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12 Mehratomige Molek¨ ule Bei der Beschreibung von drei- und mehratomigen Molek¨ ulen spielt ihre Symmetrie eine zentrale Rolle etwas allgemeiner: die geometrische Anordnung der N Atomkerne. Die in Kapitel 11 angestellten ¨ Uberlegungen sind also zu generalisieren. Die Kernbewegung ist jetzt (neben der trivialen Translationsbewegung) durch drei Freiheitsgrade der Rotation und 3N - 6 Schwingungsfreiheitsgrade gekennzeichnet. Auch die Charakterisierung der elektronischen Zust¨ande wird entsprechend komplexer. Hinweise f¨ ur den Leser: Zweiatomigen Molek¨ ule bieten nur einen ersten Einstieg die Welt realer Molek¨ ule. Wer etwas tiefer eindringen will, sollte in das folgende Kapitel zumindest einmal hineinlesen. Abschnitt 12.1 stellt den beliebig geformten, starren Rotator vor. Normalkoordinaten zur Behandlung der Schwingung werden in Abschnitt 12.2 eingef¨ uhrt. Abschnitt 12.3 wid- met sich der Symmetrie von Punktgruppen als zentralem Ordnungsprinzip. In die Besonderheiten der elektronischem Struktur mehratomiger Molek¨ ule uhrt Abschnitt 12.4 anhand der noch relativ ¨ uberschaubaren und wich- tigen Beispiele H 2 O und NH 3 ein. Ein vor allem f¨ ur organische Molek¨ ule viel benutztes, anschauliches Konzept ist die Hybridisierung elektronischer Orbitale (Abschnitt 12.5), und f¨ ur konjugierte Doppelbindungen bietet die uckel-Methode hilfreiche erste Absch¨ atzungen (Abschnitt 12.6). 12.1 Rotation mehratomiger Molek¨ ule 12.1.1 Allgemeine Zusammenh¨ ange Wir rekapitulieren zun¨ achst etwas klassische Mechanik und konzentrieren uns auf den Fall des starren, jetzt beliebig geformten Rotators. Wir nehmen also an, dass die N Atomkerne des Molek¨ uls mit den Massen m 1 ,m 2 ,...,m k ,...,m N durch Koordinaten R 1 , R 2 ,..., R k ,..., R N beschrieben werden, die bez¨ uglich ihres Abstands vom Schwerpunkt und ihrer relativen Orientierung inner- halb des Molek¨ uls konstant sind. Schreiben wir X k = R k,1 ,Y k = R k,2 und Z k = R k,3 , so sind die Komponenten des Tr¨ agheitstensors ˆ I I ij = X k m k ( R 2 k δ ij - R k,i R k,j ) . (12.1)

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Mehratomige Molekule

Bei der Beschreibung von drei- und mehratomigenMolekulen spielt ihre Symmetrie eine zentraleRolle – etwas allgemeiner: die geometrischeAnordnung der N Atomkerne. Die in Kapitel 11angestellten Uberlegungen sind also zu generalisieren.Die Kernbewegung ist jetzt (neben der trivialenTranslationsbewegung) durch drei Freiheitsgrade derRotation und 3N − 6 Schwingungsfreiheitsgradegekennzeichnet. Auch die Charakterisierung derelektronischen Zustande wird entsprechend komplexer.

Hinweise fur den Leser: Zweiatomigen Molekule bieten nur einen erstenEinstieg die Welt realer Molekule. Wer etwas tiefer eindringen will, sollte indas folgende Kapitel zumindest einmal hineinlesen. Abschnitt 12.1 stellt denbeliebig geformten, starren Rotator vor. Normalkoordinaten zur Behandlungder Schwingung werden in Abschnitt 12.2 eingefuhrt. Abschnitt 12.3 wid-met sich der Symmetrie von Punktgruppen als zentralem Ordnungsprinzip.In die Besonderheiten der elektronischem Struktur mehratomiger Molekulefuhrt Abschnitt 12.4 anhand der noch relativ uberschaubaren und wich-tigen Beispiele H2O und NH3 ein. Ein vor allem fur organische Molekuleviel benutztes, anschauliches Konzept ist die Hybridisierung elektronischerOrbitale (Abschnitt 12.5), und fur konjugierte Doppelbindungen bietet dieHuckel-Methode hilfreiche erste Abschatzungen (Abschnitt 12.6).

12.1 Rotation mehratomiger Molekule

12.1.1 Allgemeine Zusammenhange

Wir rekapitulieren zunachst etwas klassische Mechanik und konzentrieren unsauf den Fall des starren, jetzt beliebig geformten Rotators. Wir nehmen alsoan, dass dieN Atomkerne des Molekuls mit den Massenm1,m2, . . . ,mk, . . . ,mNdurch KoordinatenR1,R2, . . . ,Rk, . . . ,RN beschrieben werden, die bezuglichihres Abstands vom Schwerpunkt und ihrer relativen Orientierung inner-halb des Molekuls konstant sind. Schreiben wir Xk = Rk,1, Yk = Rk,2 und

Zk = Rk,3, so sind die Komponenten des Tragheitstensors I

Iij =∑k

mk

(R2kδij −Rk,iRk,j

). (12.1)

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90 12 Mehratomige Molekule

Mit Spalten- und Zeilenvektoren R bzw. R schreibt man den Tragheitstensor:

I =R

RER

R=

1

R2

3∑ij=1

RiIijRj (12.2)

schreiben. Es gibt stets ein korperfestes Koordinatensystem, das wir durch dieAchsen a, b, c charakterisieren wollen, in welchem der Tragheitstensor diagonalwird. Die so definierten Haupttragheitsmomente ordnet man ublicherweise so:

Ia ≤ Ib ≤ Ic (12.3)

In Bezug auf eine Achse beliebiger Richtung R =(a1 b1 c1

)mit a2

1 + b21 +c21 = 1 im korperfesten System ergibt sich eine einfache Bestimmung desTragheitsmoments durch

I = Iaa21 + Ibb

21 + Icc

21 . (12.4)

Dividiert man durch I, schreibt a1/I = a etc. und variiert a, b und c so, dass

1 = Iaa2 + Ibb

2 + Icc2 (12.5)

gilt, so beschreibt dies eine Flache zweiter Ordnung, genauer ein Ellipsoid.Der Abstand |R| =

√a2 + b2 + c2 jedes Punkts dieser Flache vom Ursprung

entspricht gerade 1/√I, wobei I das Tragheitsmoment bezuglich einer Achse

in Richtung R ist. Gleichung (12.5) beschreibt also das Tragheitsellipsoid desMolekuls mit den die Hauptachsen 1/

√Ia, 1/

√Ib bzw. 1/

√Ic.

xyzX

X''

X' Y

Y',Y''

b

c

a

Z

α

γ

γ

β

β

N

K

M

α

Abb. 12.1. Tragheitsellipsoidund Euler-Winkel α, β, γ

Dies ist in Abb. 12.1 skizziert. Bezuglichdes raumfesten Koordinatensystems XY Zist das korperfeste System abc durch dieEuler-Winkel αβγ charakterisiert, die wir inAnhang C, Band 1 kennengelernt haben. Die

Lage des Drehimpulses N des starren Rota-tors wird nun durch zwei Großen spezifiziert:durch die uns schon bekannte Projektion Mauf die raumfeste Z-Achse, und zusatzlichdurch die Projektion K auf eine korperfesteAchse, z.B. die c-Achse. Die Quantenmecha-nik des starren, ausgedehnten Rotators wur-de bereits innerhalb eines Jahres nach Ent-

stehung der Quantenmechanik (1927) von Rabi und anderen beschrieben. Wirwollen hier nicht in die Details gehen, sondern referieren lediglich die wichtigs-ten Ergebnisse. Wir erweitern die Notation von Kapitel 11.3.2 fur die Kompo-nenten des Drehimpulsoperators in Bezug auf das raumfeste Koordinatensys-tem, NX , NY bzw. NZ , und bezuglich der drei orthogonalen Hauptachsen desTragheitsellipsoides Na, Nb bzw. Nc. Fur den Betrag des Drehimpulses gilt

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12.1 Rotation mehratomiger Molekule 91

N2

= N2X + N2

Y + N2Z = N2

a + N2b + N2

c . (12.6)

N2

und seine Komponenten gehorchen den ublichen Regeln der Drehimpuls-algebra in ortsfesten wie auch in korperfesten Koordinaten. Man kann Zustande

|NMK〉 finden, die simultan Eigenzustande von N2, NZ und Nc sind:

N2|NMK〉 = ~2N(N + 1) |NMK〉 mit N = 0, 1, 2, . . . (12.7)

sowie NZ |NMK〉 = ~M |NMK〉 und Nc |NMK〉 = ~K |NMK〉mit M = 0,±1,±2, · · · ±N und K = 0,±1,±2, · · · ±N

Analog zu den in Band 1 gebrauchten spharischen Komponenten des Drehim-

pulses J± = ∓(Jx ± iJy

)/√

2 kann man auch hier entsprechende Kombina-

tionen von NX und NY bzw. von Na und Nb bilden:1

N± = ∓(Na ± iNb

)/√

2 (12.8)

Allerdings entsprechen die Matrixelemente im korperfesten System hier jeweilsdenen der konjugiert komplexen Operatoren im raumfesten System (s. z.B. vanVleck, 1951). Es wird also entsprechend (B.11) und (B.12), Band 1:⟨

N M ± 1K∣∣∣N±∣∣∣N MK

⟩= ∓ ~

√[N(N + 1)−M (M ± 1)] /2 (12.9)⟨

N MK ∓ 1∣∣∣N±∣∣∣N MK

⟩= ∓ ~

√[N(N + 1)−K (K ∓ 1)] /2 (12.10)

In der Ortsdarstellung entsprechen den Eigenzustanden |NMK〉 Eigenfunk-tionen DN

MK (αβγ), die wir bereits als Drehmatrizen in (C.1), Band 1 ken-nengelernt haben.

Den Hamilton-Operator schreibt man zweckmaßigerweise bezuglich derkorperfesten Achsen a, b, c, da im isotropen Raum (d.h. ohne externe Felder)die Energie nicht von der Orientierung M des Drehimpulses bezuglich derraumfesten Achsen abhangt, wohl aber von der bezuglich der Achsen desTragheitsellipsoides. Es wird also

Hrot =1

2

(N2a

Ia+N2b

Ib+N2c

Ic

). (12.11)

Im allgemeinsten Falle treten hierbei drei verschiedene Rotationskonstanten

A =~2

2Iahc, B =

~2

2Ibhcund C =

~2

2Ichc(12.12)

auf, die man entsprechend (12.3) nach A ≥ B ≥ C sortiert.

1 Man beachte, dass wir hier die orthonormierten Operatoren im Gegensatz zu denhaufig in der Literatur gebrauchten Kombinationen Na ± iNb benutzen.