14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M....

18
14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1982, S. 341-358 (vorliegendes Kapitel digitalisiert vom Autor im Oktober 2007) Ein Bauteil reagiert auf eine mechanische Überbeanspruchung mit Verformung oder/und Bruch (Gewaltbruch). Wesentlich geringere Belastungen können, wenn sie zyklisch aufgebracht werden, bereits zum sogenannten Ermüdungsbruch führen. Noch stärker verringert Korrosion die zur Bruchauslösung notwendige Last, nämlich als Schwingungsrisskorrosion bei zyklischer Beanspruchung und – unter bestimmten Voraussetzungen – als Spannungsrisskorrosion bei vorwiegend statischer Beanspruchung. Die gleiche negative Wirkung geht von hohen Temperaturen (indem sie Kriechvorgänge begünstigen) und von atomarem Wasserstoff aus. Die beim Bruch wirksamen Mikroprozesse (s. Kap. 13) beeinflussen die Ausbildung der Bruchfläche in mehr oder weniger spezifischer Weise, und zwar hauptsächlich auf mikroskopischem, in gewissem Umfang auch auf makroskopischem Niveau. Das Bemühen, die makroskopische Erscheinung eines Bruchs zu deuten, dürfte so alt sein wie die Herstellung und der Gebrauch von Werkzeugen und ihr Versagen durch Bruch. Als Makrofraktographie hat dieses Verfahren, evtl. unter Zuhilfenahme einer Lupe oder eines Stereomikroskops, heute noch seinen festen Platz in der Schadensanalyse inne [1, 2]. Die Begutachtung der Bruchfläche als Methode der Qualitätskontrolle wurde bereits von AGRICOLA in seiner „De Re Metallica“ erwähnt. Die erste umfassende Bruchflächen- beschreibung wurde 1722 von REAUMUR verfasst, der schon ein Mikroskop benutzte (s. [2]). Allerdings ermöglicht das Lichtmikroskop bei der Untersuchung der relativ rauen Bruchflächen wegen seiner geringen Schärfentiefe sinnvolle Vergrößerungen nur bis etwa 50-fach. Dieser Nachteil wurde umgangen, indem man sich bei höheren Vergrößerungen auf die Untersuchung des Rissverlaufs im Schliff beschränkte, also indirekte Fraktographie betrieb. In seinem Bestreben, doch noch Bruchflächendetails bei hohen Vergrößerungen mit dem Lichtmikroskop sichtbar zu machen, war C. A. ZAPFFE im Jahr 1939 erfolgreich. Trotz des Risikos, die Frontlinse seines Mikroskops an hervorstehenden Kristallitkanten zu beschädigen, gelang es ihm als ersten Schritt, die Spaltfacetten des wasserstoffinduzierten Sprödbruches abzubilden. ZAPFFE prägte auch den Begriff ,,Fraktographie“ (s. [2]). Mit der allgemeinen Einführung des Durchstrahlungs-Elektronenmikroskops (TEM = transmission electron microscope) wurde auch bald versucht, mittels Abdrucktechniken dessen große Schärfentiefe und hohes Auflösungsvermögen für die Bruchflächenabbildung auszunutzen. Diese Methode hat wesentliche Erkenntnisse über Bruchvorgänge liefern können [2], doch blieb sie mehr auf Probleme grundlegender Art beschränkt und wurde zur Aufklärung von Schadens- fällen nur vereinzelt eingesetzt. Das ist darin begründet, dass es relativ schwierig ist, von stark

Transcript of 14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M....

Page 1: 14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER . aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich,

14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER

aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1982, S. 341-358 (vorliegendes Kapitel digitalisiert vom Autor im Oktober 2007)

Ein Bauteil reagiert auf eine mechanische Überbeanspruchung mit Verformung oder/und Bruch (Gewaltbruch). Wesentlich geringere Belastungen können, wenn sie zyklisch aufgebracht werden, bereits zum sogenannten Ermüdungsbruch führen. Noch stärker verringert Korrosion die zur Bruchauslösung notwendige Last, nämlich als Schwingungsrisskorrosion bei zyklischer Beanspruchung und – unter bestimmten Voraussetzungen – als Spannungsrisskorrosion bei vorwiegend statischer Beanspruchung. Die gleiche negative Wirkung geht von hohen Temperaturen (indem sie Kriechvorgänge begünstigen) und von atomarem Wasserstoff aus. Die beim Bruch wirksamen Mikroprozesse (s. Kap. 13) beeinflussen die Ausbildung der Bruchfläche in mehr oder weniger spezifischer Weise, und zwar hauptsächlich auf mikroskopischem, in gewissem Umfang auch auf makroskopischem Niveau.

Das Bemühen, die makroskopische Erscheinung eines Bruchs zu deuten, dürfte so alt sein wie die Herstellung und der Gebrauch von Werkzeugen und ihr Versagen durch Bruch. Als Makrofraktographie hat dieses Verfahren, evtl. unter Zuhilfenahme einer Lupe oder eines Stereomikroskops, heute noch seinen festen Platz in der Schadensanalyse inne [1, 2]. Die Begutachtung der Bruchfläche als Methode der Qualitätskontrolle wurde bereits von AGRICOLA in seiner „De Re Metallica“ erwähnt. Die erste umfassende Bruchflächen-beschreibung wurde 1722 von REAUMUR verfasst, der schon ein Mikroskop benutzte (s. [2]). Allerdings ermöglicht das Lichtmikroskop bei der Untersuchung der relativ rauen Bruchflächen wegen seiner geringen Schärfentiefe sinnvolle Vergrößerungen nur bis etwa 50-fach. Dieser Nachteil wurde umgangen, indem man sich bei höheren Vergrößerungen auf die Untersuchung des Rissverlaufs im Schliff beschränkte, also indirekte Fraktographie betrieb. In seinem Bestreben, doch noch Bruchflächendetails bei hohen Vergrößerungen mit dem Lichtmikroskop sichtbar zu machen, war C. A. ZAPFFE im Jahr 1939 erfolgreich. Trotz des Risikos, die Frontlinse seines Mikroskops an hervorstehenden Kristallitkanten zu beschädigen, gelang es ihm als ersten Schritt, die Spaltfacetten des wasserstoffinduzierten Sprödbruches abzubilden. ZAPFFE prägte auch den Begriff ,,Fraktographie“ (s. [2]).

Mit der allgemeinen Einführung des Durchstrahlungs-Elektronenmikroskops (TEM = transmission electron microscope) wurde auch bald versucht, mittels Abdrucktechniken dessen große Schärfentiefe und hohes Auflösungsvermögen für die Bruchflächenabbildung auszunutzen. Diese Methode hat wesentliche Erkenntnisse über Bruchvorgänge liefern können [2], doch blieb sie mehr auf Probleme grundlegender Art beschränkt und wurde zur Aufklärung von Schadens-fällen nur vereinzelt eingesetzt. Das ist darin begründet, dass es relativ schwierig ist, von stark

Page 2: 14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER . aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich,

342

strukturierten Bruchflächen artefaktfreie Abdrücke herzustellen; bei Schadensfällen werden außerdem Präparation und Auswertung durch Beläge, Verquetschungen und Korrosionsabtrag zusätzlich erschwert. Den allgemeinen Durchbruch für die (Mikro-)Fraktographie brachte erst die Einführung des Rasterelektronenmikroskops (REM) Mitte der sechziger Jahre, vor allem, weil mit ihm die Möglichkeit geschaffen wurde, Bruchflächen direkt zu betrachten [2-4]. Zusätzlich bietet das REM folgende Vorteile: Es lassen sich relativ große Proben untersuchen. Außer einer eventuellen Reinigung ist bei Metallen keine besondere Präparation erforderlich. Die Aufnahmen vermitteln einen stark räumlichen Eindruck, was die Interpretation vereinfacht. Große Bereiche können schnell durchmustert und bei einer Bruchflächenbeschädigung die noch erhaltenen Details leicht aufgefunden werden. Mit den erreichbaren niedrigsten Vergrößerungen (6- bis 30-fach) lässt sich der Anschluss an das makroskopische Erscheinungsbild herstellen. Bei einem Auflösungsvermögen von 7 … 20 nm werden mit dem REM die bei fraktographischen Untersuchungen benötigten Abbildungsmaßstäbe, die selten über 10000-fach hinausgehen, problemlos beherrscht. Die günstigere Auflösungsgrenze des TEM, die bei Bruchflächen-abdrücken ca. 3 … 5 nm beträgt, sichert diesem allerdings bei Ermüdungsbrüchen einen begrenzten Anwendungsbereich. Sofern das REM mit einem Spektrometer zur energiedispersiven Mikroanalyse (EDS; s. Kap. 9.) ausgerüstet ist, ergibt sich außerdem die Möglichkeit, die chemische Zusammensetzung interessierender Bruchflächendetails (Einschlüsse, Ausscheidungen, Beläge) mit Ausdehnungen von über 0,5 µm zu bestimmen.

Je nachdem, ob eine Schadensprobe oder eine Laborprobe fraktographisch untersucht werden soll, ergeben sich unterschiedliche Fragestellungen. Bei Schäden wird gewöhnlich nach dem wirksamen Bruchmechanismus bzw. nach der schadensauslösenden Beanspruchungskomponente gefragt. Die REM-Untersuchung war dann erfolgreich, wenn anhand spezifischer Ausbildungsformen des Bruchgefüges der Bruch- bzw. Schädigungsmechanismus eindeutig festgelegt werden konnte, also eine genaue Diagnose vorliegt, denn die einzuleitenden Abhilfemaßnahmen können jeweils sehr unterschiedlicher Art sein. In der zerstörenden Werkstoffprüfung wird der Schädigungsmechanismus bewusst gewählt. Hier wird bei gegebener Werkstoffstruktur die jeweilige Beanspruchbarkeit eines Werkstoffes getestet, oder es wird nach der günstigsten Strukturvariante für einen bestimmten Einsatzzweck gesucht. Demzufolge interessieren mehr die Besonderheiten in der Rissausbreitung innerhalb einer Bruchart, die dann zur Deutung der jeweiligen Testergebnisse heran gezogen werden. Da unter definierten Bedingungen gearbeitet wird, stellt das hier erhaltene Bruchbild die entscheidende Vergleichs-möglichkeit für entsprechende Schadensfälle dar, das heißt, die Fraktographie hat die Bindungen zwischen Werkstoffforschung und der ehemals mit starkem trial-and-error-Charakter behafteten Schadensforschung wesentlich enger werden lassen. Unter Umständen wird dadurch ein Schaden zum aufschlussreichen Langzeittest aufgewertet, zumal es kaum möglich ist, alle im Einsatz möglichen Schädigungseinflüsse und deren Überlagerungen vorher ausreichend zu erfassen und zu simulieren.

Page 3: 14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER . aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich,

343

Von Bedeutung ist außerdem die Tatsache, dass die Bruchfläche auch Informationen

hinsichtlich der das Bruchverhalten wesentlich mitbestimmenden Werkstoffstruktur enthält: Der spröde Gewaltbruch, ob nun trans- oder interkristallin, lässt die Korngröße sichtbar werden; beim interkristallinen Bruch zeigen sich eventuell noch Veränderungen an den Korngrenzen. Der transkristallin-duktile Bruch ist hervorragend geeignet, Inhomogenitäten, wie Ausscheidungen, Einschlüsse und auch Hohlräume freizulegen, da an ihnen die Rissbildung einsetzt. Sie können dann nach Art, Größe und Verteilung beurteilt werden [5] und sind außerdem der EDS zugänglich. In Analogie zur Metallographie am Schliff ließe sich auch von „Frakto-metallographie“ [6] oder einfacher von ,,Bruchmetallographie“ sprechen. Eine weniger aufwendige Art der Präparation ist kaum denkbar. Von Vorteil ist diese Methode besonders dann, wenn die zu untersuchenden Einschlüsse und Ausscheidungen zwar flächig ausgedehnt, aber sehr dünn sind, so dass sie mit der konventionellen Schlifftechnik nur schwierig zu erfassen sind (s. Abschn. 14.2.). Zugleich erhält man Aussagen darüber, wie diese Inhomogenitäten das Bruchverhalten beeinflussen.

Interessieren die Zusammenhänge zwischen Besonderheiten in der Rissausbreitung und unterliegendem Gefüge, z. B. bei mehrphasigen Werkstoffen, so empfiehlt es sich, die Bruchfläche wie einen metallographischen Schliff anzuätzen [6] oder einen Schrägschliff an die Bruchfläche zu legen und dann den Übergang von der Ätzzone zur Bruchfläche zu untersuchen. Erwähnt werden muss ein spezielles Verfahren [7], bei dem ein Teil der Bruchfläche zunächst abgedeckt und der frei gebliebene Teil elektrolytisch oder chemisch geätzt wird.

Voraussetzung für eine Untersuchung im REM ist, dass die Bruchflächenstruktur wenigstens teilweise noch erhalten ist. Das wird bei Schadensfällen, wenn zwischen Rissentstehung und endgültigem Bruch eine größere Zeitspanne liegt, am ehesten in den zuletzt entstandenen Rissbereichen der Fall sein. Vorteilhaft ist es, einen noch nicht ganz durchgelaufenen Riss bzw. Nebenrisse aufzubrechen.

Bei Schadensfällen ist oft eine Bruchflächenreinigung erforderlich. Als sehr geeignet hat sich die von DAHLBERG [8] angegebene Lösung (50 ml destilliertes Wasser, 3 ml konzentrierte Salzsäure, 4 ml 2 Butin-1,4-diol [35%-ige wässrige Lösung] als Inhibitor) erwiesen, wobei die Reinigung im Ultraschallbad erfolgen sollte. 14.1 Brucharten und ihre mikroskopischen Merkmale

a) Gewaltbruch

Transkristallin-duktiler Bruch. Das Kennzeichen des makroskopisch duktilen Bruches, auch als Zähbruch oder Verformungsbruch bezeichnet, ist im Allgemeinen durch eine ausgeprägte transkristalline Wabenstruktur gegeben, welche sich an Einschlüssen und Ausscheidungen ausbildet (Abb. 14.1a): Durch Dekohäsion oder Bruch dieser Partikeln setzt Hohlraumbildung ein. Im Verlauf der weiteren Dehnung nimmt die Größe der Hohlräume zu. Das dazwischen befindliche Material schnürt sich stark ein und wird schließlich abgeschert.

Page 4: 14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER . aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich,

344

a) b)

Abb. 14.1 Transkristallin-duktiler Bruch a) Zweiphasiger CrNi-Stahl mit Mikroduplexgefüge, Wabenstruktur mit freigelegten Titaniumcarbonitriden; b) Verfestigter austenitischer Manganstahl: Zäher Gewaltbruch mit ausgedehnten strukturlosen Bereichen durch Gleitbanddekohäsion

Stehen viele Fremdphasenpartikeln als Hohlraumkeime zur Verfügung, wie bei vergüteten Stählen mit ihren vielen fein verteilten Karbiden, ist der Wabendurchmesser klein, wobei allerdings nicht an jedem Partikel eine Wabe entsteht [4]. Die Tiefe der Waben kann als Maß für die Zähigkeit eines Werkstoffs angesehen werden. Wenn sich das Fließen in Gleitbändern lokalisiert hat und die Abgleitmöglichkeiten erschöpft sind, erfolgt die Trennung entlang dieser Gleitbänder [9]. Im Bruchbild finden sich dann ausgedehnte strukturarme oder strukturlose Bereiche, wie Abb. 14.1b bei einem austenitischen Manganstahl zeigt, der durch Kaltverformung stark verfestigt wurde.

Transkristalliner Sprödbruch (Spaltbruch). Die Körner werden längs kristallographischer

Ebenen – bei Eisen die {100}-Ebene – aufgespalten. Die Risskeime bilden sich an Stellen, an denen die Gleitvorgänge behindert werden, also an Einschlüssen, Ausscheidungen (Abb. 14.2a) und Korngrenzen (Abb. 14.2b). Der in einem günstig gelegenen Korn (90o-Lage zur Haupt-beanspruchungsrichtung) entstandene Riss teilt sich beim Überschreiten einer Korngrenze, wenn Orientierungsunterschiede auszugleichen sind, terrassenförmig auf. Die neuen Teilspaltebenen vereinigen sich im weiteren Rissverlauf unter Ausbildung größerer Scherstufen, was zu einem charakteristischen Flussmuster (river pattern) führt (Abb. 14.2b).

Bei zweiphasigem CrNi-Stahl, bei dem sich durch eine spezielle Wärmebehandlung (Schweißsimulation) der zähe Austenit an den Korngrenzen ausgeschieden hat, kann der Spaltriss diese nicht überschreiten. Die Körner brechen isoliert voneinander, und die Korngrenzenbereiche werden nachträglich duktil aufgetrennt; ein Flussmuster fehlt dementsprechend (Abb. 14.2c). Feine Bruchlinien auf der Spaltfläche geben die lokale Rissausbreitungsrichtung innerhalb des Korns an (s. auch Abb. 14.2a).

Page 5: 14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER . aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich,

345

a)

b)

c)

d)

Abb. 14.2 Transkristalliner Sprödbruch (Spaltbruch) a) Ausscheidung als lokales Rissausgangsgebiet (25%-iger Chromiumstahl); b) von einer Korngrenze ausgehender Spaltbruch in Gussstahl, ausgeprägtes Flussmuster; c) zweiphasiger CrNi-Stahl: Spaltriss durch zähen Austenit an den Korngrenzen abgestoppt; d) Martensit-Spaltbruch in der Randzone eines vergüteten Bauteils. Versprödung als Folge einer unbeabsichtigten Aufkohlung im Härtungsbad

Bei gehärteten oder vergüteten Stählen wird der Martensit ebenfalls entlang der {100}-Ebene gespalten. Die meist starken Orientierungsunterschiede zwischen benachbarten Martensit-bereichen erschweren dem Spaltriss das Überschreiten der Korngrenzen und begünstigen damit Schervorgänge, um die ebenfalls isoliert voneinander entstandenen Einzelspaltflächen zu vereinigen. Deswegen treten Flussmuster hier auch weniger oder kaum in Erscheinung (Abb. 14.2d).

Interkristalliner Sprödbruch. Ein Sprödbruch kann sich entlang von Korngrenzen ausbreiten, wenn diese durch Segregationen, Oxidation oder auch Wasserstoffeinwirkung geschwächt sind.

Page 6: 14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER . aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich,

346

a) b)

Abb. 14.3 Interkristalliner Sprödbruch a) Durch Überhitzung oxidierte Korngrenze, teilweise schon abgeblättert; b) interkristalliner Bruch durch Kohlenstoffsegregation (Einsatz-Direkthärtung)

Eine Korngrenzenoxidation kann eventuell an abblätternden Korngrenzen erkannt werden (Abb. 14.3a), auch gröbere Karbidausscheidungen werden zumindest andeutungsweise im REM sichtbar. Im Allgemeinen liegt jedoch die Stärke der versprödenden Korngrenzenfilme bzw. Segregationszonen im Bereich von atomaren Monolagen. Mit dem REM sind dann keine Besonderheiten an den Korngrenzen mehr zu erkennen (Abb. 14.3b). Der Nachweis einer solchen Segregation bleibt speziellen Analysenverfahren, hauptsächlich der Auger-Elektronen-Spektroskopie (AES), vorbehalten.

Interkristalliner Wabenbruch. Vom Hochtemperatur-Langzeitkriechen abgesehen, kommt

es zu dieser Bruchart, wenn die korngrenzennahen Bereiche wesentlich weicher sind als das Korninnere. Aufmerksamkeit hat diese Bruchart deswegen gefunden, weil sie für die sogenannte Relaxationsrissigkeit – im Englischen bekannt als stress relief cracking – neben Schweißnähten kennzeichnend ist (Abb. 14.4). Diese Risse finden sich vor allem nach dem Spannungsarmglühen warmfester bzw. stabilisierter hochlegierter Stähle und haben folgenden Entstehungs-mechanismus: Beim Schweißen gehen in der überhitzten Zone neben der Schmelzlinie (Grobkornzone) die Karbide in Lösung. Beim Spannungsarmglühen scheiden sich die Karbide feindispers im Inneren der ehemaligen Austenitkörner aus, wodurch das Korninnere aufgehärtet wird. An den Austenitkorngrenzen verbleibt eine ca. 0,3 µm breite ausscheidungsfreie und damit relativ weiche Zone, die die Kriechvorgänge beim Spannungsabbau aufnehmen muss. Das Verformungsvermögen dieser Zone kann bereits bei Kriechdehnungen von 0,2 … 0,3% erschöpft sein, so dass sich zunächst feine Poren bilden, die sich zu einem Rissnetzwerk vereinigen [10, 11]. Wegen der geringen Gesamtverformung handelt es sich in diesem Fall trotz der Wabenstruktur auf den Korngrenzen makroskopisch um einen Sprödbruch.

Page 7: 14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER . aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich,

347

Abb. 14.4 Warmfester Stahl, Relaxationsrissigkeit: Korngrenzen mit feiner Wabenstruktur

b) Ermüdungsbruch (Schwingungsbruch)

Ermüdungsrisse laufen entlang von Gleitebenen ein und sind dabei ungefähr unter 45o zur Hauptbeanspruchungsrichtung orientiert (Stadium I). Nach dem ersten oder zweiten Korn schwenkt der Riss gewöhnlich in die 90o-Lage ein (Stadium II). Das Stadium I ist vor allem bei Nickelbasislegierungen ausgeprägt: Die ebenen kristallographischen Flächen vermitteln den Eindruck eines transkristallinen Sprödbruches (Abb. 14.6a). In Bruchbahnen angeordnete Schwingungsstreifen kennzeichnen, sofern sie im REM auflösbar sind und nicht verrieben oder verquetscht wurden, das Stadium II der Rissausbreitung. Die Regel, dass die Schwingungs-streifen den Rissfortschritt pro Lastwechsel markieren, dass ein Schwingungsstreifen also einem Lastwechsel entspricht, gilt für Streifenabstände von mehr als 0,5 µm. Darunter kann die Zahl der tatsächlich aufgebrachten Lastwechsel bis zu einer Größenordnung über dem Wert liegen, der sich aus der Streifenzählung ergibt [12]. Bei hohen Spannungsamplituden – im Zeitfestigkeits-bereich – sind die Schwingungsstreifen naturgemäß relativ breit (Abb. 14.5b). Im Extremfall werden sie dem bloßen Auge sichtbar und zeigen im REM eine Wabenstruktur (Abb. 14.5c). Bei niederzyklischer Belastung (10-4 Hz) und hohen Temperaturen, z. B. bei Spitzenlast-Gasturbinen, wird der Rissfortschritt pro Lastwechsel durch Korngrenzenoxidation und Kriechvorgänge stark beschleunigt; die Risse verlaufen dann interkristallin [13]. Die in Abb. 15.5d in den Korngrenzenzwickeln sichtbaren Wabenfelder sind offensichtlich auf die mitwirkenden Kriechvorgänge zurückzuführen.

c) Schwingungsrisskorrosion Die einer Wechselbeanspruchung überlagerte Korrosion beschleunigt die Rissausbreitung beträchtlich. Grundsätzlich kann jeder Elektrolyt bei jedem Metall wirksam werden [14]. Korrosion ist ein zeitabhängiger Prozess. Folglich wird sie die Rissausbreitung dann stark beeinflussen, wenn die Belastungsfrequenz und außerdem die Lastamplituden bzw. die Spannungskonzentration niedrig sind.

Page 8: 14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER . aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich,

348

a) b)

c) d)

Abb. 14.5 Ermüdungsbruch a) Ermüdungsrissausbreitung im Stadium I (Nickelbasislegierung), Oxideinschluss als Riss-Starter; b) Mess-Stutzen brach nach ca. 2000 Lastwechseln: breite Schwingungsstreifen; c) Rohrbruch nach ca. 40 Lastwechseln: Schwingungsstreifen mit Wabenstruktur (Ausschnitt); d) FeNi-Legierung, niederzyklische Ermüdung bei hoher Temperatur: Waben in den Korngrenzenzwickeln durch Kriechvorgänge

Wenn die neu entstandenen Risswände sofort passivieren, wie das im Allgemeinen bei höher legierten Stählen der Fall ist, bleibt die Bruchstruktur erhalten, und die fraktographische Untersuchung gestaltet sich einfach. Schwieriger wird es, wenn, wie gewöhnlich bei unlegierten Stählen, die Risswände weiterhin der Korrosion unterliegen. Diesen beiden Möglichkeiten entspricht die Einteilung in Schwingungsrisskorrosion im „passiven“ bzw. „aktiven“ Zustand, die ursprünglich für das Verhalten der Probenoberfläche vor und während der Rissbildungsphase getroffen wurde [15].

Page 9: 14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER . aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich,

349

a) b)

Abb. 14.6 Schwingungsrisskorrosion a) Gebrochene Turbinenschaufel – interkristalline Bruchanteile; b) Bruchbahnen mit Schwingungsstreifen, kristallographische Orientierung erkennbar (unlegierter Stahl)

Als Beispiel für ,,passive“ Schwingungsrisskorrosion soll der Bruch einer Dampfturbinen-schaufel aus 13%-igem Chromiumstahl dienen. Solche Brüche können gehäuft im Übergang vom Heiß- zum Nassdampfgebiet der Turbine auftreten, da hier günstige Möglichkeiten zur Anreicherung von Verunreinigungen gegeben sind, wobei hauptsächlich Chloride sich begünstigend auf Rissentstehung und -ausbreitung auswirken. Interkristalline Bruchanteile (Abb. 14.6a) in einem Bereich, der etwas hinter dem Risseinlaufgebiet liegt, werden als Kennzeichen einer Schwingungsrisskorrosion gewertet [16]. Meistens findet sich auf der Blattfläche Lochfraß, und von einer solchen Lochfraßgrube ist der Riss oft auch gestartet [17].

Als Beispiel für Schwingungsrisskorrosion im aktiven Zustand sei folgender Fall genannt: In Lochplatten aus unlegiertem Stahl, die im Betrieb starken Temperaturschwankungen durch abwechselnde Beaufschlagung mit Heiß- und Kaltwasser ausgesetzt waren, fanden sich zahl-reiche Stegrisse. Die durch Aufbrechen freigelegten Rissflächen trugen dichte Rostschichten, unter denen sich im Wesentlichen Ätzstrukturen fanden. Nur im unmittelbaren Riss-Spitzen-bereich waren die Bruchstrukturen noch erhalten geblieben (Abb. 14.6b). Eine andeutungsweise kristallographisch orientierte Anordnung von Bruchbahnen und Ermüdungsstreifen lässt sich darauf zurück führen, dass der Riss im Wesentlichen den aktiven Gleitbändern folgte, die wegen ihrer hohen Versetzungsdichte bevorzugt angelöst wurden. d) Spannungsrisskorrosion Spannungsrisskorrosion setzt das Vorhandensein von Zugspannungen voraus. Als besonders wirksam hinsichtlich einer Schadensauslösung erweisen sich immer wieder Zug-

Page 10: 14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER . aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich,

350

a) b)

Abb. 14.7 Spannungsrisskorrosion in CrNi-Stahl a) „Spaltbruch“; b) Grabenstrukturen

Eigenspannungen, wie sie z. B. beim Schweißen, beim nachfolgenden Beschleifen der Schweißnähte oder durch Kaltverformung eingebracht werden. Im Gegensatz zur Schwingungsrisskorrosion ist die Spannungsrisskorrosion an bestimmte Kombinationen von Material und Medium gebunden. Am bekanntesten, weil volkswirtschaftlich am bedeutendsten, ist die Anfälligkeit der austenitischen Chromium-Nickel-Stähle gegenüber Chlorionen bei Temperaturen oberhalb von 80 oC. Unter stark sauren Bedingungen, so durch Zusatz von Schwefelsäure, oder bei Bedeckung der Stahloberfläche mit feuchten Chloridbelägen, ist Spannungsrisskorrosion hier auch bei tieferen Temperaturen (Raumtemperatur) möglich [18–20]. Der Rissverlauf ist bei den genannten Stählen im Allgemeinen transkristallin. Das Bruchbild ähnelt dem des transkristallinen Sprödbruches (Abb. 14.7a), der bei diesen duktilen Stählen sonst auch bei tiefen Temperaturen nicht auftritt. Spannungsrisskorrosion kann zumindest bei den Chromium-Nickel-Stählen als Ätzprozess verstanden werden: Entlang von kristallographischen Ebenen wachsen – vermutlich induziert durch lokal hohe Versetzungsdichten – Serien paralleler Tunnel ein, deren Zwischenwände durch die Zunahme der Tunneldurchmesser abgedünnt und unter Einfluss der anliegenden Zugspannung schließlich abgeschert werden. Dieser Mechanismus hinterlässt unter Umständen ausgeprägte Grabenstrukturen [20, 21] auf der Bruchfläche (Abb. 14.7b). e) Wasserstoffinduzierte Rissbildung Gegenüber Wasserstoff sind im Wesentlichen die un- und niedriglegierten Stähle empfindlich, die austenitischen Stähle dagegen kaum1). Der Wasserstoff kann auf verschiedene Weise ins Material gelangen, wobei er zunächst immer im atomaren Zustand vorliegt und deshalb im Metallgitter sehr beweglich ist. 1) Völlig resistent sind nur die Stähle mit hohem Nickelgehalt (20%) und daher stabilem Austenitgitter (ELIEZER, D. et al., Metallurgical Transactions 10A [1979] 935).

Page 11: 14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER . aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich,

351

Wasserstoff wird beim Gießen oder Schweißen von der Schmelze aufgenommen, wenn in diese Feuchtigkeit eingetragen wurde. Beim elektrolytischen Beschichten, beim Beizen sowie bei Korrosionsprozessen entsteht atomarer Wasserstoff, der in den Stahl eindiffundieren kann. Dort sammelt er sich bevorzugt in Bereichen hoher atomarer Fehlordnung, also an Korngrenzen, Phasengrenzen bzw. Einschlüssen oder in Gebieten hoher Versetzungsdichte, wodurch zusätzliche Spannungen aufgebaut werden [22]. Die eigentliche schädigende Wirkung des atomaren Wasserstoffes ergibt sich wahrscheinlich aus seiner Fähigkeit, die Trennfestigkeit des Gitters herabzusetzen (Dekohäsionstheorie [23]). Sofern der Wasserstoff sich an Einschlüssen oder auch in Mikrolunkern sammelt, geht er in den molekularen Zustand über. Damit wird er unbeweglich, kann aber beträchtliche Drücke entfalten und Hohlräume bilden bzw. aufweiten, was bei sehr weichen Stählen oder reinem Eisen zur Bildung von Blasen führen kann [22, 24].

Die Empfindlichkeit eines Stahles gegenüber wasserstoffinduzierter Rissbildung nimmt mit steigender Festigkeit zu. So wurde die wasserstoffinduzierte Rissbildung (,,verzögerter Sprödbruch“) nach dem elektrolytischen Beschichten (z. B. Cadmieren) erst zum Problem, als man im Flugzeugbau die Festigkeit bestimmter Bauteile über 1250 MPa steigerte (s. [25]). Bei Stählen dieser Festigkeit sind die Korngrenzen das bevorzugte Gebiet der Rissbildung, wie Abb. 14.8 belegt. Es handelt sich hier um eine Schraubenfeder (Zugfestigkeit ca. 1500 MPa) aus einer wasserhydraulischen Regelungseinrichtung. Die Feder war mit einer Schutzschicht aus Epoxidharz überzogen, die im Laufe des Betriebes rissig geworden war. Unter dem Einfluss des ständig vorhandenen Wasserfilms wurde infolge Lokalelementbildung die freigelegte Stahloberfläche stark korrodiert, und es bildeten sich Ätzgruben aus. Der bei der Korrosion entstehende atomare Wasserstoff führte zur interkristallinen Rissbildung in der unter Spannung stehenden Feder und schließlich zum Bruch. Bei den freigelegten Korngrenzen handelt es sich um die der ehemaligen Austenitkörner, die durch Segregationen markiert sind.

Abb. 14.8 Interkristalliner Bruch einer Schraubenfeder durch Wasserstoff

Page 12: 14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER . aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich,

352

Stähle mit Festigkeiten unter 1250 MPa, ungünstigenfalls liegt diese Grenze bei ca. 1000 MPa, sind gegenüber von außen eindringendem Wasserstoff, der beim elektrolytischen Plattieren oder durch Korrosionsvorgänge entsteht, wenig empfindlich. Trotzdem wird auch bei diesen Stählen Wasserstoffrissigkeit gefunden. Offensichtlich ist dies an zwei Voraussetzungen gebunden: – Das Wasserstoffangebot muss hoch sein. Das ist der Fall, wenn Wasserstoff mit der Schmelze

aufgenommen wurde, oder wenn eine Korrosion in Gegenwart von Verbindungen abläuft, die die Rekombination des Wasserstoffes behindern, wie das bei der Korrosion durch Schwefel-wasserstoff der Fall ist (s. [24, 26]). Außer Schwefelwasserstoff sind unter anderem Verbindungen des Phosphors (z. B. als PH3), des Arsens (As2O3), des Selens und auch Cyanide als Reaktionsgifte bzw. Promotoren bekannt [27].

– Der im Gitter bewegliche, atomare Wasserstoff hat zwar einen gewissen versprödenden Einfluss, aber er ist zunächst nicht in der Lage, rissauslösend zu wirken. Vielmehr muss er erst extrem konzentriert werden. Das kann über die schon erwähnte molekulare Zwischen-speicherung in Poren und Einschlusshohlräumen erreicht werden.

Zur Rissbildung kommt es dann, wenn diese relativ große Wasserstoffmenge in den atomaren Zustand zurückversetzt wird, was durch Fließvorgänge bewirkt werden kann. Dieser Effekt zeigt sich am deutlichsten bei den vom Schweißen her bekannten Fischaugen, die nachweislich erst beim Erreichen der Fließgrenze entstehen; man findet sie hauptsächlich auf den Bruchflächen von Schweißbiegeproben (Abb.14.9a). Über ihren Entstehungsmechanismus existiert folgende Vorstellung:

a) b)

Abb. 14.9 „Fischauge“ in Schweißnaht a) Der Wasserstoff hatte sich an einem Einschluss gesammelt und eine Pore gebildet. b) Feine Bruchfacetten, von Mikroporen durchsetzt

Page 13: 14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER . aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich,

353

Bei plastischer Deformation des Schweißgutes entstehen in den Wandungen von Wasserstoff-poren neue Oberflächen, an denen der Wasserstoff adsorbiert wird. Dabei dissoziiert dieser und dringt atomar in das deformierte Gitter ein, wo er die Rissbildung bewirkt [28]. Der Rissverlauf ist bei den Schweiß-Fischaugen transkristallin (Abb. 14.9 b). Die Bruchfacetten ähneln denen des Spaltbruchs, sind aber bei gleichem Gefügezustand wesentlich kleiner als diese und zeigen sich als verrundet oder verwölbt (,,botanische Blattmuster“ [29]). Die Ursache dafür ist, dass die Rissausbreitung weniger entlang von Spaltebenen, sondern hauptsächlich – wegen der starken Affinität des Wasserstoffs zu Versetzungen – entlang von Gleitebenen ({110}-Ebenen) erfolgt [30].

Auf den gleichen Effekt sind grundsätzlich die sogenannten Unternahtrisse zurück zuführen, wie man sie gelegentlich unter den Kehlnähten von Stählen findet: Wasserstoff diffundiert beim Schweißen aus der erstarrenden Schmelze in die überhitzte Zone des Grundwerkstoffes. Dort sammelt er sich an den gewöhnlich reichlich vorhandenen, flach gewalzten Einschlüssen (vorwiegend Sulfide) und rekombiniert unter Aufbau eines wahrscheinlich beträchtlichen Innendrucks. Während des Abkühlens und der damit verbundenen Schrumpfungsvorgänge treten im Bereich des T-Stoßes senkrecht zur Walzrichtung (Dickenrichtung) starke Zugspannungen auf. Der Grundwerkstoff, dessen tragender Querschnitt durch die Einschlüsse geschwächt ist, kann durch Überlagerungen von Schrumpfspannung und Innendruck des Wasserstoffes so hoch belastet werden, dass es zum Fließen der metallischen Stege zwischen den Einschlüssen und dann zur Auslösung des Fischaugeneffektes kommt. Aus Abb. 14.10a ist ersichtlich, dass die Sulfideinschlüsse als lokale Rissausgangsgebiete gedient haben und dass das transkristalline Sprödbruchgefüge die gleiche feine Strukturierung wie beim Fischauge aufweist.

a)

b) Abb. 14.10 Aufgebrochener Unternahtriss

a) feinstrukturiertes transkristallines Bruchgefüge, Sulfideinschluss als lokales Rissausgangsgebiet; b) Restgewaltbruch neben dem Unternahtriss: Wabenbruch zwischen den Einschlüssen

Page 14: 14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER . aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich,

354

Beim nachträglichen Aufbrechen des Risses sind die metallischen Zwischenstege wieder unter Ausbildung von Wabenstruktur, also duktil, aufgetrennt worden (Abb. 14.10b).

Im Fall der Wasserstoffbeladung durch Schwefelwasserstoffangriff (Petrolchemie!) sind ebenfalls (Sulfid-) Einschlüsse bzw. deren Hohlräume der Ort der Wasserstoffansammlung. Da hier Wasserstoff kontinuierlich und in großen Mengen in den Stahl eindringt, können solch hohe Innendrücke aufgebaut werden, dass es durch Überlagerung mit der Lastspannung zum Fischaugeneffekt auch dann kommt, wenn die Einschlüsse weniger günstig für die Rissentstehung liegen als bei den Unternahtrissen. Das wird in Abb. 14.11 an einer mit H2S-Lösung beaufschlagten Zugprobe gezeigt, die in Walzrichtung belastet worden war: Die Bruchfacette nimmt eindeutig ihren Ausgang an einer aufgeweiteten Einschlussspalte.

Abb. 14.11 Von aufgeweitetem Einschlusshohlraum ausgehende Bruchfacette in H2S-beaufschlagter Zugprobe

14.2. Untersuchungen von Gefügeinhomogenitäten im REM

(Bruchmetallographie)

Sulfidverspritzungen. In geschweißten Platten aus höherfestem Baustahl wurden interkristalline Risse gefunden, die sich von der wärmebeeinflussten Zone des Grundwerkstoffes über die Schmelzlinie in das Schweißgut hinein erstreckten und eine Länge von bis zu 1 mm erreichten. Für die Untersuchung im REM wurden diese Risse aufgebrochen. In ihrer Nachbarschaft fanden sich im Grundwerkstoff Anhäufungen flacher Einschlüsse in der Art, wie sie bereits in Abb. 14.10b gezeigt wurden. Auch hier handelte es sich im Wesentlichen um Sulfide (Eisen-Mangan-Sulfide). Entlang der Schmelzlinie waren die Sulfideinschlüsse auf- oder angeschmolzen und die Schmelze unter dem Einfluss der Schrumpfspannung auf die Austenitkorngrenzen ,,verspritzt“ worden [31, 32]. Das führte dort zur Entstehung flacher Mikrolunker mit farn- oder rosettenartigen Sulfid-Erstarrungsstrukturen (Abb. 14.12a).

Ähnliche Erscheinungen fanden sich in geschmiedeten Bauteilen, die überhitzt worden waren (Abb. 14.12b). Da es sich um einen relativ reinen Stahl handelte, musste der Schwefel erst aus dem Korninneren an die Korngrenzen diffundieren, um sich dort als Schmelze zu sammeln. Denkbar ist auch, das bei der starken Kornvergröberung, die hier stattgefunden hatte, der

Page 15: 14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER . aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich,

355

Schwefel von den wandernden Korngrenzen mittransportiert und somit auf ihnen angereichert wurde [33]. Da zur Erzeugung von Sulfidverspritzungen hohe Verformungsspannungen erforderlich sind – ohne diese formt sich die Sulfidschmelze globular ein [31] – konnte unter den verschiedenen Wärmebehandlungen, denen das Bauteil unterworfen worden war, eindeutig das Glühen zum Schmieden als für die Überhitzung verantwortlich ermittelt werden. Die Temperaturen dürften beim Schmieden über 1300 oC gelegen haben – wie neben der Schmelzlinie einer Schweißnaht im vorher besprochenen Fall.

a) b)

Abb. 14.12 Sulfidverspritzungen a) Angeschmolzener Sulfideinschluss mit farn- und moosartigen Verspritzungsstrukturen; b) Verspritzungsfarn durch überhitztes Schmieden

Nachweis von versprödenden Phasen. Schweißnähte aus austenitischem CrNiMo-Stahl

hatten bei der Biegeprüfung versagt. Die Ursache wird in solchen Fällen der Bildung der Sigma-Phase zugeschrieben, deren metallographischer Nachweis im Schliff hier jedoch nicht überzeugend gelang. Bei der REM-Untersuchung der Bruchfläche fanden sich zahlreiche flache Mulden, die mit einer dünnen rissigen Phase ausgelegt waren, wobei die Rissigkeit das spröde Bruchverhalten dieser Phase kennzeichnet (Abb. 14.13a).

Page 16: 14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER . aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich,

356

a) b)

Abb. 14.13 Spröde Phasen a) Sigma-Phase in CrNiMo-Stahl durch Aufbrechen freigelegt; b) aufgekohlter Schleuderguss (35% Ni, 25% Cr): Der Bruch hat sich ausschließlich an der Carbidphase orientiert.

Mit der EDS konnte eine beträchtliche Erhöhung des Chromium- und Molybdängehaltes gegenüber der Matrix nachgewiesen werden, wie es in [34] für die Sigma-Phase beschrieben wird.

Während in diesem Fall die metallische Matrix zwischen den Phaseneinlagerungen noch für eine gewisse Restduktilität sorgte, kann bei höheren Anteilen der spröden Phase die Rissausbreitung allein von dieser bestimmt werden. Auf solche Erscheinungen trifft man bei den meist mit 35% Nickel und 25% Chromium legierten Schleudergussrohren in Ethylenanlagen, die bei Temperaturen von ca. 1150 oC betrieben werden und einer Aufkohlung durch das Prozessgas unterliegen. Während dabei die metallische Matrix an Chromium verarmt, erhöht sich der Carbidanteil stark. Das zeigt sich im Bruchbild deutlicher als im Schliff, weil der Riss fast ausschließlich durch die karbidische Phase läuft und die metallische Matrix umgeht (Abb. 14.13b). Zwangsläufig ist der Stahl in diesem Zustand bei Raumtemperatur sehr spröd.

Die elektronenmikroskopische Fraktographie hat sich besonders seit der Einführung des REM

zu einem Routineverfahren in der Werkstoffforschung entwickelt. Aus der Kenntnis des mikroskopischen Bruchverhaltens können sich Hinweise für eine gezielte Werkstoffoptimierung ergeben. Außerdem liefert eine Bruchflächenuntersuchung in gewissem Umfang Informationen über die Werkstoffstruktur. Für die Schadensforschung bedeutet die rasterelektronenmikros-kopische Fraktographie einen Qualitätssprung, da die jeweilige Schadensdiagnose meist schneller und sicherer gestellt werden kann, als das vorher der Fall war. Das grundsätzliche Verständnis für Schädigungsprozesse hat sich wesentlich erweitert. Durch Kombination mit EDS und AES wird der Aussagewert einer Bruchflächenuntersuchung zusätzlich erhöht.

Page 17: 14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER . aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich,

357

14.3. Literatur [1] POHL, E., Das Gesicht des Bruches metallischer Werkstoffe. Bd. 1-3. – München Berlin: Allianz

Versicherungs-A. G. 1956/60. [2] Fractography and Atlas of Fractographs. (Metals Handbook, 8th Ed., Vol. 9) – Ohio: ASM 1974. [3] ENGEL, L., KLINGELE, H., Rasterelektronenmikroskopische Untersuchung von Metallschäden. –

Köln: Gerling-Institut für Schadenforschung und Schadenverhütung 1974. [4] MITSCHE, R. et al., Anwendung des Rasterelektronenmikroskops bei Eisen- und Stahlwerkstoffen,

Radex-Rundschau H. 3/4 (1978). [5] MITSCHE, R.; STANZL, S., Auswertung von Ultraschallbrüchen von Eisenwerkstoffen. In: Gefüge

und Bruch. Hrsg.: K. L. MAURER, H. FISCHMEISTER – Berlin/Stuttgart: Gebrüder Borntraeger 1977, S. 223.

[6] SCHAABER, O., Rasterelektronenmikroskopische Untersuchungen an geätzten Proben. In: Gefüge und Bruch. Hrsg.: K. L. MAURER, H. FISCHMEISTER – Berlin/Stuttgart: Gebrüder Borntraeger 1977, S. 454.

[7] CHESSNUTT, J. C.; SPURLING, R. A., Metallurgical Transactions 8A (1977) 216. [8] DAHLBERG, PH. E., Proc. 7th SEM Symposium, Chicago 1974, p. 911. [9] KNOTT, F. J., Proc. 4th International Conference on Fracture, Waterloo 1977, Vol. l, p. 61. [10] SCHÜLLER, H.-J.; HAGN, L.; WOITSCHEK, A., Maschinenschaden 47 (1974) 1. [11] KREYE, H.; OLEFJORD, I.; LÖTTGERS, J., Archiv Eisenhüttenwesen 48 (1977) 291. [12] EFFERTZ, P.-H.; FRANK, R.; HAGN, L.: Schwingungsbruch in Vergütungsstählen.

In: Bruchuntersuchung und Schadenklärung. – München Berlin: Allianz Versicherungs-A. G. 1976, S. 12.

[13] SCARLIN, R. B., Proc. 4th International Conference on Fracture, Ed.: D. M. K. TAPLIN, Waterloo 1977, Vol. 2, p. 849.

[14] SPECKHARDT, H., Bruchentstehung bei rissbildender Korrosion. In: Gefüge und Bruch. Hrsg.: K. L. MAURER, H. FISCHMEISTER – Berlin/Stuttgart: Gebrüder Borntraeger 1977, S. 367.

[15] SPÄHN, H., Grundlagen und Erscheinungsformen der Schwingungsrisskorrosion. In: VDI Berichte 235. – Das Verhalten mechanisch beanspruchter Werkstoffe und Bauteile unter Korrosions-einwirkung. – Düsseldorf: VDI Verlag 1975, S. 103.

[16] SCHMITT-THOMAS, K.-G.; LEIDIG, A., Maßnahmen zur Beeinflussung von Schadensabläufen durch Schwingungsrisskorrosion. In: VDI Berichte 235 – Das Verhalten mechanisch beanspruchter Werkstoffe und Bauteile unter Korrosionseinwirkung.– Düsseldorf: VDI Verlag 1975, S. 117.

[17] EFFERTZ, P. H.; FORCHHAMMER, P.; HAGN, L., Schwingungsrisskorrosion an Turbinenbau-stahl X20Cr13. In: Bruchuntersuchung und Schadenklärung. – München Berlin: Allianz Versicherungs-A. G. 1976, S. 52.

[18] TRUMAN, J. E., Corrosion Science. 17 (1977) 737. [19] UHLIG, H.: Korrosion und Korrosionsschutz. 2. Aufl. – Berlin: Akademie-Verlag 1975, S. 328. [20] SCULLY, J. C., Fractographic Aspects of Stress Corrosion Cracking in Alloys. In: The Theory of

Stress Corrosion Cracking in Alloys. Ed.: J. C. SCULLY. – Brüssel: NATO Scientific Affairs Division 1971, p. 128.

[21] SCHMIDT, V., MÖSER, M., Korrosion (Dresden) 8 (1977) 300. [22] RIECKE, E., Arch. Eisenhüttenwes. 49 (1978) 509 [23] ORIANI, R. A.; JOSEPHIC, P. H., Acta Metall. 25 (1977) 979. [24] NAUMANN, F. K., Das Buch der Schadensfälle. – Stuttgart: Dr. Riederer-Verlag 1976, S. 441. [25] STEINHAUSER, W., Luftfahrttechnik, Raumfahrttechnik. 10 (1964) 93.

Page 18: 14. Elektronenmikroskopische · PDF file14. Elektronenmikroskopische Fraktographie M. MÖSER . aus: Elektronenmikroskopie in der Festkörperphysik, Hrsg. H. Bethge und J. Heydenreich,

358

[26] WATKINS, M.; BLUEM, M.; F.; GREER, J. B.: Corrosion 32 (1976) 102 [27] HIRTH, F. W.; SPECKHARDT, H., Draht 29 (1978) 276 [28] RUGE, J., Untersuchungen zum wasserstoffinduzierten Bruch. In: Bruchuntersuchung und

Schadenklärung. – München Berlin: Allianz Versicherungs-A. G. 1976, S. 206. [29] ENGEL, L.; KLINGELE, H., Archiv Eisenhüttenwesen 48 (1977) 550 [30] KIKUTA, Y.; ARAKI, T.; KURODA, T., ASTM STP 645 (1978) 107. [31] SCHMIDTMANN, E.; WELLNITZ, G.: Arch. Eisenhüttenwes. 47 (1976) 101 [32] MÖSER, M., SCHMIDT, V., Proc. 7. Congress on Materials Testing Budapest 1978, Vol. 2, p. 851 [33] STEFFENS, H. D. et al. unveröff. (zitiert in: Bruchuntersuchung und Schadenklärung. – München

Berlin: Allianz Versicherungs-A. G. 1976, S. 199) [34] WEISS, B.; HUGHES, C. W.; STICKLER, R., Praktische Metallographie 7 (1971) 582 Als Standardwerk der Schadensforschung, in dem auch die elektronenmikroskopische Fraktographie berücksichtigt wurde, ist anzusehen: Failure Analysis and Prevention (Metals Handbook, Vol. 10, 8th Edition). – Ohio: ASM 1975 Anmerkungen: Die Bilder wurden größtenteils neu eingescannt, die Rechtschreibung wurde aktualisiert. Der Seitenumbruch entspricht ungefähr dem Original, der Zeilenumbruch ist frei. Die Spannungsrisskorrosion wurde hier als mikroskopisches Ätzen dargestellt. Der Verfasser kam später zu der Einsicht, dass es sich um wasserstoffinduzierten Bruch handelt. Beim Reinigungsmittel wurde von inhibierter Salzsäure auf verdünnte Zitronensäure (15%) gewechselt. Eine überarbeitete Fassung dieses Kapitels ist in englischer Sprache erschienen: Fractography with the SEM (failure analysis). In: Electron Microscopy in Solid State Physics. Eds. H. Bethge and J. Heydenreich. Elsevier: Amsterdam–New York–Tokyo 1987; pp 366-385