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10.5. Räumliche Krümmung und Torsion Gegeben sei eine zweimal differenzierbare Parameterdarstellung w einer Raumkurve. Wir lassen im Folgenden meist den Parameter t weg, um etwas bequemere Formeln zu bekommen. Der Krümmungsvektor ist die infinitesimale Veränderung des Tangenten-Einheitsvektors im Vergleich zur Veränderung der Bogenlänge, also der Quotient k:= e´/s´ = e´/v wobei e der Tangenten-Einheistvektor, s die Bogenlänge und v die Geschwindigkeit ist. Die Krümmung der Kurve ist die Länge des Krümmungsvektors, also κ:= |k| = |e'|/v . Sie kennzeichnet die Stärke der Richtungsänderung. (Die Geschwindigkeit v = 0 wird hier und im Folgenden ausgeschlossen). Da der Krümmungsvektor ebenso wie die Ableitung des Tangenten-Einheitsvektors in Richtung des Hauptnormalenvektors h zeigt, haben wir k = κ h . Der Krümmungskreis liegt in der Schmiegebene, hat den Krümmungsradius ρ = 1 κ und den Krümmungsmittelpunkt m = w + ρ h. Offenbar hat ρ nur dann einen endlichen Wert, wenn e´ nicht verschwindet. Beispiel 1: Schraubenlinie mit Radius r und Windungshöhe 2 π H .

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10.5. Räumliche Krümmung und Torsion

Gegeben sei eine zweimal differenzierbare Parameterdarstellung w einer Raumkurve. Wir lassen im Folgenden meist den Parameter t weg, um etwas bequemere Formeln zu bekommen.

Der Krümmungsvektor

ist die infinitesimale Veränderung des Tangenten-Einheitsvektors im Vergleich zur Veränderung der Bogenlänge, also der Quotient

k:= e´/s´ = e´/v

wobei e der Tangenten-Einheistvektor, s die Bogenlänge und v die Geschwindigkeit ist.

Die Krümmung

der Kurve ist die Länge des Krümmungsvektors, also

κ:= |k| = |e'|/v .

Sie kennzeichnet die Stärke der Richtungsänderung. (Die Geschwindigkeit v = 0 wird hier und im Folgenden ausgeschlossen). Da der Krümmungsvektor ebenso wie die Ableitung des Tangenten-Einheitsvektors in Richtung des Hauptnormalenvektors h zeigt, haben wir

k = κ h .

Der Krümmungskreis

liegt in der Schmiegebene, hat den Krümmungsradius

ρ = 1

κ

und den Krümmungsmittelpunkt

m = w + ρ h. Offenbar hat ρ nur dann einen endlichen Wert, wenn e´ nicht verschwindet.

Beispiel 1: Schraubenlinie

mit Radius r und Windungshöhe 2π H .

Noch einmal die Parameterdarstellung und die Ableitungen:

, , , = ( )w t

r ( )cos tr ( )sin t

H t = ( )w´ t

−r ( )sin tr ( )cos t

H = ( )w´´ t

−r ( )cos t−r ( )sin t

0 = ( )w´´´ t

r ( )sin t−r ( )cos t

0

Die skalare Geschwindigkeit v = ( )v t ist konstant:

= v + H2 r2

Schmiegnormalenvektor und Parallelogrammfläche:

, = ( )p t

H r ( )sin t−H r ( )cos t

r2 = ( )β t r v

Tangenten-Einheitsvektor, Hauptnormalenvektor und Binormalenvektor:

, , = ( )e t

−r ( )sin t

vr ( )cos t

vH

v

= ( )h t

− ( )cos t− ( )sin t

0 = ( )b t

H ( )sin t

v

−H ( )cos t

vr

v

Krümmungsvektor und Krümmungsmittelpunkt:

, = ( )k t

−r ( )cos t

v2

−r ( )sin t

v2

0

= ( )m t

−( )cos t H2

r

−( )sin t H2

rH t

Krümmung und Krümmungsradius sind hier ebenfalls konstant:

, = κr

v2 = ρ

v2

r

Die Krümmung einer zweimal differenzierbaren Kurve hängt eng mit deren zweiter Ableitung zusammen. Diese hatten wir als Linearkombination des Tangenten-Einheitsvektors e und des Hauptnormalenvektors h dargestellt, indem wir die Gleichung

(1) w´ = v e

mit Hilfe der Produktregel differenziert hatten:

(2) w´´ = v´ e + v e´.

Nach Einsetzen von e´ = v k wird daraus

(3) w´´ = v´ e + v2 k = v´ e + v2 κ h .

Dies ist wieder die Zerlegung der vektoriellen Beschleunigung in Tangential- und Normalkomponente. Letztere wird also nicht nur von der Krümmung, sondern auch von der Geschwindigkeit beeinflußt. Bei konstanter Geschwindigkeit ist v´ = 0, also zeigt w´´ dann in die gleiche Richtung wie der Normalenvektor h. Für den Krümmungsvektor k ist das immer der Fall (auch bei variablem v).

Jetzt berechnen wir umgekehrt die Krümmung mit Hilfe der ersten und zweiten Ableitung: Unter Ausnutzung der Gleichung e x e = 0 und des Distributivgesetzes für das Vektorprodukt folgt aus den Gleichungen (1) und (2):

(4) wx́ w´´ = v2e x e´ . Als Einheitsvektor steht e senkrecht auf seiner Ableitung e´. Somit:

(5) β = | w x́ w´´ | = v2 |e´| = v3 κ .

Division durch v3 ergibt die

Krümmung einer Raumkurve

(6) = κβ

v3 .

Das ist die gleiche Formel wie in der Ebene. Allerdings muß man im ebenen Fall auf das Vorzeichen von β achten.

Der Torsionsvektor

einer Raumkurve ist die infinitesimale Veränderung des Binormalenvektors

b = 1

β (w´x w´´)

im Vergleich zur Veränderung der Bogenlänge, also der Quotient

b´/s´ = b´/v .

Der Torsionsvektor steht senkrecht auf b (da dies ein Einheitsvektor ist), aber auch auf dem Tangenten-Einheitsvektor e. Denn Differenzieren der Gleichung e b = 0 führt auf e´ b + e b´ = 0, und da e´ = v κ h ebenfalls senkrecht auf b steht, folgt e´ b = 0 und e b´ = 0. Somit muß b´ in oder gegen die Richtung des Hauptnormalenvektors zeigen. Es gibt also eine skalare Funktion τ mit

(7) b´ = −v τ h .

Der Faktor τ ist ein Maß dafür, wie stark sich die Kurve aus der Schmiegebene "herauswindet". Wenn wir die letzte Gleichung mit - h/v multiplizieren und h h = 1 ausnutzen, bekommen wir die

Torsion einer Raumkurve

(8) τ = - 1

v b´ h =

1

v b h´.

Die zweite Gleichung folgt aus b h = 0, was nach Differentiation b´ h + b h´ = 0 liefert.

Spatprodukt der drei Ableitungsvektoren

Bei einer dreimal differenzierbaren Parameterdarstellung w können wir die Gleichung

(3) w´´ = v ́e + α h mit = α v2 κ

nochmals differenzieren. Die Produktregel liefert

w´´´ = v´´ e + v´ e´ + α´ h + α h´ .

Nun berechnen wir das Spatprodukt:

w´w´´w´´´ = (wx́ w´´) w´´´ = det(w´,w´´,w´´´) = β b (v´´ e + v´ e´ + α´ h + α h´) = β α b h´ (wegen b e = b e´ = b h = 0)

= β α v τ = β κ v3 τ = β2 τ

und bekommen die

Torsion als Funktion der drei Ableitungen

τ = 1

β2 w´w´´w´´´ mit β = |w x́ w´´| .

Beispiel 2: Torsion einer Schraubenfeder

Für eine Schraubenlinie mit der Parameterdarstellung

= ( )w t

r ( )cos tr ( )sin t

H t

berechnen wir erst das Kreuzprodukt p = w´x w´´ (wie in Beispiel 1)

= ( )p t

H r ( )sin t−H r ( )cos t

r2

dann das Skalarprodukt mit dem Vektor

= ( )w´´´ t

r ( )sin t−r ( )cos t

0

Das Ergebnis ist

H r2

Das Skalarprodukt von w´x w´´ mit sich selbst ergibt den Faktor β2:

= β2 r2 v2

Der Quotient dieser beiden Ausdrücke ist die Torsion:

= τH

v2

Für eine Schraubenfeder ist also bei einer festen Auslenkung sowohl die Krümmung als auch die Torsion konstant: Ein kleiner Ausschnitt des Kurvenbildes sieht an jeder Stelle gleich aus. Allerdings verändern sich Krümmung und Torsion natürlich, wenn man die Feder dehnt (also H verändert).

Torsionskomponente und Biegekomponente

Eine Belastung f = F e3 in Richtung der Schraubachse bewirkt in einem beliebigen Punkt der Feder das Moment

M = w x f = r F w´´´ = (M e) e + (M h) h + (M b) b

= −r2 F

v e +

r H F

v b .

Dies ist die Zerlegung des Moments in die Torsionskomponente und die Biegekomponente.

Geraden- und Ebenentest

Allgemein gilt für jede Raumkurve:

Die Krümmung verschwindet genau dann, wenn der Beschleunigungsvektor in die gleiche Richtung wie der Tangentenvektor zeigt, die Richtung der Geschwindigkeit also nicht verändert wird. Ist dies an allen Stellen der Fall, so handelt es sich um eine Gerade.

Die Torsion verschwindet genau dann, wenn die Kurve in einer Ebene (der Schmiegebene) verläuft. Dies prüft man am einfachsten, indem man die Gültigkeit der Gleichung

a x + b y + c z = d

für geeignete Konstanten a, b, c, d und , , = x ( )x t = y ( )y t = z ( )z t testet.

Beispiel 3: Eine Ellipse im Raum

mit den Halbachsen = a 3 und = b 1.5 wird beschrieben durch die Parameterdarstellung

= ( )w t

+ ( )cos t ( )sin t − 2 ( )cos t ( )sin t

+ 2 ( )cos t1

2( )sin t

Hier ist die Torsion (ohne jede weitere Rechnung!) gleich 0, da die Kurve in der Ebene durch 0 mit dem Normalenvektor (2,1,-2) liegt:

= + − 2 ( )x t ( )y t 2 ( )z t 0

Zur Berechnung der Krümmung

= κ1

v3 | w´ x w´´|

bestimmen wir w´ und w´´:

, = ( )w´ t

− + ( )sin t ( )cos t− − 2 ( )sin t ( )cos t

− + 2 ( )sin t1

2( )cos t

= ( )w´´ t

− − ( )cos t ( )sin t− + 2 ( )cos t ( )sin t

− − 2 ( )cos t1

2( )sin t

Das Vektorprodukt dieser beiden Vektoren erweist sich nach einer Zwischenrechnung als konstant, womit sich die Lage in einer Ebene bestätigt:

= ( )p t

33

2-3

= ( )β t9

2

Die skalare Geschwindigkeit = ( )v t ( )w´ t ist

= ( )v t3

2 − 4 3 ( )cos t 2

und damit ist die Krümmung

= ( )κ t4

3

1

− 4 3 ( )cos t 23

In der Ebene durch die Ellipse erhält man eine verzerrte Astroide als Evolute:

Anhang 1: Die Differentiation des begleitenden Dreibeins

Sie geschieht mit Hilfe der 1847 von dem französischen Mathematiker F. Frenet aufgestellten

Frenetschen Formeln

e´ = κ v h v Geschwindigkeit h´ = −κ v e + τ v b κ Krümmung b´ = −τ v h τ Torsion Sie sind bei aller Einfachheit und Eleganz grundlegend für die gesamte Differentialgeometrie und verdienen deshalb frenetischen Applaus.Die erste Formel folgt aus den Gleichungen k = e´/v und k = κ h , die dritte ist die definierende Gleichung (7). Wir müssen also nur noch die zweite Formel begründen. Unter Beachtung der Produktregel für das Vektorprodukt führt Differentiation von h = b x e auf

h´ = b x e´ + b´ x e = κ v (b x h) −τ v (h x e) = −κ v e + τ v b .

Aus den Frenetschen Formeln folgt (mit einigen Zusatzüberlegungen) der fundamentale Satz, daß die Kurve durch die Krümmung und die Torsion bis auf Verschiebung und Drehung vollständig bestimmt ist. (Parametrisiert man nach der Bogenlänge, so ist = v 1). Im Gegensatz zu Geschwindigkeit und Beschleunigung hängen Krümmung und Torsion einer Kurve nur von ihrem Bild, nicht aber von der gewählten Parameterdarstellung ab!

Anhang 2: SchneckenkurvenWie wir wissen, ist das dreidimensionale Analogon zu einer logarithmischen Spirale eine Schneckenkurve. Sie entsteht, indem während der Drehung auch auch noch eine exponentiell anwachsende Verschiebung entlang der Drehachse stattfindet. Wir wollen begleitendes Dreibein, Krümmung und Torsion einer solchen Schneckenkurve bestimmen.

= ( )w t et

( )cos ω t( )sin ω tH

Die in der Natur auftretenden Spiralkurven auf Schneckengehäusen haben eine leicht abweichende Darstellung, werden aber durch die obigen Funktionen sehr gut angenähert. Die entstehenden Kurven winden sich auf einem Kegelmantel

= + − x2 y2 H2 z2 0

, = H 3 = ω 6

, = H1

3 = ω 10

, = H 2 = ω 30

In Beispiel 2 von Abschnitt 10.4 hatten wir bereits folgende Größen berechnet:

die erste und zweite Ableitung der Funktion w:

, = ( )w´ t et

− ( )cos ω t ( )sin ω t ω + ( )sin ω t ( )cos ω t ω

H = ( )w´´ t et

− − ( )cos ω t 2 ( )sin ω t ω ( )cos ω t ω2

+ − ( )sin ω t 2 ( )cos ω t ω ( )sin ω t ω2

H

die skalare Geschwindigkeit v = | w´|:

= ( )v t et + + H2 1 ω2

den Schmiegnormalenvektor p = w´ x w´´:

= ( )p t e( )2 t

ω

H ( )− + ( )cos ω t ( )sin ω t ω−H ( ) + ( )sin ω t ( )cos ω t ω

+ 1 ω2

und dessen Länge β :

= ( )β t e( )2 t

ω + + H2 1 ω2 + 1 ω2

Zur Abkürzung setzen wir

:= δ + ω2 1 , := ε + + H2 1 ω2

und erhalten

= ( )v t ε et

= ( )β t δ ε ω e( )2 t

.

Daraus berechnen wir die Krümmung = κβ

v3 und den Krümmungsradius = ρ

1

κ :

, = ( )κ tδ ω

et ε2 = ( )ρ t

et ε2

δ ω

Für die Torsion brauchen wir die dritte Ableitung

= ( )w´´´ t et

− − + ( )cos ω t 3 ( )sin ω t ω 3 ( )cos ω t ω2 ( )sin ω t ω3

+ − − ( )sin ω t 3 ( )cos ω t ω 3 ( )sin ω t ω2 ( )cos ω t ω3

H

und das Spatprodukt σ = (w´ x w´´) w´´´

= ( )σ t e( )3 t

H ω3 ( ) + 1 ω2

Damit erhalten wir für die Torsion τ = σ

β2 die Formel

= ( )τ te

( )−tH ω

+ + H2 1 ω2

Ergebnis

Jede der folgenden Größen ist proportional zu et :

Wachstumsgeschwindigkeit = v et ε

Bogenlänge = s et ε

Krümmungsradius = ρet ε2

ω δ

reziproke Torsion = 1

τet ε2

ω H

Weitere Rechnungen ergeben den Tangenten-Einheitsvektor e = w´/v , den Binormalenvektor b = 1

β p und den Hauptnormalenvektor h = b x e :

= ( )e t

−− + ( )cos ω t ( )sin ω t ω

ε + ( )sin ω t ( )cos ω t ω

εH

ε

= ( )b t

− + H ( )cos ω t H ( )sin ω t ωδ ε

− − H ( )sin ω t H ( )cos ω t ωδ εδε

, ,

= ( )h t

− + ( )sin ω t ( )cos ω t ω

δ − ( )cos ω t ( )sin ω t ω

δ0

Das Dreibein rutscht die Windungskurve entlang:

Anhang 3: Krümmungskugeln

Sie berühren die Kurve im jeweiligen Punkt und haben ihre Mittelpunkte auf der sogenannten Krümmungsachse. Das ist die senkrecht zur Schmiegebene (also parallel zum Binormalenvektor) verlaufende Gerade durch den jeweiligen Krümmungsmittelpunkt. Der Schnitt jeder Krümmungskugel mit der Schmiegebene in einem festen Punkt ergibt den (gleichen!) Krümmungskreis. Zu jedem Kurvenpunkt gibt es unter allen Krümmungskugeln eine im Sinne der Taylorapproximation optimale. Sie heißt Schmiegkugel und hat den Mittelpunkt

ms = w + ρ h + 1

τ ρ´ b

in der von h und b aufgespannten (also zur Schmiegebene senkrechten) Ebene durch w. Für Kurven auf einer Kugeloberfläche ist diese natürlich die Schmiegkugel in jedem Punkt.

Betrachten wir abschließend noch einmal die Schraubenlinie. Dort ist ρ konstant. Deshalb ist ρ´ = 0, und der Krümmungsmittelpunkt ist auch Mittelpunkt der Schmiegkugel.

Die Schmiegkugel rollt nach unten