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der bauschaden | Oktober/November 2013 13 O ffene Grundrisse oder große Fens- teröffnungen – moderne Bauwei- sen erfordern ein Höchstmaß an plane- rischer Aufmerksamkeit und eine sorg- fältige Bauleitung und Bauausführung. Denn werden z. B. Decken fehlerhaft dimensioniert oder nicht ausreichende Betongüten eingesetzt, entstehen spä- ter schnell Risse. Vier Beispiele aus der Praxis zeigen entsprechende Schadens- bilder sowie deren Sanierung. Beispiel 1 Circa 10 Jahre nach Fertigstellung eines Einfamilienhauses hatte sich in der Ecke eines Kellerfensters ein diagonal nach unten weglaufender Riss gebil- det. Dieser sollte in Augenschein ge- nommen und bewertet werden. Feststellungen vor Ort Das Haus war teilunterkellert und teilwei- se ausgebaut. Die Kellerwände waren in (1) Risse, die ähnliche Rissbilder ergeben, können sich unabhängig vom verwendeten Baumaterial und der Konstruktion einstellen Moderne (Riss-)Architektur Ursachen und Sanierung von Rissschäden in modernen Bauweisen Bild: © W. Siegwart Ortbetonbauweise erstellt. Die Wandstär- ke der betroffenen Wand war ca. 30 cm. Der Riss befand sich in der linken Ecke des Kellerfensters (siehe Bild 2) und verlief dia- gonal nach unten. Die Rissweite betrug ca. 0,5 mm. Grafik: © W. Siegwart (2) Grundriss des Beispiels 1 mit Lage des Risses im Kellergeschoss Gemäß Werkplanung bestand die innen- seitige Bewehrung aus einer Lagermatte Q 131. Dies konnte durch eine zerstö- rungsfreie Untersuchung mit einem Beweh- rungsscan bestätigt werden. Eine Diago- nalbewehrung war nicht geplant und nicht angeordnet worden. Rissursachen Kellerfenster bilden in Kellerwänden eine Schwächung. An den Ecken wirken Kerb- spannungen. Der Brüstungsbereich ist durch den horizontal von außen einwirken- den Erddruck besonders gefährdet, da im Bereich der Fenster keine Auflast einwirkt. 1 Vermieden werden kann diese Rissbildung nur durch eine ausreichende Bewehrung. Die Lagermatte Q 131 genügt zwar den Anforderungen an die Standsicherheit, aber die Rissbildung an den Ecken kann so nicht vermieden werden. Selbst bei Verwendung einer Matte mit höherem Be- wehrungsanteil, hätten sich an dieser Stelle noch Risse bilden können. Es empfiehlt sich 1 W. Ackermann: Risse in Bauwerken, Teil III Decken- durchbiegungen, Kellergeschosswände mit Erddruck und Risse durch Vorgaben, in: Der Sachverständige 3/2013.

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Offene Grundrisse oder große Fens-teröffnungen – moderne Bauwei-

sen erfordern ein Höchstmaß an plane-rischer Aufmerksamkeit und eine sorg-fältige Bauleitung und Bauausführung. Denn werden z. B. Decken fehlerhaft dimensioniert oder nicht ausreichende Betongüten eingesetzt, entstehen spä-ter schnell Risse. Vier Beispiele aus der Praxis zeigen entsprechende Schadens-bilder sowie deren Sanierung.

Beispiel 1

Circa 10 Jahre nach Fertigstellung eines Einfamilienhauses hatte sich in der Ecke eines Kellerfensters ein diagonal nach unten weglaufender Riss gebil-det. Dieser sollte in Augenschein ge-nommen und bewertet werden.

Feststellungen vor Ort

Das Haus war teilunterkellert und teilwei-se ausgebaut. Die Kellerwände waren in

(1) Risse, die ähnliche Rissbilder ergeben, können sich unabhängig vom verwendeten Baumaterial und der Konstruktion einstellen

Moderne (Riss-)ArchitekturUrsachen und Sanierung von Rissschäden in modernen Bauweisen

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Ortbetonbauweise erstellt. Die Wandstär-ke der betroffenen Wand war ca. 30 cm. Der Riss befand sich in der linken Ecke des Kellerfensters (siehe Bild 2) und verlief dia-gonal nach unten. Die Rissweite betrug ca. 0,5 mm.

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(2) Grundriss des Beispiels 1 mit Lage des Risses im Kellergeschoss

Gemäß Werkplanung bestand die innen-seitige Bewehrung aus einer Lagermatte Q 131. Dies konnte durch eine zerstö-rungsfreie Untersuchung mit einem Beweh-rungsscan bestätigt werden. Eine Diago-

nalbewehrung war nicht geplant und nicht angeordnet worden.

Rissursachen

Kellerfenster bilden in Kellerwänden eine Schwächung. An den Ecken wirken Kerb-spannungen. Der Brüstungsbereich ist durch den horizontal von außen einwirken-den Erddruck besonders gefährdet, da im Bereich der Fenster keine Auflast einwirkt.1 Vermieden werden kann diese Rissbildung nur durch eine ausreichende Bewehrung.Die Lagermatte Q 131 genügt zwar den Anforderungen an die Standsicherheit, aber die Rissbildung an den Ecken kann so nicht vermieden werden. Selbst bei Verwendung einer Matte mit höherem Be-wehrungsanteil, hätten sich an dieser Stelle noch Risse bilden können. Es empfiehlt sich

1 W. Ackermann: Risse in Bauwerken, Teil III Decken-durchbiegungen, Kellergeschosswände mit Erddruck und Risse durch Vorgaben, in: Der Sachverständige 3/2013.

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daher, in den Ecken zusätzlich Diagonalstä-be anzuordnen, die die Kerbspannungen aufnehmen können.2

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(3) Beispiel 1: Riss in Fensterecke mit Unter-suchungen zu Bewehrungsgehalt und Tiefe des Betonbauteils

Sanierung

Risse in der Zugzone von Stahlbetonbau-teilen sind normal. Rissweiten von bis zu 0,3 mm stellen in Stahlbeton-Innenbau-teilen deshalb keinen Mangel dar (sofern keine weitere Beeinträchtigung wie z. B. Wassereintritt auftritt).

2 B. Brand, G. Glatz: Schadenfreies Bauen: Band 14 – Schäden an Tragwerken aus Stahlbeton. 2. Aufl. Stuttgart: Fraunhofer-IRB-Verlag 2005, S. 139 ff.

Diese Rissweite wird hier jedoch überschrit-ten, sodass damit gerechnet werden muss, dass die Bewehrung vorzeitig korrodieren wird. Der Riss ist deshalb mit einer zemen-tösen Spachtelmasse zu überarbeiten. Wei-tere Maßnahmen sind nicht notwendig.

Beispiel 2

In einem Einfamilienhaus traten wäh-rend der Innenausbauphase Risse im Obergeschoss an Außen- und Innen-wänden auf. Der Eigentümer gab den Auftrag, die Ursache der Risse zu ermit-teln und Empfehlungen zur Risssanie-rung zu geben. Die Baubeteiligten hat-ten zuvor angegeben, die Rissbildung sei „normal“.

Bei dem Haus handelte es sich um ein zweigeschossiges unterkellertes freistehen-des Einfamilienhaus. Die Außenmaße des quadratischen Grundrisses betrugen rund 10 x 10 m. Das Dach war ein einfaches Satteldach (Sparrendach) und zum Ausbau vorbereitet. Die tragenden Außenwände bestanden aus 36,5er Porenbeton. Es war kein WDVS vorgesehen.

Das Haus verfügte über einen modernen Grundriss mit großen Hebeschiebetüren-

Elementen im Erdgeschoss. Es waren zudem im Erd- und im Obergeschoss die Fenster über Eck angeordnet. Eine Gebäu-deecke kragte über den Hauseingang aus.

Die Deckenstärke der Betondecke betrug 20 cm, die Betongüte war C25/30, die Betondeckung war mit 2,5 cm festgesetzt worden.

Feststellungen vor Ort

Zum Zeitpunkt des Ortstermins waren die Fenster und die Außentür eingebaut, der In-nenputz aufgetragen und der Estrich gelegt.

Im Außenmauerwerk des Obergeschosses waren über den frei kragenden Ecken bzw. in den Wänden über der straßenseitigen Hebeschiebetür Trennrisse aufgetreten. Wei-terhin waren Trennrisse im Obergeschoss in den nicht tragenden Innenwänden vorhan-den. Der Putz über den Rissen war bereits bauseits entfernt worden (Bild 4).

(4) Freigelegter Trennriss im Außenmauer-werk von Beispiel 2 (Nr. 3 nach Tab. 5)

Es traten die in Tabelle 5 dargestellten Risse auf.

Untersuchung zu Rissursachen

Zum besseren Verständnis der baulichen Gegebenheiten ist der überlagerte Grund-riss des Erdgeschosses und des Oberge-schosses mit der Lage der Risse in Bild 6 eingezeichnet.

Nr. Raum Lage Verlauf Art

1 1 Außenwand unter Eckfenster Eingangsseite

Vertikal-Diagonal-Riss in Brüstungsmauerwerk

Trennriss

2 1 Außenwand unter Eckfenster Straßenseite

Vertikal-Riss in Brüstungsmauerwerk

Trennriss

3 1 Außenwand unter Fenster links des Eckfensters Straßenseite

Vertikal-Riss in Brüstungsmauerwerk

Trennriss

4 2 Außenwand unter Fenster Straßenseite

Diagonal-Riss in Brüstungsmauerwerk

Trennriss

5 2 Außenwand unter Eckfenster Straßenseite

Vertikal-Riss in Brüstungsmauerwerk

Trennriss

6 Bad Außenwand unter Fenster Straßenseite

Diagonal-Riss in Brüstungsmauerwerk, links

Trennriss

7 3 Außenwand unter Fenster Gartenseiten

Vertikal-Riss in Brüstungsmauerwerk, rechts

Trennriss

8 1 Innenwand zwischen Raum 1 und Dusche

Vertikal-Riss in ca. Wand-mitte

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9 2 Innenwand zwischen Raum 2 und 3

Vertikal-Riss in ca. Wand-mitte

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(5) Risse im Gebäude aus Beispiel 2

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Die auf der Stahlbetondecke aufstehenden Wände sind rissempfindlich, deshalb muss die Durchbiegung auf l/500 begrenzt wer-den, damit ein Mauerwerksverband die eingeleiteten Lasten rissfrei aufnehmen kann.

Gemäß DIN 1045-1 Abs. 11.3.2 kann der vereinfachte Biegeschlankheitsnachweis Li/d ohne direkte Berechnung erfolgen3. Bei Spannweiten unter 4,28 wird i. d. R. die ein-fache Beschränkung der Durchbiegung von li/d ≤ 35 herangezogen.4 Wird dieser Nach-weis für die auskragende Deckenplatte über dem Eckfenster (Risse 1 und 2) geführt, so beträgt die statische Nutzhöhe (2,25 x 2,4) / 0,15 = 36. Der Nachweis ist also nicht er-füllt. Die Deckenstärke hätte mehr als 20 cm betragen müssen, um die Durchbiegung zu begrenzen.

Hinzu kommt, dass sich über Ecken keine Kraftübertragung (Druckbogen-Zugband-Modell) in der Wandscheibe einstellt und dass durch die Fensteröffnung keine Auf-last, d. h. Normalkraft, einwirkt. Unter diesen Gesichtspunkten sollte neben aus-reichender Begrenzung der Biegeschlank-heiten ein solches konstruktives Detail mit

3 DIN 1045-1:2008-08 Tragwerke aus Beton, Stahlbe-ton und Spannbeton – Teil 1: Bemessung und Kon-struktion

4 B. Brand/G. Glatz, a. a. O.

bewehrtem Mauerwerk ausgeführt wer-den. Eine Bewehrung war jedoch weder angeordnet noch vorhanden.

Die Spannweite der Decke beträgt 4,62 m. Der vereinfachte Biegeschlankheitsnach-weis kann demnach mit li²/d ≤ 150 ge-führt werden. Die Ersatzstützweite be-trägt 4,92 m. Die sich daraus ergebende Deckenstärke beträgt 16,1 cm zzgl. 5 cm für die Betonüberdeckung, also mindes-tens 22 cm. Vorhanden waren nur 20 cm. Göttlich beschreibt zudem, dass bei klei-nen Spannweiten von unteren Betongü-ten das oben genannte Kriterium nicht ausreicht.5 Es wären zur wirksamen Ver-meidung der Risse entweder noch höhere Deckenstärken und/oder bessere Betongü-ten als der gewählte C25/30 erforderlich gewesen.

Die Risssicherheit von nicht oder nur wenig belastetem Mauerwerk, z. B. von Innen-wänden, kann anhand

• der Einbausituation (Behinderungsgrad und Wandhöhe),

• des Verhältnisses von Zugfestigkeit zu E-Modul (Zug) und

5 P. Göttlich: Stimmt li/35 immer noch?, in: Der Bausachverständige 1/2009

• der sich einstellenden Gesamtverformun-gen

berechnet werden.6

Die rissfreie Wandlänge lr ergibt sich nach:

lr ≤ -ln (1 – βz,mw / (Ez,mw x ges ε x R)) x hmw / α

Die nicht tragenden Innenwände waren aus 11,5er Porenbeton erstellt und beid-seitig verputzt. Die Wandhöhe hmw betrug 2,75 m. Das Verhältnis βz,mw/Ez,mw liegt bei Porenbeton zwischen 1/15.000 und 1/10.000.

Der Behinderungsgrad R liegt zwischen 1,0 und 0,8 für volle Einspannung, d. h. keine Trennlage oder Mörtel/Schlämme. Beim Vorhandensein einer Trennlage re-duziert sich R auf 0,8 bis 0,6, und wenn zwei Trennlagen vorhanden sind, wird R zu 0,6 bis 0,4 angesetzt. Der dazu gehö-rige Beiwert für kraftschlüssige Halterung α beträgt 0,23 für eine und 0,51 für zwei Trennlagen.

Die rechnerische Untersuchung in Tabel-le 2 zeigt, dass es bei nur einer Trennla-ge und entsprechendem Verhältnis βz,mw/ Ez,mw möglich ist, dass die nicht tragenden Wände horizontale Trennrisse in ca. Wand-mitte bekommen.

R α βz,mw / Ez,mw l 1/15.000

βz,mw / Ez,mw l 1/10000

lr lr1,0 0,51 2,49 m 4,37 m

0,8 0,51 3,35 m 5,17 m

0,6 0,23 11,48 m 31,11 m

L1 4,62 m 4,62 m

L2 3,85 m 3,85 m

(7) Rissfreie Wandlängen

Bei nur einer Trennlage und den entspre-chenden Materialeigenschaften der Po-renbetonwand können sich Risse auf den Wandlängen L1 und L2 einstellen.

6 P. Schubert (Hrsg.): Mauerwerksbau-Praxis. 2. Aufl. Berlin: Bauwerk 2009, S. 226 ff.

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(6) Überlagerte Grundrisse und Lage der Risse im Obergeschoss von Beispiel 2

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Rissursachen

Ein Teil der Risse im Außenmauerwerk wurde durch die zu geringe Deckenstärke verursacht (Biegeschlankheit).

Die Risse in den nicht tragenden Innenwän-den wären nicht entstanden, wenn zwei Trennlagen vorhanden gewesen wären. Ob der obere bewegliche Anschluss überall vorhanden war, wurde nicht geprüft. Eben-so war nicht mehr nachvollziehbar, ob die Ausschalfristen eingehalten worden waren.

Bei anderen Rissen in den Außenwänden konnte die Ursache mit wirtschaftlichem Aufwand nicht ermittelt werden. Jedoch deutet das Rissbild auch auf überhöhte Durchbiegungen infolge zu frühen Aus-schalens.

Sanierung

Die Risse in den nicht tragenden Innen-wänden können im Bauzustand noch leicht behoben werden. Hierzu muss unter dem Putz eine Trennlage aufgebracht werden.

Zunächst wird der Putz um die Risse ca. 10 cm rechts und links entfernt, und die Trennlage eingebracht. Über die Trenn-lage wird auf einem Putzträger ein neuer Innenputz aufgebracht. Sollten die Risse im Verlauf weiterer Bauwerksbewegun-gen weiter aufgehen und sich wieder an der Oberfläche zeigen, sind sie im Rahmen einer nachfolgenden Schönheitsreparatur leicht zu beseitigen.

Die Risssanierung der Außenfassade ist schwieriger, da im Fall eines erneuten Aufgehens der Risse die Fassade komplett überarbeitet werden müsste. Aus energe-tischen Gründen sind Trennrisse, d. h. die Verletzung der luftdichten Ebene, in den Außenwänden nicht tolerierbar, wenn hier auch das Schadenpotenzial aufgrund der massiven Bauart gering ist.

Über Rissen entstehen hohe Kerbspannun-gen, die i. d. R. von Außenputzsystemen nicht ohne zusätzliche Maßnahmen auf-genommen werden können. Das sichers-te Verfahren, die Entkoppelung des Put-zes durch Styroporplatten (dies entspricht einem Wärmedämmverbundsystem), war hier nicht erwünscht.

Es blieb die Möglichkeit der Rissentkoppe-lung ca. 10 cm rechts und links der Trenn-risse sowie der Verwendung einer gewebe-armierten Spachtelung als erste Putzlage. Hier besteht jedoch die Gefahr, dass inner-halb von 5 bis 10 Jahren der Putz über den Rissen aufreißt.

Im Inneren ist auch bei Verwendung von Gipsputz über diesen Bauteilschwächungen eine Armierungslage einzubringen, um die Kerbspannungen zu übernehmen.

Beispiel 3

In einem zweigeschossigen, teilunter-kellerten Einfamilienhaus zeigten sich 4 Jahre nach Fertigstellung große hori-zontale Risse im Obergeschoss. Weiter-hin ließ sich ein großes Schiebetüren-element im Obergeschoss nicht mehr öffnen.

Das Haus besaß einen quadratischen Grundriss von ca. 9 x 9 m (Außenab-messungen) mit Anbauten. Es war an ein bestehendes Gebäude angebaut. Der unmittelbar an das Nachbargebäude an-grenzende Gebäudeteil war unterkellert. Im Kellergeschoss war ein Durchgang zum Bestandshaus angeordnet. Das Kel-lergeschoss war komplett in Stahlbeton-bauweise errichtet. Die Außenwände bestanden aus gefüllten Planziegeln, auch die nicht tragenden Innenwände im ersten Oberschoss bestanden aus Ziegel-mauerwerk.

Im Erdgeschoss befand sich als zentra-les tragendes Element eine ca. 2 m lange Wand aus Kalksandstein. Diese Wand war etwa mittig angeordnet. Im Bereich des Wohn-/Essbereichs war die Geschossde-cke durch die ca. 2,80 m tiefe und 4,20 m lange Galerie-Öffnung unterbrochen.

Die Außenwand war auf einer Seite auf einer Länge von 7 m über die beiden Ge-schosse geöffnet. Diese Öffnung war unterbrochen durch einen umlaufenden Ringanker bzw. Balken auf Höhe der Ge-schossdecke. Auf der gegenüberliegenden Seite war fast die gesamte Gebäudebreite durch Oberlichter unterbrochen. Dabei war die breiteste Fensteröffnung für ein Ober-licht 4,6 m, gefolgt von 2 x 1,8 m breiten Oberlichten.

Die Lastabtragung der Geschossdecke aus Stahlbeton wurde mit einer Stärke von 23 cm und einer Betondeckung von 2,5 cm über deckengleiche Unterzüge re-alisiert.

Das Walmdach war nur auf den Außen-wänden gelagert. Die nicht tragenden Zie-gelinnenwände im Obergeschoss verfügten auf Höhe des Ringankers über in den Ring-anker einbindende Ringbalken.

Feststellungen vor Ort

Unter- und oberhalb des Ringbalkens im Oberschoss hatten sich horizontale, bis zu 3 mm breite Trennrisse in den Innenwänden gebildet. Die Rissweite war dabei in Rich-tung Feldmitte bzw. Galerieöffnung mit fast 3,0 mm am weitesten (siehe Bild 8). In Rich-tung Außenwand liefen die Risse auf 0 aus.

Im Treppenhaus hatten sich im Übergang vom Kellergeschoss zum Erdgeschoss auf Höhe des Ringankers Risse im Putz gebil-det. Bei einer Öffnung des Putzes fand sich keine Gewebeeinlage.

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(8) Riss unter Ringbalken in nicht tragender Innenwand des Obergeschosses

Rissursachen

Der Nachweis der Biegeschlankheit nach DIN 1045-1 macht bei einer Ersatzstützwei-te li von 5,28 m eine statische Nutzhöhe von 18,5 cm erforderlich. Bei 2,5 cm Be-tondeckung wäre somit eine Deckenstärke von gerundet 24 cm erforderlich gewesen. Vorhanden sind 23 cm.

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Der vereinfachte Biegeschlankheitsnach-weis, selbst wenn die erforderliche Bie-geschlankheit eingehalten worden wäre, hätte das Risiko einer Rissbildung beinhal-tet. Denn der vereinfachte Nachweis be-rücksichtigt nicht die Sekundäreffekte, die sich aufgrund der biegeweichen Linienla-gerungen der Decke über fast die gesamte Gebäudebreite von zwei gegenüberliegen-den Seiten einstellen müssen.

Wegen freitragenden, auskragenden und zudem noch auf langen deckengleichen Unterzügen aufgelagerten Systems ist es ohne weitere Maßnahmen unvermeidlich, dass sich größere Verformungen einstellen. Diese weiteren Maßnahmen hätten in einer deutlichen Überhöhung der Geschossde-cke, in hohen Betongüten z. B. C30/37 oder höher statt C 25/30, einer Deckenstär-ke von 25 cm oder mehr und zusätzlicher Bewehrung bestehen können. Keine dieser Maßnahmen war realisiert worden.

Bei den Rissen auf Höhe des Ringankers han-delt es sich um Schubrisse. Hier schwindet der Betonringanker, während das aufstehen-de Ziegelmauerwerk annähernd starr ist.

Betonschwinden lässt sich nur reduzieren, wenn schwindarmer Beton mit einem Be-wehrungsgrad von ca. 5 % eingebaut wird.7 Eine Gewebeeinlage fehlte ebenso. Dies ist zwar in vielen Fällen unwirtschaft-lich und aus Gründen der Tragfähigkeit auch nicht nötig. Doch so lag der Beweh-rungsgrad hier auch nur bei 0,4 %. Um dennoch Risse zu vermeiden, soll bei Ma-terialwechseln im oberen Drittel eine Ge-webelage angeordnet werden – auch bei Innenputzen.8

Sanierung

Die Risse befinden sich gut sichtbar im Ga-leriegeschoss und im Treppenhaus eines repräsentativen Einfamilienhauses. Sie sind aus optischen Gründen nicht hinnehmbar.

Trotz der großen Rissweiten ist eine Risssa-nierung verhältnismäßig einfach möglich.

7 W. Pfefferkorn, H. Klaas: Schadenfreies Bauen: Band 7 – Rissschäden an Mauerwerk. 3. Aufl. Stuttgart: Fraunhofer-IRB-Verlag 2002

8 SCHWENK Putztechnik GmbH & Co. KG: Innenputz-systeme Neubau, Stand 2005, S. 6

Nach fast 5 Jahren Standzeit dürfte zudem ein Großteil der Verformungen aus Schwin-den und Kriechen abgeschlossen sein, so-dass sich die Risse nach einer Sanierung wahrscheinlich nicht mehr öffnen.

Die Bereiche sind 10 cm rechts und links der Risse freizulegen. Die Rissflanken sind zu öffnen und mit Acryl zu schließen. Der Putz im Bereich ist zweilagig aufzubauen.

Die erste Lage bildet ein Armierungsputz mit Gewebeeinlage. Auf den Putz wird dann der Oberputz (Gipsputz) aufgetragen. Abschließend muss die gesamte Wand-oberfläche überarbeitet werden (Q3).

Beispiel 4

In einem Einfamilienhaus traten bereits während der Innenausbauphase Risse in den Außenwänden auf. Eine eingelei-tete Risssanierung verlief erfolglos. Die sanierten Risse öffneten sich nach we-nigen Tagen wieder. Nun sollten die Ur-sachen ermittelt und geeignete Schritte zur Sanierung empfohlen werden.

Feststellungen vor Ort

Das zweigeschossige Haus war unterkellert. Die Außenwände bestanden aus Kalksand-

stein. Da das Haus am Hang gebaut war, waren an einer Gebäudeseite drei Eckfenster übereinander angeordnet (KG, EG und OG). Die Fensteröffnungen waren in den Ecken jeweils mit Stahlstützen QR 60 x 4 abge-stützt.

Das Haus wies im Wohn- und Esszim-mer großzügige Fensterelemente auf. Die Decke über dem Erdgeschoss war für eine Galerie unterbrochen. Das Oberge-schoss war auf einer Gebäudeseite ge-genüber dem Erdgeschoss staffelgeschos-sartig zurückversetzt. Die Geschossde-ckenstärke im EG und OG betrug 28 cm. Es waren über den Öffnungen Überzüge angeordnet.

Trotz dieser Maßnahmen hatten sich an den Gebäudeecken im Obergeschoss Trennrisse gebildet. Diese Risse waren in allen Raumecken vorhanden. Sie gingen von den Fensterecken aus und verliefen im 45°-Winkel treppenförmig schräg nach unten. In der nord-östlichen Gebäu-deecke, im Bereich der zurückgesetzten Ecke, war das Rissbild analog, verlief aber im Wandquerschnitt, denn dort war kein Fenster vorhanden. Am stärksten ausge-prägt war die Rissbildung im obersten von 3 übereinander liegenden Eckfenstern (Bild 9).

(9) Viel zu geringes Überbindemaß im Mauerwerksverband, insbesondere im Bereich der Gebäudeecken

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Im Obergeschoss hatte sich im Badezim-merfenster auf der Nordseite (Nicht-Eck-Fenster) zusätzlich ein vertikal nach unten verlaufender Riss im Putz gebildet.

Bei der Inaugenscheinnahme des unver-putzten Mauerwerks von außen fiel auf, dass die zulässigen Mindestüberbindema-ße gem. DIN 1053/EC69 nicht eingehalten waren. Das bei dem Mauerwerk anwend-bare Mindestmaß von 9,6 cm war an vie-len Stellen z. T. deutlich unterschritten. Vielfach waren in den Fensteröffnungen im Mauerwerk zudem noch Kreuzfugen vor-handen.

Rissursachen

Eine Überprüfung der Statik ergab, dass die Durchbiegungen und Biegeschlankheiten im zulässigen Bereich lagen. Risse hätten somit trotz des anspruchsvollen Grundrisses nicht entstehen dürfen. Als hauptursächlich für die Rissbildung muss somit das Unter-schreiten des erforderlichen Überbindema-ßes des Mauerwerksverbands bezeichnet werden.

Sanierung

Wenn man davon ausgeht, dass trotz des reduzierten Überbindemaßes die Standfes-tigkeit des Mauerwerks noch gegeben ist, so gestaltet sich eine Risssanierung wiede-rum einfach.

Außen war ohnehin ein Wärmedämm-verbundsystem (WDVS) in voller Stärke (18 cm) vorgesehen. Das WDVS entkop-pelt den Putz von den Kerbspannungen der Risse, daher sind außen keine weiteren Maßnahmen mehr nötig.

Innen hat sich jedoch gezeigt, dass die her-kömmliche Risssanierung nicht ausreicht, die Bewegungen des Mauerwerks über den Rissen aufzunehmen. Innenputz er-füllt die Rolle der luftdichten Schicht gem. DIN 4108-710 und muss dementsprechend

9 DIN EN 1996-1-1:2013-02 Eurocode 6: Bemessung und Konstruktion von Mauerwerksbauten - Teil 1-1: Allgemeine Regeln für bewehrtes und unbewehrtes Mauerwerk

10 DIN 4108-7:2011-01 Wärmeschutz und Energie-Einsparung in Gebäuden – Teil 7: Luftdichtheit von Gebäuden – Anforderungen, Planungs- und Ausfüh-rungsempfehlungen sowie -beispiele, Abs. 6.1

dauerhaft luftdicht sein. Da bereits eine Risssanierung fehlschlug, sind besondere Maßnahmen erforderlich. Der Sanierungs-vorschlag orientiert sich dabei an Untersu-chungen zur Wirksamkeit von Putzarmie-rungen.11

Im Putz rechts und links der Risse ist ein ca. 40 cm breiter Streifen freizulegen. Hie-rauf ist eine Dichtbahn/Folie mit Klebestoff aufzubringen (Breite 20 cm), sodass der Riss sich weiter bewegen kann. Zum einen entkoppelt die Dichtbahn den Putz vom Untergrund, zum anderen ist die luftdichte Ebene im Fall eines erneuten Risses sicher-gestellt.

Dann kann über der Dichtbahn der Innenputz auf ein Armierungsgitter 0,8 mm, Breite 40 cm, aufgebracht wer-den. Der Putzauftrag sollte zweilagig er-folgen, wobei die erste Lage aus Armie-rungsputz mit Gewebeeinlage und die zweite Lage aus Gipsputz besteht. Das Armierungsgitter ersetzt dabei nicht die Gewebeeinlage.

Zusammenfassung

Ob eine Rissbildung als „hinzunehmend“ oder „nachbesserungsbedürftig“ eingestuft wird, hängt nicht nur von der technischen Gebrauchstauglichkeit, sondern auch von optischen Kriterien ab.

Bevor bestimmt werden kann, ob und wie saniert werden muss, sind eine sorgfälti-ge Untersuchung der Ursachen und eine Bewertung der möglichen Auswirkungen unumgänglich. Das Rissbild allein reicht dabei als Beurteilungskriterium oft nicht aus. Risse, die ähnliche Rissbilder ergeben, können sich unabhängig vom verwendeten Baumaterial und der Konstruktion einstel-len.

Bei modernen Bauweisen, wie in den hier gezeigten Beispielen, kann auch die beste Bauausführung nicht verhindern, wenn sich Geschossdecken zu stark durchbiegen und Risse im Mauerwerk entstehen. Allerdings ist mit der Umstellung der Nachweise von

11 SCHWENK Putztechnik GmbH & Co. KG: Effektivität und Einsatzgrenzen von Putzarmierungen zur Min-derung von Rissbildungen, in: Technik informiert, Ausgabe 10/2008

DIN 1045 auf EC2 mit weniger Rissen auf-grund der Biegeschlankheitsproblematik zu rechnen, da die Nachweise eher konserva-tiv erscheinen und zu höheren Deckenstär-ken führen sollten als die Nachweise nach DIN 1045.

Konstruktive Maßnahmen wie das Beweh-ren der Lagerfugen sind einfach umzuset-zen, denn entsprechende Produkte sind auf dem Markt verfügbar. Jedoch muss dies planerisch angeordnet und die Um-setzung kontrolliert werden. Die Lagerfu-genbewehrung sollte generell angeordnet werden, wenn Fensteröffnungen über Eck verlaufen.

Nur schwer festzustellen ist im Nachhinein, ob die für die Durchbiegungen so wichti-gen Ausschalfristen eingehalten wurden. Die beste Planung kann das Entstehen von Rissen nicht verhindern, wenn in der Bau-ausführung nicht ordnungsgemäß gearbei-tet wird und nicht rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden. Deshalb ist auch im Ein-familienhausbau eine sorgfältige Baulei-tung nötig.

Dr. Michael Siegwart ist eingetragen in die Liste beratender Ingenieure des Landes Baden-Württemberg. Im Jahr 2009 hat er sich nach langjähriger Erfahrung als Experte und Projekt-leiter bei internationalen Hoch- und Tiefbauprojekten im Bereich Bauscha-denerkennung und Sanierung selbst-ständig gemacht. Er ist Autor zahl-reicher Fachveröffentlichungen über Bauschäden, Bauwerksüberwachung und -sanierung.

Kontakt: www.ibsiegwart.de

Zur Person

Dr. Michael Siegwart