„Strafrechtliche Bekämpfung von Hasskriminalität ... · „Das wird frau/mann doch noch sagen...
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Fachgespräch
„Strafrechtliche Bekämpfung von Hasskriminalität:
Bestandsaufnahme und Reformvorschläge“
Referat „Schutz vor Hasskriminalität:
Vorgaben des europäischen Rechts“
Deutscher Bundestag, Berlin
Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
4. Juni 2014
©
ao. Univ.Prof. Dr. Hannes Tretter
Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien
Co-Direktor Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte (BIM)
Heikle Gratwanderung
Die Beschränkung der Meinungsfreiheit mit Mitteln
des Strafrechts stellt eine heikle Gratwanderung dar.
Sie sollte nur ultima ratio und muss auch dann
verhältnismäßig sein.
Unterschiedliche Zugänge:
• Weitgehende Liberalität (zB USA), Freiheit des Worts
soweit nicht zu Gewalt aufgerufen wird
• Nach internationalen und europäischen Vorgaben sowie in
zahlreichen europäischen Staaten ist eine Bestrafung und
damit Beschränkung der Meinungsfreiheit zum Schutz vor
Verhetzung, Verunglimpfung und Herabwürdigung von
Menschen und ihrer Eigenschaften möglich bzw geboten.
„Das wird frau/mann
doch noch sagen dürfen!“?
Am Tag nach 9/11 Transparent mit den brennenden Twin-
Towers und der Aufschrift „Islam out of Britain – Protect the
British People“ (EGMR Fall Norwood/UK)
„Juden sind für alles Übel in Russland verantwortlich, sie
haben keine nationale Würde“ (EGMR Fall Ivanov/Russland)
„Frankreich wird durch unseren Hauptfeind – muslimische
Einwanderer aus Nordafrika – ethnisch erobert“ (EGMR Fall
Soulas/Frankreich)
Sarazzin: Forderung der kompletten Streichung von Transfer-
leistungen für Ausländer aus der „Unterschicht“, und: „Die
Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das
Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate.“
Bedeutung der Meinungsfreiheit
Meinungsfreiheit gehört nach der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
(EGMR) zu Grundfesten einer demokratischen
Gesellschaft,
• die nicht nur für Informationen gilt, die
Zustimmung finden, sondern auch für solche, die
verletzend, beleidigend, schockierend oder
beunruhigend wirken.
• Dies gebieten Pluralismus, Toleranz und
Aufgeschlossenheit in einer Demokratie, für
die lebendige, offene Diskussionen essentiell sind.
Meinungsfreiheit im politischen Diskurs
Ausrichtung der EMRK an den Maßstäben einer „demokratischer Gesellschaft“ europäischen Zuschnitts
Weite Grenzziehung für politische Meinungsäuße-rungen, die regelmäßig von Allgemeininteresse sind.
Besonders weit reichende Kritik darf an Regierungs-maßnahmen geübt werden, aber auch gegenüber Politikern, soweit es um die politische Funktion geht.
Politiker müssen als „public figures“ mehr Kritik hinnehmen als Privatpersonen.
Meinungsfreiheit und Hassrede I
Gefährdungen durch Hassrede :
• Aufruf zur Begehung von Gewalttaten gegen
(oftmals benachteiligte) Gruppen,
• Missachtung vorherrschender moralischer
Grundsätze oder sozialer Überzeugungen,
• Missachtung, Verhöhnung oder Geringschätzung
kultureller oder ethnischer Eigenschaften von
Menschen oder ihrer/s religiösen Werte/Glaubens
• Verunglimpfung und Herabwürdigung
benachteiligter Gruppen aufgrund bestimmter
(vermeintlicher) kollektiver Merkmale.
Meinungsfreiheit und Hassrede II
CoE Rec 1997/20 on Hate Speech:
„Hassrede“ umfasst Ausdrucksformen,
• die Rassenhass, Fremdenfeindlichkeit oder
Antisemitismus verbreiten, fördern, rechtfertigen oder
dazu anstiften
• oder andere auf Hass gegründete Formen von
Intoleranz (inkl. aggressiver Xenophobie)
Gesetzgebung und Vollziehung nötig
Beschränkungen der Meinungsfreiheit
• eng umschrieben und auf objektiven Kriterien
Strafrechtliche Sanktionen und zivilrechtliche
Verantwortlichkeit juristischer Personen
Internationale Vorgaben
Art 20 UN-Pakt über zivile und politische Rechte
verlangt das gesetzliche Verbot jedes Eintretens für
nationalen, rassischen oder religiösen Hass, durch
das zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt
aufgestachelt wird (inklusive Kriegspropaganda).
Art 4 UN-Konvention gg. Rassendiskriminierung
verlangt das Verbot jeder Propaganda und Organi-
sation, die auf der Annahme der Überlegenheit einer
Rasse etc beruht oder die Rassenhass und Rassen-
diskriminierung zu rechtfertigen oder zu fördern
sucht Verpflichtung zu Maßnahmen gegen jedes
Aufreizen zur Rassendiskriminierung.
EU-Rahmenbeschluss 2008/913/JI
gegen Rassismus/Fremdenfeindlichkeit
Strafrechtlicher Schutz gegen bestimmte Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit• Aufstachelung zu Gewalt und Hass und Verbreiten
entsprechender Schriften nach den Kriterien „Rasse“, Hautfarbe, Religion, Abstammung, nationale und ethnische Herkunft
• Billigen, Leugnen, Verharmlosen von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen
Verantwortlichkeit auch juristischer Personen(Parteien !)• Sanktionen bis zu Betätigungsverbot und Auflösung
Weitere europäische Dokumente
Zusatzprotokoll 2003 zum Übereinkommen über
Computerkriminalität („Budapester Konvention“)
• Staaten haben Maßnahmen gegen das vorsätzliche
Verbreiten rassistischen und fremdenfeindlichen Materials
über ein Computersystem unter Strafe zu stellen (Ausnah-
men möglich, wenn nicht mit Hass oder Gewalt verbunden )
• Strafbar sind auch Drohungen mit einer schweren Straftat
und rassistisch/fremdenfeindlich motivierte Beleidigungen
(opting out möglich).
Rahmenkonvention des Europarats zum Schutz
nationaler Minderheiten 1995
• Verlangt Maßnahmen zum Schutz vor diskriminierenden,
feindseligen und gewalttätigen Handlungen aus ethnischen,
kulturellen, sprachlichen oder religiösen Gründen.
Meinungsfreiheit (Art 10 EMRK)
Art 10 EMRK schützt das Recht, eine Meinung zu
bilden und zu haben, sowie jede zwischen-
menschliche Kommunikation bzw. Manifestation,
einschließlich der Weitergabe und des Empfangs von
Informationen (aktive & passive Informationsfreiheit).
Jede Kommunikationsform wird erfasst (Sprache,
Laute, Bild, Symbole, faktisches Verhalten, etc).
Werturteile und Tatsachenmitteilungen sind grund-
sätzlich frei, dürfen aber im Interesse anderer oder im
Allgemeininteresse beschränkt werden
Abwägungsprozess
Es ist zu prüfen, ob der Eingriff
• „in einer demokratischen Gesellschaft“ (die von
Pluralismus, Toleranz und Offenheit geprägt ist),
• zur Erreichung bestimmter Ziele (u.a. nationale
Sicherheit, territoriale Unversehrtheit, öffentliche
Sicherheit, Aufrechterhaltung der Ordnung, Verhütung von
Straftaten, Schutz der Gesundheit oder Moral, Schutz der
Rechte anderer)
• einem „dringenden gesellschaftlichen Bedürfnis“
entspringt,
• das gelindeste Mittel zur Zielerreichung darstellt,
• und dieses im Hinblick auf das verfolgte Ziel auch
verhältnismäßig ist (Ziel-Mittel-Relation)
Rechtsprechung zu Art 10 EMRK
Feindseligkeiten gegenüber Minderheiten• Soulas/Frankreich (Muslime)
• Le Pen/Frankreich (Muslime)
• Vejdeland/Schweden (Homosexuelle)
Blasphemie• Otto Preminger Institut/Österreich (Film)
• Aydin Tatlav/Türkei (Islam hat Effekt, soziale Ungerechtigkeiten mit „Gottes Wille“ zu legitimieren)
• Giniewski/Frankreich (Kritik am Papst wegen dessen Verhalten während des Holocaust)
• Mohammed-Karikaturen?
• CoE/CDL: Blasphemie nicht strafrechtlich zu verfolgen!
Aufrufe zu Gewalt• Kurdischer Separatismus in der Türkei
• Leroy/Frankreich, „9/11-Wovon wir träumten, Hamas tat es!“
Missbrauchsverbot des Art 17 EMRK
Art 17 EMRK:
• EMRK nicht so auszulegen, „als begründe sie für einen
Staat, eine Gruppe oder eine Person das Recht, eine
Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen,
die darauf abzielt, die in der Konvention festgelegten
Rechte und Freiheiten abzuschaffen oder sie stärker
einzuschränken, als es in der Konvention vorgesehen ist“.
Grundlegende Werte (nicht nur Rechte) der
EMRK dürfen unter Berufung auf die Meinungs-
freiheit nicht angegriffen werden =
= Form „streitbarer Demokratie“
Rechtsprechung zu Art 17 EMRK
Verbale Attacken auf Muslime und Juden• durch eine rechtsradikale Partei nach 9/11 (EGMR
Norwood/UK, 2003)
• durch Zeitschrift mit Beiträgen über Juden in Russland (EGMR Ivanov/Russland, 2007)
Forderung nach Einführung der Sharia• Verbot einer Partei, die sich für islamisches Kalifat bzw.
Einführung der Scharia einsetzt (Hizb Ut-Tahrir v. Germany, 2012, ähnlich Refah Partisi v. Turkey, 2003)
Leugnung des Holocaust• EGMR Garaudy/Frankreich, 2003, keine Suche nach
Wahrheit, sondern revisionistisch, den Opfern die Verfälschung historischer Tatsachen zuschreibend
• Angriff auf die Opfer und ihre Nachkommen mit Demokratie unvereinbar, weil im Widerspruch zu Gerechtigkeit und Friede
Verhetzung (§ 283 StGB)
(1) Wer öffentlich auf eine Weise, die geeignet ist, die öffentliche Ordnung zu gefährden, zu einer feindseligen Handlung gegen eine im Inland bestehende Kirche oder Religionsgesellschaft oder gegen eine durch ihre Zugehörigkeit zu einer solchen Kirche oder Religions-gesellschaft, zu einer Rasse, zu einem Volk, einem Volksstamm oder einem Staat bestimmte Gruppe auffordert oder aufreizt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.
(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer öffentlich gegen eine der im Abs. 1 bezeichneten Gruppen hetzt oder sie in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpft oder verächtlich zu machen sucht.