162 von 172 Häusern stehen an der Hauptstraße - Bauwelt · 2018. 10. 22. · Der Katalog kostet...

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2 | Bauwelt 39 2005 Wochenschau Ordrupgaard, Vilvordevej 110, 2920 Charlottenlund, Kopenhagen, www.ordrupgaard.dk Kopenhagen Erweiterung der Kunstsammlung Ordrupgaard Die Kunstsammlung Ordrupgaard mit ihrer hochkarätigen Kollektion von Ge- mälden des französischen Impressionis- mus, Postimpressionismus und Fauvis- mus genießt Weltruhm. Wilhelm Hansen, Gründer der Dänischen Volksversiche- rungsanstalt, hatte zwischen 1916 und 1918 seine Sammlung dänischer Kunst des 19. Jahrhunderts gezielt durch Kunst aus Frankreich ergänzt. Sein erster An- kauf, der auf einer Geschäftsreise nach Paris vermittelt wurde, waren Bilder von Alfred Sisley, Camille Pissarro, Claude Monet und Auguste Renoir; beraten ließ sich Hansen vom Kunstkritiker Théo- dore Duret. „Ordrupgaard“, ihren neuen Wohnsitz in einem Villengebiet im Nor- den von Kopenhagen nahe dem königli- chen Tiergarten, bezogen Hansen und seine Ehefrau im Herbst 1918. Der Ar- chitekt Gotfred Tvede (1863–1947) rea- lisierte das Ensemble eines symmetri- schen Hauptbaus mit zwei kurzen Sei- tenflügeln, an den sich östlich ein Gale- rietrakt anschloss, im klassizierenden Landhausstil jener Zeit. Seit 1953 sind Sammlung und Anwesen im Besitz des dänischen Staates; doch noch heute lebt Ordrupgaard von dem privaten, fast inti- men Ambiente, in dem die Kunstwerke ausgestellt werden. Schon lange jedoch konnte die hochkarätige Sammlung nicht mehr wirklich angemessen präsen- tiert werden, und so entschied man sich für eine Erweiterung. Den eingelade- nen Wettbewerb im Jahr 2001, u.a. mit MVRDV, Dominique Perrault und von Gerkan, Marg und Partner, konnte Zaha Hadid für sich entscheiden. Ende Au- gust dieses Jahres nun wurde das erwei- terte Museum wiedereröffnet – mit 500 weiteren Quadratmetern hat sich die bestehende Ausstellungsfläche nahezu verdoppelt. Außerdem kamen ein neuer Eingangsbereich, ein Café und ein Ver- anstaltungssaal hinzu. Es ist erstaunlich, wie zurückhaltend der Annex aus schwarzem Sichtbeton, der im Osten an den Galerietrakt des Altbaus „andockt“, sich in das Ensemble einfügt – immerhin ist die Gesamtflä- che des Anbaus in etwa noch einmal so groß wie die der bestehenden Bauten. Die enge Verzahnung von Natur und Ar- chitektur, die Hadids Wettbewerbsent- wurf versprach, ist hervorragend gelun- gen. Im Norden wächst der schmale Bau- körper aus einer hügelartigen Model- lierung des Erdbodens empor, im Süden gabelt er sich in zwei wellenartige, über dem leicht abfallenden Terrain schwe- bende Ausläufer. Die lange Ostfassade ist fast vollständig verglast; die Sicht- betonfläche ist hier auf den schmalen Dachrand reduziert, der sich im Süden an der Gebäudestirn in den Boden ein- dreht. In dem größeren der beiden Gebäude- enden befindet sich der Vortragssaal, im kleineren das Café – entlang der Glas- front im Osten verbindet eine Rampe diese Zone mit der inmitten des Gebäu- des gelegenen Rezeption. Dass man von dieser in zwei Ausstellungsbereiche ge- langt, erstaunt beim ersten Besuch – meinte man doch, das Gebäude bereits in seinen wesentlichen Bestandteilen erfasst zu haben. Eine separate, z-för- mige Galerie für Wechselausstellungen wird über einen schmalen Gang nördlich des Eingangs erschlossen; die Räume der Dauerausstellung betritt man un- mittelbar neben dem keilförmig in den Raum vorstoßenden Empfangstresen. Vier dieser parallelogramm- und trapez- förmigen Kabinette liegen im Inneren des Gebäudes, umschlossen von Café, Verbindungsgang und Rezeption; das fünfte dient als Verbindungsbrücke zum Galerietrakt des Altbaus. Die Ausstel- lungssäle und -kabinette sind allesamt fensterlos; der Farbton des schwarzen Sichtbetons bestimmt auch hier die Atmosphäre. Trotz mancher spitzwinkli- ger Ecke und der vielen durch Rampen oder Treppenstufen ausgeglichenen Ni- veauunterschiede sind die Räume für eine Hadid’sche Komposition vergleichs- weise ruhig. Tageslicht erreicht die Säle einzig durch die unterschiedlich lan- gen streifenfömigen Deckenausschnitte, wie sie Zaha Hadid auch schon bei an- deren Bauten, etwa am Verkehrs-Termi- nal Straßburg-Hoenheim, verwendet hat. Hubertus Adam 1 Eingang 2 Foyer, Museumsshop 3 Wechselausstellung 4 Dauerausstellung 5 Veranstaltungsraum 6 Café Grundriss, Schnitt ohne Maß- stab: Zaha Hadid Architects Fotos: Roland Halbe, Stuttgart Zaha Hadids 87 m langer An- bau schiebt sich aus einem Hügel heraus. Im Foyer noch erwartungsgemäß aufgeregt, beruhigt sich die Architektur in den Kabinetten zugunsten der ausgestellten Werke. 3 1 2 5 6 4 Leipzig 162 von 172 Häusern stehen an der Hauptstraße ... jedenfalls in Sofie Thorsens Heimat- dorf in Dänemark. Die Künstlerin, de- ren Werkschau derzeit in der Galerie für zeitgenössische Kunst in Leipzig zu se- hen ist, hat für ihre Arbeit „Counting the parts“ genau nachgezählt. Die Dias der frontal abgelichteten Gebäude zie- hen einzeln am Betrachter vorüber, der über Kopfhörer mit weiteren Informatio- nen versorgt wird. So erfahren wir im Stil einer Inventarliste, wie viele der Ge- bäude wie alt, wie genutzt, aus welchem Material, von welcher Farbe, wie groß, bekommt man in „+- guided tours“ ein Gefühl für das Schrumpfen der Stadt durch die Gegenüberstellung von Bil- dern, die die Leere der Stadtränder künstlich verstärken, mit einem Audio- kommentar, der eben diese Leere mit trockenen Informationen darüber füllt, was an Nutzungen in der Innenstadt verschwunden und was am Stadtrand an Einkaufszentren und Siedlungen hin- zugekommen ist. Die Ausstellung lebt von Gegensatz- paaren. In „Fertighausträume” sind dies Schwarz-Weiß-Fotografien der Muster- haussiedlung „Blaue Lagune“, deren nüchterne Realität sich neben den Ver- sprechungen des Textes aus dem dazu- Oben: Der „Kathedralenstern“ aus dem „Weltbaumeister“. Bruno Tauts Architekturschau- spiel kam in der Ausstellung Broken Glass mit 86-jähriger Verspätung zur Urauffüh- rung. Rechts: „Wand“ aus Sofie Thorsens scherenschnittarti- ger Sektion einer gated com- munity Bauwelt 39 2005 | 3 Heerlen Broken Glass An einer „Huldigung an das Glas“ ver- sucht sich zurzeit eine Ausstellung im Heerlener Glaspaleis. Unter der Ehrer- weisung an das facettenreiche Material verstehen die niederländischen und deutschen Ausstellungsmacher weni- ger die systematische Aufbereitung der künstlerischen und architektonischen Ausdrucksmöglichkeiten von Glas als vielmehr einen frei assoziierten interdis- ziplinären „Essay“. Glaskunstwerke be- völkern die Stockwerke des Hauses, Le- sungen, Workshops und Filmvorführun- gen behandeln Glas über die bildende Kunst hinaus als Thema der Literatur und der Musik. Die Fülle der Aspekte verhindert jegliche Fokussierung, worun- ter besonders die knappe Architektur- sektion des groß angelegten Projekts zu leiden hat. Durchblick vermag hier al- lein das Studium des informativen opu- lenten Katalogs zu verschaffen, der sich als Lesebuch zum Thema Glas präsen- tiert. Ohne ihn bliebe nicht nur das Kon- zept der lose gereihten Auswahl unkom- mentierter Architekturfotografien im Treppenhaus des Glaspaleis unverständ- lich, sondern auch der Verweis auf die „traditionelle Magie“ des Materials. Wichtigster Beitrag der Ausstellung zum Thema Glas und Architektur ist die Ur- aufführung von Bruno Tauts „Weltbau- meister“. Die Realisierung des Architek- turschauspiels, das Taut 1919 als Folge von 28 Kohlezeichnungen veröffentlicht hatte, wurde durch die ökonomischen und politischen Umstände der Zeit ver- hindert. Akteur der expressionistischen „Pantomime“ sollte die Architektur selbst sein: Ein phantastisch-kristallines Kathe- dralen-Gebilde taucht auf einer imagi- nären Bühne auf, entfaltet und trans- formiert sich, zerbirst zuletzt, um seine Splitter wie kosmische Samen im Welt- all auszusäen. Der Architekturhistoriker Manfred Speidel hat, eigenhändige An- weisungen und Erläuterungen des Ar- chitekten befolgend, die Bildfolge zum Leben erweckt, indem er die Zeichnun- gen farblich fasste und durch Überblen- dungen zu einer Filmsequenz zusam- menfügte. Eine Auftragskomposition des niederländischen Komponisten Robert Weirauch untermalt das Bühnenwerk. Der anlässlich der Ausstellungseröffnung uraufgeführte „Weltbaumeister“ ist im Verlauf der Schau allerdings nur noch als Video zu sehen. Beeindruckendstes Exponat in der Sek- tion Architektur bleibt somit der Heer- lener Glaspalast selbst: Das 1935 von Frits Peutz (1896–1974) entworfene ehe- malige Warenhaus „Schunck“ ist ein ge- bautes Manifest gläserner Transparenz, das seit der Restaurierung durch Wiel Arets und Jo Coenen (Heft 3/04) wie- der in altem Glanz erstrahlt. Anke Naujokat Glaspaleis, Bongard 18, 6411 JM Heerlen; bis 30. Ok- tober; Mo–Sa 10–20 Uhr. Info: www.brokenglass.nl Der Katalog kostet 25 Euro, die DVD mit Bruno Tauts „Weltbaumeister“ 10 Euro. Galerie für zeitgenössische Kunst (Neubau), Karl-Tauch- nitz-Straße 11, 04107 Leipzig, www.gfzk.de; bis 6. Novem- ber, Di–Sa 14–19, So 12–19 Uhr mit welcher Dach-, Zaun- oder Hecken- art und mit wie vielen Fenstern ausge- stattet sind. Die Umgebung der Häu- ser wird ebenso wenig erwähnt wie der Name des Dorfes – von dem sich der Betrachter allerdings im Laufe dieses „Puzzles“ ein erstaunlich klares Bild zu- sammensetzt. Sofie Thorsen sieht diese Arbeit als Schlüsselwerk der Ausstellung. Tatsäch- lich ist sie typisch für die sehr eigene Auseinandersetzung der Künstlerin mit dem architektonischen Raum, der mit sezierendem Blick in seine Einzelteile zerlegt wird. Diese werden anschließend neu geordnet und mit einer zeitlichen Struktur versehen, die vom Rhythmus der Dia-Projektoren bestimmt wird. Die Stringenz und Abstraktion der Darstel- lung fordert den Betrachter geradezu heraus, die Zusammenhänge in den Zwi- schenräumen zu entdecken. Der reale Ort tritt dabei in den Hintergrund – und wird zum Exempel eines Prinzips. So zeigt Thorsen verschiedenste Phäno- mene auf: Das Schrumpfen der Städte wird am Beispiel von Leipzigs Umland verdeutlicht, „gated communities“ wer- den anhand einer Siedlung bei Warschau erforscht, und zur Analyse des Fertig- hausbaus dienen ein Förderprogramm in Dänemark und eine Musterhaussied- lung vor Wien. Die Themen sind dabei nicht neu, wohl aber die Perspektive. So gehörigen Katalog zu behaupten ver- sucht. Ähnlich aufgebaut ist „Thousands of houses built in Denmark with state funding, 1938–1958“. Die Beiträge ei- nes Architekturwettbewerbs für geför- derten Einfamilienhausbau werden mit Zitaten der Auslobung und der Erläute- rungstexte ergänzt, die viel über die gesellschaftlichen Normen hinter den Strichzeichnungen verraten – und in ge- bauter Form in dem anfangs „inventari- sierten“ Dorf wiederzufinden sind. Die einzige Arbeit, die in statischen Schwarz-Weiß-Grafiken präsentiert wird, beschäftigt sich passenderweise mit gated communities. Neben dem düste- ren Charme abstrahierter Fotografien werden diese geschlossenen Siedlungen äußerst treffend durch die niederge- schriebenen Versuche einer Kontaktauf- nahme mit Wachpersonal und Bewoh- nern charakterisiert. Wie so oft in der Ausstellung muss man schmunzeln – und ist zugleich schockiert von der Ab- surdität der Realität. Brigitte Schultz

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Wochenschau

Ordrupgaard, Vilvordevej 110,

2920 Charlottenlund,

Kopenhagen,

www.ordrupgaard.dk

KopenhagenErweiterung der KunstsammlungOrdrupgaard

Die Kunstsammlung Ordrupgaard mitihrer hochkarätigen Kollektion von Ge-mälden des französischen Impressionis-mus, Postimpressionismus und Fauvis-mus genießt Weltruhm. Wilhelm Hansen,Gründer der Dänischen Volksversiche-rungsanstalt, hatte zwischen 1916 und1918 seine Sammlung dänischer Kunstdes 19. Jahrhunderts gezielt durch Kunstaus Frankreich ergänzt. Sein erster An-kauf, der auf einer Geschäftsreise nachParis vermittelt wurde, waren Bilder vonAlfred Sisley, Camille Pissarro, ClaudeMonet und Auguste Renoir; beraten ließsich Hansen vom Kunstkritiker Théo-dore Duret. „Ordrupgaard“, ihren neuenWohnsitz in einem Villengebiet im Nor-den von Kopenhagen nahe dem königli-chen Tiergarten, bezogen Hansen undseine Ehefrau im Herbst 1918. Der Ar-chitekt Gotfred Tvede (1863–1947) rea-lisierte das Ensemble eines symmetri-schen Hauptbaus mit zwei kurzen Sei-tenflügeln, an den sich östlich ein Gale-rietrakt anschloss, im klassizierendenLandhausstil jener Zeit. Seit 1953 sindSammlung und Anwesen im Besitz desdänischen Staates; doch noch heute lebtOrdrupgaard von dem privaten, fast inti-men Ambiente, in dem die Kunstwerke

ausgestellt werden. Schon lange jedochkonnte die hochkarätige Sammlungnicht mehr wirklich angemessen präsen-tiert werden, und so entschied man sichfür eine Erweiterung. Den eingelade-nen Wettbewerb im Jahr 2001, u. a. mitMVRDV, Dominique Perrault und vonGerkan, Marg und Partner, konnte ZahaHadid für sich entscheiden. Ende Au-gust dieses Jahres nun wurde das erwei-terte Museum wiedereröffnet – mit 500weiteren Quadratmetern hat sich diebestehende Ausstellungsfläche nahezuverdoppelt. Außerdem kamen ein neuerEingangsbereich, ein Café und ein Ver-anstaltungssaal hinzu. Es ist erstaunlich, wie zurückhaltend der Annex aus schwarzem Sichtbeton,der im Osten an den Galerietrakt desAltbaus „andockt“, sich in das Ensembleeinfügt – immerhin ist die Gesamtflä-che des Anbaus in etwa noch einmal sogroß wie die der bestehenden Bauten.Die enge Verzahnung von Natur und Ar-chitektur, die Hadids Wettbewerbsent-wurf versprach, ist hervorragend gelun-gen. Im Norden wächst der schmale Bau-körper aus einer hügelartigen Model-lierung des Erdbodens empor, im Südengabelt er sich in zwei wellenartige, überdem leicht abfallenden Terrain schwe-bende Ausläufer. Die lange Ostfassadeist fast vollständig verglast; die Sicht-betonfläche ist hier auf den schmalen

Dachrand reduziert, der sich im Südenan der Gebäudestirn in den Boden ein-dreht. In dem größeren der beiden Gebäude-enden befindet sich der Vortragssaal, imkleineren das Café – entlang der Glas-front im Osten verbindet eine Rampediese Zone mit der inmitten des Gebäu-des gelegenen Rezeption. Dass man vondieser in zwei Ausstellungsbereiche ge-langt, erstaunt beim ersten Besuch –meinte man doch, das Gebäude bereitsin seinen wesentlichen Bestandteilenerfasst zu haben. Eine separate, z-för-mige Galerie für Wechselausstellungenwird über einen schmalen Gang nördlichdes Eingangs erschlossen; die Räumeder Dauerausstellung betritt man un-mittelbar neben dem keilförmig in denRaum vorstoßenden Empfangstresen.Vier dieser parallelogramm- und trapez-förmigen Kabinette liegen im Innerendes Gebäudes, umschlossen von Café,Verbindungsgang und Rezeption; das

fünfte dient als Verbindungsbrücke zumGalerietrakt des Altbaus. Die Ausstel-lungssäle und -kabinette sind allesamtfensterlos; der Farbton des schwarzenSichtbetons bestimmt auch hier die Atmosphäre. Trotz mancher spitzwinkli-ger Ecke und der vielen durch Rampenoder Treppenstufen ausgeglichenen Ni-veauunterschiede sind die Räume füreine Hadid’sche Komposition vergleichs-weise ruhig. Tageslicht erreicht die Säleeinzig durch die unterschiedlich lan-gen streifenfömigen Deckenausschnitte,wie sie Zaha Hadid auch schon bei an-deren Bauten, etwa am Verkehrs-Termi-nal Straßburg-Hoenheim, verwendethat. Hubertus Adam

1 Eingang2 Foyer, Museumsshop3 Wechselausstellung4 Dauerausstellung5 Veranstaltungsraum6 CaféGrundriss, Schnitt ohne Maß-stab: Zaha Hadid ArchitectsFotos: Roland Halbe, Stuttgart

Zaha Hadids 87 m langer An-bau schiebt sich aus einemHügel heraus. Im Foyer nocherwartungsgemäß aufgeregt,beruhigt sich die Architekturin den Kabinetten zugunstender ausgestellten Werke.

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. . . jedenfalls in Sofie Thorsens Heimat-dorf in Dänemark. Die Künstlerin, de-ren Werkschau derzeit in der Galerie fürzeitgenössische Kunst in Leipzig zu se-hen ist, hat für ihre Arbeit „Countingthe parts“ genau nachgezählt. Die Diasder frontal abgelichteten Gebäude zie-hen einzeln am Betrachter vorüber, derüber Kopfhörer mit weiteren Informatio-nen versorgt wird. So erfahren wir imStil einer Inventarliste, wie viele der Ge-bäude wie alt, wie genutzt, aus welchemMaterial, von welcher Farbe, wie groß,

bekommt man in „+- guided tours“ einGefühl für das Schrumpfen der Stadtdurch die Gegenüberstellung von Bil-dern, die die Leere der Stadtränderkünstlich verstärken, mit einem Audio-kommentar, der eben diese Leere mittrockenen Informationen darüber füllt,was an Nutzungen in der Innenstadtverschwunden und was am Stadtrand an Einkaufszentren und Siedlungen hin-zugekommen ist. Die Ausstellung lebt von Gegensatz-paaren. In „Fertighausträume” sind diesSchwarz-Weiß-Fotografien der Muster-haussiedlung „Blaue Lagune“, derennüchterne Realität sich neben den Ver-sprechungen des Textes aus dem dazu-

Oben: Der „Kathedralenstern“aus dem „Weltbaumeister“.Bruno Tauts Architekturschau-spiel kam in der AusstellungBroken Glass mit 86-jährigerVerspätung zur Urauffüh-rung.

Rechts: „Wand“ aus SofieThorsens scherenschnittarti-ger Sektion einer gated com-munity

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HeerlenBroken Glass

An einer „Huldigung an das Glas“ ver-sucht sich zurzeit eine Ausstellung imHeerlener Glaspaleis. Unter der Ehrer-weisung an das facettenreiche Materialverstehen die niederländischen unddeutschen Ausstellungsmacher weni-ger die systematische Aufbereitung derkünstlerischen und architektonischenAusdrucksmöglichkeiten von Glas alsvielmehr einen frei assoziierten interdis-ziplinären „Essay“. Glaskunstwerke be-völkern die Stockwerke des Hauses, Le-sungen, Workshops und Filmvorführun-gen behandeln Glas über die bildendeKunst hinaus als Thema der Literaturund der Musik. Die Fülle der Aspekteverhindert jegliche Fokussierung, worun-ter besonders die knappe Architektur-sektion des groß angelegten Projekts zu leiden hat. Durchblick vermag hier al-lein das Studium des informativen opu-lenten Katalogs zu verschaffen, der sichals Lesebuch zum Thema Glas präsen-tiert. Ohne ihn bliebe nicht nur das Kon-zept der lose gereihten Auswahl unkom-mentierter Architekturfotografien imTreppenhaus des Glaspaleis unverständ-lich, sondern auch der Verweis auf die„traditionelle Magie“ des Materials.Wichtigster Beitrag der Ausstellung zumThema Glas und Architektur ist die Ur-aufführung von Bruno Tauts „Weltbau-meister“. Die Realisierung des Architek-turschauspiels, das Taut 1919 als Folgevon 28 Kohlezeichnungen veröffentlichthatte, wurde durch die ökonomischenund politischen Umstände der Zeit ver-hindert. Akteur der expressionistischen„Pantomime“ sollte die Architektur selbstsein: Ein phantastisch-kristallines Kathe-dralen-Gebilde taucht auf einer imagi-nären Bühne auf, entfaltet und trans-formiert sich, zerbirst zuletzt, um seine

Splitter wie kosmische Samen im Welt-all auszusäen. Der ArchitekturhistorikerManfred Speidel hat, eigenhändige An-weisungen und Erläuterungen des Ar-chitekten befolgend, die Bildfolge zumLeben erweckt, indem er die Zeichnun-gen farblich fasste und durch Überblen-dungen zu einer Filmsequenz zusam-menfügte. Eine Auftragskomposition desniederländischen Komponisten RobertWeirauch untermalt das Bühnenwerk.Der anlässlich der Ausstellungseröffnunguraufgeführte „Weltbaumeister“ ist imVerlauf der Schau allerdings nur nochals Video zu sehen. Beeindruckendstes Exponat in der Sek-tion Architektur bleibt somit der Heer-lener Glaspalast selbst: Das 1935 vonFrits Peutz (1896–1974) entworfene ehe-malige Warenhaus „Schunck“ ist ein ge-bautes Manifest gläserner Transparenz,das seit der Restaurierung durch WielArets und Jo Coenen (Heft 3/04) wie-der in altem Glanz erstrahlt. Anke Naujokat

Glaspaleis, Bongard 18,

6411 JM Heerlen; bis 30. Ok-

tober; Mo–Sa 10–20 Uhr.

Info: www.brokenglass.nl

Der Katalog kostet 25 Euro,

die DVD mit Bruno Tauts

„Weltbaumeister“ 10 Euro.

Galerie für zeitgenössische

Kunst (Neubau), Karl-Tauch-

nitz-Straße 11, 04107 Leipzig,

www.gfzk.de; bis 6. Novem-

ber, Di–Sa 14–19, So 12–19 Uhr

mit welcher Dach-, Zaun- oder Hecken-art und mit wie vielen Fenstern ausge-stattet sind. Die Umgebung der Häu-ser wird ebenso wenig erwähnt wie derName des Dorfes – von dem sich derBetrachter allerdings im Laufe dieses„Puzzles“ ein erstaunlich klares Bild zu-sammensetzt.Sofie Thorsen sieht diese Arbeit alsSchlüsselwerk der Ausstellung. Tatsäch-lich ist sie typisch für die sehr eigeneAuseinandersetzung der Künstlerin mitdem architektonischen Raum, der mitsezierendem Blick in seine Einzelteilezerlegt wird. Diese werden anschließendneu geordnet und mit einer zeitlichenStruktur versehen, die vom Rhythmusder Dia-Projektoren bestimmt wird. DieStringenz und Abstraktion der Darstel-lung fordert den Betrachter geradezuheraus, die Zusammenhänge in den Zwi-schenräumen zu entdecken. Der realeOrt tritt dabei in den Hintergrund – undwird zum Exempel eines Prinzips.So zeigt Thorsen verschiedenste Phäno-mene auf: Das Schrumpfen der Städtewird am Beispiel von Leipzigs Umlandverdeutlicht, „gated communities“ wer-den anhand einer Siedlung bei Warschauerforscht, und zur Analyse des Fertig-hausbaus dienen ein Förderprogrammin Dänemark und eine Musterhaussied-lung vor Wien. Die Themen sind dabeinicht neu, wohl aber die Perspektive. So

gehörigen Katalog zu behaupten ver-sucht. Ähnlich aufgebaut ist „Thousandsof houses built in Denmark with statefunding, 1938–1958“. Die Beiträge ei-nes Architekturwettbewerbs für geför-derten Einfamilienhausbau werden mitZitaten der Auslobung und der Erläute-rungstexte ergänzt, die viel über die gesellschaftlichen Normen hinter denStrichzeichnungen verraten – und in ge-bauter Form in dem anfangs „inventari-sierten“ Dorf wiederzufinden sind. Die einzige Arbeit, die in statischenSchwarz-Weiß-Grafiken präsentiert wird,beschäftigt sich passenderweise mit gated communities. Neben dem düste-ren Charme abstrahierter Fotografienwerden diese geschlossenen Siedlungenäußerst treffend durch die niederge-schriebenen Versuche einer Kontaktauf-nahme mit Wachpersonal und Bewoh-nern charakterisiert. Wie so oft in derAusstellung muss man schmunzeln –und ist zugleich schockiert von der Ab-surdität der Realität. Brigitte Schultz

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