1 Roman II: Hartmann von Aue Der Autor: –historische Situierung –bildungsgeschichtliche...

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1 Roman II: Hartmann von Aue Der Autor: – historische Situierung – bildungsgeschichtliche Situation – literarisches Werk

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Roman II: Hartmann von Aue

Der Autor:

– historische Situierung– bildungsgeschichtliche Situation– literarisches Werk

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Historische Situierung

(Her Hartman von Owe, aus: Codex Manesse, Zürich, um 1320)

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Selbstzeugnis Hartmanns von Aue: Der Prolog des ,Armen Heinrich‘

Ein ritter sô gelêret was,

daz er an den buochen las,

swaz er daran geschriben vant;

der was Hartman genant,

5 dienstman was er ze Ouwe.

(Prolog, v. 1–5)

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er nam im manige schouwean mislîchen buochen; (Suche nach Vorlage)

dar an begunde er suochen,ob er iht des vunde, (drei Qualitäten des Stoffs:)

10 damite er swaere stunde (1. schwere Stunden erleichtern)

möhte senfter machen,und von sô gewandten sachen,daz gotes êren töhte (2. soll zum Lob Gottes dienen)

und dâ mite er sich möhte (3. soll dem Verfasser die Wert-

15 gelieben den liuten. schätzung d. Publikums bringen)(Prolog v. 6-15)

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Zusammenfassung der Prologaussagen

– ritter: Ritterliche Existenz in der sozialen Umgebung des Adels, am Hof, zur familia des Herrschers gehörig.

– gelêret: Fähigkeit im Umgang mit der Schriftkultur und Literatur; Kenntnis des Lateinischen und Französischen.

– dienstman: Existenz als (unfreier) Ministeriale im Dienst des Adels [Ministeriale s. LexMA].

– Literatur: als Nebenaufgabe, als Auftragswerk des Adels

-> Kunstförderung, Mäzenatentum (s. Bumke, Höf. Kultur, S. 638ff.)

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Bildungsgeschichtliche Situierung Hartmanns von Aue in der 2. H. 12. Jh.

– Kenntnis der poetologischen Prinzipien von Literatur: Gestaltungsmuster, Formprinzipien, Wirkungsstrategien;

– Kenntnis Wirkungsweise von Literatur in der illitteraen Adelsgesellschaft seiner Zeit;

– Kenntnis lateinischer und französischer Literatur;

– Integration des Autors Hartmann in die Gesellschaft;

– bildungsgeschichtlicher Transfer zwischen der illitteraten Welt des Laienadels und den litterati (ausgebildet in der lateinischen Bildungstradition der intellektuellen Eliten).

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Hartmann von Aue: Literarisches Werk(s. Störmer/Cormeau, Hartmann von Aue, 22007)

Hartmann ist der Autor mit der größten Gattungsvielfalt in seiner Zeit um 1200. Sein Werk umfasst:– Minnelyrik: 18 Lieder, z. T. in Mehrfachfassungen

(Typen: Minneklage, Minneabsage, Kreuzlieder)– Artus-Romane: ‚Erec‘, ‚Iwein‘ – Erzählungen: ‚Der arme Heinrich‘,

‚Gregorius‘– Ein Streitgespräch zwischen Körper und Herz um

richtige Minne: die ‚Klage‘

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Die Artusromane Hartmanns von AueVom mündlichen Erzählen zur literarischen Gestaltung

(s. Artus, in: Enzyklopädie des Märchens, Bd. 1)

• Keltische Erzählungen vom sagenhaften König Artus.• König Artus als Mittelpunkt der Table ronde („Tafelrunde“)

als Primus inter pares: zugehörig u.a. Erec, Sohn des Königs Lac; Iwein; Perceval; Gawan und sein Sohn Wigalois, Keie (die Negativfigur des Artushofs); außerdem: Lancelot, der sich in die Königin Guinevra verliebt (ein großes „Verzeichnis “ der Artusritter gibt Hartmann im ‚Erec‘, v. 1902ff.; Ziel ist, das deutsche Publikum über die bis dahin unbekannte Welt des arthurischen Hofs zu unterrichten).

• Zu all diesen Figuren gibt es eigene Romane/Erzählungen.• Das große Festereignis: Pfingsten am Artushof.• Handlungsform der Artusromane: die Aventiure (frz., aus

spätlat.: adventura ‚das, was auf einen zukommt‘), vgl. die Aventiure-“Definition“ in Hartmanns ‚Iwein‘, v. 524ff.

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Winchester CathedralKing Arthur‘s RoundTable15. Jh.

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Vermittlungswege der ArtustraditionKulturtransfer Frankreich –deutscher Sprachraum

(s. J. Bumke, Höfische Kultur)

• Entstehung einer literarischer Traditionsreihe des Artus-Romans aus umlaufenden mündlichen Erzählungen über König Artus und seine Ritter.

• Chrétien de Troyes, Verfasser des ersten europ. Artusromans: ‚Erec et Enide‘ (um 1170).

• Chrétien, ‚Erec‘, Prolog: ‚Früher haben Leute, die vom Geschichtenerzählen leben wollen (wohl jongleurs o.ä.), sie vor Grafen und Königen erzählt, aber auseinandergerissen und verdorben‘ (‚Erec‘-Prolog, v. 19-22).

• Chrétien aber will die Geschichte in wohlgeordneter Abfolge (une molt bele conjointure) erzählen (ebd.).

• Erkennbar ist die zeittypische Konkurrenz zwischen fahrenden Erzählern (Mündlichkeit) und dem litterat gebildeten Buchautor Chrétien (Schriftlichkeit).

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Aus dem Wirtschaftsteil der FAZ: Karikatur zu einem Artikel über eine Manufaktur kostbarer Messer.Thema: Tugendprobe aus der Artusepikdes 12. Jhs.

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Hartmann von Aue, ‚Erec‘(s. die Interpretationsskizze in K. Ruh, Höfische Epik I; Textausgaben von

M.G. Scholz oder von V. Mertens, beide mhd./nhd., m. Kommentar. Warnung vor der völlig veralteten Fischer-Tb.-Ausgabe)

[Prolog und Einsatz der Erzählung fehlt wg. Textverlust]1. Handlungszyklus (v. 1–1497)

- Bewährungsaventiure: Sperberkampf; Erec gewinnt Enite.

- Zwischeneinkehr am Artushof- Königsherrschaft Erecs und Enites.

2. Handlungszyklus (v. 3093–9857)- Bewährungsaventiuren mit Mittelachse,- „spiegelnde“ Aventiure am Schluss: Mabonagrin und seine Freundin- Schlusseinkehr am Artushof

Erzähl-/Strukturprinzip: Kunstvolle Doppelung (H. Kuhn: „Doppelweg“; s. Ruh, Höf.Epik 1).

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1. Handlungszyklus

1. Artushof: Jagd auf den weißen Hirsch (Côtume ‚Brauch‘); zeitgleich: Ausritt der Königin in Begleitung Erecs.

2. Geißelhieb des Zwergs (Handlungsauslösung)3. Erecs Ausritt vom Artushof - Nachricht vom Sperberkampf4. , Arme Herberge‘ des verarmten Adligen Coralus; seine

Tochter wird die Minnedame Erecs: Enite5. Sperberkampf – Sieg Erecs über Iders6. Rückkehr in die , Arme Herberge‘7. Rückkehr Erecs (jetzt mit Enite) zum Artushof8. Côtume (,Brauch‘) der Hirschjagd: König Artus küsst die

schönsten Frau der Hofgesellschaft (hier: Enite); Aufnahme Erecs und Enites in die arthurische Hofgesellschaft.

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1. Handlungszyklus (Forts.)

9. Heimkehr Erecs mit Enite in sein Reich in Karnant

10. Auslösung des 2. Handlungszyklus:

mit Krise des verligen

11. Folge: Bewährungsfahrt Erecs zusammen mit Enite.

(= 2. Handlungszyklus)

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2. HandlungszyklusBewährungsfahrt Erecs zusammen mit Enite

1. Räuberkämpfe (gegen rohe Gewalt)

2. Der treulose Burggraf (b. Chr.: Galoain; Frauenverführer)

3. Erster Kampf mit dem Zwerg Guivreiz (ritterl. Kampf)

- Zwischeneinkehr am Artushof

4. Riesenkämpfe (gegen rohe Gewalt); E. scheintot-Totenklage

5. Graf Oringles von Limors (Frauenverführer)

6. Zweiter Kampf mit Guivreiz (ritterl. Kampf – unerkannt, gegen den Freund)

7. Schlussaventiure: Joie de la court (gegen Mabonagrin)

8. Rückkehr zum Artushof -> Heimkehr nach Karnant.

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‚Erec‘ als „Thesenroman“ (W.Foerster)

• Minne ist ein hohes Gut, wird jedoch depraviert im verligen Erecs. (-> 2. Handlungsauslösung)

• Ritterliche Bewährung in der Aventiure ist ein hohes Gut.

• Beide Güter müssen in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht und im Leben und innerhalb der Adelsgesellschaft praktiziert werden.

• Der ‚Erec‘-Roman bietet die Darstellung einer exemplarische Existenz des adligen Ritters zwischen Verfehlung und Bewährung.

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‚Iwein‘

• Der zweite Artusroman Hartmanns von Aue, nimmt mit dem Thema des verligen Bezug auf den ‚Erec‘(-> Intertextualität, s. RLW + Nünning).

• Aus der reichen französischen Romantradition um 1190 von Hartmann offenbar bewusst neben dem ‚Erec‘ auch Chrétiens Roman vom Löwenritter Yvain (‚Yvain ou le chevalier au lion‘) zur Bearbeitung für das deutsche Publikum ausgewählt.

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‚Iwein‘: 1. Handlungszyklus

• Pfingstfest am Artushof. Handlungsauslösung: Kalogrenants Erzählung seiner Brunnen-Aventiure.

• Ausritt Iweins – Wiederholung der Brunnenaventiure, Tötung des Brunnenherren Askalon.

• Danach Ankunft der Artusritter.• Hochzeit Iweins mit der Witwe Laudine, vermittelt

durch die Kammerfrau Lunete.• Gawein warnt Iwein vor dem verligen.(-> Verweis auf

den Fehler, den Erec gemacht hatte).• Iwein erbittet von Laudine Urlaub auf ein Jahr und

zieht mir den Artusrittern davon.

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19Elfenbeinkästchen, Paris um 1330: Iwein, Brunnen-Aventiure und Wilder Mann

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Gelenkstelle zum 2. Handlungszyklus

Krise und Handlungsauslösung: Iwein versäumt die beim Abschied von Laudine

gelobte Frist (triuwelôser man) - Laudine sagt sich von ihm los –

Verlust von Ehre und Menschenwürde: Iweins Wahnsinn (Nacktheit) – Heilung: Die Dame von Narison.

Aventiuretaten zugunsten anderer (helfe):- Sieg über den Grafen Aliers - Rettung eines Löwen vor einem Drachen (Iwein der

Löwenritter – le chevalier au lion).

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II. Handlungszyklus

Löwenritter-Aventiuren- Lunete im Gefängnis – Hilfeversprechen- - Kampf mit dem Riesen Harpin (Zeitnot)- Lunetes BefreiungZwischeneinkehr bei Laudine (die im Löwenritter nicht

ihren Mann Iwein erkennt)- Rechtsstreit der Grafentöchter vom Schwarzen Dorn- - Kampf mit zwei Riesen (Zeitnot)- Gerichtskampf (unerkannt) mit dem Freund Gawein

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Schluss des ‚Iwein‘

• Wiederaufnahme in den Kreis der Artusritter.• Aussöhnung des von Laudine nicht erkannten

Löwenritters mit seiner Gattin Laudine.• Wiederum listiges Arrangement der Lunete.• Gegenseitige Bitte Iweins und Laudines (mit

Kniefall!) um Verzeihung.

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‚Iwein‘: Zusammenfassung

Iweins Brunnen-Aventiure: zur Mehrung des eigenen Ruhms, ohne Nutzen/Einsatz für die Gesellschaft.

Fristversäumnis: Iwein versagt vor der Minne- und Herrschaftsverpflichtung.

Krise: Totalverlust der Menschwürde: Iwein wird wie ein wildes Tier (Nacktheit). - Chance zum Rückweg in die menschliche Gemeinschaft.

helfe-Aventiuren: Bewährung im Dienst für andere.

Die Löwenritter-Aventiuren zeigen den Weg des exemplarischen Ritters im Dienst für Bedrängte.

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Hartmanns von Aue Artusromane: Zusammenfassung

• Die Geschichten um König Artus bilden eine eigene, vielgestaltige Erzählwelt mit enormer Faszinationskraft aus.

• Erec und Iwein sind keine „Charaktere“, sondern als exemplarisch gestaltete Figuren beziehbar auf das adligen Rittertums ihrer Zeit.

• An ihnen werden mögliche Formen menschlichen oder spezieller: adligen Fehlverhaltens wie auch der Verhaltenskorrektur im Medium der Narration entwickelt und diskutiert.

• Die Themen von Hartmanns Romanen beziehen sich primär auf offensichtliche Problemfelder der Adelsgesellschaft um 1200 (beanspruchen jedoch auch darüber hinaus Geltung).

• Zentrales Problemfeld, das in beiden Romanen diskutiert wird, ist das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft.