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EINLADUNG Mit Beiträgen von Alexandra Föderl-Schmid, Herbert Lackner, Anton Pelinka, Bettina Poller, Hans Werner Scheidl, Helene Schuberth, Rudolf Taschner u.v.a. Hannes Androsch, Heinz Fischer, Bernhard Ecker 1848–1918–2018 8 Wendepunkte der Weltgeschichte Format 17 x 24 cm, 224 Seiten, Leinenband

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EINLADUNG

Mit Beiträgen vonAlexandra Föderl-Schmid, Herbert Lackner,

Anton Pelinka, Bettina Poller, Hans Werner Scheidl, Helene Schuberth, Rudolf Taschner

u.v.a.

Hannes Androsch, Heinz Fischer, Bernhard Ecker

1848–1918–20188 Wendepunkte der Weltgeschichte

Format 17 x 24 cm, 224 Seiten, Leinenband

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Programm

Begrüßung Nikolaus Brandstätter

Über das BuchBernhard Ecker

Hannes Androsch, Heinz Fischer, Alexandra Föderl-Schmid

im Gespräch mit Barbara Tóth

Im Anschluss bitten wir zu einem Glas Wein.

Der Brandstätter Verlag bittet

zur Buchpräsentation

Hannes Androsch, Heinz Fischer, Bernhard Ecker

am Montag, den 4. Dezember 2017,um 18:30 Uhr,

in den Festsaal derÖsterreichischen Akademie der Wissenschaften,

Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, 1010 Wien.

U.A.w.g. bis 29. November 2017 unter

[email protected] oder

+43-1-512-15-43-252

8 Wendepunkte der Weltgeschichte

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Buchpräsentation 1848 1918 2018 – 8 Wendepunkte der Weltgeschichte

04.12.2017, 18:30 Uhr Festsaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, 1010 Wien

(Transkript) Anton Zeilinger Bitte, soweit man wünscht, Platz zu nehmen. Man darf auch stehen, wenn man will, da gibt’s keine wirkliche Schwierigkeit. Ich möchte Sie sehr herzlich heute begrüßen zur Präsentation dieses Büchleins. Eine Untertreibung, Büchlein? Es kommt darauf an, was das relative Maß ist. Die Jahreszahlen sind ja hochinteressant. Nicht nur diese drei Jahreszahlen, die vorne drauf stehen – 1848, 1918, 2018 – sondern 1848, 1908, 1918, 1938, 1968, 1978, 2008 und schließlich 2018. Ich habe das gerade vor Kurzem geschenkt bekommen von Herrn Androsch, habe schon begonnen, ein bisschen zu blättern, aber ich möchte nicht behaupten, dass ich weiß, was drinnensteht. Aber es scheint hochinteressant zu sein. Nun, ich halte meine Begrüßung kurz. Ich darf Sie alle sehr herzlich zu dieser Präsentation begrüßen. Ganz herzlich begrüße ich zuerst in ihrer Funktion als Co-Autoren dieses Buches Hannes Androsch, Heinz Fischer und Bernhard Ecker. Mit Hannes Androsch haben wir sehr lange gute Verbindungen, sehr gute Kontakte, und wir treffen einander immer wieder auf verschiedensten Ebenen, unter anderem auch im Senat dieser Akademie. Mit Heinz Fischer waren wir lange verbunden als Bundespräsident. Er hat uns immer mit seiner Präsenz bei verschiedensten Anlässen erfreut – ich meine das wirklich – besonders auch bei den feierlichen Sitzungen der Akademie. Ich habe Herrn Fischer schon einmal angeboten – ich weiß nicht, ob du dich daran erinnerst. Falls du gerne ein Kämmerchen brauchst, um Wissenschaft zu machen, wir stellen gerne eines in der Akademie jederzeit zur Verfügung. Ich darf das wiederholen. Sehr herzlich begrüße ich auch Frau Nationalratspräsidentin – oder zweite Präsidentin jetzt – Frau Bures, mit der wir lange sehr gut zusammengearbeitet haben als Vorsitzende des Senats dieser Akademie. Ich danke auch hier nochmal für die äußerst kongeniale und kooperative und freundliche Zusammenarbeit. Das war für uns ein sehr positives Erlebnis, auch die Anregungen, die wir bekommen haben. Und last but not least begrüße ich den Herrn ÖGB-Präsidenten Foglar und den Herrn Arbeiterkammerpräsidenten Kaske – in der Hoffnung, dass Sie möglichst oft zu uns herfinden werden in Zukunft. Ja, damit – without much further ado – ich sehe viele andere Bekannte hier, aber bitte um Verständnis, dass ich diese Begrüßung jetzt nicht weiter fortsetze. Ich möchte das Wort jetzt weitergeben an Herrn Brandstätter, den verantwortlichen Publizisten, der gerade die Bemerkung gemacht hat, dass es sich nicht um ein Büchlein handelt, sondern um ein richtiges Buch. Bitte, Herr Brandstätter. Nikolaus Brandstätter Auch von meiner Seite einen wunderschönen guten Abend. Alle Ehrengäste hat der Herr Präsident schon freundlicherweise in allen Formen und Ehren begrüßt. Ja, es ist eindeutig kein Büchlein. Und mir fällt dazu nur der Satz ein: „Gold und Silber lieben wir sehr.“ – Einen Ehrengast möchte ich auf jeden Fall begrüßen: den Herrn Bundespräsidenten – a. D. natürlich, aber es funktioniert auch ohne a. D. Es ist uns eine große Freude und Ehre, mit dem Herrn Bundespräsidenten verbindet uns auch

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viel, vor allem seine Frau, die vor zwei Jahren einen Bestseller bei uns veröffentlicht hat. Aber auch dieses Buch, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat großes Bestseller-Potenzial. Es geht um die Magie der Zahlen, und Zahlen in der heutigen Welt – da werden nur Superlativen verwendet, weil es geht um Geld, es geht um Bruttoinlandsprodukte. Ein Mann hat jetzt als Privatvermögen die 100-Milliarden-Euro-Grenze überschritten, Jeff Bezos. Hat auch mit dem heutigen Abend zu tun, weil er ist der größte Buchhändler der Welt – nach Morawa. Aber Zahlenmagie geht auch nochmal anders. Und das halte ich für sehr wichtig, und ich bin dem Hannes Androsch sehr, sehr dankbar, dass er uns regelmäßig daran erinnert, dass es nicht nur um Zahlen geht, sondern dass Geschichte etwas sehr, sehr Wichtiges ist und dass es ohne Geschichte und ohne unser Bewusstsein und unsere Erinnerung an Geschichte auch keine Zukunft geben kann. Hannes Androsch hat vor drei Jahren ein Projekt angestoßen mit einem anderen Jubiläums- und Zahlenmagiejahr, das war irgendwie die Kette 1914, Erster Weltkrieg, 1814. Jetzt sind wir in einer anderen Zahlenmagie und viele Erinnerungen an ganz wichtige Dinge in unserer Geschichte. 1918 war ein Schicksalsjahr für dieses Land, aber das setzt sich fort und das geht alles weiter. Dieses Buch ist kein Büchlein, sondern es ist ein richtiges Buch und hat auch Gold verdient in höchstem Maß, weil die Achterkette eine noch wichtigere in unserer Geschichte ist. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken, dass Sie, Herr Dr. Androsch, dieses Buch möglich gemacht haben. Auf die Achtermagie, auf die Magie der Zahlen und ein großes Bewusstsein für das, wo wir herkommen und wo wir möglicherweise hingehen, aber das wissen wir noch nicht, welche Zahlenkette in Zukunft für uns wichtig wird. Ich möchte mich ganz herzlich beim Hausherrn für die Gastfreundschaft bedanken und darf nun Bernhard Ecker zu mir bitten, uns etwas mehr über das Buch zu erzählen und vor allem auch die Mitwirkenden, die Autoren, die mitgeschrieben haben. Bernhard, darf ich dich bitten. Herzlichen Dank und einen spannenden und interessanten Abend wünsche ich Ihnen. Bernhard Ecker Sehr geehrte Damen und Herren, geschätzte Festgäste, liebe Autorinnen, liebe Autoren, liebe Mitherausgeber, Hannes Androsch und Heinz Fischer! Ja, wir wollten ein schönes und ein ungewöhnliches Geschichtsbuch machen – und es ist ein ungewöhnlich schönes Geschichtsbuch geworden. So viel kann ich bei aller Befangenheit jetzt schon sagen. Es leuchtet einem förmlich entgegen. Der Worte waren jetzt schon viele. Dieser Kupferschnitt, der aussieht wie ein Goldschnitt, der Leineneinband – bei vielen ist die erste Reaktion schlicht: Das schaut ja aus wie eine Bibel. Die Entstehungsgeschichte des Bandes ist jedoch weitgehend profan. Und ich möchte mit dem profansten aller Gründe beginnen, warum es so vor Ihnen liegt, wie es hier liegt: Es ist ein kaufmännischer. Es gibt einen erfolgreichen Vorgängerband, das ist das erwähnte Buch „1814 – 1914 – 2014“, das über die Erwartungen hinaus beim Publikum ankam. Und so, wie man heute bei erfolgreichen Fernsehserien gleich eine zweite, dritte oder vierte Staffel hinterherjagt, so macht man das eben auch im Buchsektor und ist somit auch hier geschehen. Der zweite Grund ist schon etwas komplexer. Er hängt mit der erwähnten Magie der Zahlen zusammen. So wie im Vorgängerband die Zahl 14 im Mittelpunkt stand, so ist es nun die Acht. Der Band enthält neben dem Prolog und dem Epilog acht Beiträge zu so genannten Achterjahren. 1848, 1908, 1918, 1938 – Sie werden das ja auch sehen und ich gerate jetzt in Spoilergefahr, wenn ich jetzt schon alle Beiträge

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aufzählen. Jedenfalls, die Acht im Mittelpunkt. Als Angelpunkt ganz klar das Jahr 1918, das Jubiläumsjahr, aber eben nicht nur. Unsere Intention war, dass man jenen Jubiläum der so genannten Achterjahre, die normalerweise nicht so viel Licht abbekommen, weil sie meistens im Schatten der Großgedenkjahre wie 1918 und 1938 stehen, auch etwas Aufmerksamkeit angedeihen lässt. Ich greife nur zwei Beispiele heraus. Das eine ist das Jahr 1908, das Jahr der bosnischen Annexionskrise. Ich finde, man kann von diesem Jahr weg sehr gut erzählen auch eine Geschichte der Nationalitäten und des Nationalismus, nicht nur im südslawischen Raum, sondern in Europa überhaupt. Und wie uns die letzten Tage vor Augen geführt haben – das waren die letzten Urteile des Strafgerichtshofs in Den Haag – ist diese Geschichte lebendiger denn je und reißt Emotionen auf, die aus einem vorigen Jahrhundert zu stammen scheinen und ebenfalls in unserem Beitrag auch in der langen zeitlichen Achse betrachtet werden, in dem Beitrag von Bettina Poller. Oder springen wir 100 Jahre nach vor ins Jahr 2008. Auch da jährt sich jetzt zum zehnten Mal ein Ereignis, das uns auf drastische Weise vor Augen geführt hat, wie verflochten Österreich, Österreichs Wirtschaft, aber auch Österreichs Politik inzwischen mit dem Weltgefüge ist. Ich meine den Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008. Helene Schubert hat sich dieses Themas angenommen und auch die politischen Reaktionen darauf – das, was geglückt ist, das, was nicht geglückt ist, und das, was noch vor uns ist – hier sehr genau beschrieben. Es hätte natürlich eine Reihe weiterer Kandidaten aus den Achterjahren gegeben. Nehmen wir nur das Jahr 1948, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, oder zehn Jahre später die österreichische Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention und-und-und. Wir haben uns aber für unsere Zahl acht entschieden, insofern haben wir uns für eine Auswahl entschieden und das Buch ist sich sozusagen treu geblieben. Der Zugang war somit ein teils numerischer, essayistischer, mehr journalistischer als wissenschaftlicher, auch wenn das in diesen heiligen Hallen der Wissenschaft wie Ketzerei wirken mag. Ich kann Ihnen aber versichern, dass die Autorinnen und Autoren allesamt wissenschaftserprobt sind. Da wird zitiert und eingeordnet und referenziert, wie es sich in der akademischen Welt gehört. Die einzige Vorgabe war Originalität und Verdaulichkeit. Das heißt, die Beiträge sollten jetzt nicht nur zusammensammeln, was an Informationen zu einem gewählten Thema gewissermaßen herumliegt, sondern sie sollten nach Möglichkeit auch noch eine neue These dem Gegenstand abgewinnen und so unterhaltsam, so bekömmlich, so verdaulich wie möglich erzählt werden. Ich finde, auch das ist wunderbar gelungen. Der dritte Treiber dieses Buchs, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat nichts mit Verkaufserfolgen und Zahlenspielereien zu tun, sondern mit Inspiration und Motivation. Jetzt geht’s also ans Eingemachte. Aus dem Mund von Hannes Androsch habe ich vor einigen Jahren das erste Mal das Wort „Zukunftsvergessenheit“ gehört. Das sagte jemand, der mit den großen Linien, aber auch mit den Details der Geschichte so bewandert ist wie kaum einer aus der politischen Sphäre stammender Mensch, den ich kenne. Bezogen war das Wort auf die immer kurzfristigeren, auf den schnellen Effekt und Vorteil abzielenden Handlungsweisen gegenwärtiger Politik. Zufällig saß ich einige Tage später bei einem Interview in Berlin, und zwar mit Sascha Lobo. Das ist der mit dem roten Irokesenschnitt – ich weiß nicht, ob Sie den schon mal gesehen haben. Jedenfalls eine – lassen Sie es mich so formulieren – digitale Urgewalt, einer, der ungestüm und eloquent versucht, uns das Leben in der Digitalisierung und mit der Digitalisierung zu erklären. Zu meiner Überraschung hat

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sich dieser Mensch, der fast ausschließlich in der Zukunft zu leben scheint, über die Geschichtsvergessenheit seiner Generation, meiner Generation, beklagt. Er hat dann auch lange über die deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts gesprochen und kam immer wieder auf die Geschichtsvergessenheit der heute 30-, 40-Jährigen. Warum sage ich das? Zukunftsvergessenheit und Geschichtsvergessenheit – das hängt miteinander zusammen. Zu verstehen, wie etwas geworden ist, Gesellschaften, Technologien, Wirtschaftssysteme, auch Werte und Religionen – das ist die Grundvoraussetzung, um auch qualifiziert nach vorne zu blicken. Wer für das Vergangene kein Auge hat, kein Ohr, kein Gedächtnis, der ist gewissermaßen dazu verdammt, in der Gegenwart gefangen zu sein und dem Morgen entgegenzustolpern, nicht aber das Übermorgen wenigstens zu erahnen. Dieses Buch ist deshalb auch ein Angebot, sich ohne Vollständigkeitsanspruch in Geschichte zu vertiefen, um das, was kommt, besser einschätzen zu können. Dieser Antrieb und diese Hoffnung verbinden uns als Herausgeber dieser Publikation. Ich komme auch schon zum Schluss. Verzeihen Sie mir, dass ich nicht in extenso jetzt auf die einzelnen Beiträge eingegangen bin. Ich finde, das gehört zur viel zitierten Eigenverantwortung auch, dass man sich ein paar Kilometer dann auch noch selbst erschließt. Danken möchte ich den vielen guten Geistern im Brandstätter Verlag, richtige Künstler und gute Betreuer entlang des Weges, und natürlich den Autorinnen und Autoren, vor allem für die Gelassenheit, wenn ich diese Gelassenheit zwischendurch möglicherweise einmal nicht mehr hatte. Danken möchte ich insbesondere meinen beiden Mitherausgebern Hannes Androsch und Heinz Fischer für die immer fördernde, immer fordernde und immer wertschätzende Zusammenarbeit. Und danken möchte ich meiner Frau und meinen Kindern, die mich an vielen, vielen Wochenenden zwar körperlich präsent erlebten, aber gedanklich und geistig weit, weit weg in letzter Zeit. Das sollte jetzt etwas entspannter werden. Sie alle möchte ich bitten, dieses Buch zu lesen oder jedenfalls zu kaufen und es jemandem zu schenken, der es lesen will. Danke sehr. Kurz noch die Anmoderation für die Podiumsdiskussion jetzt. So wie sich die Zeiten sehr schnell verändern, hat sich hier auch das Podium etwas verändert. Ich gebe das nur kurz durch. Barbara Toth, die hier ursprünglich für die Moderation vorgesehen war, hat sich entschieden, heute ein Buch zu präsentieren, das sie geschrieben hat, nämlich bei Morawa. Das ist nicht allzu weit weg von hier. Wir haben gesagt, wir fusionieren danach das Publikum. Martina Bachler, meine Kollegin beim „Trend“, wird diese Podiumsdiskussion moderieren. Und Alexandra Föderl-Schmid, die auch fix vorgesehen war, hat uns am Freitag kurzfristig abgesagt. Sie hat morgen früh in Bethlehem ein Interview, dessen Ergebnis wir irgendwann im Lauf der Woche in der „Süddeutschen Zeitung“ lesen werden. Alexandra Föderl-Schmid ist ja jetzt Korrespondentin für die „Süddeutsche Zeitung“. Ich darf jetzt meine beiden Mitherausgeber Dr. Heinz Fischer und Dr. Hannes Androsch und Martina Bachler auf die Bühne bitten. Podiumsdiskussion Martina Bachler: Schönen guten Abend auch von meiner Seite. Es sind ja manchmal die kurzfristig erfolgten Einladungen, die dann die schönsten sind. Und noch schöner werden sie, wenn der Rahmen so ist wie hier heute und wenn man auch das Privileg hat, mit Menschen auf der Bühne zu sitzen, die man nicht weiter

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vorstellen muss, um gleich mit der Diskussion anfangen zu können. Herr Dr. Fischer, Sie sind sowas wie der offizielle Beauftragte für das Gedenkjahr, das nun vor uns steht: 2018, bei dem sich so viele Ereignisse, die für dieses Land ausschlaggebend waren, jähren werden. Warum ist es so wichtig, zu gedenken? Heinz Fischer: Also wichtiger Ereignisse – sei es im Familienbereich, sei es im öffentlichen Bereich – zu gedenken, ist ein dem Menschen zutiefst innewohnendes Bedürfnis. Das hat es schon in der Antike gegeben und das wird es auch in 500 Jahren noch geben. Aber der zweite und noch wichtigere Grund ist, dass ich ganz fest überzeugt bin und mich immer wieder bestätigt fühle in der Überzeugung, dass man aus der Geschichte sehr viel lernen kann und dass man vieles nur verstehen kann, wenn man die vorausgehenden Zeiträume beobachtet und analysiert. Daher ist die Kenntnis der Geschichte und das Hervorheben wichtiger Knotenpunkte in der Geschichte so wichtig für die Gegenwart und für die Zukunft. Natürlich kann man das Jahr 1848 nur verstehen, wenn man analysiert, was sich vorher abgespielt hat in der so genannten Ära Metternich. Und man kann das Jahr 1918 nur verstehen, wenn man die Entwicklungen vorher studiert. Und das kann man weiter fortführen bis in die Gegenwart. Das ist, glaube ich, ein Hauptgrund, warum ich es für richtig und wichtig finde. Es werden in diesem Jahr 2018, das jetzt bevorsteht, nicht nur Dutzende, sondern in Summe wahrscheinlich hundert Publikationen der verschiedensten Art zu den wichtigsten Gedenkterminen erscheinen. Und das ist eben 1848, das ist ganz besonders 1918, wo ja auch das Frauenwahlrecht ein wichtiger historischer Anknüpfungspunkt ist, das ist das so genannte Anschlussjahr 1938 und all die anderen Jahre, die jetzt genannt wurden. Also ich bin froh, dass dieser Gedanke weit verbreitet ist, dass er Unterstützung findet. Und ich glaube, auch diese Publikation verdankt ihre Entstehung neben anderen Gründen, die wir gerade gehört haben, dem Bewusstsein, wir sind nicht berechtigt, sondern verpflichtet, Lehren aus der Geschichte in uns aufzunehmen. Martina Bachler: Herr Dr. Androsch, dieses aus der Geschichte Lernen – haben Sie jetzt betont, Herr Dr. Fischer – ist sehr präsent. Bevor wir darauf eingehen, vielleicht können wir umreißen, was man nicht lernen kann aus der Geschichte. Also wo ist der Rückblick vielleicht manchmal verzerrend, wo ist er einschränkend, wo ist er irritierend? Hannes Androsch: Bevor man diese Frage beantwortet, die eine Reduktion bedeutet, ist es notwendig zu erklären, warum es wichtig ist, dass man sich zuerst Gedanken macht, warum sich mit Geschichte zu beschäftigen etwas mehr ist als ein Teil der Geisteswissenschaften, mit dem sich ein paar Interessierte oder Verrückte, wie ich auch einer bin, als Hobby beschäftigen. In den Geschichtswissenschaften gibt es verschiedene Strömungen und es gibt auch Modeerscheinungen. Inzwischen gibt es globale Geschichte, die einen weiteren Horizont hat, oder Sozialgeschichte, die sich mit den Problemen des Einzelnen beschäftigt, ein ganz wichtiges Thema. Aber für unsere Überlegungen war entscheidend das, was man inzwischen „applied history“ nennt – angewandte Geschichte. Dr. Fischer und ich hatten das Glück, einen Theoretiker, aber auch herausragenden Praktiker zu dem Thema näher kennenzulernen oder – wenn man so will – dessen Schüler geworden zu sein. Ich meine Henry Kissinger. Das heißt, das Verständnis, dass geschichtliche Abläufe – und das ist die Einschränkung – sich nicht wiederholen oder höchstens als Tragikkomödie, sondern dass man aus ihnen im Ablauf, wenn man bereit ist, das zu erkennen, Schlussfolgerungen ziehen kann und sollte, um schon schlimm Eingetretenes zu

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verhindern. Das ist gegenwärtig von einer geradezu beängstigenden Aktualität. In einem Kapitel beschäftigt sich eine Mitautorin – die Kollegin Bettina Poller – mit Bosnien. Ja, Bosnien wissen wir, das ist da irgendwo am Balkan und da hat es alles mögliche Schlimme gegeben und ist bis heute nicht gelöst. Aber just dieses hat in der Folge zu Sarajevo geführt und das hat wieder zu einer vermeintlich nicht entbehrlichen Kriegserklärung der Donaumonarchie gegen Serbien geführt. Was war damals in dem Spiel der Mächtigen schon Serbien? Aber just genau das war der Funke, der das sicher vorhandene Pulverfass zum Explodieren in die Katastrophe des Ersten Weltkrieges geführt hat. Und das war nicht nur ein vierjähriger Krieg, es war ein Teil eines zweiten europäischen und in der Folge dann globalen 30-jährigen Krieges. Mein Freund Herbert Cordt hat mir unlängst ein Buch mitgebracht von einem Harvard-Professor, Graham Allison, „Destined for War“. Er beschäftigt sich mit dem Verhältnis der Vereinigten Staaten mit China und insbesondere fokussiert auf den fernöstlichen Bereich mit dem Ost- und Südchinesischen Meer, mit Nordkorea, Japan, Taiwan. Es liest sich nicht nur wie ein Krimi, sondern man legt es tief beklommen zur Seite, weil man geradezu spürt, dass das wieder passieren kann – dass man wieder in eine Falle – es wird da genannt in Anspielung auf des Peloponnesischen Krieg zwischen Athen und Sparta die Thukydides-Falle. Aber wir stehen davor. Wenn man sich ganze Rhetorik und dieses Herumblödeln da anschaut, dann kann einmal mehr – wie das ein australischer Historiker in Bezug auf den Ersten Weltkrieg und seinen Ausbruch genannt hat, „die Schlafwandler“ – das Gefühl bekommen, dass das jederzeit wieder passieren kann, aber mit unglaublich anderen Folgen, mit den technologischen Möglichkeiten allein der Nuklearwaffen. Und genau deswegen ist es notwendig, dass man sich beschäftigt, ohne zu glauben, das ist Perlenreihe 1, Geschichte, was lernt man daraus und was darf man nicht machen. Das wäre in der Tat ein Missverständnis. und das möchte ich zunächst einmal damit so stehen lassen. Martina Bachler: Es geht also um eine Form von besonderer Aufmerksamkeit, um ein Wachsein, um ein genaues Beobachten, um ein Wahrnehmen? Hannes Androsch: Die Wahrnehmung ist da. Es gibt genug Experten, Think Tanks, Beobachter, die das schon wahrgenommen haben. Das ist nun wirklich nicht Politik, sondern Staatskunst, in Kenntnis dessen, in Wahrnehmung der berechtigten, verständlichen oder vermeintlichen Interessen zu verhindern, dass das unbeabsichtigt, aber so auf der Eskalationsleiter, wie das ja wohl auch zum Ersten Weltkrieg geführt hat, zu einer noch viel katastrophaleren Explosion führt. Ob alle Akteure – ich nenne keine Namen, ich überlasse Namen diesbezüglich Ihrer geschätzten Fantasie, sonst müsste ich twittern. Ich kann das gar nicht, ich habe noch nie getwittert. Es wird einem angst und bange. Martina Bachler: Das Twittern ist nicht so schwer. Hannes Androsch: Ja, es war auch nicht so unverständlich umschrieben. Aber genau darum geht es, das zu verhindern. Und das ist brandheiß. Nicht nur im Jemen, wo es schon passiert ist. Nicht nur in Ruanda oder im Kongo, wo das laufend stattfindet und wir glauben, das ist eh weit weg. Wir übersehen dabei geflissentlich, dass vielleicht Afrika in unserer Nachbarschaft liegt, und der Nahe Osten und die Türkei sowieso, und der östliche Teil Europas. Also das ist relativ weit weg von den Vereinigten Staaten, das ist weit weg von China, das ist weit weg von Russland, aber es ist hautnah bei uns. Wenn die Migrations-, die Flüchtlingsfrage eine so große Rolle inzwischen in Europa innenpolitisch geworden ist, ist das nur eine praktische Folge, mit der man zu Recht bislang nicht zurande gekommen ist, obwohl das nur ein

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Tropfen auf dem heißen Stein des wirklichen Problems ist, geschweige denn das Potenzial, das da noch drohend wie eine Lawine über uns hängt. Dann ist es wichtig, dass man das rechtzeitig erkennt und trachtet, die möglichen katastrophalen Folgen rechtzeitig einzudämmen und zu verhindern, ehe sie uns mit allen ihren katastrophalen Auswirkungen dann sozusagen auf den Schädel fallen. Martina Bachler: Herr Dr. Fischer, teilen Sie diese Einschätzung, diese Analyse? Heinz Fischer: Ja, ich teile sie nicht nur, sondern ich würde sie sogar noch erweitern. Weil das eine ist, dass wir aus der Geschichte lernen können und lernen müssen, und dass es frappant ist – ich habe es schon öfters so ausgedrückt – wie sehr die Zweite Republik nur aus dem Schicksal der Ersten eigentlich erklärt werden kann und die Erste Republik nicht erklärt werden kann, wenn man nicht die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts heranzieht. Aber die zweite Dimension ist quasi, wie sehr die Geschichte auch international verflochten ist. Im Naturkundeunterricht haben wir gelernt, dass in einem Nadelwald die Reichweite der Wurzeln unter der Erde ähnlich weit ist wie die Höhe des Baumes. Und genauso ist es mit historischen Ereignissen. Ich habe vor ein paar Wochen einen Brief des finnischen Botschafters bekommen, der mich daran erinnert hat, dass übermorgen, am 6. Dezember, Finnland den 100. Jahrestag seiner Staatsgründung – seiner Unabhängigkeit von Russland – feiert und ob ich bereit bin, da ein paar Worte zu sagen. Jetzt habe ich mir ein bisschen diese historischen Ereignisse angesehen. Zu meinem großen Erstaunen ist zum Beispiel im Jahr 1907 sowohl in Österreich als auch in Finnland das allgemeine Wahlrecht eingeführt worden. Jetzt könnte man sagen, was hat Österreich mit Finnland zu tun? Österreich nicht direkt mit Finnland, aber Ereignisse in Russland nach der Niederlage Russlands im japanischen Krieg haben dazu geführt, dass der Zarismus sich so schwach gefühlt hat, dass er nach der kleinen Revolution des Jahres 1905 das Wahlrecht eingeführt hat und dem Drängen in Finnland nachgeben musste, wobei ähnliche Situationen in Österreich das Gleiche herbeigeführt haben. Etwas später war es so, dass die Finnen nach der Selbstständigkeit von Russland am 9. Oktober 1918 die Monarchie eingeführt haben und einen deutschen Prinzen zum König von Finnland ernannt haben. Dann aber hat Österreich-Ungarn den Krieg verloren und es ist nicht nur in Österreich die Monarchie kollabiert und in Deutschland und in Russland der Zarismus, sondern in Finnland hat man nach zwei Jahren die eben erst am 9. Oktober eingeführte Monarchie wieder abgeschafft, wegen der Ereignisse in Zentraleuropa. Also wir haben sowohl in der historischen Dimension als auch in der regionalen Ausdehnung ungeheure Verflechtungen, ungeheure Phänomene von Wirkung und Gegenwirkung, von Aktion und Reaktion. Und ich glaube, wenn man sich das genau anschaut, kann man vieles besser verstehen und dann auch in der Zukunft besser reagieren. Martina Bachler: Jetzt ist, was in dem Buch im Beitrag von Anton Pelinka auch sehr gut hervorgeht, die Republiksgründung Österreich ja kein extrem heroischer Akt gewesen, sondern er beschreibt es ein bisschen so, es ist halt nicht viel anderes übrig geblieben. Also der große Mythos des Entstehens ist für die österreichische Republik nicht gegeben wie vielleicht für andere Länder. Haftet das unserem Gedenken, unserem Verständnis von Republik, von Demokratie, in irgendeiner Art und Weise an? Heinz Fischer: Das glaube ich eigentlich nicht. Ich meine, es ist wahr, es hat blutigere Revolutionen gegeben als die Umwälzung des Jahres 1918. Aber ich

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empfinde das ja nicht als einen Mangel, oder die Tragödie und der Blutzoll einer Umwälzung ist ja nicht ein Maßstab für die Qualität und für die Zukunftstauglichkeit. Es hat genug Tragik auch im Jahr 1918 gegeben. Wenn man denkt, was das für eine falsche Aufbruchsstimmung im Jahr 1914 war, wo das ganze Land euphorisiert war und hysterisch vor Kriegsbegeisterung. Und vier Jahre später war das ein zertrümmertes, ein verwundetes Land mit einer schrecklichen Zahl von Toten und verkrüppelten Menschen. Manche oder gar nicht so wenige in der Politik haben da erfreulicherweise kühlen Kopf behalten. Ich glaube, die Tatsache, dass die Sozialdemokraten und die Christdemokraten und zum Teil auch die Großdeutschen in den allerersten Stunden, Tagen, Monaten zusammengehalten haben – das kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Das hätte auch ganz schiefgehen können, das hätte viel blutiger und viel tragischer enden können. Noch dazu, wo es am Anfang auch große Illusionen gegeben hat. Wie die provisorische Nationalversammlung getagt hat am 30. Oktober und in den nachfolgenden Sitzungen, haben die ja die Illusion gehabt, dass das Selbstbestimmungsrecht von Wilson dazu führen wird, dass nicht nur eine Art Republik Österreich auf dem Terrain dieser 85.000 Quadratkilometer entstehen wird, sondern dass da noch Teile von Polen und Ruthenien und der Ukraine und Italien usw. dazugehören werden. Da gibt’s Resolutionen der provisorischen Nationalversammlung an diese Regionen, so rasch wie möglich Abgeordnete zu wählen, damit sie in eine künftige konstituierende Nationalversammlung eintreten können. Das ist alles schiefgegangen. Und trotzdem hat man einen Start gehabt, der noch Hoffnungen zugelassen hat. Ich bewundere auch die Leistung zum Beispiel im Sommer 1920 – man muss sich vorstellen, die Koalition ist de facto im Juni 1920 zerbrochen an einer hitzigen Diskussion über die Soldatenräte. Ein christdemokratischer Politiker hat Richtung Sozialdemokraten im Parlament gesagt: Wenn ihr so weitermacht, dann wird diese Koalition bald zu Ende kommen. Darauf ist in den Reihen der Sozialdemokraten stürmischer Applaus ausgebrochen, Jubel ausgebrochen, die gesagt haben, wir haben euch eh schon längst satt, wir wollen eh nicht mehr mit euch. Und tatsächlich ist dann die Regierung zurückgetreten, ist mit der Weiterführung der Geschäfte betraut worden. Und für den 16. Oktober 1920 sind Neuwahlen ausgeschrieben worden. In dieser Phase einer zerbrochenen Koalition, einer provisorischen oder konstituierenden Nationalversammlung und eines bereits angelaufenen Wahlkampfes hat man zwei Wochen vor dem Wahltag noch das Bundesverfassungsgesetz beschlossen. Also mir imponiert das wahnsinnig, dass das möglich war. Und es ist eine gute Verfassung, auch wenn sie damals und bis heute zum Teil Lücken hat, was die Staatsgrundgesetze betrifft, oder auch wenn die Bestimmungen über die Finanzverfassung erst im Jahr 1925 eingefügt wurden. Also da liegt viel drinnen und auch viel Positives in der Gründungsphase der Ersten Republik. Martina Bachler: Etwas, das Sie gerade erwähnt haben, spielt in diesen Tagen auch wieder eine Rolle, wenn darüber diskutiert wird, dass man Südtirolern die doppelte Staatsbürgerschaft anbieten soll seitens Österreich. Es sind die Diskussionen von damals bis zu einem gewissen Grad dann auch in die Jetztzeit transferiert. Heinz Fischer: Bitte, aber das ist nicht wirklich ernst zu nehmen, weil das kann man natürlich nur im Einvernehmen mit Italien machen. Das wissen auch alle Beteiligten. Und wenn sie trotzdem darüber reden – irgendwo habe ich, glaube ich, gehört, dass es angeblich – ich weiß nicht, ob das stimmt – in Tirol irgendwann Landtagswahlen geben soll. Vielleicht gibt’s da irgendwelche unterirdischen Zusammenhänge zwischen diesen beiden Fakten.

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Martina Bachler: Es ist auf jeden Fall ein Beispiel dafür, wie die Vergangenheit in die Gegenwart reinwirkt. Ein anderes, das sich daran anschließt – Sie schreiben es auch im Prolog in diesem wunderschön gestalteten Buch – ist, dass Victor Adler, der ja die Republiksgründung knapp nicht mehr erlebt hat, darauf hingewiesen hat, dass Österreich ja eigentlich zu klein sein wird. Diese Größe Österreichs ist ja auch heute immer wieder ein Thema, wenn es um die Frage geht, wie weit sind wir in die Europäische Union eingebunden, welche Probleme lassen sich überhaupt auf nationaler Ebene lösen und welche nicht. Spielt da unser Komplex noch eine Rolle? Warum ist diese Diskussion so allgegenwärtig, Herr Dr. Androsch? Hannes Androsch: Ja, den Komplex gab es im Jahre 1918, das sicher eine Zäsur war in Österreich. Eine Revolution – das dürfen wir gar nicht, hat schon Ferdinand der Gütige 1848 vermeldet, als ihm eine solche Botschaft überbracht wurde. Er hat gemeint, das ist ja gar nicht erlaubt. Aber es war eine Zäsur und damit eine Umwälzung. Noch eine Bemerkung zur Verfassung: Heinz, ich stimme überein, aber das Lustige oder Ironische ist: Was die Grundfreiheiten anlangt, wurde das Staatsgrundgesetz aus dem Jahr 1867 übernommen aus der Monarchie und hat heute noch Gültigkeit. Also zumindest diese Kontinuität – wenn schon keine andere gegeben war – haben wir uns behalten. Eine andere wäre, dass wir uns die große Bürokratie, aber für ein kleineres Land, bis heute erhalten haben. Das ist ein bisschen ein teurer Spaß, aber Präsident Moser kennt sich da besser aus und er wird das jetzt demnächst umsetzen, dass wir das verschlanken. Schauen wir mal – alles sehr schwierig in Österreich, aber ein bisschen geht immer. Warten wir ab. Aber das Entscheidende ist, dass in dieser Zäsur, in dieser Umwälzung, wir in den ersten Teil dessen eingetreten sind, was auch ein inzwischen leider schon verstorbener guter Bekannter, ein Freund von uns beiden, Eric Hobsbawm, das „Zeitalter der Extreme“ genannt hat. Allerdings das negative Extrem mehr oder weniger der ersten Hälfte, und in der zweiten Hälfte – also in unserer Lebenszeit – der positive Teil. Und so blicken wir inzwischen seit 1945 auf 72 Jahre in Frieden, Freiheit, Wohlstand und sozialer Sicherheit zurück. Das sind fast drei Generationen. Das haben unsere Eltern, unsere Großeltern und alle Generationen davor sich nicht einmal vorstellen können, nicht einmal im Traum mitbekommen. Das ist aber zugleich auch eine Verpflichtung in einer Zeit, wo wir wahrscheinlich aus anderen Gründen – also der Wechsel, der voll in Gang ist, vom industriellen ins digitale Zeitalter, mit einer Umwälzung, mit einer Zäsur, mit einer – wie die Historiker es nennen – Sattelzeit konfrontiert sind und die Herausforderung darin besteht, diese Herausforderungen anzunehmen und die damit verbundenen Aufgaben zu lösen, wo wir in vielen Bereichen noch gar nicht wissen, wie wir das gestalten können. Aber dass wir es gestalten müssen – zukunftsorientiert und nicht vergangenheitsbezogen – ist ganz sicherlich eine Gewissheit. Nur, der muss man Rechnung tragen. Und da genügt es nicht, fröhlich und heimatverbunden ins Land hinauszuschauen, sondern da wird es notwendig sein, aus dem Land hinauszuschauen. Und da haben wir durchaus einen beträchtlichen Nachholbedarf. Weil in der biedermeierischen Gartenlaube – uns geht’s gut und morgen soll sich kümmern, wer will – werden wir das nicht tun können. Und das geht heute nur in einer globalisierten, vernetzten, digitalisierten Welt. Da diese mit demografischen Veränderungen konfrontiert ist, die eine Dekarbonisierung oder – ohne Fremdwort – mit einer Energiewende konfrontiert ist, wird es mit den alten Rezepten nicht gehen. Es wird nicht möglich sein zu sagen, wir schauen, dass die Dinge bewahrt werden und Veränderungen verhindert werden. Genau

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umgekehrt. Wenn wir wollen, dass es so bleibt, dass es uns nämlich gut geht und auch unseren Kindern und Enkelkindern – uns beiden kann das ja generationsbezogen schon wurscht sein – aber für die Kinder und Enkelkinder ist das nicht gleichgültig. Und daher haben wir eine Verantwortung, da müssen wir sehr vieles ändern, was vielleicht kurzfristig nicht bequem sein muss in jedem Einzelfall, aber unvermeidbar ist, wenn wir diesen positiven Weg in die Zukunft fortsetzen wollen. Und das ist die Schlussfolgerung, die ich jedenfalls aus diesen historischen Betrachtungen für die Zukunft, die ich wahrscheinlich biologisch nur mehr zu einem geringen Teil erleben kann, mir wünsche und wenn es geht – Stichwort Bildung – versuche, dafür einen Beitrag zu leisten. Martina Bachler: Was wären die ganz konkreten Herausforderungen. Die Digitalisierung haben Sie jetzt als eine genannt. Was wären weitere? Hannes Androsch: Ja, die Digitalisierung ist voll im Gang. Das wird alle Lebensbereiche erfassen, die Arbeitswelt ist ja nur ein Beispiel. Da müssen wir unsere jungen Menschen dafür geeignet, fit machen. Dass unser Bildungssystem dafür geeignet ist, kann man beim besten Willen nicht behaupten. Da hinken wir sowieso noch im Sinne des Industriezeitalters hinter den Entwicklungen nach, geschweige denn den zukünftigen Herausforderungen. Da ist nur wenig geglückt, weil es so viele Blockaden gegeben hat. Ich hoffe, dass nicht jetzt zu diesen ungenügenden Fortschritten noch ein Rückschritt eintritt. Aber selbst wenn der nicht eintritt, sind wir immer noch nicht State of the Art. Das gilt insbesondere für die vorschulische Zeit, das gilt für die Universitäten – also unzählige Beispiele, ich will Sie damit nicht langweilen. Da gibt’s andere Plattformen, um das zu transportieren. Das ist nur ein Beispiel. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass erfreulicherweise die Lebenserwartungen steigen. Die Gesellschaft wird älter, vielfach in erfreulich gutem Zustand, aber nicht alle. Jedenfalls ergeben sich daraus große Herausforderungen an Gesundheitskosten, an Pflegekosten und was immer damit verbunden sein wird. Aber immer weniger bei der geringen Geburtenzahl, die dafür aufkommen können. Wenn die nicht ihre Produktivität steigern können durch die Ausnutzung der technologischen Möglichkeiten, geht sich das einfach auf einem Bierdeckel gerechnet schon nicht aus. Wir wollen saubere Luft erhalten und sauberes Wasser und nebenbei auch die Klimaänderung eindämmen, dann müssen wir von den fossilen Brennstoffen weg. Das sagt sich leicht. Das ist machbar, aber nicht, indem man einfach nur den Schalter umlegt und sagt, es kommt eh der Strom aus der Steckdose. Das tut er zwar, aber da muss er auch zuerst hineinkommen. Das ist ein weiteres Beispiel. Und deren gibt es viele und es kann daher nicht sein, dass wir nur sagen, das haben wir jetzt erreicht, das ist erfreulich, so wollen wir es bewahren. Ja, verständlich. Aber das erreichen wir nicht, indem wir nichts verändern. Das können wir nur erreichen, wenn wir sehr vieles verändern. Und da haben wir eben große Herausforderungen, riesige Aufgaben und einen gewaltigen Nachholbedarf. Martina Bachler: Wenn man sich so die letzten Tage der Habsburgermonarchie anschaut, dann zeigt sich da ja, was passiert, wenn man nicht viel verändert oder Dinge halt sehr spät verändert, vieles nicht sehen will. Wenn das die Analyse für unsere Jetztzeit ist: Was lässt sich aus der Parallele von damals lernen? Wie können wir uns diesen Herausforderungen mit dem Wissen von damals oder überhaupt mit dem geschichtlichen Wissen stellen?

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Heinz Fischer: Also die Habsburgermonarchie ist ja nicht nur zugrunde gegangen, weil sie zu wenig verändert hat – das war ein Teil – sondern weil sie in einen Krieg hineingeschlittert ist und weil dieser Krieg verlorengegangen ist und damit die ganze Struktur des Staates von der Armee beginnend zusammengebrochen ist. Daher ist eine der wichtigsten Lehren – wenn wir schon in diesen Kategorien nachdenken: Ich glaube, der Krieg ist nicht nur nicht der Vater aller Dinge, sondern der Krieg ist der größte Feind der Menschen. Krieg und Gewalt sind diejenigen Faktoren, die sich aus der Geschichte immer wieder herausgebildet haben, immer wieder eine wichtige Rolle gespielt haben und dennoch so zerstörerische Konsequenzen haben. Also das ist einmal eine Lehre. Ein zweiter Aspekt, den man diskutieren muss, ist die Rolle des Nationalismus. Das Phänomen des Nationalismus im modernen Sinn ist ja ein relativ junges Phänomen. Den Nationalismus in dem Sinn, wie er im 19. Jahrhundert aufgekommen ist, hat es im 14. bis 17. Jahrhundert gar nicht gegeben. Der Nationalismus hat auch eine sehr zerstörerische Kraft. Das dritte ist natürlich, dass wir unsere Hausaufgaben machen. Darüber hat Hannes Androsch gesprochen. Ein vierter Aspekt ist, dass wir die Größenordnungen in der Welt richtig einschätzen. Wenn man sich anschaut, wie groß der Anteil Europas am Weltbruttonationalprodukt ist – das ist eine besorgniserregende Kurve oder sogar eine lineare Strecke, die da nach unten zeigt. Also wir müssen uns einfach mit den Realitäten in der Welt und mit den Veränderungen der Welt auseinandersetzen. Das Phänomen von Krieg und Gewalt, das Phänomen von Nationalismus – da haben wir sehr, sehr viel zu tun, aber da kann man auch sehr viel Terrain gewinnen, wenn man da Fortschritte macht. Martina Bachler: Was sind die Voraussetzungen dafür, dass man sich dieser politischen Aufgaben auch annimmt? Also wie viel Offenheit muss da sein, wie breit muss der Diskurs geführt sein und wie kann es dann tatsächlich zur Veränderung kommen? Wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe, dann sind Sie eher skeptisch, dass die Veränderungsbereitschaft wirklich da ist. Hannes Androsch: Nein, die Veränderungen greifen Platz, ob wir wollen oder nicht. Die Frage ist nur, was wir selber mit den Veränderungen, Umwälzungen, Umbrüchen tun. Haben wir die Inspiration, haben wir die Perspektive, haben wir den Mut und die Kraft, sie positiv zu nutzen – oder lassen wir das Geschehen auf uns zukommen. Das wird ins Abseits führen, dann werden wir in die Mittelmäßigkeit abgleiten. Das gilt ja nicht nur von uns, das gilt für ganz Europa. Und da muss jeder sich bewusst sein: Kein einziges Land in Europa ist groß genug, das allein lösen zu können. Entweder ist Europa gemeinsam stark oder geht einzeln unter. Die gewaltigen Verschiebungen in den Gewichten in der Bedeutung und in der Macht werden wir nicht verändern, die sind im Gange. Nach 200 Jahren Demütigung und in die Rückständigkeit gefallen, kehrt zum Beispiel China auf seinen Platz in großem Tempo zurück, den es Jahrhunderte, um nicht zu sagen Jahrtausende innegehabt hat. Indien, wenn Sie so wollen, ist ein schlafender Riese – um nur zwei Beispiele zu nennen. Afrika, das jetzt noch knapp zwei Milliarden Einwohner hat, wird in 30 Jahren vier Milliarden Einwohner haben – und Europa eher 400 als 500 Millionen Einwohner. Das ist aber, wie ich schon früher erwähnt habe, vor der Haustür. Das sind die Dimensionen. Und wenn man glaubt, man kann sich einigeln und sozusagen ein gutes Leben in Isolation, von Zäunen umgeben und mit der Errichtung von Mauern, erhalten – das ist eine traurige Illusion. Die wird nie wirklich werden können. Das ist nicht einmal eine Utopie, das ist schlicht und ergreifend eine Kurzsichtigkeit. Daher gilt, was Churchill gesagt hat: Je tiefer man in die Vergangenheit schaut, desto

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weiter kann man in die Zukunft blicken. Und ein italienisches Sprichwort sagt: Der Kluge horcht in die Vergangenheit, denkt an die Zukunft und handelt in der Gegenwart. Aber das Handeln, meine Damen und Herren, wird uns niemand abnehmen. Die Frau Holle wird uns das nicht auf einer Wolke schicken. Martina Bachler: Das Stichwort Europa – Sie haben vorhin das Beispiel Finnland gebracht. Es ist doch schon auch erstaunlich, dass die meisten Menschen, die regelmäßig Zeitungen lesen, einiges über das finnische Schulsystem wissen, weil es immer als positives Beispiel genannt wird. Also in irgendeiner Art und Weise ist dieses Europa doch sehr alltäglich geworden. Trotzdem haben die Briten beschlossen, dass sie die EU verlassen. Trotzdem sehen wir Entwicklungen in Ungarn, in Polen, die sich von diesen gemeinsamen Werten und der Vorstellung einer gemeinsamen prosperierenden Zukunft bis zu einem gewissen Grad verabschieden. Inwiefern hängt das mit diesen Entwicklungen zusammen, mit der Digitalisierung, mit der Bevölkerungsentwicklung in Afrika, einfach mit vielen neuen Fragen, die da im Raum stehen, wo oft die naheliegende Antwort ist, gemeinsam können wir das leichter lösen? Heinz Fischer: Also ich bin ja insofern positiv gestimmt, weil jene zwei Drittel der österreichischen Bevölkerung – und ähnlich war es ja bei der Abstimmung in Finnland zum Beispiel, beim Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 1994 ist das abgestimmt worden. Es ist meines Erachtens immer noch ein solides zwei Drittel davon überzeugt, dass das richtig ist. Dass ein Drittel anders denkt und auch schon vor 20 Jahren anders gedacht hat, ist besorgniserregend, ist traurig, aber wir müssen eben diesen Kampf oder diese Auseinandersetzung aufnehmen. Die Auseinandersetzung für den Standpunkt, dass Europa – ich glaube, es ist heute schon gesagt worden – zusammenstehen muss, wenn es eine Zukunft haben will und wenn es konkurrenzfähig bleiben will. Die Punkte, die Sie genannt haben, sind vielleicht nicht die Hauptkriterien oder die Hauptgründe, warum es die Schwierigkeiten gibt. Die müssen wir bei uns selber suchen und bei den einzelnen europäischen Staaten. Und wenn dann noch ein Land in der volatilen Position Großbritanniens aus taktischen Gründen eine Volksabstimmung über den Austritt aus der Europäischen Union macht, wo der Ministerpräsident gehofft hat, dass die Volksabstimmung positiv ausgehen wird, damit er seine innerparteilichen Konkurrenten in Schranken halten kann, und dann geht diese Volksabstimmung negativ aus – dann ist das im Übrigen auch ein Argument, dass man sich überlegen muss, wenn man darüber spricht, einen Automatismus in Richtung direkter Demokratie zu schaffen. Einen Automatismus, wo man etwas beginnt, ein Thema anzündet, und dann die Durchführung einer Volksabstimmung erzwingen kann. Da würde ich mir sehr große Sorgen machen. Der luxemburgische Außenminister hat vor wenigen Tagen gesagt: Der sicherste Weg, um die Europäische Union zum Einsturz zu bringen, ist, möglichst viele Volksabstimmungen in möglichst vielen Ländern anzufangen. Und ich glaube, er hat da nicht ganz Unrecht. Martina Bachler: Sehen Sie die Vorschläge zu mehr direkter Demokratie ähnlich skeptisch? Hannes Androsch: Also das kann allenfalls unter ganz bestimmten Voraussetzungen ein ergänzendes Element der Sicherung der repräsentativ-parlamentarischen Demokratie sein. Aber um die akzeptabler zu machen, müssen

wir nicht zu einem Mehrheitswahlrecht übergehen – so faszinierend ist das ja nicht

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gerade, was wir in Großbritannien erleben – aber zu einem doch stärkeren persönlichkeitsbezogenen und nicht am Listenwahlrecht festhalten. Es kann nicht sein, dass ein Landeshauptmann, der gleichzeitig natürlich Parteivorsitzender ist, sagen kann: Meine Abgeordneten werden so abstimmen. Na, das ist mit dem Grundsatz, dass die Abgeordneten nur ihrem Gewissen verantwortlich sind, und das in Verfassungstreue, sicherlich nicht vereinbar. Wenn aber der Abgeordnete nicht nur auf die Liste hineingeschoben wird, sondern sich vor Ort mit den Menschen die Legitimation holen muss, ist das eine ganz andere Position. Also ich würde plädieren für ein deutsches, aber zusätzlich diesbezüglich erweitertes und ergänztes System. Die direkte Demokratie kann unter bestimmten Voraussetzungen – wenn man Quoren und Themen, Ausgrenzungen und Eingrenzungen vorgenommen hat – ergänzend sein, aber als Ersatz ist das brandgefährlich. Es war nicht der alleinige Grund für den Niedergang der Weimarer Republik, aber dennoch ein nicht unwichtiger Teil. Daher hat man das im deutschen Grundgesetz aus dieser Erfahrung sehr eingeschränkt. Und das Schweizer Beispiel, das da immer gern gebracht wird – da müssten alle erst einmal Schweizer werden mit dem Wohlstand und den besonderen Problemen der Schweiz. Das ist nicht einfach übertragbar. Und was herauskommen kann, hat man beim Brexit gesehen. Es ist ziemlich gesichert, dass heute eine Mehrheit vor allem der Jungen in England das gar nicht mehr wollen. Nur, wie kommt man zu einem möglicherweise zweiten Referendum? Das wäre nicht schlecht für Kontinentaleuropa und höchst gut für das Vereinigte Königreich. Also man spielt mit radioaktiven Stoffen nicht. Die können heilsam sein, aber sie können auch tödlich sein. Und daher ist mit größter Vorsicht damit umzugehen. Martina Bachler: Großbritannien ist auch aufgrund Schottlands ein Beispiel dafür, welche Bewegungen es in der Europäischen Union gibt. Also dass sich die Schotten aus Großbritannien abspalten wollen, wird immer wieder diskutiert. Wir sehen aber zuletzt in Katalonien, in Teilen Italiens eben so eine gewisse Abspaltungstendenz oder zumindest Abgrenzungstendenz. Kann es vielleicht sein, dass sich dieses Europa nach wie vor irgendwie schlecht verkauft? Heinz Fischer: Also dass auf dem Gebiet noch Platz nach oben ist, das ist nicht schwer zu beweisen. Aber es kann ja nicht nur am Verkauf liegen, sondern es muss an der Dynamik liegen, es muss an den wirtschaftlichen Erfolgen liegen, es muss an einem stabilen sozialen Umfeld liegen und es muss daran liegen, dass wir diesen Gemeinschaftssinn entwickeln. Ich glaube nicht, dass wir je Europa zu kompletten vereinigten Staaten von Europa à la Amerika machen können. Da sind die historischen Voraussetzungen zu verschieden. Aber es gibt doch ein europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl. Und mir fällt das immer auf, wenn man weit weg von Europa ist – in China oder in Argentinien – dann fühlt man sich auf einmal auch sehr stark als Europäer. Und kaum taucht man in den europäischen Kosmos ein, ist wieder die Unterscheidung zwischen Tschechen und Slowaken und Ungarn und Österreichern, und jeder hat seine nationale Identität. Über diese Gegebenheiten und über diese psychologische Situation hinweg ein gemeinsames Europa zu bauen, das ist offenbar eine sehr, sehr schwierige Aufgabe. Die Erweiterung der Europäischen Union, die ich begrüße und die man den früher kommunistisch regierten Staaten meines Erachtens nicht vorenthalten durfte, die ein Anrecht hatten, auch als Teil Europas betrachtet zu werten – und auch heutige Mitglieder am westlichen Balkan haben ebenfalls dieses Recht. Aber klar ist, dass die Erweiterung das Projekt Europäische Union komplizierter, schwieriger, fehleranfälliger und heterogener gemacht hat. Das ist eine Realität, der man ins Auge sehen muss und die viel Kraft

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kosten wird, das zum Positiven zu verändern und weiterzuentwickeln. So sehe ich das. Martina Bachler: Vielleicht zum Abschluss noch eine Frage. 2018 jährt sich nicht nur zum 100. Mal die Gründung der Republik, sondern die beiden Diskutanten werden auch beide 80 Jahre alt. Das heißt, wie Andreas Khol gestern gesagt hat – Hannes Androsch: Nur kalendarisch. Martina Bachler: Nur kalendarisch. Kalendarisch waren Sie also 1968, als die Republik zum 50. Mal das Jubiläum feiern konnte, 30 Jahre alt. Jetzt war das Jahr 1968, wie auch in dem Buch sehr gut geschildert wird, ein Jahr der großen gesellschaftspolitischen Umbrüche – ein Jahr, in dem es möglich war, dass gesellschaftliche Normen überdacht werden. Die österreichische Ausprägung war vielleicht deutlich gemäßigter im Vergleich zu anderen Staaten, aber es war auf jeden Fall da. Wenn Sie sich selbst hineinversetzen in sich im Jahr 1968: Was hat sich seither getan, was Sie damals vielleicht für nicht möglich erachtet hätten – im positiven wie im negativen Sinn? Die Frage geht an Sie beide. Heinz Fischer: Also ich gebe einmal ganz ehrlich zu, dass ich nicht in der Lage war, 50 Jahre vorauszusehen. Ich glaube, das können wir nicht. Niemand im Jahr 1900 hat gewusst, wie es im Jahr 1950 ausschauen wird, und niemand im Jahr 1950 am Höhepunkt des Kalten Krieges, wie gerade auch die Sowjetunion die ersten Atombomben produziert hat, hat ahnen können, wie es im Jahr 2000 aussieht. Und wir haben im Jahr 1968 auch nicht ahnen können, wie es in 50 Jahren aussieht. Ich habe im Jahr 1968 geheiratet, da habe ich schon gewisse Vorstellungen gehabt, die ich ja auch privat beeinflussen konnte. Aber die gesellschaftspolitische Entwicklung 50 Jahre vorauszusehen, ist deshalb so schwierig und in weiten Bereichen unmöglich, weil unser Voraussehen zu einem beträchtlichen Teil auf Extrapolation beruht. Wir nehmen an, Trends, die es bisher gegeben hat, setzen sich im Großen und Ganzen fort. Und das ist nicht der Fall. Die Geschichte kann wunderbar geradlinig über längere Zeit verlaufen, und dann kommt ein Ereignis, ein Jahr 1918, ein Jahr 1938, ein Jahr 1968, ein Umbruch und eine Veränderung, die alle Prognosen über den Haufen werfen. Und jetzt habe ich nur über Politik gesprochen. Dasselbe gilt noch stärker für den Bereich der Naturwissenschaften, der Technologien, der Entwicklungen in diesen Bereichen. Also ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass jemand über einen so langen Zeitraum voraussehen kann. Und dann gibt’s scheinbare Gegenbeispiele, wie zum Beispiel das Buch eines russischen Dissidenten, der im Jahr 1970 oder so ein Buch geschrieben hat mit dem Titel „Kann die Sowjetunion das Jahr 1984 überleben“. Und er hat Länge mal Breite geschrieben, sie kann’s nicht überleben. Und sie hat dann tatsächlich das Jahr 1989 oder 1991 nicht überlebt. Aber nicht, weil die Analyse richtig war, sondern ich bin fest überzeugt, das war ein Zufallstreffer. Und 20 andere Bücher von Historikern wurden geschrieben, die sehr wohl davon ausgehen, dass die Sowjetunion noch viele, viele Jahrzehnte existieren wird. Also der Blick in die Zukunft ist ziemlich riskant. Martina Bachler: Wie ist es bei Ihnen? Hat sich von Ihrem 30-jährigen Ich die Entwicklung in eine Richtung entwickelt, wo Sie sehr überrascht sind? Sind Dinge passiert, die Sie damals für möglich gehalten hätten – oder eben für nicht möglich gehalten hätten? Hannes Androsch: Also ich halte es da mit Mark Twain, der einmal ironisch gemeint hat: Vorhersagen sind sehr schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. – Das ist die eine Seite. Und wenn Sie daran denken, dass es vor elf Jahren kein

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Smartphone gegeben hat und es vor zehn Jahren als kurioses Spielzeug präsentiert wurde – und heute gibt’s weltweit über zwei Milliarden Nutzer und in Österreich kommt auf einen Bürger ein Smartphone, manche haben deren zwei. Das ist nur ein Beispiel. Dennoch gibt es gewisse Megatrends, die man erkennen kann, auch wenn im Einzelnen in der Ausformung und in den Konsequenzen die Zukunft nicht voraussehbar ist und ungewiss ist, weil Ereignisse eintreten können in der technologischen Entwicklung, aber eben auch – das war ja die Einleitungsbemerkung in Anspielung auf den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Da kann sozusagen nach der Chaostheorie der Flügelschlag eines Schmetterlings an oberen Amazonas einen Hurrikan irgendwo auslösen. Dann kann es ein Funke sein, der alles Mögliche auslöst. Das ist die andere Seite. Daher ist es wichtig, so gut man kann, Trends vorauszusehen, aber gleichzeitig flexibel genug zu sein, sich den Entwicklungen anzupassen. Und zwar nicht nach dem Grundsatz, hier zieht mein Volk, ich zieh ihm nach, ich bin sein Führer, sondern tunlichst wenigstens mit der Nasenspitze voraus zu sein. Aber mit dem Verständnis, dass man nicht alles voraussehen und voraussagen kann und die Bereitschaft hat, sich immer wieder anzupassen und den konkreten Gegebenheiten Rechnung zu tragen, ohne die große Entwicklung und schon gar nicht die Zielsetzung infrage zu stellen und nicht zu vergessen, dass eines bleibt: dass man Grundwerten verpflichtet ist und nicht Opportunität und der Demagogie und der postfaktischen Zeitströmung nachgibt. Martina Bachler: Ich glaube, mit diesem Aufruf zum Handeln und gleichzeitiger Verankerung können wir die Diskussion beschließen. Ich danke herzlich.