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Lazarská 6, 120 00 Praha 2, T: +420 224 948 096, +420 224 947 076, F: +420 224 948 091, www.fesprag.cz, [email protected] 1/2009 Januar Die soziale Entwicklung und soziale Lage in der Tschechischen Republik im Jahr 2008 JUDr. Kristina Koldinská, Ph.D. JUDr. Martin Štefko, Ph.D. Rechtsfakultät der Karlsuniversität Prag 1 Einleitung In den letzten Jahren hat die Tschechische Republik eine wichtige politische und wirtschaftliche Entwicklung durchlaufen. In den Jahren 2006 – 2008 wuchs die Wirtschaft stürmisch und wurde zu einer der stärksten in Europa. Infolgedessen gewann in den Jahren 2007 und 2008 auch die tschechische Krone immer mehr an Wert, was andererseits zu gewissen Einschränkungen für die tschechischen Exportunternehmen führte. In den ersten Monaten der Weltfinanzkrise schien es, dass die tschechische Wirtschaft sowie tschechische Banken überhaupt nicht davon betroffen sein würden. Als Grund wurde die Tatsache angeführt, dass der tschechische Bankensektor in den vergangenen Jahren einen Gesundungsprozess durchmacht habe und somit äußerst stabil sei. Tatsächlich gab es bislang auch noch keine großen Auswirkungen bei den tschechischen Banken, die nur ein Wachstum von „gesunden“ und ausreichend gedeckten Krediten zuließen. Die Investi- tionspolitik der tschechischen Banken war zudem eher konservativ, also keinesfalls risikofreudig. Freilich gilt dies nicht für einige Industriezweige, wie z. B. die Glas- und Automobilindustrie, die Ende 2008 und in den ersten Monaten des Jahres 2009 voll von der Weltwirtschaftskrise getroffen wurden. Aus der Politik sollten die Parlamentswahlen 2006 sowie die Bezirks- und Senatswahlen 2008 erwähnt werden. Nach den Parlamentswahlen von 2006 (Regierung und Opposition verfügten anfangs jeweils über genau 100 Stimmen im Abgeordnetenhaus) entstand in Tschechien eine instabile politische Lage, unter der die Reformpolitik der neuen Mitte-Rechts-Regierung von Mirek Topolanek litt. Reformen wurden nur zögerlich durchgesetzt und nicht ausreichend in den Medien popularisiert. Während das Jahr 2007 noch im Zeichen der „Wiedergutmachung“ der noch von der sozialdemokratischen Regierung (vor allem im sozialen Bereich offenkundig aus populistischen Gründen) eingeführten Regeln, versuchte die Regierung im Jahr 2008 die ersten wirklichen Reformschritte durchzusetzen. Wegen der schwierigen Mehrheitsverhältnisse im Parlament wurde das Reformpaket als ein großes Gesetz „zur Stabilisierung der öffentlichen Haushalte“ (Nr. 261/2007 GBl.) verabschiedet. Das Gesetz als solches war starker Kritik ausgesetzt (im Grunde handelte es sich um die 1 Die Analyse gibt die persönliche Meinung der Autoren wieder und vertritt nicht unbedingt die Standpunkte der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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Lazarská 6, 120 00 Praha 2, T: +420 224 948 096, +420 224 947 076, F: +420 224 948 091, www.fesprag.cz, [email protected]

1/2009 Januar

Die soziale Entwicklung und soziale Lage in der Tschechischen Republik im Jahr 2008 JUDr. Kristina Koldinská, Ph.D. JUDr. Martin Štefko, Ph.D. Rechtsfakultät der Karlsuniversität Prag1

Einleitung In den letzten Jahren hat die Tschechische Republik eine wichtige politische und wirtschaftliche Entwicklung durchlaufen. In den Jahren 2006 – 2008 wuchs die Wirtschaft stürmisch und wurde zu einer der stärksten in Europa. Infolgedessen gewann in den Jahren 2007 und 2008 auch die tschechische Krone immer mehr an Wert, was andererseits zu gewissen Einschränkungen für die tschechischen Exportunternehmen führte. In den ersten Monaten der Weltfinanzkrise schien es, dass die tschechische Wirtschaft sowie tschechische Banken überhaupt nicht davon betroffen sein würden. Als Grund wurde die Tatsache angeführt, dass der tschechische Bankensektor in den vergangenen Jahren einen Gesundungsprozess durchmacht habe und somit äußerst stabil sei. Tatsächlich gab es bislang auch noch keine großen Auswirkungen bei den tschechischen Banken, die nur ein Wachstum von „gesunden“ und ausreichend gedeckten Krediten zuließen. Die Investi-tionspolitik der tschechischen Banken war zudem eher konservativ, also keinesfalls risikofreudig. Freilich gilt dies nicht für einige Industriezweige, wie z. B. die Glas- und Automobilindustrie, die Ende 2008 und in den ersten Monaten des Jahres 2009 voll von der Weltwirtschaftskrise getroffen wurden. Aus der Politik sollten die Parlamentswahlen 2006 sowie die Bezirks- und Senatswahlen 2008 erwähnt werden. Nach den Parlamentswahlen von 2006 (Regierung und Opposition verfügten anfangs jeweils über genau 100 Stimmen im Abgeordnetenhaus) entstand in Tschechien eine instabile politische Lage, unter der die Reformpolitik der neuen Mitte-Rechts-Regierung von Mirek Topolanek litt. Reformen wurden nur zögerlich durchgesetzt und nicht ausreichend in den Medien popularisiert. Während das Jahr 2007 noch im Zeichen der „Wiedergutmachung“ der noch von der sozialdemokratischen Regierung (vor allem im sozialen Bereich offenkundig aus populistischen Gründen) eingeführten Regeln, versuchte die Regierung im Jahr 2008 die ersten wirklichen Reformschritte durchzusetzen. Wegen der schwierigen Mehrheitsverhältnisse im Parlament wurde das Reformpaket als ein großes Gesetz „zur Stabilisierung der öffentlichen Haushalte“ (Nr. 261/2007 GBl.) verabschiedet. Das Gesetz als solches war starker Kritik ausgesetzt (im Grunde handelte es sich um die 1 Die Analyse gibt die persönliche Meinung der Autoren wieder und vertritt nicht unbedingt die Standpunkte der

Friedrich-Ebert-Stiftung.

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Änderung von Vorschriften aus mehr als vierzig Gebieten, es hatte zweiundfünfzig Teile und änderte somit zweiundfünfzig Gesetze) und wurde auch beim Verfassungsgericht angefochten. Zu den ersten Änderungen im System des tschechischen Gesundheitswesens, das in der gegenwärtigen Form langfristig nicht haltbar ist, gehörte die Einführung von sog. Regulierungs-gebühren im Gesundheitswesen. Sie sollten helfen, den übermäßigen Gebrauch medizinischer Pflege einzuschränken. Da nicht genügend Zeit zur Verfügung stand, wurden die Änderungen sehr schnell vorbereitet, enthielten leider einige wesentliche Fehler und zudem waren das Gesundheits-ministerium und die Regierung nicht fähig, die Änderungen den Bürgern richtig zu vermitteln. Die Arzt- und Rezeptgebühren wurden dann zum wichtigsten Thema im Wahlkampf zu den Bezirks- und Senatswahlen im Herbst 2008. Nach diesen Wahlen, in denen die Sozialdemokratie auf der gesamten Linie obsiegte, spitzte sich die politische Lage im Lande noch mehr zu. Der einzige Grund, weshalb noch keine vorgezogenen Neuwahlen einberufen wurden, war offensichtlich die EU-Ratspräsidentschaft der Tschechischen Republik im ersten Halbjahr 2009. Im Jahr 2008 wurde Tschechien somit nicht nur von der Weltfinanzkrise, sondern auch von einer innenpolitischen Krise getroffen, infolge derer die sozialen Reformen verlangsamten. In dieser Studie werden im ersten Teil zunächst einige wichtige Zahlen zur Entwicklung der Volkswirtschaft sowie der privaten Haushalte vorgestellt. Da der Bericht zum Jahr 20072 die wirtschaftliche Entwicklung der Tschechischen Republik relativ ausführlich behandelte und Daten über die Auswirkungen der Weltfinanzkrise auf die tschechische Wirtschaft noch nicht vorliegen, konzentriert sich diese Studie vor allem auf die Entwicklung im sozialen Bereich, wo wesentliche Veränderungen zu verzeichnen waren. Der zweite Teil der Studie ist somit umfangreicher und behandelt die einzelnen Bereiche der Sozialversicherung, Sozialleistungen, Sozialhilfe sowie Arbeitslosenunterstützung. Entwicklung der tschechischen Wirtschaft Wichtige makroökonomische Kennziffern für Tschechien3 Im Jahr 2008 kam es zu einem leichten Rückgang des Wirtschaftswachstums, was allgemein den Schwierigkeiten der Eurozone und weiterer entwickelter Länder infolge der Finanzkrise zuge-schrieben wird. Auch wenn die tschechische Wirtschaft immer noch ein Wachstum aufweist und der tschechische Finanzmarkt gesund ist, war die Finanzkrise insbesondere ab der zweiten Jahreshälfte auch in Tschechien zu spüren. Einige Betriebe in vor allem traditionellen Branchen, die schon lange Schwierigkeiten hatten, mussten den Betrieb einstellen (Glashütten, Textil-industrie). Nach Schätzungen der tschechischen Wirtschaftskammer wird die Finanzkrise die gesamte Wirtschaft treffen, dabei weiterhin besonders die Textil- und Glasindustrie, aber ebenso die Automobilindustrie und den Fremdenverkehr.4 Die beginnende Rezession wirkte sich daraufhin negativ auf die tschechische Exportwirtschaft aus und die privaten Haushalte begannen ihre Ausgaben einzuschränken. Dagegen hatte die immer stärker werdende Tschechische Krone positive Wirkungen für die Haushalte, auch wenn sie in den letzten Monaten wieder schwächer wurde. Infolge der Finanzkrise und weiterer Faktoren sank der Geschäftsklimaindex in der tschechischen Wirtschaft Ende 2008 auf den geringsten Stand seit neun Jahren. Der Geschäftsklimaindex insgesamt sank im Dezember um 8,9 Punkte gegenüber dem Vormonat und sogar um 27,3 Punkte gegenüber dem Vorjahresmonat. Laut Tschechischem Statistikamt sind diese Daten ein negativer Vorbote für die weitere Entwicklung der tschechischen Wirtschaft.

2 ZAMRAZILOVA, E., Wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung der Tschechischen Republik im Jahr 2007,

Praha, Friedrich-Ebert-Stiftung, 2007. 3 www.businessinfo.cz/cz/clanek/analyzy-statistiky/hlavni-makroekonomicke-ukazatele-cr/1000431/49089 4 Vgl. Erklärung der Wirtschaftskammer von Oktober 2008.

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Die Stimmung der Verbraucher wird vor allem von den Befürchtungen über den Ausgang der Krise bestimmt. Die Bevölkerung hat vor allem Angst vor Arbeitslosigkeit, die ihre finanzielle Lage verschlechtern würde. In einer Umfrage im Dezember 2008 gab die Mehrheit der Befragten an, für die nächsten 12 Monate eine Verschlechterung der gesamten Wirtschaftslage und auch ihrer persönlichen finanziellen Lage zu erwarten. In der Industrie verschlechterte sich die Bewertung der Geschäftslage, dazu war ein wesentlicher Rückgang der einheimischen sowie Auslandsaufträge zu verzeichnen. Die Industrie erwartet in den nächsten drei Monaten einen Rückgang der Produktion sowie Entlassungen. Der Geschäftsklimaindex in der Industrie sank im Dezember gegenüber dem November um 13 Punkte auf den geringsten Stand seit März 1999, gegenüber dem Vorjahr ist dies ein Rückgang um 43 Punkte. Nach den gegenwärtigen Informationen ist für die Zukunft zu erwarten, dass die zurückhaltende Verbrauchernachfrage auch die Erwartungen des Handels weiter verschlechtern wird. Die Einschätzung der Geschäftslage verschlechterte sich auch in ausgewählten Dienstleistungs-branchen, hier gab es einen Rückgang um 21 Punkte gegenüber dem Vorjahr.5 Die makroökonomischen Kennziffern in der folgenden Tabelle zeigen noch die erfolgreiche Entwicklung der vergangenen Jahre bis 2007. Ausgewählte volkswirtschaftliche Kennziffern Kennziffer Einheit 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 BIP Mrd. CZK, LP 2 189,2 2 352,2 2 464,4 2 577,1 2 814,8 2 983,9 3 215,6 3 551,4 (Vorjahr = 100) %, KP 103,6 102,5 101,9 103,6 104,5 106,3 106,8 106,6 BIP je Einwohner Kaufkraft-Einheiten 13 036 13 891 14 419 15 215 16 257 17 133 18 412 20 286 Ausgaben zum Endverbrauch der priv. Haushalte

Mrd. CZK, LP 1 134,7 1 206,9 1 248,1 1 317,4 1 399,2 1 442,7 1 543,0 1 680,3

(Vorjahr = 100) %, KP 101,3 102,3 102,2 106,0 102,9 102,5 105,4 108,9 Bruttoersparnisse %, KP 542,4 570,4 553,3 532,2 620,0 714,2 780,8 910,5 Bruttosparquote % 25,2 24,9 23,4 21,6 23,3 25,2 26,0 27,3 Investitionsrate % 28,0 28,0 27,5 26,7 25,8 24,9 24,6 24,1 LP = laufende Preise KP = konstante Preise

Im ersten Quartal 2008 betrug das Wirtschaftswachstum (in konstanten Preisen) 5,1 %, nach dem leichten Rückgang auf 4,6 % im zweiten Quartal betrug das Wirtschaftswachstum für das erste Halbjahr insgesamt 5,0 %. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2008 wurde die Wirtschaft von mehreren nationalen und äußeren Faktoren beeinflusst – einerseits ein geringerer Anstieg des Verbrauchs der privaten Haushalte (geringere Umsätze im Einzelhandel) und geringere Investitionen der Haushalte, andererseits gewann die tschechische Krone stark an Wert, was der Exportwirtschaft Schwierig-keiten bereitete, zudem begann die Rezession in der Eurozone und anderen großen Volkswirt-schaften und die Rohstoffpreise unterlagen starken Schwankungen (vor allem Erdöl). Nicht zu vernachlässigen war auch ein hoher Anstieg der Verbraucherpreise. Das tschechische Haushaltsdefizit entspricht dem europäischen Durchschnitt – siehe folgende Abbildung.

5 Bericht der Wirtschaftskammer, Dezember 2008.

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Abb. 1: Defizit des Staatshaushaltes im Jahr 2007 – europäischer Vergleich

Einnahmen und Ausgaben der tschechischen privaten Haushalte6 Die finanzielle Lage der tschechischen privaten Haushalte hängt eng mit der Wirtschaftslage insgesamt zusammen. Die privaten Haushalte haben auf die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung, auf die Reformen und den erwarteten Rückgang der Sozialleistungen noch früher reagiert als die tschechische Wirtschaft als solche. Während die oben angeführten volkswirtschaftlichen Zahlen noch keinen Wirtschaftsabschwung andeuten, kam die kam die wirtschaftliche Stagnation bei den Einnahmen und Ausgaben der privaten Haushalte schon deutlich zum Tragen. Die Entwicklung der Nettorealeinkommen der Haushalte von Angestellten (alle Haushalte einschließlich der Kinder) wurde durch die steigenden Einkünfte aus der Arbeit infolge der im Rahmen Haushaltsreform geänderten Einkommensteuer positiv beeinflusst. Die Lage von Geringverdienern (mit Kindern) in der Kategorie „geringste Einkommen“ verschlechterte sich jedoch aufgrund der verschärften Bedingungen für die Auszahlung verschiedener Sozial-leistungen, ebenfalls eine Folge des Reformpakets zur Gesundung der öffentlichen Haushalte. Der Arbeitslohn ist auch weiterhin der größte Teil der Einkünfte von Haushalten. Trotz eines nominalen Anstiegs von mehr als 9 % beim Durchschnittslohn stiegen die Reallöhne aufgrund der hohen Inflation nur um 1,9 %. Der durchschnittliche Bruttolohn erreichte einen Betrag von 22 840 CZK, die Kaufkraft steigerte sich somit zwischenjährlich um ca. 430 CZK. In der Privatwirtschaft stiegen die Reallöhne (nominal um 10,6 %, inflationsbereinigt um) 3,3 %, im öffentlichen Sektor sanken die Reallöhne um 3,7 % (bei einem nominellen Anstieg um 3,1 %). Teilweise nahm die Differenzierung der Löhne zu. Als wichtige Tatsache ist anzumerken, dass die Dynamik der Lohnentwicklung der Entwicklung der Arbeitsproduktivität entsprach. Somit führte sie zu keinem zusätzlichen Inflationsdruck und gefährdete auch nicht die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.

6 http://www.businessinfo.cz/cz/clanek/demograficke-a-socialni-udaje/mpsv-analyza-prijmy-domacnosti-1pol-

2008/1000451/50941/

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Trotz des absoluten Rückgangs (aufgrund der Haushaltsreform) machten auch weiterhin Sozial-leistungen einen beachtlichen Teil der Gesamteinkommen der Haushalte aus. Die seit Anfang 2008 geltenden Änderungen (u. a. geringere Einkommensgrenze zur Auszahlung des Kinder-geldes und der Sozialbeihilfe, differenzierte Auszahlung des Erziehungsgeldes, geringere Geburtsbeihilfe, Änderungen bei der Auszahlung des Krankengeldes) trugen zur Entlastung des Staatshaushaltes bei, wie aus den folgenden Grafiken hervorgeht: Abb. 2 Entwicklung der Ausgaben für staatliche Sozialleistungen (in Mrd. CZK)

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Abb. 3 Ausgaben für Krankengeld

Abb. 4 Saldo des Rentensystems in % BIP vor und nach Inkrafttreten der Änderungen (Gesetz Nr. 306/2008 GBl.)

Quelle von Abb. 2 – 4: Präsentation des Ministeriums für Arbeit und soziale Angelegenheiten, http://www.mpsv.cz/cs/5948

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Die Ausgaben des Staates wurden auch durch die geringe Arbeitslosigkeit (5,6 %) günstig beeinflusst, da dadurch weniger Arbeitslosenunterstützung ausgezahlt werden musste. Der hohe Preisanstieg (und damit verbundene Anstieg der Lebenshaltungskosten) um 7,1 % wurde zum großen Teil durch staatliche Eingriffe verursacht – Lockerung der Mietpreisbindung, Erhöhung der staatlich begrenzten Preise von Strom und Gas, Erhöhung der Mehrwertsteuer bei Grundnahrungsmitteln von 5 auf 9 %, Einführung der Gebühren im Gesundheitswesen. Der von den allgemeinen Preisen verursachte Preisanstieg kam im Laufe des Jahres schrittweise vor allem bei Kraftstoffen und (teilweise auch) Lebensmitteln zum Tragen. Als Reaktion auf die Preisentwicklung schränkten die Haushalte schon seit Anfang des Jahres ihren Verbrauch ein. Die realen Ausgaben der Haushalte sanken insgesamt um 4,7 %, dabei wurden vor allem Investitionen eingeschränkt (Kauf oder Bau von Liegenschaften). Obwohl die Haushalte schon mit mehr als 900 Milliarden Kronen verschuldet sind, besteht gegen-wärtig laut durchgeführten Analysen noch keine Gefahr einer allgemeinen Überschuldung der Haushalte, da die Ersparnisse immer noch die Kredite überwiegen. Der Überschuss der Spar-einlagen sinkt jedoch stark (vor zehn Jahren betrug die Höhe der Privatkredite noch 8 % der Spareinlagen, jetzt sind es schon mehr als 60 %). Ein Teil der Haushalte ließ sich weder von der hohen Inflation noch von niedrigen Zinssätzen davon abhalten, einen Teil der Einnahmen zu sparen. Auch im Jahr 2008 stiegen die Investitionen in tschechischen Banken (Spareinlagen), Liegenschaften oder alternativen Sparformen. Obwohl die Sparzinsen nicht die hohe Preisinflation ausglichen, sparten die Haushalte einen ähnlichen Betrag wie im Vorjahr, aufgrund der steigenden Einkommen war die Sparquote jedoch etwas geringer. Die starke Aufwertung der Krone gegenüber dem Euro und Dollar führte im ersten Halbjahr dazu, dass sämtliche Zuwächse bei den Spareinlagen aus Tschechischen Kronen bestanden. Bei alternativen Sparformen war der größte Zuwachs bei der Rentenzusatzversicherung zu verzeichnen, etwas weniger bei Lebensversicherungen und beim Bausparen, in Anteilfonds wurden leicht geringere Summen als im Vorjahr investiert.

Entwicklung des Systems der sozialen Sicherheit Wie schon oben angedeutet, will sich diese Studie im zweiten Teil eingehender mit der jüngsten sozialen Entwicklung in Tschechien befassen. Dabei werden einige Grundprinzipien der schon verabschiedeten oder noch geplanten Reformen vorgestellt. Die Reformen führten zu wesentlichen Veränderungen aller Teile des Systems der sozialen Sicherheit sowie auch der Beschäftigungspolitik. Erwähnt werden sollte auch, dass die Tschechische Republik mit ihren Sozialausgaben zum europäischen Durchschnitt gehört. Das zeigen auch die folgenden Abbildungen.

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Abb. 5: Ausgaben für soziale Sicherheit und Gesundheitswesen

Abb. 6: Gesamte Ausgaben für das System der sozialen Sicherheit

Quelle: Eurostat

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Die gegenwärtige Regierung versucht die Sozialausgaben zu kürzen und das System der sozialen Sicherheit insgesamt effizienter zu gestalten. Im Folgenden sollen die Änderungen in den einzelnen Bestandteilen des sozialen Systems erläutert werden. I. Rentenversicherung Die Rentenversicherung in der Tschechischen Republik ist umlagenfinanziert. Für die Zukunft sind weitere Änderungen in einzelnen Parametern geplant, eine grundlegende Rentenreform wurde jedoch noch nicht verabschiedet, da dazu kein parteienübergreifender Konsens erzielt werden konnte.7 Erst im Jahr 2008 traten einige Veränderungen in Kraft, die die Rentenreform einleiten oder zumindest vorbereiten sollen. Hinsichtlich der Auswirkungen auf die Bevölkerung können die Veränderungen in zwei Gruppen eingeteilt werden. Einerseits werden schon bestehende Regelungen präzisiert, andererseits werden einige Elemente der Rentenversicherung grundlegend verändert. In der ersten Kategorie (Systemverbesserung) kann z. B. die Präzisierung und Erweiterung des Kreises der versicherten Personen8 (einschließlich selbstständig Erwerbstätiger) genannt werden, ebenso wie eine Präzi-sierung der Karenzzeit, der Anrechnungsgrenze,9 eine Änderung der Regelung zur Zustellung von Bescheiden sowie die Verlängerung der Zeit, in der der Anspruch auf Leistungen erlischt bzw. Leistungen zurückgezahlt werden müssen. Grundlegende Veränderungen, die das bisherige Rentenversicherungssystem radikal ändern oder neue Elemente einführen, sind hingegen die Einführung von Beitragsbemessungsgrenzen für Arbeitnehmer (damit wurden die Arbeitnehmer den selbstständig Erwerbstätigen gleichgestellt),10 die Anhebung des Rentenalters auf 65 Jahre, neue Regeln für den Zusammenlauf von Erwerbs-tätigkeit und gleichzeitiger Auszahlung der Altersrente, Neudefinitionen für Invalidität oder die Schaffung eines besonderen Rückstellungskontos im Staatshaushalt für die Rentenreform. Die Anhebung des Rentenalters kann als tatsächliche Reformmaßnahme bezeichnet werden, die zudem im umlagenfinanzierten System längst überfällig war. Das Rentenalter wurde zwar schon in der bisherigen Regelung angehoben, die neue Regelung beschleunigt dies jedoch. Auch jetzt gibt es jedoch immer noch Unterschiede beim Rentenalter zwischen Männern und Frauen, die Kinder erzogen haben. Dies verstößt gegen die Anforderungen des europäischen Rechts zur Gleich-behandlung von Männern und Frauen im System der Sozialversicherung und wurde – wenn auch erfolglos – beim Verfassungsgericht angefochten.11 Dennoch ist die Anhebung des Rentenalters auf grundsätzlich 65 Jahre als ein Schritt in die richtige Richtung zu bezeichnen. Die Erhöhung des Rentenalters wird von einer Änderung bei der Vorruhestandsregelung begleitet. Versicherte, bei denen die Bedingung der Mindestbeitragszeit erfüllt ist und deren Rentenalter niedriger als 63 Jahre ist, können auch weiterhin frühestens drei Jahre vor Erreichen des Rentenalters in den Vorruhestand gehen. Derjenige, dessen Rentenalter 63 Jahre und mehr beträgt (Folge der schrittweisen Erhöhung des Rentenalters), erwirbt Anspruch auf Frührente

7 Den vorerst letzten Versuch gab es im Jahr 2005, als ein Team von Ökonomen und Versicherungsmathematikern

beauftragt wurde, die finanziellen Auswirkungen für die verschiedenen von den einzelnen Parteien vorgeschlagenen Modelle der Rentenreform zu berechnen. Letztendlich wurde jedoch keine einzige Variante umgesetzt. Vgl. dazu www.mpsv.cz/cs/2228 (Tschechisch).

8 Einige Personen sind neu in der Rentenversicherung pflichtversichert, nicht jedoch in der Krankengeldversicherung (Gesellschafter in juristischen Personen, Geschäftsführer, Kommanditisten und Mitglieder von Genossenschaften).

9 Bei Altersrenten, die ab dem Jahr 2009 bemessen werden, wird die Anrechnung des Arbeitsverdienstes wie folgt geändert: bis zu einem Betrag von 10 500 CZK werden 100 % angerechnet, vom Betrag über 10 000 bis 27 000 CZK werden 30 % angerechnet, vom 27 000 CZK überschreitenden Betrag werden nur noch 10 % angerechnet.

10 Die Beitragsbemessungsgrenze beträgt für das Jahr 2008 1 034 880 CZK, für das Jahr 2009 1 130 640 CZK. Über diesen Betrag hinaus können nur freiwillig gezahlte Rentenbeiträge angerechnet werden.

11 Vgl. Befund des Verfassungsgerichts Pl. US 53/04.

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frühestens mit Vollendung des 60. Lebensjahres (d. h. mit Anstieg des Rentenalters auf 65 Jahre kann bis zu fünf Jahre vorher Frührente beantragt werden). Die prozentuelle Minderung der Altersrente hängt vom Zeitpunkt ab, an dem der Versicherte in Vorruhestand gegangen ist. Durch eine Novelle der Haushaltsregeln wurde ein besonderes Rückstellungskonto im Staatshaushalt für die Rentenreform geschaffen. In dieses Konto gelangen Dividendenerträge, Erlöse aus dem Verkauf von Staatseigentum und ferner kann in sichere Schuldverschreibungen investiert werden.12 Im Rahmen der konzeptionellen Veränderungen im System der Rentenversicherung wurde auch der Begriff der Invalidität neu abgegrenzt. Anstelle der früheren Behindertenrente und Teil-behindertenrente wurde ein dreistufiges Modell von Leistungen bei Behinderung eingeführt. Anspruch auf vorläufige Witwen-/Witwerrente besteht wie früher für ein Jahr nach dem Tod des Partners. Für eine weitere Auszahlung ist nicht mehr das Erreichen des Alters von 55 Jahren (Frauen) bzw. 58 Jahre (Männer) ausschlaggebend, in Zukunft muss der hinterbliebene Partner höchstens in vier Jahren sein Rentenalter erreichen, um weiterhin Witwen-/Witwerrente zu erhalten. Die verabschiedeten Änderungen in der Rentenversicherung versuchen auf die allgemeine Alterung der Bevölkerung zu reagieren. Nach demographischen Untersuchungen wird dieses Problem in der Tschechischen Republik bald immer größere Ausmaße einnehmen. Die bisherigen Veränderungen schaffen den Boden für eine sog. parametrische Rentenreform, d. h. verändert werden weder das grundlegende Modell noch die Finanzierung, sondern nur einzelne Parameter. Somit soll auf die gegenwärtige und erwartete Entwicklung reagiert werden. Erste Instrumente dazu sind die schon erwähnte Anhebung des Rentenalters sowie neue Bedingungen zum Anspruch auf Vorruhestand. Zusätzlich werden die Versicherten finanziell angeregt, auch nach Eintreten des Rentenalters noch erwerbstätig zu bleiben. Neben diesen größeren Änderungen werden einige weitere Aspekte der Rentenversicherung an die geltende Rechtsprechung bzw. nach Erfahrungen aus der Praxis angepasst. II. Krankengeld Für das Krankengeld gibt zusammen mit einigen anderen Sozialleistungen ein eigenes Versicherungssystem. Das zugrunde liegende Gesetz stammt aus dem Jahr 1956, wurde viele Male novelliert, eine ganz neue Vorschrift fehlte jedoch. Die bisherige Regelung konnte leicht missbraucht werden, wovon auch ausgiebig Gebrauch gemacht wurde. Tschechien hatte dadurch mit den höchsten Krankenstand in Europa. Da der Arbeitgeber keinen Anteil am Krankengeld bezahlte, wurden mit einem „Krankenschein“ oft Absatzschwierigkeiten der Unternehmer überbrückt, die Arbeitnehmer wiederum nutzten oft die Möglichkeit, ein paar Tage frei zu bekommen, ohne Urlaub zu nehmen. Gerade in den geringeren Lohngruppen war das Kranken-geld fast so hoch wie der frühere Nettolohn. Deshalb sollte ein neues Gesetz geschaffen werden, um diese Probleme zu beseitigen und ein modernes, effizientes System einführen, dass den heutigen Bedürfnissen entsprechen sollte. Das Gesetz Nr. 187/2006 GBl., Gesetz über die Krankengeldversicherung, trat am 1. Januar 2009 in Kraft. Mit diesem Gesetz wurde vor allem die rechtliche Regelung für Angestellte und selbst-ständig Erwerbstätige und weitere Personengruppen, die früher eine eigene Regelung hatten (Polizeiangehörige, Feuerwehrleute, Mitarbeiter der Zollverwaltung, des Haftvollzugsdienstes, des

12 Nach den optimistischen Schätzungen der Regierung sollten im Jahr 2010 auf diesem besonderen

Rückstellungskonto bis zu 40 Mrd. CZK zur Verfügung stehen. Siehe dazu die Veröffentlichung des Ministeriums für Arbeit und soziale Angelegenheiten „2 Jahre Sozialreformen 2007 – 2008“, www.mpsv.cz/cs/5944 (Tschechisch).

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Nachrichtendienstes), vereinheitlicht. Arbeitnehmer sind auch weiterhin obligatorisch versichert, während diese Versicherung für selbstständig Erwerbstätige freiwillig ist. Eine der wichtigsten Veränderungen ist die Verschiebung des Beginns für die Auszahlung von Krankengeld auf den 15. Tag der Erwerbsunfähigkeit. In den ersten 14 Tagen der Erwerbs-unfähigkeit oder Quarantäne wird der Arbeitnehmer durch Lohnfortzahlung von seinem Arbeit-geber abgesichert.13 Die Lohnfortzahlung steht nur für die Tage zu, an denen der Arbeitnehmer arbeiten würde und für Feiertage, bei denen Anspruch auf Lohnfortzahlung an Feiertagen besteht. Durch diese neue Regelung soll ein Missbrauch des Systems verhindert werden. Es wird davon ausgegangen, dass die Arbeitgeber sicher ausreichend kontrollieren werden, ob ihr Arbeitnehmer wirklich krank ist, wenn sie die Lohnfortzahlung auszahlen müssen. Als Kompensation für diese Leistungen des Arbeitgebers wurde der Beitragsanteil des Arbeitgebers gekürzt. Einen Versuch, den Missbrauch der alten Regelung einzuschränken, gab es schon im Jahr 2008. Zusammen mit Änderungen des Arbeitsgesetzbuchs wurde eine dreitägige Karenzfrist eingeführt, während derer der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Krankengeld hatte. Die Regelung war jedoch übereilt vorbereitet und nicht ausreichend ausgeführt, weshalb sie vom Verfassungsgericht zurückgewiesen wurde.14,15 Eine weitere Leistung der Krankengeldversicherung ist die so genannte Mutterschaftsbeihilfe. Neu ist auch der Kindesvater oder Gatte der Mutter berechtigt diese Leistung zu empfangen, sofern er mit der Mutter eine schriftliche Vereinbarung geschlossen hat, dass er das Kind betreuen wird – immer jedoch frühestens nach der Geburt des Kindes. Diese Regelung soll die Gleichstellung von Männern und Frauen in der Krankengeldversicherung fördern und auch den Weg für einige Vaterschaftsbeihilfen (analog zu Mutterschaftsbeihilfen) ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass sich die Eltern eines hilfsbedürftigen Kindes bei dessen Pflege abwechseln können und dann jeweils Anspruch auf Pflegegeld haben. Das Pflegegeld hat die frühere Beihilfe für die Pflege eines Familienmitglieds abgelöst. Für das Jahr 2009 plant die Regierung auch weitere Änderungen im sozialen Bereich, diese betreffen vor allem die Gleichstellung von Männern und Frauen. In absehbarer Zeit sollte somit ein sog. Vatergeld als Leistung der Krankengeldversicherung eingeführt werden, Ab dem 1. 1. 2009 wird die Krankengeldversicherung von den Kreisverwaltungen für soziale Sicherheit verwaltet. Der Arbeitgeber ist nur noch für die Anzeige und Registrierung der Versicher-ten verantwortlich, bei der Auszahlung muss er sich nicht mehr aktiv beteiligen. Wie schon oben

13 Lohnfortzahlung steht nur Arbeitnehmern zu, die in der Krankengeldversicherung versichert sind. Ausgeschlossen

sind kurzfristige oder geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. Der Anspruch besteht nur während der Dauer des Arbeitsverhältnisses. Des Weiteren muss der Arbeitnehmer krankgeschrieben werden oder ihm muss Quarantäne angeordnet worden sein. Der Arbeitnehmer muss gleichfalls die allgemeinen Bedingungen für den Anspruch auf Krankengeld erfüllen.

14 Vgl. Befund des Verfassungsgerichts Pl. US 2/08. 15 Hier entsteht die berechtigte Frage, ob die Regelung der Karenzzeit nach § 193 Arbeitsgesetzbuch nicht das gleiche

Schicksal ereilen wird wie die Karenzzeit bei der Krankengeldversicherung. Aus der jüngsten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes kann kein eindeutiger Schluss in diesem Sinne gezogen werden. Nach Ausgabe des schon erwähnten Befundes des Verfassungsgerichts vom 23. April 2008 entschied nämlich dasselbe Gericht am 20. Mai 2008 überraschend, dass die Einführung von Regulierungsgebühren im Bereich der medizinischen Versorgung im Einklang mit der Verfassung stehe. Dabei war sich das Verfassungsgericht der Ähnlichkeit beider Sachverhalte bewusst, da es bei der Aufhebung der Karenzzeit auch die Tatsache berücksichtigte, dass kranke Arbeitnehmer auch nicht in dieser Karenzzeit von der Zahlung der Regulierungsgebühren befreit waren (Punkt 63 des Befundes vom 23. April 2008). Gehen wir jedoch vom Wortlaut der Charta der Menschenrechte und Grundfreiheiten aus (die in Tschechien Teil der Verfassung ist), so scheint die Bezahlung der Regulierungsgebühren noch weniger verfassungskonform zu sein. Art. 31 der Charta der Menschenrechte und Grundfreiheiten (die in Tschechien Teil der Verfassung ist) bestimmt ausdrücklich, dass die Bürger das Recht auf unentgeltliche medizinische Versorgung haben, während die Charta der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Falle der Krankengeldversicherung nur eine angemessene materielle Absicherung bei Arbeitsunfähigkeit garantiert. Näher dazu siehe Stefko, M.: Karencni doba v. regulacni poplatky {Karenzzeit vs. Regulierungsgebühren}, Pravo pro zdravotnictvi, 2009, Nr. 1 (Tschechisch).

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gesagt, wird der Satz für die Krankengeldversicherung verringert, von 4,4 % im Jahr 2008 auf 3,3 % im Jahr 2009 und schließlich auf 2,4 % ab dem 1. 1. 2010. Die neue Regelung der Lohnfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers kann als unsystematisch und nicht vollkommen bezeichnet werden. Geringfügige Arbeitsverhältnisse sind von der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle ausgeschlossen, was im Widerspruch zum Gemein-schaftsrecht stehen dürfte. Nicht ausreichend begründet ist auch die Einschränkung der Lohn-fortzahlung während der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, vor allem jedoch die Einführung der Karenzzeit. Die Menschenrechtscharta (in der Tschechischen Republik ein Teil der Verfas-sung) garantiert für Arbeitnehmer das Recht auf angemessene materielle Absicherung bei Erwerbsunfähigkeit (Art. 30 Abs. 1). Mit Bezug auf die jüngste Rechtsprechung des Verfassungs-gerichts (Befund Pl. US 2/08 – Nr. 166/2008 GBl. und Befund Pl. US 24/07 – Nr. 88/2008 GBl.) kann nicht eindeutig der Schluss gezogen werden, dass die Nichtauszahlung der Lohnfortzahlung in einer bestimmten Zeit der Arbeitsunfähigkeit verfassungswidrig ist. Völlig unzureichend ist auch die Regelung der Kontrollrechte des Arbeitgebers. In diesem Falle entledigt sich der Staat eigentlich nur seiner Verantwortung für das bislang ineffiziente System der Kontrolle, ob die vom Arzt verordnete Behandlung des/der Kranken eingehalten wird.

III. Krankenversicherung Die Krankenversicherung (in Tschechien „Gesundheitsversicherung“ genannt) ist auch eine Versicherung für den Krankheitsfall, sie regelt jedoch die Begleichung der Kosten für die medizinische Behandlung und die entsprechenden Medikamente. Das jetzt bestehende System der Krankenversicherung wurde Anfang der 90er Jahre eingeführt und ist somit damit der jüngste Teil des Systems der sozialen Sicherheit. Während seines Bestehens wurde es nur geringfügig verändert. Aus der Praxis erklingen immer öfter Rufe nach einer grundlegenden Reform des Gesundheitswesens, das mit nicht geringen finanziellen, aber auch bürokratischen Problemen zu kämpfen hat. Der erste Teil der Gesundheitsreform wurde schon eingeleitet, indem vier Gesetze novelliert wurden. Alle Änderungen wurden Teil der Regierungsvorlage des großen Gesetzes „zur Stabilisierung der öffentlichen Haushalte“ (Nr. 261/2007 GBl.). Am dem 1. Januar 2008 wurden somit vier so genannte Regulierungsgebühren16 eingeführt: • 30 CZK Praxisgebühr, • 30 CZK für die Ausgabe jedes auf einem Rezept verschriebenen Medikamentes,17 • 90 CZK für die Inanspruchnahme eines Bereitschaftsdiensts, • 60 CZK für jeden Tag eines Krankenhausaufenthalts. Eine Befreiung von der Bezahlung ist nur in sehr eingeschränktem Umfange vorgesehen, was für heftigen Streit zwischen Regierung und Opposition sorgte. Eine Novellierung des Gesetzes über die öffentliche Krankenversicherung brachte die Einführung einer sog. Schutzgrenze in Höhe von 5 000 CZK pro Jahr, durch die Versicherte vor einer übermäßigen Belastung durch Rezept-gebühren und die anderen neu eingeführten Gebühren geschützt werden sollen. Alle drei Monate kann der Versicherte eine Rückerstattung der im gegebenen Jahr über die Summe von 5 000 CZK gezahlten Gebühren beantragen. Seine Krankenversicherung erstattet ihm dann den Betrag binnen sechzig Tagen zurück. Aktuell wird im Parlament unter anderem über einen Antrag debattiert, die Regulierungsgebühren ganz abzuschaffen.

16 Sämtliche genannten Gebühren betreffen nur solche medizinischen Leistungen, die ganz oder teilweise aus der

öffentlichen Krankenversicherung erstattet werden. 17 Die Gebühr von 30 Kronen bezieht sich auf jedes einzelne Medikament. Auf einem Rezept können höchstens zwei

Medikamente verschrieben werden.

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Für eine Beurteilung des Einflusses der Regulierungsgebühren ist es noch zu früh. Schon jetzt wird es jedoch offensichtlich, dass der übermäßige Gebrauch der medizinischen Pflege wirksam eingedämmt wurde. Nach Angaben des Ministeriums für Gesundheitswesen sind in den ersten sechs Monaten, in denen die neue Regelung gilt, 2,6 Milliarden Kronen an Gebühren einge-nommen worden und zusätzlich wurden im System 3,4 Milliarden Kronen eingespart.18 Andererseits ist die Einführung der Regulierungsgebühren auch einer der Gründe für die immer weiter sinkende Popularität der Regierungsparteien. Ab dem 1. Januar 2008 änderte sich auch die Regelung, wie Preise und Vergütungen für Arznei-mittel festgelegt werden. Über den Patientenanteil wird das Staatliche Institut für Arzneimittel-kontrolle in einem Verwaltungsverfahren entscheiden. Seine Entscheidungen können im Rahmen des Verwaltungsrechts gerichtlich überprüft werden.19 Das Ministerium für Gesundheitswesen ist neuerdings gemäß § 10 des Gesetzes über staatlich festgelegte Preise (Nr. 526/1990 GBl.) berechtigt einen Preiserlass herauszugeben, in dem die Geschäftsmarge der Apotheken geregelt wird.20 Eine weitere Änderung besteht darin, dass der Apotheker ein verschriebenes Medikament gegen eine kostengünstigere Variante austauschen kann. Sofern der behandelnde Arzt auf einem bestimmten, wenn auch teureren Medikament besteht, muss er dies auf dem Rezept vermerken. Die neue Regelung der Preise und Patientenanteile für Medikament ist transparenter und sachlicher als früher. Die Entscheidung fällt aufgrund von messbaren Angaben, es werden Grundlagen der Arzneimittelökonomie genutzt und Entscheidungen des Staatlichen Instituts für Arzneimittelkontrolle können gerichtlich überprüft werden. IV. Beschäftigungspolitik Die rechtliche Regelung der Beschäftigungspolitik befindet sich in der Tschechischen Republik außerhalb des Bereichs der sozialen Sicherheit, da sie eher mit dem Arbeitsrecht in Verbindung gebracht wird. Für ein solches Vorgehen spricht auch die Tatsache, dass die nach dem Beschäftigungsgesetz im Falle der Arbeitslosigkeit ausgezahlten Leistungen keine Leistungen der Sozialversicherung wie in anderen Ländern sind. In den letzten Monaten traten in der staatlichen Beschäftigungspolitik auch wesentliche Veränderungen ein, dies betrifft vor allem den Bereich der Beschäftigung von Ausländern. Mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 wurde eine neue Art von Aufenthaltsgenehmigungen eingeführt – die so genannte Green Card.21 Diese Berechtigung umfasst sowohl eine Aufenthalts-genehmigung als auch die Arbeitserlaubnis. Green Cards werden vom Ministerium des Innern vergeben. Das Ministerium kann die Ausgabe solchen Ausländern verweigern, die ein politisches, Sicherheits- oder Gesundheitsrisiko darstellen könnten. Mit seiner Bekanntmachung Nr. 461/2008 GBl. hat das Ministerium des Innern eine Liste von Ländern veröffentlicht, deren Bürger die

18 Siehe Presseerklärung des Ministeriums für Gesundheitswesen vom 11. 9. 2008,

www.mzd.cz/Pages/621-fakta-o-regulacnich-poplatcich-a-jejich-dopadech.html (Tschechisch). 19 Auf diese Weise wurden auch die Schlüsse aus dem unter Nr. 57/2007 GBl. veröffentlichten Befund des

Verfassungsgerichts umgesetzt. 20 Solche Entscheidungen wurden im Ministerium für Gesundheitswesen im Jahr 2008 vor allem deshalb erlassen, um

den Anstieg der Mehrwertsteuer (bei Arzneimitteln von 5 % auf 9 %) und die damit verbundenen höheren Kosten für Patienten sowie für die öffentliche Krankenversicherung zumindest teilweise zu kompensieren.

21 Als Arbeitsplatz, der vom Inhaber einer Green Card besetzt werden kann, gilt folgender Arbeitsplatz: a) der nicht binnen 30 Tagen ab seiner Meldung beim Arbeitsamt besetzt wurde, ausgenommen Arbeitsplätze von Beamten der Gebietskörperschaften und Arbeitsplätze von Angestellten, die in Verwaltungsbehörden die staatliche Verwaltung ausüben oder b) den das Ministerium für Industrie und Handel im zentralen Register der freien Arbeitsplätze als einen für besonders wichtiges Personal geeigneten gekennzeichnet hat. Die Veröffentlichung eines freien Arbeitsplatzes, der vom Inhaber einer Green Card besetzt werden kann, im zentralen Register der freien Arbeitsplätze bedarf der Zustimmung des Arbeitgebers.

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Ausgabe einer Green Card beantragen können.22 Sofern ein ausländischer Arbeiter mit einer Green Card seine Arbeit verliert, hat er keinen Anspruch auf Sozialleistungen und Arbeitslosen-unterstützung und muss binnen zwei Monaten eine neue Arbeit gemäß den Angaben in seiner Green Card finden, andernfalls verliert er sein Aufenthaltsrecht und muss das Gebiet der Tschechischen Republik verlassen. Das früher eingeführte System von Arbeitserlaubnissen besteht auch weiterhin. Im „gewöhnlichen“ Verfahren zur Erteilung einer Arbeitserlaubnis entfällt jedoch die Notwendigkeit einer Erlaubnis zur Anwerbung von Angestellten aus dem Ausland (dies war eine Vorbedingung zur Erteilung einer Arbeitserlaubnis). Die Einführung der Green Cards könnte sicher zur Öffnung des Arbeitsmarktes und der Deckung der hohen Nachfrage nach vor allem unqualifizierten Arbeitskräften beitragen. Angesichts der aktuellen Lage der tschechischen Wirtschaft ist jedoch anzumerken, dass diese Regelung zu spät gekommen ist und gegenwärtig wird sie auch nur von sehr wenigen Arbeitgebern genutzt. Eine weitere Änderung im Bereich der Beschäftigungspolitik ist die seit dem 1. 1. 2009 geltende Regelung der Arbeitslosenunterstützung und der sog. Förderzeit. In den ersten 2 Monaten der Arbeitslosigkeit beträgt die Arbeitslosenunterstützung 65 % des durchschnittlichen Nettoverdiens-tes der früheren Beschäftigung, im dritten und vierten Monat 50 % und im Rest der Förderzeit 45 % des früheren Nettoverdienstes. Die so genannte Förderzeit wird für alle Gruppen um einen Monat gekürzt (bis zum Alter von 50 Jahren sind es fünf Monate, im Alter von 50 – 55 Jahren acht Monate und im Alter über 55 Jahre elf Monate). Seinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung verliert, wer als Arbeitssuchender in den letzten sechs Monaten vor seiner Registrierung als Arbeitssuchender eine im vom Arbeitsamt vermittelte geeignete Beschäftigung wiederholt, d. h. mindestens zweimal ohne schwerwiegende Gründe selbst beendet hat. Sofern der Arbeitssuchender ununterbrochen länger als fünf Monate als arbeitslos registriert ist, ist das Arbeitsamt jetzt verpflichtet, unter Mitwirkung des Betroffenen einen sog. individuellen Aktions-plan zu erstellen. Darin werden vor allem das Vorgehen und ein Zeitplan zur Erfüllung einzelner Maßnahmen, die zu einer Verbesserung seiner Chancen am Arbeitsmarkt führen sollen, geregelt.23 Ferner werden die Regeln für eine sog. Teilbeschäftigung konkretisiert,24 ein weiterer Grund für die Streichung aus dem Register der Arbeitssuchenden wird eingeführt25 und schließlich wird Schwarzarbeit schärfer geahndet.26 V. Staatliche Sozialunterstützung Die staatliche Sozialunterstützung wurde 1995 als ein System von Sozialleistungen für Familien eingeführt. In den letzten Jahren wurde dieses System jedoch zu einem zentralen Gegenstand des politischen Machtkampfes, infolgedessen mehrere unsystematische Änderungen durchgesetzt wurden, die in den Jahren 2007 und 2008 zumindest teilweise wieder abgeschafft wurden.

22 Australien, Montenegro, Kroatien, Japan, Kanada, Korea, Neuseeland, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien,

USA, Serbien, Ukraine. 23 Leistet der Arbeitssuchende ohne ernsthaften Grund keine Mitwirkung bei der Ausarbeitung des individuellen

Aktionsplans, seiner Aktualisierung oder Auswertung oder kommt er nicht den dort angeführten Bedingungen nach, so streicht das Arbeitsamt den Arbeitssuchenden aus dem Register der Arbeitssuchenden.

24 Die Anmeldung und Registrierung als Arbeitssuchender ermöglicht dennoch die Ausübung einer Tätigkeit aufgrund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses oder einer Vereinbarung über die Ausübung einer Arbeit oder einer Vereinbarung über Arbeitstätigkeit {geringfügige Beschäftigungsverhältnisse}, sofern das Monatsverdienst (die Vergütung) nicht die Hälfte des gesetzlichen Mindestlohnes überschreitet. Die Ausübung einer solchen Tätigkeit hat der Arbeitssuchende binnen 8 Kalendertagen ab Entstehen dieses Arbeits- oder Dienstverhältnisses bzw. ab Abschluss der Vereinbarung über die Ausübung einer Arbeit oder einer Vereinbarung über Arbeitstätigkeit beim Arbeitsamt anzuzeigen und in der vom Arbeitsamt festgelegten Frist die Höhe des Monatsverdienstes bzw. der Vergütung nachzuweisen.

25 Es handelt sich um die Ablehnung eines Angebotes des Arbeitsamtes zu einer Umschulung ohne ernsthaften Grund bei Arbeitssuchenden, die ununterbrochen länger als fünf Monate arbeitslos sind.

26 Wer Schwarzarbeit ermöglicht, kann eine Geldbuße von bis zu 5 Mio. CZK erhalten.

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Im Jahr 2008 wurden die Empfängergruppen bei verschiedenen Sozialleistungen eingeschränkt (Kindergeld, Sozialzuschlag, Bestattungsgeld), einige Leistungen wurden gekürzt (Bestattungs-geld), andere abgeschafft (Einschulungsgeld, Beihilfe für gesteigerte Lebenshaltungskosten). Insgesamt sanken die ausgezahlten Sozialleistungen im Zeitraum Januar – September 2008 gegenüber dem Vorjahr um 34,8 %, die gesamten Ausgaben des Staates im Zusammenhang mit der staatlichen Sozialhilfe sanken im gleichen Zeitraum um 4,44 Mrd. CZK, d. h. um 12 %. Eine der wichtigsten Veränderungen der letzten Zeit betrifft das Elterngeld {Erziehungsgeld}.27 Diese Leistung war ursprünglich als ein so genannter Soziallohn konzipiert, also eine Vergütung für den entgangenen Verdienst des Elternteils, das ganztägig ein Kind im Alter bis zu vier Jahren versorgt. Die Konzeption des Elterngeldes wurde mehrmals geändert, bis es schließlich eine weitere an die Eltern ausgezahlte Sozialleistung wurde. Empfangsberechtigt sind die Eltern auch dann, wenn sie die Versorgung des Kindes durch andere volljährige Person sicherstellen. Da es für diese Leistung keine Einkommensgrenze gibt, kann das Elternteil neben dem Elterngeld beliebig viel verdienen, ohne den Anspruch darauf zu verlieren. Im Jahr 2006 wurde das Elterngeld praktisch verdoppelt, was in Anbetracht der Bezugszeit (bis zu vier Jahre) und den freizügigen Bedingungen für die Entstehung des Anspruchs zu einer übermäßigen Belastung des Staates durch gesetzesbedingte Leistungen zur Folge hatte.28 Mit Wirkung ab dem 1. 1. 2008 wurde das Konzept des Elterngeldes so geändert, dass der Bezugskreis eingeengt wird und variabler auf die individuellen Bedürfnisse der Eltern reagiert werden kann. Das neu eingeführte System für das Elterngeld bietet drei verschiedene Bezugs-zeiten – zwei, drei oder vier Jahre und dem entsprechend verschiedene Beträge des Elterngeldes: 11 400 CZK, 7 600 CZK und 3 800 CZK. Bei behinderten Kindern besteht der Anspruch auch weiterhin bis zum siebenten Lebensjahr des Kindes in Höhe von 7 600 CZK. Eine weitere 2008 verabschiedete Änderung wird dazu führen, dass Eltern eines behinderten Kindes ab 2010 Elterngeld in Höhe von 3 000 CZK nach dem siebenten bis zum fünfzehnten Lebensjahr des Kindes beziehen werden (im Jahr 2009 bis zum zehnten Lebensjahr). Eine weitere einkommensunabhängige Leistung, die stark gekürzt wurde, ist die Geburtsbeihilfe. Im Jahr 2006 stieg die Geburtsbeihilfe bei Mehrlingsgeburten. Bei einem Kind betrug die Geburtsbeihilfe 17 760 CZK, bei Zwillingen schon 53 120 CZK und bei Drillingen 79 680 CZK. Diese Leistung soll zur Begleichung der Anfangskosten bei der Geburt des neuen Familien-mitglieds beitragen. Ab dem 1. 1. 2008 beträgt die Geburtsbeihilfe einen festen Betrag von 13 000 CZK für jedes Kind. Die Ausgaben des Staates für diese Leistung sanken daraufhin zwischen-jährlich um 293 Millionen CZK auf 1,27 Mrd. CZK (d. h. um 19 %). Das Kindergeld ist einkommensabhängig und wird ab dem 1. 1. 2008 in einer festen Höhe in Abhängigkeit nach dem Alter des Kindes gezahlt. Bis dahin gab es noch prozentuale Zuschläge bei besonderer Bedürftigkeit. Jetzt beträgt das Kindergeld 500 CZK monatlich bis zum Alter von 6 Jahren, im Alter von 6 – 15 Jahren 610 CZK, im Alter von 15 – 26 Jahren 700 CZK. Anspruch auf Kindergeld für unterhaltsberechtigte Kinder bis zum Alter von 26 Jahren haben Familien, deren Einkommen höchstens das 2,4-fache des Existenzminimums der Familie beträgt. Somit sanken auch die staatlichen Ausgaben für Kindergeld um 2,92 Mrd. CZK auf 5,01 Mrd. CZK (d. h. ein Rückgang um 36,8 %). Eine veränderte Konzeption gibt es auch im Falle des Bestattungsgeldes. Die Regierung argumen-tierte mit der Tatsache, dass eine solche Leistung in vielen europäischen Ländern überhaupt nicht vorgesehen ist, in Tschechien stand diese Leistung in fester Höhe jedoch jedem zu, der ein 27 Empfänger des Elterngeldes sind zu 98 % Frauen. In Anbetracht der internationalen Verpflichtungen Tschechiens

und seiner EU-Mitgliedschaft müssen deshalb solche Instrumente der Sozialpolitik eingeführt werden, die Väter zu einer stärkeren Beteiligung an der Erziehung ihrer Kinder motivieren und eine bessere Abstimmung von Familien-, Privat- und Berufsleben ermöglichen.

28 Zwischen 2006 und 2007 stiegen diese Ausgaben um das mehr als 2,5fache auf 31 Mrd. CZK, im Jahr 2010 wären sie um weitere 4 Mrd. CZK gestiegen.

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Begräbnis ausrichtete. Die neue Regelung schränkte den Kreis der Bezugsberechtigten wesentlich ein. Bestattungsgeld steht jetzt nur noch einer Person zu, die das Begräbnis eines unterhalts-berechtigten Kindes ausrichtet oder die ein Elterteil eines unterhaltsberechtigten Kindes war. Nach diesen Veränderungen sind die staatlichen Kosten für diese Leistung wesentlich gesunken, in diesem Falle sogar um 82,6 %. Die Änderungen im Bereich der staatlichen Sozialunterstützung sollten das System effizienter gestalten und die Kosten für den Staatshaushalt verringern. Gegenwärtig scheint es, dass diese Ziele erfüllt werden. Für ausführlichere Schlüsse und Auswertungen ist es jedoch noch zu früh. VI. Sozialhilfe Die Tschechische Republik wartete auf ein neues, modernes System der Sozialhilfe mehr als zehn Jahre. Die ursprüngliche Regelung erfuhr immer nur kosmetische Veränderungen, auch wenn die Praxis nach konzeptionellen Veränderungen verlangte. Vor allem sollte das System der sozialen Dienste auch gemeinnützigen nichtstaatlichen Organisationen geöffnet werden. Im Mai 2006 wurden Gesetze zur Einführung eines Systems der Hilfe in materieller Not sowie zur Einführung so genannter sozialer Dienste verabschiedet, die das völlig unzureichende und rechtlich ungenügend geregelte System ablösen sollten. Da die Vorschriften jedoch buchstäblich im letzten Moment vor den Wahlen durch das Parlament gelotst wurden, sind sie unausgereift und weisen verschiedene Mängel auf. Das System der Hilfe in materieller Not beruht auf folgendem Grundsatz: „Jedem, der arbeitet, muss es besser gehen als jemandem, der einer Arbeit ausweicht.“ Auch hier sind somit verschiedene Anreize enthalten, die zu einer aktiven Einstellung in der sozialen Notlage führen und die Situation vor allem durch Einkünfte aus eigener Arbeit verbessern soll. Die rechtliche Regelung enthält zugleich Instrumente zur Verhinderung eines Missbrauchs der Hilfe. In § 2 definiert das Gesetz, wer eine Person in materieller Not ist. Grundlegendes Kriterium sind ungenügende Einkünfte zur Absicherung der grundlegenden Lebensbedürfnisse (grundlegende Lebenshaltungskosten). Als Person in materieller Not wird auch eine Person betrachtet, deren Einkünfte zwar die grundlegenden Lebenshaltungskosten überschreiten, der jedoch infolge ihrer ungenügenden Einkünfte ein schwerwiegender Schaden für ihre Gesundheit droht. Das Gesetz ermöglicht weiter, dass die zuständige Behörde auch solche Personen als Personen in materieller Not anerkennt, die zwar Einkünfte über den grundlegenden Lebenshaltungskosten haben, jedoch in einer bestimmten sozialen Notlage sind (z. B. bei Verlust ihrer Papiere, um einmalig Ausgaben im Zusammenhang mit dem Schulbesuch ihrer Kinder entstandene Kosten zu begleichen u. Ä.). Das Gesetz über die Hilfe in materieller Not definiert drei verschiedene Leistungen: Existenzbeihilfe, Wohngeld und außerordentliche Soforthilfe. Der Kreis der Bezugsberechtigten wird für alle drei Leistungen in § 5 des Gesetzes Nr. 111/2006 GBl. festgelegt. Positiv können auch einige Motivationselemente gewertet werden, die bei den einzelnen Leistungen enthalten sind. So wird zum Beispiel bei der Festlegung der Höhe der Existenzbeihilfe das Bemühen gewertet, die Einkünfte durch eigene Arbeit, Veräußerung von Vermögen oder Durchsetzung von Ansprüchen und Forderungen zu steigern. Personen, die aus gesundheitlichen Gründen eine Diät einhalten müssen, und Arbeitssuchenden wird die Existenzbeihilfe erhöht. Der Hintergrund letzterer Regelung besteht darin, dass die Empfänger nach längerer Arbeitslosigkeit anfänglich Ausgaben im Zusammenhang mit der Arbeitsaufnahme haben können und somit positiv motiviert werden sollten, die Arbeit anzunehmen. Die Existenzbeihilfe kann auch dann erhöht werden, wenn sie zumindest teilweise nicht gezahlte Unterhaltsleistung ersetzen soll. Hier will der Gesetzgeber verhindern, dass Personen mit großen Schulden bei ihrer Unterhaltsverpflichtung oft keine legale Beschäftigung aufnehmen wollten, da sie eine Pfändung ihres Lohnes befürchteten. Die Existenzbeihilfe dient, wenn auch in sehr beschränktem Maße, zur Besserung dieser Situation.

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Das Wohngeld ist eine weitere Leistung der Hilfe in materieller Not für Personen, denen nach Bezahlung ihrer berechtigten Wohnkosten keine ausreichenden Einkünfte verbleiben. Damit werden die Einkünfte bis zu den grundlegenden Lebenshaltungskosten erhöht. Neben diesen regelmäßigen Leistungen kennt das System der Hilfe in materieller Not noch eine so genannte außerordentliche Soforthilfe. Diese Leistung kann einer Person zugesprochen werden, die von einem außerordentlich schwerwiegenden persönlichen Ereignis getroffen wurde und diese Notlage, auch wenn die Person selbst nicht in materieller Not ist, wegen ihrer sozialen und Vermögensverhältnisse nicht aus eigenen Kräften selbst überwinden kann. Außerordentliche Soforthilfe kann auch in weiteren außerordentlichen Fällen gewährt werden. Das ursprünglich vorgesehene System der Hilfe in materieller Not wirkte in der Praxis dennoch eher demotivierend und viele wollten so lange wie möglich ohne Arbeit bleiben. Gleichzeitig benachteiligte es Ältere oder Behinderte, die auch lange in materieller Not waren, ihre Bezüge konnten jedoch nicht aufgestockt werden, da sie nicht als arbeitslos registriert werden konnten. Als Reaktion auf diese Entwicklung wurden die Bedingungen für Empfänger von Leistungen der Hilfe in materieller Not, die langzeitarbeitslos sind und keine Aktivitäten zur Erlangung einer Arbeitsstelle zeigen, verschärft. Sofern sie zwölf Monate und länger arbeitslos sind, ist bei der Bestimmung der Leistungshöhe nur noch vom Existenzminimum (2 020 CZK) auszugehen. Gleichzeitig wird die Benachteiligung bestimmter Gruppen am Arbeitsmarkt berücksichtigt – diese Regelung bezieht sich nicht auf Personen über 55 Jahre, zumindest teilweise Behinderte und Eltern, die die elterliche Sorge für Kinder unter zwölf Jahren ausüben. Ersatzlos wurde eine Regelung gestrichen, wonach der Betrag der Existenzbeihilfe nach zwölf Monaten Arbeitslosigkeit um 600 CZK erhöht wurde. Die Art, wie die Leistungen der Hilfe in materieller Not ausgezahlt werden, wird von der auszahlenden Behörde bestimmt. Für den Leistungsträger bestehen Regeln, wann die Leistungen in bar, durch Banküberweisung, Gutscheine o. Ä. ausgezahlt werden. Insgesamt sanken die Ausgaben für Leistungen der Hilfe in materieller Not zwischenjährlich um 325,1 Mio. CZK auf 2,14 Mrd. CZK (d. h. um 15,2 %). An dieser Stelle sollte noch erwähnt werden, dass das System der Hilfe in materieller Not zwar zu eigener Tätigkeit motivieren soll, im Grunde geht es jedoch um die letzte Rettung für Bürger, die aus verschiedenen Gründen sozial nicht fähig sind, sich aktiv an der Bewältigung ihrer Situation zu beteiligen. Anreize sind sicherlich zu begrüßen, sie sollten jedoch immer individuell greifen und nicht zur Gefahr führen, dass Einige gar keinen sozialen Schutz mehr erhalten. Eine solche Situation ist, langfristig gesehen, für die Betroffenen, aber auch die Gesellschaft als Ganzes eine Bedrohung und inakzeptabel. VII. Sozialdienste Am 1. 1. 2007 trat ein ganz neues Gesetz über soziale Dienste in Kraft. Dieses Gesetz (Nr. 108/2006) beruht auf ganz anderen Grundlagen als das bisherige System nach den Vorschriften über die Sozialfürsorge. Nach der neuen Regelung soll eine Person, die in eine ungünstige soziale Lage geraten ist, selbst alle Informationen erhalten, um sie wenn möglich selbst und aus eigener Kraft bewältigen zu können. Erst wenn diese Informationen nicht zur Bewältigung der Situation ausreichen, greifen die sozialen Dienste, die individualisiert und „den Bedürfnissen des Einzelnen auf den Leib geschnei-dert“ sein sollen. Die sozialen Dienste sollen vor allem die Selbstständigkeit der Empfänger aktivieren und fördern und ein längeres Andauern der ungünstigen sozialen Lage verhindern. Die

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Qualität der sozialen Dienste wird in einen direkten Zusammenhang mit der Einhaltung der Menschenrechte und Menschenwürde gebracht. Das Gesetz führt ein so genanntes Pflegegeld ein. Mit dessen Hilfe soll der Empfänger soziale Dienste auswählen und bezahlen können. Das Pflegegeld ersetzt die frühere Beihilfe für die Pflege einer hilfsbedürftigen nahe stehenden oder anderen Person. Das Prinzip wurde grundlegend geändert: während früher dasjenige Familienmitglied die Leistung bezog, das den Pflegebedürf-tigen betreute, steht das Pflegegeld heute direkt dem Pflegebedürftigen zu. Er soll sich benötigte soziale Dienste auswählen und mit dem Pflegegeld „kaufen“. Das Pflegegeld ist die einzige Leistung, die nach dem Gesetz über soziale Dienste gewährt wird. Anspruch und Höhe des Pflegegeldes richten sich nach der Bedürftigkeit der Person – abgestuft nicht nach der Diagnose, sondern nach der Zahl und Schwierigkeit der Handlungen, die diese Person noch selbst verrichten kann. Die Erfüllung weiterer Bedingungen wird nicht verlangt. Erste Erfahrungen haben gezeigt, dass das neue System der sozialen Dienste nicht so effizient ist wie ursprünglich angenommen. Probleme gibt es vor allem beim Pflegegeld. Wegen der viel höheren als veranschlagten Zahl von Anträgen konnten die Kontrollärzte die Atteste nicht in den vorgeschriebenen Fristen ausstellen. Teilweise entspricht die Verwendung des Pflegegeldes nicht dem ursprünglich vorgesehenen Zweck und entfaltet somit nicht die gewünschte Wirkung. Ein bedeutender Teil von Bürgern, vor allem in den niedrigeren Pflegestufen, betrachtet diese Leistung vor allem als eine Aufbesserung des Familieneinkommens und kauf davon keine sozialen Dienste. Ein weiterer Fehler besteht in der Tatsache, dass verschiedene Gruppen pflegebedürftiger Kinder nicht im System enthalten sind – zum Beispiel Kinder mit Kreislauferkrankungen, Leukämie u. a. Als Reaktion auf die genannten Mängel sind folgende Veränderungen verabschiedet worden: In Fällen, wo das Pflegegeld seinen Zweck nicht erfüllen kann, also während des Aufenthalts in einem Krankenhaus oder einer Haftvollzugsanstalt oder während des Zwangsaufenthalts in einer Heilanstalt, wird die Auszahlung des Pflegegeldes eingestellt. Es wird die Kontrolle, wie das Pflegegeld verwendet wird, verschärft. Werden auf Anfrage keine konkreten Angaben über die Verwendung des Pflegegeldes gemacht, wird die Auszahlung nach vorherigem schriftlichem Hinweis so lange eingestellt, bis der Empfänger entsprechende Angaben über die Verwendung macht. So wird in Fällen verfahren, in denen Zweifel an der berechtigten Nutzung des Pflegegeldes bestehen. Ferner wird der Kreis der Personen erweitert, die Ansprüche auf noch nicht ausgezahltes Pflegegeld im Todesfalle des Pflegebedürftigen haben. Jetzt sind es nahe stehende Personen auch dann, wenn den Pflegebedürftigen zwar gepflegt haben, jedoch nicht mit ihm in einem Haushalt lebten. Ferner wurde eine Bestimmung über die Dienstleister von sozialen Diensten und ihre fachliche Befähigung hinzugefügt. In Anbetracht der immer größer werdenden Kosten für das Pflegegeld sind weitere Änderungen im System der sozialen Dienste in der Diskussion, um ein nachhaltig tragfähiges System zu erhalten. So wird für das Jahr 2009 Folgendes vorgeschlagen:

• Pflegebedürftige haben nur dann Anspruch auf Pflegegeld, wenn sie die entsprechende Pflege von einer nahe stehenden Person oder einer anderen natürlichen Person, die kein Unternehmer ist, von einem registrierten Dienstleister für soziale Dienste oder einem Hospiz erhalten,

• die Höhe des Pflegegeldes bei Pflegestufe I und IV soll geändert werden,

• erweiterte Möglichkeit des Empfangs von Pflegegeld für behinderte Kinder bis zu ihrem 18.

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Lebensjahr, vor allem bei Kreislauf- und anderen inneren Erkrankungen, Anerkennung von Pflegestufe I (leichte Abhängigkeit) und somit Anspruch auf Pflegegeld,

• genauere Abgrenzung von Inhalt und Umfang der von den Zentralgemeindeämtern durchgeführten Kontrollen zur Verwendung des Pflegegeldes.

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Fazit Im Jahr 2008 wurden in der Tschechischen Republik viele Änderungen im Bereich des Systems der sozialen Sicherheit eingeführt und traten zum Teil auch schon in Kraft. Die Regierung verfolgte damit eine Senkung der gesetzesbedingten Ausgaben und wollte ein effizientes und motivierendes System der sozialen Sicherheit schaffen. Allgemein kann dieses Bemühen schon deshalb begrüßt werden, da die Finanzkrise die tschechische Wirtschaft sicher auch im Jahr 2009 treffen wird und ein weiterer Anstieg der Sozialausgaben nicht haltbar wäre. Die in der letzten Zeit verabschiedeten Veränderungen waren auch gegen einen Missbrauch von Leistungen oder Bezügen gerichtet und sollten mehr Motivationselemente im System schaffen. Gerade beim Krankengeld könnte man jedoch von einer Privatisierung des Risikos sprechen. Der Staat, unfähig zur Sicherstellung einer effizienten Kontrolle beim Krankheitsstand, überträgt die Verantwortung auf den Arbeitgeber, der ein finanzielles Interesse an der Senkung des Krankheitsstandes seiner Mitarbeiter hat. Die Änderungen im Bereich der Beschäftigungspolitik führen hingegen nur zu einer weiteren Betonung der Tatsache, dass diese Leistung für eine Ausnahmesituation im Arbeitsleben vorgesehen ist (Stärkung des Elements der Grundsicherung und Schwächung des Charakters einer Versicherungsleistung). Die in der Sozialversicherung im Jahr 2008 verabschiedeten Veränderungen werden sich erst im Jahr 2009 vollständig auswirken, bei den langfristigen Systemen (Rentenversicherung) erst in Jahrzehnten. Dennoch kann schon heute festgestellt werden, dass die grundlegenden Reformen im System noch vor uns stehen. Konkret handelt es sich um die Rentenreform, Gesundheitsreform und eventuell auch um eine grundlegende Neuordnung des Systems der Krankengeld-, Renten- und Krankenversicherung. Die Beschäftigungspolitik sowie die Frage der Beschäftigung von Ausländern blieb bislang noch unberührt von der allgemeinen konzeptionellen Diskussion. Im Zuge der zu erwartenden Massenentlassungen von Ausländern aus Staaten außerhalb der EU und des EWR sowie der Schweiz entsteht jedoch sicher bald Handlungsbedarf. Im Bereich der staatlichen Sozialunterstützung können weitere Veränderungen zur Anpassung an den aktuellen Bedarf erwartet werden. Leider ist auch nicht auszuschließen, dass das System wieder ein Gegenstand für politische Machtkämpfe wird. Die gegenwärtige Ausgestaltung des Systems entspricht im Großen und Ganzen auch schon den finanziellen Möglichkeiten des Staates. Es ist anzunehmen und zu wünschen, dass im System der staatlichen Sozialunterstützung weitere Elemente zur Gleichstellung der Geschlechter eingeführt werden, wobei vor allem die Rolle der Väter bei der Kindererziehung zu stärken ist. Das neue System der Sozialhilfe hat sich bewährt, wie festgestellt werden kann, wesentliche systematische oder konzeptionelle Veränderungen sind deshalb gegenwärtig nicht vorgesehen. Andererseits ist zu erwarten, dass gerade bei der materiellen Hilfe in Notlagen mehr motivierende Elemente eingeführt werden, um den Missbrauch dieser Leistungen einzuschränken. Diese Veränderungen sollten jedoch umsichtig und mit großem Einfühlungsvermögen umgesetzt werden, damit bei gut gemeinten Bemühungen keine unerwünschten „Nebeneffekte“ eintreten und nicht zu viele Menschen durch die „Maschen des sozialen Netzes“ fallen. Nach den jüngsten Veränderungen kann auch das System der sozialen Dienstleistungen als stabil bezeichnet werden und größere Änderungen sind nicht vorgesehen. Im Bereich des Pflegegeldes und der Finanzierung verschiedener sozialer Dienste sind partielle Veränderungen zu erwarten. Großen Nachholbedarf gibt es vor allem bei der Regelung der Stellung von gemeinnützigen Organisationen, die ihrer unvertretbaren Rolle im sozialen Bereich entsprechen würde. Allgemein kann mit der Feststellung geschlossen werden, dass die sozialen Reformen in der Tschechischen Republik wohl aus guter Absicht entstanden sind, leider jedoch zum Teil durch ungeschickte Formulierungen oder Gesetzeskonstruktionen begleitet waren. Die Tschechische Republik stünde vor großen Problemen, wenn die Reformen eingestellt oder zu sehr verlangsamt werden. Im europäischen Vergleich ist Tschechien vor allem im Bereich der Renten- und

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Gesundheitsreform weit zurück. Die soziale Entwicklung der Tschechischen Republik wird sich in Zukunft nach der Geschwindigkeit und Effizienz weiterer Reformschritte entscheiden, vor allem aber danach, wie durchdacht die einzelnen Maßnahmen sind. Zusätzlich muss auch ein politischer Konsens über die grundlegenden Reformen erzielt werden, um ihren langfristigen Bestand zu sichern.