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11 Die deutsche Aufrüstung bis Kriegsbeginn Der britische Historiker A. J. P. Taylor schrieb 1961: „Der Zustand der deutschen Bewaffnung im Jahre 1939 liefert den 157 157

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11 Die deutsche Aufrüstung bis Kriegsbeginn

Der britische Historiker A. J. P. Taylor schrieb 1961: „Der Zustand der deutschen Bewaffnung im Jahre 1939 liefert den 157

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entscheidenden Beweis dafür, daß Hitler keinen allgemeinen Krieg erwogen und wahrscheinlich Krieg überhaupt nicht beabsichtigt hatte... 1940 waren die deutschen Heerestruppen den Franzosen in allem unterlegen mit Ausnahme der Führerschaft“ (U. Walendy 1965, S. 234).

Zu Kriegsbeginn gab es einen Operationsplan gegen Polen (Fall Weiß), mit dessen Ausarbeitung erst am 3.4.1939, also nach der polnischen Teilmobilmachung am 25.3.1939 und nach der englischen Garantieerklärung am 31.3.1939, begonnen worden war. Für einen Krieg im Westen gab es keinerlei Pläne. Es standen dort nur 26 Divisionen, meist Landwehr, gegen 102 französische Divisionen mit 4.000 modernen Panzern, 3.000 schweren Geschützen und 2.000 Flugzeugen (U. Walendy 1965, S. 231 f.). Die Bewaffnung war abgestellt auf die Jahre 1943, 1944. Das OKH hatte 1938 die Anweisung erhalten, sich bis 1945 dem Aufbau und der Ausbildung zu widmen und jede Kriegsvorberei-tung einschließlich von Grenzsicherung zu unterlassen. Bei Kriegsausbruch waren nur zwei voll ausgebildete Jahrgänge vorhanden gegenüber allein 4,8 Millionen Ausgebildeten in Frankreich.

An Seestreitkräften waren im September 1939 vorhanden (H. Neukirchen, 1988, S. 377):

Deutsch England Frank Schlachtschiffe land

2

15 reich

7 Flugzeugträger - 6 1 Panzerschiffe 3 - -

Schwere Kreuzer 2 15 7 Kreuzer 6 49 12 Zerstörer/Torpe doboote

34 183 72

U-Boote 57 57 78

Das am 18. Juni 1935 in London Unterzeichnete deutsch-britische Flottenabkommen hatte in der Gesamtverdrängung ein Verhältnis von 35 : 100 zur britischen Flotte und bei den

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U-Booten von 45 :100 festgelegt. Es existierte ein auf 6 Jahre, also bis Ende 1944 befristeter Plan für den Aufbau der Kriegsmarine von Ende 1938, der auf eine „Entwurfsstudie Seekriegsführung gegen England“ vom Sommer 1938 zurückging. In dieser Studie hieß es, „ der Wille zur Ausgestaltung Deutschlands als Weltmacht... müsse...zwangsläufig zur Notwendigkeit entsprechender Kriegsvorbereitungen führen“ (H. Neukirchen, 1988, S. 373).

Zur Sicherstellung dieses Planes hatte Hitler am 27. Januar 1939 bestimmt: „Ich befehle, daß der von mir angeordnete Aufbau der Kriegsmarine allen anderen Aufgaben einschließlich der Aufrüstung der beiden anderen Wehrmachtsteile... vorgeht“ (H. Neukirchen, 1988, S. 375).

Der Oberbefehlshaber der deutschen Kriegsmarine Admiral Raeder schrieb am 3. September 1939 eigenhändig in seiner Lagebeurteilung: „Was die Kriegsmarine anbetrifft, so ist sie selbstverständlich im Herbst 1939 noch keinesfalls für den großen Kampf mit England hinreichend gerüstet. Sie hat zwar in der kurzen Zeit seit 1935 (Flottenvertrag) eine gut ausgebildete, zweckmäßig ausgebildete U-Boot- Waffe geschaffen, von der z. Z. 26 Boote atlantikfähig sind, die aber trotzdem noch viel zu schwach ist, um ihrerseits kriegsentscheidend zu wirken. Die Überwasserstreitkräfte sind aber noch so gering an Zahl und Stärke gegenüber der englischen Flotte, daß sie - vollen Einsatz vorausgesetzt - nur zeigen können, daß sie mit Anstand zu sterben verstehen...“ (H. Neukirchen, 1988, S. 376).

Die deutsche Luftwaffe verfügte 1939 über 1.000 zweimotorige Bomber und 1.500 Jäger (B. Klein 1959) gegenüber 7.300 Flugzeugen auf seiten Frankreichs und Englands.

England hatte seit 1934 schwere Langstreckenbomber gebaut, die 1941 für den strategischen Luftkrieg - zur völkerrechtswidrigen Bombardierung deutscher Städte - in genügender Zahl zur Verfügung standen.

Über den Stand der deutschen Aufrüstung vor Kriegsbeginn schreibt B. Klein: „Bis zur deutschen Wiederbesetzung des Rheinlandes im Frühjahr 1936 war die Wiederbewaffnung hauptsächlich ein Mythos... Die bewaffneten Streitkräfte hatten noch nicht einmal eine wirtschaftliche Zentral-

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Verwaltung, die die verschiedenartigen Anforderungslisten auf stellen konnte... Die Vorräte an wichtigen Rohstoffen wie Kupfer, Eisenerz, Benzin, Öl und Gummi waren im August 1939 so bemessen, daß sie nur für 3-6 Kriegsmonate ausreichten... 1939 besaß die zivile Wirtschaft noch große Arbeitsreserven... Es gab keine Konzentration von Investitionen in solchen Wirtschaftsbereichen, die mit wirtschaftlicher Kriegsvorbereitung zu tun hatten... Von einem Aufrüstungsprogramm, das so umfangreich wäre, daß es eine grundlegende Wiederbelebung der zivilen Produktion verhindert hätte, kann keine Rede sein... “ (B. Klein 1959).

General Jodl, Chef des Führungsstabes im OKW, erklärte am 4.6.1946 vor dem IMT Nürnberg: „Als wir im Jahre 1935 36 Divisionen aufstellten, da besaßen Frankreich, Polen und die Tschechoslowakei 90 Friedensdivisionen und 190 im Kriege. Wir hatten kaum schwere Artillerie und die Panzerwaffe war erst in den primitivsten Anfängen... Die wirkliche Aufrüstung wurde erst nach Kriegsbeginn durchgeführt. Wir traten in diesen Weltkrieg mit etwa 75 Divisionen. 60 % der gesamten wehrkräftigen Bevölkerung waren unausgebildet, das Friedensheer war etwa 400.000 Mann stark gegenüber fast 800.000 Mann im Jahre 1914. Die Vorräte an Munition und Bomben waren geradezu lächerlich. Für 10 bis 15 Kampftage hatten wir Munition... “ (U. Walendy 1965, S. 235).

Entkleidet man die Fragestellung nach dem Stand der deutschen Kriegsrüstung im Herbst 1939 aller geglaubten oder als erwiesen geglaubten Angriffs- und Eroberungsabsichten eines nach Weltherrschaft strebenden Hitler, so ergibt sich das folgende nüchterne Bild:

Die planmäßige Aufrüstung wurde nicht vor Mitte 1938 eingeleitet und war auf einen Sechs-Jahres-Zeitraum, also bis etwa 1944, ausgelegt. Etwa für diesen Zeitpunkt wurde erwartet, daß der Aufbau des Reiches zu einer Stärke geführt haben würde, die die Gefahr militärischer Auseinandersetzungen hätte abwehren können. Zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs im Jahre 1939 war die Aufrüstung in ihrem Beginn begriffen und nicht auf einem Stand, der das Führen eines größeren Krieges zuließ.

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Ausgaben für Rüstung und Wehrmacht im Reichshaushalt:

Zeit Ausgaben für

Rüstung und

Wehrmacht

Gesamt- Ausgaben Anteil an den

Gesamt- Ausgaben

Volks einkom

men

Anteil am Volksein-kommen

in Mrd. RM in v. H. in Mrd. RM in v. H.

1933/34 1,9 8,1 24 46,5 4

1934/35 1,9 10,4 18 52,8 4

1935/36 4,0 12,8 31 59,1 7

1936/37 5,8 15,8 37 65,8 9

1937/38 8,2 20,1 41 73,8 11

1938/391 18,4 31,8 58 82,1 22

1) Statistisches Handbuch von Deutschland, S. 555, S. 600. Hjalmar Schacht gibt in seinen Lebenserinnerungen für 1938/39 nur 11 Mrd. RM an.

12 Die Mitschuld des Widerstandes

Der Sozialrevolutionär Hitler, den man in konservative- re-volutionären, der Politik und Wirtschaft nahestehenden Kreisen, den „böhmischen Gefreiten“ nannte, stieß vor allem bei dem Teil der Elite des Kaiserreiches auf Ablehnung, der verschwommenen internationalistischen und pazifistischen Ideen anhing, dem Marxismus nichts entgegensetzen konnte und sich deshalb am Niedergang der Monarchie in Deutschland und an der Revolution von 1918 mitschuldig gemacht hatte. Zeitlich etwa, nachdem Hitler nach dem Tode des Reichspräsidenten von Hindenburg im Jahre 1934 Staats-oberhaupt und Oberbefehlshaber der Wehrmacht geworden war, was am 19.8.1934 in einer Volksabstimmung mit überwältigender Mehrheit gebilligt worden war, bildete sich eine Opposition heraus, die man heute unter dem Begriff des Widerstandes im engeren Sinne zusammenfaßt.

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