.

Amarante Ich sah und brannte. Raute Wer schaute? Haar vom Tiger Ein kühner Krieger. Haar der Gazelle An welcher Stelle? Büschel von Haaren Du sollst’s erfahren. Kreide Meide. Stroh Ich brenne lichterloh. Trauben Will’s erlauben. Korallen Kannst mir gefallen. Mandelkern Sehr gern. Rüben Willst mich betrüben. Karotten Willst meiner spotten. Zwiebeln Was willst du grübeln? Trauben, die weißen Was soll das heißen?

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56˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

57˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Vorstehende seltsame Mitteilungsart wird sehr bald unter lebhaften, einander gewogenen Personen auszuüben sein. Sobald der Geist eine solche Richtung nimmt, tut er Wunder. Zum Beleg aus manchen Geschichten nur eine.

Zwei liebende Paare machen eine Lustfahrt von einigen Meilen, bringen einen frohen Tag miteinander zu; auf der Rückkehr unterhalten sie sich, Scharaden aufzu-geben. Gar bald wird nicht nur eine jede, wie sie vom Munde kommt, sogleich erraten, sondern zuletzt sogar das Wort, das der andere denkt und eben zum Worträtsel um-bilden will, durch die unmittelbarste Divination erkannt und ausgesprochen.

Indem man dergleichen zu unsern Zeiten erzählt und beteuert, darf man nicht fürchten, lächerlich zu werden, da solche psychische Erscheinungen noch lange nicht an dasjenige reichen, was der organische Magnetismus zutage gebracht hat.

Hast mir dies Buch geweckt, du hast’s gegeben;Denn was ich froh, aus vollem Herzen, sprach,Das klang zurück aus deinem holden Leben,

Wie Blick dem Blick, so Reim dem Reime nach.

Marianne von Willemer, 1809.

Portrait von J.J. de Lose (1755–1813)

J.W. Goethes Ginkgo Biloba, Originalschrift von 1815 mit aufgeklebten Ginkgo-Blättern.

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58˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

59˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Stimme und Geige Amalie und Joseph Joachim – und Johannes Brahms

Von ewiger Liebe

Dunkel, wie dunkel in Wald und in Feld!

Abend schon ist es, nun schweiget die

Welt.

Nirgend noch Licht und nirgend noch

Rauch,

Ja, und die Lerche sie schweiget nun auch.

Kommt aus dem Dorfe der Bursche heraus,

Gibt das Geleit der Geliebten nach Haus,

Führt sie am Weidengebüsche vorbei,

Redet so viel und so mancherlei:

„Leidest du Schmach und betrübest du dich,

Leidest du Schmach von andern um mich,

Werde die Liebe getrennt so geschwind,

Schnell, wie wir früher vereiniget sind.

Scheide mit Regen und scheide mit Wind,

Schnell wie wir früher vereiniget sind.“

Spricht das Mägdelein, Mägdelein spricht:

„Unsere Liebe sie trennet sich nicht!

Fest ist der Stahl und das Eisen gar sehr,

Unsere Liebe ist fester noch mehr.

Eisen und Stahl, man schmiedet sie um,

Unsere Liebe, wer wandelt sie um?

Eisen und Stahl, sie können zergehn,

Unsere Liebe muß ewig bestehn!“

Wendisches Lied

Amalie Schneeweiss und Joseph Joachim.

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61˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

60˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Partnerwahl

Joseph Joachim an Heinrich JoachimHannover, 20.12.1862

Hannover, am 20ten

Lieber, guter Heinrichda du nichts mehr über dein Reisevorhaben schreibst, so schließe ich, daß es aufgescho-ben ist, aber ich hoffe sehr, nicht aufgehoben. Du wirst hier von allen unseren Bekannten den herzlichsten Empfang haben, und ich kann dir eine sehr angenehme, neue Bekannte versprechen, eine österreichische Sängerin, die eine wundervolle Stimme hat, und voll musikalischer und körperlicher Anmuth ist. Ein einfaches, seelenvolles Geschöpf, auf das die Bühne keinen nachtheiligen Einfluß gehabt hat, cosa rarissima!!

Joseph Joachim an Theodor Avé-LallementHannover, 31.1.1863

In der Bewunderung der Altistin Fräul. Weis treffen wir wieder einmal recht zusammen, lieber Avé! Ich meine, man hört es der Stimme schon an, eine wie reine, tiefe Natur in dem Mädchen wohnt, das seit dem 18ten Jahr den Vater verloren hat und später, Mutter und Schwester am Todtenbett pflegend, unberührt von jeder Spur des Theatertreibens in der weltlichen Kaiserstadt geblieben ist. Da ist die warme Kunstliebe einmal wieder recht eine Wundergabe vom Himmel gewesen, und ich glaube, daß das edle Mädchen bei der Echtheit ihres Strebens immer Höheres erreichen wird, sich und andern zum Trost. Bescheidenheit und Ehrgeiz gehen aber auch hier, wie sie sollen Hand in Hand.

Joseph Joachim an Johannes Brahms[Hannover],19.2.1863

Mein lieber Johannes,Ein großer Bogen – aber es wird doch wenig darauf kommen; das wenige aber ist wert von Dir gelesen zu werden: Du mußt meine BRAUT bald kennen lernen, teuerster Freund! Ich bin verlobt, ja, ja, ja, dreimal gesegnetes Wort. Meine Ursi heißt mit ihrem Familiennamen Schneeweiß, ist eine Steyermärkerin, und hat eine Altstimme, die man nur zu hören braucht, um von der Tiefe und Reinheit ihres Wesens zu wissen. Und nun erwarte nicht, daß ich dir vorschwärme, von ihrer Lieblichkeit und Schönheit, von ihrer Güte und ihrem Übermut, von allem was mich in Ernst und Scherz glückselig macht,

Ich lese ihre Briefe. Erstaunlich sind sie, sehr lebendig, witzig, voller Übermut, mitunter auch schlechtgelaunt. Manchmal seitenlang nur Koseworte – im Lesesaal der Hamburger Universitätsbibliothek, wo die Briefe aufbewahrt werden, gehen die Köpfe hoch – habe ich laut gelacht? Rasch aufs Papier geworfene Zeilen. Die Handschrift ist meist flüchtig, raumgreifend, Spuren eines Menschen, Berührungen auf Papier.

Die ersten 43 Briefe sind von ihr – wo sind die Antworten Joseph Joachims? Zumeist sind ihre Briefe undatiert; selten ist ein Ort angegeben, manchmal der Wochentag. Bevor ein Brief beginnt: Bleistifteintragungen des ältesten Sohnes – Datierungsversuche, oft sind verschiedene Jahreszahlen angegeben, dann wieder durchgestrichen. Auch sonst finden sich seine Lektürespuren. Wörter oder Namen, die er nicht lesen konnte, hat er über die Zeilen geschrieben, aber selten. Wie mag er sich beim Lesen der Briefe seiner Eltern gefühlt haben? Die jahrelangen gerichtlichen Auseinandersetzungen, die Scheidung, all das war vermutlich eine große Belastung für ihn. Als ältester Sohn vertrat er zwar den Vater, aber sicherlich hatte er auch eine enge Beziehung zur Mutter. Als erstes Kind wird Johannes Joachim oft in den Briefen erwähnt – Schwangerschaft und Geburt, der erste Zahn, die ersten Worte, später Schulärger.

Die frühesten Briefe Amalie Joachims stammen aus der kurzen Verlobungszeit im Frühjahr 1863. Der erste erhaltene Brief von Joseph Joachim wurde am 7. April 1865 aus London abgeschickt. Er datierte genau, aber auch seine Handschrift ist flüchtig. Sehnsüchtig nimmt er ihren spielerischen Ton auf. Das Schreiben war seine Sache nicht – das merkt man: Seite um Seite füllt er mit Angaben über Konzerte, teilt mit, daß er „erfolgreich“ gewesen sei, fragt nach den Kindern, erzählt wenig. Immer wieder fordert er Briefe von seiner Frau ein.

Auffällig ist der Unterschied zu seinen Briefen an Gisela von Arnim: Ihr gegenüber versuchte er sich im Jean Paulschen Schwärmton; die Briefe haben etwas seltsam Gespreiztes. Die im Plauderton geschriebenen Briefe an seine Frau hingegen wirken natürlicher: Briefe als Versuch, körperliche Nähe herzustellen?

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63˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Scholz] darf dies sehen – die anderen alle nicht, gelt? Wer sind doch die beiden Verehre-rinnen? Frl. Agathe doch nicht – was meinst du? Ich muß immer an die Arme denken u. glaube doch noch daß sie trotz all ihrer Lustigkeit dich recht lieb hat u. recht unglücklich ist, sei immer recht lieb mit ihr – doch nicht gar zu viel – ich weiß nicht was das Beste ist – wenn du lieb bist, wird es ihr gewiß noch schwerer dich zu vergessen. Thue, Herz, was du willst – wie kann ich dir etwas sagen! –

Ich will dich nun nicht mehr anders als „mein Joseph“ nennen – obwohl ich den Namen nicht ganz gerne habe. Du hast aber so geschrieben, u. nun wird er mir bald der Schönste sein. Mein Joseph! Ich bin deine Ursi – weißt du das schon?

Nun will ich noch einen traurigen Brief nach Wien schreiben – traurig nicht für mich! Ach, mein Joseph – könnte ich dir sagen, wie lieb ich dich habe!

Adieu, mein Herz, bald sehe ich dich u. dann will ich dir sagen, was du aus der Herzenstasche [?] genommen – u. was du damit gethan hast.Deine Ursi

Mittwoch •

Amalie Joachim an Joseph JoachimHannover, Frühjahr 1863

Wenn du fort bist, dann sehe ich immer wieder, wie du so mein liebes einziges Freundel bist, und daß ich doch gar nicht ohne dich leben könnte. Ich habe dich furchtbar lieb, wenn du neben mir sitzest u. wenn ich dich nicht habe – wird mir so – so weh – ich kanns dir gar nicht sagen u. ich möchte hinaus laufen u. den Kopf ganz in die Erden ver-graben u. mich todt weinen. Und so ist’s mir heute den ganzen Tag und ich weiß mir nicht zu helfen. – Dann war ich unter fremden Leuten heute u. habe alle lästigen Be-suche abgemacht – und war überall recht vernünftig u. dabei recht traurig. Ich habe doch neulich gesagt, du dürftest nicht mehr von mir fort – ich wollte mit dir gehen – u. nun ist’s doch wieder so. doch werde ich belohnt; denn Freitag ist Fidelio [Beethoven] u. ich würde mich noch viel mehr freuen, wenn du die Parthie mit mir durchnehmen könntest – u. nicht erst am selben Tag ankämst. da werde ich immer an dich denken – gar nicht ruhig sein – dich sehen wollen – mit dir wieder plaudern und dich küssen u. werde es nicht können nicht dürfen – wie dumm! Gelt, du kommst früh? nicht mit dem letzten Zug. Eigentlich ist es jetzt doch eine furchtbare Aufgabe für mich, noch solche Parthien leisten zu müssen. Ich bin doch nur halb bei der Sache u. kann mich zu ernstem Studium nicht mehr haben. – Wäre doch die Zeit schon herum! Ich sehne mich so nur für dich, nur in dir zu leben u. fühle zu gut, daß ich nicht die Kraft habe, es so lan-ge noch auszuhalten. –

von Stund’ zu Stunde mehr! Und lasse Dich von den gewöhnlichen Ideen, die leider mit unserer tiefgesunkenen Opernwelt zusammenhängen, nicht beirren, liebster Johannes, wenn du hörst, daß meine Braut der Bühne angehört seit ihrem 16ten Jahre (jetzt ist sie 23); Du wirst nichts davon merken, so einfach und rein ist ihr Sinn, ihre Erscheinung geblieben. Ich bin unaussprechlich glücklich. […] Adieu alter, ältester, liebster Johannes. Dein Joseph.

Amalie Schneeweiss an Bernhard Scholz[Hannover] 18.3.1863

Ich denke oft darüber nach, was wohl uns so schnell zusammen führte – und kann’s nicht finden. Ich bin doch ein so lächerlich dummes Ding, u. war’s noch viel mehr als ich hierher kam […]

Vor der Hochzeit

Amalie Joachim an Joseph JoachimGöttingen [?], Februar oder März 1863

Und ob, mein süßes E-----chen, ob ich bald wieder kommen werde! Hätte ich mich nicht geschämt u. mir nicht vorgenommen noch kurze Zeit vernünftig zu sein – so wäre ich auf der 1. Station schon wieder umgekehrt u. zu dir geflogen. Glaubst du denn, ich sehne mich nicht nach dir! Mir ist’s recht unbehaglich, u. traurig bin ich auch. Wie sehne ich mich wieder an deiner Seite zu sitzen – ganz still, u. meinen Kopf an dein liebes treues Herz zu legen: nur so bin ich glücklich! Gelt, wenn ich einmal zu sterben komme – so wirst du mich so halten – u. so werde ich dir mit dem letzten Blick noch sagen, wie lieb – wie unendlich lieb ich dich hatte.

Liebchen, ich schreibe dummes Zeug, u. wollte dir schon wieder viel erzählen – weiß doch nichts mehr! –

Ich hatte schon Probe, welche im Ganzen gut ging. Die liebe Leonore Ouverture [Beethoven] wird gemacht, welche ich erst in Münster hörte. Damals mit tausend Schmerzen u. heute! Ich bin so stolz, wie eine Königin da gesessen u. freute mich, daß die Leute noch nichts wußten – ich also noch so selig aussehen konnte oder so traurig – sie hatten keine Erklärung dafür. – Ist’s dir nicht auch peinlich – wenn du weißt, die Leute um dich herum denken: jetzt sieht er froh aus – er denkt an sie – oder warum schaut er so betrübt – ist sie nicht lieb – oder gut gegen ihn? Nur unser lieber Bär [Bernhard

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Hochzeit

Amalie Schneeweiss an Luise Scholzo.O. [Hannover], 23.5.1863

Ich habe mich doch zu einem weißen Kleide entschlossen u. mir eben schönen Mull dazu ausgesucht. Darüber nehme ich eine Wolke von Seidentüll – u. gleichen recht großen Schleier. Jo soll eine schöne Braut finden – und ich will auch mich einst an eine weiße Braut erinnern. […] Da ich aber Sonntag noch singe wird die Hochzeit wohl erst später sein – ich glaube Mittwoch den 3ten. Mittwoch ist ja der Tag wo wir uns fanden so soll er uns auch vor der Welt vereinigen! – Unser Häuschen sieht so hübsch als nur möglich aus – u. ich freue mich unendlich darauf. Die meubles werden recht hübsch u. Alles wird schön sein! Ich habe nun den Stoff gewählt u. in’s grüne tief rothen Sammt – in mein Erkerstübchen Kornblauen Rips gewählt.

Joseph Joachim an Ellen Joachim o.O.u.D.[Hannover, 10.6.1863]

Dearest Ellen,I write in my wedding dress, for I am just about to leave for going to church. It is the Schloßkirche, and the blessed hour for changing our rings (is it the same ceremony in England Ringe wechseln?) is 12.

Schwanger oder: „Die natürliche Consequenz von dem allen aber ist, daß meine Frau keinesfalls reisen kann …“

Amalie Joachim an Joseph JoachimHannover, 18.2.1863 oder 1864

Liebstes bestes MuzelMußtest du dich denn vor dem Concert durch Proben caput machen lassen? Ich wollte den verschiedenen Directoren nichts spielen wol aber was ’malen’ u. nicht zur Probe kommen, treiben Sie’s zu toll. Du kommst dann müde u. angegriffen zur Uzzi u. erzählst ihr nichts u. bist krank. –

Ich bin recht müde, lieber Freund, u. will zu Ruhe. Gut Nacht u. halt deine Ursi lieb!

Dienstag Abend.

Die erste Wohnung

Amalie Joachim an Joseph Joachimo.O. [Hannover], 26.3.1863

Grüß Gott, mein lieber, lieber Mann! Soll ich dir noch mehr schreiben? Ich meine, du wolltest nur einen Gruß, gelt? Nun, ich bin aber sehr brav, und will dir noch erzählen, wie furchtbar lieb ich heute war. Ich bin nämlich mit Luisen [Luise Scholz] in die schöne Wohnung gegangen u. habe mich in den Keller führen lassen, um höchst eigenäugig nachzusehen, ob es feucht sei, habe ihn aber recht hübsch und trocken gefunden. Dann war ich den ganzen Abend bei Luisen, u. wir haben die Wohnung ganz wunderschön ein-gerichtet – überhaupt höchst nützliche hausfrauliche Gespräche geführt. So habe ich im-mer von dir sprechen können und habe dich dabei immer lieber u. lieber bekommen u. kann es nun vor Sehnsucht nach dir kaum aushalten. –

Warum bist du doch so dumm, u. bist von mir fort u. warum bin ich so dumm u. gehe dir nicht nach? Ach, mein liebes Herz, warum ist’s denn nicht schon Mai? Ich frage zu dumm – drum – gut Nacht! […] Adieu, Liebes, tausend Grüßevon deiner Ursi

d 26 März 1863

Mir ist’s leid, ein unbeschriebenes Plätzchen fortzuschicken u. will dir doch nichts mehr vorerzählen. Soll ich von meiner Lieb u. Sehnsucht sprechen? gelt nein – das darf ich nicht. Du kannst sonst nicht ruhig bei den fremden Leuten bleiben. Bitte spiel recht schön, und denke dabei: an mich.

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haben. – Du hast lange auf Brief warten müssen. es schadet dir aber nicht. Kannst Du mal sehen, wie’s thut! Ich habe mich doch auch heute erst gefreut über den dicken Brief, war aber sehr enttäuscht – als ich Gedrucktes hervorzog. Du … In den Signalen stand neulich aus London. ’J. der Einzige ist wieder da’. Ist das nicht grob? Was sollst du den Leuten der Einzige sein? Das bist du mir und sonst hat gar niemand das Recht dich so zu nennen. Sag das den verdammten Engländern. Ich mochte die Kerle nie leiden – nun aber sind sie mir auch zuwider. –

Grüß deine Freunde aber doch, auch wenns Engländer sind. Was einen verrückten Brief von Schlesinger schickst du mir! das ist ja der höhere[?] Journaliste! – Sei so gut u. beantworte meine Fragen, sonst glaube ich, du hast eben so wenig Zeit meine Briefe zu lesen wie mir zu schreiben.Adieu,Uzzi

Amalie Joachim an Joseph Joachimo.O. [Hannover], 7.6.1864

Donnerstag d. 5ten

Lieb’s Joerl. Heute kam wieder Briefel – u. ich mußte herzlich darüber lachen. Na wart’ ich werd dich öfter warten lassen! Das trägt doch ein. Ich verschwende 5 Groschen nach-einander – u. schreibe mir die Finger krumm – u. habe keinen Lohn; nun bin ich mal nachlässig u. es bringt gute Früchte! Gut, Sonnl soll ich das überall einführen u. dich ein wenig kurz halten? -

In der einen schlaflosen Nacht scheinst Du meine Briefe durchgelesen zu haben – viel-leicht zum 1ten Mal! und da fällt dir eine unbeantwortete Frage auf. Nein, wie du lieb bist! Guck nach, Sonnl – ob nicht noch mehrere zu finden sind.

Von den Eltern erhielt ich gestern Brief. Die alten Klagen u. Vorwürfe! Ich werde ihnen einmal einen Brief schreiben, so wie sie gewöhnlich von mir kommen – nicht für sie ein-gerichtet – ob sie dann noch Lust zu mehr haben? – Wir wollen heute in den Wald fahren. es ist ziemlich hübsch und ich sehne mich nach Grün. (Um Gotteswillen, mißverstehe mich nicht!) Drei Wochen war ich nicht draußen u. das Herz ist mir schon eng! Übrigens wird dir unsere Wiese auch gefallen, wenn du sie wieder siehst. ich glaube sie gibt deinen berühmten englischen nicht viel nach. – Ich habe jetzt wenig Zeitung gelesen – u. weiß nicht wie es in der Welt aussieht – mir scheint aber doch daß die Engländer der Teufel holen soll – samt ihrer kleinen hübschen Prinzeß Wales

[Auf Seite drei unten ist ein kleiner viereckiger, rosafarbener Zettel mit einem aufge-nähten weißen Haar befestigt. Aufschrift:] dieses Haar ist von Ursis Kopf. Wenn du nicht bald kommst werden alle so weiß.

Muzzi! Uzzi ist auch krank, im Herzl. ihr thut’s weh um den Muzzi – u. wenns nit bald kommt so wirds schlimm. Der Hunderl ist auch fort u. nicht wieder kommen u. Uzzi ist ganz allein.

Ich war viel bei Menschen u. im Wald – es ist aber doch noch nicht Frühling, wenn ichs auch durchaus will! Und die Leute wissen alle, daß mein Hunderl fort ist, weil ich es habe ausrufen lassen. Denke, für 10 Groschen singt ein Kerl in jedem Hause der Stadt das traurig schöne Lied daß ein gelber Affenpinscher seiner Herrin treulos wurde, auf den Na-men Molly oder Nancy hört und der redliche Finder selben Hauptstr. 4 abgeben muß. Vor Ankauf wird gewarnt! Frage Stockh[ausen] ob er je für so billiges Honorar gesungen hat. –

Muzzi, Sevel, Miezel, Hansel, Thier, großes u. kleines, Mauzel, Viecherl, Afferl u. so fa. Leb wol! Spiel morgen recht schön. Wär ich dabei! Deine Uzzi

Amalie Joachim an Joseph JoachimHannover, Anfang Juni 1864

Freitag Abend 11 Uhr

Liebes gutes Joerl[…] Ich hatte heute wieder einen bösen Tag; war so verstimmt u. mißmuthig daß ich mir gar nicht zu helfen wußte; habe dir auch einen sehr unlieben Brief geschrieben – ihn aber doch nicht weg geschickt. Nun ist’s ein wenig heller in mir – und meine Feder plaudert nicht Dinge aus – die mein dummer Kopf ihr vorsagt. – denke Joerl – noch über 4 Wochen muß ich allein hier sein! Du hast doch keine Ahnung davon, wie traurig dies ist. –

Unsere Wohnung ist gar nicht mehr so lieb wie früher. Es geht gar nichts gut – u. sieht recht dumm u. unschön aus. Du wirst vielleicht wieder ein bißchen Harmonie in das Ganze bringen.

Sonnabend. So weit kam ich gestern, war aber zu müde um den Brief zu vollenden. Heut kam deiner an, u. ich bin recht froh darüber. Heute wird endlich die letzte Hand an unsere Wohnung gelegt u. dann ist wieder Ordnung.

Bis jetzt, mein Herzl, räuspere ich noch, werde aber morgen versuchen, ob ich singen kann – keinesfalls wird meine Stimme bis „in die Tiefe der Seele“ dringen. Sie wird sein so voll Wolken u. Schleim, wie der Hannoversche Himmel. – denke mal, die Blattern ha-ben sich hier gezeigt; da habe ich Angst bekommen u. mich gestern impfen lassen; und es geht an. Heute habe ich schon kleine Knöpfe auf dem Arm. Constanze ebenfalls. Bin ich nicht klug? Edel ist sehr besorgt um uns – u. wirklich recht lieb. Ich bin froh ihn hier zu

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Amalie Joachim an Joseph JoachimHannover, ca. 22.6.1864

Freitag

Liebes gutes MuzikanterlIch bin schon so ungeduldig und langweile mich furchtbar. Du Esel, komm doch mal u. sei ein bißchen lieb mit mir. – In den Signalen stand heute daß du in 8ten philharm. Concert dein Concert spielen wirst. Du schreibst mir auch gar nicht, was du spielst, wann u. wo.Das ist nicht lieb!

Amalie Joachim an Joseph JoachimHannover, 23.6.1864

den 23ten Juni 1864

Lieb’s Joerl!Ich werde nun etwas faul mit dem Schreiben, aber, mein Thierchen, es ist auch auf die Länge zu langweilig u. bleibst du noch fort – so schreibe ich am Ende gar nicht mehr. –

Willst du, daß ich dir einen Brief von Prinzeß Luise für sie schicke? ich thue’s mit Ver-gnügen u. wünsche daß es dir auch bekomme. Eigentlich ist’s doch ein Sündel daß du dort bist. Ein Deutscher Jo welcher sein Reisegeld mit welchem er zu seiner Frau nach-reisen sollte – für Schlaf Halst [?] wegschenkt – geht nun nach Engl. und spielt den Kerlen u. Lords Beethoven u. Bach vor. Pfui Gukuk – ich möcht’ nicht du sein! – Wieso spielst du in einer Matinee bei Lord Dudley? Bist du deinen ehemaligen Ansichten untreu gewor-den – oder der geladene Gast? Sollte dir Heinrich fürsorglicher Weise vorsagen, daß ein Gatte u. zukünftiger Vater Pflichten hat, sich so viel Geld zu verdienen als nur möglich? Bitte, lieb’s Joerl das darf nicht sein! Ich wollte lieber nicht so bequem leben, wie jetzt – nur thue du nichts anderes als sich im strengsten – strengsten Sinn mit unseren An-sichten vom Künstlerehre verträgt! doch, Dir sollte ich dies nicht sagen, du wirst nichts thun was mir wehe thut u. meinen Joerl ein bißchen nur von seiner Höhe bringt! Gelt?

1 Stunde später Lieb’s Vicherl, mein linkes Ärmchen ist schon ganz roth u. geschwollen – die 9 Knöpfe werden schon so groß u. beißen ganz stark. Ich muß natürlich kratzen darf aber am Arm nicht, thu’s aber im Gesicht. Gut daß du nicht hier bist sonst würdest du immer zanken. Die Uzzel ist stark krank, sie hat großes Wehweh u. das wird noch schlimmer werden. […]

Dienstag 12 UhrEben kommen so hübsche kleine Kleidchen u. Hemdchen. Alles sieht so lieb aus. Freust du dich denn gar nicht, Joerl? Was ich noch Schönes bestellt habe – weißt du noch gar nicht. denke: eine schöne Wiege. das Ganze ist von Eisen – schön bronziert. Ein schöner Guß mit Verzierungen u. sehr hübsch gearbeitet – wenigstens besagt dies die Zeichnung u. drin hängt von Drahtgeflecht ein schöner Korb. Es geht nicht zum wiegen das lasse ich fest machen. Es wird sehr schön aussehn, gelt? mit rother Seide wirds gefüttert u. kleine Kissen u. Decken kommen hinein u. eine kleine Prinzessin die schläft dadrin – u. weint nie – sie wird immer lustig sein – u. dich anlachen u. dann wieder kleine ganz fette Ärm-chen dir entgegenstrecken. Gelt? – Denke, eine hübsche weiße Decke wurde mir anonym geschickt. Ich möchte mal wissen von wem? Und viele ganz weiße Kleidchen sind da. Gelt, die Prinzessin muß – bis sie heirathet weiße Kleidchen tragen? u. rothe u. blaue Bänder im Zopf, das gefällt mir so gut u. schön muß sie sein, ganz fein u. blond wie ein Elf u. lange Haare bekommt sie auch. Und schöne feine Finger die spielen am Klavier herum u. sie spielt so schön auch ohne daß sie übt. Scalen werden nur gespielt und sin-gen muß sie wunderschön – Schubert – so fein u. schön wie ichs mir denken kann. Bist du zufrieden? Und die Wiege ist so stark daß alle die 4 Kinder, welche mir der Kuckuck versprochen hat, darin liegen u. strampeln können. das zweite ist ein dicker Prinz Groß u. stark. Na, das hat noch Zeit, bis ich mir bestelle wie der aussehen muß. – […]

Amalie Joachim

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Amalie Joachim an Joseph Joachimo.O.u.D. [Hannover, 30.6.1864]

Mein liebes Muzifankerl!Ich bin heute morgen ganz erschrocken über dein Brieferl! Was Unklares u. Dummes hab ich denn geschrieben, das dir Sorge machen konnte? Mein Liebchen, ich bin so klar u. ru-hig u. quäle mich auch gar nicht – weder mit „confessionellen Scrupeln“ noch mit „phi-losophischen Büchern“ – Mein gescheites Eselchen, die philosophischen Bücher der Un-ruh bestehen aus der Bibel u. etwas Kirchengeschichte was mich beides sehr interessiert mich aber weder körperlich noch geistig angreift. In mir und in meinem Häuschen ist aber kein Nebel! Ich bin ganz klar – u. freue mich meines Lebens u. bin recht faul! Bist du heute in 6 Tagen hier – so schreie ich Hurrah! i. freue mich gränzenlos – u. dann wirst du sehen, daß ich nicht um ein bißchen gescheiter geworden u. wenn möglich noch ver-rückter. Gott weiß, was ich dummes geschrieben habe, was dich so bewegen konnte. Ich glaube und hoffe aber, daß dich die Abwesenheit von deiner Uzzi ein wenig dumm macht u. du zwischen den Zeilen meiner Briefe noch recht viel gelesen hast, was nicht da stand. Eserl, denke nur immer daran, daß ich 25 Jahre alt bin – u. mich nun, wo ich so glücklich bin – wo nun Alles um mich Sonnenschein ist – mir kein dummes Zeug vorma-chen werde – u. jetzt, wo ich innere Ruhe so sehr brauche nicht anfangen werde. Also dummes, gescheites Esel, sei lieb, gut und brav komm bald u. glaube daß die Uzzel viel zu einfach ist, um sich mit unnöthigen Dingen zu quälen, daß sie ihren Gott fest im Herzerl hält. u. dich lieb hat! du kleiner Dummkopf!

Mertens kann ich deine Grüße nicht ausrichten – den sehe ich ja gar nicht. Glaubst du denn ich könnte ohne dich mit irgend einem fremden Menschen über so heilige Sa-chen sprechen? Ich werde doch nicht gleich nachdem du kaum beim Häuschen draußen bist – einen anderen Menschen hereinrufen – um mit ihm „philosophische Bücher“ zu studiren? Pfui tausend, Joerl, was bist du doch so dumm – du gescheites Eserl! Ich merke aber, daß du in großen Zweifeln befangen bist u. über etwas, was nicht weniger heilig ist.

„Dein Concert ist ein unklares Mittelding zwischen Sinfonie u. Concert“. Dies kommt dir wol nur jetzt so vor in dem Musik fernen London. Wärest Du nur nicht hingegangen – wenigstens nicht ohne mich! Ich fürchte, du bist recht müde, wenn du wieder kommst – und wirst recht lange brauchen ehe du in Stimmung kommst – wieder so ein „Mittelding“ fertig zu machen. Dein Concert ist schön u. gefällt mir, wird noch Vielen Freude machen – wenn auch die dummen Engländer es nicht gleich verstehen können. –

Eben war Hr. Landau hier. Fr. Wittgenstein schrieb mir auch u. sie wollte in 3 Wochen hier durchkommen – um mein Kindchen aus der Taufe zu heben. Ich antwortete sehr lieb u. dankte für jetzt – bäte aber für später. Bin ich klug?Adieu, mein Thierchen. Sei lieb u. hab mich lieb.Dein Uzzel.

Was du mir betreff meines Religionswechsel’s schreibst – ist recht lieb u. hübsch; ich freue mich auch mit dir darüber zu sprechen. doch kann ich deine Ansicht – es leichter zu nehmen – mich jetzt nicht zu quälen usw. nicht theilen. Wäre mein Leben jetzt abge-schlossen – so würde ich aber gar nichts thun – ich habe bis jetzt für mich genug gehabt

– habe in den schwersten Augenblicken immer Gottvertrauen besessen u. Ruhe u. Trost gefunden; nun aber treten in mein Leben neue Hoffnungen, neue Pflichten. Werde ich mit dem auskommen was ich in mir habe – um einem anderen Wesen so viel geben zu können, was dieses für sein Leben braucht? Werde ich erst auf kindliche – dann auf erns-tere Fragen genügende Antwort geben können? Schau, lieb’s Joerl, ich habe mein Leben immer noch zu leicht genommen – laß mich jetzt durch alles gehen – was sich nur biet-het was ich für mich nothwendig halte – um dann frei zu sein – um mit Klarheit in allen Lagen handeln zu können – um dem lieben kleinen Thierchen, dessen Herzchen täglich lebhafter schlägt so recht Mutter sein zu können – wie ich es wohl möchte. –

Frl. Unruh ist ja in vielem langweilig u. geht oft recht weit ab, aber sie hat so viel Liebes u. Gutes in sich u. hat sich jetzt so warm meiner angenommen – daß es Unrecht von mir wäre auch nur einen kleinen Scherz über sie machen zu lassen – u. ihr nicht von ganzem Herzen dankbar zu sein. Sie hat in keiner Weise sich an mich gedrängt, u. ich habe sie gebeten in dieser Sache eine Rathgeberin zu sein. Sie fürchtet nur, Du wirst es als Eingriff in Deine Rechte betrachten u. meint du wirst selbst mit mir alles lesen u. besprechen wollen. Ich habe sie ganz beruhigt. Du wirst nicht Zeit haben mit mir etwas zu treiben was längst hinter dir liegt – u. dir vielleicht nur Verstimmung bringt. –

Von Scholzens erhielt ich heute Brief. Sie werden dir nächstens schreiben; thue mir die Liebe u. antworte ihnen herzlich. Vielleicht läßt sich doch endlich über die Verstimmung wegkommen u. im nächsten Winter wird es dir gewiß oft lieb sein wen du Jemanden hast – mit dem du musicieren kannst. Er ist endlich doch eine liebe prächtige Natur u. schließlich der einzige Musicant hier. Sie schrieb lieb u. warm u. spricht so lieb von ihren Kindern u. meinem zukünftigen Glück, daß mir’s ganz warm wurde. – Beiliegenden Brief machte ich ganz gedankenlos auf, entschuldige! –

Grüße Heinrich u. Ellen. Miß Horsley zu schreiben kam ich noch nicht zu. Es wird aber dieser Tage gewiß geschehen.Tausend Grüße von Deiner U. […].

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Weise; die preußischen Offiziere wolen es aber nicht gelten lassen und besuchen deshalb keine Gesellschaft oder Concert, wo er erscheint. Er soll sich immer sehr taktvoll beneh-men. Mir wars sehr interessant ihn zu sehen. – Sonnabend ging der Zug zu früh fort – wir blieben also bis 5 Uhr. Es war recht hübsch da – da die Leute über unsere Musik wahr-haft selig waren u. dankbar. Den Sonntag wollte ich bei Fr. Stockhausen zubringen, be-kam aber den Morgen die Post daß sie mich nicht erwarten könne da sie – einen Jungen bekommen hätte. Stockhausen war an dem Tag, wo sie ihr Kind erwartete in Schwerin und sang ein Concert. Sie war froh, daß er nicht zu Hause war. Wen bewunderst du mehr? Ich wäre gestorben, wenn ich dich in dem Augenblick, wo unser drittes Ich zur Welt kam nicht hätte sehen können! Ich blieb Sonntag, Heute Montag früh mußten wir mit dem Dampfschiff nach Harburg – u. hier sind wir! Hier fand ich deinen Brief, und das Bubi so lieb als möglich und hübsch und mit einem zweiten Zähnchen! Das war recht schnell und wieder ganz gut. Das erste Zähnchen guckt oben ein wenig heraus und ist so klein und weiß. Du wirst dich freuen, wenn du das Bubi siehst! Es wird täglich hüb-scher und ist schon sehr groß. Ich habe mich heute gewundert wie es wächst. –Adieu – behalt mich lieb unds Mivi Dein Ursi

Das erste Kind: Johannes, geboren 12. September 1864

Amalie Joachim an Julie von AstenHannover, 23.9.1864

Hann. d. 23ten Sept. 1864

Liebe gute Schmulie!Mein lieber Jo hat nun doch vergessen im Drange der Geschäfte und Briefschaften Dir die Anzeige von dem wichtigen Ereignisse zu machen. Ich thue es nun selbst, obwohl noch mit zitternden Händen.

Am 12ten Sept. um 4 ½ Uhr Abends kam ein großer kräftiger Junge an. Der Schelm hat mich 17 Stunden recht gemartert, nun aber geht Alles gut, u. ich bin seit 4 Tagen wieder auf. Grüße Alle herzlich u. schreibe bald.

Ich kann heute noch nicht mehr erzählen. Wir sind aber sehr glücklich u. der kleine Junge ist sehr hübsch.Von HerzenDeine Ursi

Amalie Joachim an Joseph JoachimHannover, 20.3.1865

Montag d. 20ten

Joseph lieber Joseph mein!Vor einer Stunde kam ich von Hamburg – jetzt erst! wirst du denken – und habe so viel zu erzählen daß ich gar nicht weiß wo anfangen. In Hamburg war es sehr schön; Saul [Händel] ging Abends viel besser und mir u. Allen war es leid, daß Du nicht da warst. Ich war so gut bei Stimme wie seit Monaten nicht, und habe mit großer Lust u. Freude gesungen. Die Hamburger sagen ich hätte noch nie so schön gesungen. Freitag früh fuhren wir nach Kiel. Leider war schlechtes Wetter – furchtbarer Ostwind so daß ich ans große Wasserl [?] nicht fahren konnte. Ganz Kiel war in Aufregung über das Concert. Fr. Michaelis nahm uns sehr lieb auf. – Der Herzog kam ins Concert, was uns natürlich sehr aufregte. Er sieht gar angenehm u. hübsch aus: eine große kräftige Gestalt, kluges, hübsches u. etwas melancholisches Gesicht. Ich sang Blondchens Lied mußte unwill-kürlich bei den Worten „hoffe u. vertraue“ auf ihn sehen. Die Leute meinten, er sei sehr ergriffen gewesen u. hätte Thränen in den Augen gehabt. Wie schändlich wird doch der Mann behandelt! Die Kieler betrachten ihn als ihren Herren u. zeigen es ihm auf alle

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auf die Barthschen Briefe gleich antworten, daß du augenblicklich fort bist. […] Bagge will auch kommenDeine Uzzi

Joseph Joachim an Amalie JoachimZürich, 23.10.1866

Zürich am 23ten Oktbr

Liebes FrauerlHier siehts gar traurig aus, lauter Nebel und Regen! Aber gutes Orchester (auch in Basel) und Suser (Sauser) d. h. Most! Ich wollt ich könnt dir einen Schoppen schicken; schmeckt gut, Mama. Das Konzert in Basel fiel sehr gut aus, wir werden dort wohl nächste Woche eine Soirée geben, und hier heute über 8 Tagen eine. Der Theater-Director wollte mich engagiren, aber das nahm ich natürlich nicht an. Übrigens kommen eine Masse kleiner Städte mit Garantien 400-500 Frcs. Morgen spielen wir in Schaffhausen, Donnerstag über 8 Tage in Aardlau, Winterthur, Zopfingen etc wollen sie uns auch.

[quer über die Seite] Mit Brahms geht’s, sonst wäre das Herumspielen mit Saiten-plagen scheußlich. Spaßeshalber schicke ich Dir etwas Basler republikanische Réklame von einem der anständigsten Männer dort, Herrn Dr. Bernouilli, ein Mitglied der Concert- Direction. Das scheint Styl: Brahms wurde neulich der Mozart unserer Zeit in einem Artikel genannt. Wie mag’s erst Ulmann hier treiben!! In Zürich schlagen wir unser Hauptquartier auf, bis auf Weiteres adressiere nur immer an Rieter. Was machen die Mäuse? Und unsere beiden Mäuschen? Küsse sie ab vom Papa, der dir bald wieder schreibt, thu du es auch. Adieu, Liebes, Dein Jo.

Er auf Reisen mit Brahms

Joseph Joachim an Amalie JoachimLichtenthal, 18.10.1866

Lichtenthal den 18ten

Liebes KindIch bin gestern Nachmittag zwischen 3 u. 4 hier angekommen, und hatte in Frankfurt nur 20 Minuten, in Heidelberg 10 Aufenthalt, weil der Zug sich um 20 Min. für Frankfurt verspätet hatte. Dafür habe ich nun bloß noch knappe 4 Stunden nach Basel! Unterwegs schlief ich famos, u. da ich deine Stiefel anzog, ohne trotz Nachtkälte zu frieren; bin auch ganz frisch. Brahms war mir bis Station Oos entgegen gegangen. Abends ½ 7 hörten wir schon alle zusammen, die Entführung an, die scheußlich gesungen aber vom Orchester gut gespielt wurde. Was habt Ihr wohl während all der Zeit gemacht? Die beiden kl. Mivis gefüttert und gewaschen, großes Mivi, und an den Joerl gedacht? Wie er an Euch u. an Dich zu Allermeist? Na ja, so wird’s wohl gewesen sein. Das Fortreisen ist mir den Abend furchtbar schwer angekommen; es war aber doch richtig, daß ich nicht wieder aufschob. Man muß zu Zeiten hart gegen sich sein können. Hier habe ich wohl wirklich Freude gemacht, und ich soll dich tausendmal von allen grüßen. Frau Schumann wird nächstens (in 8 bis 14 Tagen) ihre Eugenie in der Pension zu Wolfenbüttel besuchen, auch möchte sie gerne zur Peri nach Hamburg. Das wird dich gewiß freuen. Wie es mit den Schweizer Konzerten aussieht wissen wir nicht; wir werden wol an manchen Orten welche geben, u. muß das doch schließlich was bringen, obwohl Rieter jetzt nicht sehr dazu rieth. Ich erwarte in Basel am 20ten ein Brieferl, und bin schon ganz vergnügt darüber. Küsse die Buben und grüße die Black und sei von Herzen umarmt von deinem einzigen Freunde.

Amalie Joachim an Joseph JoachimHannover, 19.10.1866

den 19ten

Liebster Joerl!Ich habe recht viele Mühe mit Hermann welcher entwöhnt wird. Die zwei Tage, die Maria fort war gingen ganz gut – aber als er sie gestern Nachmittag wieder sah, wollte er durchaus trinken. Ich habe ihn des Nachts bei mir u. heute Nacht kam er alle zwei Stunden. Es ist wirklich rührend wie kläglich er schreit – und nur mit großer Mühe ist er zu beruhigen. Ich hoffe in einigen Tagen sind wir aber in Ordnung mit ihm. Ich werde Johannes Brahms und Joseph Joachim 1867.

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Joseph Joachim an Amalie JoachimZürich, 31.10.1866

Mein liebes, gutes UzzerlBeifolgend das Programm von gestern Abend, das dir gewiß auch Freude macht. Jetzt fängt das Concertiren an mir Spaß zu machen, Brahms kömmt immer mehr in Zug mit Spielen.

Joseph Joachim an Amalie JoachimBasel, 6.11.1866

Lieb’s Mameli!Ich bin eben in der Fähre über den Rhein gefahren und auf den Bergen ein wenig ge-klettert […] Es hat etwas Rührendes wie er [Bülow] sich Liszt und Wagner aufopfert; schade daß seine guten Eigenschaften keinen anderen Begeisterungs-Kanal gefunden. Wir fahren fort uns zu meiden.

Joseph Joachim an Amalie JoachimMühlhausen, 11.11.1866

Liebes FrauerlWie geht’s dir? Ich verlange so sehr nach deinen Zügen; nun Avenue Montagne, 29. Eben will ich dahin abfahren; Bülow sitzt im Café des Hotels bei mir – er war mit seinem Schüler hierher nachgefahren, und als wir uns in einem schmalen Gang begegneten, und erst aneinander vorbeigegangen waren (wie in Basel) drehte er plötzlich um, und fiel mir um den Hals. Das klingt komisch – aber die Wärme von dem kleinen, polemischen politischen, Gott weiß was alles, Kerl that mir doch wohl. Wenn man Jugendzeit frisch miteinander verlebt, bleibt doch immer was davon im Herzen sitzen, und das ist gut.Das Concert war hier sehr voll; die Aufnahme enthusiastisch. Aber nun von Hamburg! Erzähle recht bald. Brahms und Bülow grüßen. Ich werde erst morgen früh zu Onkel Bernhard, komme zu spät an, und habe mich nicht gemeldet.Leb’ wohl, tausendfachliebes Herzl. Küße die Buben vom Papa.d. Jo

Joseph Joachim an Amalie JoachimZürich, 29.10.1866

Zürich, den 29ten Oktbr

Liebes KindWenn man so ein concertgebendes Leben führt, 4-5 Mal in der Woche zu spielen hat, so kommt man zu gar nichts. Dein Brieferl hab ich vorgestern in Bern vor dem Concert erhalten, nun wollte ich dir hier gestern Nachmittag antworten, es war aber für unser Concert morgen hier und für die anderen Städte so mancherlei zu besorgen, daß ich aber nicht dazu kam. Meinen Vorschlag und Wunsch, wie es scheint, das Holländ’sche Engagement anzunehmen, habe ich reiflich erwogen – mein Schluß ist aber, daß es wirk-lich nicht geht. Du darfst mir im Winter in der kalt feuchten holländischen Luft nicht vier Abende hinter einander singen und die Eisenbahnfahrten obendrein machen. Das vor allen Dingen. Nun aber auch möchte ich, da ich Pasdeloup einmal zugesagt habe, nicht ohne weiteres um ein paar Hundert Thaler vor der Zeit abhandeln.[Unten am Rande eingefügt: Ich hätte doch als eine Gefälligkeit es zu erbitten]

Man muß in Geschäftssachen streng gewissenhaft sein. Ferner ist, da ich schon einmal in Paris bin, 4 Wochen reichlich wenig Aufenthalt – mit noch geringerer Zeit hätte ich weder nutzen noch Genuß. Tröste dich also mein Utzerl; wir verlieren nicht einmal soviel, denn wenn ich wirklich in Paris eine Woche abknapste so müßte ich statt 400 mit 3000 frcs. fürlieb nehmen; außerdem aber rechne ich darauf auf dem Rückweg in Brüssel (1000 frcs.) zu spielen, und wer weiß was der Zufall sonst noch bringt. So lasse uns denn den ursprünglichen Plan festhalten und telegraphiere Gerlings ab; ohnehin ist’s schofel, daß die Leute uns zusammen gar so viel weniger biethen; etwas ließe man sich gefallen. Mein liebes gutes Mivi, ich finde eine so anstrengende Reise, wie wir sie im Januar vor-haben, ist diesen Winter nach der langen, langen Krankheit ganz genug. Wie geht’s denn die mit deinem Rheumatismus? Hast du schon Doppelfenster in der Schlafstube? Äscherst [?] du dich mit dem Hermäni auch Nachts nicht gar zu sehr ab? Hebst du den schweren Burschen, unsern Ältesten, auch nicht unnöthig?

Liebes, Gutes, schreibe mir darüber vor deiner Hamburger Reise. Du bist gewiß mit Bagge die Peri durchgegangen. Wie ist’s mit dem guten Mann geworden? Mein Brief wird wohl zu spät gekommen sein, um eine Aenderung zu treffen – und nun sitzt der eifersüchtige Jo im Nebel und kann nicht über die Berge kucken! Kuckuck!!! Ach, wär ich doch ein Vogel, oder ein elektrischer Funke noch lieber. Mivi, trotz Brahms, ich säße wahrhaftig lieber bei Euch. […]

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Der Ton der Briefe des Ehepaares Joachim verändert sich im Laufe der Jahre. Joseph Joachim schreibt auf Tourneen, zumeist auf seinen Konzertreisen nach England, Ama-lie Joachim von zu Hause aus. Damit sind die Themen vorgegeben. Sie berichtet von Kindern und Bekannten, von ihren privaten oder öffentlichen Auftritten, von Opern- und Theaterbesuchen. Er erzählt von seinen Konzerten, von anderen Künstlern oder Bekannten. Zu Beginn der Berliner Zeit ist sie 30, er 38 Jahre alt. Er ist häufig unter-wegs und mit dem Aufbau der Hochschule beschäftigt. Sie nutzt die wenigen Möglich-keiten, um auf Konzertreisen zu gehen. Im Sommer fährt sie mit den Kinder nach Salzburg, wo das Ehepaar seit 1876 ein eigenes Haus besitzt. Amalie Joachim ist gern unterwegs und langweilt sich, wenn Krankheit oder Schwangerschaften sie ans Haus binden. In den Berliner Jahren bringt sie weitere drei Kinder zur Welt.

Auf Reisen findet auch sie nur selten Zeit, um in Ruhe zu schreiben. Rasch niederge-schriebene Zeilen informieren über das Wichtigste, über Erfolg oder Mißfolge, über die Höhe der Einnahmen, über Begegnungen oder erstmalig gehörte Stücke. Persön-liches gerinnt zur Formel. Was für ihn selbstverständlicher Teil seiner künstlerischen Arbeit ist, bleibt für sie Ausnahme, gebunden an seine Einwilligung.

Während der Trennungszeit unterschreibt Amalie Joachim ihre Briefe anfangs noch mit „Ursi“. Später zeichnete sie nur noch mit Amalie Joachim oder ihren Initialen A. J., so als wolle sie auf ihrer Ehe, bzw. auf ihrer Zugehörigkeit zu ihrem geschiedenen Mann beharren. Die Versöhnungsangebote, in denen sie ihn mit „Jo“ anspricht, unter-schreibt sie mit „Ursi Joachim“: sie verbindet also den offziellen Namen mit dem ver-trauten Kosenamen der Vergangenheit. Von Joseph Joachim sind ab 1880 keine Briefe an Amalie Joachim erhalten. Ebenso fehlt ihre Korrespondenz aus den letzten acht-zehn Lebensjahren.

Amalie und Joseph Joachim, 1868

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wurde nach jeder Nummer zweimal gerufen – u. jedesmal empfangen – mir wird von allen Leuten gratuliert – ich aber habe nicht das Gefühl so recht gefallen zu haben. Ich bin den Leuten hier zu ernst –

Ich glaube, wir werden, wenn die Schumann nicht neue Pläne schmiedet hier nur 3 Conzerte geben können, da der Saal nicht zu haben ist. Dann käme ich noch vor Deinem Conzerte am 16ten nach Hause, das wäre himmlisch, nicht wahr? Ich wäre so froh!!! – Ich habe Brahms versprochen im Saul [Händel] zu singen am 1ten März. Ich ginge also Anfang Januar mit Dir – aber nur nach Holland; blieb dann zu Hause – käme hierher u. sänge dann in Barmen die Penelope. Was meinst Du dazu? da wäre ich 6 Wochen ruhig zu Hause. – Hier möchte ich gerne im Oratorium singen am 1ten März – du kannst gerne für mich in Amsterdam annehmen – dort kann man jeden Tag singen. – Grüße meine lieben Kinderl recht tausendmal. […] Grüß Gott dich lieber Vater! Ich habe dich auch sehr lieb u. bin ein gutes Weibi.Deine Ursi

Joseph Joachim an Amalie Joachimo.O. [Berlin], 25.11.1872

Meine feste Überzeugung ist übrigens, daß du dich erst allmählig recht in Gunst beim Publikum singen wirst. Noch ist’s überall so gewesen, und ich denke, man kann sich darüber nur freuen.

Amalie Joachim an Joseph JoachimWien, 26.11.1872

Lieber Jo!Ich denke, Du hast nun meinen ausführlichen Brief […] ich bin förmlich zerrissen von allen möglichen Geschäften. Heute war ich beim Kaiser mit dem Gesuch. Er sprach nur sehr wenig und schien übler Laune, was so viel heißt wie nicht bewilligt. Nun, dieser Wille, es kommt Gott sei Dank wenig darauf an. Ist Franz wieder drüben, können sie ihm ja doch nichts thun. Über unsere weiteren Pläne hier ist noch wenig bestimmt! Ich glau-be, es wäre gut, die Concerte mit dem 3ten zu schließen – ich wäre dafür. Ich weiß noch nicht was wir neulich eingenommen – es wird aber kaum sehr viel sein – die Conzerte sind dies Jahr hier schlecht. Epstein sagt mir, daß er sehr oft 40 Billetts zu den Conzerten bekommt. Bülow hat viel darauf gezahlt. Brahms sehe ich gar nicht. Ich bin sehr unbe-haglich in Wien u. könnte nicht mehr hier leben! Wärst Du hier, ginge es mir besser – aber so habe ich ja wenig von den Leuten, zu denen ich gehöre, den Musikern! […] Ich sehne mich nach Hause zu den kranken Kinderln u. ginge lieber heute als morgen! Glaubst Du denn daß wir vor Weihnachten noch ein Concert haben könnten in Wien u.

Sie unterwegs – Er zu Hause

Amalie Joachim an Joseph JoachimWien, 16.11.1872

Ich habe sehr viel zu sagen, aber es fällt mir nix ein, außer daß Frau Sch.[umann] mich zwingen will die Hälfte von den Einnahmen zu nehmen. Was soll ich thun? […]Grüße meine Lieben alle; Deine Uzzi

Joseph Joachim an Amalie Joachimo.O.u.D. [Berlin], 19.[11.1872]

Wilhelmj habe ich nun Sonntag gehört und war gegen den ersten Eindruck sehr ent-täuscht. Soviel innere Leere hatte ich nicht erwartet – nicht einmal im Recit.[ativ] des A moll Quart. von Beeth:[oven] ein einigermaßen sicheres Erfassen des äußerlichen Effekts, geschweige wirkliches Leben. Dabei David’sche schlechte technische Angewohn-heiten, nicht einmal eigene; aber ein pomadiges, sinnliches Schwelgen in der Geige, die herrlich klang.

Und nun lese die Kritik! Voll war’s nicht (500 Thaler Einnahme brutto bei 1 ½ Thalern.) Das Abendlied [Schumann] spielte er in D dur, statt des dämmerigen Des, eine Oktave tiefer auf der G Saite, und wieder, ohne die Begleitung in der Oberstimme zu ändern. Geradezu dumm. –Man sollte eigentlich nur für sich und ein paar Freunde musiciren.

Amalie Joachim an Joseph JoachimWien, 22.11.1872 [nach Berlin]

Lieber Jodu hast mir einen rechten Schrecken eingejagt mit der Nachricht, daß die Kinder den Keuchhusten haben. Daß du es mir so lange verschwiegest u. gerade zum 1. Konzert hier mitteilst, war nicht sehr vorsichtig – denn – ich kann wohl sagen, mit großer Überwin-dung habe ich gesungen, u. war recht verstimmt den ganzen Tag! – Gott gebe nur, daß die Krankheit ohne üble Folgen – vornehmlich für Mie ist! – Ich hatte gestern keinen Augen-blick frei Dir zu schreiben, deshalb frug ich telegraphisch an, um frische Nachrichten zu haben. –

Über das Conzert kann ich nicht viel berichten. Es war voll – aber entsetzlich heiß – ich fühlte mich aber nicht sehr behaglich. Ich war sehr gut bei Stimme, aber sehr nervös –

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für einen Sonntag das Theater und die Sänger anbot, am 15ten wahrscheinlich sein wird) wieder hier sein, indem das sehr nützen könne etc. etc. Es wird nun wohl so werden, daß ich das Beethovensche Concert (unter Eckert) beitrage, und ich wollte, Du sängest auch die Alceste [Gluck] oder so was Schönes. Eigentlich ist es mir lieb, wenn mir die Sache wenig Zeit nimmt in dieser Weise; denn nun kommen die Proben zu meinem Schulconcert, die Quartette etc. etc. Daß Du zum 2ten Concert so schönen Erfolg gehabt, freut mich sehr; möge es bis zum Saul [Händel] crescendo gehen.

Amalie Joachim an Joseph JoachimWien, 4.12.1872

Liebster.Da wir immer andre Pläne machen, so ist der neueste der, daß ich hoffe, dein Wohl- tätigkeits Conzert ist nicht am 15ten. dann sänge ich doch hier im Philharmonischen die Rhapsodie – was ich – aufrichtig gesagt, gerne thäte, weil das gesungen zu haben in Wien eine große Ehrensache ist – u. ich früher einmal es Dessoff abschlug – vor Jahren!

Ich erwarte also heute dein Telegramm. Morgen gehen wir nach Pesth […] Hernach haben wir nichts vor, wie du aus der Carte sehen kannst. Am 8ten singe ich dann Alceste [Gluck], und könnte am 10ten – 11 in Berlin sein. Ich bin neugierig wie es sich entschei-det – u. freue mich jedenfalls Euch bald zu sehen. Grüße die Kinderl. Deine Uzzi. […].

Joseph Joachim an Amalie Joachim o.O.u.D. [Berlin, 6.12.1872]

Gestern hätte ich Dich gern hier gehabt: Brahms’ Sextett ging wirklich fein und sprach sehr an, was sowohl durch Applaus als durch Einzel-Urtheile zu Tage kam. Ich hatte es nicht einmal erwartet, wenigstens ersteren nicht. […] Über das Concert-Programm vom 15ten ist noch nichts näher bestimmt; Niemann will mit der Stehle das Liebesduett aus der Walküre singen, wenn’s Wagner erlaubt. Ich hoffe, er thut’s nicht! Am Sonntag soll bei Frau v. Schleinitz alles definitiv besprochen werden, und ich muß also richtig auch hin. – Morgen Abend bin ich bei Moltke, keine Gesellschaft, nur wenige [fehlt ein Wort] Freunde. Er ließ sagen, ich möchte [nicht denke], daß es auf Musik abgesehen sei. [Ich wisse] aber, daß er sich natürlich dennoch sehr darüber freuen würde, und ich will ihm also vor-spielen, Gelt, das [thätst Du] auch. Nun genug geschwatzt …

eins am 3. Januar oder so? Antwort! […] Küsse meine Kinderl, meine lieben süssen tau-sendmal u. sei geküsst von deiner sehnsüchtigen Ursi

Joseph Joachim an Amalie Joachimo.O. [Berlin], 29.11.1872

Mein Telegramm wurde durch den Wunsch veranlaßt, baldmöglichst einen Tag zu einem Conzert für die durch die Überfluthungen an der Küste heimgesuchten bestimmen zu können. Vorgestern besuchte mich Herr v. Burt, um mir Moltkes Bitte um unsere Mit-wirkung zu bestellen, und gestern widerfuhr unserm Haus die Ehre, daß der Mann mit dem Adlerblick, und dem Weisenmund persönlich seinen Dank brachte. Das ist doch sehr lieb vom alten Herrn, und mir thut’s nur leid, daß weder ich noch Du zu Hause waren. Ich hebe mir die eingebogene Karte gut auf. […] Ich hoffe nun auf baldige Ant-wort von Dir, da Deine Anwesenheit für das Gelingen für unerläßlich gehalten wird. […] Glaubst Du, daß Frau Schumann darin eine Nummer spielen möchte? Schaden könnte es ihren eigenen Unternehmen nicht; man bittet aber selbst intimste Freunde nur ungern. Sondire einmal! Dann ließe sich ein schönes Programm entwerfen. – Ich habe mich über Dein heutiges Briefchen sehr gefreut, und daß ich recht habe, wenn ich glaube, Du wirst Dich noch in die Gunst der Wiener singen, geht daraus hervor. […] Heute wird hier Brahms’ Requiem in der Kirche von Holländer aufgeführt, leider fürchte ich, mit unge-nügender Zahl; ich gehe aber hin. Im 1ten Quartett des 2ten Cyclus mache ich D dur v. Beethoven, A moll von Schubert und G dur Sextett von Johannes [Brahms]. Sage es ihm, und daß wir heute die erste 3stündige Probe von seinem Stück hatten. Der Zudrang zu dem 2ten Cyclus ist noch größer als früher. Wer weiß, ob für Dich Platz bleibt. Wenigstens mußt Du vorerst versprechen, für die Überschwemmten zu singen. Die Kinder sind recht munter […]. Onkel Chrysander hat wieder Trauben geschickt, die schmecken ihnen gar gut.

Joseph Joachim an Amalie Joachimo.O. [Berlin], 1.12.1872

Eben hatte ich eine Freude, um die mich viele, selbst Du und Brahms beneiden mögen, da es das nicht in Wien giebt! Ich fuhr eine Viertelstunde mit Moltke in einem 2sitzigen Wägelchen, da er so liebenswürdig war, mich aus der Concertconferenz bis an unser Haus zu bringen. Die Ehre wollte ich baarhäuptig genießen, aber er guckte in die Höhe und frug, ob ich denn mit dem Hut anstoße? Der alte Herr war sehr freundlich in seiner ruhig majestätischen Weise, wünschte, Du möchtest zu dem Concert (das nun, da Hülsen

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Amalie Joachim an Joseph Joachimo.O.u.D. [Wien, 9.12.1872]

Lieber Jo.Wieder andre Pläne – hoffentlich definitive! Ich komme direkt über Breslau am Donners-tag früh. Sollte ich Mittwoch nicht abreisen können – weil ich noch so Manches zu thun habe, so telegraphire ich rechtzeitig.- Grüße die Kinderl! Triumpflied enthusiastisch aufgenommen – ist prachtvoll.D. Uzzi.

Amalie Joachim an Joseph JoachimKoblenz, 3.6.1874

Coblentz, 3ter Juni

Lieber Jo!Simrock hat dir wahrscheinlich schon verrathen, daß ich krank war – u. so will ich denn nicht hinterm Berge halten. Es ist wieder beßer, aber noch nicht ganz gut u. ich habe Citronenfarbige Augen ein Zeichen, daß mein Leiden aus der Galle kommt. Du weißt also, warum ich oft so „grantig“ bin. – […] Deine Uzzi

Amalie Joachim an Joseph Joachimo.O.u.D. [Karlsbad, 11.7.1874]

GELD?

GELT GELD!

HUNGER – DURST,

REGEN – HITZE.

SCHLAF – SPRUDEL.

Joseph Joachim an Amalie Joachimo.O.u.D. [Berlin, 8.12.1872]

Wäre ich heute lieber in Wien gewesen!Heute in 8 Tagen wird auch das Concert, wo Du und ich im Theater wirken, vorüber sein. Ein ordentliches Programm ist von Eckert mit den Sängern noch nicht zu Stande gebracht; das kam heute in der Conferenz bei Fr. v. Schleinitz zum Vorschein; unter andern Dingen das Jessonda-Duett und der „Liebeszauber“ aus der Walküre mit Klavier. Ich opponirte gegen Beides, gegen letzteres bloß, wenn wir nicht die Orchester-Stimmen zur Begleitung haben können, da man nicht arrangirte Sachen bringen darf, wo ein Orchester zur Verfügung steht. Eckert hat geantwortet, daß Niemann gar nicht singen wollte, wenn nicht dies Stück, selbst mit Clavier. Ich sagte, daß mir das vorkäme, als hängte man einen Kupferstich unter Gemälde in einer Gallerie, und man gab mir Recht; Moltke meinte, man könne ja dann allenfalls auch ohne Niemann das Concert geben. Es ist allerlei Komisches zu erzählen bei der Concertarrangirerei, wovon denn mündlich. Frau v. Schleinitz benahm sich übrigens taktvoll und nett; ich muß ihr dies nachsagen.

– Bei Moltke war’s ganz angenehm gestern Abend, cirka 18 Personen, nicht steif, er selbst aber leider von ½ 10 bis 11 abwesend, zu Kaisers befohlen. Wir warteten seine Rückehr ab und gingen ½ 12 auseinander. Es wurde viel musicirt, Burt sang recht hübsch, rein und mit guter, deutlichster Aussprache Schumann und Händel. […] Eben war der neue Decernent beim Kultus für Kunst bei mir – Dr. Schöne, Härtels Schwiegersohn. Wir hatten ein langes, Gutes prophezeiendes Gespräch.

Amalie Joachim an Joseph Joachimo.O.u.D. [Wien, 7.12.1872]

Lieber Jo!Es geht leider etwas schlecht mit meiner Reise nach Berlin. Fr. Schumann hat nun doch ein Conzert in Dresden arrangirt u. dieses ist leider am 13ten. Ich werde also nach dem Conzerte in der Nacht wahrscheinlich ankommen u. bitte Dich mir gleich zu sagen, wann am Sonnabend die Probe sein wird. Mit der Alceste bin ich einverstanden – nur haben wir hier auch nur die Arie – wie ich sie immer singe – ohne Chor od. Oberpriester, da es nicht geschrieben werden konnte. Magst Du sie so nicht machen lassen, so nimm eine andere Arie – von meinen oft gesungenen – am liebsten aber bleibe ich bei der Alceste für’s große Haus. – Ich bin gestern von Pesth gekommen, wo vorgestern Conzert war. Es war übervoll u. wir haben eine hübsche Einnahme. […]Grüß Gott, küße die Kinder. deine Ursi

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Sie in Königsberg

Amalie Joachim an Joseph Joachimo.O.u.D. [Königsberg, 15.11.1875]

Lieber Jo!Es ist zwar noch „vorkonzertlich“ – meine Stimmung also ebenso erwartungsvoll wie unbehaglich – ich schreibe aber doch – da der Brief sonst erst morgen Abend abgeht. Leider war ich gestern durch Schlaflosigkeit u. enorme Hitze im Waggon wahrscheinlich, total heiser; ich hoffe, daß ich heute doch gut bei Stimme bin […]. Wenigstens habe ich Alles gethan um gut bei Stimme zu sein – bin bei dem rauhen Wetter nicht vor die Thüre gegangen. – Landau ist hier, geht morgen zurück, wir haben zusammen gegeßen u. wollen zusammen soupiren. Brauchst aber nicht eifersüchtig zu sein! –

Nun hör, Schatz, ich reise Mittwoch früh nach Stettin u. komme von dort etwa um 6 Uhr Abends nach Berlin. Aber Stettiner-Bahnhof!Nun leb wohl. Danke Sophie für Ihren Brief und give her my best love, also to the children. – Grüße auch die gute Frl. Schnatter. –Deine Ursi.

Amalie Joachim an Joseph Joachimo.O.u.J. [Königsberg], 6.11.[1875]

Lieber Jo.Das Conzert ging gut von statten. Es war voll, die Leute sehr aufmerksam – aber sehr kühl – was bei der enormen Kälte im Saal wohl begreiflich war. Die Damen saßen in Pelzmäntel u. ich – Armes – mit nackten Schultern. Während des Singens konnte ich meinen Hauch sehen! – Ich war nicht ganz gut bei Stimme, d.h. die Stimme klang gut, doch war ich ihrer nicht ganz sicher – doch ist mir gar nichts weder im f.f. noch im p.p. mißlungen Alceste [Gluck] u. Sandmännchen [Brahms] sind genug contraßirend!!

Amalie Joachim an Joseph Joachimo.J. Königsberg, 7.11.[1875]

Lieber Jo!Das zweite Conzert ist nun auch glücklich vorüber. d.h. das Vorübersein ist das glück-liche dran, denn sonst wars gerade so wie vorgestern: kalt u. das Publikum geradezu erstarrt! Ich habe sowas von Kälte noch nie erlebt! Kaum daß sie sich entschließen, die Hände zu rühren. […] Die Jakobson sagt „die sind zu dumm zum klatschen!“ Ich habe

Er unterwegs – Sie zu Hause

Amalie Joachim an Joseph Joachim o.O.u.D. [Winter 1874/75]

Gestern war Barth bei mir, lieber Jo, u. erzälte mir unter andern Dingen, daß A. v. Werner Direktor der Akademie wird. Er, Werner habe ihr die Bedingungen mitgetheilt, unter welchen er das Direktorat annehmen würde. Nun hat er zwar nicht gesagt, was er für sich beansprucht erzälte aber, daß er für jeden Lehrer also Maler wie Meierheim etc. 6000 Fl. verlangt habe, da keiner unter der Summe es annehmen könne. Nun beschwört dich Barth du mögest doch jetzt ordentliche Forderungen stellen, er ist bereit irgend-welche Wege für dich zu machen, damit die Musikschule der Malerschule gleichgestellt wird.- Es drängt freilich, da Werner die Eingabe schon gemacht hat, oder gewiß vor Ostern noch abgeben wird. Du wirst natürlich nichts thun – um auch den lieben Schöne zu schonen aber – ich schreibe es dir doch – vielleicht wirken die großen Londoner Verhältniße etwas ermuthigend auf dich – und Heinrich!! Besprich dich doch mit ihm! – Es ist auch zu traurig wie Ihr fort humpeln müßt – u. dein Ruf nimmt es doch mit dem von Herrn Werner u. Consorten auf! -

Morgen singt Stockhausen […] die ganze Winterreise in der Singakademie. – Ich hätte freilich große Lust, sie selbst – u. allein im April noch zu singen – da ich von allen Seiten gebeten werde ein Conzert zu geben. Rubinstein hat in 3 Conzerten an 4000 Fl. rein eingenommen! Ich möchte auch gern einnehmen – […]

Nun höre was nettes!- Schulze will mit dem Chor u. Solisten die ich noch aussuchen soll, den „Häuslichen Krieg“ [Schubert] einstudieren. Janitsch soll einen verbindenden Text machen u. dann wollen wir das Ganze nach Deiner Rückkehr bei uns singen. Du sollst’s dirigiren. Ich freue mich darauf. Du auch? – Schulze sagt, daß es für den Chor nur nützlich sein kann, u. ist sehr froh, wenn wir ihn für solche Dinge an uns heran ziehen. […] Bleib gesund – bei uns ist’s sehr kalt – jeden morgen über 10 Grad. Adieu Deine Ursi.

Sonnabend.

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wenn ich ihr nicht gehorche. Glaube mir u. meine nicht, daß also Vorwürfe oder Bitten mich ändern können.

Daß es dir furchtbar schwer wird, neben mir zu leben, das glaube ich dir. Ich würde dich von meiner Person längst befreit haben, wären nicht die Kinder da, auf welche auch ich, soweit ich es vermag Rücksicht nehmen muß – u. welche von dir sowol als von mir ein Stück ihres Lebensglückes verlangen. – Ich bringe ihnen ein Opfer – indem ich zu bleiben gedenke u. du mußt es ebenfalls bringen. Jetzt noch bin ich ihnen ebenso, wenn nicht mehr, nöthig als du u. deßhalb harre ich aus – u. will ihnen u. dem Hause u. der Welt gegenüber meine Pflicht redlich erfüllen. Kannst du nicht auch so denken wie ich? Ich habe dich im Großen u. Ganzen nie belogen. Ich habe dir längst gesagt, daß ich dir nicht mehr angehöre. Ich sage dir nochmals, daß ich, da ich dich über mich selbst längst aufgeklärt habe, mich einer Lüge nicht schuldig weiß. […] Dies wollte ich dir sagen;

„erbitten“ will ich eigentlich nichts – aber nochmals will ich dich darauf aufmerksam machen, auf das Unrecht, welches du Simrock zufügst, wenn du meinst, ich stünde in besonderer Beziehung zu ihm. So wenig, als neulich wo ich, um überhaupt einen Schluß in unsere Unterredung zu bringen, dir die Möglichkeit eines „Verhältnisses“ zugab – so wenig bestätige ich dies heute; betone aber ganz besonders, daß dies mit Simr.[ock] am allerwenigsten der Fall ist. Du blamirst mich vor ihm u. seiner Frau auf die unerhörteste Weise u. bringst mich dadurch gewiß zu einem Gewaltstreich. Ich habe nicht Lust mich lächerlich vor der Welt zu machen – u. du sollst daßselbe zu vermeiden suchen – was aber sollen die Leute von uns denken, wenn du Simr.[ock] ohne Beweis zu haben stets auf unser „Verhältniß“ anredest? Was soll er u. Cläre von mir denken? Und was von dir? –

Du hast mich gestern auch gefragt, was geschehen soll indem du dies Zusammenleben nicht ertragen willst. Darauf kann ich dir heute so wenig als gestern eine Antwort geben – wenn ich nicht den Kindern Unrecht thun will. Das einzige, was „vernünftig“ wäre, ist, daß du reistest, u. darin deine Pflichterfüllung suchst, daß du den Kindern ein Vermögen erwirbst.

Jetzt können sie dich eher entbehren als mich. Kannst du dich aber dazu nicht entschlie-ßen, dann muß die Liebe zu den Kindern eben siegen u. wir müßen suchen für sie, neben einander zu leben. Kannst du dich aber nicht überwinden so neben mir zu sein – so muß i c h das Feld räumen. Ich weiß, daß jedes Gericht dir recht geben wird – weiß aber auch, daß du mir nicht die Kinder so entziehen wirst, daß ich ihnen gar nichts mehr sein darf. – Du weißt daß ich die Kinder lieb habe. – Du siehst, ich bin zum Äußer-sten entschlossen – mache mir also keine Vorwürfe mehr – u. finde dich in das Unab-änderliche. Die Schuld nehme ich auf mich u. sage dir ja daß du in Allem recht hast – nur wirf mir nicht Falschheit vor – u. verdächtige nicht schuldlose Menschen. Ursi.

manches nicht schlecht gesungen aber ohne Zweifel singt man beßer, wenn man ein empfängliches Publikum vor sich hat! – […] Heute Abend gehe ich nach Danzig – Hotel du Nord.Grüße Alle herzlichst.

7ten Nov[ember] Deine Lowena

Amalie Joachim an Joseph JoachimO.O.u.J.[Danzig], 9.11.[1875]

Lieber Jo!Das Wetter ist heute so schön, wonnig und sonnig, daß wir einen Plan gemacht haben. – Deine Genehmigung habe ich hoffentlich – es handelt sich nur um wenige Stunden, die ich später nach Hause komme. Wir wollen morgen nach Oliva an die See. Gelt, du hast nichts dagegen? Ich komme dann Donnerstag früh am Ostbahnhofe an – Bitte komme mir aber ja nicht entgegen, denn es ist früh u. zu weit von unserem Häuschen! Bleibe gewiß zu Bette. Wir frühstücken dann gemüthlich zusammen. Ich habe solche Sehnsucht die See wieder einmal zu sehen, daß du mir den Abstecher verzeihen mußt.[…] Das Conzert ging glücklich vorüber – das Publikum war netter als in Königsb.[erg] aber der Saal [wieder?] kalt!! – […] Ganz deine Ursi:9ten Nov.[ember]

Eheliche Auseinandersetzungen

Amalie Joachim an Joseph Joachimo.O.u.D.

Ich finde es für nöthig dir heute noch u. zwar schriftlich, da es für uns Beide beßer ist, mit möglichster Kühle über unsere Angelegenheit zu verhandeln, manches zu sagen, resp. auch zu erbitten. – Ich gestehe dir von vorne herein zu, daß du in jeder Beziehung im Rechte bist, mir Vorwürfe zu machen – aber gleichzeitig sage ich dir, daß diese Vorwürfe gänzlich vergeblich sind u. mich zu einer „Umkehr“ in deinem Sinne nicht bewegen werden. Ich meine, du kennst mich gut genug, um zu wissen, daß ich so leicht meinen Weg nicht zurück gehe u. – bin ich ihn so weit gegangen, die Consequenzen dann zu tragen verstehe. Meine Handlungsweise gründet wie stets, so auch hier, in einer inneren Nothwendigkeit – an der ich vielleicht zu Grunde gehe – gewiß aber verderbe,

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Joseph Joachim an Heinrich JoachimBerlin, 20.11.1880

Lieber Heinrich!Du wirst nun längst meine Zeilen haben: morgen ist es schon 14 Tage, daß du fort bist, mir kommt es wie gestern vor! So vergingen meine Tage in Hoffnung, Aufregung, Ent-täuschung. Meine Frau will alles thun, nur den Umgang mit dem Simrock’schen Haus nicht ganz fallen lassen, was zur Folge hat, daß sie z. B. im 4tett vor allen Leuten wieder mit Simr.[ock] gesprochen hat. Sie sagt, es könne so ausgelegt werden, als habe ihr Frau S.[imrock] das Haus verboten, und auch er wäre dadurch ruiniert, wenn sie ihn oeffent-lich absichtlich meide, da darin ein Geständnis liege, daß er sich schlecht gegen sie benommen, was sie ja nicht zugiebt.

Also die alte Leier; dabei ist sie manchmal doch so weich und leidend, daß es mir in innerster Seele weh thut ihr den Schritt nicht ersparen zu können, den ich thue.

Dabei sind alle meine für S.[imrock] compromittirenden Papiere spurlos aus meinem Schreibtisch verschwunden! Auch der Brief von dem Rechtsanwalt, den ich dir gezeigt. –

Meine Frau schwört, daß sie nichts davon weiß. Du kannst denken, wie mich alles das erregt. Ich habe nun den Schritt gethan Simr.[ock] beaufsichtigen zu lassen; was auch der Rechtsanwalt besorgen lassen will. Ich glaube, daß es meiner Frau wohl damit recht ist zu mir zurückzukehren, daß sie aber ihren Freund geschützt vor öffentlicher Verach-tung sehen will; aber freilich ich soll das über die Forderung stellen, welche ich meiner Ehre halber stellen muß!

Aber ich bitte um’s Himmels willen nichts in den Zeitungen durch Freunde verbreiten zu lassen, jedes Wort wird ja gleich herumgetragen. Es wird früh genug bekannt, wenn wir uns trennen. Manchmal glaube ich noch an ein Wunder, daß es noch verhütet werde!Von französischen Zeitungsgerüchten weiß ich keine Silbe. – […] Dein J. J.

Joseph Joachim an Heinrich Joachimo.O.u.D. [Berlin, 11.12.1880]

Lieber Heinrich!was soll ich dir schreiben, als daß leider alles beim alten bleibt: ich muß wirklich die Scheidungsklage einreichen, da Amalie darauf besteht, den Verkehr mit S.[imrocks] auf-recht zu erhalten, und alles läugnet. Es sei nicht wahr, daß sie ihn heimlich getroffen; lauter Verläumdungen seien das, und ich habe ihn unverantwortlich gekränkt und be-leidigt. Ein und derselbe Refrain immer. Ich kann nicht sagen, wie ich darunter leide; aber der Mensch muß schließlich weiter leben. Ich bitte nach wie vor Niemand etwas da-von zu sagen; denn man weiß ja nicht wie die Dinge verlaufen. Das Gericht macht ja im-mer vor dem Richter einen Sühneversuch. Ich habe vorgestern mit Erfolg meine Variati-onen und Brahms Concert in Leipzig gespielt.

Joseph Joachim an Heinrich Joachimo.O.u.D. [Berlin, 7.5.1880]

Von gerichtlicher Scheidung habe ich einstweilen noch nichts geplant und zwar der Kinder wegen. Nur dazu bin ich entschlossen einen Winter wie den vorigen nicht wieder durchzumachen. Ich kann nicht zugeben daß meine Frau in der Welt herumreist ohne mir im geringsten Rechenschaft zu geben. Vielleicht geht sie darauf ein mit den beiden Mädchen und Paul nach Meran oder Nizza zu gehen, ich würde in dem Fall hierblieben, immer noch hoffend, daß sie der Kinder wegen zur Raison kommt und das Unwürdige einer Stellung für mich einsieht, wie sie mir sie zugedacht. Die Gerüchte über die Schule hier sind ganz grundlos; ich habe nicht gekündigt. Laßet mich weiteres von Eurer Reise hören wo Ihr immer weiltMy love to dear EllyJo

Joseph Joachim an Heinrich Joachimo.O.u.J. [Berlin], 6.8.[1880]

Mein lieber Heinrich!wie geht es Euch? Mich verlangt herzlich darüber zu hören. Von mir ist zu viel zu sagen, als daß ich es dir schreiben könnte. Ich war, obwohl meine Ferien erst am 1ten August beginnen, schon 10 Tage früher plötzlich nach Salzburg gereist; mein Gemüths- und Körperzustand erlaubten mir nicht die angestrengte Thätigkeit hier fortzusetzen. Ich habe nachträglich Urlaub dazu erbeten. Mir war es auch darum zu thun noch mit den Knaben gleichzeitig einige ruhige Tage im Familienkreis zu verbringen, hoffend es würde das Familienglück auch auf Amalie Eindruck machen. Möchte es so sein! Ich habe ihr ganz positiv gesagt, daß wir so nicht einen anderen Winter weiterleben können. Sie soll entweder mit den drei jüngsten Kindern in einen Ort wie San Remo oder sonst, wo es ihr gefällt, den Winter verbringen, und so hoffentlich den Weg zu unserem Glück zurück-finden – oder ein Jahr mit mir reisen, um alles zu vergessen. Mag sie das beides nicht, so wollen wir uns gerichtlich trennen; d.h. ich werde darauf antragen. Meine Fähigkeit zu dulden ist erschöpft. Jetzt nachdem ich die Knaben von Salzburg zurück in die Schule gebracht habe bleibe ich jedenfalls 8 Tage hier, wo es ganz erträglich ist, und wo ich aller-lei Arbeit für mich zu thun habe: Arrangement der neuen ungarischen Tänze v. Brahms etc. etc. Arbeit ist das Einzige was mir Erleichterung bringt. Vielleicht gehe ichin einer Woche wieder zu den Meinigen zurück.Laß von dir hören und grüße EllyherzlichDein treuer Bruder Joseph

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Ich will es Ihnen also nur ausdrücklich und deutlich sagen, wie ich es Joachim schon unzählig oft tat, daß er, meiner Einsicht und Meinung nach, Ihnen und Simrock schwers - tes Unrecht getan und daß ich auch nur wünschen kann, er möge von seinen falschen und entsetzlichen Einbildungen lassen.

Ihre Liebe dagegen möge so groß sein, daß sie alles Vorgefallene vergessen kann, seine Nachgiebigkeit aber und Simrocks guter Wille möchten so groß sein, daß ein erträgliches Verhältnis zwischen den beiden Männern statthaben kann. Denn in diesem innigst zu wünschenden Falle müßte doch Joachim einen Irrtum seinerseits zugeben und könnte alsdann nicht verlangen, daß Sie und Simrock dafür büßen.

Doch möchte ich sagen: Meine Diskretion in der Sache ist so groß, daß ich z. B. mit Frau Schumann, meiner besten Freundin, kein Wort darüber gewechselt habe. […] Emp-fänden Sie nur einen kleinen Teil der Herzlichkeit (ich schäme mich nicht der Rührung) mit der ich an Sie denke und schreibe, und könnte ich doch von ihm so wünschen und an ihn so schreiben! Aber es ist schwer, ihm gegenüber nicht bitter zu sein und leider auch nicht zu hoffen, daß er Gutgemeintes nicht gar bitter und gar falsch empfinde.

Glauben sie denn, daß Sie an mir einen ernsten, treuen Freund haben. Verfügen Sie über mich, wie und wann Sie glauben, daß ich Ihnen nützen kann. Leider, Sie sehen, ich habe wenig Hoffnung, es zu können. Von ganzem Herzen Ihnen ergeben. J. B.

Rette Dein Bild in meinem Herzen

Amalie Joachim an Joseph JoachimAigen, 17.8.1882

Ewig leid wird mirs sein, daß du in solcher Weise gegen mich vorgegangen bist – das du die ideale Gestalt welche ich u. so viele Andre in dir sahen – durch deine ’Freunde’ hast zerstören lassen! Selbst wenn du im Rechte wärest (- was du aber nun u. nimmer bist! – ) dürftest du mich nicht so der Welt – hinwerfen -! Aber ganz abgesehen davon – u. wie auch Alles kommen mag – am allerwehesten thut es mir – daß du selbst dich so zerstört hast, indem du – gemeinen Menschen – Rechte auf dich einräumtest! – […]Lebwol! [sic!]Aigen,A. J.

Das Hochschul-Concert zu dem Brahms hier war, ist ausgezeichnet gut verlaufen; er sehr gefeiert worden, für Berlin viel. Ich schicke das Programm.Für deine liebevolle Theilnahme innigst dankbar und Frau und Kinder herzlichst grüßendDein Joseph J.

Johannes Brahms an Amalie Joachim o.O.u.D. [Dezember 1880]

Liebe Frau Joachim!Wenn Sie eine Ahnung hätten, wie sehr ich neulich in Berlin wünschte, mich Ihnen ver-traulich und herzlichst auszusprechen und wie sehr es mich seitdem drängte, Ihnen so zu schreiben, dann würden Sie auch empfinden, wie mir Ihr Brief eine wahre Wohltat ist und dies Schreiben eine Art Befreiung. Mir ist Ihre Angelegenheit so lange bekannt als sie existiert, und lassen Sie mich vor allem sagen: mit keinem Wort, mit keinem Gedanken habe ich je ihrem Mann recht gegeben d. h. selbstverständlich recht geben können. Wohl habe ich all die Zeit mit Theilnahme Ihrer gedacht, aber wie ganz erfüllt bin ich jetzt davon, wie möchte ich so gerne etwas tun seitdem ich bei Ihnen war.

Doch leider – ich habe keinen Mut und kein Vertrauen mehr, und einstweilen empfin-de ich nur die Wohlthat, Ihnen ein herzliches Wort sagen zu können. Ich glaube nicht daß irgend jemand Ihre Sache so klar und richtig einsehen kann wie ich. Das mag Ihnen fraglich erscheinen, trotzdem sie wissen, daß meine Freundschaft älter ist als Ihre Ehe.

Immerhin aber mag Ihnen aufgefallen sein, daß ich trotz dreißigjähriger Freund-schaft, trotz aller Liebe und Verehrung für Joachim, trotz aller künstlerischen Interessen, die mich fesseln sollten, doch so vorsichtig im Umgang mit ihm bin, so selten länger und vertraulich verkehre und gar nicht daran denke, in einer Stadt zu gemeinschaftlicher Tätigkeit mit ihm verbunden leben zu wollen. Jetzt brauche ich wohl kaum noch zu sagen, daß ich die unglückliche Charaktereigenschaft, mit der Joachim sich und andere so unverantwortlich quält, früher als Sie kannte. Freundschaft und Liebe will ich einfach und frei atmen wie die Luft. Ich gehe scheu aus dem Wege, kommt mir die schöne Emp-findung kompliziert und verkünstelt entgegen, soll sie gar unterhalten und gesteigert werden durch krankhafte peinliche Aufregung. Unnütze durch Einbildung hervorgeru-fene Szenen sind mir ein Greuel. Auch in der Freundschaft ist eine halbe Scheidung trau-rig, sie ist aber doch möglich. Und habe ich bei Joachim durch meine Vorsicht auch nur einen kleinen Teil gerettet; ohne sie hätte ich längst nichts mehr.

Liebe Freundin, nach diesem brauche ich Ihnen nicht noch im Einzelnen recht zu geben. Durch das trostlose Hin- und Hergrübeln Joachims wird das Einfachste so aufge-bauscht, so weitläufig, daß man nicht weiß anzufangen und fertigzuwerden. Er dreht sich eben dann so eigensinnig in jedem kleinsten Kreis wie leider sonst in jedem großen Kreis von Einbildungen und Irrungen, der ihn um all sein Glück bringen kann.

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in Bromberg, Insterburg, Stettin, Stargart, in Pom.[mern] u. sang zuletzt in Hamburg – im Judas Maccabäus [Händel]. Ich wäre Ihnen herzlich dankbar, wenn Sie wieder von meiner künstl.[erischen] Täthigkeit Notiz nähmen – aber zu besonderem Danke würden Sie mich verpflichten, wenn Sie in ihrem Blatte eine kurze Mitteilung darüber brächten, daß Joachim am 22ten D. mit seiner Klage abgewiesen wurde. Alle seine Gründe zur Anklage u. alle Verläumdungen haben sich als unerweislich erfunden! –

Vielleicht geht Joachim in 2te Instanz u. der leidige Zustand, in welchem ich mich schon fast zwei Jahre befinden muß, dauert wieder länger fort. Ich aber hoffe, daß diese schreckliche herzzerreißende Sache endlich ihr Ende erreicht hat! – Sie können sich vorstellen, verehrter Herr, daß es mir von unendlichem Werte sein muß, wenn das Faktum, daß Joachim in ersten Instanz verlohr – in weitere musikalische Kreise kommt – u. wie könnte dies leichter geschehen, als wenn ihr Blatt es mitteilt?! Wenn es Ihnen also möglich ist, über diese Privatsache, welche allerdings recht „unharmonisch“ ist, etwas zu sagen, so bitte ich Sie von ganzem Herzen es zu thun! – Ihre dankbar ergebene Amalie Joachim

Ostermontag 1883

Die Pianistin Laura Rappoldi-Kahrer in ihren Erinnerungen

Amalie Joachim lebte damals gerade mit ihrem Mann in Scheidung und war tief un-glücklich. Sie weinte den ganzen Tag, ich vermochte sie kaum zu trösten. Selbst während des Konzerts konnte sie oft ihre Tränen kaum zurückhalten. Alle ihre Freunde, die auch Joachims Freunde waren, hatten sie verlassen, – nirgends bekam sie einen Konzertsaal, niemand durfte sie auch nur grüßen, keine Konzertgesellschaft sollte sie engagieren! So hatte es Joachim befohlen, indem er sagte: ’Wer meiner Frau einen Saal überläßt, dort spiele ich nicht mehr, wer meine Frau engagiert, bei dem wirke ich nicht mehr mit!’

Amalie Joachim an Bartholf Senffo.O. [26.3.1883]

Verehrter Herr Senff! In der letzten Nummer Ihres geschätzten Blattes finde ich mich noch als in Petersburg weilend angeführt: ich bin aber schon etwa drei Wochen aus Rußland zurück, nachdem ich dort außer in Petersb.[burg] noch in Moskau, Reval u. Dorpat sang. – Es ging mir überall gut u. ich hatte ausverkaufte Konzerte. Besonders in der lieben Universitätstadt Dorpat war man besonders liebenswürdig u. brachten mir die Studenten nach meinem letzten Konzert vor der Aula ein dreimaligen Hurrah! In Reval mußte ich vier Lieder zugeben! – Von Rußland zurückgekehrt konzertirte ich – überall vor vollen Sälen –

Signale für die musikalische Welt, März 1883.

Frau Amalie Joachim ist von einer höchst erfolgreichen Concertreise nach Berlin retournirt. Die gefeierte Sängerin gab in Petersburg, Moskau, Reval und Dorpat eine Reihe von ausverkauften Concerten und besuchte dann die Städte Bromberg, Stettin, Stargardt etc., wo sie ebenfalls vor übervollen Säälen concertirte. Am 19. März wirkte sie wieder in einer Judas Maccabäus-Aufführung zu Hamburg mit und rief durch ihren Gesang allgemeine Bewunderung hervor.

Die in musikalischen Kreisen vielfach ventilirte Ehescheidungsklage eines be-rühmten Berliner Künstlers gegen seine Gattin, eine ebenfalls berühmte Sängerin, ist jetzt dahin entschieden worden, daß der klägerische Theil mit seinen Gründen zur Anklage abzuweisen ist, da sich alle die Frau betreffenden Verläumdungen als unnachweislich herausgestellt haben. Wir sehen uns zur Mittheilung dieser Nachricht veranlaßt, einerseits um allen irrigen Auffassungen des Urtheils vorzu-beugen, andererseits um allen ferneren Debatten über diese seit circa zwei Jahren spielende peinliche Ehestands-Angelegenheit die Spitze abzubrechen.

Amalie Joachim mit ihren Kindern, ca. 1888.

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Ständchen

Der Mond steht über dem Berge,

So recht für verliebte Leut’;

Im Garten rieselt ein Brunnen,

Sonst Stille weit und breit.

Neben der Mauer im Schatten,

Da stehn der Studenten drei,

Mit Flöt’ und Geig’ und Zither,

Und singen und spielen dabei.

Die Klänge schleichen der Schönsten

Sacht in den Traum hinein,

sie schaut den blonden Geliebten

und lispelt: „Vergiß nicht mein!“

Franz Theodor Kugler (1808–1858)

Am Sonntag Morgen, zierlich angetan

Am Sonntag Morgen, zierlich angetan,

wohl weiß ich, wo du da bist hingegangen,

und manche Leute waren, die dich sah’n,

und kamen dann zu mir, dich zu verklagen.

Als sie mir’s sagten, hab’ ich laut gelacht,

Und in der Kammer dann geweint zu Nacht.

Als sie mir’s sagten, fing ich an zu singen,

Um einsam dann die Hände wund zu

ringen.

Paul Heyse (1830–1914)

Nicht mehr zu dir zu gehen

Nicht mehr zu dir zu gehen

Beschloß ich und beschwor ich,

Und gehe jeden Abend,

Denn jede Kraft und jeden Halt verlor ich.

Ich möchte nicht mehr leben,

Möcht’ augenblicks verderben,

Und möchte doch auch leben

Für dich, mit dir, und nimmer, nimmer

sterben.

Ach, rede, sprich ein Wort nur,

Ein einziges, ein klares;

Gib Leben oder Tod mir,

Nur dein Gefühl enthülle mir, dein wahres!

Georg Friedrich Daumer (1800–1875)

Da unten im Tale

Da unten im Tale

Läuft’s Wasser so trüb,

Und i kann dir’s net sagen,

I hab’ di so lieb.

Sprichst allweil von Liebe,

Sprichst allweil von Treu’,

Und a bissele Falschheit

Is auch wohl dabei.

Und wenn i dir’s zehnmal sag,

Daß i di lieb und mag,

Und du willst nit verstehn,

Muß i halt weitergehn.

Für die Zeit, wo du gliebt mi hast,

Da dank i dir schön,

Und i wünsch, daß dir’s anderswo

Besser mag gehn.

Volkslied

Meine Liebe ist grün

Meine Liebe ist grün wie der Fliederbusch,

und mein Lieb ist schön wie die Sonne,

die glänzt wohl herab auf den Fliederbusch

und füllt ihn mit Duft und mit Wonne.

Meine Seele hat Schwingen der Nachtigall,

und wiegt sich in blühendem Flieder,

und jauchzet und singet vom Duft

berauscht

viel liebestrunkene Lieder.

Felix Schumann (1854–1879)

Gestillte Sehnsucht

Amalie Joachim an Joseph Joachimo.O. 23.3.1887

23.3.[18]87

Wie oft habe ich gewünscht, todtkrank auf dem letzten Lager zu liegen u. dich dann zu rufen u. noch einmal an deiner Brust mich auszuweinen u. – dann dich vielleicht doch von manchem zu überzeugen! Sehnsüchtig habe ich dies gewünscht – u. du wirst mich verstehen – da ja auch du so dachtest. – Mir war in den schweren Jahren während des Prozeßes nichts eine Formerfüllung u. auch dies keine, als ich mit meinen Anwälten zweimal bei dir war. Es war nicht leicht für mich- als Bettlerin an der Seite eines frem-den Dritten zu dir zu kommen. Ich habe dies stets für ein Handreichen- u. nie neuver-stossen werden angesehen – habe ich mich darin geirrt – so verzeihe es mir. Der Schritt kostete so viel Überwindung wie du wol nicht geahnt hast, das sehe ich ja jetzt. Hättest du damals nur ein Wort für mich gehabt, es wäre mir leicht geworden dir Alles abzu-bitten, was ich dir angethan. Ich aber konnte nicht sprechen u. mußte abwarten. […] Ich fühle es wol, [das] nur du mich für die Ewigkeit vorbereiten kannst – u. daß ich nur an deiner Seite besser werden kann. Ich bin nicht besser geworden in all der Zeit u. fürchte ich vergehe ganz in Schmerz u. Unruhe, wenn du nicht kommst u. mein Seelen-heil errettest. Es gibt keinen Menschen auf dieser Welt, der es könnte – laß mich nicht untergehen hier u. dort! –Ich schreibe dir – als ob ich mit dir spräche u. als ob meine Zunge mir gelöst wäre von einem Banne, der darauf lag. Mir ists als müßte ich dir sagen: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn! –

Aus: Beatrix Borchard, Stimme und Geige. Amalie und Joseph Joachim. Biographie und Interpretationsgeschichte. Mit CD-Rom. Wien. Böhlau 2007.

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Der letzte Brief

Amalie Joachim an Joseph Joachimo.O. [29.]5.1896

Mai [18]96.

Ich weiß allerdings gar nicht, wohin diese Zeilen senden – aber, mein Herz drängt mich, Dir ein Wort der Theilnahme über Frau Schumann zu sagen! Mir ist es so nahe gegangen diese Frau nun auch fort zu wißen – sie nie mehr sehen, nie mehr hören zu können – wie muß es erst dir sein, der du ihr im Leben so nahe gestanden hast u. mit welcher dich die schönsten Jugenderinnerungen verbanden. Wie gerne möchte ich dich sehen u. dir die Hand drücken u. dir sagen, daß noch immer dein Schmerz mein Schmerz ist! Es ist ein Wort, welches ich dir damit sage – denn wo ich auch geirrt habe, was mir auch ange-than ist – die Zeit die ich mit dir verbringen durfte war doch meine einzige Lebenszeit. Die Gedanken waren jetzt öfter als sonst in Hannover wo Fr. Schumann kam – ich sie kennen lernte – ich deine Braut war – von ihr u. dir das ungarische Concert zum ersten-male hörte! – Ich habe Großes erleben dürfen – das Größte aber durch dich – mit dir! –Ich will dich nicht stören mit diesen Zeilen konnte aber nicht anders, mußte dir sagen, wie es mir ums Herz ist!Gott grüße dich.A. J.

Joseph Joachim im Alter

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Der Künstler tötet Materie und Erfahrung, indem er sie in Kunst umsetzt. Die Frau wird geopfert, im Namen der Kunst. Sie muß sterben, damit er zum Schöpfer werden kann.

Elisabeth Bronfen: „Nur über ihre Leiche. Tod, Weiblichkeit und Ästhetik“, München 1994.

Sinfonia domestica II

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Impressum

Redaktion: Prof. Dr. Beatrix Borchard, Dr. Bettina Knauer

Gestaltung: Veronika Grigkar (grigkar.de)

Druck: diedruckerei.de

Bild- und Textnachweise

Sinfonia domestica I

wikipedia.de (Richard Strauss)

Marianne Reissinger: Und die Schokolade nehmen wir im

blauen Salon, Zu Tisch bei Pauline und Richard Strauss,

München 1999, S. 19.

mdr.de (Oper, MDR FIGARO)

wikipedia.org (Pauline de Ahna)

crescendo.de (Des Helden Gefährtin: Pauline Strauss)

bbc.co.uk (BBC Radio3, composer of the week)

Kochrezepte aus: Reissinger 1999.

richardstrauss.org

Richard-Strauss-Institut Garmisch-Partenkirchen

crescendo.de (Zum Jubiläum 2014: Der andere Strauss)

Das verborgene Band

Stiftung Preußischer Kulturbesitz

wikipedia.de (Felix Mendelssohn Bartholdy)

Staatsbibliothek Berlin

Jüdisches Museum Frankfurt/M.

wikipedia.de (Cécile Charlotte Sophie Mendelssohn

Bartholdy)

wikipedia.de (Marianne von Willemer,

Freies Deutsches Hochstift Frankfurt/M.)

Stimme und Geige

Joseph und Amalie (Brahms-Institut Lübeck)

Johannes Brahms und Joseph Joachim

(Brahms-Institut Lübeck)

Amalie und Joseph Joachim, ca. 1873 (Privatbesitz London)

Amalie Joachim mit ihren Kindern, ca. 1888

(Privatbesitz Göttingen)

Joseph Joachim, ca. 1905 (Privatbesitz London)

Beatrix Borchard: Stimme und Geige: Amalie und Joseph

Joachim. Biographie und Interpretationsgeschichte

(= Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte Bd. 5,

hrsg. von Reinhard Kapp und Markus Grassl), Wien 2005,

2. Auflage Wien 2007.

Sinfonia domestica II

wikipedia.org (The Tales of Hoffmann)

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Eine Veranstaltungsreihe der Hochschule für Musik und Theater Hamburg unter Leitung von Prof. Dr. Beatrix Borchard in Kooperation mit Dr. Bettina Knauer und Prof. Marc Aisenbrey

Fanny Hensel-Saal der Hochschule für Musik und Theater Hamburg Harvestehuder Weg 12 (Eingang Milchstraße)20148 Hamburg www.hfmt-hamburg.de

Gefördert durchZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und die Gerhard Trede-Stiftung