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Musterlösungen der Vertiefungsfragen und (Zusatz-)Übungen zum utb-Band: Soziologie der Organisation Eine Einführung Von Markus Pohlmann, Hristina Markova ISBN: 978-3-8252-4701-0 www.utb-shop.de/9783825247010 Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 ................................................................................................................................ 3 Zusatzübung zu Kapitel 1: Organisationsgesellschaft ........................................................ 3 Kapitel 2 ................................................................................................................................ 4 2.1 Ist eine Armee im sozialwissenschaftlichen Sinne eine Organisation? ......................... 4 2.2 Welche Schwierigkeiten haben Polizei- und Justizorganisationen aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive bei der Bekämpfung der italienischen Mafia? .......... 6 2.3 Sind »Teams« eine Form der Gruppenbildung in Organisationen? .............................. 6 Übungsaufgabe zu Kapitel 2: Die Pizzeria als Organisation? ............................................. 6 Kapitel 3 ................................................................................................................................ 8 3.1 In welcher Hinsicht ist eine Universität eine bürokratische Organisation? .................... 8 3.2 Wie lässt sich die Einführung von BA- und MA-Studiengängen an den Universitäten und Hochschulen Deutschlands aus einer neo-institutionalistischen Perspektive erklären? 8 3.3 Wie sind an einer Universität aus systemtheoretischer Perspektive Programm- und Personalstrukturen verbunden? ......................................................................................... 9 Übungsaufgabe zu Kapitel 3: Gründung und Schließung einer Privat-Universität .............. 9 Zusatzübung zu Kapitel 3: Vergewaltigung in der S-Bahn .................................................10 Zusatzübung zu Kapitel 3: Systemtheorie .........................................................................13 Kapitel 4 ...............................................................................................................................15 4.1 Was lässt sich aus systemtheoretischer Perspektive unter Personalpolitik verstehen? .........................................................................................................................................15 4.2 Worauf muss man achten, wenn man im Sinne der Coleman’schen Theorie rationaler Wahl Motivationsprobleme in einer Körperschaft untersuchen möchte? ...........................15 4.3 Was tun Führungskräfte aus der Perspektive des neuen Institutionalismus, wenn sie Mitarbeiter/innen motivieren? ............................................................................................15

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Musterlösungen der Vertiefungsfragen und (Zusatz-)Übungen zum utb-Band: Soziologie der Organisation Eine Einführung Von Markus Pohlmann, Hristina Markova ISBN: 978-3-8252-4701-0 www.utb-shop.de/9783825247010

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 ................................................................................................................................ 3

Zusatzübung zu Kapitel 1: Organisationsgesellschaft ........................................................ 3

Kapitel 2 ................................................................................................................................ 4

2.1 Ist eine Armee im sozialwissenschaftlichen Sinne eine Organisation? ......................... 4

2.2 Welche Schwierigkeiten haben Polizei- und Justizorganisationen aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive bei der Bekämpfung der italienischen Mafia? .......... 6

2.3 Sind »Teams« eine Form der Gruppenbildung in Organisationen? .............................. 6

Übungsaufgabe zu Kapitel 2: Die Pizzeria als Organisation? ............................................. 6

Kapitel 3 ................................................................................................................................ 8

3.1 In welcher Hinsicht ist eine Universität eine bürokratische Organisation? .................... 8

3.2 Wie lässt sich die Einführung von BA- und MA-Studiengängen an den Universitäten und Hochschulen Deutschlands aus einer neo-institutionalistischen Perspektive erklären? 8

3.3 Wie sind an einer Universität aus systemtheoretischer Perspektive Programm- und Personalstrukturen verbunden? ......................................................................................... 9

Übungsaufgabe zu Kapitel 3: Gründung und Schließung einer Privat-Universität .............. 9

Zusatzübung zu Kapitel 3: Vergewaltigung in der S-Bahn .................................................10

Zusatzübung zu Kapitel 3: Systemtheorie .........................................................................13

Kapitel 4 ...............................................................................................................................15

4.1 Was lässt sich aus systemtheoretischer Perspektive unter Personalpolitik verstehen? .........................................................................................................................................15

4.2 Worauf muss man achten, wenn man im Sinne der Coleman’schen Theorie rationaler Wahl Motivationsprobleme in einer Körperschaft untersuchen möchte? ...........................15

4.3 Was tun Führungskräfte aus der Perspektive des neuen Institutionalismus, wenn sie Mitarbeiter/innen motivieren? ............................................................................................15

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Übungsaufgabe zu Kapitel 4: Naoko und der Lebenslauf ..................................................16

Zusatzübung zu Kapitel 4: Das Arbeitszeugnis .................................................................17

Zusatzübung zu Kapitel 4: Motivation ...............................................................................20

Kapitel 5 ...............................................................................................................................21

5.1 Wieso ist in der systemtheoretischen Betrachtung von Macht die Anwendung von negativen Sanktionen für die Organisation bzw. die Vorgesetzten in einer Organisation problematisch? .................................................................................................................21

5.2 Worauf muss man achten, wenn man im Sinne der Coleman’schen Theorie rationaler Wahl Machtkonstellationen in einer Organisation untersuchen möchte? ...........................21

5.3 Warum versuchen Organisationen ihre Mitglieder mittels Geld zu motivieren und welche Alternativen dazu kommen in Organisationen zum Einsatz? .................................21

Übungsaufgabe zu Kapitel 5: Geld oder: der Fall Kozlowski .............................................22

Kapitel 6 ...............................................................................................................................23

6.1 Worin unterscheidet sich ein soziologisches Verständnis von Führung von der Führungsstildiskussion, wie sie in der Betriebswirtschaftslehre geführt wird? ...................23

6.2 Welches sind die Argumente, die eine systemtheoretische Sicht gegen die Vorstellung einer „Steuerung“ der Organisation durch das Management bereit hält? ..........................23

6.3 Welche Folgen hat es für die Sozialstruktur einer Gesellschaft, dass Manager Spitzengehälter realisieren und wie könnte sich dies auf das Führungsgeschehen einer Organisation auswirken? ..................................................................................................23

Übungsaufgabe zu Kapitel 6: Führung und Strategie in Veränderungsprozessen .............24

Zusatzübung zu Kapitel 6: Führungskonzept ....................................................................25

Kapitel 7 ...............................................................................................................................27

7.1 Wie verändert man nach den Annahmen der Coleman’schen Theorie rationaler Wahl die Organisationskultur einer Körperschaft? .....................................................................27

7.2 In welcher Weise beeinflussen sich aus der Perspektive des neuen Institutionalismus die ungeschriebenen Regeln und die formalen Regeln einer Organisation? .....................28

7.3 Warum gestaltet sich aus systemtheoretischer Perspektive der gezielte Wandel der Organisationskultur so schwierig? .....................................................................................28

Übungsaufgabe zu Kapitel 7: Entlassungskulturen ...........................................................28

Zusatzübung zu Kapitel 7: Geist der Veränderung ............................................................30

Zusatzübung zu Kapitel 7: Die Rolle von Beratung ...........................................................32

Kapitel 8 ...............................................................................................................................35

Übungsaufgabe zu Kapitel 8: Ein kniffliger Fall: Führung einer gelben Gewerkschaft durch einen ehemaligen Siemensianer .......................................................................................35

Zusatzübung zu Kapitel 8:Amtsträgerbestechung – Der Fall der Telekom Magyar ...........36

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Kapitel 1

Zusatzübung zu Kapitel 1: Organisationsgesellschaft

1. Welche Argumente gibt es Ihres Erachtens nach, die Rede von der Organisationsgesellschaft gegenüber anderen Gesellschaftsbezeichnungen wie z. B. der Wissensgesellschaft, Dienstleistungsgesellschaft, Industriegesellschaft, Freizeitgesellschaft etc. aufrecht zu erhalten?

Die Bezeichnung der Organisationsgesellschaft ist insofern treffend, als dass das soziale Leben durch die Existenz und die Funktionen von Organisationen geprägt ist. Auf der Ebene des Individuums zeigt sich, dass Personen im Laufe des Lebens und jeden Tag von Neuem im Kontakt zu verschiedenen Organisationen stehen. Deutlich wird dies bereits in der groben Überschau von Lebensläufen, wenn man sich verdeutlicht, welche Organisationen üblicherweise durchlaufen werden: Krankenhaus, Kindergrippe, Kindergarten, Schule, verschiedene Arbeitgeber, Rentenversicherung etc. Für die gesellschaftliche Positionierung der Person sind Organisationen verantwortlich ebenso wie für die Ermöglichung und Gestaltung von Karrieren. Auf der Ebene der Gesellschaft ist festzustellen, dass Organisationen in modernen Gesellschaften als rationales Mittel gelten, um Probleme zu lösen und kooperative Handlungsfähigkeit zu ermöglichen. Der Begriff der Organisationsgesellschaft legt gleichermaßen wie andere soziologische Gesellschaftsbegriffe das Hauptaugenmerk auf ein spezifisches soziales Phänomen, in diesem Falle auf die Bedeutung von Organisationen innerhalb der Gesellschaft. In diesem Sinne, sollte diese Bezeichnung die übrigen nicht ersetzen, sondern vielmehr ergänzen.

2. Sie sind heute früh aufgestanden und zur Universität gekommen. Bitte analysieren Sie, mit wie vielen Organisationen Sie mittelbar und unmittelbar in Kontakt gekommen sind und listen Sie diese Organisationen auf.

(Lösungsvorschlag ohne Anspruch auf Vollständigkeit, da bis ins Unendliche fortführbar)

Aufwachen:

mittelbar unmittelbar

Atomuhr in Braunschweig, Uhrenproduzent (Gehäuse, Uhrenwerk), Holzlieferant, Möbelproduzent (Bett, Nachttisch), Teppichproduzent, Baugesellschaft, Landwirtschaftsbetrieb (Inhalt Federbett), Bettwäschenproduzent, Stoffhersteller…

Uhrenladen, Möbelhaus, Dekorationsgeschäft, Vermieter, Bettengeschäft…

Aufstehen/ Umziehen:

mittelbar unmittelbar

Stromerzeuger, Hauselektronikproduzent, Kleidungsproduzent, Stoffhersteller, Spedition (Transport der Kleidungsstücke), Schmuckproduzent, Goldbörse, Goldgewinnung, Handyproduzent, Produzent von Elektroteilen, Internet, Funksystem, TÜV…

Energiegesellschaft, Elektroinstallateur, Kleidungsladen, Schmuckladen, Elektrogeschäft…

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Badezimmer:

mittelbar unmittelbar

Amaturenproduzent, Fliesenproduzent, Silikonproduzent, Werkzeugproduzent, Produzenten von Hygieneartikeln, Pflanzenanbau, Parfümölhersteller, Chemieunternehmen…

Installateursfirma, Wasserwerk, Fliesenleger, Drogeriemarkt…

Frühstück:

mittelbar unmittelbar

Landwirtschaftsbetrieb, Mühle, Schlachterei, Käserei, Spedition, Kaffeemaschinenhersteller, Kaffeeplantage, Kaffeeproduzent, Holzlieferant, Papierproduzent, Zuckerplantage, Zuckerhersteller, Lebensmittelkontrolle…

Bäckerei, Metzgerei, Elektrogeschäft, Supermarkt…

Weg bis zur Universität:

mittelbar unmittelbar

Staat/ Kommune (Straßenbau aus Steuern), Stadtplanung, STVO, Studentenwerk (Semesterticket), Bildungsministerium, Zentrale Universitätsverwaltung…

Straßenbauunternehmen, Bahnproduzent, Verkehrsgesellschaft, Schienenbauer, Bahnproduzent, Baugesellschaft, Universität…

Kapitel 2

2.1 Ist eine Armee im sozialwissenschaftlichen Sinn e eine Organisation?

Diese Frage kann exemplarisch unter Hinzuziehung der für die deutsche Bundeswehr geltenden Rechtsnormen beantwortet werden:

Soldatengesetz § 6 Staatsbürgerliche Rechte des Soldaten

Der Soldat hat die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger. Seine Rechte werden im Rahmen der Erfordernisse des militärischen Dienstes durch seine gesetzlich begründeten Pflichten beschränkt.

Soldatengesetz § 7 Grundpflicht des Soldaten

Der Soldat hat die Pflicht, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.

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Eine Armee ist in der Regel ein hybrides Gebilde. Dementsprechend ist die Rolle der Soldaten anders zu bewerten, als die der zivilen Angestellten.

Die Ein- und Austrittsbedingungen für Soldaten in der Bundeswehr entsprechen nicht den Merkmalen einer Organisation im sozialwissenschaftlichen Sinne. Besteht im betroffenen Staat eine Wehrpflicht, so ist der Eintritt der Soldaten nur bedingt frei, als dass diese sich für Ersatzdienste melden könnten. Auch wenn der Eintritt für Berufssoldaten sodann vertraglich, freiwillig geschieht, ist ein freier Austritt für eine festgelegte Dauer nicht möglich, die Frist für einen möglichen Austritt wird im Vertrag festgehalten. Vor diesem Hintergrund ist auch § 16 (1) Wehrstrafgesetz zu verstehen, der die sogenannte Fahnenflucht unter Strafe mit Freiheitsentzug stellt. Hier findet sich ein Anhaltspunkt für die Einschränkung der Grundrechte der Soldaten wieder, die auch in § 6 Soldatengesetz in allgemeiner Form beschrieben wird. Auch wenn der verfassungsrechtliche Schutz der Menschenwürde aufrechterhalten werden soll (§ 11 (1) Soldatengesetz), sind die Freiheitsrechte der Soldaten deutlich begrenzt. Neben den beschränkten Austrittsmöglichkeiten, wird Ungehorsam unter Strafe gestellt sofern er nicht rechtlich begründet ist (§ 11 (2) Soldatengesetz). Die Gehorsamspflicht gilt also auch dann für Soldaten, wenn sie die Autorität des Vorgesetzten oder die Legitimität der Ordnung bzw. des Krieges anzweifeln. Auch wenn sich in § 7 Soldatengesetz eine vermeintliche Festlegung der Rechte von Soldaten findet, mündet diese doch wieder in die eigentliche Pflicht zur Verteidigung des Staates.

Für die Zeit ihres Dienstes werden Soldaten mit Leib und Leben vereinnahmt. Sie leben außerhalb der Kriegszeit häufig in Kasernen und verbringen dort ihren Alltag. Eine einfache Erreichbarkeit ist im Kriegsfall nicht ausreichend. Die Soldaten riskieren im Krieg ihr Leben und sind als Berufssoldaten nicht dazu berechtigt, den Kriegsdienst zu verweigern. Der Zugriff auf die Person ist daher temporär besonders umfassend. Außerdem entsteht durch die klare Sanktionsmacht der Vorgesetzten und des Staates gegenüber Soldaten (§ 16

Soldatengesetz § 11 (1), (2) Gehorsam

(1) Der Soldat muss seinen Vorgesetzten gehorchen. Er hat ihre Befehle nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und unverzüglich auszuführen. Ungehorsam liegt nicht vor, wenn ein Befehl nicht befolgt wird, der die Menschenwürde verletzt oder der nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt worden ist; die irrige Annahme, es handele sich um einen solchen Befehl, befreit den Soldaten nur dann von der Verantwortung, wenn er den Irrtum nicht vermeiden konnte und ihm nach den ihm bekannten Umständen nicht zuzumuten war, sich mit Rechtsbehelfen gegen den Befehl zu wehren.

(2) Ein Befehl darf nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde. Befolgt der Untergebene den Befehl trotzdem, so trifft ihn eine Schuld nur, wenn er erkennt oder wenn es nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist, dass dadurch eine Straftat begangen wird.

Wehrstrafgesetz § 16 (1), (2), (3) Fahnenflucht

(1) Wer eigenmächtig seine Truppe oder Dienststelle verläßt oder ihr fernbleibt, um sich der Verpflichtung zum Wehrdienst dauernd oder für die Zeit eines bewaffneten Einsatzes zu entziehen oder die Beendigung des Wehrdienstverhältnisses zu erreichen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Stellt sich der Täter innerhalb eines Monats und ist er bereit, der Verpflichtung zum Wehrdienst nachzukommen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.

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Wehrstrafgesetz) ein eindeutiges Machtgefälle, welches sehr umfassend auf die ganze Person im Sinne von drohenden Freiheitsentzügen zurückgreift.

All die bislang geschilderten Aspekte sprechen gegen die Einordnung der Bundeswehr als Organisation im sozialwissenschaftlichen Sinne. Auch wenn die Bundeswehr einen festgelegten Zweck verfolgt und hierzu den Aufbau in klaren, formal geregelten Hierarchien und Aufgabenverteilungen nutzt (§ 11 (1) Soldatengesetz), handelt es sich für die Soldaten um eine totale Institution. Nichtsdestotrotz existiert eine formale Wechselseitigkeit durch die Bereitstellung des Soldaten zum Wehrdienst und einer geregelten Bezahlung seiner Leistungen.

Im Gegensatz zu den Soldaten unterliegt das zivile Personal im Regelfall nicht den beschriebenen Einschränkungen, wenn auch oft - aufgrund der besonderen Charakteristik des Arbeitgebers - besondere vertragliche Bedingungen gelten. Für die zivilen Angestellten ist die Bundeswehr eine Organisation: Der Ein- und Austritt ist kontraktuell geregelt, das Personal ist austauschbar und erhält für seine Arbeit eine festgelegte Entlohnung, die Hierarchie und die formale Arbeitsteilung ist klar am Organisationszweck ausgerichtet und formal geregelt, die Grundrechte werden nicht eingeschränkt, die Arbeitnehmer sind typischerweise partial inkludiert und müssen zur Aufgabenerfüllung lediglich erreichbar sein.

2.2 Welche Schwierigkeiten haben Polizei- und Justi zorganisationen aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive bei der Bekämp fung der italienischen Mafia?

Mord und Totschlag, die Gefährdung von Leib und Leben sind konstitutiv für die Geschäftspolitik der Mafia. Dem gegenüber stehen mit Polizei und Justiz moderne Organisationsformen, für die der Einsatz von Leib und Leben eher die Ausnahme als die Regel ist. Zwar kann sich »[f ]ür Beamte der Polizei, des Strafvollzugs und der Feuerwehr (…) in bestimmen Situationen sogar die Pflicht ergeben, Leben und Gesundheit einzusetzen. Einem Polizeibeamten darf der Einsatz des Lebens jedoch nur dann zugemutet werden, wenn dies zur Abwehr von Gefahren für vorrangige Rechtsgüter des Staates oder der Bürger erforderlich und das einzugehende Risiko kalkulierbar ist.« (Jäger o. J.) Damit wird klar, woraus die Schwierigkeiten bei der Bekämpfung der Mafia resultieren: Ihr steht im Regelfall das Personal moderner Organisationen gegenüber und für dieses kommt nur in Einzelfällen eine ähnlich radikale Vereinnahmung überhaupt in Frage.

2.3 Sind »Teams« eine Form der Gruppenbildung in Or ganisationen?

Teams sind als Arbeitsteams ein Element vieler Organisationen. Sie können aufrechterhalten werden und behalten ihre Funktion und organisationale Identität, auch wenn einzelne oder mehrere Mitglieder des Teams ausgetauscht werden. Sie brauchen zwar immer auch Interaktion mit Anwesenden, können aber über längere Zeit auch einfach mittels kommunikativer Erreichbarkeit aufrechterhalten werden. Als Organisationseinheit werden Arbeitsteams zwar häufig in der Mitgliederzahl begrenzt, sind aber gegenüber Schwankungen der Mitgliederzahl nicht so empfindlich wie Gruppen. Sie sind sehr klar instrumentell, am Organisationszweck und Teamzweck orientiert. Eine darüber hinaus gehende Verständigungsorientierung kann entstehen, muss aber keineswegs. Außerhalb der Arbeit können sich die Teammitglieder ggf. auch aus dem Wege gehen. In dem hier vorgestellten Gruppen –und Organisationsverständnis sind Teams also keine Form der Gruppenbildung in Organisationen, auch wenn diese als darüber hinaus entstehende Beziehungsform nicht ausgeschlossen ist.

Übungsaufgabe zu Kapitel 2: Die Pizzeria als Organi sation?

Handelt es sich bei der Pizzeria im soziologischen Sinne um eine Organisation? Bitte begründen Sie und grenzen Sie Ihre Einschätzung zu den Merkmalen von Gruppen, traditionellen Gemeinschaftsformen, totalen Institutionen und Märkten ab.

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Die Pizzeria hat eine Organisationsform, ist aber im engeren, soziologischen Verständnis keine Organisation. Zwar hat Fabrizio einen mündlichen Vertrag, der seinen Ein- und Austritt über allgemeine rechtliche Normen im Bürgerlichen Gesetzbuch regelt, aber sein Ein- und Austritt aus der Pizzeria ist nicht oder nur bedingt frei, da er einem Ein- und Austritt aus der Familie gleichkäme. Fabrizio ist also in gewissem Sinne von der Pizzeria abhängig. Außerdem kommt seine Teilhabe in der Pizzeria einer Totalinklusion nahe und kann nicht als partial bezeichnet werden, Fabrizio identifiziert sich stark mit dem Familienunternehmen, es ist sein Lebensmittelpunkt. Unabhängig von Fabrizios Rolle gibt es keine formalen Regelungen über den Ein- und Austritt von sonstigem Personal. Die Möglichkeit zur Teilhabe hängt von der Familienzugehörigkeit ab, der Eintritt in die Pizzeria wird von der Familie bestimmt. Dementsprechend sind die mitarbeitenden Familienangehörigen nicht austauschbar, die Zusammensetzung des Personals ist charakteristisch für die Pizzeria. Emotionale Orientierungen überwiegen und es gibt keine depersonalisierten Mitgliedschaftsrollen.

Eine Pizzeria der vorgestellten Art reagiert sensibel auf Veränderungen bezüglich der Personalgröße. Die Charakteristik des familiär geprägten Zusammenarbeitens ginge bei einem zu starken Personalausbau oder bei einer Filialeröffnung der Pizzeria verloren, zumal die Anzahl der Familienmitglieder, die potentiell mitarbeiten könnten, begrenzt ist.

Da Fabrizio bis auf sein Taschengeld kein geregeltes Entgelt erhält und über keine formal legitimierte Ausbildung verfügt, ist die in Organisationen übliche formale Wechselseitigkeit (Geld – Arbeit) in seinem Falle nicht gegeben.

Die Abstimmung zwischen den arbeitenden Familienmitgliedern durch formale Regeln und Hierarchien ist gering. So findet z. B. keine formale Regelung der Arbeitszeit statt. Fabrizios Vater scheint in der Abstimmung des Personaleinsatzes eine leitende Rolle einzunehmen. Die gegenseitigen Rollenerwartungen und -zuschreibungen im Familienbetrieb sind intransparent und mit den familiären Rollen vermischt. Familiäre Hierarchien werden auf den Betrieb übertragen und sind auch dort anerkannt.

Bezogen auf die Kommunikation in der Pizzeria, reicht eine einfache Erreichbarkeit der Personen nicht aus, die Interkation zwischen den Familienmitgliedern ist ein zentrales Element im Familienbetrieb.

Obwohl die Pizzeria über das Merkmal des freigewählten Organisationszweckes verfügt, ist die Arbeit nicht nur instrumentell, sondern auch und insbesondere an Tradition und Familiensinn ausgerichtet.

Die Bürgerrechte von Fabrizio scheinen nicht eingeschränkt zu sein.

Die Pizzeria ist somit keine Organisation im engeren Sinne. Um eine Marktsituation kann es sich nicht handeln, weil hierzu die sozialen Beziehungen zu intensiv sind und deutlich über reine, geregelte Tauschbeziehungen hinausgehen. Die Familie als Institution dominiert die soziale Form der Pizzeria. Obwohl die Inklusion der Familienmitglieder in der Pizzeria hoch ist, ist diese nicht mit den Bedingungen in einer totalen Institution gleichzusetzen. Die Sensibilität bezüglich Personal- oder Größenveränderungen und der mangelnde Eingriff in Grundrechte sprechen ebenfalls gegen die Einordnung als totale Institution. In Bezug auf die Größensensiblitität und der eingeschränkten Austauschbarkeit des Personals kann die Pizzeria als Gruppe gelten. Jedoch spricht das herausragende Merkmal des Familienbetriebs, das prägende Wir-Gefühl, dafür, dass es sich am ehesten um eine traditionelle Vergemeinschaftungsform mit besonderen Ein- und Austrittsregelungen sowie personalisierten Rollen handelt. Damit überwiegen die Merkmale einer traditionellen Vergemeinschaftungsform.

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Kapitel 3

3.1 In welcher Hinsicht ist eine Universität eine b ürokratische Organisation?

Die Universität weist zahlreiche Elemente einer modernen bürokratischen Organisation auf. Dies macht sich am Beispiel der Universitätsverwaltung besonders deutlich bemerkbar: Sie richtet sich nach gesetzlichen Vorschriften bezüglich des Angebots von Studienfächern, der Betreuungsrelation, der Besetzung von offenen Stellen, Vergabe von Studienplätzen etc. Auch universitätsinterne Entscheidungen seitens des Rektorats werden von der Verwaltung umgesetzt. Eine klare Amtshierarchie ist gegeben: Die Entscheidungen des Rektorats werden über die Leiter der Dezernate an die Abteilungsleiter und die entsprechenden Sachbearbeiter weitergeleitet, wo sie vorbereitet und umgesetzt werden. Die Beschäftigung an einer Universitätsverwaltung zeichnet sich durch den freiwilligen, kontraktuell gebundenen Ein- und Austritt der Mitarbeiter aus. Durch ein formales Ausschreibungsverfahren werden die offenen Stellen besetzt, Interessenten bewerben sich freiwillig und haben generell die Möglichkeit, die angebotene Stelle abzulehnen. Das Vertragsverhältnis lässt eine Kündigung von beiden Seiten zu, es ist oft zeitlich befristet und enthält klare Vorschriften bezüglich der des Ein- und Austrittes des Mitarbeiters. Die Angestellten zeichnen sich in der Regel durch eine bestimmte Qualifikation im Bereich der Verwaltungswissenschaften aus oder werden im Laufe ihres Beschäftigungsverhältnisses weitergebildet. Ein wichtiges Merkmal der Universitätsverwaltung ist die Aktenmäßigkeit: Für jeden immatrikulierten Studenten wird eine Verwaltungsakte angelegt, aufbewahrt und gepflegt. Relevante Informationen bezüglich Wohnort, Studienfach, Familienstand etc. sowie Änderungen des Status der Person werden schriftlich notiert. Die Verwaltung der Akten erfolgt über eine Matrikelnummer, die dem Studierenden unabhängig von der sozialen Herkunft, vom Geschlecht oder von der Nationalität bei seiner Immatrikulation zugewiesen wird. Dasselbe gilt auch für die Verwaltung der Personalakten von den Mitarbeitern an einer Universität. Die Prinzipien der Aktenmäßigkeit und Behandlung eines Falls ohne Ansehen der Person, der Anerkennung der Ordnung, des freiwilligen, kontraktuell gebundenen Ein- und Austritts, sowie der Fachgeschultheit sind somit grundlegend für das alltägliche Handeln in modernen Universitätsverwaltungen.

Wenn wir allerdings andere organisationale Einheiten der Universität wie Institute oder Lehrstühle in den Blick nehmen, ergibt sich durch den Perspektivenwechsel ein anderes Bild. Die stark ausgeprägte Amtshierarchie (Professoren, Mittelbau, wissenschaftliche Hilfskräfte, studentische Hilfskräfte), das Laufbahn- und Karriereprinzip, die Fachgeschultheit des Personals sind Merkmale, die zweifelsohne an Fachinstituten fest institutionalisiert sind. Die weitgehende Unabhängigkeit der Professoren als Universitätsmitglieder bezüglich ihrer Forschungsfragen, sowie der persönliche Austausch zwischen Professoren und Studierenden weisen allerdings auf Abweichungen von dem Weber’schen Bürokratiemodell hin.

3.2 Wie lässt sich die Einführung von BA- und MA-St udiengängen an den Universitäten und Hochschulen Deutschlands aus eine r neo-institutionalistischen Perspektive erklären?

Die Einführung von BA- und MA-Studiengängen an deutschen Hochschulen kann als ein Beweis für die institutionelle Ausbreitung von hochschulpolitischen Modellen und Konzepten im europäischen Raum gedeutet werden. Die gestuften Studiengänge sollen ein schnelleres und effizienteres Studium ermöglichen, sowie die räumliche Mobilität der Studierenden innerhalb Europas erhöhen. Inwiefern diese tatsächlich zu einer Verkürzung der Studienzeiten, einem verstärkten Austausch von Studierenden an europäischen Hochschulen und somit zu einem effizienteren deutschen Hochschulsystem beitragen, ist eine empirische Frage und wird oft bezweifelt. Nichtsdestotrotz handelt es sich um die

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Befolgung institutioneller Regeln, die im europäischen Raum als legitim angesehen werden. Die neo-institutionalistische Perspektive macht auf der Ebene der deutschen Universitäten deutlich, welchen institutionellen Zwängen die Hochschulen ausgesetzt sind: Die Abschaffung der Diplom- und Magisterstudiengänge geht mit einem Streben nach gesellschaftlicher Legitimität einher, indem institutionalisierte Erwartungen erfüllt werden. Mit Hilfe des Neo-Institutionalismus kann aber auch das Auseinanderklaffen zwischen politischem Beschluss und Umsetzung auf der Ebene der Organisation Hochschule analysiert werden: Die anfänglichen Probleme und Widerstände bei der inhaltlichen Konzeption neuer Studiengänge zeigen, dass eine organisationale Ausrichtung an einem politischen Konzept nicht zwangsläufig zu einer Veränderung der formalen Organisationsstruktur und der inhaltlichen Angebote führen muss. Die Einführung von BA- und MA-Studiengängen in Deutschland ist ebenfalls ein Zeichen für die Angleichung der europäischen Bildungseinrichtungen aufgrund von institutionalisierten Vorstellungen im hochschulpolitischen Feld jenseits der nationalen Rahmen.

3.3 Wie sind an einer Universität aus systemtheoret ischer Perspektive Programm- und Personalstrukturen verbunden?

Programme sind in der systemtheoretischen Perspektive eine Form von Entscheidungsprämissen, die sich ganz allgemein auf die Aufgabe einer Organisation beziehen. Durch Zweck- und Konditionalprogrammierung wird systemintern Komplexität reduziert und die Entscheidungsproduktion erleichtert. An einer Universität wird über die fachliche Schwerpunktsetzung entschieden: Die Entscheidung, sich beispielsweise auf die Natur-, Lebens- und Ingenieurswissenschaften zu konzentrieren und Technologietransfer als ein sehr wichtiges Ziel der Universität zu sehen, ist ein Beispiel für eine bestimmte Programmstruktur, die Folgeentscheidungen beeinflusst. Die Personalentscheidungen knüpfen logischerweise daran an: Professoren werden berufen, die dem Profil der Universität entsprechen und die im Programm der Universität festgelegten Ziele verfolgen. Auf der anderen Seite können Personalstrukturen die Programmebene einer Organisation beeinflussen: Bereits gefallene Entscheidungen über die Besetzung von Positionen können wiederum Auswirkungen auf die Programmebene der Organisation haben. Die Entscheidung, einen bekannten Wissenschaftler zu berufen, hat zur Folge, dass die inhaltliche Ausrichtung des entsprechenden Instituts oder sogar der Universität angepasst wird.

Übungsaufgabe zu Kapitel 3: Gründung und Schließung einer Privat-Universität

1. Bitte begründen Sie aus neo-institutionalistischer Perspektive, warum welche Studien- und Finanzierungsformen gewählt wurden.

Die Ansätze des Neo-Institutionalismus eignen sich dafür, mehrere Entscheidungen in der Gründungsphase der Universität zu erklären. Die von den Gründern der PHU gewählte Finanzierungsform ist in den USA verbreitet und gesellschaftlich anerkannt. Da die Studienzeit als Investition in die eigene Zukunft angesehen wird, sind dort hohe Studiengelder und ein marktwirtschaftlich organisierter Bildungssektor legitim und gelten als rational. Der wichtigste Entscheidungsfaktor für den Eintritt in eine Universität stellt in den USA der zu erwartende „return on investment“ dar. Beim Versuch, diese Legitimationsstrukturen analog in Deutschland zu übernehmen, ist die Universität gescheitert. Unterschiede der Kultur und der länderspezifischen Bildungssysteme wurden nicht bedacht (Unterschiede in internationalen Rankings, schlanker Staat vs. Sozialstaat…). Das Gewinnstreben einer Organisation ist eine legitime Ausrichtung im Wirtschaftssektor, lässt sich jedoch nicht ohne weiteres auf Universitäten übertragen. Durch die mangelnde Anerkennung der PHU lässt sich schließlich auch die zurückhaltende Nachfrage der Studenten erklären.

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Des Weiteren bemüht sich die Leitung um eine staatliche Anerkennung der Abschlüsse, um dadurch die gesellschaftliche Legitimation der Universität zu steigern. Der Erwerb der staatlichen Anerkennung sichert den Absolventen den Anschluss an andere Bildungseinrichtungen und an den Arbeitsmarkt zu.

2. Versuchen Sie, das Scheitern der Universitätsgründung mit Bezug auf die Annahmen einer Theorie rationaler Wahl zu erklären.

Die PHU stellt keinen Interessenszusammenschluss dar, sondern baut auf die Perspektive einer Tauschbeziehung zwischen der Universität als Organisation (Studiengelder) und Studierenden (Ausbildung, formal anerkannter Abschluss) auf. Nimmt man an, dass die Studierenden als rationale Nutzenmaximierer agieren, die über begrenzte Ressourcen verfügen, stellt sich die Frage nach dem Mehrwert, der durch das Studium an einer privaten Universität in Deutschland erzielt werden kann. Da die Universität neu gegründet ist und daher über keine besondere Reputation verfügt, ist der Mehrwert gegenüber sonstigen Universitätsabschlüssen nicht vorhanden. Die Tatsache, dass das deutsche Hochschulsystem kostenlose bzw. kostengünstige Studienmöglichkeiten anbietet, die gesellschaftlich und international weitestgehend anerkannt sind und keinen Statusnachteil mit sich bringen, führt dazu, dass Studieneinsteiger diese eher bevorzugen. Folglich nehmen nur wenige Studierende ein Studium an der PHU auf und die geplanten Einnahmen durch Studiengebühren bleiben aus.

Aus der Sicht der Investoren erscheinen weitere Investitionen unter diesen Bedingungen als irrational, auch sie handeln als homo oeconomicus eigennützig und sind auf finanzielle Erfolge bedacht. Sie können weder auf Vorteile durch qualifizierte Absolventen hoffen noch Gewinne durch den Universitätsbetrieb verzeichnen. Die Kombination der Interessenslagen von Studienanfängern und Investoren führt letztendlich zur Schließung der Privaten Hanse-Universität.

Zusatzübung zu Kapitel 3: Vergewaltigung in der S-B ahn

Übungsaufgabe:

Januar 1997: In der Hamburger S-Bahn wird ein siebzehnjähriges Mädchen vergewaltigt. Sie schreit nach Hilfe, doch niemand greift ein, niemand holt Beistand. Das Ganze passiert in einem halboffenen Abteil im hinteren Teil des Waggons. Einige Fahrgäste steigen mit dem weinenden Opfer an der Endstation aus. Der Täter bleibt sitzen und fährt unbehelligt mit demselben Zug in die Innenstadt zurück. Die Siebzehnjährige verkriecht sich zu Hause. Kein Zeuge meldet sich bei der Polizei. Erst drei Monate später nimmt sich die Siebzehnjährige ein Herz und erstattet bei der Polizei Anzeige gegen Unbekannt. Wieder meldet sich niemand bei der Polizei. Der Polizeisprecher sagt, die Mitfahrer hätten die Situation offensichtlich missverstanden und nicht richtig erkannt. Der Bahnsprecher meint, die Geschichte höre sich ungereimt an, weil es genügend Möglichkeiten gebe, Hilfe zu rufen, ohne selbst involviert zu sein.

1. Analysieren Sie die Situation, in der sich die Mitfahrer befinden, zu analysieren. Zeigen Sie dabei auf, wie eine Person im Sinne der Theorie Rationaler Wahl handeln würde und beziehen Sie die möglichen Handlungsweisen der übrigen Mitfahrenden mit ein. Versuchen Sie dabei zunächst, alle Wertungen zurückzuhalten.

2. Die Autorin der „Zeit“ spricht hier von einer Zivilgesellschaft ohne ein Minimum an Zivilcourage, von einer Wegschaugesellschaft. Versuchen Sie, Colemans Vorstellung einer asymmetrischen Gesellschaft auf diesen Fall anzuwenden. Zu welchen Erkenntnissen gelangen sie?

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Lösungsvorschlag:

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Zusatzübung zu Kapitel 3: Systemtheorie

1. Wie sind die Programm- und Personalstrukturen an einer Universität aus systemtheoretischer Perspektive miteinander verknüpft?

Programme sind aus systemtheoretischer Perspektive Entscheidungsprämissen, die sich ganz allgemein auf die Aufgabe der Organisation beziehen. Durch Zweck- und Konditionalprogrammierung wird systemintern Komplexität reduziert und die Entscheidungsreproduktion erleichtert. In diesem Sinne wird an einer Universität über die fachlichen Schwerpunktsetzung der Forschung und Lehre entschieden: Sollen Natur- oder Sozialwissenschaften im Mittelpunkt stehen? Welche Forschungsschwerpunkte sind angedacht? Durch die Festlegung von Programmen durch die Universität werden nachfolgende Entscheidungen beeinflusst, beispielsweise welche Veranstaltungen angeboten werden sollten oder welches Personal geeignet ist, um die getroffenen Entscheidungen zu realisieren. Es werden Professoren passend zu den fachlichen Schwerpunkten der Forschung ausgewählt und berufen. Gleichermaßen wirkt sich jedoch auch die Personalstruktur auf das Programm der Universität aus. Der von einem berufenen Professor verfolgte Forschungsschwerpunkt kann zur Veränderung der Vorlesungsinhalte

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oder gar zur Neugründung von Studiengängen führen. Diese besonders enge Verknüpfung von Personal- und Programmstrukturen ist charakteristisch für Universitäten.

Eine weitere Verknüpfung von Programm- und Personalstrukturen lässt sich in Universitäten an der Verteilung von wissenschaftlichem Personal und Verwaltungspersonal feststellen. Die Aufgaben der jeweiligen Personalgruppen unterscheiden sich voneinander. Während die Hauptaufgaben des wissenschaftlichen Personals Forschung und Wissensvermittlung sind, ist das Verwaltungspersonal insbesondere für die Organisation der Lehre verantwortlich. Es erfolgt also eine gezielte Kopplung bestimmter beruflicher Qualifikationen an die Programmstruktur der jeweiligen Stelle.

2. Was macht aus systemtheoretischer Perspektive die Besonderheit der Universität als Organisationsform aus?

Die Universität ist als Organisation auf die wissenschaftliche Erkenntnisproduktion und -vermittlung spezialisiert und grenzt sich durch diese Funktion gegenüber ihrer Umwelt ab. Das „doppelte Mandat“ der Universität sowohl die Erkenntnisproduktion voranzutreiben, als auch in der Wissensvermittlung tätig zu sein hat für die Organisation selbst weitere Folgen.

Eine dieser Folgen ist die Zweiteilung der gesellschaftlichen Funktion von Universitäten. Eine dieser Funktionen ist es, Selektionsleistungen für die Eintrittsmöglichkeiten und Karrieren in Organisationen zu erbringen. Universität und Unternehmen sind über formale Bildungsabschlüsse und Zertifikate strukturell aneinander gekoppelt. Da Unternehmen nicht in der Lage sind, das tatsächliche Wissen des potentiellen Personals zu überprüfen, dienen ihnen Universitätsabschlüsse als Unsicherheitsreduktion. An diesem Beispiel lässt sich erkennen, dass gesellschaftliche Funktionssysteme, wie das Erziehungs- oder Bildungssystem, auch immer Leistungen für andere Funktionssysteme, wie das Wirtschaftssystem, erbringen. Dies wird durch die strukturellen Kopplungen über Organisationen ermöglicht.

Die zweite gesellschaftliche Funktion wird von Universitäten im Rahmen der Erkenntisproduktion erfüllt. Es geht darum, neues „wahres“ Wissen zu gewinnen und dieses der Gesellschaft, verschiedenen Organisationen zur Verfügung zu stellen. Von anderen Organisationen kann dieses Wissen wiederum eigenlogisch aufgenommen und verarbeitet werden. Die Operationen der Universität im Rahmen der Erkenntnisgewinnung gehören dem Wissenschaftssystem an und orientieren sich dementsprechend am binären Code von wahr/unwahr. Dabei ist das an Universitäten gewonnene und vermittelte Wissen keine garantierte absolute oder übergeordnete Wahrheit. Es wird jedoch kontrolliert, nach festen wissenschaftlichen Regeln gewonnen. Das gewonnene Wissen beansprucht außerdem nur so lange Geltung, wie es nicht widerlegt werden konnte, es ist also jederzeit falsifizierbar. Nichtsdestotrotz wird (noch) nicht widerlegtes Wissen von Akteuren als Wahrheit behandelt, um Sicherheit für weitere Kommunikation und Entscheidungen zu gewinnen.

Die beschriebene Zweiteilung von organisationaler Funktion und Programmstrukturen der Universität führt dazu, dass Personen auf zwei unterschiedliche Arten als Mitglieder in die Organisation inkludiert werden. Einerseits gibt es wissenschaftliches und Verwaltungspersonal, andererseits gibt es Studenten – ein Klientel, das von der Wissensvermittlung profitieren möchte. Studenten sind Organisationsmitglieder besonderer Art, sie werden aus Organisationssicht zum „Objekt“, mit dem gearbeitet wird. Im Gegensatz zu anderen im Bildungssystem tätigen Organisationen wie Kindergärten oder Schulen wird das Klientel an der Universität als mündig erachtet. Erzieherische Funktionen werden von Hochschulen nicht wahrgenommen und die Fähigkeit zur „Selbstbildung“ der Studenten wird vorausgesetzt. Ein formaler Hinweis hierfür findet sich in der Schulpflicht, die mit 18 Jahren, also in der Regel vor dem Universitätseintritt endet. Außerdem besitzen Dozenten und Professoren nicht per se eine pädagogische Ausbildung wie dies bei Lehrern der Fall ist. Universität übernehmen nicht die Aufgabe, erzieherischen Einfluss auf Benehmen, Anstand

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und Sitte zu nehmen, sondern die Studierenden an der Erkenntnisvermittlung mit Hilfe formaler Vorgaben und Prüfungsverfahren zu beteiligen.

Eine weitere Charakteristik der Universität als Organisationsform zeigt sich in den Kommunikationswegen. Durch die unter anderem grundgesetzlich zugesicherte Freiheit der Wissenschaft ist das Forschungspersonal in die Universität anders eingebunden als dies bei anderen Organisationen der Fall ist. Durch Räteelemente wird der fachlichen Selbstbestimmung und der Selbstverwaltung der Institute Rechnung getragen. Mittels Gremien wird die Freiheit der Wissenschaft neben direktiven Hierarchien in der akademischen Verwaltung gewahrt. Die Universität zeigt somit auch in diesem Punkt eine Zweiteilung ihrer Strukturen in Form von autonomen Gremienstrukturen auf der einen Seite und einer bürokratischen Organisation auf der anderen Seite. Dies spiegelt sich auch in den oben bereits thematisiert Personalstrukturen wider. Dabei stehen sich der Wissenschaftsapparat mit Fachhoheit und das Personal der Verwaltung gegenüber.

Kapitel 4

4.1 Was lässt sich aus systemtheoretischer Perspekt ive unter Personalpolitik verstehen?

Personen bzw. das »Personal« sind im systemtheoretischen Sinne Entscheidungsprämissen der Organisation. Wenn die Organisation über das Setzen dieser Entscheidungsprämissen entscheidet, nennt sie dies Personalpolitik. In der Frage von Rekrutierung und Versetzung des Personals ist dabei für Luhmann das Zusammenspiel von Selbst- und Fremdauswahl entscheidend. Eine Person muss zunächst ein Interesse an einer Position bekunden, um dann ggf. als Personal ausgewählt, eingestellt oder befördert zu werden. Das wichtigste Instrument der Personalpolitik ist daher für Luhmann (2000 : 297 f.) die Karriere. Während der Arbeitsvertrag die Person als Personal partiell integriert und dadurch manche Start- und Rahmenbedingung des weiteren Verlaufs zu definieren vermag, sorgt die Karriere für eine rangorientierte Positionierung und hierarchische Einordung des Personals im Zeitverlauf. Dieser Prozess ist zentral für Organisationen und ihre Mitglieder, nicht zuletzt weil auf diese Weise über die Verteilung von Anreizen, Belohnungen und Entlohnung entschieden wird – und die Organisation ihre (Entscheidungs-)Programme daran orientiert. Diese Programme sind nach Luhmann (2000 : 297) in ihrer Wirkung »personalpolitisch« so einschneidend, weil es kaum möglich ist, unabhängig von der resultierenden hierarchischen Ordnung der Positionen über Anreize und Motive zu verfügen.

4.2 Worauf muss man achten, wenn man im Sinne der C oleman’schen Theorie rationaler Wahl Motivationsprobleme in einer Körper schaft untersuchen möchte?

Die Interessen an der Befriedigung des Selbst sind die zentrale Grundlage für die Motive des Akteurs, handelnd in Erscheinung zu treten, und werden im Rahmen dieser Theorie im Sinne der Nutzenmaximierung modelliert. Man braucht also Annahmen über die Interessen der Akteure, ihre Ressourcen und Kontrollmöglichkeiten. Dies kann mit den Anreiz- und Normstrukturen abgeglichen und diese entsprechend modifiziert werden, um zweck- und normabweichendes Handeln zu verhindern.

4.3 Was tun Führungskräfte aus der Perspektive des neuen Institutionalismus, wenn sie Mitarbeiter/innen motivieren?

Sie legen die Regeln der Motivartikulation fest und versehen bestimmte Motive mit Anerkennung und Legitimität oder andere mit negativen Sanktionen. Motive sind nicht so

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sehr als innere Beweggründe der Handelnden interessant, sondern als institutionalisierte gesellschaftliche oder organisationale Formen von Bedeutung, mit denen Legitimität und Anerkennung verbunden werden.

Übungsaufgabe zu Kapitel 4: Naoko und der Lebenslau f

Erklären Sie mit Bezugnahme auf die Argumentation des Neuen Institutionalismus die Darstellungsformen, die Naoko in ihrem Lebenslauf wählt. Leiten Sie her, welche Motive mit diesem Lebenslauf an Ihren zukünftigen Arbeitgeber adressiert werden.

Für die Dokumentation eines Lebenslaufes werden die institutionalisierten Erwartungen der Personalleiter und Unternehmen von den Bewerbern antizipiert. Bereits die üblicherweise verwendete Darstellungsform des Lebenslaufs richtet sich an den unterstellten Erwartungen des Unternehmens aus und stellt die Beschreibung der eigenen Nützlichkeit für ein Unternehmen in den Mittelpunkt. Denn Lebensläufe sind fest institutionalisierte Formen der Selbstdarstellung von Personen als Personal und unterscheiden sich daher auch in ihrer üblichen Darstellungsform von Biographien. Lebensläufe werden in Unternehmen für Personalentscheidungen eingefordert. Sie dienen dem Personalleiter eine Einstellung zu begründen und diese als legitim darzustellen, wenn beispielsweise die Qualifikationen und die dargestellte Motivation der Bewerber den Organisationszielen entsprechen.

Auch wenn das Motiv für eine Bewerbung nicht intrinsischer Natur (bspw. fachliche Passung von Stelle und Bewerber) sein mag, sondern extrinsisch (bspw. höherer Verdienst) erzeugt ist, bleiben sonstige Bewerbungsmotive eher im Dunkeln. Von den Bewerbern wird im Allgemeinen erkannt, dass bestimmte Motivlage weniger legitim erscheinen und keine gesellschaftliche Anerkennung erfahren.

Betrachtet man Naokos Darstellung des Lebenslaufs, so wird deutlich, dass sie auf gesellschaftliche Erwartungsstrukturen eingeht: inhaltliche und zeitliche Kontinuität (z.B. ethnische Studie), schriftliche Nachweise (z.B. Business School). Auch die Darstellung ihrer Motivlage soll legitimen Mustern entsprechen und dem künftigen Arbeitgeber Aufschluss über den dokumentierten Arbeitsethos bieten: Engagement über das Studium hinaus (z.B. Business School, fremde Sprache), Zielstrebigkeit (z.B. intensive Nutzung des Auslandsjahres), angemessene Form von Innovativität (z.B. ethnische Studie mit Nischenthema), Verantwortungsübernahme (z.B. Business School). Dabei verbindet Naoko die Darstellung von Arbeitsamkeit und Fleiß mit der Negation von Faulheit und Müßiggang, die – wenn sie zu lange andauern - als illegitimes Motiv gilt. Außerdem dokumentiert sie durch ihr dargestelltes wissenschaftliches und studentisches Engagement eine hohe intrinsische Motivation im Studium und lehnt damit en passant eine rein extrinsische Motivation ab, die ihr zumindest für solche Positionen als diskreditiert erscheint.

Dieses Beispiel zeigt, wie stark institutionalisierte Erwartungen hintergründig bei der Formulierung eines Lebenslaufes mitwirken und wie dadurch die Darstellungsform von der Wahrheit abweichen kann. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Leben in der gewählten Darstellungsform tatsächlich „nutzbringender“ gewesen wäre: Ob Naoko in ihrer Persönlichkeitsentwicklung mehr von ihrem Müßiggang auf den Norfolk-Inseln profitiert hätte oder bei intensiven Studien der Bevölkerung, bleibt irrelevant. Der Lebenslauf von Naoko ist ein Ausdruck dessen, welche internalisierten Erwartungsstrukturen schon vor Eintritt in die Organisation zum Zuge kommen können: Naoki wählt als zukünftiges Personal ganz bestimmte Darstellungsformen und versucht, sich im besten Licht zu zeigen. Sie versucht, durch ihren lückenlosen und stringenten Lebenslauf, der die klassischen Kategorien wie Ausbildung, Studium, Praktikum beinhaltet, den antizipierten Erwartungsformen zu entsprechen. Diese sorgfältig gewählten Darstellungsformen sollen im Bewerbungsprozess dazu dienen, den Eindruck von einer nicht zufälligen, sondern strategischen, d.h. im Sinne einer „best version of me“, rationalen und zielgerichteten Gestaltung des eigenen Lebens zu erzeugen.

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Zusatzübung zu Kapitel 4: Das Arbeitszeugnis

Übungsaufgabe:

Hierbei handelt es sich um Auszüge aus dem Arbeitszeugnis des Krankenpflegers Herrn Roland B. . Er ist seit 15 Jahren Krankenpfleger und seit 3 Jahren im Krankenhaus der Personalleitung beschäftigt, die das folgende Zeugnis ausstellte:

Wie schätzen Sie dieses Arbeitszeugnis ein? Welche Erwartungen des Arbeitgebers gegenüber seinen Angestellten kommen zum Ausdruck und wie wird deren Erfüllung im Fall von Herrn B. bewertet?

Lösungsvorschlag:

Vorbemerkung: Aufgrund rechtlicher Bestimmungen (das Zeugnis muss wohlwollend formuliert sein, um dem Arbeitnehmer das „berufliche Fortkommen nicht zu erschweren“) hat sich für das Erstellen von Arbeitszeugnissen ein bestimmter Code unter Personalabteilungen herausgebildet, der es erlaubt, Bewertungen verklausuliert weiterzugeben. In diesem Sinne sind Formulierungen mit bestimmten Auslegungsmustern verknüpft, die allein von einem alltagssprachlichen Verständnis her nicht zugänglich sind. Hierbei werden im alltagssprachlichen Sinne positiv besetzte Eigenschaften (z.B. Geselligkeit) mit negativ zu bewertenden Verhaltensweisen (Klatsch und Tratsch, Geschwätzigkeit) eines Arbeitnehmers verbunden. Zudem ergibt sich aus bewertenden Formulierungen in Arbeitszeugnissen ein Notensystem, das sich wie folgt entschlüsseln lässt:

• erledigte die Aufgabe stets zu unserer vollsten Zufriedenheit = 1

• erledigte die Aufgabe zu unserer vollen Zufriedenheit = 2

• erledigte die Aufgabe zu unserer Zufriedenheit = 3

• hat folgende Aufgaben erledigt (ohne Wertung) = 4/5

Herr B. war stets pünktlich. In Bezug auf unsere Arbeit war er immer für einen Verbesserungsvorschlag gut. Er machte häufig Vorschläge zur Arbeitserleichterung. Er hat gute Arbeit für das Krankenhaus und seine Patienten geleistet. Er hat sich mit seinem Sachverstand hervorgetan und diesen durch die Mitarbeit auf unterschiedlichen Stationen weiter vertieft. Er hat dabei in schwierigen Situationen großen Mut bewiesen.

Durch seine offene und interessierte Art und seine Wachheit sowie seine hohen sozialen Kompetenzen leistete er seinen Beitrag für die Arbeit an der Klinik. Er hat stets zur Verbesserung des Betriebsklimas beigetragen und bewies viel Einfühlungsvermögen in die Probleme anderer Mitarbeiter und Patienten. Er war wegen seiner Geselligkeit bei der Belegschaft und den Patienten beliebt. Herr B. hat sich darüber hinaus engagiert für Arbeitnehmerinteressen eingesetzt.

Das Arbeitsverhältnis wurde im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst.

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Zitat Erwartungsstruktur und Bewertung

… war stets pünktlich. Pünktlichkeit: Pünktlichkeit erscheint in Arbeitsverhältnissen als Selbstverständlichkeit. Ihre Erfüllung wird nur erwähnt, wenn es ansonsten keine positiven Aspekte gibt.

In Bezug auf unsere Arbeit war er immer für einen Verbesserungsvorschlag gut.

Integration/ Unterordnung: Hinweis darauf, dass er die Arbeit anderer und die Krankenhausstrukturen häufig kritisierte, aber bezogen auf seine eigene Arbeit keine Notwendigkeit zur Verbesserung sah. Ein Zusatz, dass die Verbesserungsvorschläge angemessen waren oder umgesetzt wurden, fehlt, was wiederum auf besserwisserisches Verhalten ohne fachliche Fundierung schließen lässt.

Er machte häufig Vorschläge zur Arbeitserleichterung.

Fleiß: Ohne den Zusatz, dass dadurch Kosten eingespart werden konnten oder Verbesserungen der Arbeitsqualität eintraten, deutet dies eher auf Faulheit und Bequemlichkeit des Arbeitnehmers hin.

Er hat gute Arbeit … geleistet.

Aufgabenerfüllung: Entsprechend der üblichen Bewertungsskala entspricht dies höchstens einer zufriedenstellenden Arbeitsleistung.

Er hat sich mit seinem Sachverstand hervorgetan…

Fachlichkeit: Ohne eine weitere Konkretisierung und eine lobende Erwähnung der dadurch möglichen Veränderungen, deutet dieser Zusatz eher auf Besserwisserei hin, vor allem durch das Verb „hervorgetan“ erscheint sein Verhalten als unangemessen bewertet zu werden.

…durch die Mitarbeit auf unterschiedlichen Stationen…

Kontinuität/ Aufgabenerfüllung: Bei dieser Stelle gibt es verschieden Möglichkeiten der Interpretation. Entweder, wurde er bereits intern häufig versetzt, was innerhalb von drei Jahren Anstellungszeit keine positiven Anlässe vermuten lässt. Andererseits könnte es darauf hindeuten, dass er sich in die Arbeit anderer Stationen einmischte und auch dort mitreden wollte, möglicherweise hat er sich dort ohne Notwendigkeit herumgetrieben.

… Sachverstand … weiter vertieft.

Fachlichkeit: Diese Formulierung wird häufig für Berufsanfänger verwendet und deutet bei einem seit 15 Jahren tätigen Krankenpfleger auf mangelnde Qualifikation hin.

Er hat dabei in schwierigen Situationen großen Mut bewiesen.

Fachlichkeit/ Verantwortungsbewusstsein: Insbesondere im Falle der Tätigkeit als Krankenpfleger ist diese Formulierung Ausdruck für unbedachte, riskante Handlungen. Dabei wird vom Arbeitnehmer kein heldenhaftes, sondern verantwortungsbewusstes Handeln verlangt.

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Durch seine offene und interessierte Art…

Disziplin: In dieser einfachen Formulierung deutet dies auf nicht-fachbezogene Neugier hin.

Durch … seine Wachheit sowie seine hohen sozialen Kompetenzen…

Konzentration: Wachheit wird in Arbeitszeugnissen üblicherweise nicht verwendet. Möglicherweise könnte der Satz auf Schlafen im Dienst hinweisen. Es könnte jedoch auch die Wachheit in Bezug auf neuesten Klatsch und Tratsch darunter verstanden werden.

… sowie seine hohen sozialen Kompetenzen…

Disziplin/ Diskretion: Insbesondere im Satzzusammenhang und verbunden mit der Tatsache, dass fachliche Qualitäten nicht lobend erwähnt werden deutet die Hervorhebung der sozialen Kompetenz auf Geschwätzigkeit hin. Dies steht in kritischem Zusammenhang mit der Schweigepflicht von Pflegepersonal.

… leistete er seinen Beitrag…

Fleiß/ Leistung: Die Neutralität der Formulierung und die fehlende Bewertung seines Beitrags als gut, sehr wichtig oder außerordentlich lässt auf schlechte Arbeitsleistungen schließen.

Er hat stets zur Verbesserung des Betriebsklimas beigetragen…

Disziplin/ Teamfähigkeit: Im Gesamtzusammenhang der mangelnden Erwähnung fachlicher Qualifikation ist diese Formulierung weniger positiv, also nicht als Teamfähigkeit sondern vielmehr als Geschwätzigkeit zu deuten.

… bewies viel Einfühlungsvermögen in die Probleme anderer Mitarbeiter und Patienten.

Professionalität: Die professionelle Distanz zu Mitarbeitern und Patienten wurde nicht eingehalten. Darüber hinaus sollten Probleme von Mitarbeitern nicht Teil des Arbeitsalltags sein.

Er war wegen seiner Geselligkeit bei der Belegschaft und den Patienten beliebt.

Fleiß/ Disziplin: Enthalten ist ein Hinweis darauf, dass der Arbeitnehmer geschwätzig war und/ oder gar dem Alkoholkonsum auf der Station nachging.

… engagiert für Arbeitnehmerinteressen eingesetzt.

Loyalität/ Unterordnung: Der Arbeitnehmer scheint aktives und streitbares Gewerkschaftsmitglied und/oder Betriebsrat gewesen zu sein.

Das Arbeitsverhältnis wurde im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst.

Ohne Begründung weist dieser Satz auf eine verhaltensbedingte Kündigung hin. Einvernehmlich kann im Anschluss daran bedeuten, dass dem Arbeitnehmer eine Vertragsauflösung nahegelegt bzw. mit Kündigung gedroht wurde.

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Zusatzübung zu Kapitel 4: Motivation

Übungsaufgabe:

Herr Alber ist Vorgesetzter eines Betriebshofs der Deutschen Bahn. Seine Abteilung, die diesen Betriebshof bewirtschaftet, hat vier ständige Mitarbeiter. Die Arbeiten, die anfallen, sind überwiegend technische Natur oder Aufgaben der Betriebshoforganisation. Herr Alber arbeitet bereits jahrelange an diesem Betriebshof. Während früher die Mitarbeiter häufig gewechselt haben, gibt es seit einigen Jahren nun einen stabilen Mitarbeiterstamm und das Arbeitsklima ist sehr gut. Jedes Jahr im Herbst muss der Betriebshof winterfertig gemacht werden. Dazu sind alle Fenster auszuhängen, das Dichtungsmaterial abzuschaben und zu erneuern und die Fenster wieder anzubringen. Auch die Türen werden neu verdichtet. Dabei fallen zusätzliche Putzarbeiten an. Es ist eine außerordentliche Aufgabe, die nicht in den normalen Kompetenzbereich der Mitarbeiter fällt. Daher wird diese Aufgabe üblicherweise immer vom Dienstjüngsten übernommen. In seine ersten Jahren am Betriebshof hat Herr Alber hat diese Aufgabe ebenfalls erledigt. In den letzten Jahren war jedoch Herr Ignatz, der neueste Angestellte der Abteilung, für die Wintervorbereitung zuständig. Aus diesem Grund hat er viel Erfahrung im Umgang mit den Schwierigkeiten dieser Aufgabe. Insgesamt ist Herr Ignatz ein sehr aufgeschlossener und freundlicher Kollege und Arbeitnehmer, er gilt als hilfsbereit und trägt zum guten Arbeitsklima bei. Als Herr Alber ihn in diesem Jahr erneut anweist, den Betriebshof winterfest zu machen, weigert sich Herr Ignatz zur Verwunderung von seinem Vorgesetzten jedoch vehement, diese Aufgabe zu übernehmen.

Welches Motivationsproblem ist ursächlich für Herrn Ignatz‘ Verweigerung? Analysieren Sie die Situation auf Basis der Annahmen der Rational-Choice-Theorie Colemans und versuchen Sie, die Arbeitsverweigerung zu erklären.

Lösungsvorschlag:

An der überraschten Reaktion von Herrn Alber wird deutlich, dass dieser von Herrn Ignatz eine andere Reaktion erwartet hatte. Schließlich folgt er in seinem Handeln den traditionellen, im Betriebshof geltenden Regeln. Doch die Logik der Situation hat sich gegenüber den vorangegangenen Jahren geändert und ruft bei Herrn Ignatz eine veränderte Reaktion hervor. Zu Zeiten hoher Personalfluktuation war es möglich, Mitarbeiter, die sich in der Probezeit befanden und ihre feste Position im Betrieb noch nicht gefunden hatten, dazu zu motivieren, zusätzliche Aufgaben in der Wintervorbereitung zu übernehmen. Schließlich rechnete sich dadurch auch Herr Ignatz in der Vergangenheit aus, seine Probezeit zu überstehen oder gar bessere Karrierechancen in Aussicht gestellt zu bekommen. Zumal dies mit Sicherheit eine Möglichkeit war, von den Kollegen als Teammitglied anerkannt und aufgenommen zu werden. Die beschriebene Anreizstruktur, die früher wirksam war, wird nun ihrer steuernden Funktion nicht mehr gerecht, obwohl auch Herr Ignatz diese Regel einst für sich angenommen hatte. Herr Albers, der von einer intrinsischen Motivation seines Angestellten ausgegangen ist, wird von der abweichenden Reaktion überrascht.

Durch die veränderte Logik der Situation mit einem festen Mitarbeiterstamm, wandeln sich die möglichen Vor- und Nachteile, die Herrn Ignatz durch die Übernahme der Zusatzaufgabe entstehen würden und es zeigt sich ein Prinzipal-Agenten- bzw. Managementproblem. Die bisherigen Anreize haben keinerlei Wirkung mehr auf die Motivation von Herrn Ignatz. Hinzukommt, dass eine Übernahme dieser „Neulingsaufgabe“ eine Degradierung gegenüber den anderen Abteilungsangehörigen bedeuten würde und vielleicht sogar als Sanktion durch den Vorgesetzten wahrgenommen wird. Schließlich ist auch Herr Ignatz bereits seit mehreren Jahren im Betriebshof tätig und ein fester Teil der Abteilung. Außerdem würde die Aufgabenübernahme für Herrn Ignatz unentlohnte Mehrarbeit bedeuten, die ihm höchstens die Anerkennung seines Vorgesetzten einbringt.

Um die Situation zu verändern, hätte Herr Albert die Möglichkeit, ein alternatives Anreizsystem zu etablieren, indem er die Zusatzaufgabe mit positiven Sanktionen belegt, wie

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beispielsweise einer Sonderzahlung oder die Entlastung von anderen unbeliebten Aufgaben. Er könnte jedoch auch die institutionalisierten Regeln insofern verändern, als dass alle Mitarbeiter gemeinsam die Wintervorbereitung im Rahmen ihrer Arbeitszeit leisten oder ein Rotationsprinzip eingeführt wird. Dies tut er jedoch nicht.

In einer Abwägung der möglichen Kosten-Nutzen-Kalküle von Herr Ignatz sehen wir, dass für ihn die Kosten (Arbeitsaufwand, Statusverlust) höher gewichtet werden als der Gewinn (Anerkennung durch den Vorgesetzten) aus der Erledigung der Aufgabe. Zwar muss er im Falle der Nichterledigung das Risiko einer schlechten Beurteilung einkalkulieren, aber die Wiederherstellung seiner Reputation durch den Wegfall der „Neulingsaufgabe“ wird von ihm höher eingeschätzt (Logik der Selektion). Dies führt im Zusammenspiel mit dem Versäumnis von Herrn Alber, die Anreizstrukturen anzupassen, zu der radikalen Arbeitsverweigerung des ansonsten engagierten Arbeitnehmers (Logik der Aggregation). Da die Aufgabenübernahme arbeitsvertraglich nicht geregelt ist, steht Herr Albers der Verweigerung machtlos gegenüber.

Kapitel 5

5.1 Wieso ist in der systemtheoretischen Betrachtun g von Macht die Anwendung von negativen Sanktionen für die Organisation bzw. die Vorgesetzten in einer Organisation problematisch?

Für Luhmann ist Macht ein Medium, das durch die Antizipation, Andeutung oder eine Benennung von Vermeidungsalternativen funktioniert, nicht durch die Exekution negativer Sanktionen. Diese ist aufwändig, sie erschöpft sich schnell und kann zu Konflikten führen. Die Anwendungen von negativen Sanktionen ist deshalb für ihn das letzte Mittel.

5.2 Worauf muss man achten, wenn man im Sinne der C oleman’schen Theorie rationaler Wahl Machtkonstellationen in einer Organ isation untersuchen möchte?

Macht ist für Coleman ein Maßstab für den systeminternen Wert der Ressourcen, die ein Akteur besitzt, oder der Ereignisse, die er kontrollieren kann (vgl. Coleman 1991 : 170). Insofern setzt Macht Akteure erst in Relation zu den für sie wichtigen Ressourcen, wie z. B. Liegestühlen, aber nicht die Akteure direkt zueinander (im Sinne, dass der eine Macht über den anderen habe). Will man Machtkonstellationen untersuchen, interessiert man sich für die Interessen der Akteure und ihren Möglichkeiten, die für sie relevanten Ressourcen oder Ereignisse zu kontrollieren. Sie sorgen für Machtrelationen, die je nach Art und Relevanz von Ressourcen oder Ereignissen gänzlich verschieden sein können. Eine Untersuchung der Machtkonstellationen muss also relevante Ressourcen und Ereignisse identifizieren (von Büroräumen und Mitarbeitern über Budgetanteile und Entsendungen bis hin zu begehrten Positionen und Privilegien) und daran orientiert die je spezifischen Interessen und Kontrollmöglichkeiten herausarbeiten.

5.3 Warum versuchen Organisationen ihre Mitglieder mittels Geld zu motivieren und welche Alternativen dazu kommen in Organisationen z um Einsatz?

Mittels Geld versuchen Organisationen, Engagement, Arbeits- und Leistungsbereitschaft des Personals sicherzustellen. Wenn der Organisationszweck nicht oder nicht hinreichend motiviert, stellt die Organisation (ggf. zusätzlich) Geldzahlungen in Aussicht. Damit können nach Luhmann Organisationszweck und Mitgliedschaftsmotiv auseinanderfallen. Dies schafft für beide Seiten Freiheiten. Die Organisation setzt darauf, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mehr Geld auch mehr Motivation bewirkt, muss aber erkennen, dass die durch Geldzahlungen erreichbaren Möglichkeiten begrenzt sind. Sie findet zwar dadurch in

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hinreichender Zahl Personen, die sich durch Geldzahlungen dauerhaft für Organisationsarbeit interessieren und institutionalisiert Geld als Instrument der Motivproduktion. Aber zugleich „erntet“ sie nur bestimmte Formen der „Motivartikulation“, die durch Geld als extrinsisch motiviert erscheinen und reagiert darauf durch die Verwendung anderer Mittel: Sie setzt zugleich z.B. auf Sozialisation, auf Corporate Identity, auf nicht-materielle Anreizstrukturen oder auf Personalentwicklung.

Übungsaufgabe zu Kapitel 5: Geld oder: der Fall Koz lowski

1. Zeigen Sie an diesem Beispiel auf, welche Rolle Geld in Organisationen spielt und welche Bedeutung es für die Spitzenmanager entfaltet.

Geld in Form von Gewinnen und Gehältern dient der Symbolisierung von Erfolg und Status sowohl von Managern oder Angestellten als auch von Unternehmen auf dem Markt. Außerdem wird durch die Kopplung von Gehältern an Personalstellen und Mitarbeiterleistung eine Anreizstruktur für Karrieren gesetzt, die der Zuschreibung von Motiven dient. Für Kozlowski entschieden Boni über seine gesellschaftliche Stellung, seine Karriere und über das, was er eigentlich ist. Geld ist in diesem Sinne Mittel zum Zweck der gesellschaftlichen Verortung.

Die Messung von Unternehmenserfolg ist durch die Orientierung an Firmengewinnen quantitativ möglich. Durch die Kopplung von Managerboni an den Börsenerfolg Tycos wird deutlich, dass der Grund für den Unternehmenserfolg dem Manager Kozlowski zugeschrieben wird. Dies führt dazu, dass er sich mit Tyco identifiziert und entsprechende Erfolgs- oder Misserfolgserlebnissen sich selbst zurechnet.

Weil Kozlowskis Identifikation mit Tyco und dessen Erfolg repräsentativ für die Gruppe von Top-Managern ist, sind sein demonstrativer Konsum und offensichtlich luxuriöser Lebensstil umso unüblicher. Manager in Deutschland treten kaum in der Öffentlichkeit oder in Medien auf. Um ihrer gesellschaftlichen Stellung Ausdruck zu verleihen, müssen sie ihren Reichtum nicht öffentlich darstellen, sondern vertrauen auf das gesellschaftliche commitment. Kozlowski erreichte mittels seines beruflichen Erfolges einen gesellschaftlichen Aufstieg und unterscheidet sich darin von der Mehrzahl der Manager, die aus oberen gesellschaftlichen Schichten stammen. In Anlehnung an Bourdieus Habitustheorie kann dadurch Kozlowskis abweichendes Verhalten in der Managerriege erklärt werden, dessen Lebensstil durch andere Milieus geprägt wurde.

2. Wie lassen sich die Koordinationskraft des Geldes und die damit verbundenen Probleme aus der Sicht der Theorie Rationaler Wahl Colemans interpretieren?

Mit Hilfe von Gehältern und Boni begegnen Unternehmer und Vorstände dem Prinzipal-Agenten-Problem, das für jedes angestellte Personal im Unternehmen entsteht. Durch Geld in Form von regelmäßigem und leistungsbezogenem Einkommen sollen die Ziele der Mitarbeiter mit dem Organisationszweck in Einklang gebracht werden. Insbesondere bei Managern ergibt sich durch ihre herausragende Stellung in der Entscheidungshierarchie das Problem für die Eigner, Handlungen zu kontrollieren und die Konformität der Managerentscheidungen mit den Organisationszielen sicherzustellen. Aufgrund dieser besonderen Problematik erfolgt eine Kopplung der Managergehälter an die Börsenwerte des Unternehmens, der Erfolg und Misserfolg der Aktien wirkt sich dadurch direkt auf das Einkommen aus. Da der Manager im Sinne der Theorie Rationaler Wahl als homo oeconomicus handelt, wird er versuchen, die Höhe seines Gehalts zu steigern. Hierfür muss er wiederum sein Unternehmen selbst zum Erfolg führen.

Im Fall Kozlowskis kommt es zu einer Fehlsteuerung durch die Anreizstruktur der Boni. Denn er maximiert seinen eigenen Nutzen, das eigene Einkommen nicht allein durch sein

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Engagement für Tyco, sondern nimmt zusätzlich über falsche Angaben Einfluss auf den Börsenwert des Unternehmens, was diesem im Endeffekt Schaden zufügt.

Kapitel 6

6.1 Worin unterscheidet sich ein soziologisches Ver ständnis von Führung von der Führungsstildiskussion, wie sie in der Betriebswirt schaftslehre geführt wird?

In der Betriebswirtschaftslehre bezieht sich die Diskussion über Führungsstile vorwiegend auf die Fähigkeiten und Persönlichkeit des Managers. Ob laissez faire oder autoritär, delegativ oder koopertativ, es hängt von der Person ab, die eine Führungsposition inne hat. Betont wird vor allem der Führungsanspruch des Managers, oft unter der Annahme, dass Führen eine Art „Einbahnstraße der Macht“ ist.

Das soziologische Verständnis von Führung zeichnet sich dagegen dadurch aus, dass „Führung“ als Resultat einer Führungsbeziehung analysiert wird. Autorität und Herrschaft, die im Mittelpunkt jeder Führungsbeziehung stehen, werden nicht allein von dem Führenden bestimmt und aufrechterhalten, sie basieren vielmehr auf Wechselseitigkeit und Interdependenz zwischen Führenden und Geführten. Bestimmte Führungserwartungen, Führungssituationen, das Maß an Vertrauen seitens der Geführten beeinflussen maßgeblich die Stärke und Dauer einer Autoritätsbeziehung. Eine sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Begriff der Führung verweist also auf die Abhängigkeit der Autoritätsperson von der Autoritätszuweisung seitens der Geführten. Denn diese kann stets entzogen werden und macht jeden Führungsanspruch auf Dauer obsolet.

6.2 Welches sind die Argumente, die eine systemtheo retische Sicht gegen die Vorstellung einer „Steuerung“ der Organisation durc h das Management bereit hält?

Die Frage der Steuerung einer Organisation ist eng mit dem Begriff der „Strategie“ verknüpft: Systemtheoretisch wird die Eigendynamik des sozialen Systems betont, die eine direkte Steuerung des Systems verhindert. Für die Systemtheorie würde eine Steuerung einer Organisation ein triviales System wie beispielsweise ein Auto voraussetzen, das auf jede Lenkbewegung mit hinreichender Zuverlässigkeit die Radstellung entsprechend der Lenkbewegung verändert, also auf die gleiche Lenkbewegung immer gleich reagiert. In einem komplexen System entscheiden jedoch die Regeln des Systems, wie auf Lenkbewegungen reagiert wird. Manchmal stimmt die Richtung mit den Lenkbewegungen überein, in anderen Fällen nicht. Gezielte Maßnahmen seitens des Managements können das soziale System der Organisation irritieren, über den „Erfolg“ der Irritation wird aber systemintern, nach eigenen Regeln, entschieden. Das Management handelt so, „als ob“ die Umwelt überschaubar wäre, um Unsicherheiten zu vermeiden und die Entscheidungsreproduktion weiterhin zu sichern. Unter „Strategie“ wird systemtheoretisch eine Zurechnung verstanden, die der Reduktion von Komplexität dient und sehr wenig über die systeminterne Wirkung eines Eingriffs auf der Grundlage eines festgelegten Ziels aussagt. Jede strategische Planung, so Luhmann, führt zu Veränderungen, die nicht geplant werden können und selbst das Ergebnis der strategischen Planung sind.

6.3 Welche Folgen hat es für die Sozialstruktur ein er Gesellschaft, dass Manager Spitzengehälter realisieren und wie könnte sich die s auf das Führungsgeschehen einer Organisation auswirken?

Durch die Spitzengehälter werden Manager zu einer gesellschaftlich herausgehobenen Schicht, die sich nicht nur durch ihre materiellen Ressourcen, sondern auch durch ein hohes

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soziales Prestige auszeichnet. Spitzengehälter werden gesellschaftlich mit Unternehmenserfolg und außergewöhnlicher Leistung assoziiert, was den Managern einen gesellschaftlich legitimierten Elitestatus verleiht.

In der Organisation steht die Höhe der Entlohnung in einem unmittelbaren Zusammenhang zu der Verortung des Organisationsmitglieds in der organisationalen Hierarchie. Spitzengehälter suggerieren eine herausgehobene Position, ein hohes Maß an Verantwortung und Einfluss in der Organisation. Dadurch wird der Führungsanspruch gesichert und legitimiert, was wiederum tendenziell zu einer Verfestigung der hierarchischen Strukturen in der Organisation führt.

Übungsaufgabe zu Kapitel 6: Führung und Strategie i n Veränderungsprozessen

1. Wo liegen die Führungsprobleme von Weber begründet?

Dieser Fall ist ein Beispiel für den Autoritätsverlust einer Führungsperson aufgrund der Vernachlässigung kultureller und organisationsspezifischer Besonderheiten. Webers defizitorientierte Haltung, der offene Umgang mit Fehlern und mit Verantwortlichen im Unternehmen widersprechen dem indirekten Managementstil in Taiwan. Ausschlaggebend ist ebenso die Missachtung des herrschenden Senioritätsprinzips in der taiwanesischen Organisation, das sich als großes Problem für den jungen Manager erweist. Der sozialwissenschaftliche Blick auf diesen Fall zeigt, wie wichtig die Autoritätszuweisung seitens der Mitarbeiter für die Aufrechterhaltung eines Führungsverhältnisses ist. Fehlt diese, kommt es, unabhängig von der formalen Position in der Organisation, zu einem Führungsentzug. Webers Verhalten lässt hingegen darauf schließen, dass er davon ausgeht, dass Führung einseitig geschehen kann, doch er wird eines Besseren belehrt.

Die Situation, dass die Tochtergesellschaft aufgekauft wurde und unfreiwillig einen Manager von außen vorgesetzt bekommt, trägt seinen Teil zum ungeschickten Verhalten von Weber bei. Außerdem fehlen ihm dadurch Seilschaften innerhalb der Vorstands- und Führungspositionen, die er für seine Ziele hätte nutzen können. Solche Netzwerke bilden sich nur dann, wenn der Führungsposition eine interne Karriere zugrunde liegt.

2. Wie werden seine strategischen Gestaltungsimpulse möglicherweise aufgenommen und verarbeitet? Welche Theorie bietet sich dabei für eine Analyse an?

Die strategischen Gestaltungsimpulse, die auf die Person des Herrn Weber zugerechnet werden, stoßen auf Widerstand im Unternehmen, da er die grundlegenden kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Taiwan sowie zwischen dem Mutterkonzern und der Tochtergesellschaft missachtet.

Um diese Widerstände und die Sabotage der im Unternehmen Verantwortlichen erklären zu können, bietet sich die systemtheoretische Perspektive an: Die Organisation als soziales System zeichnet sich durch seine Eigenlogik, einen eigenen Sinnzusammenhang aus. Dieser wiederum entscheidet eigenlogisch über die Umsetzung von Gestaltungsimpulsen. Herr Weber vernachlässigt diese Eigenlogik, somit führen seine Bemühungen zu keinem Erfolg. Im Gegenteil, seine strategischen Planungen und deren Umsetzung führen zu Unmut im Unternehmen – eine Veränderung, mit der Herr Weber nicht gerechnet hat und die er nicht ernst nimmt. Durch das Handeln des Projektleiters werden systeminterne Dynamiken in Gang gesetzt, die sich auch trotz guter Absichten einer direkten Steuerbarkeit entziehen. Das Ergebnis seiner Gestaltungsimpulse ist für ihn überraschend: Es sind nicht Wachstumserfolge, die durch seine Strategien erzielt werden, sondern seine eigene Entlassung.

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Möchte man die fehlgeschlagene strategische Steuerung Webers mit den Ansätzen der Neuen Institutionentheorie erklären, ist dies über die kulturellen Unterschiede zwischen Taiwan und Deutschland möglich. Die von Weber angewandten, europäischen oder amerikanischen Managementkonzepte und Führungsprinzipien stehen im Widerspruch zu den in Taiwan institutionalisierten Führungsgewohnheiten. Dementsprechend erfahren seine strategischen Überlegungen keine Anerkennung bei den Vorständen. Auch die Zurückhaltung der Angestellten in direkter Kritik gegenüber Weber und ihr Vorhaben, eine Absetzung über die Konzernleitung zu erreichen, ist durch den kulturell geprägten, institutionalisierter Verhaltenskodex erklärbar.

Greift man zur Erklärung auf den Rational Choice Ansatz zurück, wird deutlich, dass Weber nicht auf die veränderte Logik der Situation achtet. Er befindet sich in einem anderen Land, in einem anderen Unternehmen und noch dazu in einem gerade aufgekauften Tochterunternehmen. Seine Strategie mag nicht zum gewünschten Erfolg führen, weil er kulturell falsch gewählte Sanktions- und Anreizstrukturen setzt und anstatt indirekter Führung, top-down Prozesse in Gang setzen möchte.

Zusatzübung zu Kapitel 6: Führungskonzept

Übungstext:

Artikel von Gretchen Spreitzer und Christine Porath, Quelle: http://www.harvardbusinessmanager.de/heft/2012-4.html

Die Mitarbeiter glücklich machen!

Wer seinen Mitarbeitern hilft zu lernen und sich persönlich zu entwickeln, erntet als Dank mehr Leistung, größeres Engagement und eine bessere Stimmung. Eine Anleitung für Führungskräfte.

Wenn es der Wirtschaft schlecht geht und jeder froh über seinen Job ist, scheint für Gedanken, ob die eigenen Mitarbeiter glücklich sind, nicht unbedingt der richtige Zeitpunkt zu sein. In unseren Untersuchungen über die Ursachen beständig hoher Leistung bei Mitarbeitern haben wir allerdings gute Gründe gefunden, dennoch darüber nachzudenken: Langfristig leisten glückliche Mitarbeiter mehr als unglückliche. Sie erscheinen regelmäßig zur Arbeit, kündigen seltener, zeigen mehr Einsatz und ziehen Leute an, die genauso engagiert in ihrem Job sind. Sie sind keine Sprinter, sondern Marathonläufer, die konstant und langfristig gute Arbeit leisten.

Was fehlt also zum Glück im Job? Es geht nicht um Zufriedenheit im Sinne von Selbstgefälligkeit oder Bequemlichkeit. Als wir und unsere Forschungspartner vom Center for Positive Organizational Scholarship der Ross School of Business erstmals die Faktoren untersuchten, die für die nachhaltige Leistung Einzelner und des Unternehmens eine Rolle spielen, kamen wir auf ein besseres Wort: Entfaltung. Wir verstehen darunter eine Belegschaft, in der die Mitarbeiter nicht nur zufrieden und produktiv sind, sondern in der sie auch die Zukunft mitformen - die des Unternehmens und die eigene. Diese Mitarbeiter sind anderen Angestellten weit überlegen. Sie sind höchst energiegeladen und wissen sich dennoch geschickt vor einem Burn-out zu schützen.

Über Branchen und Berufe hinweg haben wir festgestellt, dass Personen, die unserer Beschreibung von Mitarbeitern mit großen Entfaltungsmöglichkeiten entsprechen, eine um 16 Prozent bessere Gesamtleistung erbrachten (laut Aussage ihrer Vorgesetzten) und 125 Prozent seltener an Burn-out litten (Selbstauskunft) als vergleichbare Gruppen. Sie setzten sich um 32 Prozent intensiver für das Unternehmen ein und waren 46 Prozent zufriedener im Job. Sie fehlten weniger häufig an ihrem Arbeitsplatz und gingen seltener zum Arzt. Die

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Folge: geringere Kosten für Gesundheitsvorsorge und weniger Fehlzeiten im Unternehmen (siehe Kasten "So haben wir geforscht") .

Wir haben zwei Komponenten für die Entfaltung von Mitarbeitern identifiziert. Die erste ist Vitalität beziehungsweise Lebensfreude: das Gefühl, lebendig, leidenschaftlich und begeistert zu sein. Vitale Mitarbeiter versprühen Energie und stecken andere damit an. Unternehmen schaffen einen Nährboden für diese Art von Vitalität, indem sie Mitarbeitern das Gefühl geben, deren tägliche Arbeit bewirke etwas.

Die zweite Komponente ist Lernen: Damit ist die persönliche Entwicklung gemeint, die durch neues Wissen und neue Fähigkeiten entsteht. Lernen kann jemandem zu einem technischen Vorteil verhelfen und ihm einen Status als Experte verleihen. Lernen kann auch einen positiven Kreislauf in Gang setzen. Menschen, denen es gelingt, ihre Fähigkeiten ausbauen, neigen dazu, an ihr Potenzial für ihre weitere Entwicklung zu glauben.

1. Analysieren Sie die kognitive und normative Struktur des Artikels.

2. Welche kollektiven Regeln erfahren Anerkennung und an welche gesellschaftlichen Verbreitungsmuster knüpfen diese an?

Lösungsvorschlag:

1. Analysieren Sie die kognitive und normative Struktur des Artikels.

Die kognitive und normative Struktur kann als Element sozialer Deutungsmuster analysiert werden, dabei bedient sich die Sozialwissenschaft der sogenannten Deutungsmusteranalyse.

Kognitive Struktur:

Im Artikel wird davon ausgegangen, dass es Aufgabe der Führung ist, Mitarbeiter glücklich zu machen. Führung wird dabei eindimensional, als top-down Handlung dargestellt. Durch die Saat- und Erntemetaphorik wird zudem eine einfache Steuerungsrationalität von Unternehmen und Personen beschrieben. Mitarbeiter sind nach der Vorstellung der Autoren ohne Eingriffe von Vorgesetzten unglücklich und können dies aus eigenem Antrieb nicht ändern. Dabei bedeutet Glück im philosophischen Sinne Lebensglück. Die Grenzziehung zwischen Arbeit und Privatleben wird damit hinfällig, sobald sich das Management für das Glück der Mitarbeiter verantwortlich zeigt. Der Beschreibung im Artikel zufolge ist Glück nicht zufallsabhängig, Mitarbeiter können durch gezielte Führungsstrategien zu glücklichen Mitarbeiter gemacht werden und das auf Dauer.

Das eigentliche Ziel der Führung ist nicht das „Glücklichmachen“ an sich, sondern: die Aktivierung von Mitarbeitern für die Mitgestaltung des Unternehmens; die Zufriedenheit mit dem Job womit eine geringere Fluktuation verbunden werden kann; die Produktivität und nachhaltige Leistung, die zur Aufgabenerfüllung notwendig ist und durch andauernde, erhöhte Produktivität zum wirtschaftlichen Erfolg führen kann; die Vermeidung von Burnout und damit von hohen Kosten und Fehlzeiten und zugleich die Ermöglichung der Ausbeutung des Personals ohne dass dessen Leistung darunter leidet. Glück ist also das Mittel zum Zweck des Unternehmensfortbestands und des wirtschaftlichen Erfolgs. Dabei ist der einzige Faktor, der über das Glück entscheidet, die Entfaltung. In Zeiten schlechter Wirtschaft, ist das Glück der Mitarbeiter zwar nicht entscheidend für die Ziele des Unternehmens, da der Arbeitsmarkt für die Aussortierung leistungsschwacher Arbeiter sorgt, doch ist die Konjunktur schwankend. Die Leistung eines Mitarbeiters zeigt sich nicht nur anhand der Selektion des Arbeitsmarktes, sondern ist allgemein quantitativ sowie in seinen Ursachen messbar.

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Die Mitarbeiter selbst nehmen im vorgestellten Führungskonzept eine passive Rolle ein, indem sie zum Objekt des „Glücklichmachens“ werden. Übergriffe in das Private der Person geschehen dadurch, dass die Vitalität und Lebensfreude der Mitarbeiter für die Leistung im Unternehmen relevant ist. Emotionen der Lebendigkeit, Leidenschaft und Begeisterung können vom Management durch die Illusion hergestellt werden, dass die Arbeit der Mitarbeiter wirksam sei, was sie demnach in Wirklichkeit nicht ist.

Im Falle des Lernens und der damit gleichgesetzten persönlichen Entwicklung trägt die jeweilige Person selbst eine größere Verantwortung und trägt aktiver zum Erfolg bei, indem sie ihre Fähigkeiten ausbaut und Glaube an ihr Entwicklungspotenzial gewinnt. Dabei ist wieder der Glaube und die Illusion das eigentlich notwendige. Trotz der etwas aktiveren Rolle des Mitarbeiters ist auch sein Lernprozess eine Komponente, die zum Glück von Mitarbeitern beiträgt und demnach in den Verantwortungsbereich der Führung fällt. Das Management sollte dazu beitragen, dass Mitarbeiter lernen, da diese ansonsten nicht genügend eigeninitiativ sind.

Normative Struktur:

Die normative Struktur des Artikels beschreibt, dass es legitim und richtig ist, die Mitarbeiter zum Organisationszweck zu täuschen und durch Illusionen zu steuern. Auch die Ausbeutung der Angestellten wird als Mittel anerkannt, um den Erfolg des Unternehmens, der im Mittelpunkt steht zu erreichen. Mit Hilfe wirtschaftlicher Rationalitätsvorstellungen erreicht das Unternehmen dabei seine Ziele und andere, vermeintlich handlungsleitende Prinzipien sind lediglich Mittel zum Zweck. Die alleinige Ausrichtung an wirtschaftlichen Grundsätzen ist dabei nichts Verwerfliches und kann im Artikel offen thematisiert werden. Dementsprechend ist auch die Arbeitsleistung als alleiniger Bewertungsmaßstab von Personen aus Unternehmenssicht legitim.

2. Welche kollektiven Regeln erfahren Anerkennung und an welche gesellschaftlichen Verbreitungsmuster knüpfen diese an?

Die Ausrichtung von Unternehmen und Managementkonzepten an wirtschaftlichen Prinzipien, insbesondere Kosten-Nutzen-Rechnungen wird im Artikel betont. Durch die Orientierung des Managements und des Führungsverhaltens an den Ideen der Betriebswirtschaftslehre und der einfachen Steuerbarkeit von Personal und Organisation stellt sich der Unternehmenserfolg ein. Ein weiterer Faktor, der Erfolg und Managerverhalten beeinflusst, ist der Markt mit seinen natürlichen Selektionsmechanismen. Außerdem wird im Artikel die Idee der Leistungsgesellschaft vertreten.

Kapitel 7

7.1 Wie verändert man nach den Annahmen der Coleman ’schen Theorie rationaler Wahl die Organisationskultur einer Körperschaft?

Ausgehend von der Annahme, dass „Organisationskultur“ in der Coleman’schen Theorie eine Form der Identifikation der Akteure mit der Organisation ist, die sie als normative Ordnung verinnerlichen, kann die Organisationskultur einer Organisation beeinflusst werden, indem die geltenden Normen innerhalb der Körperschaft durch gezielte Managementmaßnahmen verändert werden. Das Management kann durch eine Anpassung der Unternehmensphilosophie oder beispielsweise durch die Verfassung von Leitlinien für Mitarbeiter oder Führungskräfte Identifikationsprozesse gestalten und steuern. Das Ziel ist stets die Stärkung der Identifikation der Mitarbeiter mit der Körperschaft, die dem

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Management mehr Kontrolle verschafft und eventuelle Prinzipal-Agenten-Probleme vermeidet.

7.2 In welcher Weise beeinflussen sich aus der Pers pektive des neuen Institutionalismus die ungeschriebenen Regeln und d ie formalen Regeln einer Organisation?

Die Einführung neuer Managementpraktiken mit einem bestimmten Rationalitätsversprechen hat, wie wir im Kapitel 7 gelesen habe, keine zwangsläufigen direkten Auswirkungen auf die Kultur einer Organisation. Die ungeschriebenen Regeln können durch formale Vorgaben nicht einfach verändert werden, weil sie sich einer einfachen Formalisierung entziehen. Aus der Perspektive des neuen Institutionalismus kann man Kulturen nicht einfach verordnen oder formal vorschreiben, sondern man verändert damit ggf. nur die Rationalitätsfassade einer Organisation. Der neue Institutionalismus verweist auf die Diskrepanz zwischen Rationalitätsfassaden und tatsächlichem Operieren in einer Organisation. Die Institutionalisierung neuer Praktiken, Konzepte, Werte ist von den vorherrschenden ungeschriebenen Handlungs- und Deutungsregeln in einer Organisation abhängig: Sind diese mit den ungeschriebenen, hintergründigen Erwartungen und Werten einer Organisation nicht kompatibel, drohen sie eine Rationalitätsfassade zu bleiben, die zunächst wenig oder gar keine Auswirkung auf die Alltagspraxis in der Organisation hat. Es ist dann eine empirische Frage, ob und inwieweit Elemente der Fassade nach und nach internalisiert werden und damit auch die Praxis des Organisierens ändern.

7.3 Warum gestaltet sich aus systemtheoretischer Pe rspektive der gezielte Wandel der Organisationskultur so schwierig?

Der Zugang zum Thema der Organisationskultur wird in der Luhmann’schen Systemtheorie mit dem Begriff der „unentscheidbaren Entscheidungsprämissen“ hergestellt. Es handelt sich dabei um Prämissen, welche die Wahrscheinlichkeit der Produktion und Reproduktion von Entscheidungen erhöhen, aber selbst kein Ergebnis von Entscheidungen sind. Sie werden z.B. als Werthorizonte In der Kommunikation vorausgesetzt, ohne dass darüber explizit kommuniziert wird. Es sind Erwartungen, die als gemeinsam unterstellt werden und unhinterfragt ihre Geltung entfalten. Diese latenten Sinnhorizonte, Werte und Erwartungshaltungen zu steuern, ist systemtheoretisch aus dem Grund schwierig, weil eine Thematisierung der unentscheidbaren Entscheidungsprämissen in der Organisation höchst dysfunktional sein kann: Dadurch verlieren sie an Orientierungskraft für die Entscheidungsfindung und können organisationsintern zahlreiche Konflikte auslösen. Über das konkrete Ergebnis von Veränderungsstrategien der Organisationskultur entscheidet also nicht das Management, sondern das soziale System mit seiner Eigendynamik selbst. Das Management kann die Organisation als soziales System irritieren, indem es grundsätzliche Erwartungen und Werte thematisiert. Wie das soziale System mit dieser Irritation umgeht, hängt wiederum von den vorherrschenden latenten Sinnstrukturen ab, welche die Entscheidungsreproduktion beeinflussen. Die unentscheidbaren Entscheidungsprämissen können organisational jedenfalls nicht verordnet oder formal behandelt werden, weil sie dann zu Argumenten werden, die nicht mehr unterfragt gelten und durch bloße Anspielung aktualisiert werden.

Übungsaufgabe zu Kapitel 7: Entlassungskulturen

1. Arbeiten Sie die Unterschiede dieses Falles zu jenem der »unausgesprochenen Entlassung« in Südkorea heraus (Leitbeispiel 7.3). Wo kommen Ihres Erachtens kulturelle Unterschiede zum Tragen?

Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Fällen besteht in der Art der Bekanntgabe der Kündigung seitens des Personalleiters bzw. des Geschäftsführers: Im südkoreanischen Fall wurde über die geplante Absicht nicht gesprochen, ein persönliches Gespräch oder

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direkte Konfrontation mit den Betroffenen kam offensichtlich gar nicht in Frage. Durch den Aufgabenentzug als personalpolitische Maßnahme wurde eine gesellschaftliche Erwartung erfüllt, nämlich die, das Gesicht des Gegenübers zu wahren und ihn nicht durch eine offen ausgesprochene Kündigung bloßzustellen. Diese kulturelle Besonderheit spielte bei der Art der Kündigung der Mitarbeiter eine entscheidende Rolle und erklärt außerdem die Wahl des stillen, nicht konfrontativen Widerstands der fünf bleibenden Mitarbeiter im mittleren Management. Da die Kündigung jedoch bei der Mehrzahl der eingestellten Manager zum Erfolg führt, scheint den koreanischen Angestellten die eigene Nützlichkeit und Arbeitsleistung wichtiger gewesen zu sein als ein möglicherweise mit der Arbeitsstelle verbundener gesellschaftlicher Status.

Anders sieht es im deutschen Fall aus: Die Kündigung wurde direkt ausgesprochen, auch Herr Stotz übt seinen Widerstand offen aus, indem er rechtliche Schritte gegen die Firma einleitet. Der Aufgabenentzug und die Isolation von Herrn Stotz waren eine Reaktion auf den gerichtlichen Beschluss seitens des Unternehmens. Die Absichten, die mit dieser Maßnahme verbunden waren, wurden ebenfalls klar und offen kommuniziert. Der Einsatz dieser Methode zeigt, dass eine formale Beschäftigung nicht zwangsläufig mit einer organisationalen Inklusion im Sinne von Teilhabe an der relevanten Kommunikation einhergehen muss. Aus den Schilderungen über Stotz‘ Motivation, Widerstand auszuüben und seine Arbeitsstelle nicht aufzugeben, wird deutlich, dass der mit seiner Arbeit verbundene gesellschaftliche Status ausschlaggebend für seine Ausdauer war.

2. Welche selbstverständlich gewordenen Deutungsschemata und ungeschriebenen Regeln der Organisation spielen in diesem Fall eine Rolle?

Ein erstes, gesellschaftlich etabliertes Deutungsmuster bezieht sich vor allem auf die Möglichkeit, bereits gefallene Entscheidungen auf dem rechtlichen Weg ändern zu können (Deutungsmuster: Gerechtigkeit lässt sich über das System des Rechts etablieren!). Der Fall von Herrn Stotz zeigt vor allem in neo-institutionalistischer Perspektive, dass formale, gesetzliche Regeln und Entscheidungen nicht zwangsläufig die entsprechende organisationale Übersetzung finden. Die organisationale Entscheidung über die Nützlichkeit der Arbeitskraft lässt sich nicht ohne Weiteres über ein gerichtliches Verfahren beeinflussen. Eine entscheidende Rolle spielt die implizite Annahme, dass der Entzug von Anerkennung und Teilhabe an den Entscheidungen der Organisation das Organisationsmitglied demotiviert und dazu führt, dass der Mitarbeiter das Unternehmen „freiwillig“ verlässt.

Ein weiteres, gesellschaftlich etabliertes Deutungsmuster bezieht sich auf die Kopplung der organisationale Inklusion einer Person mit ihrer gesellschaftlichen Position: Die Identität einer Person ist eng mit ihrer organisationalen Rolle verknüpft. Konkreter ausgedrückt: Eine Kündigung führt nicht nur zu einer organisationalen Exklusion, sondern auch zu einem Verlust der gesellschaftlichen Position (Deutungsmuster: Eine berufliche Tätigkeit ist nicht allein (überlebens-)notwendige Arbeit, sondern auch Berufung und Pflichterfüllung!).

Ein weiteres, auftauchendes Deutungsmuster beansprucht insbesondere im Bereich von Organisationen Gültigkeit. So zeigt sich, dass für den Wert eines Mitarbeiters einzig seine Leistung als Messlatte gilt (Deutungsmuster: Die Idee der Leistungsgesellschaft macht die Wertschätzung eines Menschen abhängig von seinen Leistungen für die Gesellschaft und Organisationen!).

3. Wenn Sie die Interpretation der Filmemacherin und Tochter zugrunde legen, gibt es im systemtheoretischen Sinne unentscheidbare Entscheidungsprämissen, die bei der Analyse des Falles von Bedeutung sind?

Ja. In der filmischen Darstellung werden unentscheidbare Entscheidungsprämissen der Organisation offenbart. Das Problem, das von der Filmemacherin und Tochter des Betroffenen geschildert wird, weist auf die unhinterfragte Prämisse in der Organisation, dass Mitarbeiter den Entscheidungen, die vom Management getroffen worden sind, um jeden

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Preis Folge zu leisten haben. Im Fall von Herrn Stotz wurde die Entscheidung der Kündigung von ihm nicht einfach hingenommen. Durch das gerichtliche Verfahren wendet sich ein Mitarbeiter gegen das organisationskulturell verfestigte Gebot der Akzeptanz von Entscheidungen des Vorgesetzten, was die Anwendung der „Isolationsfolter“ zur Folge hat. Die explizite Thematisierung von unentscheidbaren Entscheidungsprämissen führt nicht unbedingt zu einer konsensuellen Lösung der Konflikte, sondern zu deren organisationaler Verfestigung und Aktualisierung ungeschriebenen Regeln. Im Falle von Herrn Stotz kommt es so zu schmerzhaften Sanktionen.

Zusatzübung zu Kapitel 7: Geist der Veränderung

Übungstext:

Zitat des Vorstandsvorsitzenden eines Stahl-Unternehmens:

„Also gute Führungskräfte zum Beispiel, die haben da ein - und dafür habe ich volles Verständnis - Problem, wenn man ihnen sagt: Du musst schlanker werden, die Kosten sind zu hoch ( ), so. Und zwar haben die zwei Probleme: Das erste Problem ist, sie haben Mitarbeiter, die sie nicht gerne verlieren möchten, weil sie qualifiziert sind. Und das zweite ist, sie wissen oft gar nicht, wie sie das machen sollen. Also deshalb haben wir ganz klar gesagt, es hat keinen Zweck zu verkünden, dass man 6.000 Stellen reduziert. Sondern man muss ganz genau sagen, was passiert in den Strukturen, in der Aufbauorganisation, was passiert in den Abläufen, was passiert im Qualitätsmanagement und was passiert an anderer Stelle. Und diese Maßnahmen müssen bewertet werden und am Ende dieser Maßnahmen stehen dann ganz bestimmte Kostenpunkte. Da kann es auch sein, dass ich sogar zusätzlich investieren muss, um das zu erreichen, das ist nicht der Punkt. In dem Augenblick, wo es dem Unternehmen gelingt, da eine verständliche Situation zu produzieren, die die Führungsschicht mitnimmt, dann ist das etwas, was den Prozess erleichtert. Das Zweite ist, wir haben in der Zeit, in der wir sehr, sehr viele Leute entlassen haben, weil wir erkannten, dass wir das nicht mehr so durchführen können. Da könnten wir jetzt im einzelnen Tage drüber reden. Da war klar, dass wir trotzdem versuchen müssen, die Kernmannschaft so zu erhalten, dass wir in Bezug auf das, was wir zukünftig wollen, voll arbeitsfähig sind. Das heißt wir mussten ganz schnell den Leuten sagen, die bei uns bleiben, die wir haben wollen. Und oft wird der Fehler gemacht, dass man das gar nicht sagt, dass sich oft durch Fluktuation und so, sich irgendwo ein Abgang ergibt und dann hat man rechnerisch den Zustand erreicht, aber das Unternehmen ruiniert. Diejenigen Leute, die man bräuchte, um zu machen was man will, die sind weg und die, die dageblieben sind, das sind nicht die, mit denen man das macht. Und deshalb war das bei mir das größte Anliegen und beim Prozess selber habe ich das auch anders gemacht als sonst.“

Zitat des Vorstandsvorsitzenden einer Bank:

„2002 hatten wir es denn geschafft, aber das waren dann fast 10 Jahre und wir haben es nur geschafft, weil es… Im Ausland hatten wir damit kein Problem, in Amerika haben sie diese Schicht nicht, wenn sie in Amerika sagen: ‚Change. Hört mal alle zu, ab morgen machen wir das‘. Sagen die: ‚Yes, Sir‘ und machen das. Warum? Weil sie wissen, wer nicht mitmacht fliegt raus, gnadenlos, am nächsten Freitag findet der sein graues Couvert und dann ist er weg. Hier glaubt das kein Mensch und es sind die Leitenden, das meine ich mit Mittelschicht. Und ich habe ja rückblickend festgestellt, wir haben 9 Jahre gebraucht, auch deswegen, oder bald nach neun Jahren durch, weil da keiner mehr von den Leitenden da war, der da war als wir es anfingen. Die waren alle in Pension. Weil Leitender werden sie so mit Anfang 50 oder Mitte 50, da gehen sie in die letzte Karrierestufe. Erst als das alles neu gemacht wurde, keiner mehr von den Alten, die so geprägt waren über dreißig Jahre, da hatten wir die Kurve gekriegt. Und ich sage heute, wenn es wirklich eine Grundwelle ist, mit der Sie was ändern wollen, dann müssen Sie wohl so was wie 8 Jahre ansetzen bevor man den Geist umdrehen kann. Sie können so, ich sag jetzt mal physische Veränderungen, Sie können neue

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Strukturen schaffen und alles, aber das Denken eines 50-Jährigen, das ist eben auch die Erfahrung meines Lebens, können Sie nicht mehr verändern. Glauben Sie nicht, dass Sie jemand ab 40 noch erziehen können.“

1. Zeigen Sie an diesen Interviewzitaten auf, welche Probleme im Veränderungsmanagement benannt und welche Lösungswege vorgeschlagen werden?

2. Welche Formen der Organisationsentwicklung legen die verschiedenen Ansätze nahe, um mit Problemen des organisationalen Wandels umzugehen?

Lösungsvorschlag:

1. Zeigen Sie an diesen Interviewzitaten auf, welche Probleme im Veränderungsmanagement benannt und welche Lösungswege vorgeschlagen werden?

Beide Zitate befassen sich mit der Rolle des mittleren Managements in Veränderungsprozessen, da diese Positionen für die Umsetzung organisationaler Veränderungen zuständig sind. Der Vorstand und das Top-Management sind in der Umsetzung auf operativer Ebene üblicherweise nicht involviert, geben jedoch Ziele vor.

Im ersten Zitat des Vorstandsvorsitzenden eines Stahl-Unternehmens kommen zwei unterschiedliche Probleme in Veränderungsprozessen zum Ausdruck: Das Dilemma des mittleren Managements und die Sicherung des Fortbestandes des Unternehmens. Das mittlere Management befindet sich bei Organisationsveränderungen in einem Dilemma, weil gute Führungskräfte an den Mitarbeitern der eigenen Abteilung festhalten wollen. Nichtsdestotrotz soll das Gesamtunternehmen „schlanker“ werden und an das Organisationskonzept des Lean Managements angepasst werden, das heißt Personal und Hierarchien müssen abgebaut werden. Der betroffene Vorstandsvorsitzende ist sich diesem Problem bewusst und bewertet dies als Qualität seiner untergeordneten Führungskräfte. Als Lösung des Problems sieht er die Verantwortungsübernahme des Top Managements für die genaue Planung des Personalabbaus, so dass das mittlere Management erst mit der Umsetzung der konkreten Vorgaben involviert wird.

In der vom Befragten beschriebenen Situation sind top-down-Entscheidungen die einzige Lösung, Beteiligungsprozesse sind aufgrund des Dilemmas der mittleren Manager nicht möglich. Diese Art der Führung steht allerdings im konkreten Widerspruch zum Konzept des Lean Managements, welches buttom-up-Prozesse als Kernelemente beinhaltet. Aus diesem Widerspruch wird ersichtlich, dass es eigentlich nicht um die Umsetzung eines gewissen Organisationsverständnisses geht sondern um Kostenminimierung. Trotzdem ist den Aussagen zufolge der Erfolg eines Organisationsentwicklungsprozesses nicht an Zahlen zu messen, das Unternehmen muss nach den Abbaumaßnahmen „überlebensfähig“ mit den dafür notwendigen Mitarbeitern bleiben. Denn das zweite Problem von Personalabbaumaßnahmen ist die dadurch hervorgerufene Fluktuation des qualifizierten Personals. Diese ist nur durch ein vorausschauendes Handeln des Managements zu verhindern, indem qualifiziertem Personal, das für den „Wiederaufbau“ des Unternehmens benötigt wird, die Sicherheit des Arbeitsplatzes und die Bedeutung für das Unternehmen zugesichert wird. Ein fataler Fehler des Top-Managements wäre es also Organisationsprozesse rein wirtschaftlich zu betrachten, dies kann sogar zum „Untergang“ einer Organisation führen.

Im zweiten Zitat steht die Anpassungsfähigkeit des Personals im Mittleren Management im Fokus. Demnach ist die „geistige“ Anpassung der Angestellten in Entwicklungsprozessen notwendig, um eine Veränderung erfolgreich zu implementieren. Ohne einen Wandel im Denken der mittleren Manager sind lediglich formale Strukturen änderbar. Der Vorstandsvorsitzende impliziert dadurch, dass die ungeschriebenen Regeln eines Unternehmens tief verankert und nur schwer änderbar sind. Allerdings verortet er den Grund

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hierfür im Fortbestand des Personals und geht davon aus, dass durch einen Austausch des Mittleren Managements kulturelle Regeln einfach zu ändern sind. Das benannte Problem der „geistigen“ Anpassung tritt bei Veränderungsprozessen nur dann in Erscheinung, wenn kein Druck auf die Führungskräfte durch einen drohenden Arbeitsplatzverlust besteht. Dementsprechend ist der Austausch des Personals für ihn die einzige Lösung, um einen organisationalen Wandel umzusetzen.

Das mittlere Management kann ansonsten nicht für Veränderungen motiviert werden, da die Mehrzahl keine weitere Karrierestufe vor sich hat. Der Interviewte sieht außer Arbeitsplatzsicherung und Karriere keine weiteren Motivationsquellen von Angestellten. Außerdem sind die Personen seiner Meinung nach zu alt für ein Umdenken, zu alt, um etwas Neues zu lernen. Hinzu tritt, dass Personal auf der Ebene des mittleren Managements lange Zeit entsprechend den geschriebenen und ungeschriebenen Regeln des Unternehmens sozialisiert wurde. Aus der Tatsache der scheinbar kontinuierlichen Sozialisation des Personals innerhalb der thematisierten Bank lässt sich schließen, dass dort Veränderungen nur sehr selten stattfinden.

2. Welche Formen der Organisationsentwicklung legen die verschiedenen Ansätze nahe, um mit Problemen des organisationalen Wandels umzugehen?

Im ersten Zitat geht es um Personalabbau, also um eine gezielte Veränderung der entscheidbaren Entscheidungsprämissen. In diesem Fall wird von der Steuerbarkeit einer Veränderung im Sinne der Rational Choice Theorie ausgegangen. In Top-down-Entscheidungen sind zwar Nebeneffekte wie beispielsweise eine drohende Personalfluktuation zu beachten, aber bei gut geplanter Umsetzung scheinen gezielte Veränderungen möglich zu sein. Widerstände aufgrund der Unternehmenskultur werden dabei nicht thematisiert.

Aus dem zweiten Zitat geht hervor, dass die Organisationsentwicklung auf kultureller Ebene stattfinden soll und bestehende unentscheidbaren Entscheidungsprämissen zu verändern sind. Dabei wird die Kultur anders als in der Systemtheorie oder bei Weick, stärker im Personal als Akteur verortet, die Verknüpfung von Kultur und Organisation, also kollektivem Akteur findet dabei zu wenig Beachtung. Der Hauptgrund für die Schwierigkeit der im Zitat beschriebenen kulturellen Veränderungen wird analog zu den Ideen der Rational Choice Theorie in der nicht-ausreichenden Anreizstruktur für das Mittlere Management gesehen. Das bedeutet, dass prinzipiell von der gezielten Steuerbarkeit eines Unternehmens ausgegangen wird.

Zusatzübung zu Kapitel 7: Die Rolle von Beratung

Übungstext:

Zitat des Vorstandsvorsitzenden eines Elektronik-Unternehmens:

„Da brauchen Sie nicht viele Konzepte, ich glaub, ich hab’s ja an mehreren Stellen erzählt. Einfach die Logik sich vornehmen, zum Beispiel hier, hatte schon, als es hier so schlecht ging, ich glaube über drei oder vier Jahre hatte man hier bei dieser Firma ein großes Beratungsunternehmen1 an Bord. Und die haben, obwohl die Firma schon arm war, noch jedes Jahr 12 Millionen sich geben lassen. Und das drei Jahre lang. Ich hab nichts gegen das Beratungsunternehmen, aber ich habe hier unseren gesagt, als ich hier hergekommen bin, hab ich erst mal diese Unternehmensberater… Da gab’s hier noch andere und die haben sich alle so schön eingenistet und machten ein Buch nach dem anderen… Und denen hab ich dann gesagt: ‚Jetzt passen Sie mal auf, ich kündige alle Verträge, binnen drei Monate ist Schluss. Ich bin nicht gegen Sie, nur wenn hier unsere Leute so dämlich sind,

1 kursiv gedruckte Passagen wurden anoonymisiert

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dass sie nach drei Jahren immer noch nicht begriffen haben, was Sie denen sagen wollen, dann ist es eh sinnlos. Und andersrum, je mehr Sie da sind, desto mehr bemuttern Sie es, dann kommen die nie auf eigene Beine. Entweder Sie übernehmen gleich die Firmenleitung, dann können Sie weitermachen, oder Sie hauen ganz schnell ab.‘ So, und dann hieß es: ‚Aber sie wissen doch noch gar nicht…!‘ Hab ich gesagt: ‚Wissen Sie, ich hab so viel Bücher von denen hier rumliegen, Sie, die blätter ich durch und dann kuck ich mal, wo klemmt's denn hier?‘ Und dann, wenn mir mal unseren gesunden Menschenverstand, natürlich auch Erfahrung, das ist ja logisch. Also wenn Sie gerade von der Uni kommen, können Sie es nicht machen. Sie müssen die Erfahrung haben, wo klemmt's denn hier? Und was machen wir denn hier sinnvoller Weise? So, und dann müssen Sie es machen. So viel Geld brauchen Sie da nicht.“

Zitat des Vorstandsvorsitzenden eines Bauunternehmens:

„Und das war ein Beratungsunternehmen, das wurde von Stadt A bestückt. Und Unternehmensberatung, wenn sie gut sind, passen ja immer auf, dass man, sagen wir mal so, schauen, wie die Kultur in einer Firma ist, wie der Wind weht, geben nicht jedem Recht. A) gucken schon auch was logisch ist und B) ob sich Logik durchsetzen lässt. Nicht alles Logische lässt sich durchsetzen. In diesem Falle waren die, sag ich mal, so clever, dass sie gemerkt haben, dass a) an dem was ich gesagt habe was dran war und b) dass die Leitung in Stadt A… immerhin das Unternehmen hatte damals, ich glaube 300 000 Menschen…, dass das schon irgendwo sinnvoll war. Ja, und dann hat das Beratungsunternehmen ein Konzept empfohlen und das war genau meins.“

Zitat der Vorstandsvorsitzenden eines Familienunternehmens in der Metallindustrie:

„Ja, wir haben da jemand. Wir haben eine Juristin, die ein, ein so Institut, Familieninstitut hat oder Institut für Familienstrategie heißt das. Und die macht das. Und die coacht, leitet, greift Themen auf. Die, die begleitet uns durchs ganze Jahr. Spricht mal mit dem Einen, spricht mal mit den Anderen. Sagt, gibt’s was, was wir gesondert besprechen müssen. Und unangenehme Dinge auch. Also ich meine, da, da muss alles auf den Tisch. Und die hat auch, wir haben, wir haben seit Jahren so eine Familien-Magna-Charta, das hat mein Vater bestimmt irgendwie, so, so ne, so ne, so, wie so ein Familienkodex, da sind die zusammengefasst, wie die Familie sich zu benehmen hat so ungefähr. Also was, wie sieht sich die Familie in der Gesellschaft, was ist der Familie wichtig. Was will die Familie nicht tun. Wie geht die Familie um mit Mitgliedern die sich aus der Firma vielleicht lösen wollen. Wie, wie, ganz, ganz, ganz, ganz wichtig: Wie agiert die Familie, wenn ein Familienmitglied in der Firma arbeiten will. Was für Bedingungen muss das Familienmitglied erfüllen. Ganz harte Bedingungen. Haben wir alles formuliert bevor wir Kinder hatten. Da waren wir alle verheiratet, hatten aber keine Kinder, konnten uns das also überhaupt nicht vorstellen. Da war das nämlich ganz leicht, da kann man ganz gut sagen, natürlich bin ich damit einverstanden, dass wenn ich mal Kinder hab, dass die mindestens ein Hochschulstudium haben müssen, mindestens im Ausland gewesen sein müssen, von jemand Externen beurteilt werden müssen. Da können Sie das alles ganz leicht sagen. Wenn die, wenn die Kinder da sind, dann denken Sie auf einmal: ‚Ha, mein Justus, der kann das doch alles, sowieso.‘ Wichtig, wichtig, wichtig. Und solche Sachen, das hat die auch begleitet, die Frau Baus hat dann auch, aktualisiert das immer mit uns, kommen ja neue Dinger dazu. Ja?“

1. Zeigen Sie anhand der Interviewzitate auf, welche Rollen Beratungsunternehmen in Veränderungsprozessen übernehmen können?

2. Wie unterscheiden sich Formen von systemischer Beratung von anderen Beratungsformen, nennen Sie Beispiele aus den Interviewzitaten?

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Lösungsvorschlag:

1. Zeigen Sie anhand der Interviewzitate auf, welche Rollen Beratungsunternehmen in Veränderungsprozessen übernehmen können?

Aus dem ersten Zitat geht deutlich hervor, dass die Unternehmensberatung die Rolle des Co-Managements übernommen hat und Verantwortung für die Veränderung trägt. Sie wurde zum festen Bestandteil des Unternehmens, weil die Veränderung bislang nicht umgesetzt werden konnte. Mit Hilfe von Büchern (Qualitätshandbücher, Leitbilder usw.) wird versucht, fertige Konzepte durchzusetzen ohne sich dabei der Realität des Unternehmens und den Umsetzungsschwierigkeiten anzupassen. Sie stützen sich dabei auf ihre Fachkenntnis, während der Vorstandsvorsitzende einen pragmatischen, erfahrungsgeleiteten Blick auf die Schwachstellen des Unternehmens bevorzugt (wo’s klemmt).

Die im zweiten Interview thematisierte Unternehmensberatung geht auf andere Weise vor, indem vorgefertigte Konzepte zwar existieren, aber ihre Auswahl und Empfehlung den analysierten Organisationseigenheiten angepasst werden. Dahinter steckt der Gedanke, dass nicht alles in Veränderungen durchgesetzt werden kann, auch wenn es anhand ausgewählter rationaler Kriterien notwendig erscheint. In der beratenden Rolle finden die Wünsche des Auftraggebers besondere Berücksichtigung. Im vorliegenden Fall dient das empfohlene Konzept als Mittel zum Zweck der Legitimation einer Vorstandsentscheidung. Die Unternehmensberatung bleibt extern und überlässt die Umsetzung und Verantwortung in den Händen des Vorstandsvorsitzenden.

Im dritten Interviewzitat handelt es sich vielmehr um eine Mischform von Coaching und Unternehmensberatung, auch private Familienangelegenheiten werden mit einbezogen. Im Gegensatz zu den üblichen Beratungsformen findet die Begleitung des Familienunternehmens langfristig statt. Das Vorgehen der Beraterin/ des Coaches orientiert sich an den Bedürfnissen der Auftraggeber. Sie setzt eine hohe Beteiligung der Beratenen voraus, indem Anstöße zur Selbstreflexion gegeben werden. Lösungsvorgaben existieren nicht, Lösungen werden mit den jeweils beteiligten Personen erarbeitet. Dadurch entstehen Lösungsmodelle, die durch das prozessorientierte Vorgehen an die aktuelle Situation der Familie und des Unternehmens angepasst sind.

2. Wie unterscheiden sich Formen von systemischer Beratung von anderen Beratungsformen, nennen Sie Beispiele aus den Interviewzitaten?

Das Beispiel der Unternehmensberatung im dritten Zitat kommt der systemischen Vorgehensweise am nächsten. Die Systemische Beratung setzt an der Organisation selbst an, an den konkreten Gegebenheiten vor Ort. So wird zunächst eine Analyse der Organisation vorgenommen (Zitat 2 und 3). Ziel der systemischen Beratung ist es, durch eine hohe Beteiligung und durch die Irritation der Organisation (Infragestellung, Feedback…) einen Wandlungsprozess in Gang zu setzen (Zitat 3). Prozessbegleitend soll die Organisation darin unterstützt werden, Probleme zu identifizieren, Lösungen zu erarbeiten und diese schließlich auch umzusetzen. Dabei findet eine ständige Anpassung an unvorhergesehene Effekte statt (Zitat 3). Die Verantwortung für die Veränderung verbleibt beim Auftraggeber, der Berater wird nicht zum Teil der Organsiation (Zitat 1), sondern profitiert durch seine außenstehende Position, die das Aufzeigen neuer Perspektiven und das hinterfragen eingeschliffener Regeln ermöglicht (Zitat 3). Bereits ausgearbeitete Konzepte (Zitat 1 und 2) spielen dabei keine Rolle, da von der spezifischen Eigenlogik eines jeden Unternehmens ausgegangen wird.

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Kapitel 8

Übungsaufgabe zu Kapitel 8: Ein kniffliger Fall: Fü hrung einer gelben Gewerkschaft durch einen ehemaligen Siemensianer

1. Könnte die Siemens AG durch andersgeartete formale Regeln (bspw. schärfere Sanktionen, detailliertere Verhaltensvorschriften etc.) ein derartiges Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter künftig verhindern?

Wo Informationsdefizite über staatliche Regulierung oder rechtliche Sanktionen bestehen oder Zweifel an den guten Absichten des Prinzipals aufkommen, mögen formale Maßnahmen als erfolgversprechend gelten, die auf eine Erhöhung der Salienz oder auf die Selbstverpflichtung der Akteure zu konformen Handlungen zielen. Da keine dieser Bedingungen im konkreten Fall gegeben waren, sind die generellen Erfolgschancen der bloßen Änderung formaler Entscheidungsprämissen gering: Die Vorschriften der Siemens AG waren den Tätern bekannt, sie waren eindeutig und widerspruchsfrei formuliert und wurden nach offizieller Darstellung gebrochen, um die Taten zu verschleiern. Der Verstoß erfolgte trotz öffentlicher Bekenntnisse des Unternehmens zu Transparenz und Korruptionsbekämpfung, mit Rückendeckung von Teilen des Top-Managements und des mittleren Managements. Formalisierte Entscheidungen müssen symbolisch sein und haben daher auch nur bei konsistenter Präventionspraxis eine Chance, den notwendigen organisationskulturellen Wandel zu befördern. Es ist dann eine empirisch-historische Frage, ob ein solcher Wandel durch neue formale Regeln angeschoben wird oder nicht. Selbst schärfere, arbeitsrechtlich legitime Sanktionen gegen (ehemalige) Mitarbeiter sind insofern nicht unbedingt eine Garantie für künftige Normkonformität. Aber der Umgang mit den Tätern - insbesondere die zum Teil stark variierenden Konsequenzen für ihre Karrieren - kann ein erster Schritt sein, um klare Signale an die verbleibenden Organisationsmitglieder zu senden. Auch andere personalpolitische Maßnahmen, wie z.B. der regelmäßige Austausch der Mitarbeiter in anfälligen Bereichen, können die zuvor gültigen informalen Regeln der Legitimierung abweichenden Verhaltens durcheinander bringen. In jedem Fall entzieht sich die evolutionäre Restabilisierung des Systems der einfachen Entscheidbarkeit qua Dekret oder Anweisung. Erst die Organisationskultur bestimmt, ob und wie bzw. wann die Neuerungen als Prämisse kommunikativer Entscheidungsprozesse akzeptiert werden.

2. Analysieren Sie den Fall mit Hilfe des Begriffs der brauchbaren Illegalität: Haben die Akteure F. und S. im Interesse der Siemens AG gehandelt?

Brauchbare Illegalität ist ein soziologischer Begriff, der quer zur juristischen Unterscheidung von rechtskonform/rechtswidrig liegt. Daher ist die Güte der Rechtsprechung auch in diesem kniffligen Fall zweitrangig für die fragliche Anwendbarkeit des Begriffs. Wichtig ist zu klären, ob gegen Mitgliedschaftsbedingungen der Organisation, d.h. des jeweiligen Arbeitgebers, verstoßen wurde. Hinsichtlich der Beteiligung F.‘s ist die Sachlage eindeutig: Ein Verstoß gegen Vertretungsregeln der Siemens AG wurde festgestellt. Während F. also im soziologischen Sinne illegal handelte, kann gleiches für S. nicht zweifelsfrei behauptet werden - auch wenn eine weitgehende Arbeitgeber-Finanzierung, die dem Sinn des bundesrepublikanischen Betriebsverfassungsgesetzes zuwider läuft, höchst wahrscheinlich nicht in den Statuten der Gewerkschaft formal vorgesehen war. Um zu ermitteln, ob die Handlungen der Akteure zwar illegal, doch gleichwohl brauchbar für das Unternehmen Siemens gewesen sein könnten, ist wiederum nicht die juristische Argumentationsfigur eines Vermögensschadens in Höhe der getätigten Investitionen maßgeblich, sondern die fragliche Zweckmäßigkeit für die Organisation. Ein stichhaltiges Indiz dafür ist, dass beide Täter sich über einen langen Zeitraum nicht persönlich bereichert haben. Der nach langjähriger, offenbar intensiver Kooperation erfolgende Betrug eines Täters darf nicht über die faktischen Erfolge der gelben Gewerkschaft bei Betriebsratswahlen und die aus Sicht der Akteure zum

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Teil „erfolgreiche“ Auswahl bequemer Betriebsräte hinweg täuschen. Die Kooperation erfüllte ganz offensichtlich den von Teilen des Managements gewünschten Zweck, sonst wäre es nicht zum Abschluss einer neuen Rahmenvereinbarung gekommen. Dass daraus Nachteile für Mitarbeiter der Siemens AG resultierten, steht durchaus in Einklang mit einer systemtheoretischen Diagnose brauchbarer Illegalität. Diese vermag in diesem Fall zu belegen, dass die Interessen der Siemens AG nicht deckungsgleich mit den Interessen der Mehrheit der Mitglieder sein müssen. Das Gegenteil ist oft der Fall, denn die Unterstellung eines Unternehmensinteresses seitens der Akteure kann insbesondere von materiellem Profit und den Interessen der Mitarbeiter (seien sie Täter oder Opfer ) abstrahieren. Die informalen Bedingungen der Legitimität einer Entscheidung darüber, welches brauchbar-illegale Handeln toleriert oder gar gefördert wird, gewähren daher tiefe Einblicke in Organisationskultur und Geschichte des jeweiligen Unternehmens.

Zusatzübung zu Kapitel 8:Amtsträgerbestechung – Der Fall der Telekom Magyar

Übungstext:

Der erste Teil des Bestechungsgeschehens im vorliegenden Korruptionsfalls der Magyar Telekom Plc. nahm zu Beginn des Jahres 2005 seinen Lauf, als das mazedonische Parlament ein „Electronic Communications Law“ beschloss, welches vorsah, dass der landeseigene Telekommunikationsmarkt für weitere Anbieter freigegeben werden sollte. Dies würde sich für den bislang alleinigen Versorger Magyar Telekom Plc. und dessen Tochterunternehmen MakTel als sehr nachteilig erweisen, da diese sich von nun an mit anderen Wettbewerbern konfrontiert sähen. Ferner sollten durch das neue Gesetz die regelmäßigen Abgaben erhöht und weitere behördliche Auflagen auf das Unternehmen zukommen. Durch diesen Beschluss vermutlich beunruhigt trafen sich Straub, Balogh und Morvai, GM1, GM2 und GM3 bereits Ende Januar 2005 mit dem mazedonischen Regierungsbeamten MRB1 in Skopje, der Hauptstadt Mazedoniens, und taten diesem kund, dass eine Liberalisierung des mazedonischen Telekommunikationsmarktes für sie nicht akzeptabel sei (vgl. DOJ, Information v. 29.12.2011, Az. 11 CR 00597).

Einige Wochen nach dieser „Kundgebung“, am 9. März, so konnte es die amerikanische Staatsanwaltschaft nachverfolgen, sendete MakTel B1, ein leitender Angestellter des Tochterunternehmens MakTel, eine E-Mail an jenen zuvor angetroffenen mazedonischen Regierungsbeamten MRB1, in der er ihn aufforderte, ihn über jene Organisationen zu informieren, die im Rahmen des Liberalisierungsgesetzes nun offiziell dazu angehalten waren, regelmäßige Abgaben zu leisten. Jenes Nachhaken muss entsprechend der Erwartungen und des planmäßigen Vorhabens der Vertreter der Magyar Telekom Plc. ausgefallen sein, denn einige Wochen später, am 25. Mai 2005, kam es dann schließlich dazu, dass Straub, Balogh, Morvai und MRB1 einer geheimen Absprache zustimmten, die sie das Kooperationsprotokoll („Protocol of Cooperation“, DOJ, Information v. 29.12.2011, Az. 11 CR 00597: 26) nannten. Darin wurde zwischen den Beteiligten festgehalten, dass der mazedonische Regierungsbeamte für Gegenleistungen von rund 10 Millionen Euro (welche in 3 Raten zwischen Juni 2005 und Juli 2006 ausgezahlt werden sollten) die Ausstellung einer weiteren offiziellen Lizenz für den mazedonischen Kommunikationsmarkt hinauszögern, wenn nicht gar verhindern würde. Ferner sollte er auch die weiteren nachteiligen Effekte des neuen Gesetzes für die Magyar Telekom Plc. abmildern, indem er gemäß der im Abkommen getroffenen Absprachen dafür Sorge zu tragen hatte, dass MakTel die erhöhten Abgaben nicht in vollem Umfang zahlen müsse. Straub und Balogh unterschrieben das Abkommen im Namen der Magyar Telekom Plc., während MRB1 es im Namen der politischen Partei A gegenzeichnete. In den Dokumenten der amerikanischen Staatsanwaltschaft wird davon ausgegangen, dass auch entscheidungsbefugte Führungskräfte der Deutschen Telekom AG von der Unterzeichnung eines solchen Protokolls wussten. Schon kurz darauf, am 27. Mai 2005, trafen die genannten leitenden

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Angestellten der Magyar Telekom Plc., die griechischen Mittelsmänner (GM2 und GM3) und einige

mazedonische Regierungsbeamte der politischen Partei A ein weiteres Mal in einem Hotel in Skopje zusammen und bestätigten sich dort gegenseitig ihr

Einvernehmen darüber, dass keine weiteren Personen, einschließlich der Wirtschaftsprüfer der Magyar Telekom Plc., von der Existenz und dem Zweck dieses

Übereinkommens erfahren durften.

Sowohl in den Gerichtsunterlagen des Department of Justice (DOJ) und der

Securities Exchange Commission (SEC) als auch in anderem Quellmaterial sind weder explizite noch implizite Anzeichen erkennbar, die darauf hindeuten, dass sich die Haupttäter im Rahmen des Korruptionsgeschehens finanziell persönlich bereichert hätten. Vielmehr lassen sich in den Ausführungen des DOJ und der SEC an verschiedenen Stellen Indizien dafür finden, dass die Angeklagten ausschließlich im vermeintlichen Interesse des Unternehmens und dem damit verbundenen geschäftlichen Interessen gehandelt haben.

1. Welche Bedeutung hat die Tatsache, dass keine persönliche Bereicherung stattfand, für die Erklärung des Korruptionsgeschehens in der Theorie Rationaler Wahl?

2. Welche Voraussetzungen müssten gegeben sein, um die Erklärungsweisen des neuen Institutionalismus und der Systemtheorie für zutreffend zu halten?

Lösungsvorschlag:

1. Welche Bedeutung hat die Tatsache, dass keine persönliche Bereicherung stattfand, für die Erklärung des Korruptionsgeschehens in der Theorie Rationaler Wahl?

Die Theorie Rationaler Wahl nimmt zur Erklärung von Korruption Kosten-Nutzen-Rechnungen der an der Korruption beteiligten Akteure in den Blick. Die Mitarbeiter der Magyar Telekom Plc. und der MakTel, die an der aktiven Korruption teilnahmen, haben sich persönlich nicht finanziell bereichert. Dadurch entfällt ein möglicher Nutzen der Korruptionshandlung und die Erklärung des Mitarbeiterverhaltens anhand den Prinzipien des homo oeconomicus fällt schwer. Die individuellen Kosten einer aktiven Korruptionshandlung beim Zutagetreten der Straftat wären hoch: rechtliche Verurteilung, Verlust des Arbeitsplatzes, Statusverlust, hohes Skandalisierungspotential aufgrund der Beteiligung von Politikern etc. Möglichen Nutzen für den Einzelnen ergeben sich überhaupt nur, wenn die Korruptionshandlung nicht aufgedeckt wird. Zudem sind diese Nutzen gering und erschöpfen sich in möglichen Karrierechancen, die durch das Mitwissen und die Billigung des

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Topmanagements möglich wären. Das Risiko für die Aufdeckung der illegalen Handlungen ist realistisch vorhanden, weshalb sich mit Hilfe der Rational Choice Theorie das aktiv korrupte Verhalten der Mitarbeiter nicht erklären lässt.

2. Welche Voraussetzungen müssten gegeben sein, um die Erklärungsweisen des neuen Institutionalismus und der Systemtheorie für zutreffend zu halten?

Betrachtet man den geschilderten Fall aus der Perspektive des Neuen Institutionalismus oder der Systemtheorie, müssen informelle Legitimationsstrukturen innerhalb der Organisation betrachtet werden. Dadurch, dass Führungskräfte von dem Mutterkonzern, der Deutschen Telekom AG von dem Bestechungsprotokoll Kenntnis hatten, liegt es nahe, dass Korruptionshandlungen im Interesse des Unternehmens als legitimes Mittel gelten. Des Weiteren müsste untersucht werden, ob es innerhalb der Organisation oder auch der betroffenen Abteilung mehrere Fälle aktiver Korruption gab, dies wäre ein Hinweis dafür, dass im Sinne brauchbarer Illegalität gehandelt wurde. Immer zu beachten ist dabei, dass das sich das Hellfeld korrupter Handlungen deutlich vom Dunkelfeld und der Anzahl der tatsächlich stattgefundenen Korruptionen unterscheiden kann. Aktive Korruption ohne persönliche Vorteilnahme tritt insbesondere dann auf, wenn Mitarbeiter dem Unternehmen gegenüber besonders loyal sind. Um die Interessen der Organisation zu verfolgen, gehen sie das Risiko persönlicher Strafverfolgung ein. Handelt es sich bei der Telecom Magyar tatsächlich um Korruptionsfälle brauchbarer Illegalität, sollte außerdem nachzuweisen sein, dass die Handlungen der Mitarbeiter zum Bestandserhalt des Unternehmens bzw. zum Erfolg des Unternehmens beitragen sollten.

Ein letzter Aspekt, der insbesondere im Hinblick auf die Neue Institutionentheorie mit zu bedenken wäre, ist die Frage, ob Korruption innerhalb der Landeskultur als legitimes Mittel gesehen wird und entsprechende gesellschaftliche Verbreitung findet.