1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

33
1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

Transcript of 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

Page 1: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

1

Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

Page 2: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

2

Die Tristan-“Geschichte“ im Hochmittelalter

• Frühe keltische Geschichten mit der Koppelung mehrerer bekannter Motive, u.a.:

• - Drachenkampf um den Gewinn einer Königstochter (Heilbringer-Märchen).

• - Strukturmodell: Ehebruchsdreieck (s. Enzyklopädie des Märchens), hier: eine Frau – zwei Männer

• - Liebe und der Anspruch des Individuums gegen die Normen der Gesellschaft.

• Neu und für die Tristan-Konzeption bezeichnend: das Motiv des Zaubertranks, der Mann und Frau zwanghaft aneinander bindet.

Page 3: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

3Rechts: Baumgartenszene: Marke, im Baum lauschend, im Quell sein Spiegelbild. – Links: Einhornjagd (Motiv der Keuschheit), vgl. ‚Physiologus‘ )s. VL.

Page 4: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

4

Frühe Textquellen zur Tristangeschichte sind weitgehend verloren

Gottfried von Straßburg, um 1200/1210, auf der Suche nach einer geeigneten französischen Quelle (‚Tristan‘, v. 131ff.):

Ich weiz wol, ir ist vil gewesen,

die von Tristande hant gelesen;

Und ist ir doch niht vil gewesen,

Die von im rehte haben gelesen. [...]

[...] begunde ich sêre suochen

in beider hande buochen:

walschen und latînen [...].

Page 5: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

5

Ein frühes Zeugnis zur Kenntnis der Tristangeschichte um 1170/80

Tristran muose sunder sînen danc staete sîn der küneginne,wan in daz poisun darzuo twanc mêre danne diu kraft der minne.Des sol mir diu guote sagen danc,wizzen, daz ich sölhen tranc nie genam und sî doch minne baz danne er, und mac daz sîn.

(Heinrich von Veldeke, Lied MF 58,35)

Page 6: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

6

Tristandichtungen v o r Gottfried von Straßburg

• Ein verlorener französischer Tristanroman, um 1160 (?), Vorlage des dt. Romans von:

• Eilhart von Oberge, ‚Tristrant‘ (um 1180, vollständig erhalten).

• Der nur fragmentarisch erhaltene französische Roman des Thomas von Bretagne ist Quelle für Gottfrieds von Straßburg ‚Tristan‘

• Ein weiterer französischer Roman eines Breri, dessen Name bei Thomas erwähnt wird; ein Text ist nicht erhalten.

Page 7: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

7

Gottfried von Straßburg: der Autor

Meister Gottfried von Straßburg,aus: Codex Manesse, um 1320.Gesprächsbild (Gestik!):Autor mit Wachstafel-Diptychon und adligen Zuhörern

Page 8: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

8

Gottfried von Straßburg als Autor(s. Tomas Tomasek, Gottfried von Straßburg, Stuttgart: reclam 2007;

unbedingt anschaffenswert)

Gottfried ist als Person weitgehend unbekannt.

• Der Name: von den Zeitgenossen und der Handschriften-Überlieferung wird Straßburg als Geburtsort angegeben.

• Zeitgenossen und spätere Dichter nennen ihn als Verfasser des ‚Tristan‘.

• Rudolf von Ems (um 1230) bedauert, dass Gottfried vor Vollendung seines Romans verstorben sei.

• Der Roman selbst nennt den Namen des Autors nicht.

• Sonstiges Werk:

zwei Sangspruchstrophen und ein Minnelied, überliefert im Codex Manesse (Text: MF = Des Minnesangs Frühling).

Page 9: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

9

Liebe als Zentrum des ‚Tristan‘Der Entwurf des Prologs

- Minne als Gewalt, die den ganzen Menschen gefangen nimmt, die Glück (liebe/liep) und Leid (leit) bringt: diz leit ist liebes also vol / daz übel tuot so herzewol (v. 115f.).

- Liebesglück und Leid/Tod gehören unauflöslich zusammen.

- Liebe, die nur Freude bringen soll, ist nicht die tiefe, unbedingte Liebe, deren Darstellung der Roman gilt.

Page 10: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

10

Sprachliche Zeichen der Liebe

Wortfelder: liep/liebe/wunne/herzeliep/vröude vs. leit/ herzeleit. – sene/senedaere. – leben vs. tôt/nôt. Reimbindungen: herze – smerze; nôt – tôt.Die Stilfigur des sog. ChiasmusChiasmus als sinnstiftende Koppelung von Wörtern (z.B. v. 129f.):ein man, ein wîp, ein wîp, ein man,Tristan, Isolt,Isolt, Tristan. Das Oxymoron (Koppelung zweier sich widersprechender Wörter in einer Fügung): liebez leit; süeze sûr.

Page 11: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

11

Warum wird der Roman erzählt?

• Wer es aufrichtig mit der Liebe meint, sie akzeptiert in der Koppelung von Freude und Leid, er gehört zu den edelen herzen (Prol., v. 47f.). Sie gehören einer Welt an,diu samet in eime herzen treitir [der Minne] süeze sûr, ir liebez leit,ir herzeliep, ir senede nôt,ir liebez leben, ir leiden tôt,ir lieben tôt, ir leidez leben.dem lebene sî mîn leben ergeben. (Prol., v. 59-64)

Page 12: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

12

Das Lesen der Liebesgeschichte von Tristan und Isolde als „Lebenshilfe“

• Wer zur Gemeinschaft der edelen herzen gehört, findet in der Geschichte von T.+I. Linderung seiner eigenen Liebesnot.

• Der edele senedaere / der minne senediu maere (v. 121f.)• Ir [Tristans und Isoldes] tôt muoz iemermêre uns lebenden

leben und niuwe wesen (v. 228f.)• Wir lesen ir leben, wir lesen ir tôt,

und ist uns daz süeze alse brôt. (v. 235f.)• Ir leben, ir tôt sint unser brôt.

sus lebet ir leben, sus lebet ir tôtsus lebent si noch, und sint doch tôtund ist ir tôt der lebenden brôt. (v. 237-240)

Page 13: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

13

Der Grundriss des Romans (1) Vorgeschichte: Tristans Eltern Riwalin und

Blanscheflur

• Riwalin: Herrscher in Parmenien (Bretagne)• Blanscheflur: Schwester König Markes von

Cornwall.• Riwalin zieht nach Cornwall zu König Marke, um

dort niuwe ritterschaft zu lernen.• Die Zeugung Tristans: in Not und Todesnähe• Die Geburt Tristans: Tod der Mutter• Symbolik des Namens: von triste Tristan was sîn

name (v. 2001); nû heizet triste triure (v. 1997).• Von Trauer/Leid erfüllt: Zeugung, Geburt, Liebe

(herzenôt), sein weiteres Leben bis zum Tod.

Page 14: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

14

Grundriss des Romans (2): Tristans Jugend

• Erziehung durch Rual li Foitenant (den der Treue hält): Sprachen, ritterliche Erziehung.

• Entführung• Die Jagdgesellschaft König Markes – der erlegte

Hirsch – der „Bast“ – Heimkehr• Die Harfner-Episode: Lai-Dichtungen von Gurun,

Gralant, Pyramus und Thisbe; Thema: Liebestod. • Rual findet Tristan – Schwertleite – Literaturkatalog• Heimkehr Tristans – Rückkehr nach Cornwall

Page 15: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

15

Grundriss des Romans (3): Tristans Bewährung

• Kampf gegen Morold – tödliche Verwundung.• 1. Fahrt nach Irland: In einem Boot, mit seiner Harfe

allein nach Irland zur heilkräftigen Isolde.• Auftreten als Spielmann Tantris (Anagramm zu

Tristan).• Unterrichtung der jungen Isolde in buoch und seitspil,

Musik, Sprachen. Isolde singt so schön wie eine der Sirenen (v. 8091).- Rückkehr an Markes Hof.

• 2. Fahrt nach Irland: Brautwerbung für Marke: Isolde aus Irland.

Page 16: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

16

Grundriss des Romans (4): Isolde – der Minnetrank

• Tristan als Kaufmann aus der Normandie (erneute Verkleidung und Lüge)

• Kampf mit dem Drachen – der Truchsess und die Drachenzunge

• Die Entdeckung Tristans als Töter Morolds• Werbung: Isolde für Marke – Heimfahrt.• Der Minnetrank: Verwirrung – Symptome der

Liebe – Endeckung• Brangäne als Helferin in der Brautnacht.

Page 17: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

17

Grundriss des Romans (5): Heimlichkeit und Entdeckung

• Die Gandin-Episode: erneute Erringung Isoldes• Die Entdeckung: Marjodo und die Spuren im Schnee• Markes Verdacht – Trennung der Liebenden• Die List mit den Spänen: T + I• Die Baumgartenszene: Sprache und Verstellung –

Markes Vertrauen• Melots Mehlstreulist – Markes Zweifel• Das Gottesurteil – Trennung der Liebenden

Page 18: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

18

Grundriss des Romans (6): Ferne und Annäherung

• Tristan bei Herzog Gilan: Das Hündchen Petitcriu• Kampf gegen den Riesen Urgan• Erwerb des Hündchens für Isolde• Markes Gunst und Tristans Heimkehr• Wieder: Heimliche Liebe • Verbannung: die Minnegrotte• Entdeckung der Liebenden und Rückkehr

Page 19: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

19

Grundriss des Romans (7):Trennung und Konflikt

• Heimliche Liebe – Entdeckung im Baumgarten• Trennung der Liebenden• Kriegstaten in Arundele (Normandie)• Tristan und Isolde Weißhand – Tristan als Dichter des

Lai Tristanden.• Tristans Schwanken zwischen der blonden Isolde und

Isold Weißhand• Zweifel über die richtige Liebe• [hier bricht Gottfrieds Text ab; Gottfrieds Quelle, der

Roman des Thomas von Bretagne, führt bis zum Liebestod Tristans und Isoldes].

Page 20: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

20

Episodenstruktur des ‚Tristan‘ nach dem Minnetrank

Es lässt sich ein sich wiederholendes Strukturmuster der Episoden beobachten, das aus vier Schritten besteht:

• - Liebe in Heimlichkeit

• - Entdeckung

• - Trennung

• - Versuch, erneut die Liebe zu verwirklichen

• - erneut: Liebe in Heimlichkeit [...]

Page 21: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

21

Das Ziel von Gottfrieds ‚Tristan‘-Konzept:Finale Konzeption

• Die Geschichte von Tristan und Isolde

ist aller edelen herzen brôt.

hie mite sô lebt ir beider tôt.

wir lesen ir leben, wir lesen ir tôt

und ist daz süeze alse brôt. (v. 233-236)

Ziel von Gottfrieds Erzählkonzept ist also, die „Geschichte“ bis zu Ihrem Ende zu erzählen: der Liebestod von Tristan und Isolde.

Page 22: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

22

Die Fortsetzungen von Gottfrieds Romanfragment

• Quellen: z. T. Eilharts ‚Tristrant‘ und unbekannte Quellen. Fortsetzungen wurden verfasst:

• Um 1235/40 durch den schwäbischen Ministerialen Ulrich von Türheim (s. VL 10), stets im Anschluss an Gottfrieds Fragment überliefert. [Nacherzählung in der

Tristan-Ausgabe von R. Krohn].• Um 1285/90 durch Heinrich von Freiberg (s. VL 3),

gleichfalls stets im Anschluss an Gottfrieds Fragment überliefert. [Nacherzählung in der Tristan-Ausgabe von R. Krohn; mhd.-nhd. von W. Spiewok, 1993]

Page 23: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

23

‚Tristan‘-Schlüsse

• Die List mit dem weißen und dem schwarzen Segel, dann:• Thomas von Bretagne:

Isolde kommt zu dem toten Tristan, stirbt ihm nach ‚Leib an Leib, Mund an Mund‘. Bestattung auf zwei verschiedenen Seiten einer Kirche; Pflanzenwunder: Eiche und ein anderer Baum.

• Ulrich von Türheim:König Marke erfährt von dem Liebestrank; hätte Isolde gerne Tristan zur Gattin gegeben. Bestattung in Tintajol. Pflanzenwunder: Rose und Weinrebe auf den Gräbern verflechten sich. König Marke stiftet ein Kloster.

• Heinrich von Freiberg:Inhaltlich weitgehend wie Ulrich von Türheim.

Page 24: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

24

Tristan-Themen in der Sachkultur des mittelalterlichen Adels

Kleinkunst - Freskenmalerei

Page 25: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

25

Tristan, Baumgartenszene. Spiegelkapsel, Südfrankreich, 14. Jh. (Paris, Musee de Cluny)

Page 26: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

26

Medaillon mit der Baumgartenszene.Umschrift: Ich sich in des prunnen scheinuf dem paum den herren meinRegensburger Minneteppich(Hochzeitsteppich), 14. Jh.(Stadtmuseum Regensburg)

Page 27: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

27

Tristan-Fresken auf Schloss Runkelstein

(Roncolo)/ Südtirol

Page 28: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

28Schloss Runkelstein /Südtirol: Saal der Liebespaare

Page 29: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

29

Schloss Runkelstein /Südtirol: Sommerhaus, vor dem teilweisen Absturz.Zwei Bildzyklen nach höfischen Romanen:a) Fresken zum Garel des Pleier / b)Fresken zum Tristan

Page 30: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

30

Minntrankszene (Fresko)Schloss Runkelstein /Südtirol:Tristanzimmer, Originalzustand

Page 31: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

31Vor dem Gottesurteil (Fresko), Schloss Runkelstein /Südtirol. Nachzeichnung des 19. Jh. durch Ignaz Seelos.

Page 32: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

32

Konzepte von Minne/Liebe im Höfischen Roman um 1200

• Heinrich von Veldeke, ‚Eneasroman‘Liebe und Landesherrschaft sind aneinander gebunden: Scheitern der Dido-Episode; Liebe und Herrschaft (Rom-Idee) sowie dynastische Entfaltung (Nachkommenschaft bis zu Augustus) in der Lavinia-Episode

• Hartmann von Aue, ‚Erec‘ und ‚Iwein‘Das Glück des Individuums ist nur vollkommen, wenn es sich an gesellschaftliche Bewährung bindet. Komplementäre „Thesen“ in ‚Erec‘ und ‚Iwein‘.

Page 33: 1 Roman III: Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘

33

Anders die Tristan-Romane:- Liebe wird nur als unauflösbare Verbindung von Glück und Leid erfahren (die sog. grande passion ist auch Thema der Weltliteratur),

- ist nur auf das Individuum bezogen,

- steht gegen die Normen der Gesellschaft und sprengt diese,

- Liebe und Tod/Todesbereitschaft gehören unauflöslich zusammen (Sprachformel: liep – leit).

Dennoch: Die Tristan-Romane treten nicht an, die gesellschaftlich Ordnung

und die ihnen zugrundeliegenden Normen zu zerstören.

Thema ist vielmehr das (unverschuldete/ schicksalhafte ) Leiden des Einzelnen am Konflikt mit der gesellschaftlichen Ordnung.