Susanne Kohte Schwarze Räume - Bauwelt · 24 | Bauwelt 7 2005 5. schwarzes Haus-imp_ok 03.02.2005...

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22 | Bauwelt 7 2005 Architekten: Hiroshi Nakao, Hiroko Serizawa, Tokio Bauausführung: Manzo Koumusho, Tokio Bauherr: Kosen Ohtsubo, Tokorozawa Susanne Kohte Schwarze Räume Haus mit Studio in Tokorozawa Ob er ein vollständig schwarzes Haus für ihn und seine Familie bauen würde, fragte der Ike- banakünstler Kosen Ohtsubo den Architekten Hiroshi Nakao mit großer Erwartung und doch etwas Unsicherheit, nachdem er eine seiner Ike- banainstallationen in einem vollständig schwar- zen Haus ausgestellt hatte – dem „Weekend- house“ in Osaka, das Nakao 1991 gebaut hatte. Bei der Planung des Wohnhauses und Ikeba- nastudios für die Familie Ohtsubo mit zwei Kin- dern erhielt Hiroshi Nakao vollkommene Pla- nungsfreiheit. Entstanden ist ein Haus, das der Erwartung des Bauherrn entspricht. Außen mit Stahlplatten verkleidet, deren anfänglich schwarzer Farbton über Rostrot langsam wie- der in Schwarz übergehen soll, ist das Innere des Hauses schon jetzt vollständig schwarz. Die Entwurfsidee und der Wunsch des Bauherrn, mit seiner Familie in schwarzen Räumen woh- nen zu wollen, ist aus europäischer Sicht nicht selbstverständlich. Nähern kann man sich dem Gebäude jedoch durch unmittelbare Raumer- fahrung und durch Bezüge zur traditionellen japanischen Ästhetik; man kann das Haus aber auch hinsichtlich der Intention seines Archi- tekten interpretieren oder versuchen, einen Ein- druck davon zu bekommen, wie die Familie sich solch ein Haus angeeignet hat. Die Straßenfront wird beherrscht von der mas- siven, rostenden Stahlbekleidung. Das Haus wirkt sehr verschlossen, zurückgesetzt in ei- ner Nische gibt es im Erdgeschoss lediglich ein kleines Fenster, und auch der Eingang ist seit- lich in der Nische platziert und damit von der Straße aus nicht sichtbar. Durch den engen Ein- gangsbereich betritt man das Innere des Hau- ses. Es ist schwarz: sowohl die Wände als auch die Decken und die Böden aller Räume beste- hen aus schwarz lasiertem Holz. Man findet sich zunächst in einem großen Raum, der als Die Fassade besteht aus Stahlpanee- len, deren Farbton von Schwarz über Rostrot wieder in ein Schwarz überge- hen soll. Die Fassadenstudien zeigen verschiedene Stadien des kontinuier- lichen Prozesses. Bauwelt 7 2005 | 23

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Architekten:

Hiroshi Nakao, Hiroko Serizawa,

Tokio

Bauausführung:

Manzo Koumusho, Tokio

Bauherr:

Kosen Ohtsubo, Tokorozawa

Susanne Kohte

Schwarze RäumeHaus mit Studio in Tokorozawa

Ob er ein vollständig schwarzes Haus für ihnund seine Familie bauen würde, fragte der Ike-banakünstler Kosen Ohtsubo den ArchitektenHiroshi Nakao mit großer Erwartung und dochetwas Unsicherheit, nachdem er eine seiner Ike-banainstallationen in einem vollständig schwar-zen Haus ausgestellt hatte – dem „Weekend-house“ in Osaka, das Nakao 1991 gebaut hatte.Bei der Planung des Wohnhauses und Ikeba-nastudios für die Familie Ohtsubo mit zwei Kin-dern erhielt Hiroshi Nakao vollkommene Pla-nungsfreiheit. Entstanden ist ein Haus, das derErwartung des Bauherrn entspricht. Außenmit Stahlplatten verkleidet, deren anfänglichschwarzer Farbton über Rostrot langsam wie-der in Schwarz übergehen soll, ist das Inneredes Hauses schon jetzt vollständig schwarz. DieEntwurfsidee und der Wunsch des Bauherrn,mit seiner Familie in schwarzen Räumen woh-nen zu wollen, ist aus europäischer Sicht nichtselbstverständlich. Nähern kann man sich demGebäude jedoch durch unmittelbare Raumer-fahrung und durch Bezüge zur traditionellenjapanischen Ästhetik; man kann das Haus aberauch hinsichtlich der Intention seines Archi-tekten interpretieren oder versuchen, einen Ein-druck davon zu bekommen, wie die Familiesich solch ein Haus angeeignet hat.Die Straßenfront wird beherrscht von der mas-siven, rostenden Stahlbekleidung. Das Hauswirkt sehr verschlossen, zurückgesetzt in ei-ner Nische gibt es im Erdgeschoss lediglich einkleines Fenster, und auch der Eingang ist seit-lich in der Nische platziert und damit von derStraße aus nicht sichtbar. Durch den engen Ein-gangsbereich betritt man das Innere des Hau-ses. Es ist schwarz: sowohl die Wände als auchdie Decken und die Böden aller Räume beste-hen aus schwarz lasiertem Holz. Man findetsich zunächst in einem großen Raum, der als

Die Fassade besteht aus Stahlpanee-len, deren Farbton von Schwarz überRostrot wieder in ein Schwarz überge-hen soll. Die Fassadenstudien zeigenverschiedene Stadien des kontinuier-lichen Prozesses.

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Treffpunkt der Familie dient. Dieser Wohn-raum, der das Zentrum des Hauses bildet, wirdseitlich von Nebenräumen gefasst. Licht dringtin das Innere nur durch tiefe Fensternischen.Ein in der Mitte eingelassener Tisch bildet dasZentrum des Wohnraums und gleichzeitig dentiefsten und dunkelsten Bereich des Hauses.Ein Ausschnitt in der Decke über dem Tischstellt eine Sicht- und Kommunikationsverbin-dung zum darüber liegenden Ikebanastudioher. Das Studio selbst ist ein hoher Raum, flan-kiert von Materialräumen und den Zimmernder Kinder; zwei Fenster in tiefen Nischen aufder Straßenseite und Fensterbänder im oberenTeil des Raumes belichten den Raum. Der hells-te Ort des Hauses ist eine schmale Galerie, dieganz oben, auf Höhe der Fensterbänder, denGalerieraum quert.Die Raumfolge im Haus von unten nach obenist eine der Abstufungen des Lichtes, vom Däm-merlicht und der Dunkelheit, in der die Din-ge zu etwas nicht genau Erkennbarem, bloß Ge-ahntem werden, zum Hellen, wo die Gegen-stände und ihre Beschaffenheit genau erkenn-bar sind. Lässt man sich auf die Dunkelheit ein,wirkt die Umgebung nicht mehr nur schwarz.Die Wände reflektieren an verschiedenen Stel-len das Licht und glänzen, die schwarze Lasurgibt hier und dort die schimmernde Maserungdes Holzes frei. Der Blick taucht in die Tiefedes Materials, die Raumumgrenzung scheintsich aufzulösen. Vor diesem Hintergrund ge-winnen die Objekte des Ikebanakünstlers hin-sichtlich ihrer Farbigkeit und Materialität anPräsenz. Auch alltägliche Gegenstände wie et-wa das Tischgedeck oder das Essen, das amdunkelsten und verborgendsten Ort des Hau-ses, dem Wohnraum, serviert wird, werdendurch das Schwarz intensiver wahrgenommen.Von der beschriebenen Wahrnehmung desHauses ausgehend, stellt sich die Frage nachden Bezügen zur traditionellen Ästhetik Ja-pans. In der Dunkelheit bzw. im Umgang mitSchatten und Licht sieht der Schriftsteller Ta-nizaki Jun’ichiro ein charakteristisches Merk-mal der japanischen Ästhetik und Architektur.In seinem 1933 erschienenen Essay „Lob desSchattens“ schreibt er: „Tatsächlich liegt dieSchönheit eines japanischen Raumes rein inder Abstufung der Schatten. Sonst ist über-haupt nichts vorhanden.“ Die traditionelle Kon-zeption der japanischen Häuser, die bis in das19. Jahrhundert zum Großteil aus dunklem Holz

bestanden, beruht auf der Abstufung vom Hellen zum Dunklen. Den inneren dunklerenRaum beschreibt Tanizaki folgendermaßen:„Insbesondere jene ‚sichtbare‘ Dunkelheit derInnenräume hatte, so scheint es mir, etwas Glit-zerndes, Flimmerndes an sich, erzeugte leichtHalluzinationen und wirkte in gewissen Fäl-len unheimlicher als das Dunkel im Freien.“Tanizaki schildert damit eine Grunderfahrung:Die Dunkelheit eines umschlossenen Raumesverändert die Wahrnehmung, da eigene Asso-ziationen und Interpretation an Gewicht gewin-nen. Die Betonung dieses Zusammenhangs zwi-schen Raum und Wahrnehmung bezieht sichauf das japanische Grundverständnis von Raumund „Selbst“. Der Raum wird nach Kitaro Nis-hida, einem Philosophen der Kyoto-Schule, so-wohl über die sinnliche als auch die „intuitiveErfahrung“ konstituiert, die dem „wahren Er-leben“ in der Auffassung des Zenbuddhismusnahe steht. „Das wahre Erleben muss der Stand-punkt des schlechthinnigen Nichts sein, dervon aller Erkenntnis ledige, freie Standpunkt.“Gleichzeitig ist es der Standpunkt des „Selbst“:„In der Tiefe des Selbst ist die Selbstvernei-nung. Aber diese absolute Verneinung ist zu-gleich die absolute Bejahung.“Hiroshi Nakao selbst benutzt eine andere Me-tapher, wenn er das Haus in Tokorozawa be-schreibt: „Das Haus ist ein Grab. Das Äußerewurde nach innen gekehrt und von der Weltabgeschlossen. Das Innere ist schwarz. Wieein leicht schwebendes Bild verschluckt dasSchwarz vorübergehend alle Gegenstände undbringt sie zum Schweigen. In diesem Raum fol-gen unsere Körper einem neuen Rhythmus, sieerlangen eine andere Bedeutung. Das Haus istletztlich ein Grabmal, das in den Gedanken dasLeben widerhallen lässt; eine „black box“, dieLeben zeugen will.“ Mit dem Bild des Grabes,bezieht sich der Architekt auf den Begriff derHöhlung – in ihrer vollkommen geschlossenenForm –, wie ihn der französische PhilosophMaurice Merleau-Ponty verwendet: „Das Nichts(oder besser das Nicht-Sein) ist Höhlung undnicht Loch. Es gibt kein nichtiges Nichts.“ Inder Interpretation von Hiroshi Nakao kann das„Nichts“ in Bezug auf den Menschen auch alsFreiheit von allen Bezügen verstanden werden.Entsprechend ist in der geschlossenen Höhlungder Mensch mit sich selbst allein, kommt zusich. Nakao versteht den Begriff der Höhlungpositiv; mit der Abgeschlossenheit des Hauses

Der Wohnraum im Erdgeschoss bildetden Mittelpunkt des Hauses. Er öffnetsich zur rückwärtigen Terrasse und ist mit dem darüber liegenden Studioüber ein Loch in der Decke verbunden.Die einzige Öffnung zur Straße wurdevon der Familie inzwischen zugestellt.

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Im Studio variiert die Wahrnehmungder Raumumgrenzung je nach Refle-xion des schwarz lasierten Holzes.

Grundrisse und Schnitt im Maßstab1 : 250Fotos: Takeshi Nakasa

will er einen von der Gesellschaftssphäre ab-gekoppelten Raum für das Individuum schaf-fen. Er möchte Räume gestalten, die das In-dividuum auf sich selbst zurückwerfen, in de-nen die Wahrnehmung des Menschen sowiedes „Selbst“ an Bedeutung gewinnen.Wie aber lebt eine Familie in einem solchenHaus? Ein Besuch zeigt, dass sich die Familiedas Haus in der ihr eigenen Lebhaftigkeit an-geeignet hat. Im gesamten Haus finden sichMaterialien für Ikebana, Bücher, Spielzeug derKinder, von den Decken und den Wänden hän-gende bunte Textilien und noch tausend ande-re Dinge, die das Haus in einer besonderen ArtFarbe verleihen. Möbel fallen kaum auf, siesind, soweit vorhanden, größtenteils aus dunk-lem Holz – im Wohnraum befindet sich außereiner Kommode nur der eingelassene Glastisch,im Studio steht lediglich ein Stuhl. Arbeitsma-terialien, Werkzeuge und die Gefäße für die Ar-rangements finden auf dem Boden des Studi-os Platz. Verhängt man im Studio ein Fenstermit Stoff, so wird aus der Fensternische eineTokonoma, in der die Objekte des Künstlers ausBlüten, Ästen, Rettich, Melonen oder anderenMaterialien aufgestellt werden. Durch das Loch,das Studio und Wohnraum verbindet, wirdzum Essen gerufen und man versammelt sichim Erdgeschoss. Der gedeckte Tisch ist be-leuchtet, das Essen mit seiner Farbigkeit bil-det den Auftakt für den Abend. Das Fensteram Eingang wurde von der Familie zugestellt.

1 Eingang2 Wohnraum3 Lagerraum4 Waschraum5 Bad6 WC7 Schlafbereich8 Küche9 Terrasse

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