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1 1 1.1 Organische Chemie und organische Stoffe Die Zeit des Übergangs von der Alchemie als Naturphi- losophie zur Chemie als Naturwissenschaſt im 17./18. Jahrhundert ging einher mit einer zunehmen- den Auſteilung der Chemie in verschiedene Teilberei- che wie die Anorganische und die Organische Chemie. Neben Mineralien wurden nun auch Stoffe des Pflan- zen- und Tierreichs in naturwissenschaſtliche Experi- mente mit einbezogen. Die enge chemische Verwandt- schaſt der Stoffe aus Tieren und Pflanzen einerseits und das im Vergleich dazu auf den ersten Blick scheinbar andere Verhalten anorganischer Substanzen wie Metalle und Erze führte im Laufe der Zeit zu einer immer stär- keren Abgrenzung organischer von anorganischen Ver- bindungen. Anfangs wurden vor allem von Scheele seit der Mitte des 18. Jahrhunderts aus pflanzlichen oder tierischen Produkten isolierte Säuren analysiert, wie Oxalsäure, Äpfelsäure, Weinsäure, Citronensäure, Milchsäure, Harnsäure sowie die aus Fetten oder Ölen gewonnenen Fettsäuren. Einblicke in die elementaren Zusammen- setzungen organischer Stoffe waren jedoch erst mög- lich, nachdem Lavoisier (1779), fußend auf den Erkenntnissen von Scheele (1771, publiziert 1777) und Priestley (1774), die Bedeutung des Sauerstoffs bei Ver- brennungsprozessen erkannte. Er widerlegte die damals weit verbreitete Phlogiston-Lehre (zurückgehend auf Becher 1667), die eine hypothetische Substanz namens Phlogiston postulierte, welche in allen brennbaren Stof- fen enthalten sei und bei einer Verbrennung frei werden sollte. Lavoisier stellte hingegen fest, dass jede Verbren- nung mit der Aufnahme von Sauerstoff verbunden ist. Die Entstehung von Kohlendioxid, Wasser, Stickstoff oder Stickoxiden bei der Verbrennung von pflanzlichen oder tierischen Stoffen zeigte damit die Anwesenheit der Elemente Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff in der verbrannten Substanz an. Entstanden Kohlendioxid und Wasser auch bei Verbrennung unter Luſtausschluss, bewies dies die Anwesenheit von Sauerstoff in den untersuchten Substanzen. Die Bezeichnung „Organische Chemie“ wurde als eigenständiger Begriff erstmalig 1784 von Bergman geprägt. Sie geht auf die Vorstellung zurück, dass es sich dabei um die Chemie der belebten Natur handelt. Die damalige Auffassung war, dass sich diese Organische Chemie grundsätzlich von der Anorganischen Chemie unterscheide und nur in lebenden Organismen möglich sei, die über eine besondere Lebenskraſt (vis vitalis) ver- fügen. Diese als Vitalismus bezeichnete Auffassung wurde durch Experimente wie die im Jahre 1828 von Wöhler durchgeführte Harnstoffsynthese widerlegt. Wöhler gelang es, Ammoniumcyanat, NH 4 OCN, ein typisch anorganisches Salz, durch Erhitzen in Harnstoff zu überführen ( Abb.1.1). Harnstoff ist eine typisch organische, körpereigene Substanz, die Rouelle als wichtiges Stoffwechselprodukt bereits 1773 aus dem Harn isoliert hatte (daher stammt auch der Name). Trotz dieses und ähnlicher Experimente hielt sich die vorherrschende Vitalismus-eorie noch eine erstaunlich lange Zeit. Erst als in der Folgezeit nicht nur bereits bekannte, aus der belebten Natur isolierte Stoffe, sondern auch neuartige, nicht natürlich vorkommende organische Substanzen synthetisiert wurden, erkannte man, dass auch die Organische Chemie einer breiten präparativen Bearbeitung im Labor zugänglich ist und sich nicht grundsätzlich von der Chemie der unbeleb- ten Natur unterscheidet. 1 Stoffe und ihre Zusammensetzung H 2 N C O NH 2 NH 4 O C N ΔT Abb. 1.1 Harnstoffsynthese aus Ammoniumcyanat Organische Chemie und organische Stoffe ... 1 | Zusammensetzung und Reinheit organischer Stoffe ... 3 | Trennung von homogenen Stoffgemischen ... 4

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1.1 Organische Chemie und organischeStoffe

Die Zeit des Übergangs von der Alchemie als Naturphi-losophie zur Chemie als Naturwissenschaft im17./18. Jahrhundert ging einher mit einer zunehmen-den Aufteilung der Chemie in verschiedene Teilberei-che wie die Anorganische und die Organische Chemie.Neben Mineralien wurden nun auch Stoffe des Pflan-zen- und Tierreichs in naturwissenschaftliche Experi-mente mit einbezogen. Die enge chemische Verwandt-schaft der Stoffe aus Tieren und Pflanzen einerseits unddas im Vergleich dazu auf den ersten Blick scheinbarandereVerhalten anorganischer SubstanzenwieMetalleund Erze führte im Laufe der Zeit zu einer immer stär-keren Abgrenzung organischer von anorganischen Ver-bindungen.

Anfangs wurden vor allem von Scheele seit der Mittedes 18. Jahrhunderts aus pflanzlichen oder tierischenProdukten isolierte Säuren analysiert, wie Oxalsäure,Äpfelsäure, Weinsäure, Citronensäure, Milchsäure,Harnsäure sowie die aus Fetten oder Ölen gewonnenenFettsäuren. Einblicke in die elementaren Zusammen-setzungen organischer Stoffe waren jedoch erst mög-lich, nachdem Lavoisier (1779), fußend auf denErkenntnissen von Scheele (1771, publiziert 1777) undPriestley (1774), die Bedeutung des Sauerstoffs bei Ver-brennungsprozessen erkannte. Er widerlegte die damalsweit verbreitete Phlogiston-Lehre (zurückgehend aufBecher 1667), die eine hypothetische Substanz namensPhlogiston postulierte, welche in allen brennbaren Stof-fen enthalten sei und bei einer Verbrennung frei werdensollte. Lavoisier stellte hingegen fest, dass jede Verbren-nung mit der Aufnahme von Sauerstoff verbunden ist.Die Entstehung von Kohlendioxid, Wasser, Stickstoffoder Stickoxiden bei der Verbrennung von pflanzlichenoder tierischen Stoffen zeigte damit die Anwesenheitder Elemente Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff inder verbrannten Substanz an. Entstanden KohlendioxidundWasser auch bei Verbrennung unter Luftausschluss,

bewies dies die Anwesenheit von Sauerstoff in denuntersuchten Substanzen.

Die Bezeichnung „Organische Chemie“ wurde alseigenständiger Begriff erstmalig 1784 von Bergmangeprägt. Sie geht auf die Vorstellung zurück, dass es sichdabei um die Chemie der belebten Natur handelt. Diedamalige Auffassung war, dass sich diese OrganischeChemie grundsätzlich von der Anorganischen Chemieunterscheide und nur in lebendenOrganismenmöglichsei, die über eine besondere Lebenskraft (vis vitalis) ver-fügen. Diese als Vitalismus bezeichnete Auffassungwurde durch Experimente wie die im Jahre 1828 vonWöhler durchgeführte Harnstoffsynthese widerlegt.Wöhler gelang es, Ammoniumcyanat, NH4OCN, eintypisch anorganisches Salz, durch Erhitzen inHarnstoffzu überführen (○Abb. 1.1). Harnstoff ist eine typischorganische, körpereigene Substanz, die Rouelle alswichtiges Stoffwechselprodukt bereits 1773 aus demHarn isoliert hatte (daher stammt auch der Name).

Trotz dieses und ähnlicher Experimente hielt sichdie vorherrschende Vitalismus-Theorie noch eineerstaunlich lange Zeit. Erst als in der Folgezeit nicht nurbereits bekannte, aus der belebten Natur isolierte Stoffe,sondern auch neuartige, nicht natürlich vorkommendeorganische Substanzen synthetisiert wurden, erkannteman, dass auch die Organische Chemie einer breitenpräparativen Bearbeitung im Labor zugänglich ist undsich nicht grundsätzlich von der Chemie der unbeleb-ten Natur unterscheidet.

1 Stoffe und ihre Zusammensetzung

H2NC

O

NH2

NH4 O C NΔT

○ Abb.1.1 Harnstoffsynthese aus Ammoniumcyanat

Organische Chemie und organische Stoffe ... 1 | Zusammensetzung und Reinheit

organischer Stoffe ... 3 | Trennung von homogenen Stoffgemischen ... 4

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In der Mitte des 19. Jahrhunderts setzte sich letztlichdie Erkenntnis durch, dass die Gegenwart von Kohlen-stoff die Grundvoraussetzung für eine organische Subs-tanz ist. Dies führte dazu, die organischen Substanzenals Kohlenstoffverbindungen (Gmelin, Kolbe, Kekulé)oder als Carbogene (Corey 1989) zu bezeichnen. Sowerden laut IUPAC (International Union of Pure andApplied Chemistry, Compendium of Chemical Termino-

logy, www.goldbook.iupac.org), die Begriffe „organo-“oder „organyl-“ allgemein für Verbindungen verwen-det, die Kohlenstoffatome beinhalten. Die IUPAC isteine internationale Institution, die in der Chemie alleEmpfehlungen, z.B. die Terminologie und Nomenkla-tur betreffend, festlegt. Die meisten organischen Ver-bindungen enthalten außer Kohlenstoff nur wenigeandere Elemente, vor allemWasserstoff und die Hetero-

Materie

Nein Ja

Ja Nein

Ja Nein

heterogenesStoffgemisch

homogenesStoffgemisch

Lösung

Legierung(Metalle)

Gasgemisch

EthanolC₂H₅OH C, H₂, O₂

heterogenesStoffgemisch

Wodkaon the rocks

Wodka

homogenesStoffgemisch

Verbindung Element

Verbindung Element

Reinstoff

Gemengefest/fest

Suspensionfest/flüssig

Emulsionflüssig/flüssig

Aerosol, Rauchfest/gasförmig

Aerosol, Nebel,Schaum

flüssig/gasförmig

Hartschaumfest/gasförmig

homogenTrennungmit physikalischen Methoden

Trennungmit physikalischen Methoden

Trennungmit physikalischenMethoden

Trennungmit physikalischenMethoden

Trennungmit chemischenMethoden

Trennungmit chemischen Methoden

EinheitlicheZusammensetzung überdie gesamte Ausdehnung

des Stoffes?

VariableZusammensetzung?

Auftrennungin einfachere

Substanzen möglich?

○ Abb.1.2 Materie ist letztlich aus Verbindungen aufgebaut, die aus Molekülen bestehen, die wiederum aus Elementenaufgebaut sind.

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1.2 Zusammensetzung und Reinheit organischer Stoffe 3

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atome (so nennt man alle anderen Elemente außer Cund H) Sauerstoff und Stickstoff. Ferner treten als wei-tere Heteroatome häufig u. a. Schwefel, Phosphor undHalogene auf. Grundsätzlich lässt sich fast jedes Ele-ment des Periodensystems in organische Verbindungeneinbauen, so auch Metalle. Man spricht dann von orga-mometallischen Verbindungen. Dazu werden auch Ver-bindungen gezählt, die neben den traditionellen Metal-len und Halbmetallen auch Bor, Silicium, Arsen oderz.B. Selen enthalten. Von den weit über 70 Millionenderzeit bekannten chemischen Verbindungen leitensich mehr als 80% vom Kohlenstoff ab.

1.2 Zusammensetzung und Reinheitorganischer Stoffe

1.2.1 Reinsubstanzen und StoffgemischeDie Chemie beschäftigt sich mit den Eigenschaften vonMaterie und ihrem Aufbau aus Molekülen bzw. Ato-men. Unter Materie versteht man alles Stoffliche, alsoalles, wasMasse besitzt und Raum einnimmt.Währenddie meisten Stoffe, mit denen man täglich in Berührungkommt, Stoffgemische sind, ist das Ziel organisch-prä-parativer Arbeiten normalerweise die Herstellung undIsolierung reiner Substanzen, die aus Molekülen glei-cher Art bestehen. Stoffgemische mit einheitlicherZusammensetzung und einheitlichem Erscheinungs-bild über die gesamte Ausdehnung des Stoffes (die alsonur aus einer Phase bestehen) werden als homogeneGemische (Lösungen, Legierungen, Gasgemische)bezeichnet. Sie können durch physikalische Trennme-thoden (▸Kap. 1.3) in Reinsubstanzen getrennt werden(○Abb. 1.2). Bei diesen wiederum kann es sich entwe-der umElemente handeln, die nicht weiter in einfachere

Substanzen zerlegt werden können, oder um Verbin-dungen, bestehend aus zwei oder mehreren Elementen.Verbindungen können zwar nicht durch physikalische,aber prinzipiell durch chemische Methoden in die inihnen enthaltenen Elemente zerlegt werden. Hetero-gene Stoffgemische bestehen aus mindestens zwei Pha-sen und werden entsprechend der Aggregatzuständeihrer Phasen in Gemenge, Suspensionen, Emulsionen,Aerosole (Nebel, Rauch) und Schäume unterteilt. EineEmulsion ist z.B. eine heterogene Mischung zweiernichtmischbarer flüssiger Phasen.

1.2.2 Charakterisierung organischerVerbindungen

Wird eine neue, bis dato unbekannte Verbindung syn-thetisiert, durch biotechnologische Methoden herge-stellt oder durch Isolierung aus in der Natur vorkom-mendem Material (z.B. Pflanzen, marine Schwämme,Bakterien- oder Pilzkulturen) gewonnen, muss ihreStruktur analysiert und bewiesen werden. Die elemen-tare Zusammensetzung wird mithilfe der quantitativenElementaranalyse (▸Exkurs: Quantitative Elementar-analyse; ▸Exkurs: Ermittlung chemischer Formeln)bestimmt, die oft auch als Reinheitskriterium herange-zogen wird. Die genaue Identifizierung und Struktur-aufklärung einer neuen organischen Substanz erfolgtdann normalerweise mithilfe spektroskopischerMethoden (○Abb. 1.3; ▸Kap. 2). Neben den NMR-, IR-,MS- und UV/Vis-Daten werden bei Feststoffen derSchmelzpunkt (Smp., Festpunkt, Fp.), bei Flüssigkeitender Siedepunkt (Sdp., Kochpunkt, Kp.) und seltenerBrechungsindex oder Dichte genutzt. Chirale Verbin-dungen erfordern Angaben zur optischen Aktivität undzur absoluten Konfiguration, sei es durch Polarimetrie,durch Messung der ORD (optische Rotationsdisper-

Compound Characterization Checklist

Compound

Compound,structure,or table-entrynumber Ne

wKnown

Melting point range

IR UV-VIS

1HNMR

13C NMR

____NMR

MS HRMSOpticalrotation/ORD/CD

Enantiomeric/Diastereomericratio

X-ray

(ORTEP

and CIFinSi*)

Copyof1H/13C NMR

spectruminSi*

Copyofchrom

atograminSi*

Quant.GC, HPLC, or electrophoresis

Elementalanalysis

Cartesian coordinatesorZ-matrix

#ofimaginaryfrequencies

Totalenergy

Identity Purity Computational Datain Si*

Corresponding Author

Si*=Supportinginformation

○ Abb.1.3 Checkliste physikalischer und spektroskopischer Daten für eine neue organische Verbindung, entsprechendden Anforderungen des Journal of Organic Chemistry der American Chemical Society an Identitat und Reinheit

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sion) oder mittels CD-Spektroskopie (Circulardichrois-mus, ▸Kap. 2). Hochauflösende Massenspektrometrie(HRMS; ▸Kap. 2), quantitative HPLC bzw. GC oderauch die NMR-Spektroskopie (▸Kap. 2), seltener dieElektrophorese oder kapillarelektrophoretische Verfah-ren werden für die Analytik der Reinheit einer organi-schen Verbindung herangezogen.

Die klassischeRöntgenstrukturanalyse liefert nebender exakten Konstitution (die Reihenfolge und Art derVerknüpfung der einzelnen Atome miteinander) auchdie Konformation (die dreidimensionale Gestalt)(▸Kap. 3), die das Molekül im Kristall einnimmt(○Abb. 1.4). Die Konformation in Lösung, die sichallerdings deutlich von der im Kristall unterscheidenkann, kann z.B. mithilfe NMR-spektroskopischerMethoden analysiert werden.

Durch experimentelle Elektronendichtebestimmun-gen, die durch hochaufgelöste Einkristall-Röntgen-,-Synchrotron- oder Neutronenbeugungsdaten ausExperimenten bei tiefen Temperaturen möglich sind,

können – in Kombination mit Methoden der Compu-terchemie – auch quantitative Aussagen über die vor-liegenden Bindungstypen und -stärken, die intermole-kularen Wechselwirkungen zu Nachbarmolekülensowie über die topologischen und elektronischenEigenschaften der Verbindungen (z.B. elektrostatischesOberflächenpotenzial, reaktive Oberfläche, räumlicheVerteilung freier Elektronenpaare) gemacht werden(○Abb. 1.4).

1.3 Trennung von homogenenStoffgemischen

Umdie stöchiometrische Zusammensetzung einer Sub-stanz, ihre Struktur und ihre Eigenschaften ermitteln zukönnen, muss die Substanz in möglichst reiner Formvorliegen. Dafür ist nach ihrer Synthese oder Gewin-nung aus einer natürlichen Quelle meist die Abtren-nung aus mehr oder weniger komplexen Stoffgemi-

Exkurs: Quantitative ElementaranalyseZur Ermittlung der Verhältnisformel (empirische Summen-formel) ist eine quantitative Bestimmung der Massenan-teile der chemisch gebundenen Elemente in einer Verbin-dung notwendig. Die Grundlagen solcher Analysen wurdenu.a. von Liebig (1803–1873) erarbeitet. Man unterwirfteine genau eingewogene Menge (in der Mikroelementar-analyse werden wenige Milligramm, in der Ultramikroana-lyse nur 10–100µg Substanz benötigt) der Analysensubs-tanz einer Verbrennung mit Sauerstoff bei hohen Tempera-turen (bis zu 1800°C). Kohlenstoff, Wasserstoff, Schwefelund Stickstoff werden dabei zu CO2, Wasser, SO2 und einemGemisch aus N2 und Stickoxiden NOx umgesetzt. Im Laborkann die Oxidation auch durch Verbrennung in Anwesen-heit von CuO durchgeführt werden.Die Verbrennung (Oxidation) organischer Stoffe zu Nicht-metalloxiden verlauft nach folgendem Schema:

Die Stickoxide werden anschließend an einem 600–900°Cheißen Kupfer-Kontakt zu N2 reduziert. Die Gase werdengaschromatographisch (als Tragergas wird Helium verwen-det) durch Adsorption/Desorption an geeigneten Adsorpti-onssaulen (▸Kap.1.3.5) getrennt und in Warmeleitfahig-keitsdetektoren identifiziert und quantifiziert. Die Detek-tion und Quantifizierung von CO2, H2O und SO2 kann auchmittels IR-Spektroskopie (NDIR, nichtdispersive Infrarot-Spektroskopie) erfolgen; weitere Detektionsmöglichkeitenfür Stickstoff und Schwefel sind die Chemolumineszenzbzw. UV-Fluoreszenz. Der Sauerstoffgehalt ergibt sich aus

der Differenz der Summe der Gehalte der anderen Elementeund 100%. Die Sauerstoffbestimmung kann auch separatin einem Pyrolyseofen erfolgen. Der in der zu analysieren-den Substanz gebundene Sauerstoff wird hier bei 1350°Cam Kohlekontakt zuerst zu CO und anschließend weiter zuCO2 oxidiert. Halogene werden nach Aufschluss der Verbin-dung und Überführung in anorganisches Halogenid titri-metrisch bestimmt. In modernen Elementanalysatorenkann der Chlorgehalt (als HCl) auch direkt zusammen mitden anderen Elementen bestimmt werden, die Detektionerfolgt dann in einer Coulometerzelle. Phosphor wird nachAufschluss als Phosphat quantifiziert.

Letztendlich lassen sich mit diesen Verfahren die prozentu-alen Anteil aller in einer chemischen Verbindung enthalte-nen Elemente quantitativ angeben. Daraus kann danndurch die zusatzliche Bestimmung der molaren Masse auchdie exakte Summenfomel der Verbindung berechnet wer-den (▸Exkurs: Ermittlung chemischer Formeln).

CnHmNoOpSq

CO2 + H2O + N2

und/oderNxOy + SOz

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1.3 Trennung von homogenen Stoffgemischen 5

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schen notwendig. Hierzu bedient man sich physikali-scher Trennmethoden wie Extraktion, Kristallisation,Destillation, Sublimation oder chromatographischerVerfahren.

1.3.1 ExtraktionEine Methode zur Reinigung und Isolierung organi-scher Verbindungen ist die Extraktion, bei der auseinem Gemisch fester oder flüssiger Substanzen durchein Lösemittel eine Substanz aufgrund besserer Lös-lichkeit in diesem Lösemittel extrahiert wird. Auf diese

O

HO N

NH

O

O

OH

○ Abb.1.4 Links: Struktur und Gestalt des Desoxyribonucleosids Thymidin (besser: Desoxythymidin, Strukturformelrechts), einem Baustein der DNA (▸Kap.38), erhalten aus der Röntgenstrukturanalyse, dargestellt als sogenannter ORTEP-Plot (Oak Ridge Thermal Ellipsoid Plot); Mitte: elektrostatisches Oberflachenpotenzial von Thymidin, erhalten aus experi-mentellen Elektronendichtebestimmungen bei 20 K. Die Farben symbolisieren Bereiche hoher (rot) und niedriger Elek-tronendichte (blau). Das elektrostatische Oberflachenpotenzial ist auch durch quantenchemische Rechnungen zugang-lich.

Exkurs: Ermittlung chemischer FormelnGrundlage zur Aufstellung der Summenformel einer unbe-kannten organischen Substanz sind die aus der quantitati-ven Elementaranalyse (▸Exkurs: Quantitative Elementar-analyse) ermittelten prozentualen Massenanteile der Ele-mente, aus denen die Substanz aufgebaut ist. Dividiertman diese durch die relative Atommasse Ar des betreffen-den Elementes (vereinfacht C: 12; H: 1; N: 14; O: 16), erhaltman das Atomzahlenverhaltnis der Verbindung. Die ein-fachste Verhaltnisformel (empirische Summenformel)ergibt sich dann durch Division dieser Werte durch denkleinsten der Werte (im nachfolgenden Beispiel der Wertfür Sauerstoff oder Stickstoff: 1,69). Um die tatsachlicheSummenformel (Molekularformel, Molekülformel) der Ver-bindung zu erhalten, muss zudem noch die relative Mole-külmasse Mr der Verbindung ermittelt werden (▸Kap.2).Die quantitative Elementaranalyse einer unbekanntenSubstanz liefert z.B.:C: 40,67%; H: 8,53%; N: 23,71%Daraus ergibt sich für Sauerstoff ein prozentualer Massen-anteil von 27,09%:O: 100% – (40,67% + 8,53% + 23,71%) = 27,09%Diese Massenanteile, dividiert durch die relativen Atom-massen der jeweiligen Elemente, liefern das Atomzahlen-verhaltnis:C; H; N; O = 3,38; 8,53; 1,69; 1,69

Nach Division durch den kleinsten Wert erhalt man dieempirische Formel: C2H5N1O1 (empirische Formelmasse:2 · 12 + 5 · 1 + 1 · 14 + 1 · 16 = 59).Man beachte, dass die quantitative Elementaranalyse auf-grund experimenteller Fehler meist nicht solche exaktenWerte liefert!Bei einer experimentell bestimmten relativen Molekül-masse Mr von hier z.B. 118,07 ergibt sich die tatsachlicheSummenformel folgendermaßen:Man ermittelt den ganzzahligen Faktor, mit dem die empi-rische Formel multipliziert werden muss. Der Faktor ergibtsich durch Division der relativen Molekülmasse durch dieempirische Formelmasse:

Faktor = tatsächliche relative Molekülmasse________________________empirische Formelmasse =

118,07_____59 ≅ 2

Damit erhalt man die Summenformel: C4H10N2O2Die Strukturaufklarung mit verschiedenen spektroskopi-schen Methoden (▸Kap.2) könnte hier nun z.B. zu folgen-der Molekülstruktur führen:

Es handelt sich um (S)-2,4-Diaminobutansaure (l-DAB,(S)-2,4-Diaminobuttersaure), eine Aminosaure, die z.B. inPeptidantibiotika wie den Polymyxinen auftritt.

NH2H

O

OHH2N

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1 Stoffe und ihre Zusammensetzung6

Weise lassen sich z.B. aus wässrigen Lösungen mitleicht flüchtigen Lösemitteln, die nicht mit Wassermischbar sind (○Abb. 1.5), organische Substanzen her-auslösen und durch Entfernen des Lösemittels amRota-tionsverdampfer wieder gewinnen. Als hochwirksameund schonende Extraktionsmittel können auch hoch-verdichtete, überkritische Fluide (z.B. überkritischesCO2) verwendet werden.

1.3.2 KristallisationDiese Trennmethode beruht auf der unterschiedlichenLöslichkeit fester organischer Verbindungen in den ein-zelnen Lösemitteln. Sind die Begleitsubstanzen in demgewählten Lösemittel leichter löslich als das Hauptpro-dukt, so bereitet dessen Isolierung keine besonderenSchwierigkeiten. Es kristallisiert aus der heiß gesättig-ten Lösung aus (○Abb. 1.6) und kann durch Filtrationabgetrennt und anschließend getrocknet werden, wäh-rend die Verunreinigungen in der erkalteten Lösung,der sogenannten „Mutterlauge“, gelöst bleiben. Infolgeder unterschiedlichen Kristallisationsgeschwindigkeittritt eine fast vollständige Abscheidung der relativ rei-nen Substanz häufig erst nach Stunden oder Tagen ein.Aus übersättigten Lösungen lässt sich die erwarteteorganische Verbindung oft durch Eintragen von Impf-kristallen als Kristallisationskeime ausfällen.

1.3.3 DestillationDie Trennung von flüssigen Gemischen durch Destilla-tion basiert auf den unterschiedlichen Siedepunktender einzelnen Flüssigkeiten, genauer gesagt auf ihrenunterschiedlichen Dampfdrücken bei gleicher Tempe-ratur. Eine Trennung gelingt umso leichter, je größer dieDifferenz der Siedepunkte ist. Die Trennwirkung beruhtauf der unterschiedlichen Zusammensetzung der sie-denden Flüssigkeit und des Dampfes; im Dampf wirddie leichter siedende Komponente angereichert(○Abb. 1.7).

Bei der fraktionierenden Destillation wird dasGemisch in einzelne Fraktionen zerlegt, deren immerwieder erneute Destillation letztendlich zu demerwünschten Reinheitsgrad führt (○Abb. 1.7). DieMethode versagt bei Azeotropen, d. h. bei flüssigenGemischen aus zwei oder mehr Komponenten, derenDampf die gleiche Zusammensetzung wie die flüssigePhase aufweist.

Während man bei einfachen Destillationen imGleichstrom arbeitet, erfordert die Trennung vonGemischenmit nahe beieinander liegenden Siedepunk-ten die Anwendung des Gegenstromprinzips. DieseMethode bezeichnet man als Rektifikation. Hierbeiwird zwischenDestillierblase und Kondensator als Zwi-schenstück eine Kolonne eingeschaltet (○Abb. 1.8). Indieser langen Säule steigen die heißen Dämpfe nachoben, und zugleich fließt eine kältere Flüssigkeit zurück,

A B

○ Abb.1.5 Extraktion eines blauen, in Wasser (unterePhase) gelösten Farbstoffs mit n-Octanol (obere Phase).Vor der Extraktion (A), nach einmaliger Extraktion mit demgleichen Volumen n-Octanol (B)

○ Abb.1.6Umkristallisationeiner organischenSubstanz

Stoffmengenanteil Aceton im Gemisch

55

80

75

70

65

60

T[°C]

0 20 40 60 80 100%

Stoffmengenanteil Butanon im Gemisch

Taukurve(Zusammensetzungdes Dampfes)

Siedekurve(Zusammensetzungder Flüssigkeit)

○ Abb.1.7 Siedediagramm eines binaren Gemischs (Sdp.ca. 71°C) aus Aceton (Sdp. 56°C) und Butanon (Sdp. 80°C,ca. 29% Aceton) bei 1013 mbar (1013 hPa). Beispielhaftist die Anreicherung von Aceton auf ca. 78% im Gemischdurch dreimalige Destillation gezeigt. Der Trennvorgang inDestillationskolonnen lasst sich als Folge vieler wiederhol-ter, einzelner Destillationsschritte auffassen.

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1.3 Trennung von homogenen Stoffgemischen 7

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wobei zwischen Gas- und Flüssigphase ein Stoff- undWärmeaustausch erfolgt. Die Dämpfe kühlen sich abund höher siedende Anteile werden kondensiert. Durchdie frei werdende Kondensationswärme werden umge-kehrt niedriger siedende Anteile aus der Flüssigkeit ver-dampft. Es kommt somit innerhalb der Kolonne zueiner stufenweisen Anreicherung der niedriger sieden-den Komponenten in den aufsteigenden Dämpfen undder höher siedenden Komponenten im flüssigen Rück-lauf (○Abb. 1.7).

Aus den Gleichgewichtskurven (sie stellen über dengesamten Konzentrationsbereich die Zusammenset-zung der Dampfphase als Funktion der Zusammenset-zung der Flüssigphase einer Komponente dar) der zutrennenden Gemische lässt sich die Anzahl der „theo-retischen Böden“ (▸Kap. 1.3.5) einer Kolonne errech-nen, die für den gewünschten Trenneffekt erforderlichsind. Bei hochsiedenden oder leicht zersetzlichen Flüs-sigkeiten führt man die Destillation im Vakuum beietwa 16 mbar (16 hPa, klassische im Labor verwendeteMembranpumpe), im Fein- (1 bis 10–3 hPa) oder Hoch-vakuum (10–3 bis 10–6 hPa) durch.

Die Wasserdampfdestillation beruht darauf, dassviele Substanzen, deren Siedepunkte wesentlich höherliegen als der desWassers, durch eingeblasenenWasser-dampf in Abhängigkeit von ihrem Dampfdruck ver-flüchtigt und anschließend im absteigenden Kühlerzusammen mit dem Wasserdampf wieder kondensiertwerden. Ist die zu reinigende Substanz in Wasser prak-tisch unlöslich, so werden sich die beidenDampfdrückegegenseitig kaum beeinflussen. Sobald jedoch beimErhitzen die Summe der Partialdampfdrücke beiderSubstanzen dem jeweiligen Atmosphärendruck ent-spricht, tritt Sieden ein. Die zu isolierende Substanz istso schon bei sehr viel niedrigeren Temperaturen flüch-tig als es ihrem eigenen Siedepunkt entspricht. DieWasserdampfdestillation stellt eine besonders schone-nende Methode zur Isolierung von Naturstoffen z.B.aus Pflanzenextrakten dar.

1.3.4 Sublimation – ResublimationUnter Sublimation – Resublimation versteht man dasVerdampfen einer festen Substanz und ihre Abschei-dung ohne vorherige Verflüssigung nach dem Schema:fest → gasförmig → fest (○Abb. 1.9). Diese Art der Reini-gung kommt vor allem für Substanzen in Frage, die sichsehr schwer lösen oder die auch durch wiederholtesUmkristallisieren nicht rein isolierbar sind. Die Subli-mation wird zweckmäßig im Fein- oder Hochvakuumausgeführt. Voraussetzung für diese Art der Reinigungist, dass bei einem entsprechend niedrigen Druck gear-beitet werden kann, bei dem die Substanz entsprechendihres Phasendiagramms (○Abb. 1.9) direkt und ohneZersetzung vom festen in den gasförmigen Zustandübergeht.

Die Gefriertrocknung (Lyophilisation) ist ein Ver-fahren zur schonenden Evaporation verschiedensterLösemittel. Sie wird insbesondere für wässrige Probenverwendet. Diese werden eingefroren und im Vakuumbei niedrigen Temperaturen direkt sublimiert, sodassdas Wasser der Probe entzogen wird und das gelösteProbenmaterial zurück bleibt. Da das Probenmaterialzudem thermisch nicht belastet wird, handelt es sichwiederum um eine sehr schonende Trennmethode.

1.3.5 ChromatographieBei chromatographischen Methoden erfolgt die Tren-nung durch Verteilungs- und/oder Adsorptionsvor-gänge oder auch durch andere physikalisch-chemischeVorgänge wie Ionenaustausch, Ionenpaarbildung, Sieb-effekte (Größenausschluss) oder Affinität zu bestimm-ten Makromolekülen. Es sind zwei nicht miteinandermischbare Phasen notwendig, wovon sich eine statio-när im Trennsystem befindet (stationäre Phase, Sor-

○ Abb.1.8 Mikro-destillationsanlagezur fraktionieren-den Destillationüber eine Destilla-tionskolonne(Vigreux-Kolonne)

Druck

Temperatur

flüssig

fest

gasförmig

SublimationResublimation

○ Abb.1.9 Phasendiagramm (Abhangigkeit des Aggregat-zustands von Duck und Temperatur) einer Substanz undderen Reinigung (hier: Benzoesaure) durch Sublimationund Resublimation an einem Kühlfinger. Benzoesauresublimiert bei Normaldruck ab ca. 100°C.

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1 Stoffe und ihre Zusammensetzung8

bens). Mithilfe der mobilen Phase (Eluent, Elutions-mittel, Trägergas) wird das Substanzgemisch über diestationäre Phase transportiert und dabei in seineBestandteile getrennt (▸Exkurs:VerteilungundAdsorp-tion). Durch Kombination verschiedener stationärer(fest, flüssig) und mobiler Phasen (flüssig, überkriti-sches Fluid, Gas) ergeben sich verschiedene Techniken.

Als wichtigste Methode zur präparativen Trennungvon Substanzgemischen hat sich die Säulenchromato-graphie (SC) in Form der hydrostatischen SC, Flash-Chromatographie (Arbeiten unter mäßigem Über-druck), der Vakuumflüssigchromatographie (drycolumn vacuum chromatography, Arbeiten unter Unter-druck), MPLC (middle pressure liquid chromatography)oder HPLC (high pressure LC, high performance LC)etabliert. Die Trenneffizienz ist dabei unter anderemvon der Größe der Partikel der stationären Phase undder Füllqualität der Säule abhängig. Dicht und gleich-mäßig gepackte Säulen mit Partikeln kleiner Teilchen-durchmesser besitzen eine höhere Trennleistung, erfor-dern aber auch erhöhten Druck (daher high pressure),um die mobile Phase über die stationäre Phase zu trans-portieren.

Bei der SC werden als stationäre Phasen meist pola-res Kieselgel (Normalphase), Aluminiumoxid, unpo-

lare Umkehrphasen (RP-Phasen, reversed phase, meistRP-8, Octylsilyl-, und RP-18, Octadecylsilyl-Gruppen)oder Cellulose verwendet. Sowohl Normal- als auchRP-Phasen sind heute in vielen verschiedenen modifi-zierten Varianten erhältlich (z.B. Einführung vonDihy-droxypropyl, Aminopropyl-, Cyanopropyl-Gruppen),die die Trennung von Substanzen verschiedenster Pola-ritäten erlauben.

Aber auch die Dünnschichtchromatographie (DC,in Form der HPTLC, high performance thin layer chro-matography) oder dieGaschromatographie können fürpräparative Trennungen eingesetzt werden.

Die Wahl des Elutionsmittelgemischs, isokratisch(also mit fester, sich während der Trennung nicht ver-ändernder Zusammensetzung) oder als Gradient, rich-tet sich nach den Polaritäten der stationären Phase undder zu trennenden Substanzen. Bei RP-Phasen werdenals Elutionsmittel meist Wasser oder wässrige Puffer imGemisch mit Methanol, Aceonitril oder Tetrahydrofu-ran, bei Normalphasen und Aluminiumoxid eherunpolare Lösungsmittel (Hexan, Cyclohexan, imGemisch mit Ethylacetat, Toluen, o.Ä.) eingesetzt.Bezogen auf Kieselgel besitzt Hexan die niedrigste,Wasser die größte Elutionskraft. An RP-Phasen, andenen unpolare Substanzen eher zurückgehalten wer-

Exkurs: Verteilung und AdsorptionBei verteilungschromatographischen Verfahren beruht dieTrennung auf der unterschiedlichen Verteilung der zu tren-nenden Substanzen in zwei nicht miteinander mischbarenPhasen (vgl. auch ▸Kap.1.3.1). Der Grad der Verteilungzwischen den beiden Phasen wird durch den NernstschenVerteilungkoeffizienten K, eine bei gegebener Temperaturfür das Trennsystem (Substanz, mobile Phase, stationarePhase) stofftypische Konstante, beschrieben.

K = [A]Phase 2_______[A]Phase 1

Gleichung1.1

[A] Konzentration des Stoffes A in den nicht miteinander mischba-ren Phasen 1 und 2

K Nernstscher Verteilungskoeffizient

Typische Beispiele für Trennungen, die hauptsachlich aufVerteilungschromatographie beruhen, sind die Papier- unddie Gas-Flüssig-Chromatographie.Bei adsorptionschromatographischen Trennungen reichernsich die zu trennenden Substanzen durch spezifische Wech-selwirkungen der polaren/unpolaren Gruppen der Substanzan der polaren/unpolaren Oberflache des Sorbens (statio-nare Phase) an (Adsorption). Je größer die Oberflache, destomehr Substanz kann adsorbiert werden. Die Konzentrationdes Stoffes im Sorbens und seine Konzentration in derangrenzenden Phase hangen bei konstanter Temperaturüber die Adsorptionsisotherme (○Abb.1.10) zusammen.

Mithilfe der mobilen Phase wird die adsorbierte Substanzwieder von der Oberflache des Sorbens abgelöst (Desorp-tion). Eine Trennung wird umso besser sein, je mehr sichdie zu trennenden Substanzen in ihrer Polarität und in derLöslichkeit in der mobilen Phase unterscheiden.Bei den meisten saulenchromatographischen Trennungenfinden sowohl Adsorptions- als auch Verteilungsvorgangestatt.

Konzentration in Lösung

Belegungsgrad = 1alle Adsorptionsplätze besetzt

AdsorbierteMenge

(Belegungsgrad)

anderfesten

Phase

○ Abb.1.10 Die Adsorptionsisotherme beschreibt denZusammenhang zwischen der Konzentration eines Stoffesin Lösung (mobile Phase) und seiner adsorbierten Mengean der festen Phase.

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1.3 Trennung von homogenen Stoffgemischen 9

1

2

3

4

den, dreht sich die eluotrope Reihe um, die Elutions-stärke nimmt mit zunehmender Polarität des Elutions-mittels ab.

Will man Substanzen aufgrund ihrer unterschiedli-chen Molekülgröße trennen (Größenausschluss), bietetsich die Gelpermeations- (organische Elutionsmittel)oder Gelfiltrationschromatographie (wässrige Eluti-onsmittel) an. Als Trennmaterial dienen z.B. polymereGele mit definierter Porengröße.

Für Trennungen von Enantiomeren (▸Kap. 3) wirddie temporäre Bildung diastereomerer Komplexe aneiner chiralen stationären oder in einer chiralen mobi-len Phase ausgenutzt. Hier kommen häufig Cyclodex-trine (▸Kap. 17.3) zum Einsatz.

Allen genannten Trennmechanismen ist gemeinsam,dass die Wechselwirkungen der zu trennenden Subs-tanzen mit den beiden Phasen nicht nur einmal, son-dern in vielen aufeinander folgenden Einzelvorgängenablaufen. Je häufiger die entsprechende Wechselwir-kung stattfindet, desto besser wird die Trennleistung.

Als theoretische Trennstufe versteht man dabei denje-nigen Teil einer chromatographischen Säule, in demeine abgeschlosseneWechselwirkung stattfindet. Je grö-ßer demnach die Anzahl der Trennstufen (BodenzahlN; vgl. auch ▸Kap. 1.3.3) in einer Trennsäule ist und jeniedriger die BodenhöheH der Säule (definiert als Ver-hältnis zwischen Säulenlänge L und Bodenzahl N, H =L/N), desto größer ist die Trenneffizienz.

Die Lokalisation der zu trennenden Substanzen inden nach der Trennung erhaltenen Fraktionen erfolgtbei der SCmeist mittels DC (Detektion anhand der Flu-oreszenzeigenschaften der Substanzen z.B. bei 366nm,Fluoreszenzlöschung des im Kieselgel der DC-Platteenthaltenen Fluoreszenzindikators bei 254nm oderdurch Detektionsreagenzien). Bei MPLC- und HPLC-Verfahren können je nach Eigenschaften der Substan-zen verschiedenste Detektoren eingesetzt werden (z.B.UV/Vis-, Fluoreszenz-, Brechungsindex-, Leitfähig-keitsdetektor, elektrochemischer Detektor, massen-selektiver Detektor, Lichtstreudetekor).

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53

3

3 Struktur organischer Verbindungen und Stereochemie

3.1 Konstitution und Struktur

3.1.1 Historische AspekteErste Einblicke in den Aufbau organischer Molekülegehen auf Kekulé und Couper (1857) zurück, die unab-hängig voneinander feststellten, dass sich die Atome dereinzelnen Elemente nicht willkürlich, sondern immernur mit einer ganz bestimmten, für jedes Element cha-rakteristischen Anzahl anderer Atome verbinden. Sieordneten daher jedem Atom eine bestimmte Anzahlvon „Affinitätseinheiten“ zu, für die sie den Ausdruck„Atomigkeit“ prägten. Je nachdem, ob das betreffendeAtom eine oder mehrere solcher „Affinitätseinheiten“besaß, unterschied man damals zwischen ein- undmehratomigen Elementen. Gleichzeitig stellte Kekulérein empirisch aus der stöchiometrischen Zusammen-setzung organischer Verbindungen die „Vieratomig-keit“ von Kohlenstoff fest. Darüber hinaus erkannte er,dass sich die Kohlenstoffatome auch untereinander ver-binden können. Später wurde die „Atomigkeit“ durchden Begriff Valenz oder Wertigkeit ersetzt. A. CrumBrown (1865) führte zurWiedergabe dieser Valenzen inden chemischen Formeln den Bindungsstrich ein.Zuvor hatte Butlerow im Jahr 1861 erstmals den Begriffder chemischen Struktur geprägt. Er verstand darunterdie Art und Weise, wie Atome in einem Molekül mit-einander verbunden sind. Gleichzeitig stellte er dieThese auf, dass die chemischen Eigenschaften der Stoffevon ihrer chemischen Struktur bestimmtwerden. Einenweiteren wichtigen Beitrag für die organische Struktur-lehre leisteten van’t Hoff und Le Bel (1874), die unab-hängig voneinander aus der optischen Aktivitätbestimmter Kohlenstoffverbindungen folgerten, dassdie vier Bindungen des Kohlenstoffatoms nicht in einerEbene, sondern dreidimensional im Raum – und zwartetraedrisch – angeordnet sein müssen.

3.1.2 Konstitution, Konnektivität undDarstellungsweisen organischerVerbindungen (Formeln)

Die oben geschilderten Erkenntnisse und die systemati-sche Weiterentwicklung der experimentellen orga-nisch-chemischen Forschung führten zu der heute gül-tigen Strukturtheorie organischer Verbindungen. Seit-her ist es eine der wichtigstenAufgaben des organischenChemikers, für jede neue chemische Verbindung dierichtige Konstitutions- und Strukturformel zu ermit-teln. Erst aus der Konstitutionsformel, die angibt, wiedie laut Summenformel in einemMolekül vorhandenenAtome miteinander verbunden sind, kann auf die Stoff-klasse und die enthaltenen funktionellen Gruppen derbetreffenden organischen Verbindung – Alkohol, Alde-hyd, Keton, Carbonsäure, Ester, Amin, Amid usw. –geschlossen werden. Die Konstitutionsformel gibt alsoAufschluss über den materiellen Aufbau (Art undAnzahl der Atome) sowie über die Topologie einer Ver-bindung (Konnektivität und Bindungstypen, z.B. Ein-fach- oder Mehrfachbindung).

󠀁 MERKE

Konnektivität: Unter Konnektivitat versteht man dieInformation, die eine einfache Strichformel enthalt,jedoch ohne Berücksichtigung der Bindungstypen(Einfach- bzw. Mehrfachbindung). Konnektivitat =vollstandiges Atomgerüst.

Konstitution: Durch die Konstitution einer Ver-bindung werden die Zahl, die Art und die Reihen-folge der Atome sowie die Art ihrer Verknüpfung(Bindungstypen) angegeben, wobei die räumlicheAnordnung unberücksichtigt bleibt. Der BegriffStruktur wird haufig synonym verwendet, obwohl erauch raumliche Aspekte einschließt.

Eine Konstitutionsformel enthält keine Aussage überdie dreidimensionale Struktur einer Verbindung. Ineiner Konstitutionsformel werden z.B. die vier Bindun-

Konstitution und Struktur ... 53 | Isomerie ... 54 | Konformation ... 58 | Optische Isomerie und

Chiralitat ... 63 | Diastereoisomerie ... 79 | Prochiralitat und Topizitat ... 84 | Pseudochirali-

tat ... 87 | Stereochemie von Cycloalkanen ... 88 | Konformation von Peptiden ... 98

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3 Struktur organischer Verbindungen und Stereochemie54

gen eines Kohlenstoffatoms planar in der Papierebenegezeichnet. Wir wissen aber, dass diese vier Bindungenin die Ecken eines gleichseitigen Tetraeders zeigen, alsoeine genau definierte dreidimensionale Anordnungaufweisen. Um solche weitergehenden Informationenüber die dreidimensionale Geometrie (also dieTopographie) und damit auch über die Stereochemieeiner Verbindung (Konfigurationen, Konformation,▸Kap. 3.2.2) in der Formel auszudrücken, gibt es nebender einfachen Strichformel eine Reihe weiterer speziel-ler Formeldarstellungen (allgemein als Strukturfor-meln bezeichnet, engl. structural formula). Die IUPAC(▸Kap. 1.1) unterscheidet neben der Strichformel (lineformula), die nur die Konstitution (also die Konnektivi-tät und die Bindungstypen) wiedergibt, und der Lewis-Formel (engl. Lewis formula, electron dot formula), dieValenzelektronen (also Bindungs- und freie Elektro-nen) in Form von Punkten darstellt, außerdem nochperspektivische Formeln (engl. perspective formula),Projektionsformeln (engl. projection formula) und Ste-reoformeln (engl. stereochemical formula, space for-mula, stereoformula). Allerdings sind die Definitionenund gegenseitigen Abgrenzungen nicht immer ganzeindeutig. Alle Formeln sind entweder Darstellungender dreidimensionalen Struktur eines Moleküls ausbestimmten Blickrichtungen (Perspektiven, z.B. New-man-Projektion, Sägebock-Darstellung) oder verschie-dene Projektionen in die (zweidimensionale) Papier-ebene (z.B. Fischer-Projektion, Zickzack-Formel). Inder Keilstrichschreibweise und Zickzack-Darstellung(engl. zig-zag projection) z.B. bedeuten durchgezogeneBindungsstriche (−R), dass sich die Bindung in derPapierebene befindet, bei einem Keil (tR) zeigt dieBindung vor die Papierebene, während eine gestrichelteBindung (|||||R) hinter die Papierebene zeigt. In derFischer-Projektion (▸Kap. 3.4.3) bedeuten dagegen einsenkrechter Bindungsstrich, dass sich die Bindung hin-ter der Papierebene, und ein waagerechter Bindungs-strich, dass sich die Bindung vor der Papierebene befin-det. Mithilfe der Newman- oder Sägebock-Darstellungwerden insbesondere Konformationen (▸Kap. 3.3)wiedergegeben. Die verschiedenen Darstellungsweisensind in ○Abb. 3.1 am Beispiel von d-Glycerinaldehyd,(R)-2,3-Dihydroxypropanal, verdeutlicht.

Um Verbindungen in elektronischen Datenbankenzu erfassen, z.B. für das Computer-gestützte DrugDesign (CADD, computer-aided drug design), werdenMoleküle z.B. in SMILES (simplified molecular inputline entry specification) codiert. Die Struktur wird starkvereinfacht als ASCII-Zeichenkette wiedergegeben. MitMoleküleditoren können aus diesen Dateien zwei- unddreidimensionale Modelle erzeugt werden. Die IUPACverwendet eine eigene Identifikationszeichenfolge fürdie Moleküldarstellung, die als InChI (internationalchemical identifier) bezeichnet wird.

3.2 Isomerie

Die Summenformel (vgl. Molekularformel, ▸Kap. 1.2.2)sagt nichts über die Verknüpfung der einzelnen Atomein einemMolekül aus. So gibt es organische Verbindun-gen, die trotz gleicher Summenformel ein sehr unter-schiedliches physikalisches und chemisches Verhaltenzeigen. In diesen Verbindungen sind die einzelnenAtome jeweils auf eine andere Art undWeise mit einan-der verbunden und angeordnet. Solche Verbindungen,die zwar die gleiche Summenformel besitzen, aber nichtidentisch sind, nennt man Isomere.

3.2.1 Konstitutions- und StereoisomereIsomere mit unterschiedlicher Konstitution nennt manKonstitutionsisomere (○Abb. 3.2). Dazu gehören: Tau-tomere, Valenzisomere, Regioisomere (Positionsiso-mere, Stellungsisomere) und funktionelle Isomere(Funktionsisomere).Valenzisomere (Bindungsisomere)unterscheiden sich in der Anzahl und den Positionender π- und σ-Bindungen und damit in der Lage, in derLänge und in den Winkeln der Bindungen. Die Atomewechseln dabei nicht ihre Plätze. Valenzisomere sindhäufig durch pericyclische Reaktionen ineinanderumwandelbar. Beispiele (○Abb. 3.2A) sind Propadien/Propin, Benzenoxid/Oxepin, Cyclooctatetraen/Bicy-clo[4.2]octatrien oder Benzen/Prisman (▸Kap. 18.1.1).Als Regioisomere bezeichnet man spezielle Konstituti-onsisomere, die zwar die gleichen funktionellen Grup-pen aufweisen, aber an unterschiedlichen PositionenimMolekül, z.B. 4-Hydroxybenzoesäure und 2-Hydro-xybenzoesäure (○Abb. 3.2B). Darunter fallen auchsogenannte Skelettisomere; sie besitzen die gleichefunktionelle Gruppe an unterschiedlich verzweigtenKohlenstoffgerüsten (z.B. n-Butanol und 2-Methylpro-pan-1-ol, ○Abb. 3.2C). Funktionelle Isomere besitzenbei gleicher Summenformel unterschiedliche funktio-nelle Gruppen, z.B. Dimethylether und Ethanol(○Abb. 3.2D).

Isomere mit gleicher Konstitution nennt man Ste-reoisomere. Diese unterscheiden sich also nur durchdie relative dreidimensionale Anordnung der Atome imMolekül. In der Regel unterteilt man Stereoisomere inzwei Klassen, je nachdem, ob die Isomere durch Dre-hung um Einfachbindungen bei Raumtemperaturineinander überführbar sind oder nicht. Stereoisomere,die bei Raumtemperatur ineinander überführt werdenkönnen, bei denen also dieAktivierungsenergie für dieUmwandlung weniger als ca. 80–100kJ/mol beträgt,nennt man Konformationsisomere. Sind die Stereoiso-mere hingegen bei Raumtemperatur nicht ineinanderüberführbar, bezeichnet man sie alsKonfigurationsiso-mere. Eine weitere Unterteilung der Stereoisomereerfolgt nach der Symmetrie der Stereoisomere: Verhal-ten sich die Stereoisomere wie Bild und Spiegelbild,

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3.2 Isomerie 55

1

2

3

4

HOCH2CH(OH)–CHO

C3H6O3(CH2 nO)

KonstitutionsformelnSummenformelVerhältnisformel

SkelettformelValenzstrichformel

C C

Keilstrichformel

CO

H

Fischer-Projektion

Newman-Projektion

Sägebock-Darstellung

HOCH2–CH(OH)–CHO

O

H

C

O

H

COH

H

H

H

H

O O

H H

HO H

H

H

HO O

OH

H

OOH

HCOHH

H

OH

OH

H O

OHH

CH2OH

H O

OHH

CH2OH

HHO

CH2OH

O

CHO

HHO

H H

OH

CHO

HO CH2OHH

Lewis-Formel

Strichformel

Blickrichtungfür Sägebock-Darstellung

Blickrichtung fürFischer-Projektion

* *

Blickrichtungfür Newman-Projektion

O[C@]([H])(CO)C=O

O=C(C([H])(C([H])([H])O[H])O[H])[H]

O=C([H])C(CO[H])O[H]

[H]C(C(O)CO)=O

SMILES-Codes

InChI=1/C3H6O3/c4-1-3(6)2-5/h1,3,5-6H,2H2/t3-/m0/s1

O=C[C@H](O)[C@H2]O

InChI=1/C3H6O3/c4-1-3(6)2-5/h1,3,5-6H,2H2

InChI-Codes

Zickzack-FormelKeilstrichformel

(R)

(R)

○ Abb.3.1 Struktur- und Konstitutionsformeln (in der Literatur auch als Halbstrukturfomeln bezeichnet) von (R)-2,3-Dihydroxypropanal (d-Glycerinaldehyd, d-Glyceraldehyd); die früher üblichen Striche für freie, nichtbindende Elek-tronenpaare sollen laut IUPAC-Empfehlung durch zwei Punkte ersetzt werden. Aus den Konstitutionsformeln, der Lewis-Formel und der Valenzstrichformel bzw. Skelettformel – die letzteren beiden Schreibweisen sind zwar nicht IUPAC-kon-form, werden aber aufgrund der Einfachheit auch in diesem Buch verwendet – geht die absolute Konfiguration amChiralitatszentrum (*) nicht hervor. Zur absoluten Konfiguration von d-Glyceraldehyd nach CIP (R) ▸Kap.3.4.4.3D-Modelle (unten): Stabchenmodell (engl. sticks), Kugel-Stab-Modell (engl. ball and sticks) und Kalottenmodell (engl.calotte model, space-filling model)

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3 Struktur organischer Verbindungen und Stereochemie56

sind es Enantiomere (▸Kap. 3.4.3). Verhalten sie sichnicht wie Bild und Spiegelbild, dann handelt es sich umDiastereomere (▸Kap. 3.5). ○Abb. 3.3 gibt eine Über-sicht über die verschiedenen Formen der Isomerie.

󠀁 MERKE

󠀂 Isomere sind unterschiedliche chemische Verbin-dungen mit identischer Summenformel (Berzelius1830; griech. isos = gleich,meros = Teil).

󠀂 Isomere mit unterschiedlicher Konstitution nenntman Konstitutionsisomere:󠀂 Tautomere (▸Kap.3.2.3),󠀂 Valenzisomere (▸Kap.18.1.1),󠀂 Regioisomere (Positionsisomere, Stellungsiso-

mere),󠀂 Funktionsisomere (funktionelle Isomere).

󠀂 Isomere mit gleicher Konstitution bezeichnet manals Stereoisomere. Je nachdem, welches Kriterium(Höhe der Energiebarriere für die gegenseitigeUmwandlung oder Symmetrie) zugrunde gelegtwird, unterscheidet man:󠀂 Konformationsisomere und Konfigurations-

isomere,󠀂 Enantiomere und Diastereomere.

3.2.2 Konfigurations- und Konformations-isomere

Die Konfiguration beschreibt bei gegebener Konstitu-tion die Anordnung der Atome einesMoleküls imRaum,soweit sie von Drehungen um Einfachbindungen nichtbeeinflusst wird. Die Konformation ist die exakteAnordnung der Atome eines Moleküls im Raum (beigegebener Konstitution und Konfiguration). Verschie-dene Konformationsisomere können alleine durch Dre-

hung um Einfachbindungen ineinander überführt wer-den. Ein Molekül kann theoretisch in unendlich vielenKonformationen vorliegen, die jedoch unterschiedlicheEnergieinhalte besitzen und auch nicht alle stabil sind.Solche Konformationsisomere, die Energieminima dar-stellen, heißenKonformere. Ist die Drehung um die Ein-fachbindung eingeschränkt, nennt man die Konformati-onsisomere auchRotamere. Könnendiese bei Raumtem-peratur getrennt isoliert werden, bezeichnet man sie alsAtropisomere. Die Energiebarriere für die Umwandlungder Isomere ineinander ist dann größer als 80–100kJ/mol. Ob es sich um Konformations- oder Konfigurati-onsisomere handelt, ist also letztlich eine Frage der Ener-giebarriere für die Umwandlung der Isomere ineinanderund damit der Trennbarkeit und Isolierbarkeit der Iso-mere bei Raumtemperatur. Atropisomere oder Isomere,die aufgrund eingeschränkter Drehbarkeit um Bindun-gen mit partiellem Doppelbindungscharakter (Rota-mere, z.B. Amide; ▸Kap.3.9, ○Abb.3.73) oder aufgrundeingeschränkter pyramidaler Inversion (Invertomere,▸Kap.3.5.2, ▸Exkurs: Inversion – ein Begriff mit unter-schiedlichen Bedeutungen) an einem dreifach koordi-nierten N-Atom konfigurationsstabil sind, kann manauch den Konfigurationsisomeren zuordnen.

3.2.3 TautomerieWenn Konstitutionsisomere durch eine chemischeGleichgewichtsreaktion ineinander umgewandelt wer-den können, spricht man von Tautomerie. Die beidenTautomere stehen dann in einem dynamischen Gleich-gewicht miteinander und werden durch eine chemischeReaktion ineinander überführt (häufig z.B. durch Pro-tonierung und Deprotonierung) Es handelt sich umeine Isomerie der folgenden, allgemeinen Form:

G X Y Z GXYZ

C CHH3C H2C C CH2

OH OHCOOH

OH

COOH

OH

OOH

O O

A)

B) C) D)

○ Abb.3.2 Beispiele für Konstitutionsisomerie: Valenzisomere (A), Regioisomere (B), Skelettisomere (C), Funktionsiso-mere (D)

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3.2 Isomerie 57

1

2

3

4

X, Y und Z sind typischerweise die Atome C, H, Ound S. G ist eine Gruppe, die während der Isomerisie-rung zu einem Elektrofug oder Nucleofug (z.B. H+)wird. Häufig werden dabei Protonen verschoben: Pro-tonenisomerie = Prototropie.

Beispiel: Keto-Enol-Tautomerie

O

RR

O

RR

H

H

H H

XY

Z

RR

H G

XY

Z

RR

H

G

Beachte: Auch das Gleichgewicht zwischen der Alde-hyd- undHalbacetalform einesMonosaccharids ist eineForm der Tautomerie (Ring-Ketten-Tautomerie):

OOH

OO

H

Das chemische Gleichgewicht zwischen den Tautome-ren kannmehr oder weniger weit auf der einen oder deranderen Seite liegen. Die Gleichgewicht-Einstellungkann zumindest bei der Prototropie durch Säuren oderBasen katalysiert werden. Weitere Beispiele für einePrototropie (○Abb. 3.4) sind:

󠀂 Imin-Enamin-Tautomerie (▸Kap. 12.2.3),󠀂 Amid-Iminol-Tautomerie (▸Kap. 32.1.3),

zwei reine Verbindungenmit gleicher Summenformel

sind deckungsgleich

zwei Isomere weisengleiche Verknüpfung auf(Sequenz, Bindungstypen)

zwei Stereoisomereverhalten sich zueinander

wie Bildund Spiegelbild

zwei Stereoisomere sinddurch Drehung um eine odermehrere Einfachbindungen

bei Raumtemperaturineinander überführbar

neinja

neinja

ja nein ja nein

identische Verbindungen Isomere

Konstitutionsisomere– Valenzisomere– Regioisomere– Skelettisomere– Funktionsisomere– Tautomere

Stereoisomere

Enantiomere Diastereomere Konformations-isomere

(Rotamere)

Konfigurationsisomere(Atropisomere,Invertomere)

Symmetrie! Energie!

○ Abb.3.3 Übersicht über die verschiedenen Isomerie-Formen

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3 Struktur organischer Verbindungen und Stereochemie58

󠀂 Oxim-Nitroso-Tautomerie (▸Kap. 12.2.3),󠀂 Lactam-Lactim-Tautomerie,󠀂 Nitro-aci-Nitro-Tautomerie (▸Kap. 10.3.1),󠀂 Thiolactam-Thiolactim-Tautomerie.

3.3 Konformation

Der Begriff der Konformation (Haworth 1929) lässtsich am besten am Beispiel der Alkane veranschauli-chen. Als Konformationen eines Moleküls bezeichnetman die räumlichen Strukturen, die sich nur durchDrehung um eine Einfachbindung unterscheiden undnicht miteinander zur Deckung gebracht werden kön-nen. Konformere sind im Allgemeinen nicht isolierbar,da die Aktivierungsenergie für den Übergang von dereinen in die andere Konformation so niedrig ist (< ca.80–100kJ/mol), dass sich die Konformationen schonbei Raumtemperatur schnell ineinander umwandeln.

3.3.1 TorsionswinkelBei der Betrachtung von Konformationen ist der Torsi-onswinkel φ (Diederwinkel, Interplanarwinkel) wich-tig. In einem Molekül mit den Atomen/Gruppen A−X−Y−B ist der Torsionswinkel derjenige Winkel, derzwischen der Strecke AX und der Strecke YB entlangder X−Y-Richtung aufgespannt wird.

BAA

XY

B X A

X

BY

Die Bezeichnungen für die verschiedenen Konformati-onen im sogenanntenKlyne-Prelog-System richten sichnach dem Diederwinkel zwischen A und B (○Abb. 3.5).

Neben diesen systematischen Bezeichnungen sindnoch die folgenden Begriffe üblich:

󠀂 ekliptisch (griech. ekleipsis = Mondfinsternis) oderverdeckt (fully eclipsed) für synperiplanar,

󠀂 windschief (skew, gauche) für synclinal (griech. kli-nein = neigen),

󠀂 teilweise verdeckt (partially eclipsed) für anticlinal,󠀂 gestaffelt (staggered) für antiperiplanar.

Für die Auswahl der Atome/Gruppen A und B, auf diesich die Bezeichnungen der Konformationen beziehen,gibt es verschiedene Regeln, die in den nachfolgendenMolekülen (alle in der +sc-Konformation), für dieAtome/Gruppen A1 bis A3 am vorderen C-Atom aufge-listet sind.

N

RR

N

RR

H

R

H H

R H

N

O

RR

N

O

RR

H

H

N O

HN O

H

N S

HN S

H

N

O

R N

O

R

H

N

O

OR N

O

OR

HH H

H

R R H

A) B)

D)C)

E) F)

○ Abb.3.4 Tautomerie-Formen: z.B. Imin-Enamin- (A), Amid-Iminol- (B), Oxim-Nitroso- (C), Lactam-Lactim- (D),Nitro-aci-Nitro- (E), Thiolactam-Thiolactim-Tautomerie (F)

BA

X

+–synanti

periplanar

clinal

+sp

+sc

+ac

+ap

–sp

–sc

–ac

–ap

0–180°:180–360°:270–90°:90–270°:330–30°/

150–210°:30–150°/

210–330°:

○ Abb.3.5 Konformationsbezeichnungen im Klyne-Pre-log-System: s = syn; a = anti; c = clinal; p = periplanar;z.B.: +sp = +synperiplanar

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3.3 Konformation 59

1

2

3

4A1

A3 A2

B2

B1B3

Br

Cl H

Cl

BrH

CH3

H H

H

CH3H

H

H H

H

ClH

Fall 1

Fall 2 Fall 3

Fall 1: A1 ≠ A2 ≠ A3: Bezugsatom (-gruppe) ist dasje-nige mit der höchsten Priorität nach den CIP-Regeln(▸Kap. 3.4.4), in diesem Fall das Bromatom.

Fall 2: A1 ≠ A2 = A3: A1 ist Bezugsatom (-gruppe), indiesem Fall die Methylgruppen.

Fall 3: A1 = A2 = A3: Atom (Gruppe) mit kleinstemDiederwinkel zur Bezugsgruppe B ist Bezugsatom(-gruppe) A, in diesem Fall das rote Wasserstoffatom.

Für die Atome/Gruppen B gelten die gleichen Regeln.Aus den vicinalen Kopplungskonstanten 3J der

1H-NMR-Spektren (▸Kap. 2.5.5) lassen sich mithilfeder Karplus-Beziehung Aussagen über die Konforma-tion ableiten, weil die 3J-Werte von den Torsionswin-keln der koppelnden Protonen abhängen (○Abb. 3.6).DieWerte sind am größten bei 180° (trans-Kopplung, 3J= 10–16 Hz) und am kleinsten bei 90° (0–2 Hz); bei 60°beobachtet man eine gauche-Kopplung (3J) von 3–5 Hz,weiterhin gilt 3J180° > 3J0° > 3J60°. Bei Ethanderivaten fin-det man einen statistischen Mittelwert von etwa 7 Hz.

3.3.2 Ethan-KonformationenIm Ethanmolekül können die beiden Methylgruppenum die zentrale C−C-Einfachbindung zwar frei rotie-ren, dennoch sind von den geometrisch möglichenAnordnungen (= Konformationen) nur einige wenigeauch energetisch begünstigt (○Abb. 3.7). Stabile Kon-formationen, also Konformere, sind nur diejenigenAnordnungen, bei denen die CH-Bindungen an denbeiden C-Atomen jeweils „auf Lücke“ stehen (staggeredoder gestaffelte Konformation; ○Abb. 3.7). Die Ener-giebarriere, die bei der Rotation zu überwinden ist, umvon einer gestaffelten Konformer zur nächsten zu gelan-gen, beträgt nach Berechnungen von Pitzer etwa 13kJ/mol. Als Energiemaximum wird dabei eine ekliptischeAnordnung durchlaufen, bei der die CH-Bindungengenau auf Deckung stehen. Die eklitpische Konforma-tion ist also der Übergangszustand beim Übergang voneiner gestaffelten Konformation in eine andere. DenEnergieunterschied der ekliptischen gegenüber dergestaffelten Konformation nenntman Pitzer-Spannung(▸Kap. 3.8.1). Die Ursache für diesen Energieunter-schied scheint ein quantenchemischer Effekt zu sein,die sogenannte Pauli-Abstoßung zwischen den Bin-dungselektronen der sich gegenüberstehenden C−H-Bindungen in der ekliptischen Konformation. Danebenwird auch eine zusätzliche Stabilisierung der gestaffel-ten Konformation durch eine Hyperkonjugation alsUrsache für die Pitzer-Spannung diskutiert. Die steri-sche Wechselwirkung der H-Atome in der ekliptischenKonformation ist hingegen nur von untergeordneterBedeutung. Sie trägt weniger als 10% zur Energiebarri-ere bei. Bei denmeistenMolekülen ist die energieärmsteund stabilste Konformation diejenige, bei der die Pit-zer-Spannung möglichst minimiert wird.

○ Abb.3.6 Karplus-Kurve:Aus den vicinalen Kopp-lungskonstanten 3J der1H-NMR-Spektren lassensich Aussagen über dieKonformation ableiten,weil die 3J-Werte von denTorsionswinkeln der kop-pelnden Protonen abhan-gen.

Kopplungskonstante3JHH[Hz]

Torsionswinkel [°]

16

14

12

10

8

4

2

6

0

60 80 10040 120 140 150 1800 20

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3 Struktur organischer Verbindungen und Stereochemie60

3.3.3 n-Butan-KonformationenBei n-Butan können sechs ausgezeichnete Konformati-onen unterschieden werden, und zwar drei gestaffelteund drei verdeckte, die sich durch eine Drehung derhinteren Methyl-Gruppe um jeweils 60° unterscheiden.Die +sc- und –sc-Konformation sowie die +ac- und –ac-Konformation sind Spiegelbilder voneinander undsomit energiegleich (○Abb. 3.8, ○Abb. 3.9). Es handeltsich um Enantiomere (▸Kap. 3.4.1).

H

H H

H

HH

Torsionswinkel [°]

–180 –120 –60 0 60 120 180

H

H H

H

H H

12,5 kJ/mol

Ene

rgie

[kJ/

mol

]

H

H H

H

H H

H

H H

H

HH synperiplanarekliptisch

antiperiplanargestaffelt

○ Abb.3.7 Potenzielle Energie der Konformationen vonEthan (antiperiplanar und synperiplanar) als Funktion desTorsionswinkels (zwischen den rot gekennzeichnetenH-Atomen); unten: Kalottenmodelle der gestaffelten(links) und ekliptischen (rechts) Konformationen

○ Abb.3.8 PotenzielleEnergie der Konformatio-nen von n-Butan als Funk-tion des Torsionswinkels(zwischen den Methylgrup-pen)

CH3

H H

H

CH3H

Torsionswinkel [°]0 60 120 180

CH3

H H

H

H CH3

Ene

rgie

[kJ/

mol

]

CH3

H H

CH3

H H

CH3

H H

CH3

HH

14,6 kJ/mol

3,8 kJ/mol

18,8 kJ/mol

gauche+sc

gestaffeltantiperiplanar

teilweise verdeckt+ac

ekliptischsynperiplanar

–180 –120 –60

CH3

H H

H

CH3H

CH3

H H

H

H3C H

gauche(+sc)

teilweiseverdeckt

(+ac)

CH3

H H

H

HH3C

gauche(–sc)

CH3

H H

H

H CH3

teilweiseverdeckt

(–ac)

○ Abb.3.9 Die beiden gauche- (synclinalen) bzw. anticli-nalen n-Butan-Konformationen sind jeweils Spiegelbildervoneinander (Enantiomere) und damit energiegleich. DieBarriere zwischen den beiden gauche-Konformationenbetragt 15kJ/mol (= 18,8–3,8kJ/mol), der Übergangszu-stand entspricht der synperiplanaren Konformation.

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3.3 Konformation 61

1

2

3

4

Aus Elektronenbeugungsaufnahmen geht hervor,dass n-Butan im gasförmigen Zustand zu etwa 75% inder antiperiplanarenKonformation und zu 25% in einerder beiden gauche-Konformationen vorliegt. Bei Raum-temperatur ist das Verhältnis 82 : 18. Dies entsprichteiner Energiedifferenz von 3,8kJ/mol zwischen diesenKonformationen. Danach ist die antiperiplanare Kon-formation, in der die Methylgruppen am weitesten von-einander entfernt sind, die stabilste. Es folgen die beidenzueinander spiegelbildlichen und damit energiegleichengauche-Konformationen, in denen die Methylgruppenzwar auch auf Lücke stehen, jedoch durch ihre größereräumliche Nähe eine stärkere sterischeWechselwirkungaufeinander ausüben. Die verdeckten und teilweise ver-deckten Konformationen sind nicht nachweisbar. Siesind Energiemaxima, also Übergangszustände, die nurbei der Umwandlung der stabilen Konformationen inei-nander durchlaufen werden. Die Barriere zwischen derantiperiplanaren Konformation und den gauche-Kon-formationen beträgt 14,6kJ/mol, d.h. die Konformerewandeln sich bei Raumtemperatur mehrere MilliardenMal pro Sekunde ineinander um.

3.3.4 n-Pentan-KonformationenEtwas komplizierter wird es bei den Konformationenvon n-Pentan, die sich bei der Drehung um die zweizentralen C−C-Bindungen ergeben, also bei Drehungum die C2−C3- und die C3−C4-Bindung.

H3C

CH3H

HH

HH

H2

34

Es sind damit zwei Diederwinkel zu betrachten. Trägtman die potenzielle Energie des Moleküls in Abhängig-keit von diesen beiden Torsionswinkeln auf, erhält maneine Energiehyperfläche (Potenzialhyperfläche), ver-gleichbar mit einer Gebirgslandschaft. Man kann dieseauch als Konformationskarte, vergleichbar mit einerHöhenlinienkarte, darstellen (○Abb. 3.10).

In der „Konformationslandschaft“ von n-Pentan gibtes 9 mehr oder weniger tiefe Täler (d. h. 9 Vorzugskon-formationen) sowie einige Bergspitzen und Sattel-punkte. Die energetisch tiefste Stelle ist das globaleMinimum (relative Energie 0kJ/mol). Dabei handelt essich um die Konformation, in der beide Torsionswin-kel 180° betragen: die Zickzack-Konformation (○Abb.3.11). Die anderen Täler sind energetisch etwas höherliegende lokale Minima. Die energetisch höchste Stelleist diejenige, bei der beide Torsionswinkel 0° betragen.Betrachtet man n-Pentan aus zwei n-Butan-Einheitenzusammengesetzt, so liegt in den 9 Minima jede Butan-Einheit entweder in einer antiperiplanaren (a, trans, t,Diederwinkel ±180°) oder in zwei verschiedenen gau-che-Stellungen (g, Diederwinkel ±60°) vor. Die Konfor-mationen bezeichnet man dementsprechend als aa(= tt), g–g+, g+g–, g–g–, g+g+, ag–, ag+, g+a, g–a, wobei „+“

○ Abb.3.10 Konformatio-nen von n-Pentan, die sichdurch Drehung um die bei-den zentralen C−C-Bindungen ergeben: Ener-giehyperflache (oben) undKonformationskarte(unten). Aufgetragen ist dierelative potenzielle Energiedes Moleküls (bezogen aufdie energetisch günstigsteKonformation mit einerrelativen Energie von 0kJ/mol) in Abhangigkeit vonden beiden Torsionswin-keln.

Φ₁ = 0°, Φ₂ = 120°,Φ₁ = 120°, Φ₂ = 120°,

Φ₁ = 180°, Φ₂ = 180°,

0,000

7,200

14,40

21,60

28,80

36,00

43,20

50,40

57,60

64,80

72,00

Torsionswinkel Φ₁ [°] TorsionswinkelΦ₂[°]

Energie[kJ/m

ol]

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3 Struktur organischer Verbindungen und Stereochemie62

und „–“ jeweils die Drehung nach rechts bzw. linksangeben.

Die Konformationen, in denen die Butan-Einheiteng–g+ bzw. g+g– zueinander stehen (Torsionswinkel 60°bzw. –60°), sind nicht sehr stabil, da sich die beidenMethylgruppen abstoßen. (Genaugenommen sinddiese Konformationen auch keine Energieminima, alsoTäler auf der Hyperfläche, sondern Sattelpunkte, diedurch zwei lokale Minima, in denen die Torsionswinkelgeringfügig von ±60° abweichen, separiert sind.) BeiRaumtemperatur können diese Konformationen ver-nachlässigt werden, da nur ein sehr geringer Anteil anPentanmolekülen in diesen Konformationen vorliegt.DieDestabilisierung einer solchenKonformation durchdie Abstoßung der beiden Methylgruppen bezeichnetman allgemein als Pentan- oder syn-Pentan-Effekt(1,3-syn-diaxiale-Wechselwirkung, skew-Pentan-Effekt,Newman-Spannung; ▸Kap. 3.8.1). Der Effekt tritt auf,wenn entlang einer Kohlenstoffkette die Diederwinkelaufeinanderfolgender Substituenten jeweils +60° (g+)und –60° (= 300°, g–) betragen.

Die verschiedenen stabilen Konformationen vonn-Pentan wandeln sich entlang der Sattelpunkte und

nicht über die Bergspitzen ineinander um, d.h. es findetkeine gleichzeitige Rotation um die 2,3- und 3,4-Bin-dung statt, sondern die Konformationsumwandlungerfolgt schrittweise. Bereits bei Raumtemperatur ist dasglobale Minimum aa (tt) nicht mehr das häufigste Kon-former, da die anderen Konformere zwar energetischungünstiger aber dafür entropisch gegenüber der aa(tt)-Konformation bevorzugt sind, was mit zunehmenderTemperatur immer wichtiger wird (bei 300 K liegen47% aa (= tt) Konformer neben 47% ag± bzw. g±a und6% g±g± vor).

Die Konformationsanalyse hat nicht nur bei Alka-nen und deren Substitutionsprodukten, sondern vorallem bei Cycloalkanen, insbesondere Cyclohexanen,und Peptiden Bedeutung erlangt (▸Kap. 3.8 und▸Kap. 3.9).

ZahnradeffektAuch Rotationen um C−C-Einfachbindungen könnenin sterisch sehr anspruchsvollen Molekülen sehr vielhöherer Energiebarrieren aufweisen als in einfachenAlkanen wie Ethan oder Pentan und damit einge-schränkt sein. Im Tetraisopropylethen beispielsweisesind die Methinprotonen in der stabilsten Konforma-tion in zwei Paaren in der Ebene so angeordnet, dass dieProtonen Ha in die Richtung der Doppelbindung wei-sen, die Protonen Hb dagegen von der Doppelbindungwegweisen. Im 1H-NMR-Spektrum beobachtet mandaher bei tiefer Temperatur getrennte Signale für dieProtonen Ha und Hb. Die Rotation um die C−C-Einfachbindungen, die die relativen Positionen der Pro-tonen Ha und Hb miteinander vertauscht und damit zueinem Zusammenfallen der NMR-Signale führt, istoffensichtlich sehr langsam. Erst bei erhöhter Tempera-tur findet die Rotation so schnell statt, dass nur noch eingemeinsames, gemitteltes Signal für die beiden Proto-nen Ha und Hb beobachtet werden kann. Aufgrund dersterisch anspruchsvollen Isopropylgruppen kann eineDrehung um die (blauen) C−C-Bindungen anschei-nend nur stattfinden, wenn alle vier Isopropylgruppengleichzeitig synchron gedreht werden. Dieses Phäno-men nennt man nach Kwart und Roussel Zahnradeffekt(engl. gear effect, cogwheel effect), weil sich die Methyl-gruppen wie die Zähne von Zahnrädern aneinandervorbeidrehen müssen. Die Barriere für die Isomerisie-rung beträgt 70kJ/mol; im Vergleich zur Rotationsbar-riere einer normalen C−C-Bindung in einem Alkanvon <20kJ/mol ein sehr hoher Wert.

Ha

Hb

Ha

Hb

Tetraisopropylethen

H H

H3C H HH3C

H

HCH3

HH

H H

H3C H HH3C

H

H CH3

HH

CH3CH3

g– g+

23 3

4

H3CCH3

HH

H H

HH

HH

H HH H

○ Abb.3.11 Die energetisch günstigste n-Pentan-Konfor-mation ist die, in der beide Torsionswinkel 180° betragen,d.h. die Zickzack-Konformation (aa = tt, oben). Verschie-dene Darstellungen der aufgrund der 1,3-syn-diaxialenWechselwirkung energetisch ungünstigen g–g+-Konforma-tion von n-Pentan sowie Newman-Projektion entlang derC2−C3-Bindung (grün, Mitte links) und entlang der C3−C4-Bindung (rot, Mitte rechts). 1,3-syn-diaxiale Wechsel-wirkungen (Pentan-Effekt) können auch in cyclischen Ver-bindungen auftreten (unten).

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3.4 Optische Isomerie und Chiralitat 63

1

2

3

4

3.4 Optische Isomerie und Chiralität

3.4.1 Chiralitäts- und Symmetrieelemente1815 entdeckte Biot, dass eine alkoholische Lösung vonCampher, einem bicyclischen Terpen (▸Kap. 26), dieSchwingungsebene von linear polarisiertem Licht umeinen bestimmten Winkel dreht, d. h., die Lösung weisteine sogenannte optische Aktivität (▸Kap. 3.4.2) auf.Diese physikalische Erscheinung wurde von Pasteur(1848) an Weinsäure näher untersucht. Es gelang ihm,aus den Kristallen des Natrium-Ammonium-Salzeseiner optisch inaktiven Weinsäure durch Aussortierenzwei verschiedene Isomere zu isolieren, die jedes fürsich optisch aktiv waren. In Lösung drehen beide Iso-meren die Polarisationsebene des linear polarisiertenLichtes um den gleichen Betrag, jedoch in entgegenge-setzte Richtung. Das eine Isomere dreht nach rechts,was man durch ein Pluszeichen (+) angibt, das anderenach links, was entsprechend durch ein Minuszeichen(–) angegeben wird. Die eingesetzte optisch inaktiveWeinsäure war also in Wahrheit eine 1:1-Mischungzweier optisch aktiver Weinsäuren, deren optischeAktivität sich in Lösung aber gerade gegenseitig auf-hebt. Eine genauere Untersuchung des für die Kristalli-sation genutzten Natrium-Ammonium-Salzes derWeinsäure zeigte, dass die Kristallformen der beidenoptisch aktiven Tartrate enantiomorph sind. Das heißt,die Kristalle weisen gleiche Flächen und Winkel auf,lassen sichabernicht zurDeckungbringen (○Abb. 3.12).Sie verhalten sich wie Bild und Spiegelbild oder wienichtkongruente Spiegelbilder.

Moleküle, die wie Campher oder Weinsäure optischaktiv sind, bezeichnet man als chirale Moleküle. Diebeiden unterschiedlichen Formen, die sich nur im Vor-zeichen der optischen Drehung unterscheiden, werdenEnantiomere (Spiegelbildisomere, optische Isomere)genannt. Eine 1:1-Mischung der beiden Enantiomereist entsprechend optisch inaktiv, da sich die optischeDrehung der beiden Enantiomere gerade aufhebt. Manspricht von einer racemischen Mischung bzw. einemRacemat. Pasteurwar damit die ersteRacemattrennung(Racematspaltung) der Geschichte gelungen. Ertrennte die optisch inaktive racemische Weinsäuredurch mechanisches Aussortieren der Kristalle in diebeiden optisch aktiven Enantiomere.

Genauere Untersuchungen zeigten dann, dass dieUrsache der optischen Aktivität im räumlichen Bau derbetreffenden Verbindungen zu suchen ist. 1860 postu-lierte Pasteur, dass alle optisch aktiven Moleküle asym-metrisch gebaut seinmüssen; d.h. ihreMoleküle weisenkeinerlei Symmetrie auf. van’t Hoff und le Bel entdeck-ten 1874 unabhängig voneinander, dass sämtliche bisdahin bekannten, optisch aktiven organischen Verbin-dungen mindestens ein asymmetrisch substituiertesKohlenstoffatom, d. h. einmit vier verschiedenen Ato-

men oder Atomgruppen verbundenes C-Atom, ent-halten (○Abb. 3.13). Aus dieser Tatsache folgerte van’tHoff, dass die vier Substituenten eines C-Atoms nicht ineiner Ebene liegen können, sondern in den Ecken einesTetraeders lokalisiert sind, in dessen Mittelpunkt dasC-Atom steht.

Asymmetrie (also die Abwesenheit jeglicher Sym-metrieelemente außer C1-Symmetrie) ist zwar eine hin-reichende, aber keine notwendige Bedingung für dieExistenz von Enantiomeren. Auch dissymmetrischeMoleküle, also z.B. solche, die C2- oder D2-Symmetriebesitzen, sind chiral. Der 1893 von Lord Kelvin geprägteBegriff der Chiralität, mit „Händigkeit“ (griech. cheir:Hand) übersetzt, bringt die notwendige und hinrei-chende Bedingung für die Existenz von Enantiomerengenauer zum Ausdruck: Moleküle sind dann chiral,wenn sich Bild und Spiegelbild, so wie auch unsereHände, nicht zur Deckung bringen lassen. OptischeAktivität wird jedoch nur beobachtet, wenn eine hinrei-chende Menge homochiraler Moleküle vorliegt, alsoeine makroskopische Menge einer chiralen Verbin-dung.

Das asymmetrisch substituierte Kohlenstoffatom istein Chiralitätszentrum (Prelog) oder stereogenes Zen-

T

P

T

Pb

hh

b

hh

10

○ Abb.3.12 Die Kristalle der Enantiomeren von Natrium-Ammonium-Tartrat, die Pasteur durch Kristallisationerhielt, sind zueinander spiegelbildlich (enantiomorpheKristalle) und können durch Aussortieren getrennt werden.Das Salz kristallisiert als Konglomerat (racemischeMischung) aus, d.h., in einem Kristall sind nur Moleküleeines Enantiomeren enthalten. Pasteur hatte Glück: BeiTemperaturen über 27°C kristallisiert das Salz als racemi-sche Verbindung (echtes Racemat; ▸Kap.3.4.6, ▸Exkurs:Racemat und Konglomerat) aus, also in Form von Kristal-len, die beide Enantiomere enthalten.

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3 Struktur organischer Verbindungen und Stereochemie64

󠀁 MERKE

Wann ist ein Molekül chiral?Ein Molekül ist chiral, wenn es mit seinem Spiegelbildnicht zur Deckung gebracht werden kann (○Abb.3.13,oben). Es kannmit seinem Spiegelbild dann zur Deckunggebracht werden, wenn es symmetrisch ist. Eine sym-metrische Verbindung ist demnach achiral.Es gibt zwei Möglichkeiten, um herauszufinden, ob eineVerbindung chiral ist:1. Man konstruiert das Spiegelbild der Verbindung und

überprüft, ob es mit dem ursprünglichen Moleküldeckungsgleich ist (→ achiral) oder nicht (→ chiral).

2. Man findet heraus, ob die Verbindung symmetrischist (→ achiral) oder nicht (→ chiral).

Wann ist ein Molekül symmetrisch?Die Antwort lautet: Wenn es sich durch eine raumlicheUmorientierung (= Symmetrieoperation) auf sich selbstabbilden lasst (○Abb.3.13, unten).Symmetrieoperationen werden an Symmetrieelementendurchgeführt. Man unterscheidet zwischen Symmetrie-elementen der 1. Art (Drehachse) und Symmetrieele-menten der 2. Art (Spiegelebene, Inversionszentrum,Drehspiegelachse; siehe „Symmetrieoperationen“).Beachte: Chiralitat ist die Eigenschaft eines Objektes. Ein

Molekül kann chiral sein, ein Atom nicht. Daher sollteman von einem Chiralitatszentrum (chirality centre,asymmetric centre) sprechen, d.h. von einem Zentrum,das zur Chiralitat führt, nicht aber von einem „chiralenZentrum“ oder „chiralen Atom“. Diese Begriffe sindfalsch. Ebenso wenig gibt es „chirale Synthesen“, son-dern nur Synthesen mit chiralen Katalysatoren usw.

Cl

H I

BrCl

HI

Br

Cl

H Br

HCl

HBr

H

Drehung um 180°

(S) (R)

○ Abb.3.13 Bromchloriodmethan ist chiral, es existie-ren Bild und Spiegelbild, die nicht zur Deckung zu brin-gen sind (oben). Bromchlormethan dagegen ist achiral(unten), das Spiegelbild ist mit dem Bild identisch (umdas zu erkennen, muss man das Spiegelbild um 180°drehen).

○ Abb.3.14 Moleküle miteinem Heteroatom als Chi-ralitatszentrum. Die Tröger-sche Base besitzt zweiStickstoffatome als Chirali-tatszentren. Diese sindBrückenkopfatome, waseine pyramidale Inversionund damit eine Racemisie-rung unmöglich macht. DieEnantiomere sind dahertrennbar. Omeprazol ist einProtonenpumpenblocker, erwird als Racemat oder als(S)-Enantiomer eingesetzt(Esomeprazol). Cyclophos-phamid, ein Zytostatikumaus der Gruppe der Alky-lanzien, besitzt ein Phos-phoratom als Chirali-tatszentrum.

N

N

N

N

(–)-Trögersche Base

N

S

O

O

N

NH

O

N P

O

O

N

Cl

Cl

NP

O

O

N

Cl

Cl

N

S

O

O

N

NH

O

H H

(R)-Omeprazol

Cyclophosphamid

Esomeprazol

(R)

(R)

(S)

(S)

(R)

(R) (S)

(+)-Trögersche Base

(S)

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203

7

8

7 Halogenalkane

Substituiert man mindestens ein Wasserstoffatom einesAlkans R−H durch ein Halogenatom X (X = F, Cl, Broder I), erhält man einHalogenalkanR−X.Halogenal-kane werden in monohalogenierte (auch Alkylhaloge-nide genannt) und höher halogenierte Alkane unter-schieden. Die typischen Reaktionen der Alkylhaloge-nide sind die nucleophile Substitution und dieEliminierung. Eine Sonderstellung in Bezug auf Dar-stellung und chemisches Verhalten nehmen allerdingsdie fluorierten Kohlenwasserstoffe ein, die in der Regelwenig reaktiv sind.

Chloroform

H

ClCl

ClCH3I

Methyliodid 1,2-Dichlor-1,1,2,2-tetra-

fluorethan

Cl

F FCl

FF

7.1 Monohalogenalkane(Alkylhalogenide)

Die einfachsten Vertreter der Alkylhalogenide sindVerbindungen, bei denen ein H-Atom im Methan CH4durch ein Halogenatom X substituiert wurde. Beispielesind die technisch häufig verwendeten Methylierungs-reagenzien Methylchlorid CH3Cl und MethyliodidCH3I. In der homologen Reihe derMonohalogenalkaneCnH2n+1X folgen entsprechend die Ethylhalogenide, wiez.B. Ethylchlorid C2H5Cl. Aus dem Propan und allenhöheren Alkanen gehen konstitutionsisomere Alkylha-logenide hervor. Dabei steigt die Zahl der Isomeren mitwachsender Kettenlänge an. Je nachdem, ob das Halo-gen an ein primäres, sekundäres oder tertiäres C-Atomgebunden ist, wird zwischen einem primären, sekun-dären und tertiären Halogenalkan unterschieden(○Abb. 7.1).

Die Namen der Alkylhalogenide leiten sich vomAlkylrest und dem entsprechenden Halogenatom ab. Inder offziellen IUPAC-Nomenklatur (○Abb. 7.2,Beschriftung in Klammern) wird das Halogen als Sub-stituent angesehen und daher dem Namen des Alkansvorangestellt (z.B. Iodmethan). In einer älteren, aberimmer noch gebräuchlichen Bezeichnungsweise(○Abb. 7.2) stellt man den Namen des Alkylrestes derEndsilbe „-halogenid“ voran (z.B. Methyliodid).

R

CCl

H

H

sekundäresC-Atom

primäresC-Atom

tertiäresC-Atom

primäresAlkylchlorid

sekundäresAlkylchlorid

tertiäresAlkylchlorid

R

CCl

R

H

R

CCl

R

R

○ Abb.7.1 Unterscheidung primarer, sekundarer und ter-tiarer Alkylhalogenide

Monohalogenalkane (Alkylhalogenide) ... 203 | Mehrfach halogenierte Alkane ... 212 |

Fluorierte Kohlenwasserstoffe ... 216

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7 Halogenalkane204

7.1.1 Struktur und EigenschaftenDie C−X-Bindung der Alkylhalogenide resultiert ausder Überlappung eines sp3-Orbitals des C-Atoms miteinem sp3- (Fluor) bzw. einem p-Orbital (Chlor, Brom,Iod) des Halogenatoms. Die Bindung zeichnet sichdurch ihren polaren Charakter aus, da die Halogeneeine höhere Elektronegativität aufweisen als der Koh-lenstoff. Somit ist in Halogenalkanen das C-Atom posi-tiv polarisiert, während das Halogenatom negativ pola-risiert ist. Mit zunehmender Größe der Halogene wirddie C−X-Bindung schwächer und somit länger(○Abb. 7.3). Dies ist auf die Verschlechterung der Über-lappung mit den innerhalb einer Hauptgruppe vonoben nach unten größer werdenden Orbitalen amHalogenatom zurückzuführen. Die C−F-Bindung istmit 451kJ/mol und 134pm die stärkste und kürzesteC−X-Bindung; die C−I-Bindung entsprechend dielängste (214pm) und schwächste (239kJ/mol). DieC−Cl-Bindung (350kJ/mol, 178pm) und die C−Br-Bindung (294kJ/mol, 193pm) liegen dazwischen. DieUnterschiede in der Bindungsstärke spiegeln sich auchin der Reaktivität der Verbindungen wider: Alkyliodidesind die reaktivsten Alkylhalogenide, während Alkyl-

fluoride aufgrund der sehr starken C−F-Bindung eherwenig reaktiv sind.

Durch den Halogensubstituent weisen Alkylhaloge-nide Eigenschaften auf, die sich deutlich von den Alka-nen (▸Kap. 4.1) unterscheiden. So sind die Schmelz-und Siedepunkte von Halogenalkanen deutlich höherals die der analogen Alkane. Die einfacheren Vertreterder Alkylhalogenide sind bei Raumtemperatur gasför-mig (□Tab. 7.1). Die höheren Glieder der homologenReihe sind meist flüssig, einige wenige fest. DieZunahme der Siedetemperaturen ist im Wesentlichenauf eine Zunahme der Van-der-Waals-Wechselwirkun-gen zurückzuführen, die mit der Größe der Elektronen-wolke und damit auchmit der Größe des Halogenatomsstärker werden. Elektronen, die sich weiter vom Kernentfernt befinden, sind lockerer an diesen gebunden alskernnahe Elektronen. Somit lässt sich die Elektronen-wolke größerer Atome leichter verzerren als die kleine-rer Atome; diese Moleküle sind also leichter polarisier-bar und weisen stärkere Van-derWaals-Wechselwir-kungen mit anderen Molekülen auf.

󠀁 MERKE Die Polarisierbarkeit gibt an, wie leicht sichdie Elektronenwolke eines Atoms durch eine außere(Partial-)Ladung deformieren lasst. Mit steigenderPolarisierbarkeit eines Atoms werden die Van-der-Waals-Wechselwirkungen starker.

Alkylhalogenide sind zwar in gewissem Maße polar,können jedoch, bis auf Alkylfluoride, keine Wasser-stoffbrückenbindungen ausbilden. Daher beschränktsich ihre Löslichkeit im Allgemeinen auf organischeLösemittel. Sie sind in Wasser fast unlöslich, mischensich aber mit Alkoholen oder Ethern. Eine Ausnahmesind die Alkylfluoride, deren Löslichkeit in Wasser imVergleich zu den anderen Alkylhalogeniden aufgrundder stärkeren Polarität größer ist.

F Cl

Methyliodid(Iodmethan)

Isopropylchlorid(2-Chlorpropan)

Ethylfluorid(Fluorethan)

CH3I

n-Propylchlorid(1-Chlorpropan)

Cl

tert-Butylbromid(2-Brom-2-methylpropan)

Br

○ Abb.7.2 Nomenklatur der Alkylhalogenide. Die Beschrif-tung in Klammern entspricht der IUPAC-Nomenklatur.

R

CF

H

H

R

CCl H

H

R

C

Br H

H

R

C

I H

H

139 pm 178 pm 193 pm 214 pm

○ Abb.7.3 CPK-Darstellung der primaren Alkylhalogenide. Die C−X-Bindung wird mit zunehmender Größe der Halogen-atome immer schwacher und somit langer.

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7.1 Monohalogenalkane (Alkylhalogenide) 205

7

7.1.2 Gewinnung und SyntheseAlkylhalogenide lassen sich auf verschiedene Artensynthetisieren (○Abb. 7.4). Eine sowohl in der Technikals auch im Labor vielfach angewandte Methode ist dieUmsetzung von Alkoholen mit Halogenwasserstoffsäu-ren (vor allem HI, HBr, HCl). Alkylhalogenide könnensomit als Ester der Halogenwasserstoffsäuren aufgefasstwerden (daher stammt auch die Bezeichnung als Alkyl-halogenid). Am leichtesten reagiert Iodwasserstoff mitAlkoholen; bei Brom- bzw. Chlorwasserstoff sind meisthöhere Temperaturen oder Katalysatoren, z.B. konzen-trierte Schwefelsäure oder wasserfreies Zinkchlorid,erforderlich. Eine analoge Umsetzung mit Fluorwasser-stoff ist i. d.R. präparativ nicht sinnvoll. Daneben kön-nen Alkohole auch mit Phosphorhalogeniden (PCl3,PCl5, PBr3, PI3 usw.) umgesetzt werden, um Alkylhalo-genide zu erhalten. Hierbei lässt man zum BeispielPhosphor(III)-bromid durch Eintragen von Phosphorund Zutropfen von Brom in die Reaktionslösung in situentstehen und trennt dann das entstehende Ethylbro-mid durch Destillation ab. Anstelle der Phosphorhalo-genide benutzt man auch Thionylchlorid, das zunächstmit dem Alkohol ein instabiles Chloralkylsulfit bildet.Dieses zerfällt schon bei geringem Erwärmen in einAlkylchlorid und Schwefeldioxid. Pyridin wird häufigbei dieser Reaktion als Lösemittel verwendet, da es zumeinen die Bildung von HCl und HBr unterdrückt undzum anderen selbst keine störenden Nebenreaktioneneingeht.

Eine weitere Alternative ist die Reaktion von Alko-holen mit Tetrachlor- oder Tetrabrommethan und Tri-phenylphosphin oder Tri-n-octylphosphin. Diese soge-nannte Appel-Reaktion ist eine milde Methode zurDarstellung von Alkylhalogeniden. Alkohole reagierendabei mit Tetrahalogenmethanen in Gegenwart tertiä-rer Phosphine zu dem entsprechenden Alkylhalogenidund Haloform. Die Triebkraft der Reaktion ist die Bil-dung von Triphenylphosphinoxid, welches in einerArbuzow-Umlagerung aus dem tertiären Phosphin ent-steht. Eine weitere Methode zur Synthese von Alkylha-logeniden ist die Hunsdiecker-Reaktion. Hierbei wer-den die Silbersalze aliphatischer Carbonsäuren mitBrom (oder Iod) – am besten in Tetrachlormethan –

unter Bildung der Alkylhalogenide decarboxyliert. Die-ses Verfahren dient besonders zur selektiven Darstel-lung offenkettiger oder cyclischer Monoalkylhaloge-nide und verläuft über eine radikalische Kettenreaktion(○Abb. 7.6). Alkylhalogenide können im Labor aucheinfach durch die Anlagerung von Halogenwasserstoff-säuren an Alkene synthetisiert werden.

Die direkte Halogenierung von Alkanen führt eben-falls zu Halogenalkanen, ist aber häufig aufgrund derfehlenden Selektitivät (Bildung von Isomeren, Mehr-fachhalogenierung) keine sinnvolle Reaktion im Labor.Technisch spielen solche Prozesse aber eine große Rolle,da sich die entstehenden Produktgemische anschlie-ßend trennen lassen. So führt z.B. die direkte Chlorie-rung des Methans in der Gasphase unter stufenweiserSubstitution zu einem Gemisch aus Methylchlorid,Methylenchlorid, Chloroform und Tetrachlorkohlen-stoff (○Abb.7.5). Durch Variation der Versuchsbedin-gungen (Photohalogenierung, thermische bzw. katalyti-sche Halogenierung oder Zugabe von Inhibitoren,z.B. Hydrochinon) kann eines der chlorierten Methanezum Hauptprodukt werden. Entsprechend lassen sichauch höhere Alkane chlorieren bzw. bromieren. Manerhält dann aber nicht nur Produktgemische durchMehrfachhalogenierung, sondern auch durch dieBildung von Regioisomeren. So entstehen z.B. bei derChlorierung von Propan die beiden möglichenMonochlorsubstitutionsprodukte, 1-Chlorpropan und2-Chlorpropan, in etwa gleichenMengen. Bei der Iodie-rung von Alkanen handelt es sich um eine endothermeReaktion; aufgrund der positiven Reaktionsenthalpie istsie auf diesem Wege nicht zu erreichen (▸Exkurs:Direkte Iodierung von Alkanen mit Tetraiodmethan).

󠀁 MERKE Substitutionen, die nur unter dem Einflussvon Licht oder in Gegenwart von Peroxidkatalysato-ren stattfinden, verlaufen nach einem radikalischenMechanismus.

Bei der Photochlorierung von Alkanen handelt es sichum eineRadikal-Kettenreaktion (○Abb. 7.6). Als Start-reaktion findet eine Aufspaltung des Chlormoleküls inzwei Chloratome statt (Homolyse). Dieses Chloratomabstrahiert vom Kohlenwasserstoff ein H-Atom unterBildung von Chlorwasserstoff. Es bleibt ein Alkylradi-kal zurück, das nun mit einem weiteren Chlormolekülzum Alkylchlorid reagiert. Das hierbei freiwerdendeChloratom tritt erneut in die Kettenreaktion ein. Stößtein Chloratom z.B. mit einem Alkylradikal zusammen,so erfolgt ein Kettenabbruch. Obwohl in den Alkanendie C−C-Bindungsenthalpien deutlich niedriger sindals die der C−H-Bindungen (346kJ/mol gegenüber414kJ/mol), werden durch die Radikale fast ausschließ-lich C−H-Bindungen angegriffen. Die Kohlenstoff-kette eines Alkans ist nämlich von C−H-Bindungen

□ Tab. 7.1 Siedepunkte der Alkylhalogenide

Alkylhalogenid Siedepunkt in °C

X = F X = Cl X = Br X = I

CH3−X –78,4 –23,8 3,6 42,4

CH3CH2−X –37,1 12,3 38,4 71,0

CH3CH2CH2−X –3,0 46,6 71,0 102,0

CH3CH2CH2CH2−X 32,5 78,4 101,6 130,5

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7 Halogenalkane206

umschlossen, sodass ein Angriff der Radikale auf dieC−C-Bindungen aus sterischen Gründen erschwertist. Einen entscheidenden Einfluss auf das Produktver-hältnis bei der Halogenierung übt die Stabilität derintermediär entstehenden Alkylradikale aus: tertiäreAlkylradikale sind stabiler als sekundäre und diese wie-derum stabiler als primäre (Stabilisierung des Radikalsinfolge Hyperkonjugation durch die Alkylgruppen). Inder gleichen Reihenfolge nimmt daher die Stabilität derC−H-Bindungen zu, so dass die Abspaltung eines terti-ären H-Atoms durch das angreifende Halogenatomenergetisch leichter (und damit auch schneller) ist, alsdie Abspaltung eines primären H-Atoms. Dabei nimmt

die Selektivität deutlich zu, je weniger reaktiver dasangreifende Teilchen ist (vgl. Hammond-Postulat,▸Kap. 19.1.2). Während bei der Chlorierung von Pro-pan die beiden Regioisomeren im Verhältnis 1:1 entste-hen, bildet sich bei der Bromierung deutlich mehr2-Brompropan als 1-Brompropan. Brom ist wenigerreaktiver und damit selektiver als Chlor.

Halogenalkane können also auf verschiedene Artund Weise technisch bzw. im Labor synthetisiert wer-den. Es gibt jedoch auch Vertreter, die natürlich vor-kommen. Methylchlorid wird beispielsweise von derKartoffelknolle produziert und direkt nach der Erntefreigesetzt sowie bei der Brandrohdung oder bei Vul-

Cl

ClCl

Cl

H3C OH HBr– H2O

+

COOAg Br+ Br2

– AgBr– CO2

Umsetzung von Alkoholen mit Halogenwasserstoffsäuren

Hunsdiecker-Reaktion

Umsetzung von Alkoholen mit Phosphorhalogeniden

Appel-Reaktion

Umsetzung von Alkoholen mit Thionylchlorid

OH3+ PBr3

– H3PO3Br

H3C Br

H3C OH +Cl

S

O

Cl

Thionylchlorid

N

OS

O

ClH3C

– SO2

– Cl–

H3C ClHN

Chlormethylsulfit

H3CO

Ph3P

H

– Ph3PClH3C

O– CHCl3

Ph3P Cl

O

CH3– Ph3PO

H3C Cl

Triphenyl-phosphinoxid

Triphenyl-phosphin Phosphonium-

chlorid

Cl

Cl

Cl

C

Cl

Cl

3

Ph3P

+

○ Abb.7.4 Darstellungsmöglichkeiten der Alkylhalogenide

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7.1 Monohalogenalkane (Alkylhalogenide) 207

7

kanausbrüchen emittiert (○Abb. 7.7). Es ist auch einStoffwechselprodukt von Meeresorganismen: jährlichwerden etwa 5 · 106 t Methylchlorid aus denOzeanen andie Atmosphäre abgegeben. Beim Vermodern und beider Verbrennung entsteht es aus den Methylestergrup-pen der Pektine (▸Kap. 17.1) aus dem Holz und denBlättern von Landpflanzen. Methylbromid ist ebenfallsein Stoffwechselprodukt mariner und terrestrischerMikroorganismen. Seine Volumenkonzentration in derAtmosphäre beträgt etwa 10 ppt (1 ppt = 1 parts per tril-lion = 1:1012), und es hat in der Atmosphäre eine Ver-weilzeit von etwa einem Jahr. Methylchlorid und

Methylbromid sind am Abbau der Ozonschicht in derStratosphäre beteiligt (▸Kap. 7.3.3). Andere natürlicheQuellen für Methylbromid sind z.B. Broccoli oderRaps.

Exkurs: Direkte Iodierung von Alkanen mit Tetraiod-methanCyclohexan, in dem pulverförmiges Natriumhydroxid sus-pendiert ist, lasst sich mit Tetraiodmethan zu Cyclohexylio-did umsetzen.

NaOH (fest)

CI4I

Diese direkte Iodierung eines nicht aktivierten aliphati-schen Kohlenwasserstoffes ist ebenfalls eine Radikalket-tenreaktion. Sie verlauft über Triiodmethylradikale •CI3, diewahrscheinlich an der Oberflache des festen Alkalis entste-hen.Da Triiodmethan mit Methyleniodid und Tetraiodmethan ineinem Gleichgewicht steht, kann die Synthese auch mitdem wesentlich leichter zuganglichen Iodoform in guterAusbeute vorgenommen werden.

2 CHI3 CH2I2 + CI4

Chlorierung von Methan

+ Cl2

– HClCH4 CH3Cl

MethylchloridChlormethan

(37)

Cl

(Cl2)

302 °C

Propylchlorid1-Chlorpropan

(48)

ClH

Isopropylchlorid2-Chlorpropan

(52)

Propan

Chlorierung von Propan

CH2Cl2

MethylenchloridDichlormethan

(41)

+ Cl2

– HCl

CHCl3

ChloroformTrichlormethan

(19)

+ Cl2

– HClCCl4

TetrachlorkohlenstoffTetrachlormethan

(3)

+ Cl2

– HCl

○ Abb.7.5 Chlorierung von Methan und Propan. Die Zah-len in Klammern geben die Ausbeuten in Mol-% an, diebei einem aquimolaren Verhaltnis von Cl2 und CH4 erhal-ten werden.

Cl Cl

Kette

Kettenabbruch (z. B.)

Start

Cl Cl+

R + Cl Cl Cl+

Cl+RH

+

H Cl +

R Cl

R ClCl

R

R

+ Energie

○ Abb.7.6 Mechanismus der Radikal-Kettenreaktion beider Photochlorierung von Alkanen

○ Abb.7.7 Natürliche Quellen für Alkylhalogenide sind beispielsweise Raps (A) oder Vulkanausbrüche (B).

A B

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7 Halogenalkane208

7.1.3 Reaktionen und AnwendungenDie größte Bedeutung habenHalogenalkane in der che-mischen Synthese als Lösemittel (Dichlormethan,Chloroform) oder als Alkylierungsmittel. Sie dienenzudem als Ausgangsstoffe für die Herstellung einerVielzahl anderer organischer Stoffklassen – AlkanenachWurtz, Alkene, Alkohole, Mercaptane, Ether, Sul-fide (Thioether), Amine, Nitrile sowie für Grignard-und Friedel-Crafts-Reagenzien.

Die wichtigstens Reaktionen der Halogenalkanewerden nachfolgend kurz beschrieben:

Nucleophile SubstitutionPolare Bindungen wie die C−X-Bindung in einemAlkylhalogenid können relativ leicht heterolytischgespalten werden. Dabei wird das Halogen durchandere funktionelle Gruppen substituiert. Da Alkylha-logenide wie oben schon erwähnt i. d.R. unpolar sind,ist die Umsetzung mit polaren, insbesonderen gelade-nen Nucleophilen wie z.B. NaOH oder NaCN häufigaufgrund von Löslichkeitsproblemen schwierig. In sol-chen Fällen hat sich die Verwendung der sogenanntenPhasentransferkatalyse als nützlich erwiesen (▸Exkurs:Phasentransferkatalyse).

Unter einer Substitutionsreaktion versteht man all-gemein den Austausch eines Substituenten X (ein Atomoder eine funktionelle Gruppe, das stabile Anionen bil-den kann) durch einen anderen Substituenten Y. Beiden Alkylhalogeniden erfolgt die Substitution durchAngriff eines Nucleophils (kernliebendes Teilchen) andas positiv polarisierte und damit elektrophile C-Atomder polaren C−X-Bindung:

Y + R X XR Y +

Derjenige Substituent, der das Molekül verlässt, wirdAustrittsgruppe (Abgangsgruppe) genannt. Je nach-dem, ob die Geschwindigkeit der Reaktion nur von derKonzentration des Alkylhalogenids oder auch von derdes angreifenden Nucleophils abhängt, wird zwischender SN1- und der SN2-Reaktion unterschieden. Diesemechanistischen Grenzfälle wurden in den 1930er Jah-ren von C.K. Ingold (○Abb. 7.8) ausführlich beschrie-ben.

SN1-ReaktionDie SN1-Reaktion (○Abb. 7.9) verläuft stufenweise. Imersten Schritt, der langsam und damit geschwindig-keitsbestimmend ist, erfolgt eine heterolytische Bin-dungsspaltung der C−X-Bindung, wobei die Austritts-gruppe das Elektronenpaar der Bindung mit sichnimmt. Es entsteht ein Carbokation als Zwischenstufe.Das trigonal-planare Carbokation ist sp2-hybridisiertund wird in einem zweiten, schnellen Schritt von einemNucleophil wie z.B. Wasser angegriffen. Es entsteht einOxoniumion, welches schnell von Wasser deprotoniertwerden kann. Dabei bilden sich ein Alkohol und H3O+.Sitzt die Austrittsgruppe an einem Chiralitätszentrum,ist also das Alkylhalogenid chiral, erhält man als Pro-dukt ein Racemat, also ein Enantiomerenpaar, da dasgebildete planare Carbokation mit gleicher Wahr-scheinlichkeit von beiden Seiten vom Nucleophil ange-griffen werden kann. Da am geschwindigkeitsbestim-menden, ersten Schritt nur das Alkylhalogenid beteiligtist, handelt es sich bei der Gesamtreaktion um eineKinetik 1. Ordnung. Die Reaktion verläuft unimoleku-lar (deshalb die „1“ in SN1), da am geschwindigkeitsbe-stimmenden Reaktionschritt nur ein Teilchen beteiligtist.

SN2-ReaktionDie SN2-Reaktion (○Abb. 7.10) verläuft im Gegensatzzur SN1-Reaktion in einem einzigen Schritt (konzer-tiert) und damit ohne Zwischenstufe ab. Dies bedeutet,dass im gleichen Maße wie die C−X-Bindung gespal-ten wird, die neue C−Y-Bindung entsteht. Da an die-sem Reaktionsschritt beide Reaktanden beteiligt sind,ist die Reaktion bimolekular. Die Geschwindigkeit die-ser bimolekularen Reaktion hängt sowohl von der Kon-

○ Abb.7.8 Sir ChristopherKelk Ingold (1893–1970)war ein britischer Chemikerund einer der Pioniere derUntersuchung organisch-chemischer Reaktionsme-chanismen.

O

Carbokation

Cl

sp2-hybridisiertleeres pz-Orbital

langsam

schnell

+

OH2

+O

H

H

H3Oschnell

HH

OHH

Cl

○ Abb.7.9 Mechanismus der SN1-Reaktion

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7.1 Monohalogenalkane (Alkylhalogenide) 209

7

zentration des Nucleophils als auch von der des Elektro-phils ab und folgt daher einer Kinetik 2. Ordnung. DerAngriff des Nucleophils erfolgt immer (!) von der Rück-seite der C−X-Bindung. Bei der Reaktionwird ein pen-tavalenter Übergangszustand durchlaufen. Durch denRückseitenangriff kommt es wie bei einem umklap-penden Regenschirm zu einer Inversion der Konfigura-tion des angegriffenen C-Atoms (Walden-Umkehr,▸Kap. 3.8.1). Das bedeutet, dass die Anordnung derSubstituenten um das C-Atom herum im Produktgenau umgekehrt zu der des Edukts ist (□Tab. 7.2).Wenn der neu eintretende Substituent die gleiche Prio-rität besitzt wie der austretende Substituent, ändert sichentsprechend auch die absolute Konfiguration (angege-ben als (R) oder (S)).

EliminierungAls Konkurrenzreaktion tritt bei der nucleophilen Sub-stitution fast immer auch eine Eliminierungsreaktionauf. Bei einer Eliminierungsreaktion werden zwei Sub-

stituenten (Atome oder funktionelle Gruppen) auseinemMolekül von zwei, meist unmittelbar benachbar-ten C-Atomen abgespalten (sog. β-Eliminierung):

Alken

C C

X Y

β-EliminierungC C +

α βXY

Da jedes Nucleophil zugleich eine Base ist, kann nebendem nucleophilen Angriff des positiven oder positivpolarisierten C-Atoms auch ein Angriff auf das eben-falls leicht positiv polarisierte benachbarte Proton erfol-gen. Daher findet bei Alkylhalogeniden unter Einwir-kung einer Base eine Abspaltung vonHX statt. Auch beider Eliminierung kann zwischen einer Reaktion 1. und2. Ordnung unterschieden werden.

E1-ReaktionDie E1-Reaktion verläuft zunächst analog zur SN1-Reaktion. Die polare C−X-Bindung wird heterolytisch

○ Abb.7.10 Mechanismus der SN2-Reaktion

– Cl–O

Cl HOClHO

Übergangszustand

Walden-UmkehrRückseitenangriff

H

□ Tab. 7.2 Vergleich der SN1- und der SN2-Reaktion

SN1 SN2

Kinetik Kinetik 1. OrdnungRG = k1[R−X]

Kinetik 2. OrdnungRG = k2[R−X][Nu]

Reaktionsverlauf Stufenweiser Mechanismus(Zwischenstufe: Carbokation)

Konzertierter Mechanismus(keine Zwischenstufe)

Molekularität Unimolekular im geschwindigkeitsbestimmenden1. Schritt

Bimolekular

Reaktionsbedingungen Polare protische Lösemittel Polare, aprotische Lösemittel, die dasNucleophil nicht gut solvatisieren

Stereochemie Partielle bis vollstandige Racemisierung (sp2-hybridisiertes Carbokation) bei asymmetrischsubstituierten C-Atomen

Rückseitenangriff, Inversion der Konfigu-ration (Walden-Umkehr)

Bestimmender Parameter Stabilitat der Carbokationen (dabei treten Umla-gerungsreaktionen wie z.B. die Wagner-Meer-wein-Umlagerung auf)

Sterische Zuganglichkeit des elektrophi-len C-Atoms

Reaktivität des Substrates tert > sek > prim > Methyl Methyl > prim > sek > tert

RG: Reaktionsgeschwindigkeit

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7 Halogenalkane210

gespalten und es bildet sich ein Carbokation(○Abb. 7.11). Dieser Schritt ist geschwindigkeitsbe-stimmend, weshalb die Reaktion wie die SN1-Reaktionnach einer Kinetik 1. Ordnung abläuft. Im zweitenSchritt wird ein Proton vom benachbarten C-Atomabgespalten. Es entsteht eine π-Bindung zwischen denbenachbarten C-Atomen.

E2-ReaktionBei der E2-Reaktion werden die C−X-Bindung undeine anti-periplanar dazu stehende C−H-Bindung ambenachbarten C-Atom gleichzeitig gebrochen (○Abb.7.12). Dabei entsteht eine π-Bindung zwischen denbenachbarten C-Atomen, und die Hybridisierung derbeiden C-Atome ändert sich während der Reaktion vonsp3 zu sp2. Die Reaktion erfolgt ähnlich wie die SN2-Reaktion in einem einzigen Reaktionsschritt, sie ist

konzertiert. Da beide Reaktionspartner an dem Reakti-onsschritt beteiligt sind, handelt es sich um eine bimo-lekulare Reaktion. Die Reaktion folgt daher einer Kine-tik 2. Ordnung, da der einzige und damit geschwindig-keitsbestimmende Schritt von der Konzentration beiderReaktanden abhängen muss (□Tab. 7.3).

Stehen mehrere β-ständige H-Atome für die Elimi-nierungsreaktion zur Verfügung, bildet sich häufigeines der möglichen Reaktionsprodukte bevorzugt. DasHauptprodukt ist dabei in der Regel das höher substitu-ierte Alken (Saytzeff-Regel, oft auch Zaitsev geschrie-ben; ○Abb. 7.13, links). Je mehr Alkylreste an den sp2-hybridisierten C-Atomen eines Alkens gebunden sind,desto thermodynamisch stabiler ist das Alken. Dashöher substituierte Alken ist somit das thermodyna-misch stabilere Produkt, das bei der kinetisch-kontrol-lierten E2-Reaktion auch schneller gebildet wird. Manspricht von product development control („Produktkon-trolle“). Bei der sogenannten Hofmann-Eliminierung(○Abb. 7.13, rechts) mit sterisch anspruchsvollen Basenund schlechten Abgangsgruppen wird hingegen bevor-zugt das niedriger substituierte Alken schneller gebil-det.

FragmentierungsreaktionenNeben der nucleophilen Substitution und der Eliminie-rung ist beim Austritt eines Substituenten aus einemMolekül unter Mitnahme des Bindungselektronenpaarsnoch ein weiterer Reaktionsablauf möglich, der nachGrob als Fragmentierung (○Abb. 7.14) bezeichnet wird.Diese Reaktion ähnelt der β-Eliminierung. Allerdingswird kein Proton vom β-C-Atom abgespalten, sondernein Carbokation, was aber nur möglich ist, wenn dieses

β

Carbokation

Cl

leeres pz-Orbitalsp2-hybridisiert

langsam schnell+ + H3O

HC

O

H

H

Cl

HCH2

C

sp2-hybridisiert

– Cl–

○ Abb.7.11 Mechanismus der E1-Reaktion

Übergangszustand

HO

Cl

C

HH

– Cl–

OHH

sp2-hybridisiertanti-periplanar

HH

HH

H

ClH

HC C

H

H H

H

δ–

δ–

+ H3O+

○ Abb.7.12 Mechanismus der E2-Reaktion

○ Abb.7.13 Alexander M. Saytzeff (1841–1910) war einrussischer Chemiker (A). August Wilhelm von Hofmann(1818–1892) war ein deutscher Chemiker und der ersteVorsitzende der Deutschen Chemischen Gesellschaft (heuteGesellschaft Deutscher Chemiker, GDCh) (B).

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7.1 Monohalogenalkane (Alkylhalogenide) 211

7

durch eine stark elektronenschiebende, γ-ständigefunktionelle Gruppe (Z) stabilisiert wird. Der C−C-Bindungsbruch kann nach dem Austritt oder synchronmit dem Austritt des Substituenten X erfolgen. Bei deralkalischen Hydrolyse des 1,1-Dimethyl-3-dimethyl-amino-n-propylchlorids laufen z.B. schon bei 0 °C über

das primär entstehende Carbokation nebeneinanderSubstitution (38%), Eliminierung (9%) und Fragmen-tierung (44%) ab. Das bei der Fragmentierung nebenIsobuten gebildete Iminium-Ion (▸Kap. 8.1.2) wird imalkalischen Medium weiter zu Dimethylamin undFormaldehyd hydrolysiert.

□ Tab. 7.3 Vergleich der E1- und der E2-Reaktion

E1 E2

Kinetik Kinetik 1. OrdnungRG = k1[R−X]

Kinetik 2. OrdnungRG = k2[R−X][Base]

Reaktionsverlauf Stufenweiser Mechanismus(Zwischenstufe: Carbokation)

Konzertierter Mechanismus,keine Zwischenstufe

Molekularität Unimolekular im 1. geschwindigkeitsbestimmen-den Schritt

Bimolekular

Reaktionsbedingungen Neutrale bis saure Bedingungen Starke Basen und eine hohe Konzentra-tion begünstigen die E2-Eliminierung

Stereochemie Hauptsachlich Saytzeff-Produkte Saytzeff- und Hoffmann-Produkte

Umlagerung Umlagerungsreaktionen (z.B. Wagner-Meerwein-Umlagerung), Bildung stabilerer Carbokationen

Keine Umlagerungsreaktionen

Reaktivität der Substrate tert > sek > prim > Methyl Methyl, prim, sek, tert (relativ gleich gut)

Carbokation

CClN

– Cl–

CN

+ H2O

– H

– H

SN1

E1

Fragmentierung

OHN

N N+

N +

Iminiumion Isobuten

(38 %)

(44 %)

(9 %)

Z = OH, NH2 u. a.X = Halogen u. a.

Z X XZ CH2 H2C CH2 ++α

β

γ

○ Abb.7.14 Bei der Grob-Fragmentierung zerfallen 1,3-disubstituierte Kohlenstoffketten in das entsprechende Haloge-nid, das Alken aus dem α- und β-standigen C-Atom sowie ein kationisches Fragment am γ-standigen C-Atom. Die Frag-mentierungsreaktion kann als Konkurrenzreaktion zur nucleophilen Substitution oder zur Eliminierung ablaufen.

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7 Halogenalkane212

7.1.4 Ausgewählte VerbindungenMethylchlorid undMethylbromidwerden im Labor alsMethylierungsmittel verwendet, wobei CH3Br reakti-onsfähiger als CH3Cl ist. Es ist aber auch ein starkesNervengift. Methylbromid wird zuweilen als Fungizid,Insektizid und Nematizid (gegen Nematoden = Faden-würmer) zum Pflanzenschutz verwendet. Methyliodidist ein sehr reaktives Methylierungsmittel, da das Iod-atom leicht substituierbar ist. Gleichzeitig ist es aberauch mit großer Vorsicht zu handhaben, da es wie jedesMethylierungsmittel cancerogen ist. Dies beruht dar-auf, dass Methyliodid als gutes Elektrophil auch leichtmit körpereigenen Nucleophilen wie den DNA-Basennucleophile Substitutionsreaktionen eingehen kann.Dabei wird die DNA methyliert, wodurch diese bei derZellteilung nicht mehr korrekt von der DNA-Polyme-rase abgelesen werden kann. Es können Mutationenentstehen, die in der Folge zu Krebs führen können.Ethylchlorid (veralteter Name: Chloräthyl) kann alsLokalanästhetikum (Vereisung) bei Sportverletzungenund kleineren Operationen benutzt werden. Technischdiente es bis in die 1990er Jahre als Ausgangsverbin-dung für die Herstellung von Tetraethylblei, Pb(C2H5)4,ein dem Benzin zugesetzten Antiklopfmittel.

7.2 Mehrfach halogenierte Alkane

Die mehrfach halogenierten Alkane zeigen im Wesent-lichen ein ähnliches chemisches Verhalten wie diemonohalogenierten Verbindungen. Im Folgenden sol-len lediglich die mehrfach halogenierten Methanderi-vate exemplarisch besprochen werden. Die hier zubehandelnden Vertreter dieser Stoffklasse sind dieMethylendihalogenide CH2X2 (Methylendihaloge-nide), die Haloforme CHX3 (Chloroform, Bromoform,Iodoform) sowie die Tetrahalogenmethane CX4. Diefluorierten Derivate werden gesondert behandelt(▸Kap. 7.3).

7.2.1 Struktur und EigenschaftenMethylendihalogenideMethylendichlorid (Methylenchlorid, Dichlorme-than), CH2Cl2, ist eine leicht flüchtige Flüssigkeit (Sdp.40,6 °C, □Tab. 1.4), die als gesundheitsschädlich einge-stuft wird. VerglichenmitMethylchlorid ist Dichlorme-than erstaunlich wenig reaktiv und kann sogar bei nuc-leophilen Substitutionsreaktionen als Lösemittel einge-setzt werden. Die geringe Reaktivität von CH2Cl2 gehtauf eine stereoelektronische Stabilisierung zurück (ähn-lich dem anomeren Effekt, vgl. hierzu auch ▸Kap. 17).Im Dichlormethan steht stets ein freies Elektronenpaar

Exkurs: Phasentransferkatalyse (PTC)Tetraalkylammonium- oder Phosphoniumsalze (Q+X–) sindin der Lage, Reaktionen zweier Substanzen, die sich innicht miteinander mischbaren Phasen befinden, um meh-rere Größenordnungen zu beschleunigen. Um diese Eigen-schaft der quartaren Oniumsalze zu beschreiben, führteStarks 1971 den Begriff des Phasentransferkatalysatorsein. Ein Beispiel für eine Phasentransferkatalyse-Reaktion(○Abb.7.15) ist die Substitutionsreaktion von 1-Chlorpen-tan mit wassriger Natriumcyanidlösung zu 1-Cyanopentanund Natriumchlorid in Gegenwart von Hexadecyltributyl-

phosphoniumchlorid (QCl). Durch die Bildung eines quarta-ren Phosphoniumcyanids (QCN) wird das Cyanid-Anion inder organischen Phase löslich und somit dort als Nucleophilverfügbar. Die PTC wurde schon seit 1965 besonders vonMakosza erforscht und hat sich für Reaktionen von Halo-genalkanen mit anorganischen oder organischen Anionenhervorragend bewahrt. Durch Verwendung chiraler Ammo-niumsalze als Katalysator (▸Kap.34.4.3) können bei asym-metrischen Alkylierungen hohe Stereoselektivitaten (ee84–95%) erzielt werden.

○ Abb.7.15 Schematische Dar-stellung der Phasentransferka-talyse

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7.2 Mehrfach halogenierte Alkane 213

7

eines Chloratoms anti-periplanar zu der jeweils ande-ren C−Cl-Bindung, sodass Elektronendichte aus die-sem freien Elektronenpaar in das antibindende Orbitalder C−Cl-Bindung übertragen werden kann (○Abb.7.16). Durch diese Wechselwirkung (eine sogenanntenegative Hyperkonjugation) wird das Molekül insge-samt stabilisiert.

Methylendibromid (CH2Br2) und Methylendiiodid(CH2I2) sind farblose, nicht entflammbare Flüssigkei-ten. Methylendibromid ist leicht flüchtig, süßlich rie-chend und mit Alkohol, Ether und Aceton mischbar.Methylendiiodid ist eine charakteristisch riechendeFlüssigkeit, die stark lichtbrechend ist und an Luft auf-grund von Zersetzung und Abspaltung von elementa-rem Iod nachdunkelt. Sie ist mit Alkohol und Ethermischbar, aber wenig löslich inWasser.

HaloformeChloroform, CHCl3, ist eine farblose, süßlich riechendeFlüssigkeit, die sich in Wasser wenig löst und sich mitEthanol und Ether mischt. Es zersetzt sich bei längeremStehenlassen an feuchter Luft durch Lichteinfall unterBildung des äußerst giftigen Phosgens COCl2. Daherbewahrte man Chloroform in braunen Flaschen aufund fügte dem früher zur Narkose eingesetzten Chloro-form etwa 1% Ethanol zu, mit dem das entstehendePhosgen sofort zu unschädlichem Kohlensäurediethyl-ester, OC(OC2H5)2, reagiert. Die narkotisierende Wir-kung des Chloroforms wurde schon in den 1840er Jah-ren durch den britischen Arzt R. M .Glover nachgewie-sen, aber erst durch den Geburtshelfer J.Y. Simpson imJahre 1847 zu anästhetischen Zwecken eingeführt(○Abb. 7.17). Heutzutage wird Chloroform nicht mehrals Narkosemittel angewendet, da es leber- und herz-schädigend wirkt und im Verdacht steht krebserregendzu sein.

Bromoform, CHBr3, ähnelt in seinen chemischenEigenschaften weitgehend dem Chloroform. Es ist einStoffwechselprodukt der Algen und kommt somit imMeerwasser in einem Konzentrationsbereich von eini-gen ng/L (10–9g/L) vor. Aus dem Meer wird es auch andie Atmosphäre abgegeben. Iodoform (CHI3) bildetgelbe Blättchen, die sich nicht in Wasser, aber in Etha-

nol und Ether lösen. Es besitzt einen charakteristischenGeruch und entsteht bei der Iodoform-Reaktion(▸Kap. 12.2.4).

TetrahalogenmethaneTetrachlormethan (Tetrachlorkohlenstoff, Kohlenstoff-tetrachlorid), CCl4, ist eine farblose, unangenehm süß-lich riechende Flüssigkeit. Es gilt als krebserregend. DieAnwendung, Herstellung und Verbreitung von Tetra-chlormethan ist seit Einführung der Chemikalien-verbotsverordnung von 1993 stark eingeschränkt.Tetrabrommethan liegt in Form farbloser, monoklinerKristalle vor, die in Ethanol, Diethylether und Tri-chlormethan löslich und in Wasser unlöslich sind.Tetrabrommethan geht stark exotherme Reaktionenmit Metallpulvern, Alkalimetallen und Aminen ein.Tetraiodmethan bildet rote Oktaeder, die unlöslich inkaltem Wasser sind und sich in heißem Wasser zerset-zen. Es ist löslich in Diethylether.

7.2.2 Gewinnung und SyntheseMethylenchlorid, Methylenbromid, MethyleniodidDie Methylenhalogenide lassen sich durch partielleReduktion der Haloforme erhalten, z.B. entsteht ausIodoformmit alkalischer Natriumarsenit-Lösung in sehrguter Ausbeute Methyleniodid. Technisch wird Methy-lenchlorid durch Methanchlorierung und anschließendeIsolierung aus dem entstehenden Produktgemische her-gestellt. Die Herstellung von Methylenbromid kann aus

○ Abb.7.16 Stereoelektro-nische Stabilisierung vonDichlormethan durch nega-tive Hyperkonjugation

ClCl

䄀 䈀

○ Abb.7.17 Chloroform (A) ruft beim Einatmen Bewusst-losigkeit hervor (Simpson 1847), daher wurde es früher inder Medizin als Narkosemittel verwendet (B).

□ Tab. 7.4 Siedepunkte der mehrfach halogeniertenMethanderivate

Halogenalkan Siedepunkt in °C

X = Cl X = Br X = I

CH2X2 40,6 96,5 181,0

CHX3 61,2 149,5 218,0

CX4 76,7 189,5 171,0 (Zersetzung)

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7 Halogenalkane214

Methylenchlorid durch Umsetzung mit Brom/Alumi-nium oder HBr/AlCl3 über das intermediär gebildeteBromchlormethan erfolgen (○Abb.7.18).

HaloformeChloroform (Trichlormethan) kann technisch außerdurch Methanchlorierung auch durch Einwirkung vonChlorkalk (Calciumhypochlorit) auf Ethanol (oderAceton) in wässriger Lösung gewonnen werden(○Abb. 7.19). Hierbei übt Chlorkalk eine doppelteFunktion aus, indem er zunächst Ethanol zu Acetalde-hyd oxidiert und diesen dann zum Chloral (Trichlor-acetaldehyd, ▸Kap. 12.1) chloriert. Wie bei der nachfol-gend beschriebenen Iofodorm-Reaktion wird Chloral

durch das anwesende Calciumhydroxid, eine starkeBase, in Chloroform und Calciumformiat gespalten(Liebig u. Soubeiran 1831). Ausgehend von Aceton fin-det Chlorierung zum Trichloraceton und nachfolgendeSpaltung in Chloroform und Calciumacetat statt. Ana-log lassen sich Bromoform (Tribrommethan), CHBr3,und Iodoform (Triiodmethan), CHI3, darstellen. Sehrreines Chloroform erhält man beim Erhitzen von Chlo-ralhydrat oder Trichloressigsäure mit Alkali. Nimmtman die alkalische Spaltung des Chloralhydrats inschwerem Wasser (D2O) vor, so entsteht das für dieNMR-Spektroskopie als Lösemittel vielfach verwendeteCDCl3 (Chloroform-d, Deuterochloroform). Chloro-form ist das Trichlorid der Orthoameisensäure, seineHydrolyse liefert Ameisensäure und Chlorid-Ionen(▸Kap. 14.4). Die Endung „-form“ in Chloroform leitetsich daher von dem lateinischen Wort für Ameise for-mica ab.

Im basischen Milieu lassen sich Methylketone mitHalogenen zu Haloformen und Carbonsäuren umsetz-ten (Haloform-Reaktion, ○Abb. 7.20). Hierbei findetzuerst eine Halogenierung der Methylgruppe statt.Anschließend greift das Hydroxidion als Nucleophil dieCarbonylgruppe an. Es entsteht ein tetraedrischesIntermediat, das unter Abspaltung der besten Austritts-gruppe, in diesem Fall das Haloform-Anion, zur Car-bonsäure und eben einem Haloform-Anion zerfällt.Abschließende Protonenübertragung führt zum Halo-form und zum Carboxylat. Chloroform bildet sich auchdurch Haloform-Reaktion, die bei der Trinkwasser-

OH

Cl3COH

H

CHCl3

OH H3C H

O

Cl3C H

O

Ethanol Chloral

Chloroform

Acetaldehyd

Trichloraceton

Trichloressigsäure

Chloralhydrat(Trichloracet-

aldehydhydrat)

Aceton

+ Cl2– 2 HCl

– CH3COO–H3C CH3

O

H3C CCl3

O

Cl3C COOH

+ NaOH

– HCOONa– H2O

+ NaOH

– NaHCO3

+ 3 Cl2– 3 HCl

+ 3 Cl2– 3 HCl

+ OH–

– HCOO–

+ OH–

○ Abb.7.19 Technische Darstellungsmöglichkeiten von Chloroform

CHI3 Na3AsO3+

Partielle Reduktion der Halogenoforme

NaOH+

CH2I2 Na3AsO4+ NaI+

CH2Cl2

Umwandlung von Methylenhalogeniden

Br2 / AlCH2BrCl

oderHBr / AlCl3

CH2Br2

Br2 / Al

oderHBr / AlCl3

○ Abb.7.18 Darstellungsmöglichkeiten von Methylenha-logeniden

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7.2 Mehrfach halogenierte Alkane 215

7

Chlorierung oder bei der Abwasserbehandlung mitchlorfreien Oxidationsmitteln in Gegenwart von Chlo-rid abläuft.

Auch die Haloforme kommen natürlich vor. In dermarinen Rotalge Asparagopsis taxiformis wurden Bro-moform und Dibromiodmethan als Hauptbestandteileneben einer größeren Zahl von organischen Halogen-verbindungen nachgewiesen. Iodoform wurde überSeetangfeldern gefunden (○Abb. 7.21).

TetrahalogenmethaneTetrachlormethan (Tetrachlorkohlenstoff, Kohlenstoff-tetrachlorid) wird technisch durch die Hochdruck-Chlorolyse von Kohlenwasserstoffen gewonnen. Dabeiwird eine chlorierende Pyrolyse z.B. von Propan beihohen Temperaturen und Drücken durchgeführt(○Abb. 7.22). Neben Tetrachlormethan kann dabeiauch Tetrachlorethen entstehen, wobei das genaue Pro-

duktverhältnis durch ein temperaturabhängiges Gleich-gewicht bestimmt wird.Auch Schwefelkohlenstoff CS2 kann über einen zwei-stufigen Prozess chloriert werden (○Abb. 7.23). EinVorteil dieses Verfahrens ist, dass letztendlich dasgesamte eingesetzte Chlor an Kohlenstoff gebundenwird, denn auch das im ersten Reaktionsschritt gebil-dete Dischwefeldichlorid (S2Cl2) kann erneut mit über-schüssigem CS2 unter Bildung von CCl4 reagieren.Zudem kann der Schwefel auskristallisiert werden,sodass sich das Gleichgewicht der Reaktion auf die Pro-duktseite verschiebt und somit hohe Ausbeuten erreichtwerden können. Der Schwefel wird anschließend wie-der in CS2 überführt.

7.2.3 Reaktionen und AnwendungenMethylenchlorid, Methylenbromid, MethyleniodidMethylenchlorid (Dichlormethan) wird im Wesentli-chen als Lösemittel verwendet, so ist es beispielsweisewegen seiner sehr guten Lösungseigenschaften einHauptbestandteil von Abbeizmitteln.

Methyleniodid (und seltener Methylenbromid) wirdim Labor zur Herstellung von Cyclopropanen in derSimmons-Smith-Reaktion verwendet.

OH

RCBr3

O

Bromoform

Haloform-Reaktion

R CH3

O

+ OH–

+ Br2R CBr3

O

R

O

O

CBr3

CHBr3

R

O

OH

+

+

Überschuss

+ OH–

○ Abb.7.20 Bei der Haloformreaktion werden im basi-schen Milieu Methylketone mit Halogenen zu Haloformenumgesetzt.

○ Abb.7.21 Zu den natürlichen Quellen für Haloformezahlt beispielsweise der Seetang.

Cl

ClCl

Cl7 Cl2

596,85 °C200 bar Cl

Cl

Cl

Cl

6 HCl+

Tetrachlormethan Tetrachlorethen

Cl

Cl

Cl

Cl

2 Cl22

+

+

Cl

ClCl

Cl

+

○ Abb.7.22 Technische Darstellung von Tetrachlormethan durch Pyrolyse von Propan. Das Produktverhaltnis von Tetra-chlormethan und Tetrachlorethen hangt von der Reaktionstemperatur ab.

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619

22

22 Aromatische Stickstoffverbindungen

Bei den aromatischen Aminen ist eine Aminogruppe−NR2 (R = H, Alkyl- oder Arylgruppe) direkt miteinem C-Atom des Benzenkerns verbunden.Wie in deraliphatischen Reihe unterscheidet man zwischenprimären, sekundären und tertiären Aminen undunterteilt diese in aliphatisch-aromatische (wie z.B.N-Methylamin) und aromatische Amine (z.B. Diphe-nylamin). Aus primären aromatischen Aminen lassensich durch Diazotierung sogenannte Diazoniumsalzeerhalten, die wichtige Intermediate für die Herstellungvon Azoverbindungen darstellen. Letztere haben alsAzofarbstoffe auch technische Bedeutung.

22.1 Aromatische Amine

22.1.1 Struktur und EigenschaftenDer wichtigste Vertreter der aromatischen Amine istAnilin (Aminobenzen), C6H5NH2, das erstmals vomApotheker Otto Unverdorben (1826) durch Kalkdestil-lation von natürlichem Indigo erhalten wurde. Im Jahr1834 isolierte F.F. Runge Anilin mittels Chlorkalkreak-tion aus Steinkohlenteer. Im Jahr 1841 entdeckte Frit-sche die Verbindung als Spaltprodukt des Indigos (por-tugiesisch: anil) wieder, und nannte es Anilin. Frischdestilliertes Anilin ist ein farbloses, unangenehm rie-chendes Öl mit einem Siedepunkt von 184 °C, das sichan der Luft infolge Autoxidation rasch braun färbt. Esist fast unlöslich in Wasser, aber mit Wasserdampfflüchtig. Seine Dämpfe wirken giftig und rufen einSchwindelgefühl hervor. Zum Nachweis von Anilindient die Rungesche Chlorkalkreaktion, die bereits Spu-ren freien Anilins – jedoch nicht der Salze! – durch einerotviolette Färbung anzeigt. Die Konstitution der beidieser Oxidation aus Anilin entstehenden Farbstoffe istbislang unbekannt.

NH2

Anilin(prim. Amin)

N

H

CH3

N-Methylanilin(sek. Amin)

N

CH3

CH3

N,N-Dimethylanilin(tert. Amin)

N

H

Diphenylamin(sek. Amin)

N

Triphenylamin(tert. Amin)

NN

Azobenzen

N N

BenzendiazoniumsalzX = Cl, Br, HSO4 NO3 usw.

X

,

Aromatische Amine ... 619 | Aromatische Azo­ und Diazoniumverbindungen ... 627

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22 Aromatische Stickstoffverbindungen620

Ähnlich wie die OH-Gruppe in Phenolen(▸Kap. 20.1) hat auch die Aminogruppe am Benzen-kern einen ausgeprägten +M-Effekt, weil sich das freieElektronenpaar des N-Atoms an der Mesomerie desaromatischen Bindungssystems beteiligt (○Abb. 22.1,oben). Anilin ist also ein elektronenreicher Aromatund damit bei elektrophilen aromatischen Substituti-onsreaktionen besonders reaktiv. Als Folge des+M-Effekts ist das freie Elektronenpaar von Stickstoff –im Gegensatz zu aliphatischen Aminen (z.B. Cyclohe-xylamin) – aufgrund der Delokalisierung für die Auf-nahme eines Protons nur noch schwer zugänglich. Diesbedingt die geringere Basizität der primären aromati-schen Amine; eine wässrige Anilinlösung färbt bei-spielsweise rotes Lackmuspapier nicht blau. Die gerin-gere Basizität wird auch anhand der in □Tab. 22.1 aufge-führten pKS-Werte der protonierten Formen vonAnilinund seiner N-methylierten Derivate im Vergleich zuCyclohexylamin deutlich. Anilin bildet daher erst mit

starken Mineralsäuren Aniliniumsalze (○Abb. 22.1,unten; pKS = 4,63), die als Salze einer schwachen Base inwässriger Lösung durch Protolyse sauer reagieren.Noch schwächer basisch sind die mehrfach aryliertenAmine wie Diphenylamin, da jeder weitere Phenylringdie Basizität des N-Atoms zusätzlich schwächt.

Die Phenylgruppe verstärkt andererseits, ähnlichwie bei Phenolen (▸Kap. 20.1), auch die Acidität derAminogruppe, da die bei Deprotonierung (z.B. bei derUmsetzung mit Alkalimetallen) entstehenden Anionen(Anilide) resonanzstabilisiert sind (○Abb. 22.2).

Noch schwächer basisch als Anilin sind die dreiNitroaniline, die nur mit starken Säuren Salze bilden.Die Basizität nimmt hierbei von o- über p- zum-Nitro-anilin zu, wie aus den in □Tab. 22.1 angegebenen pKS-Werten hervorgeht. o-Nitroanilin bildet gelbe Blätt-chen (Smp. 71 °C), m-Nitroanilin gelbe Nadeln (Smp.114 °C), und p-Nitroanilin hellgelbe Nadeln (Smp.148 °C). o- und m-Nitroanilin sind mit Wasserdampfflüchtig. Während Nitroaniline eine intensiv gelbeFarbe aufweisen, sind ihre Salze farblos. Der farbver-tiefende (bathochrome) Einfluss der freien Amino-gruppe auf das in reiner Form fast farblose Nitroben-zen wird durch die Salzbildung aufgehoben, da dieprotonierte Ammoniumgruppe keinen +M-Effektmehr aufweist (sondern im Gegenteil einen starkeninduktiven elektronenziehenden Effekt). Im Gegensatzzu Anilin kann die Aminogruppe in o- und p-Nitro-anilin (nicht in m-Nitroanilin!) durch Erwärmen mitAlkali nucleophil gegen eine Hydroxygruppe unterBildung von o- bzw. p-Nitrophenol ausgetauscht wer-den (○Abb. 22.3). Aufgrund der stark elektronenzie-henden Nitrogruppe ist eine nucleophile aromatischeSubstitution nach einem Additions-Eliminierungs-Mechanismus möglich. Diese erfolgt besonders leichtbei 2,4,6-Trinitroanilin (Pikramid), welches bei derReaktion mit Alkali Pikrinsäure und Ammoniakergibt.

○ Abb.22.1 Aufgrund desausgeprägten +M­Effektsist Anilin ein elektronenrei­cher und damit besondersreaktiver Aromat (oben),der aber gleichzeitig deut­lich weniger basisch ist alsein aliphatisches Amin(unten).

NH

H

NH

H

H

NH

H

H

NH H

NH

HH

+ HX

– HX

X

Aniliniumsalz(pKS = 4,63)

□ Tab.22.1 pKS­Werte der protonierten Formen von Ani­lin, seinen N­methylierten Derivaten sowie von drei kon­stitutionsisomeren Nitroanilinen im Vergleich zu Cyclo­hexylamin

Verbindung pKS-Wert der korrespondierendenSäure (Ammoniumion)

Anilin 4,63

N­Methylanilin 4,85

N,N­Dimethylanilin 5,15

Cyclohexylamin 10,64

o­Nitroanilin –0,28

p­Nitroanilin 0,98

m-Nitroanilin 2,45

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22.1 Aromatische Amine 621

22

22.1.2 Gewinnung und SyntheseAnilinDie Stammverbindung der aromatischen Amine wurdeerstmalig durch Reduktion von Nitrobenzen mit Zinnund Salzsäure erhalten (Zinin 1841). Auch heute nochwird Anilin vereinzelt auf Basis dieses Verfahrensgewonnen. Im sogenannten Béchamp-Verfahren wurdeNitrobenzen mit Eisen und Wasser in Gegenwart von1/40 der berechneten Menge Salzsäure zu Anilin redu-ziert, wobei der zur Reduktion erforderliche Wasser-stoff größtenteils aus dem Wasser stammt (○Abb. 22.4,oben). Nach beendeter Reduktion wird mit Calcium-oxid neutralisiert und Anilin mit Wasserdampf aus derReaktionsmischung ausgetrieben. Die Ausbeute istnahezu quantitativ. Eisen wird dabei zu Fe3O4 oxidiert,das als Pigment weiterverwendet werden kann. Deshalbwar das Verfahren noch längere Zeit im Einsatz, obwohlbereits wirtschaftlichere Reduktionsverfahren verfüg-bar waren.

Heutzutage hat die katalytische Hydrierung vonNitrobenzen in Gegenwart verschiedener Metalle wieKupfer, Palladium oder Nickel die Reduktion mit Eisenweitgehend verdrängt (○Abb. 22.4, unten). Die Hydrie-rung erfolgt je nach Hersteller unter verschiedenstenBedingungen in der Gas- oder Flüssigphase. Im Laborführt man die Reduktion aromatischer Nitroverbin-dungen gewöhnlich mit Zinn und Salzsäure durch.

Sekundäre und tertiäre aromatische AmineÄhnlich wie bei aliphatischen Aminen lassen sich auchdie H-Atome der Aminogruppe von Anilin durchAlkylreste ersetzen, wodurch man N-alkylierte Anilineerhält. N-Methylanilin lässt sich beispielsweise durchdie Alkylierung von Anilin mit einemMethylhalogenid(z.B. Chlormethan) gewinnen (○Abb. 22.5, oben).Hierbei entstehen außerdemN,N-Dimethylanilin sowiedas quartäre Trimethylaniliniumhalogenid. Zur techni-

schen Darstellung werden Anilin und Methanol mitSalzsäure oder Schwefelsäure bei Temperaturen von180–230 °C unter erhöhtem Druck erhitzt (○Abb. 22.5,unten). Auch hier erhält man nebenN-Methylanilin dasdialkylierte Derivat. Setzt man Alkohol in großemÜberschuss ein, erhält man als Hauptprodukt N,N-Dimethylanilin. Aufgrund der ähnlichen Siedepunkte(N-Methylanilin: 196 °C; N,N-Dimethylanilin: 194 °C)lassen sich die beiden Verbindungen nicht destillativ

NH H

NH N

H

H

NH

H– H+

NH2

+ K

– ½ H2

NH

K

○ Abb.22.2 Die Aminofunktion von Anilin kann durch sehr starke Basen oder die Einwirkung von Alkalimetallen depro­toniert werden. Man erhält ein resonanzstabilisiertes Anilidanion.

NH2

NO2

OH

NO2

(OH–)

p-Nitroanilin p-Nitrophenol

○ Abb.22.3 Austausch der Aminogruppe von o­Nitroani­lin gegen eine Hydroxygruppe durch eine nucleophilearomatische Substitution nach einem Additions­Eliminie­rungs­Mechanismus

NO2

4 9 Fe

+ 4 H2O(HCl)

NH2

4 3 Fe3O4

NO2

+ 3 H2 (Kat.)

– 2 H2O

NH2

ΔH = –493 kJ/mol

+ +

○ Abb.22.4 Technische Synthesen von Anilin

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22 Aromatische Stickstoffverbindungen622

trennen. Stattdessen wird das Monomethylderivat ace-tyliert und als N-Methylacetanilid abgetrennt. Analoglassen sich auch Ethyl- oder andere Alkylreste einfüh-ren.

Aromatischen Amine gewinnt man durch Erhitzenäquimolarer Mengen von Anilin und Anilininhydro-chlorid auf etwa 200 °C (Phenylierung), wodurch manzunächst Diphenylamin erhält (○Abb. 22.6, oben). Aus

diesem lässt sich in derUllmann-Reaktionmit Iodben-zen, Kaliumcarbonat und etwas Kupferbronze in Nitro-benzen als Lösemittel Triphenylamin darstellen(○Abb. 22.6, unten).

Die Darstellungsmethoden für Phenylendiamineunterscheiden sich nicht wesentlich von denen einfa-cher aromatischer Amine. Sie werden meist durchReduktion der entsprechenden Dinitroverbindungenbzw. Nitroaniline gewonnen. o-Phenylendiamin wirdam besten durch Reduktion von o-Nitroanilin mitZinkstaub und alkoholischer Natronlauge erhalten(○Abb. 22.7, oben). Analog entsteht p-Phenylendiaminaus p-Nitroanilin. m-Phenylendiamin stellt man tech-nisch durch Reduktion vonm-Dinitrobenzen mit Eisenund Salzsäure her (○Abb. 22.7, unten). Die drei konsti-tutionsisomeren Phenylendiamine sind farblose, kris-talline Substanzen, die sich in Alkohol und Ether leichtlösen. Ähnlich wie die mehrwertigen Phenole(▸Kap. 20.2) werden sie an der Luft allmählich unterVerfärbung bzw. Zersetzung oxidiert, ihre Salze hinge-gen sind beständig. Das chemische Verhalten dero-Phenylendiamine wird vorwiegend durch die ortho-Stellung der Aminogruppen im Benzenkern bestimmt.Aufgrund der direkten Nachbarschaft entstehen z.B.

NH3 ClNH2

+

HN

HN

+

I

N

Diphenylamin

Triphenylamin

Ullmann-Reaktion(Cu)

ΔTNH4Cl+

KIK2CHO3 ++ KHCO3+

○ Abb.22.6 Synthese von Diphenyl­ und Triphenylamin

○ Abb.22.5 Synthese vonsekundären und tertiärenaromatischen Aminen

NH2 NH

NH2

+ CH3OH

– H2O

NH

+ CH3OH

– H2O

N

+

N N Cl

+ClCH3+

NH2

NO2

+ 3 H2(Zn / NaOH)

NH2

NH2– 2 H2O

o-Nitroanilin o-Phenylendiamin

NO2

NO2

+ 6 H2(Fe / HCl)

– 4 H2O

NH2

NH2

m-Dinitrobenzen m-Phenylendiamin

○ Abb.22.7 Methoden zur Darstellung von Phenylendi­aminen

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22.1 Aromatische Amine 623

22

bei Kondensationsreaktionen heterocyclische Verbin-dungen.

22.1.3 Reaktionen und AnwendungenN-substituierte Anilin-DerivateDie vielseitige Reaktivität von Anilin zeigt sich in dennachfolgend beschriebenen Umsetzungen. Anilin lässtsich z.B. durch Erhitzen mit Acetanhydrid (alternativauch Acetylchlorid oder Eisessig) zu Acetanilid acety-lieren. Verwendet man als Ausgangsprodukt an Stellevon Anilin p-Aminophenol, erhält man das analgetischund antipyretisch wirksame p-Hydroxyacetanilid(Paracetamol; ○Abb. 22.8, oben). Setzt man Anilin mitaromatischen Aldehyden wie z.B. Benzaldehyd um,erhält man meist in guten Ausbeuten unter Wasserab-spaltung die entsprechenden Schiffschen Basen (Azo-methine; ○Abb. 22.8, unten; ▸Kap. 21.1.3). Sie wurdenvor allem früher zur Identifizierung primärer Aryl-amine anhand der jeweiligen Schmelzpunkte einge-setzt. Analog liefert die Kondensation von Anilin mitNitrosoverbindungen die entsprechenden Azoverbin-dungen, z.B. Azobenzen aus Anilin und Nitrosobenzen(○Abb. 22.20; ▸Kap. 22.2.2).

Aus primären aromatischen Aminen erhält man ana-log zu aliphatischen Aminen (▸Kap.8.1) in der Isonitril-reaktionmitChloroformund alkoholischer Kalilauge dieunangenehm riechenden Isonitrile (○Abb.22.9, oben;▸Kap.16.3). Eine Möglichkeit zur Darstellung von Phe-

nylisothiocyanat (Phenylsenföl) geht von Anilin undSchwefelkohlenstoff aus: In Anwesenheit vonAmmoniakentsteht diese Verbindung über Ammonium-N-phenyl-dithiocarbamat als Zwischenprodukt und anschließenderH2S-Abspaltung mit Blei(II)-Salzen (○Abb.22.9, Mitte).

NH2 HN

O

(H3CCO)2O

– CH3COOH

p-Hydroxyacetanilid

NH2

+

O H

– H2O N

Benzylidenanilin

OH OH

○ Abb.22.8 Darstellung N­substituierter Anilinderivate

NH2

2+

S

C

S

(OH–)

NH

NH

S

N,N'-Diphenylthioharnstoff

HCl

NC

S

+

NH3 Cl

NH2 + CS2+ NH3

HN

S

S NH4

(+ Pb2+)

– H2S– NH3

NC

S

Ammonium-N-phenyl-dithiocarbamat

Phenylisothiocyanat

+ NH3

HN NH2

S

N-Phenylthioharnstoff

NH2+ CHCl3+ KOH

N

– 3 KCl– 3 H2O

Phenylisonitril(Sdp. 166 °C)

C

○ Abb.22.9 Isonitrilreaktion von Anilin (oben); Reaktionen von Anilin mit Schwefelkohlenstoff (Mitte, unten)

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22 Aromatische Stickstoffverbindungen624

Werden dagegen Anilin und Schwefelkohlenstoff mitAlkali in Alkohol erhitzt, erhält man unter H2S-Abspaltung N,N’-Diphenylthioharnstoff (Thiocarba-nilid; ○Abb. 22.9, unten). Beim Erhitzen mit konzen-trierter Salzsäure erhält man unter Abspaltung vonAnilin Phenylisothiocyanat. N,N’-Diphenylthioharn-stoff wird als Vulkanisationsbeschleuniger für Kaut-schuk (▸Kap. 26.2) eingesetzt.

Substitutionsprodukte von AnilinDie beiden stellungsisomeren o- und p-Nitroanilineerhält man durch Nitrierung von Acetanilid. Die Ace-tylfunktion dient hierbei als Schutzgruppe der Amino-funktion, da bei der Einwirkung von konzentrierter Sal-petersäure auf aromatische Amine neben der Nitrie-rung ansonsten auch eine Oxidation auftritt. Bei derNitrierung von Acetanilid erhält man als Hauptproduktp-Nitroacetanilidnebenwenigo-Acetanilid (○Abb.22.10,oben).Die acetylierte Aminogruppe dirigiert also genauwie die freie Aminogruppe in ortho- und para-Stellung.Die Bevorzugung der para-Position ergibt sich aus der

sterischen Hinderung der ortho-Position durch diesperrige Acetanilidgruppe. Nach der Trennung der bei-den Produkte wird die Acetylgruppe durch alkalischeHydrolyse abgespalten undman erhält die entsprechen-den Nitroaniline. Technisch gewinnt man die beidenStellungsisomere durch Erhitzen von o- bzw. p-Chlor-nitrobenzen mit alkoholischem Ammoniak unterDruck (○Abb. 22.10, Mitte). m-Nitroanilin wird tech-nisch durch partielle Reduktion des synthetisch leichtaus Benzen zugänglichen m-Dinitrobenzens mit Natri-umsulfidlösung hergestellt (○Abb.22.10, unten).

Setzt man N-Methylanilin mit salpetriger Säure um,erhält man ein gelb gefärbtes Nitrosamin, das mitNatriumamalgam zu 1(α)-Methylphenylhydrazin redu-ziert werden kann (○Abb. 22.11, oben). Tertiäre aroma-tische Amine wie N,N-Dimethylanilin reagieren mitsalpetriger Säure unter elektrophiler Substitution in derp-Stellung zu den entsprechenden p-Nitrosoderivaten,z.B. p-Nitrosodimethylanilin (○Abb. 22.11, Mitte). Istdie p-Stellung besetzt, entsteht das o-Nitrosoderivat.Das Hydrochlorid von p-Nitrosodimethylanilin bildet

○ Abb.22.10 Synthese derdrei stellungsisomerenNitroaniline

HN

O

HN

O

HN

O

NO2

NO2

(H2O)

(H2O)

NH2

NO2

NH2

(HNO3)

Cl

NO2 2 NH3

NH2

NO2

p-Nitroanilin

o-Nitroanilin

o-Nitroanilino-Chlor-nitrobenzen

NO2

NO2

3 Na2S

NH2

NO2

6 NaOH

m-Dinitrobenzen m-Nitroanilin

NO2

Acetanilid

NH4Cl

+ + 4 H2O + 3 S

+ +

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22.1 Aromatische Amine 625

22

orangerote Nadeln, die freie Nitrosoverbindung glän-zende, grüne Blättchen mit einem Schmelzpunkt von88 °C. Durch die Einführung der Nitrosogruppe wirddie Dimethylaminogruppe aktiviert, z.B. erfolgt beimErhitzen mit verdünnter Natronlauge Hydrolyse inDimethylamin und p-Nitrosophenol (○Abb. 22.11,unten). Durch Reduktion von p-Nitrosodimethylanilinerhält man p-Aminodimethylanilin (Smp. 41 °C), dieOxidation mit Kaliumpermanganat liefert p-Nitrodi-methylanilin als gelbe, stahlblau glänzende Nadeln(Smp. 164 °C).

In Gegenwart von Zinkchlorid reagiert N,N-Dime-thylanilin mit Phosgen unter Bildung von MichlersKeton (4,4’-Bisdimethylaminobenzophenon, Smp.

179 °C; ○Abb.22.12).Michlers Keton wird in der chemi-schen Industrie hauptsächlich zur Synthese von Farb-stoffen wie Kristallviolett (▸Kap.22.1.4) verwendet.

Sulfanilsäure (p-Aminobenzensulfonsäure) ist diewichtigste der drei stellungsisomeren Anilinsulfonsäu-ren und wird technisch durch „Verbacken“ von Anili-niumhydrogensulfat bei einer Temperatur von 200°Chergestellt (○Abb.22.13, oben). Sulfanilsäure ist einkristallines Pulver, das sich erst beim Erhitzen auf 280–300 °C zersetzt. Sie ist in organischen Lösungsmittelnund auch inWasser unlöslich, in wässrigen Alkalien lös-lich, jedoch nicht in wässriger Säure. Diese Eigenschaf-ten weisen darauf hin, dass hier ein Zwitterion (Betain)vorliegt. Sulfanilsäure dient in der Industrie als Eduktzur Herstellung von Azofarbstoffen (▸Kap. 2.5.4).

HN

HNO2

NN

O

4 H

– H2O

NH2N

1-α-Methyl-phenylhydrazin

N-Nitroso-N-methylanilin

N HNO2N

N

– H2O

p-Nitroso-dimethylanilin

N

N

N

H2N

N

OH

N

O2N

p-Nitrosophenol

p-Aminodimethylanilin

p-Nitrodimethylanilin

H2O (OH–)

– HN(CH3)2

4 H

– H2O

(KMnO4)

O

O

O

○ Abb.22.11 Umsetzung von N­Methylanilin mit salpetri­ger Säure (oben); Synthese (Mitte) und Reaktionen (unten)von p­Nitrosodimethylanilin

N

+ Cl Cl

O

O

N N

+

N

ZnCl2 – 2 HCl

Phosgen

Michlers Keton

○ Abb.22.12 Darstellung von Michlers Keton, ausgehendvon N,N­Dimethylanilin

NH3 HSO4

NH3

SO3

200 °C

– H2O

Sulfanilsäure

NH3 H2AsO4200 °C

– H2O

Arsanilsäure

NH3

As

OH

OO

○ Abb.22.13 Darstellung von Sulfanilsäure und Arsanil­säure

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979

38

Nucleinsäuren sind aus Nucleotiden aufgebaute lineareBiopolymere. Nucleotide bestehen aus einer Nucleo-base, einemZucker und einemPhosphatrest. Die analo-gen Bausteine aus einer Nucleobase und einem Zucker,aber ohne den Phosphatrest, bezeichnet man als Nucle-oside. Zu den bekanntesten Funktionen von Nuclein-säuren gehört die Speicherung der genetischen Infor-mation in derDesoxyribonucleinsäure (DNA, deoxyri-bonucleic acid), die in Form einer Doppelhelix vorliegt.Die Erbinformation, also die Bauanleitung für Proteine,ist dabei in der Abfolge der Nucleotide in der DNAcodiert (genetischer Code). Zur Proteinherstellungwird die DNA durch die Transkription in Ribonuclein-säure (RNA, ribonucleic acid) umgeschrieben, aus derdann in einem Translation genannten Vorgang letzt-endlich die Proteine hergestellt werden. Zur Bestim-mung der Nucleinsäuresequenzen wurde eine Reihevon Sequenzierungstechniken (▸Kap. 38.2.3) entwi-ckelt, die sich die unterschiedliche chemische Reaktivi-tät der verschiedenen Nucleotide gegenüber unter-schiedlichen chemischen Reagenzien zunutze macht.Insbesondere Ribonucleinsäuren (RNA, ribonucleicacid) dienen jedoch nicht nur als Informationsträger,sondern können aufgrund ihrer komplexen dreidimen-sionalen Strukturen auch Bindungstaschen für andereMoleküle ausbilden und als Biokatalysatoren wirken(▸Kap. 38.2.4). Nach der Entschlüsselung desmenschli-chen Genoms versucht man zudem zunehmend, sichden Informationsgehalt der ca. 3 ∙ 109 Nucleotide desmenschlichen Genoms zur Entwicklung von therapeu-tischen Nucleinsäuren z.B. in Form von Antisense-Nu-cleinsäuren zu Nutze zu machen.

38.1 Nucleobasen, Nucleoside undNucleotide

38.1.1 Struktur und EigenschaftenDie monomere Einheit von Nucleinsäuren besteht auseinem Stickstoffheterocyclus, der Nucleobase, sowieeinem Zucker- und einem Phosphatrest. Verbindungenaus Nucleobase und Zucker bezeichnetman alsNucleo-side, die Phosphorsäureester von Nucleosiden alsNucleotide. Die Nucleobasen sind entweder Derivate desPyrimidins (▸Kap.34.1) oder des Purins (▸Kap.35.1).Die Strukturformeln der biologisch wichtigsten Pyri-midin-Basen Cytosin, Uracil und Thymin sowie derPurin-Basen Guanin und Adenin sind in ○Abb. 38.1(oben) dargestellt.

Durch glycosidische Verknüpfung (▸Kap. 17) amN1der Pyrimidine bzw. amN9 der Purinemit dem anome-ren C1-Kohlenstoff einer Ribose erhält man die Nucle-oside Cytidin (C), Uridin (U) und Thymidin (T) sowieGuanosin (G) und Adenosin (A). Die RibonucleosideC, U, G und A bilden dabei Bausteine von Ribonuclein-säure (RNA, ribonucleic acid). In der Desoxyribonucle-insäure (DNA, desoxyribonucleic acid) ist der Zucker-baustein die Desoxyribose, die sich formal von derRibose durch die Entfernung der 2’-OH-Gruppe ablei-tet. In der DNA kommen die Nucleoside dC, dT, dGund dA vor. Anstelle des Uridins in der RNA findet sichin der DNA also das Thymidin. Die Phosphorylierungder Nucleoside, in der Regel an der 5‘-OH-Gruppe desZuckers, führt zu den Nucleotiden; in ○Abb. 38.1(unten) wird dies am Beispiel verschiedener Adenosin-Nucleotide verdeutlicht.

Die exocyclischen Heteroatome der Nucleobasenoder auch die Methylgruppe imThymin werden kursivund mit hochgestellten Indizes bezeichnet (N2, N4, N6,O2,O4,O6,C5), während endocyclische Atomemit nichthochgestellten Zahlen indiziert werden. Diese könnenmit der Abkürzung des entsprechenden Nucleosidskombiniert sein, z.B. N1-A für den endocyclischenStickstoff1 des Adenins bzw. des Adenosins. Atome und

38 NucleinsäurenNucleobasen, Nucleoside und Nucleotide ... 979 | RNA und DNA ... 985

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38 Nucleinsäuren980

Funktionalitäten der Ribose werden mit C1’ bis C5’bzw. 2’-OH etc. gekennzeichnet.

Die Nucleobasen können im Prinzip in verschie-denen tautomeren Formen vorliegen, die jeweilsdurch ihre NH und C=O Gruppen in unterschiedli-cher Form intermolekulare H-Brücken ausbildenkönnen. Bei den einzelnen Nucleobasen der DNAbzw. RNA überwiegt aber im Gleichgewicht in derRegel eine der möglichen tautomeren Formen, sodassjede Nucleobase eine spezifische Abfolge von H-Brü-cken-Donoren und -Akzeptoren aufweist. Dadurchergibt sich die Möglichkeit, mit einer anderenNucleobase mit komplementärer Abfolge von H-Brü-cken-Donoren und -Akzeptoren eine spezifischeWechselwirkung einzugehen (sog. Basenpaarung).Erst diese Basenpaarung ermöglicht das Auslesen dergenetischen Information eines DNA-Stranges sowohl

bei der Replikation (d. h. bei der Vervielfältigung derDNA) als auch bei der Transkription (Umschreibungder DNA in RNA) und der Translation (Übersetzungder genetischen Information in die Aminosäurese-quenz eines Proteins). Auch für die dreidimensionaleFaltung (Tertiärstruktur) von Nucleinsäuren ist diespezifische Basenpaarung von großer Bedeutung(▸Kap. 38.2.1).

38.1.2 Gewinnung und SyntheseChemische Synthese der Nucleobasen und derNucleotideDie Synthese von Purinen und Pyrimidinen gelingtganz allgemein durch Kondensationsreaktionen vonCarbonylverbindungen oder Säurederivaten mit ent-sprechenden stickstoffhaltigen Verbindungen. Fürgenauere Informationen sei auf die entsprechenden

55

44

66

N33

N11

22NH99

88

N77

NH2

N33

22

44

NH

11

55

66

NH2

ON

NH

NH

N

NH2

O

NH

NH

O

ONH

NH

O

O

NO

OP

O

OO

N

NN

NH2

OH

NO

OH

NH

O

O

OH

N

1'1'

2'2'

O

3'3'

4'4'

OH

NH

O

O

NO

O

OH

OO

OP N

NN

NH2

OH

HO5'5'HO

Adenin Guanin Cytosin Uracil Thymin

Desoxythymidin(dT)

Uridin(U)

Adenosin-5'-monophosphat

(AMP)

cyclisches Adenosin-3',5'-monophosphat

(cAMP)

Adenosin-5'-triphosphat(ATP)

NO

O

OH

O

OO

P

N

NN

NH2

OHO

O OP

OO

O

P

○ Abb.38.1 Strukturformeln der fünf wichtigsten Nucleobasen (Adenin, Guanin, Cytosin, Uracil, Thymin) mit exemplari-scher Nummerierung der Ringatome (oben). Strukturformeln von Desoxythymidin (Thymidin, Thymin-2‘-desoxyribosid,dT; mit Nummerierung der Ringatome im Zuckeranteil) und Uridin (Uracilribosid, U) (Mitte). Strukturformeln der unterphysiologischen Bedingungen überwiegend vorliegenden anionischen Formen der Ribonucleotide Adenosin-5’-mono-phosphat (AMP), cyclisches Adenosin-3’,5’-monophosphat (cAMP) und Adenosin-5’-triphosphat (ATP) (unten)

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38.1 Nucleobasen, Nucleoside und Nucleotide 981

38

Ausführungen zu den jeweiligen Heterocyclen verwie-sen (▸Kap. 34.1, ▸Kap. 35.1).

Zur Synthese vonNucleosiden werden die exocyclischgeschützten Nucleobasen als N-Nucleophile mit geeignetgeschützten Ribose- bzw. Desoxyribosederivaten unterSubstitution einer Abgangsgruppe am anomeren C-Atomumgesetzt (○Abb.38.2A). Nach der Bildung der glycosidi-schen Bindung werden die freien Nucleoside durchAbspalten der Schutzgruppen an derNucleobase erhalten.

Nucleotide können durch die Einführung von Phos-phatgruppen an den verschiedenen Hydroxyfunktio-nen der Zucker der Nucleoside mit Phosphorylierungs-reagenzien, z.B. mit Phosphorylchlorid, hergestelltwerden. Das auftretende Intermediat kann beispiels-weise zum Nucleosidmonophosphat aufgearbeitet odermit Pyrophosphat zum Nucleosidtriphosphat (NTP)umgesetzt werden (○Abb. 38.2B).

○ Abb.38.2 Synthese vonNucleosiden (A) aus Nu-cleobasen und Zuckerbau-steinen; vor der Glycosylie-rung werden die Sauer-stoffatome des Pyrimidinsin situ durch BSA undTMSOTf silyliert. Die inter-mediär vorliegenden Silyl-enolether werden bei deranschließenden Aufarbei-tung aber direkt wiederzum Pyrimidin hydrolysiert.Synthese von Nucleotiden(B) durch Phosphorylierungvon Nucleosiden

NH

NH

O

O

OO

O

O O

O

OO

O

NO

OH

NH

O

O

OH

F

F2) Entschützung

NH3 / H2O

1) GlycosylierungBSA

TMSOTf

O

O O

OO

N

NH

O

O

F

+

A)

B)

NO

O

OH

O

OO

P

N

NN

NH2

OHO

O OP

OO

O

P

NO

HO

OH

N

NN

NH2

OH

NO

O

OH

Cl Cl

OP

N

NN

NH2

OH

POCl3

1) (Bu3NH)2H2P2O7

2) Et4N+Br–

O

O

HO

Adenosin-5'-triphosphat(ATP)

5-Fluorouridin

5-Fluorouracil

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38 Nucleinsäuren982

BiosyntheseAuch in der Biosynthese der Nucleoside entsteht dieglycosidische Bindung aus einem Stickstoffnucleophilund einem elektrophilen Zucker. Purinnucleoside wer-den entweder durch Wiederverwertung (engl. salvagepathway) freier Purinbasen wie Guanin mit Phosphori-bosylpyrophosphat (PRPP) gebildet oder durch eineDe-novo-Synthese des Purinheterocyclus am Zuckerge-rüst (○Abb. 38.3A). Die De-novo-Synthese beginnt mit

der Bildung eines Halbaminals durch Einbau vonAmmoniak am anomeren C-Atom des PRPP, gefolgtvom Aufbau des Puringerüsts am Halbaminal. Dazuwerden formal ein Molekül Glycin, ein Molekül Koh-lensäure (also CO2), zwei Moleküle Ameisensäuresowie zwei Moleküle Ammoniak benötigt. Die bioche-mische Synthese erfolgt natürlich über die enzymatischkatalysierte Umsetzung entsprechend aktivierter Deri-vate dieser Moleküle. Das zunächst gebildete Purinnu-

N

O

OH

NH

O

O

OH

NH

NH

O

ONH2

OH

O

O

OH

O

NH2

OPO

O

O

+

NH

NH

O

O

NO

OH

NH

O

O

OH

PRPP

O

OH OH

P

OO

OPO

O

O

OP

O

O

N

NH

NH

N

NH2

O

– HPO4 – H2O

– HP2O7

N N

NHN

O

A)

B)

O

O

O

OH OH

P

OO

O

O

NH2 O

OH OH

P

OO

O

O

N N

NN

NH2

O

OH OH

P

OO

O

O

N N

NHN

O

O

OH OH

P

OO

O

O

NH2

Adenosin-5'-monophosphat

(AMP)

Inosin-5'-monophosphat

(IMP)

Guanosin-5'-monophosphat(GMP)

Phosphoribosylpyrophosphat(PRPP)

NH

OH

O

O

OH

NH2

O OH

O

O

OH

O

HO

P

OO

O

OP

OO

O

O

Uridin-5'-monophosphat

Carbamoyl-phosphat

Orotsäure

Dihydroorotsäure

Orotidin-5'-monophosphat(OMP)

2–

3–

○ Abb.38.3 Biosynthese von Nucleotiden: Purinbiosynthese am Zuckergerüst (A); Biosynthese von Orotsäure und Ver-knüpfung mit Phosphoribosylpyrophosphat (PRPP) zum Nucleotid (Nucleosidmonophosphat) (B)

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38.1 Nucleobasen, Nucleoside und Nucleotide 983

38

cleotid, Inosinmonophosphat, ist Vorläufer sowohl vonAdenosinmonophosphat, das durch eine Aminierungan Position6 entsteht, als auch von Guanosinmono-phosphat. Die Biosynthese des Letzteren beginnt mitder einzigen bekannten Redoxreaktion in der Purinbio-synthese, der Oxidation an Position2 am Inosin, gefolgtvon einer Aminierung des entstehenden Xanthinmo-nophosphates. Alle Bindungsknüpfungen zwischenKohlenstoff und Stickstoff sind Kondensationsreaktio-nen, bei denen Carbonsäurederivate elektrophil akti-viert werden, indem z.B. durch Phosphorylierung(unter Hydrolyse von ATP) ein gemischtes Anhydridgebildet wird. Dies gilt sowohl für die Reaktionen, dieam Aufbau des Ringsystems beteiligt sind als auch fürdie exocyclischen Aminierungen der 2- und 6-Positio-nen der Purine.

Vergleichbares gilt auch für die Biosynthese der Pyri-midinnucleoside (○Abb.38.3B). Hier verläuft die Hete-rocyclensynthese zunächst unabhängig vom Zuckerdurch cyclische Kondensation von Aspartat und Carba-moylphosphat. Letzteres entstammt demHarnstoffcyclusund entsteht wiederum unter ATP-Verbrauch durchKondensation von Kohlendioxid bzw. Bicarbonat miteinem Äquivalent Ammoniak. Nach der Cyclisierungwird das entstandene Dihydroorotat zum Orotat oxi-diert. Anschließend erfolgt die Glycosylierung mit PRPP.Durch Decarboxylierung entsteht Uridin-5’-monophos-phat (UMP). Cytidin-5’-monophosphat kann durcheine Aminierungsreaktion nach Aktivierung des O4durch ATP synthetisiert werden. Alle Nucleosidtriphos-phate, die in RNA oder DNA eingebaut werden, könnendurch weitere Phosphorylierung unter ATP-Verbrauchaus ihrenMonophosphaten entstehen.

38.1.3 Reaktionen und AnwendungenReaktivität gegenüber ElektrophilenEine besondere Bedeutung kommt der Reaktivität vonNucleosiden gegenüber erbgutschädigenden Substan-zen zu, unter denen alkylierende Reagenzien und Elek-trophile wie Cisplatin besonders gut erforscht sind. Diehier diskutierten Reaktivitäten (○Abb. 38.4) sind imWesentlichen auch auf die biopolymeren Formen DNAund RNA übertragbar.

Die Stickstoffatome der Heterocyclen reagieren alstypische Nucleophile mit Alkylanzien wie Dimethyl-sulfat (DMS), allerdings mit unterschiedlicher Ge-schwindigkeit. Dabei haben die Reaktionsbedingungenbei der Umsetzung der Nucleobasen mit Elektrophileneinen starken Einfluss auf die Selektivität. So entstehenbei Behandlungmit Dimethylsulfat in wässriger Lösungvor allem die Methylierungsprodukte von N1-A, N3-Cund N7-G, d.h., es entstehen am N1 methylierteAdenin-, an N3methylierte Cytosin- und an N7methy-lierte Guanin-Derivate (▸Kap. 35.1). Noch reaktivereAlkylanzien wie Ethylnitrosoharnstoff, CH3−CH2−

N(N=O)−CONH2, können je nach Reaktions-bedingungen nicht nur mit allen Stickstoffatomen, son-dern sogar mit den exocyclischen Sauerstoffatomen re-agieren. Stickstoff-Lost-Derivate wie Chlormethin,Bis(2-chloroethyl)methylamin, alkylieren bevorzugtN7 von Guanin und N3 von Cytosin (N7-G, N3-C). Daes sich bei diesen Elektrophilen um bifunktionelle Ver-bindungen handelt, können sie mehrere Nucleobasenkovalent verbrücken und so zu einer Schädigung derNucleinsäuren führen. Die weiteren biochemischenGrundlagen der als mutagen bzw. carcinogen eingestuf-ten Toxizität der erwähnten Alkylanzien werden in▸Kap. 38.2.3 diskutiert. Ähnliches gilt für das Cytostati-kum Cisplatin, für dessen Bildung von Koordinations-komplexen die besondere Nucleophilie des N7 im Imi-dazolring von Purinen, insbesondere von Guanin, einewichtige Rolle spielt. Auch die cancerogene Wirkungvon polycyclischen Aromaten, wie dem beim Grillenentstehenden Benzypyren, geht auf eine Alkylierungder Nucleobasen der DNA durch die aus den Aromatenin vivo gebildeten elektrophilen Arenoxide zurück(▸Kap. 24.6).

Das N7 von Adenin (N7-A) reagiert sehr selektiv mitDiethylpyrocarbonat (DEPC), wobei die entstehendeAcylimidazolstruktur instabil ist und in wässrigerLösung unter Ringöffnung zerfällt. Die exocyclischenAmingruppen am C4 von Cytosin (N4-C), am C6 vonAdenin (N6-A) und am C2 von Guanin (N2-G) könnenz.B. mit Acetanhydrid acyliert werden.

Salpetrige Säure und andere Reagenzien, aus denenNO+ gebildet werden kann, führen über die Bildung vonDiazoniumionen zur Desamierung der exocyclischenAminogruppen am C4 von Cytosin (N4-C), am C6 vonAdenin (N6-A) und am C2 von Guanin (N2-G). Dabeiwird aus dem Nucleosid Cytidin Uridin, aus AdenosinInosin und aus Guanosin Xanthin (▸Kap.35.1). DieseReaktionen sind von biologischer Bedeutung, da diedesaminierten Basen ein anderes Watson-Crick-Paa-rungsverhalten aufweisen als die ursprünglichen Nu-cleotide. Beim Ablesen solchermaßen geschädigterDNA kommt es daher zum Einbau einer „falschen“ Basein den Komplementärstrang. Dies führt zu Mutationenund im schlimmsten Fall zur Entstehung von Krebs. Beider Umsetzung von Uridin mit Nitroniumionen (NO2

+)findet eine Nitrierung an C5 statt. Diese Position hatauch in anderen aromatischen elektrophilen Substituti-onsreaktionen den am stärksten ausgeprägten nucleo-philen Charakter, etwa bei der Hydroxymethylierungmit Formaldehyd oder bei Aminomethylierungsreakti-onen vom Mannich-Typ (▸Kap.21.2.3). Halogenierun-gen der Pyrimidine etwa mit Br2 finden ebenfalls an derC5-Position statt, bei Guanosin hingegen an der C8-Position. Die Doppelbindungen in Thymin und Uracillassen sich selektiv mit Permanganat oder Osmium-tetroxid zumGlycol oxidieren.

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38 Nucleinsäuren984

Reaktivität gegenüber NucleophilenPyrimidine reagierenmitNucleophilen an der 5,6-Dop-pelbindung in einer Michael-Addition (▸Kap. 12). DieAddition von starken Nucleophilen wie Hydrazin,Hydroxylamin oder Thiolaten sowie die Addition vonHydrogensulfit („Bisulfit“) erfolgt an der 6-Position(○Abb. 38.4). Die entstehenden Anionen haben Enolat-Charakter und gelten als Zwischenstufe bei der enzy-matischen Methylierung der 5-Position (▸Kap. 38.2.3,○Abb. 38.15). Unter besonders stringenten Bedingun-gen können nach der 5,6-Addition auch nucleophileAngriffe an C4 erfolgen. Bei der sogenannten Bisulfit-Sequenzierung folgt nach der 5,6-Addition von Bisulfitein Angriff eines Hydroxidanions am C4. Dies führt zueiner Desaminierung: Alle Cytidine werden in Uridineumgewandelt. 5-Methylcytidine können identifiziertwerden, weil sie deutlich langsamer reagieren. Konzen-triertes Hydrazin führt nach zweifacher Addition an C6und C4 zum Abbau des Heterocyclus, wodurch die Oli-godesoxyribonucleotide anfälliger für einen Strang-bruch durch Einwirkung von Piperidin (○Abb. 38.12)werden. Diese Reaktionsfolge ist beim Sequenzierennach Gilbert wichtig (▸Kap. 38.2.3).

38.1.4 Ausgewählte VerbindungenTherapeutische NucleosidanalogaSynthetische Analoga der fünf erwähnten biologischenNucleobasen und Nucleoside, die auf die Hemmungvon Enzymen des Nucleinsäuremetabolimus zielen, fin-den vielfältigen Einsatz als gegen Viren wirksame Anti-

infektiva (Virustatika) und Cytostatika. So wird z.B.das Basenanalogon 5-Fluorouracil (○Abb. 38.2), einCytostatikum, in vivo zum Nucleosid umgesetzt undinhibiert die Thymidinnucleotidsynthese, da die5-Methylierung durch die Thymidylatsynthase am5-Fluorouracil nicht stattfinden kann.

Azidothymidin (3’-Azido-2’-desoxythymidin, AZT,Zidovudin, Retrovir®) wird durch die Reverse Tran-skriptase des für AIDS verantwortlichen HI-Virusanstelle vonThymidin bei der Umprogrammierung derErbinformation der befallenen Wirtszelle in die DNAeingebaut. Die entstandeneDNAkann dann aber wegender fehlenden 3’-OH-Gruppe nicht mehr weiter verlän-gert werden, sodass die DNA-Synthese an dieser Stelleabbricht. AZT wird bei der Kombinationstherapiegegen HIV eingesetzt.

Eines der meistgenutzten Virustatika ist Aciclovir(○Abb. 38.5). Es entfaltet seine Aktivität selektiv in Zel-len, die durch Herpesviren infiziert sind, da es zuvordurch virale Enzyme aktiviert und erst dann in dieVirus-DNA eingebaut werden kann.

PhosphoramiditeZur chemischen Synthese von Nucleinsäuren an derFestphase (▸Kap. 38.2.2) werden Bausteine eingesetzt,in denen die exocyclischen Funktionalitäten sowie die5’- und die 2’-OH-Gruppen geschützt sind und die3’-OH-Gruppe für eine Kupplung aktiviert ist. DieMethode, die am häufigsten für die Aktivierung genutztwird, verwendet Phosphoramidite. Phsophoramidite,

○ Abb.38.4 Reaktivität vonNucleosiden. Gezeigt sinddie Angriffspunkte einigerpräparativ, biochemischoder physiologisch wichti-ger Nucleophile (violett,z.B. Hydroxylamin, Hydra-zin, Schwefelwasserstoff,Hydrogensulfit), Redukti-onsmittel für die N=C-Doppelbindung (violett,NaBH4), Elektrophile (rot,z.B. Dimethylsulfat, DMS;Diethylpyrocarbonat, DEPC;1-Cyclohexyl-(2-morpholi-noethyl)carbodiimidme-tho-p-toluensulfonat,CMCT) und Oxidationsmittel(orange). Die Reaktionenlaufen z.T. bei stark unter-schiedlichen pH-Wertenab, daher sind die Reakti-vitäten verschiedenerNucleoside nicht unmittel-bar miteinander vergleich-bar.

CMCTKethoxalGlyoxal

N

NO

R

NH H

NO+ / HNO2

N

NO

R

O

NO2

Br2

CH2OCH3H

C / TU

1 12 2

334 4

5 56 6

CMCT

OsO4

KMnO4

CH2O

H2NOHHSO3

H2NNH2

H2NOHH2NNHH2S

H2NNH2

HSO3

H2NNH2

N

N N

N12

3 4

56 7

89

N

N N

N12

3 4

56 7

89

RR

NHH

N

H

H

H

O

A G

DMSH2O2

NO+ / HNO2

DEPC

DMSChlormethin

H2O2

Peroxobenzoe-säure

NO+ / HNO2

KethoxalGlyoxal

DMS DMSCisplatin

Chlormethin

Br2

NaBH4

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38.2 RNA und DNA 985

38

(RO)2PNR2, sind Monoamide von Phosphitdiestern.Zu deren Synthese werden sequenziell die exocycli-schen Aminogruppen acyliert, die 5’-OH-Gruppe mitDimethoxytritylchlorid trityliert, die 2’-OH-Gruppesilyliert und die 3’-OH-Gruppe mit 2-Cyanoethyldiiso-propylchlorophosporamidit phosphityliert. Dabei wirdein Phosphor(III)-Derivat eingeführt, welches währendder späteren Festphasensynthese als Elektrophil akti-viert wird. ○Abb. 38.6 zeigt ein vollgeschütztes Phos-phoramidit des Cytidins. Die Abspaltung der Schutz-gruppen im Laufe der Festphasensynthese werden in▸Kap. 38.2.2 besprochen.

38.2 RNA und DNA

Ribonucleinsäure (RNA) und Desoxyribonucleinsäure(DNA) gehören zu den wichtigsten natürlich vorkom-menden Biopolymeren und spielen eine zentrale Rollein allen Bereichen der Lebenswissenschaften. Sie findenpotenzielle Anwendungen in der medizinischenThera-pie, und ihre Möglichkeiten, sowohl Informationen zuspeichern als auch definierte Strukturen auszubilden,machen sie zudem für die Materialwissenschaften inte-ressant.

38.2.1 Struktur und EigenschaftenRNA und DNA sind lineare Biopolymere, in denenNucleotide über Phosphodiesterbindungen zwischender Phosphatgruppe des einen Nucleotids und der5‘-OH-Gruppe des Zuckerbausteines eines anderenNucleotids miteinander verknüpft sind. Diese Art derVerknüpfung der Nucleotide führt dazu, dass die bei-den Enden des Nucleinsäurestrangs nicht identischsind. Per Konvention wird das 5’-Ende dabei als Anfang

eines Stranges definiert. Die RNA enthält als Zucker-baustein die Ribofuranose, die DNA die 2’-Desoxyribo-furanose. Von der RNA unterscheidet sich die DNAaußerdem durch die Nucleobase Thymin, die anstellevon Uracil vorkommt. Durch das Fehlen der 2’-OH-Gruppe in der DNA sind die Phosphodiesterbindungenzwischen den Nucleotiden – anders als in der RNA –zudem sehr viel stabiler gegenüber Hydrolyse, was fürihre biologische Funktion von großer Bedeutung ist.Denn dieDNA ist der Speicherort der Erbinformation,die in der Sequenz des Biopolymers, also in der Abfolgeder Nucleoside bzw. Nucleobasen codiert ist. Im Ideal-fall soll diese genetische Information ein ganzes Lebenlang verfügbar sein, wofür eine hohe chemische Stabili-tät des Speichermoleküls wichtig ist. Die Abfolge derNucleobasen bezeichnet man in Analogie zur Situationbei den Proteinen als die Primärstruktur der Nuclein-säuren.

Jede Nucleobase wechselwirkt bevorzugt mit genaueiner anderen Nucleobase über eine definierte Abfolgevon Wasserstoffbrückenbindungen. In den klassischenWatson-Crick-Basenpaarungen (▸Kap. 34.1.4) paartGuanin immer mit Cytosin, Adenin paart immer mitThymin (bzw. mit Uracil in RNA). Bei den Pyrimidin-Nucleobasen sind auf der sogenannten Watson-Crick-Seite Wasserstoffbrückendonatoren und -akzeptoren inden Positionen 2, 3 und 4, bei den Purin-Nucleobasenin den Positionen 1, 2 und 6 involviert (○Abb. 38.7).Diese sogenannten Watson-Crick-Basenpaarungen bil-det die Grundlage sowohl für die Übertragung dergenetischen Information bei der Transkription bzw. derTranslation als auch für die Ausbildung der berühmtenDNA-Doppelhelix, die auch als Sekundärstrukturbezeichnet wird. DieDoppelhelix besteht aus zwei line-aren DNA-Einzelsträngen mit anti-paralleler Ausrich-

NO

N

NHN

O

NH2

NO

N

NH

O

O

H3C

NN

HO

HO

Azidothymidin(AZT)

Aciclovir

○ Abb.38.5 Strukturformeln der therapeutischen Nucleo-sidanaloga Azidothymidin (AZT) zur Behandlung einer HIV-Infektion und Aciclovir, das gegen Herpesviren eingesetztwird. Die gezeigte Konformation des Ethers am N1 unter-streicht die strukturelle Analogie zu einer Desoxyribose.

NO

O

N

HN

OO

OSiPN

O

OO

Cytidinphosphoramidit

O

N

○ Abb.38.6 Geschützter Phosphoramiditbaustein zumEinbau eines Cytidins bei der Festphasensynthese einerRNA.

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38 Nucleinsäuren986

tung bezüglich der 5’- und der 3’-Enden (○Abb. 38.7).In der DNA und noch ausgeprägter in der RNA könnendie verbliebenen, für die Basenpaarung nicht genutztenWasserstoffbrückendonatoren und -akzeptoren derHeterocyclen weitere H-Brücken ausbilden, die entwe-der zu nichtkanonischen Basenpaarungen innerhalbder Sekundärstruktur oder zur Ausbildung von Tertiär-strukturen beitragen, z.B. durch eine Faltung derNucleinsäure. Insbesondere RNA bildet auf diese Artkomplexe dreidimensionale Strukturen aus, z.B. Bin-dungstaschen für kleine Moleküle und katalytischeaktive Zentren.

38.2.2 Gewinnung und SyntheseBiosynthese durch Polymerasen, Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR)In lebenden Zellen werden Nucleinsäuren durchEnzyme, die Polymerasen, synthetisiert, die Desoxyri-bonucleotidtriphosphate (dNTPs) bzw. Ribonucleo-tidtriphosphate (NTPs) als aktivierte Bausteine nutzen

und jeweils zwei Nucleotide unter Abspaltung vonPyrophosphat über eine Phosphordiesterbindung mit-einander verknüpfen. Die thermodynamische Trieb-kraft entstammt somit im Wesentlichen der Umwand-lung eines Phosphorsäureanhydrids in einen Phosphor-säureester.

Bei der sogenannten Replikation der DNA wirddiese vervielfältigt, indem ein Strang als Vorlage(„Matrize“) dient, dessen Basenabfolge bei der Polyme-risation in Form eines Negativabdrucks erhalten bleibt.Dies ist möglich, weil dieDNA-Polymerase in den ent-stehenden Strang genau die zum ursprünglichen Strangim Watson-Crick-Sinne komplementäre Nucleobaseeinbaut. Gegenüber von A wird also T eingebaut (undumgekehrt) und gegenüber von G entsprechend C (undumgekehrt). Somit weist der neu synthetisierte DNA-Strang die gleiche Information auf, wie der ursprüngli-che Strang. Bei der Replikation liest die Polymerase dieInformation vom 3’-Ende in Richtung 5’-Ende derMatrize ab und synthetisiert somit den neuen Strang

NO

O

O

O

OP

N

N

NNH2

N

O

O

O

O

OP

N

HN

NO

H2N

NO

HO

NH

O

O

O

P

OO O

N

O

OHN

O

O

OP

OO

O

N

O

O

O

OP

N

N

NH2N

NO

N

NH2

O

N

O

ON

H2N

O

O5'-Ende

5'-Ende

OP

OO

O

3'-Ende

NO

O

HO

O

O

P

N

NH

NO

NH2

O

OO

OP

OO

OP

Watson-Crick-Basenpaare

Watson-Crick-Wasserstoffbrücken

5'-3

' Ket

tenv

erlä

nger

ung

○ Abb.38.7 Ausbildung eines DNA-Doppelstranges durch Wasserstoffbrückenbindungen vom Watson-Crick-Typ

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38.2 RNA und DNA 987

38

vom 5’-Ende in Richtung 3’-Ende, d. h., das 5’-Ende desneuen dNTP wird am 3’-Ende des neu entstehendenStranges eingebaut. Die Biosynthese vonRNA erfolgt inanaloger Weise mit NTP-Substraten und einer DNA-Matrize durch eine RNA-Polymerase. Man kenntsowohl RNA-Polymerasen als auch DNA-Polymerasen,die auch RNA als Matrize benutzen. Im letzteren Fallhandelt es sich um Reverse Transkriptasen, die vorallem bei Viren vorkommen, die ihre Erbinformationnicht in Form von DNA, sondern als RNA enthalten(sog. Retroviren). Um diese virale Erbinformation indas Erbgut der infizierten Zelle einzubauen, muss dievirale RNA in DNA umgeschrieben werden. Die rever-sen Transkriptasen sind wichtige Ziele in der antiretro-viralen Therapie, wie wir bereits am Beispiel desNucleosidanalogons Azidothymidin (Zidovudin, AZT)gesehen haben (▸Kap. 38.1.4).

Die oben beschriebenen enzymatischen Polymerisa-tionen von Nucleotiden zu Nucleinsäuren können auchin vitro durchgeführt werden, um größere Mengen vonNucleinsäuren mit definierter Sequenz zu erhalten.Dazu werden biotechnologisch hergestellte Polymera-sen verwendet. Doppelsträngige DNA als Matrize kannaus lebenden Organismen isoliert oder chemisch per

Festphasensynthese hergestellt werden. Auch Nucleo-sidtriphosphate können sowohl aus lebenden Organis-men isoliert als auch chemisch synthetisiert werden(▸Kap. 38.1.2). Durch die In-vitro-Synthese ist zudemder Einbau von modifizierten Nucleobasen mit speziel-len Eigenschaften möglich. Die am häufigsten einge-setzte Methode zur In-vitro-Synthese von Nucleinsäu-ren ist die Polymerase-Kettenreaktion (PCR, engl.polymerase chain reaction, ○Abb. 38.8), für deren Ent-deckung der Nobelpreis für Chemie im Jahr 1993 anKary Mullis verliehen wurde. Die PCR wird u. a. in derGentechnik, der forensischen Analytik, der medizini-schen Diagnostik oder in der Archäologie eingesetzt,um eine vorhandene DNA zu vervielfältigen. Dazu wirdzuerst der DNA-Doppelstrang bei einer Temperaturvon ca. 95 °C denaturiert, d. h. in die beiden Einzel-stränge dissoziiert. Dann werden bei ca. 68 °C zweikurze synthetische Oligodesoxynucleotide, die soge-nannten Primer, zugesetzt. Diese hybridisieren mit denbeiden DNA-Einzelsträngen, den Matrizen, d. h., siebilden Watson-Crick-Basenpaarungen zu komplemen-tären Sequenzen aus. Anschließend wird die Tempera-tur etwas erhöht, in der Regel auf 72 °C, und die beidenmit den Primern hybridisierten DNA-Stränge werden

zu replizierendeOriginal-DNA

3‘

3‘5‘

5‘

Nucleotid

DNA-Primer

3‘ 5‘

3‘ 5‘ 3‘ 5‘

3‘5‘

3‘5‘

5‘ 3‘

3‘5‘

5‘3‘

1

1

2

3

Denaturierung (Schmelzen) bei ca. 95 °C

Primerhybridisierung (Anlagerung) bei ca. 60 °C

Elongation (Verlängerung) bei ca. 72 °C

2 3

1

2

3

1

2

3

○ Abb.38.8 Bei der Polymerasekettenreaktion (PCR) wird DNA in vitro vervielfältigt. Dazu wird zuerst der DNA-Doppel-strang thermisch denaturiert, dann mit Primern versetzt und nach Zugabe der Nucleotide und einer Polymerase dupli-ziert. Durch erneute thermische Denaturierung wird der nächste Synthesecyclus eingeleitet. Auf diese Weise wird die DNAin jedem Schritt verdoppelt, und auch aus kleinsten Mengen von DNA-Fragmenten können in kürzester Zeit ausreichendeMengen DNA für weitere Untersuchungen (z.B. Sequenzierung) hergestellt werden.

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Wichtige Reaktionen und Begriffe in der Organischen Chemie 999

1

2

3

4

Wichtige Reaktionen und Begriffe in der Organischen Chemie

Acyloin-Kondensation Reduktive Dimerisierung von aliphatischen Carbonsäureestern beider Einwirkung von Natrium zu α-Hydroxyketonen

▸ S. 115

Adams-Katalysator Hydrierungskatalysator: Platin, das sich aus Platin(IV)-oxid (PtO2)während der Hydrierung bildet

▸ S. 139

Amadori-Umlagerung Umlagerung eines Aldose-N-glykosids (N-Glykosylamin) in eine1-Amino-1-desoxy-2-ketose

▸ S. 487

Additionsreaktionen Typische Reaktion der Alkene, verlaufen i. d. R. radikalisch oderelektrophil

▸ S. 132

A+G-Reaktion Reaktion zur Sequenzanalyse von DNA, bei der alle Purine abgespal-ten werden

▸ S. 992

Andrussow-Verfahren Katalytische Oxidation von Methan und Ammoniak zu Blausäure ▸ S. 393

Appel-Reaktion Methode zur Darstellung von Alkylhalogeniden durch Reaktion vonAlkoholen mit einem Tetrahalogenmethan und Triphenylphospin

▸ S. 205

Arbuzow-Umlagerung Aus einer dreiwertigen nucleophilen Phosphorverbindung, z. B. Tri-phenylphosphin, wird eine fünfwertige, z. B. Triphenylphosphin-oxid, gebildet (Teil der Appel-Reaktion).

▸ S. 205

Arndt-Eistert-Synthese Überführung einer Carbonsäure in die homologe Säure durchUmsetzung eines Carbonsäurechlorids mit Diazomethan

▸ S. 236

▸ S. 377

Aza-Wittig-Reaktion Ein Iminophosphoran als Aza-Analogon zu einem Phosphor-Ylidwird mit Aldehyden zu Iminen umgesetzt.

▸ S. 242

Baeyer-Probe Qualitativer Nachweis für C=C-Doppelbindungen durch Entfärbungvon Kaliumpermanganat

▸ S. 28

▸ S. 138

Baeyersche Spannungstheorie Die sich aus der Abweichung der Innenwinkel in einem ebenencyclischen Kohlenwasserstoff vom Tetraederwinkel (109° 28')ergebende Ringspannung

▸ S. 88

Baeyer-Villiger-Reaktion Oxidation von Ketonen zu Estern durch das Einwirken von Persäuren ▸ S. 597

Baljet-Reaktion Nachweis CH-acider Verbindungen durch Deprotonierung und Reak-tion mit Pikrinsäure als Polynitroaromat zu einem Meisenheimer-Komplex

▸ S. 29

Balz-Schiemann-Reaktion Darstellung von Fluorbenzen durch trockenes Erhitzen von Benzen-diazoniumtetrafluoroborat

▸ S. 529

Barbier-Reaktion Einstufige metallorganische Synthese mit Magnesium (vgl.Grignard-Reaktion)

▸ S. 287

Bart-Reaktion Darstellung von Benzenarsonsäure aus Benzendiazoniumchloridund Natriumarsenat(III)

▸ S. 630

Béchamp-Verfahren Verfahren zur Synthese von Anilin aus Nitrobenzen durch Reduktionmit Eisen

▸ S. 621

Beckmann-Umlagerung Umwandlung von Oximen in substituierte Säureamide durch Einwir-ken starker Säuren

▸ S. 595

Beilstein-Probe Qualitativer Nachweis von Halogenen in organischen Verbindungen ▸ S. 27

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Wichtige Reaktionen und Begriffe in der Organischen Chemie1000

Benzilsäure-Umlagerung Umlagerung von α-Diketonen bei der Einwirkung von Hydroxid inα-Hydroxycarbonsäuren

▸ S. 769

Benzoin-Kondensation Dimerisierung von Benzaldehyd zu einem α-Hydroxyaldehyd (Ben-zoin) in Gegenwart von Cyanid-Ionen, Beispiel für eine Umpolungs-reaktion

▸ S. 591

Bial-Reaktion Nachweis-Reaktion für Kohlenhydrate mit Orcin und FeCl3 ▸ S. 30

Birch-Reduktion Selektive 1,4-Reduktion aromatischer Verbindungen, z. B. durchNatrium in flüssigem Ammoniak

▸ S. 667

Bischler-Napieralski-Reaktion Intramolekulare Cyclisierung von N-Acyl-α-phenylethylaminen zu3,4-Dihydroisochinolinen

▸ S. 849

Blanc-Reaktion Einführung einer Chlormethylgruppe in den aromatischen Kern mitFormaldehyd und Chlorwasserstoff in Gegenwart z. B. von Zinkchlorid

▸ S. 533

Bone-Jerdan-Verfahren Technisches Verfahren zur Darstellung von Methan aus den Elemen-ten

▸ S. 104

Boudouard-Gleichgewicht Thermodynamisches Gleichgewicht zwischen festem Kohlenstoffund gasförmigem Kohlendioxid auf der einen Seite und Kohlen-monoxid auf der anderen

▸ S. 457

Bouveault-Blanc-Reduktion Reduktion von Carbonsäureestern zu primären Alkoholen mitNatrium und Alkohol

▸ S. 520

v. Braun-Reaktion Umsetzung von tertiären Aminen mit Bromcyan zu disubstituiertenCyanamiden

▸ S. 454

Bucherer-Reaktion Darstellung von α-Naphthylamin aus α-Naphthol mit Ammonium-hydrogensulfit und konzentriertem Ammoniak

▸ S. 670

Bucherer-Bergs-Reaktion Variante der Strecker-Synthese von Aminosäuren: Aus einem Amino-nitril wird mit Kohlenstoffdioxid ein Hydantoin, dessen Hydrolyseund Decarboxylierung die Aminosäure liefert.

▸ S. 416

Cannizzaro-Reaktion Baseninduzierte Disproportionierung von Aldehyden, die kein zurCarbonylgruppe α-ständiges Wasserstoffatom besitzen, zu den ent-sprechenden Alkoholen und Carbonsäure-Anionen

▸ S. 315

Carosche Säure Peroxoschwefelsäure ▸ S. 409

▸ S. 536

Claisen-Kondensation Baseninduzierte Kondensation eines Carbonsäureesters, der eineaktive α-Methylengruppe enthält, mit einem weiteren Estermolekülzum α-Ketoester

▸ S. 425

Claisen-Umlagerung, auchOxo-Claisen-Umlagerung

Thermische Umlagerung der Allylether von Phenolen und Enolen zuo-Allylphenolen oder γ,δ-ungesättigten Carbonylverbindungen

▸ S. 571

Thio-Claisen-Umlagerung Claisen-Umlagerung eines Allyl-Aryl-Sulfides ▸ S. 572

Clemmensen-Reduktion Reduktion der Carbonylgruppe von Ketonen (und auch Aldehyden)zur Methylengruppe mit amalgamiertem Zink und Salzsäure

▸ S. 330

Collins Reagenz Aus Chromtrioxid in Pyridin hergestelltes Reagenz zur Oxidation oderDehydrierung primärer Alkohole zu Aldehyden

▸ S. 306

▸ S. 323

Cope-Eliminierung Thermische syn-Eliminierung von Aminoxiden zu einem Alken unterAbspaltung eines Hydroxylaminderivates

▸ S. 228

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Wichtige Reaktionen und Begriffe in der Organischen Chemie 1001

1

2

3

4

Cope-Umlagerung Thermische Isomerisierung von 1,5-Dienen in einer sigmatropen[3,3]-Reaktion

▸ S. 156

Diaza-Cope-Umlagerung Umlagerungsschritt bei der Fischerschen Indolsynthese ▸ S. 776

Corey-Lacton Bicyclisches Lactonderivat zur Synthese von Prostaglandinen ▸ S. 413

Corey-Seebach-Methode Umwandlung von Aldehyden in Ketone unter Umpolung der Carbo-nylgruppe durch Überführung in ein 1,3-Dithian und anschlie-ßende Deprotonierung

▸ S. 325

Criegee-Mechanismus Mechanismus der Ozonolyse eines Alkens zu einem Ozonid ▸ S. 138

Criegee-Reaktion Oxidative Spaltung von 1,2-Glykolen mit Bleitetraacetat in Eisessig ▸ S. 188

Curtius-Abbau Umwandlung von Carbonsäureaziden in Aminderivate durch Erhit-zen. Intermediär wird ein Isocyanat durchlaufen.

▸ S. 226

Cycloaddition Zwei ungesättigte Verbindungen reagieren in einer pericyclischenReaktion unter Ringschluss. Prominentestes Beispiel ist die Diels-Alder-Reaktion.

▸ S. 111–112

Demjanow-Reaktion Ringerweiterung bei der Umsetzung der Aminomethylenderivatekleiner Ringverbindungen mit salpetriger Säure. Bei Cyclobutylaminfindet auch eine Ringverengung zu einem Cyclopropanderivat statt.

▸ S. 116

Dieckmann-Kondensation Intramolekulare Cyclisierung von Dicarbonsäureestern unter denBedingungen der Claisen-Kondensation

▸ S. 115

Diels-Alder-Reaktion(Diensynthese)

Cycloaddition eines konjugierten 1,3-Diens mit einem Alken unterBildung eines Cyclohexenderivates

▸ S. 368

Doebner-v. Miller-Chinaldin-synthese

Darstellung von Chinolinderivaten, z. B. von Chinaldin aus Anilinund Crotonaldehyd

▸ S. 848

Drawinol-Verfahren Verfahren zur Trocknung von Ethanol mit Trichlorethen als „Schlepper“ ▸ S. 179

Duff-Synthese Formylierung von Phenol zu Salicylaldehyd ▸ S. 584

Edman-Abbau Schrittweiser Abbau einer Peptidkette von der N-terminalen Amino-säure her mit Phenylisocyanat

▸ S. 959

Eglinton-Kupplung Variante der Glaser-Kupplung ▸ S. 689

Einhorn-Verfahren Einführung der Benzoylgruppe mit Benzoylchlorid und Pyridin ▸ S. 602

Eliminierung Aus einem Molekül werden zwei Atome oder Atomgruppen elimi-niert (abgespalten); Umkehrreaktion zur Addition.

▸ S. 209

En-Reaktion Pericyclische Reaktion: Umsetzung eines Alkens, das ein allylischesH-Atom besitzt, mit einem Enophil, d. h. einer Verbindung mitaktivierter π-Bindung

▸ S. 373

Eschweiler-Clarke-Reaktion, auchEschweiler-Clarke-Methylierung

Methylierung von primären oder sekundären Aminen zu tertiärenAminen durch Umsetzung mit Formaldehyd und Ameisensäure (Spezi-alfall einer reduktiven Aminierung) (vgl. Leuckart-Wallach-Reaktion)

▸ S. 225

Evans-Auxiliar Chirales 2-Oxazolidon, das zur stereoselektiven Umsetzung (Alkylie-rung, Acylierung) von Carbonsäurederivaten verwendet wird

▸ S. 322

Evans-Synthese Asymmetrische Aldolreaktion ▸ S. 322

▸ S. 813

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Wichtige Reaktionen und Begriffe in der Organischen Chemie1002

Favorskii-Umlagerung Auf einer α-Halogenketon→ Carbonsäure-Umlagerung beruhendeRingverengungsreaktion

▸ S. 114

Fehling-Reaktion Nachweisreaktion auf Aldehyde, besonders für reduzierende Zucker,z. B. von Glucose mittels des Reagenzes

▸ S. 308

Fehlingsche Lösung Lösung, die aus Kupfersulfatlösung und einer alkalischen Lösungvon Kaliumnatriumtartrat bereitet wird

▸ S. 308

Fischersche Indolsynthese Darstellung von Indolderivaten durch Ringschluss von Phenylhydra-zonen

▸ S. 776

Fischer-Tropsch-Synthese Darstellung von Kraftstoffen aus mit Wasserstoff angereichertemSynthesegas

▸ S. 106

Frank-Caro-Verfahren Darstellung von Calciumcyanid aus Calciumcarbid und Stickstoff ▸ S. 452

Friedel-Crafts-Acylierung Umsetzung aromatischer Verbindungen mit Säurechloriden oderSäureanhydriden zu Ketonen in Gegenwart von Lewis- oderBrønstedt-Säuren

▸ S. 592

Friedel-Crafts-Alkylierung Alkylierung aromatischer Kohlenwasserstoffe mit Alkylhalogenidenoder Alkenen in Gegenwart von Lewis- oder Brønstedt-Säuren

▸ S. 517

Friedländer-Synthese Darstellung von Chinolinderivaten durch basenkatalysierte Konden-sation von o-Aminobenzaldehyd mit Aldehyden oder Ketonen

▸ S. 848

Fries-Umlagerung Umlagerung von Phenylestern aromatischer Carbonsäuren in Acyl-phenole in Gegenwart von Lewis-Säuren, z. B. Aluminiumchlorid

▸ S. 556

Gabriel-Synthese Darstellung primärer Amine aus Alkylhalogeniden und Phthalimid ▸ S. 226

Gabriel-Synthese,Ing-Manske-Variante

Synthese von Aminen aus Kaliumphthalimid und Halogenalkan zuN-Alkylphthalimiden, nachfolgende Reaktion mit Hydrazin zuPhthalhydrazid und Amin

▸ S. 227

Gattermann-Aldehydsynthese Darstellung von Phenolaldehyden oder Phenoletheraldehydendurch Einwirkung von Blausäure und Chlorwasserstoff auf aromati-sche Verbindungen

▸ S. 582

Gattermann-Koch-Synthese Formylierung aromatischer Verbindungen durch Einwirkung vonKohlenstoffmonoxid und Chlorwasserstoff

▸ S. 581

Gibbs-Wohl-Verfahren Großtechnische Synthese von Phthalsäureanhydrid durch Oxidationvon o-Xylen

▸ S. 380

Gilbert-Maxam-Sequenzierung Chemische Nucleinsäuresequenzierung durch basenspezifischeSpaltung und Längenvergleich der Fragmente mittels Elektrophorese

▸ S. 992

Gilmans Reagenz Reagenz zum Nachweis von Grignard-Verbindungen ▸ S. 286

Girards Reagenz Bildet mit Carbonylverbindungen wasserlösliche Hydrazone, die sichvon unlöslichen Begleitstoffen abtrennen lassen

▸ S. 418

Glaser-Kupplung Oxidative Kupplung von Acetylen zu Diacetylen in Gegenwart vonKupfersalzen in Pyridin

▸ S. 171

Gomberg-Bachmann-Reaktion Arylierung von Diazoniumsalzen in Gegenwart von Alkali ▸ S. 631

Graebe-Ullmann-Synthese Darstellung von Carbazol durch Diazotierung von o-Aminodiphenyl-amin und anschließenden Ringschluss durch intramolekulare Kupp-lung

▸ S. 791

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Wichtige Reaktionen und Begriffe in der Organischen Chemie 1003

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2

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Grignard-Reagenz Organomagnesiumverbindung, die meist aus Magnesium und einemAlkylhalogenid frisch bereitet und als etherische Grignard-Lösungverwendet wird

▸ S. 286

Grignard-Reaktion Addition von Organomagnesiumverbindungen an polare Mehrfach-bindungen, insbesondere Carbonylgruppen, bei der entwederpolare oder radikalische Zwischenstufen durchlaufen werden

▸ S. 287

Grignard-Verbindung In Lösung vorwiegend als dimolekularer Komplex vorliegendeOrganomagnesiumverbindung

▸ S. 286

Gutknecht-Kondensation Pyrazinsynthese aus α-Aminoketonen ▸ S. 876

Hafnersche Azulensynthese Synthese von Azulen aus Zincke-Salz und N-Methylanilin ▸ S. 693

Hantzschsche Dihydropyridin-synthese

Cyclisierende Kondensation von α-Ketosäureester, Aldehyd undAmmoniak im Molverhältnis 2 : 1 : 1 zur Darstellung von Pyridin-Homologen

▸ S. 836

Hantzschsche Thiazolsynthese Cyclisierende Kondensation von α-Halogenketonen mit Thioamidenzu Thiazolen (Tandem- oder Dominoreaktion)

▸ S. 815

Haworth-Synthese Darstellung polycyclischer Aromaten aus dem nächst kleinerenHomologen (z. B. Phenanthren aus Naphthalen oder Naphthalenaus Benzen)

▸ S. 681

Heck-Reaktion Palladium-katalysierte Substitution von Olefinen ▸ S. 300

Hell-Volhard-Zelinsky-Reaktion Methode zur selektiven Darstellung von α-Halogencarbonsäuren ▸ S. 400

Heumannsche Indigosynthese Synthese von Indigo aus Phenylglycin oder aus Phenylglycin-o-carbonsäure in alkalischer Schmelze (Natriumamid)

▸ S. 778

Hinsberg-Reaktion Unterscheidung primärer und sekundärer Amine mit der Benzen-sulfochloridmethode

▸ S. 547

Hock-Reaktion Großtechnische Darstellung von Phenolen aus Isopropylaromaten ▸ S. 554

Hoechst-Knapsack-Verfahren Großtechnische Synthese von Acetanhydrid durch Oxidation vonAcetaldehyd

▸ S. 380

Hoesch-Ketonsynthese Darstellung aromatischer Ketone aus mehrwertigen Phenolen undaus Nitrilen in Gegenwart von Chlorwasserstoff

▸ S. 593

Hofmann-Abbau, auchHofmann-Umlagerung

Abbau primärer Amide zu primären Aminen, die ein Kohlenstoffa-tom weniger enthalten, durch Einwirkung von Hypohalogenitenoder hypervalenten Iodiden

▸ S. 837

Hofmann-Eliminierung Bildung von Alkenen aus Tetraalkylammoniumhydroxiden ▸ S. 226

Horner-Emmons-Reaktion Olefinierung von Carbonylverbindungen mit Phosphonsäureesternoder Phosphinoxiden (PO-aktivierte Olefinierung)

▸ S. 524

Horner-Wadsworth-Emmons-Reaktion

Überführung von Carbonylverbindungen in Alkene durch Reaktionmit Phosphonsäureestern; Alternative zur Wittig-Reaktion

▸ S. 276

Huang-Minlon-Methode Präparativ wertvolle Variante der Wolff-Kishner-Reduktion ▸ S. 330

Hünig-Base Ethyldiisopropylamin, eine nicht-nucleophile Aminbase ▸ S. 231

Huisgen-Reaktion 1,3-dipolare Cycloaddition mit Azid als 1,3-Dipol und Alkin alsDipolarophil zu Triazolen

▸ S. 242

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Wichtige Reaktionen und Begriffe in der Organischen Chemie1004

Hunsdiecker-Reaktion Darstellung von Alkylhalogeniden aus den Silbersalzen von Carbon-säuren

▸ S. 205

Ing-Manske-Variante derGabriel-Synthese

Synthese von Aminen aus Kaliumphthalimid und Halogenalkan zuN-Alkylphthalimiden, nachfolgende Reaktion mit Hydrazin zuPhthalhydrazid und Amin

▸ S. 227

Isonitril-Reaktion Nachweisreaktion für primäre Amine: Durch Reaktion mit Chloroformin Alkali entstehen stark riechende Isonitrile

▸ S. 230

Iwanow-Reaktion Umsetzung von Phenylessigsäure mit überschüssigem Grignard-Reagenz zu einer Zwischenstufe, die sich mit Carbonylverbindungenin substituierte β-Hydroxysäuren umwandelt.

▸ S. 610

Jacobsen-Epoxidierung Stereoselektive Epoxidierung von Alkenen mit Salen-Komplexen desMangans

▸ S. 587

Jones-Reagenz Chrom(VI)-oxid in schwefelsaurer Lösung, häufig genutzt zur Gewin-nung von Ketonen aus sekundären Alkoholen

▸ S. 323

Kiliani-Fischer-Synthese Kettenverlängerung einer Aldose durch Cyanhydrinsynthese, Hydro-lyse zur Aldonsäure und anschließende Reduktion

▸ S. 474

Kiliani-Fischer-Umkehrung Wohl-Abbau: Kettenverkürzung von Aldosen über Aldoxime, derenDehydratisierung zu Nitrilen und Abspaltung von Blausäure

▸ S. 476

Kipping-Synthese Darstellung von Alkylsilanen durch Einwirken von Grignard-Verbin-dungen auf Tetrachlorsilan

▸ S. 277

Kjeldahl-Methode Methode zur quantitativen Bestimmung des Stickstoffgehaltes einerVerbindung

▸ S. 436

KKK-Regel Die Umsetzung von Alkylbenzenen mit Chlor oder Brom in Gegen-wart eines Katalysators in der Kälte führt zur Halogenierung am aro-matischen Kern.

▸ S. 532

Knoevenagel-Reaktion Eine zur Claisen- bzw. Aldolkondensation analoge Umsetzung einesMalonesters mit Aldehyden und Ketonen

▸ S. 354

Knorrsche Pyrrolsynthese Darstellung substituierter Pyrrole durch Kondensation einerα-Aminoketo-Verbindung mit einem α-Ketosäureester

▸ S. 754–755

Koch-Haaf-Reaktion Darstellung tertiärer Carbonsäuren, z. B. der Pivalinsäure durchCarbonylierung von Olefinen mit Kohlenmonoxid in saurer Lösung

▸ S. 344

Königsches Salz Produkt der Umsetzung von N-Cyanpyridiniumbromid mitN-Methylanilin, Zwischenprodukt bei der Azulen-Synthese nachZiegler und Haffner

▸ S. 692

▸ S. 838

Königs-Knorr-Methode Stereospezifische Synthese von β-Glycosiden ausα-Glycosylhalogeniden

▸ S. 483

Kolbe-Elektrolyse Decarboxylierende Dimerisierung von Carbonsäuren durch anodi-sche Oxidation

▸ S. 104

Kolbe-Nitrilsynthese Darstellung von Nitrilen aus Alkylhalogeniden und Kaliumcyanid ▸ S. 394

Kolbe-Schmitt-Synthese Darstellung von Salicylsäure aus Natriumphenolat und Kohlendioxid ▸ S. 672

Koppeschaar-Titration Quantitative bromometrische Bestimmung von Phenolen ▸ S. 555

Lawesson-Reagenz Reagenz zum Ersatz des Sauerstoffs in Säurederivaten durchSchwefel

▸ S. 392

Leblanc-Verfahren Verfahren für die Gewinnung von Seifen ▸ S. 364

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Wichtige Reaktionen und Begriffe in der Organischen Chemie 1005

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Leuchs-Anhydrid Aus Glycin und Phosgen hergestelltes Glycin-N-carbonsäure-anhydrid

▸ S. 956

Leuckart-Wallach-Reaktion Reduktive Aminierung von Ketonen, z. B. mit Ammoniumformiat,wobei die Ameisensäure als Reduktionsmittel wirkt

▸ S. 225

Lewis-Base Verbindung, die als Elektronenpaar-Donator wirken kann ▸ S. 21

Lewis-Säure Verbindung mit einer Elektronenlücke, die als Elektronenpaar-Akzeptor wirken kann

▸ S. 21

Ley-Griffith-Reaktion Oxidation von Alkoholen zu Aldehyden mit Tetrapropylammonium-perruthenat

▸ S. 886

Li-Barbier-Reaktion Barbier-Reaktion mit Lithium statt Magnesium ▸ S. 287

Liebermann-Reaktion Farbreaktion zum Nachweis von Nitrit und Nitrosogruppen ▸ S. 562

Linde-Verfahren Tieftemperaturzerlegung von Gasen ▸ S. 456

Lobry-deBruyn-van Ekenstein-Umlagerung

Durch Basen katalysierte Gleichgewichtseinstellung zwischenGlycerolaldehyd und Dihydroxyaceton

▸ S. 575

Lossen-Abbau Thermische Umlagerung von Hydroxamsäuren zu Isocyanaten, derenHydrolyse unter Abspaltung von Kohlendioxid zu primären Aminenführt

▸ S. 396

Lunge-Reagenz Reagenz zum Nachweis von Nitrit (Sulfanilsäure + α-Naphthylamin);es entsteht ein Azofarbstoff

▸ S. 29

▸ S. 548

Madelung-Synthese Darstellung von Indolderivaten durch intramolekulare Cyclisierungvon N-Acyltoluidinen, z. B. 2’-Methylformanilid mit starken Basenbei hoher Temperatur

▸ S. 776

Maillard-Reaktion Nichtenzymatische Bräunung von reduzierenden Zuckern durchReaktion mit der Aminogruppe von Aminosäuren, Peptiden oderProteinen

▸ S. 485

Malaprade-Spaltung Oxidative Spaltung von Glycolen mit Periodat ▸ S. 188

▸ S. 479

Mannich-Base Das bei der Mannich-Reaktion entstehende α-Aminoketon ▸ S. 594

Mannich-Reaktion Kondensation einer CH-aciden Verbindung mit Formaldehyd undprimären oder sekundären Aminen. Es erfolgt dabei eineα-Aminomethylierung am CH-aciden Zentrum.

▸ S. 594

Marfey-Reagenz Mit l-Alaninamid modifiziertes Sanger-Reagenz zur Überprüfungder Enantiomerenreinheit von Aminosäuren

▸ S. 78

Marker-Abbau Abbau der Spiroketalgruppierung in Diosgenin zur Seitenkette derSteroidhormone

▸ S. 751

Marquis-Reagenz Reagenz zum Nachweis von Phenolen und Anilinen (Formaldehyd +Schwefelsäure)

▸ S. 31

Maxam-Gilbert-Verfahren Chemisches Verfahren zur Sequenzanalyse von DNA ▸ S. 992

McLafferty-Umlagerung Bei der Massenspektrometrie häufig ablaufende Umlagerung unge-sättigter Verbindungen, die in der γ-Stellung zur Doppelbindungeine CH-Gruppierung enthalten

▸ S. 327

McMurry-Reaktion Titaninduzierte, reduktive Kupplung von Carbonylverbindungen zuAlkenen

▸ S. 331

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Wichtige Reaktionen und Begriffe in der Organischen Chemie1006

Meerwein-Ponndorf-Verley-Reduktion

Reduktion einer Carbonylgruppe zur Alkoholgruppe in Gegenwarteines Aluminiumalkoholates, z. B. Aluminium-Isopropylat

▸ S. 314

Meerwein-Schuster-Reaktion Arylierung von Olefinen (vor allem α,β-ungesättigter Carbonylverbin-dungen) mit Aryldiazoniumsalzen in Gegenwart von Kupfersalzen

▸ S. 631

Meisenheimer-Komplex Isolierbare Zwischenstufe bei der nucleophilen aromatischen Subs-titution

▸ S. 29

Merrifield-Synthese Automatisierte Festphasensynthese von Peptiden ▸ S. 957

Metathese-Reaktion(Olefin-Metathese)

Metall-katalysierter Austausch der Alkylidengruppen zwischen zweiOlefinen (Umalkylidenierung); kann als Ringschluss-, Ringöffnungs-und Kreuzmetathese ablaufen

▸ S. 130

▸ S. 131

Michael-Addition, auchMichael-Reaktion

Nucleophile Addition an α, β-ungesättigte Carbonylverbindungen ▸ S. 354

▸ S. 367

Michaelis-Arbusow-Reaktion Herstellung von Alkanphosphonsäureestern durch Umsetzung vonTrialkylphosphiten mit Alkylhalogeniden

▸ S. 273

Michlers Keton 4,4’-Bis-dimethylamino-benzophenon, das aus Phosgen undN,N-Dimethylanilin in Gegenwart von Zinkchlorid dargestellt wird

▸ S. 286

▸ S. 625

Mitsunobu-Reaktion Aktivierung von Alkoholen für nachfolgende nucleophile Substitu-tionsreaktionen durch Umsetzung des Alkohols mit Azodicarbon-säureester und Triarylphosphinen

▸ S. 385

Moffatt-Oxidation Variante der Swern-Oxidation ▸ S. 306

Molisch-Reaktion Nachweis von Aldehyden mit 1-Naphthol ▸ S. 30

Monsanto-Prozess Synthese von l-DOPA, Schlüsselschritt ist eine stereoselektiveHydrierung mit chiralem Katalysator.

▸ S. 299

Großtechnische Synthese von Essigsäure aus Methanol ▸ S. 346

Mukaiyama-Aldoladdition Gekreuzte Aldoladdition unter Verwendung eines Silylenolethers ▸ S. 322

Müller-Rochow-Synthese Darstellung von Dichlordimethylsilan aus Methylenchlorid undSilicium mit Kupfer als Katalysator

▸ S. 277

Nash-Reaktion Nachweisreaktion für Aldehyde durch Hantzschsche Dihydropyridin-Synthese

▸ S. 309

Natta-Katalysator Katalysator zur stereoregulären Polymerisation unsymmetrischerMonoolefine wie Propen nach dem Natta-Verfahren

▸ S. 141

Nef-Reaktion Darstellung von Aldehyden und Ketonen aus den Salzen von Nitro-alkanen mit Schwefelsäure (Aci-Nitroalkan-Spaltung)

▸ S. 272

Negishi-Kupplung Umsetzung von Arylhalogeniden mit Organozinkverbindungen zualkylierten Aromaten

▸ S. 291

Nesmejanow-Reaktion Darstellung von Arylquecksilberchloriden aus Diazoniumsalzen undQuecksilber(II)-chlorid

▸ S. 630

Ninhydrin-Reaktion Nachweisreaktion für Aminosäuren mit Ninhydrin (Hydrat von1,2,3-Indantrion) zu Ruhemanns Purpur

▸ S. 663

Norrish-Typ-I-Spaltung Homolytische Spaltung einer photochemisch angeregten Carbonyl-verbindung zu einem Acyl- und einem Alkylradikal

▸ S. 327

Norrish-Typ-II-Spaltung Intramolekulare Verschiebung eines Wasserstoffatoms in photoche-misch angeregten Aldehyden oder Ketonen unter Bildung einesDiradikals, das zu je einem Alken und Enol zerfällt

▸ S. 327