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ISSN 1867-643X www.verlagsgruppewiederspahn.de Ausgabe 1/2 . 2019 www.maurer.eu 19. Symposium Brückenbau in Leipzig

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ISSN 1867-643Xwww.verlagsgruppewiederspahn.de

Ausgabe 1/2 . 2019

www.maurer.eu

19. Symposium Brückenbau in Leipzig

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31/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

E D I T O R I A L

Zum neunzehnten Symposium Leipzig

Erinnerung an (elementare) Erkenntnismöglichkeiten von Michael Wiederspahn

Dipl.-Ing. Michael Wiederspahn

»Definitionen sind Kunstwerke. Am meis- ten bewundere ich die des Glases: ›Glas ist eine unterkühlte Flüssigkeit extrem hoher Zähigkeit bei praktisch unendlich kleiner Fließgeschwindigkeit.‹ (Gustav Tammann, 1903) Man sieht gleich, worauf es bei einer Definition ankommt: Sie muss sich so weit wie irgend möglich von der Tau- tologie entfernt halten. Sie zieht Vorstel- lungen heran, durch deren Grenzwerte sie bestimmt, was die Erscheinung nicht beschreibt. Wer vor einer Schaufenster-scheibe steht, wird zu deren Beschreibung am wenigsten an ›Flüssigkeit‹ und ›Fließ- geschwindigkeit‹ denken. (...) Man darf Definitionen vergessen. Eine einzige sollte man nicht vergessen, obwohl in ihr das Vergessen essentiell ist. Sie stammt von einem der vielen französischen Minister-präsidenten, einem, dem Vergessen un- recht täte: von Édouard Herriot. Er hinter- ließ, ›Bildung‹ sei das, ›was übrigbleibt, wenn man alles vergessen hat.‹ Man ist, bevor man bewundert, schon dankbar, dass man vergessen darf. Ja, dazu ins Recht gesetzt wird. (...) Man muss sich an vieles erinnern können, um die Lizenz zu erwerben, alles vergessen zu dürfen. Denn das Vergessen, das hier gemeint wird, ist nichts anderes als die homogene Unbe- stimmtheit der Erinnerung.«

und Vokabeln per se hinterfragt und hinsichtlich der Sinnhaftigkeit ihrer Ver- wendung detailliert überprüft werden müssen, dient sie letztlich der präzisen Be- und Durchleuchtung einzelner Be- nennungen wie deren möglicher oder tatsächlicher Konnotationen – mit dem Ziel, den Blick für das Wesentliche einer Aussage, einer Erklärung oder lediglich Etikettierung zu schärfen. Und hier rundet sich nun der Kreis, denn der »Brückenbau« erfüllt de facto ähnlich hohe Anforderungen, indem in und mit ihm ausnahmslos solche Entwurfsresul-tate thematisiert werden, die in puncto Qualität auf Dauer überzeugen. Das heißt, anstatt sich (irgendwelchen) modischen Irrungen und Wirrungen zu widmen, deren glänzende Oberflächen die Urteils- fähigkeit oft und gerne einzutrüben pfle- gen, ergründen und veranschaulichen die nachfolgenden Seiten den Kern einer Brückenstruktur wie Brückenkonstruk- tion – und sorgen derart für Orientierung, knüpfen aber zugleich an (wahrlich) ele- mentare Kriterien der Planung wie Reali- sierung an: eine gerade in Zeiten des Um- bruchs und der augenfällig unbe- oder -eingeschränkten Fortschrittsgläubig- keit unverzichtbare Erinnerung, deren adäquate Einlösung indessen die Be- reitschaft zum kontinuierlichen Lernen bedingt oder, in den Worten Hans Blu- menbergs: »Sollte man diesem schlichten Sachverhalt noch etwas Hochgestochenes aufsetzen, so läge bereit: ›Bildung ist kein Arsenal, Bildung ist ein Horizont.‹« Dem bleibt zweifelsohne kaum etwas hinzuzufügen – außer vielleicht der (kleinen) Empfehlung zum aufmerksa-men Studium jener Dokumentationen und Beschreibungen, die substantielle Erkenntnismöglichkeiten eröffnen und (deshalb) nachstehend zu finden sind.

Es gibt Schriftsteller, Philosophen, Litera- tur-, Kunst- und (viele) andere Wissen-schaftler, deren Werke nicht nur einmal gelesen werden wollen oder eben sollten, da in ihnen immer wieder neue Aspekte und Ideen, überraschende Assoziationen und Wendungen zu entdecken sind, die den eigenen Horizont zu erweitern, einem also zusätzliche und stets genauso geist- reiche wie gehaltvolle Erkenntnisse zu gewinnen helfen. Zu jenen Denkern, deren Ab- und Behandlungen, Ein- und Auslassungen sicherlich zur Re-, ja sogar zu einer Dritt-, Viert- oder Fünftlektüre aufrufen oder einladen, gehört, zumin-dest nach Meinung des Autors dieser Zeilen, Hans Blumenberg, bedarf es doch keiner übermäßig großen Phantasie, son- dern lediglich eines (ausgeprägteren) Sprachverständnisses, um seine längeren und bisweilen auch eher kurzen Texte wür- digen, sie als einen nahezu unerschöpflich anmutenden Fundus an Anregungen und Perspektiven, als eine anscheinend nie versiegende Quelle der Inspiration und insofern der An- und Ausdeutungen, Argumente und Interpretationen, Be-, Hin- und Querverweise wertschätzen zu können. Was hat das (alles) freilich mit einer Zeit- schrift namens »Brückenbau«, ergo mit einem Heft zu tun, das als Tagungsband mit sämtlichen Vorträgen des 19. Sympo- siums Brückenbau in Leipzig aufwartet und zudem diverse Rubriken umfasst, wie zum Beispiel »Produkte und Projekte«? Die Antwort ist im Prinzip relativ simpel und erschließt sich bereits bei eingehen-der(er) Betrachtung des einleitenden Zitats, das selbstredend von Hans Blu- menberg stammt, und zwar aus seinem Buch »Begriffe in Geschichten« oder, ein bisschen exakter, aus »Bildung ist, was übrigbleibt« und damit einer Erörterung in der von ihm als Projektsammlung kon- zipierten Veröffentlichung von 1998: Auf der Intention basierend, dass (vermeint-lich) wichtige oder wenigstens häufiger gebrauchte Ausdrücke, Bezeichnungen

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I N H A LT

4 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Editorial

3 Erinnerung an (elementare) Erkenntnismöglichkeiten

Michael Wiederspahn

Brückenbauwerke

6 Entwicklung von Bauweisen im Brückenbau

Victor Schmitt, Anton Braun, Thomas Lechner, Günter Seidl

16 Ersatzneubau der Talbrücke Rothof

Bernd Endres, Manfred Becker

26 Abbruch der Talbrücke Heidingsfeld

Tobias Bäumler, Tobias Schmidt

46 Ausbau der A 1 zwischen Köln-Niehl und Leverkusen-West

Nicole Ritterbusch

52 Mangfallbrücke Rosenheim

Hans Grassl, Jacqueline Donner

62 Die neuen Eurocodes

Martin Muncke

66 Instandsetzung des Sitterviadukts

Robert Wagner

74 Bahnhof Køge Nord in Dänemark

Steen Savery Trojaborg

78 Zweite Hinterrheinbrücke in Reichenau

Steen Savery Trojaborg, Monika Schenk, Andreas Galmarini, Ian Firth

84 Colne Valley Viaduct als Referenzentwurf

Martin Knight, Héctor Beade Pereda, Bartlomiej Halaczek

92 Bogibeel Bridge in Indien

Jens Schülke

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51/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

I N H A LT

102 Modernisierung und Erneuerung der Eisenbahnbrücken

Jens Müller

106 Lärmschutzanlagen an der A 7 in Hamburg

Gregor Gebert

112 Längsversteifte Beulfelder unter biaxialen Spannungen

Martin Mensinger, Joseph Ndogmo, Nadine Maier

120 Neckartalbrücke Horb

Holger Haug, Christoph Maulhardt

126 Neckarbrücke Benningen

Holger Haug, Marc Schumm

134 Ersatzneubau Schiersteiner Rheinbrücke der A 643

Harald Mank, Alwin Dieter

144 Brücke über die Salzach bei Kaprun

Günter Seidl, Wolfgang Mariacher, Jürgen Schmidt

154 Die Legobrücke

Markus Gabler, Abdalla Fakhouri, Katrin Baumann

160 Offensive Holzbrückenbau

Arnim Seidel, Frank Miebach

166 Produkte und Projekte

171 Software und IT

173 Nachrichten und Termine

177 Branchenregister

179 Impressum

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S Y M P O S I U M

6 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Rückblick und Ausblick

Entwicklung von Bauweisen im Brückenbau von Victor Schmitt, Anton Braun, Thomas Lechner, Günter Seidl

In vielen Ländern mit hochbelaste-ter Verkehrsinfrastruktur ist Bauen mit vorgefertigten Modulen aner- kannter Stand der Technik und wird stetig eingesetzt. In der Regel sind es Überbauten mit einem einzelli-gen Stahlbetonhohlkasten, die, in Segmente aufgeteilt, vor Ort meist im Freivorbau zusammengefügt und mit externen Spanngliedern zusammengespannt werden. Modulbauweisen im Verbundbau sind die Ausnahme, bieten aber gegenüber dem Spannbeton in der Herstellung, beim Transport und der Montage erhebliche Vorteile, da die Fahrbahnsegmente auf die Längsträger einfach aufgelegt wer- den können. Mit der vorgestellten VSM®-Bauweise können robuste Überbauten von Ein- und Mehrfeld-bauwerken in kürzester Bauzeit mit geringster Verkehrsbehinderung wirtschaftlich realisiert werden.

1 Einleitung1.1 BedarfsermittlungDas hochausgelastete Straßennetz in Deutschland (Bild 1) benötigt Entwürfe für Brücken, die in kurzer Bauzeit bei minimaler Beeinträchtigung der Umwelt und des Verkehrs fertiggestellt werden können. Unabdingliche Voraussetzung für die Bauweise ist, dass gutgestaltete, dauerhafte Bauwerke wirtschaftlich aus- geführt werden, die mit niedrigem Auf- wand zu unterhalten sind. Ein Lösungs-ansatz sind die Vorfertigung der Bauteile und ihr Zusammenfügen vor Ort.

1 Dichter täglicher Verkehr auf der A 8 © SSF Ingenieure AG/Florian Schreiber

2 Überbaumodule für die TGV-Strecke Tours–Bordeaux in Frankreich © www.lisea.fr

In den meisten Ländern mit hochbelas- teter Verkehrsinfrastruktur ist Bauen mit vorgefertigten Modulen anerkannter Stand der Technik, der in der Praxis um- gesetzt wird: In Frankreich wurde die 340 km lange TGV-Strecke Tours–Bor-deaux innerhalb von 38 Monaten reali- siert, bei der 500 Ingenieurbauwerke, darunter 24 Talbrücken, in dieser kurzen Bauzeit zu erstellen waren. Für die acht größten Talbrücken wurden über 1.000 Überbausegmente in einer zentral gele- genen Feldfabrik gefertigt, zur Baustelle transportiert, im Freivorbau montiert und zusammengespannt (Bilder 2 und 3).

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71/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

S Y M P O S I U M

In China wird gegenwärtig in der Stadt Zhengzhou der vierte Autobahnring mit 100 km Länge und 100 km Zu- und Ab- fahrten erstellt, der im Jahr 2020 nach zwei Jahren Bauzeit dem Verkehr über- geben werden soll. Der Großteil des geplanten Ringes ist eine Hochstraße. Alle Brücken werden in Modulbauweise errichtet, um die kurze Bauzeit einhalten zu können. Dafür sind insgesamt über 50.000 Brückensegmente zu fertigen, anzuliefern, zu montieren und zusam-menzuspannen (Bild 4). Die Produktion der Überbaumodule erfolgt in acht neu- errichteten Feldfabriken, die am Tag bis zu 200 Segmente produzieren können. 1.2 Istzustand in DeutschlandDie Öffentlichkeit als Inhaber und Nut- zer der Verkehrsinfrastruktur erwartet mit Recht gutgestaltete, dauerhafte Bau- werke, die in kurzer Bauzeit bei minimaler Beeinträchtigung der Umwelt und des Verkehrs erstellt werden. Die zuständigen Bauherren können mit der Gestaltung der Bauwerke und der Qualität überzeugen, die öffentliche Resonanz ist positiv. Dage- gen könnte nach Meinung der Nutzer das Bauen von Ingenieurbauwerken im Be- stand schneller und mit geringerer Beein- trächtigung des Verkehrs vonstattenge-hen. Die Aufgabe, den Bauprozess zu beschleunigen und mehr Rücksicht auf die Verkehrsteilnehmer zu nehmen, muss sich der Bauherr verinnerlichen und den Mut aufbringen, zum Erreichen dieser Ziele neue Wege zu gehen.

Der Einsatz von Fertigteilen ist in Deutschland durch die ZTV-ING bis ins Detail geregelt und weitgehend be-schränkt. Internationale Entwicklungen von Modulbauweisen vermochten sich im Brückenbau praktisch nicht durchzu-setzen. Die Fortschritte der Betontechno-logie ermöglichen es, inzwischen Über- baumodule mit dichtem Gefüge in Hoch- leistungsbeton herzustellen, die auch ohne Schutz durch eine Abdichtung eine hohe Lebensdauer erwarten lassen. Solche Bauteile lassen sich gesichert nur industriell in Fertigteilwerken wirtschaft-lich herstellen und dann vor Ort zusam-menfügen.

1.3 RückblickIn der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg setzten sich Bauweisen in Spannbeton auf Lehrgerüst, im Taktschiebeverfahren und auf Vorschubrüstungen durch und sind in Deutschland bis heute Vorzugs-bauweisen, weil sie sich bewährt haben. Stahlverbundüberbauten mit Nutzung von Schalwagen zum Betonieren der Ort- betonplatte ersetzten reine Stahlüber-bauten mit orthotroper Platte und deck- ten damit einen Nischenmarkt ab.

3 Viaduc de Claix: Montage eines Segmentes im Freivorbau © www.lisea.fr

4 Vierter Autobahnring Zhengzhou: Vorfertigung von Segmenten © Gernot Komar

Seit den 1970er Jahren erreichten vor allem Spannbeton-Fertigteilbauweisen bei kleinen Brücken bis 35 m über hoch- frequentierten Verkehrswegen erhebliche Marktanteile, die sie bis heute internatio-nal halten. In Bayern setzte man erfolg- reich auf Einfeldträger mit Federplatten über den Stützen. Diese Variante hat den Vorteil, dass der unterführte Verkehr nur minimal behindert wird und der Rück- bau einfach zu realisieren ist. Von Nach- teil ist, dass viele Lager zu unterhalten sind. Prof. Josef Scheidler, einst Leiter des Sachgebietes Tunnel- und Brückenbau in der damaligen Obersten Baubehörde, hat diese Bauweise durch Annahme von Nebenangeboten gefördert. Nach seinem Ausscheiden wurde sie in Bayern nicht mehr angewendet, obwohl sie sich bewährt hatte.

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S Y M P O S I U M

8 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Mittelpfeiler bei Überführungen über die Autobahnen dürfte es eigentlich nur noch in Sonderfällen geben, bedingen sie doch bei Erneuerung und im Unterhalt Inselbaustellen mit hoher Verkehrsbeein-trächtigung. Will man auf Mittelpfeiler verzichten, sind bei sechsstreifigen Auto- bahnen Fertigteillängen von deutlich über 36 m notwendig. Spannbetonträger werden bei solchen Längen in der Regel zu schwer. SSF Ingenieure haben vor 20 Jahren die sogenannte VFT®-Bauweise mit Nebenangeboten auf den Markt gebracht (Bild 5) [3]. Förderer durch Aner- kennung von Nebenangeboten in VFT®- Bauweise waren Einzelpersonen: Dr. Thie- mann vom Brandenburgischen Auto-bahnamt, Gundolf Denzer mit seinen Kollegen bei der DEGES und Prof. Jürgen Weber in der Obersten Baubehörde in Bayern. Heute hat sich die Bauweise euro- paweit durchgesetzt, inzwischen gibt es über 1.000 Brücken dieses Typs. Als Wei- terentwicklung haben wir die sogenannte VFT-WIB®-Bauweise mit höherer Steifig-keit auf den Markt gebracht (Bild 6). Da- bei werden halbierte Walzträger über Verbunddübel mit einem Betonsteg ver- bunden: eine wirtschaftliche Alternative zu den WIB-Überbauten der europäischen Bahnen, da sie den Baustahlbedarf um 40 % senkt und die Bauzeit deutlich reduziert.

Nach unserer Wahrnehmung wird es immer schwieriger, neue Bauweisen durchzusetzen. Es sprengt den zeitlichen Rahmen der Baugenehmigungs- und Ausführungsphase, die erforderlichen Zustimmungen im Einzelfall (ZiE) und gegebenenfalls unternehmensinterne Genehmigungen (UIG) der DB zu erwir- ken. Zum Start der Bauweise haben wir uns ein Projekt der Gemeinde Pöcking am Starnberger See ausgesucht und mit Unterstützung durch Prof. Hans Pfisterer, dem damaligen Sachgebietsleiter für Tunnel und Brückenbau in der Obersten Baubehörde Bayerns, die Errichtung der ersten VFT-WIB®-Brücke durchgesetzt. [4] Der Bürgermeister der Gemeinde war, abgesichert durch Fachgutachten, bereit, in einem engen Zeitrahmen eine Zustim- mung im Einzelfall zu gewähren. SSF Ingenieure haben sich in einer Vielzahl von Forschungsprojekten an der Ent- wicklung der Verbunddübelleisten betei- ligt. Als Ergebnis dieser umfangreichen Forschungstätigkeiten verschiedenster Institutionen gibt es heute eine allgemei-ne Bauartgenehmigung für Stahlver-bundträger mit Verbunddübelleisten [1]. Die Bauweise hat gegenüber Spannbe-tonträgern den Vorteil, dass die Träger gestoßen werden können. So werden Trägerlängen bis 60 m möglich, die sich in zwei Teilen anliefern lassen. Bei Mehrfeldbrücken in einem solchen Stützweitenbereich sind zweistegige Plattenbalken wirtschaftlicher. Dieses Marktsegment der Verbundbrücken deckt die SSF mit der VTR®-Bauweise ab, bei der zwei dicht geschweißte Stahlhohlkästen und Stahlbetonquerträger einen Träger- rost bilden, auf den die Fahrbahnseg-mente aufgelegt werden (Bild 7) [5]. Die Bauweise konnte sich in Polen und Rumä- nien durchsetzen und ist besonders für breite Überbauten geeignet, da die Quer- träger im Spannbett günstig vorgespannt werden können.

6 7 Entwicklung der Verbund-Fertigteil-Bauweisen: VFT®, VFT-WIB®, VTR® (v.l.n.r.) © SSF Ingenieure AG

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Allen vorgenannten Bauweisen ist ge- meinsam, dass vor Ort noch geschalt, bewehrt und betoniert werden muss – mit Auswirkungen auf Kosten und Bau- zeit. Die eingangs erwähnte Modulbau-weise, bei der der gesamte Brückenquer-schnitt vorgefertigt wird, erübrigt der- artige Arbeiten. Die Herstellung von Großbrücken mit Spannbetonhohlkästen im Freivorbau, wie in den beiden oben genannten Projekten, ist internationaler und bewährter Standard. Modulbauwei-sen im Stahlverbundbau sind bisher die Ausnahme, dabei sind sie einfach zu realisieren und auch bei kleineren Bauwerken wirtschaftlich einsetzbar.

2 Aktuelle Entwicklungen2.1 Direkt befahrene und austauschbare FahrbahnDie Firmengruppe Max Bögl aus Neu-markt hat in Zusammenarbeit mit SSF Ingenieure eine neue Modulbauweise für Brücken entwickelt und bisher in zwei Pilotprojekten realisiert. Ziel ist hier der Einsatz von Fahrbahnsegmenten, die unter optimalen Bedingungen vorgefer-tigt und wegen ihrer sehr dichten Beton- matrix direkt ohne Abdichtung und As- phalt befahren werden können. Die Seg- mente liegen ohne Schubverbund auf den Hauptträgern auf und beteiligen sich nicht an der Längstragwirkung.Die Entwicklung dieser Bauweise wurde durch Prof. Dr.-Ing. Gero Marzahn vom Bundesministerium für Verkehr und digi- tale Infrastruktur (BMVI) und Prof. Karl Goj, dem bisherigen Leiter des Referates Brücken und Tunnelbau im Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr, unterstützt. Die beiden realisier-ten Pilotprojekte wurden in Bayern errich-tet und von Prof. Karl Goj maßgeblich gefördert. Prof. Karl Goj ist zum Jahresen-de 2018 in den Ruhestand gegangen. Wir bedanken uns sehr bei ihm für die allzeit kollegiale und konstruktive Unterstüt-zung bei der Durchsetzung innovativer Ideen.

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91/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

S Y M P O S I U M

9 Querschnitt der Brücke Greißelbach © SSF Ingenieure AG

8 Längsschnitt der Brücke Greißelbach in der Oberpfalz © SSF Ingenieure AG

Die beiden bisher ausgeführten Pilotpro-jekte in Greißelbach [6] (Bilder 8 und 9) und Mühlhausen (Bilder 10–12) zeigen eine hervorragende Qualität der Fahr- bahnsegmente und bestätigen, dass die Ziele, die man in diese Bauweise setzt, erreicht wurden:– Die Fahrbahnsegmente können

industriell wirtschaftlich in hoher Qualität hergestellt werden.

– Die Vorfertigung der Module ermög-licht eine extrem kurze Bauzeit und eine sehr geringe Verkehrsbeeinträch-tigung.

– Die Errichtung des Überbaus ist weitgehend vom Wetter unabhängig.

– Die Möglichkeit, Fahrbahnsegmente auszutauschen, macht den Überbau anpassungsfähig.

– Die Anforderungen an den Unterhalt werden minimiert.

Die wichtigste Erkenntnis aus den beiden Pilotprojekten ist, dass Spannbetonseg-mente mit einer extrem dichten Beton-matrix wirtschaftlich gefertigt werden können. Derartige Segmente lassen zu- dem eine hohe Lebensdauer erwarten, da eine Korrosion der Bewehrung durch Karbonatisierung und Chloride fast voll- ständig ausgeschlossen ist. Wenn gezeigt werden kann, dass bei solchen indus- triell gefertigten Segmenten über die Lebensdauer einer Brücke keine Schäden an Bewehrung und Betonmatrix auftre- ten, ist eine Austauschbarkeit der Fahr- bahnplatte nicht notwendig.

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10 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Aufbauend auf den Pilotprojekten regen wir an, bei Einfeld- ebenso wie bei Mehr- feldbrücken nicht auf den Schubverbund zwischen Hauptträgern und Fahrbahn-platte zu verzichten, sondern die Fahr- bahnsegmente an der Längstragwirkung zu beteiligen. Bei der Brücke Greißelbach würde sich die Bauhöhe des Längsträgers von 1,00 m auf 1,44 m um 44 % erhöhen und die Steifigkeit des Querschnittes um das Dreifache ansteigen (Bild 13). Auf Abdichtung und Belag im Fahrbahnbe-reich sollte erst dann verzichtet werden, wenn eine breite Akzeptanz aus den positiven Erfahrungen der Pilotprojekte vorausgesetzt werden kann.

10 11 Ansicht und Längsschnitt der Brücke Mühlhausen © SSF Ingenieure AG

13 Bauhöhe der Brücke Greißelbach in Feldmitte © SSF Ingenieure AG

12 Querschnitt der Brücke Mühlhausen © SSF Ingenieure AG

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111/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

S Y M P O S I U M

Wir glauben, einen guten Ansatz für eine neue Modulbauweise im Verbundbau gefunden zu haben, und stützen uns da- bei auch auf Erfahrungen, die in Frank- reich bei einem bereits vor 20 Jahren er- richteten Pilotprojekt gesammelt wurden: Vorgespannte Segmente im Verbund mit den Hauptträgern wurden bereits bei der Brücke PS 13 eingesetzt [2]. Das Bauwerk überführt die Departementstraße zwi- schen Villefranche-sur-Cher und Theillay über die Autobahn A 85 mit zwei Fel- dern à 17,70 m und 19,80 m Spannweite. Die Fahrbahnsegmente aus Hochleis-tungsbeton sind im Mittel 22 cm dick und wurden im Match-Cast-Verfahren realisiert. Sie wurden auf Elastomerbän-der, die auf die Stahlhauptträger aufge- klebt sind, aufgelegt, untereinander ver- klebt und anschließend mit 14 Spannglie-dern im nachträglichen Verbund längs vorgespannt (Bild 14). Die Verbundwir-

kung zwischen Stahl und Beton wurde über Kopfbolzendübel hergestellt, die nach dem Vorspannen durch runde Öff- nungen in der Fahrbahnplatte auf die Stahlhauptträger aufgeschossen und anschließend mit Mörtel vergossen wer- den (Bild 15). Mit dieser späten Verbund-wirkung wird die Fahrbahnplatte vorg- edrückt, ohne dass die Vorspannung in die Hauptträger abfließt. Die Platte bleibt über ihre Lebensdauer ungerissen. Dies bestätigt der heutige Zustand der Fahr- bahnplatte nach 20 Jahren unter Verkehr.

14 Querschnitt der Brücke PS 13 © Aus [2]

15 Verbundfuge bei PS 13 © Aus [2]

3 VSM®-Bauweise 3.1 ÜbersichtDer Begriff Modularität steht für die Auf- teilung eines Ganzen in Teile. Der Über- bau einer Stahlverbundbrücke wird in Längsträger aus Stahl und in Fahrbahn-segmente über die Brückenbreite aus Spannbeton aufgeteilt. Beide Module werden in Werken gefertigt und abge-nommen, zur Baustelle geliefert, bei Bedarf vor Ort zwischengelagert, mon- tiert und miteinander verbunden. Bild 16 zeigt den Querschnitt der Brücke Greißel- bach als Alternative in Verbund-Segment-Modul-(VSM®-)Bauweise.

16 Alternative: Brücke Greißelbach in VSM®-Bauweise © SSF Ingenieure AG

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12 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

19 Verzahnung und Vorspannung der Segmente im Projekt Greißelbach © SSF Ingenieure AG

18 Verbundfuge mit Bock und Justierschraube © SSF Ingenieure AG

17 Verbundfuge bei der VSM®-Bauweise © SSF Ingenieure AG

3.2 Stahlhohlkästen als LängsträgerJe nach Breite des Überbauquerschnittes werden ein oder zwei einzellige Stahl-hohlkästen als Längsträger vorgesehen, auf die nach der Montage Fahrbahn-Voll-segmente in voller Brückenbreite aus Spannbeton aufgereiht verlegt und über Kontaktfugen zusammengespannt wer- den. Der Verbund zwischen den Stahl-trägern und den Fahrbahnsegmenten erfolgt mit Stahlbügeln aus den Fahr-bahnsegmenten und auf den Stahllängs-trägern angeschweißten Verbunddübel-leisten in einer horizontalen Verbund- fuge, die von der Fahrbahnfläche aus mit selbstverdichtendem Beton verfüllt wird (Bilder 17 und 18).Auf den Stahllängsträger sind zur Her- stellung der planmäßigen Gradiente für jedes Fahrbahnsegment höhenjustierbare Schrauben angeschweißt, auf denen die einzelnen Fahrbahnsegmente gereiht aufgelegt und anschließend zusammen-gespannt werden können. Die Stahlhohlkästen sollen eine Mindest-breite von 1,20 m und eine Konstruktions- höhe von mehr als 1/30 der Stützweite aufweisen. Die Länge der Module ergibt sich aus den jeweiligen Transportbedin-gungen, wobei lange Module die Anzahl der notwendigen Stöße und Schweiß-arbeiten auf der Baustelle verringern.

Die Montage der Stahlträger kann mit Kränen oder nach Vormontage auf einem Montageplatz über einem Einschub er- folgen. Die Lasten aus der Fahrbahnplatte tragen sich allein über die Stahllängs-träger ab. Bei großen Stützweiten ist es womöglich von Vorteil, auf den Hohlkäs-ten eine Betondruckplatte zu ergänzen, damit die Lasten aus der Fahrbahnplatte über einen Verbundquerschnitt abgetra-gen werden: Durch den Betonobergurt wird die Schwerachse des Querschnittes nach oben gezogen, so dass Beulsteifen im Stahlkasten vermieden oder ihre An- zahl reduziert werden können. Die Stege der Hohlkästen ragen über den Stahl hinaus und dienen als Schalung für die Verbundfuge.

3.3 FahrbahnsegmenteDie Fahrbahnplatte aus Beton mit der Güte C 50/60 wird in Segmente mit einer Regelbreite von 2,66 m aufgeteilt. Die Segmente mit einer Mindestdicke von 35 cm werden im Werk mit hoher Pass- genauigkeit, zum Beispiel im Kontaktver-fahren (Match-Cast-Methode), gefertigt, bei dem eine Seite eines bereits fertigge-stellten Teils als Schalung für das daran anzuschließende dient. Die Exaktheit der Querschnittsfläche ist die Voraussetzung dafür, dass sich die Segmente aneinan-dergereiht verlegen und mit Spannglie-dern zusammenspannen lassen, um über Kontakt Druckkräfte zu übertragen. Die Fahrbahnsegmente tragen die Lasten in Querrichtung auf die Längsträger ab. Sie werden in Längsrichtung des Seg- mentes im Spannbett vorgespannt. Die Spannlitzen sind im sofortigen Verbund und liegen in zwei Ebenen in einem Mindestabstand untereinander von 40 mm (Bild 19).

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131/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

S Y M P O S I U M

20 Anspannstelle der Spannglieder im Widerlager © SSF Ingenieure AG

21 Verlegen der Segmente am Beispiel der Brücke Greißelbach © SSF Ingenieure AG

Die Vorspannung unterbindet die Dekom-pression der Segmente. Zusätzlich wird in den Fahrbahnsegmenten eine Stahl- betonbewehrung zur Verteilung etwaig auftretender Risse bei Versagen einzelner Spannlitzen angeordnet. Diese Robust-heitsbewehrung wird durch die Abde-ckung des Rissmoments für den Grenz-fall einer vollständig ausgefallenen Vor- spannwirkung unter Ausnutzung der Fließgrenze des Betonstahls bemessen.In Brückenlängsrichtung sind die Fahr- bahnsegmente durch eine Verzahnung gekoppelt. Eine solche »Verdübelung« stellt die Ebenflächigkeit der Fahrbahn-segmente untereinander sicher und wirkt als Gelenk. Sie wird durch die Längsvor-spannung für alle Lastfälle überdrückt, so dass es zu keinen unplanmäßigen Pressungen und damit zu Abplatzungen kommt. Dabei befinden sich der Quer-kraftdübel und die Längsspannglieder in der Nulllinie der Segmente. Die Längsspannglieder ohne Verbund werden von der Kammer des Widerlagers aus angespannt und lassen sich zu jeder Zeit ohne Störung des überführten Ver- kehrs nachspannen, auswechseln und wieder anspannen (Bild 20). Dadurch kann die Längsrichtung der Fahrbahn ständig kontrolliert unter Druck gehalten werden. 3.4 Mehrfeldrige Bauwerke und MontageDie Fahrbahnplatte wird über alle Seg- mente von beiden Widerlagern aus mit Spanngliedern ohne Verbund vorge-spannt. Erst nach dem Aufbringen der Vorspannung erfolgt der Verbund zwi- schen der Betonfahrbahnplatte und den Längsträgern durch den Verguss der Ver- bundfuge. Durch diese späte Verbund- wirkung wird die Fahrbahnplatte vorge- drückt, ohne dass die Vorspannung in die Hauptträger abfließt. Für Zugspannungen über den Stützen sind in erster Linie nur die veränderlichen Einwirkungen rele- vant, da sich das Eigengewicht über die Stahlhohlkasten abträgt. Bei der Brücke in Greißelbach ist über die Längsspann-glieder eine Druckspannung in der Fahr- bahnplatte von ca. 3 MPa vorhanden.

Bei Durchlaufträgern überlappen die Spannglieder im Stützbereich und wer- den dort an der Unterseite der Fahrbahn-segmente angespannt. Reicht bei grö- ßeren Stützweiten eines Durchlaufträgers die Vorspannung aus den durchgehenden Spanngliedern nicht für das Überdrücken der Zugspannung über den Zwischenauf-lagern aus, können zusätzliche Spann-glieder im Stützenbereich angeordnet werden, die ebenfalls von der Unterseite der Fahrbahnplatte anzuspannen sind. Die Montage der Längsträger erfolgt mit einem Kran oder nach der Vormontage auf einem Montageplatz durch Einschie-ben hinter einem Widerlager. Nach Ab-

schluss der Montage werden die Auf- lagerpunkte für die Segmente auf den Stahlhohlkästen so justiert, dass sich nach dem Verlegen der Fahrbahnseg-mente die planmäßige Gradiente ergibt. Nach Justierung aller Auflagerpunkte werden, vom niedrigeren Widerlager aus- gehend, dann die Segmente aufgelegt und miteinander zusammengespannt. Das Verlegen der Segmente erfolgt idea- lerweise über Kranmontage (Bild 21). Nach der Montage aller Segmente wird die endgültige Längsvorspannung aufgebracht und die Verbundfuge verfüllt.

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14 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

3.5 Verbund: Fahrbahnsegmente mit LängsträgernDer Verbund zwischen den Fahrbahnseg-menten und den Stahllängsträgern er- folgt in einer Verbundfuge aus Beton. Auf den Stahlkästen aufgeschweißte Verbunddübelleisten, die in die Schub-bügel aus den Segmenten eingreifen, übertragen die Schubkräfte. Die Quer- zugkräfte aus den Verbunddübeln wer- den von den horizontalen Schenkeln der Schubbügel aufgenommen. Das Verfüllen der Verbundfuge mit selbstverdichten-dem Beton erfolgt pro Segment über vier runde Einfüll- und Entlüftungsrohre.

3.6 Beispiele für geplante VSM®-Querschnitte Für schmale Überführungen von Wirt- schaftswegen reicht ein Längsträger als Hohlkasten in der Brückenachse (Bild 22). Auf Abdichtung und Fahrbahnbelag kann bei geringer Streusalzbelastung verzich-tet werden. Der Hauptträger hat ein Ver- legegewicht von 60 t bei einer Stützweite von 48,00 m, die Segmente wiegen 19 t.Ein anderer Querschnitt für eine größere Stützweite und eine breitere Brücke lässt sich Bild 23 entnehmen. Dieser Quer-schnitt hat auf Wunsch des Bauherrn einige Merkmale, die in Deutschland nicht üblich sind. Nach französischem Vorbild erfolgt die Entwässerung des Überbaus über offene Rinnen, die auf den Fahrbahnsegmenten aufgelegt werden können. Abdichtung und Belag werden bis zum Kappenkopf geführt und die Betongleitwände auf den Belag aufgesetzt. Das Verlegegewicht der Längsträger liegt bei 70 t, das der Fahrbahnsegmente bei 35 t.

3.7 Vorteile der BauweiseDie VSM®-Bauweise macht Sinn, wenn Bauwerke in kürzester Bauzeit errichtet und wieder dem Verkehr übergeben werden sollen. Weitere Vorteile: – Die industrielle Serienfertigung der

Fahrbahnsegmente ist wirtschaftlich.– Weitestgehender Entfall der »hand-

werklichen« Arbeiten vor Ort.– Serielles bzw. automatisiertes Verlegen

der Bewehrung. – Entfall wesentlicher Bewehrungsleis-

tungen auf der Baustelle.– Rissefreiheit der Segmente durch

Vorspannung in Haupttragrichtung.

– Rissefreiheit der Brückenlängsrichtung durch externe Vorspannung.

– Überprüfung der Längsspannglieder istunter Verkehr möglich.

– Kurze Bauzeiten durch hohe Vorfertigung.

– Geringe Beeinträchtigung des Verkehrs.

– Weitgehende Unabhängigkeit vom Wetter beim Bauen.

– Niedrige Transport- und Montage-gewichte.

– Einfache und sichere Herstellung der planmäßigen Gradiente.

– Wirtschaftliche Gestehungskosten.– Niedrige Unterhaltskosten.

23 VSM®-Querschnitt einer Nationalstraße in Rumänien © SSF Ingenieure AG

22 VSM®-Querschnitt einer Feldwegbrücke in Rumänien © SSF Ingenieure AG

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151/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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ssf-ing.de

Entwicklung von Bauweisen im BrückenbauVFT-Bauweise VFT-WIB-Bauweise

VTR-Bauweise Modulbauweisen

© Firmengruppe Max Bögl/Reinhard Mederer

4 ZusammenfassungDie dynamische Entwicklung neuer Bau- weisen im Brückenbau, wie sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutsch-land stattgefunden hat, ist in den letzten beiden Jahrzehnten nur noch begrenzt zu beobachten. Die SSF Ingenieure AG arbeitet jedoch stetig weiter daran, neue Bauverfahren wie die seit 20 Jahren auf dem Markt befindliche VFT®-Bauweise und auch die VFT-WIB®-Bauweise zu etablieren. Eine vielversprechende Weiterentwicklung der Pilotprojekte mit direktbefahrener Fahrbahnplatte stellt aus unserer Sicht die in diesem Beitrag vorgestellte VSM®-Bau-weise dar, die in einem ersten Schritt zu- nächst noch mit Abdichtung und Belag konzipiert wird. Sobald sich durch die positiven Erfahrungen mit direkt befahre-nen Segmenten eine breite Akzeptanz solcher Fahrbahnsegmente einstellt, kann

auch bei der VSM®-Bauweise vollständig auf Abdichtung und Belag verzichtet wer- den. In diesem zweiten Entwicklungs-schritt kommen die Vorteile der modula-ren VSM®-Bauweise mit extrem dichten, industriell gefertigten Fahrbahnsegmen-ten dann vollständig zur Geltung. Wir hoffen, dass wir mit Unterstützung der Bauherren in Deutschland in abseh- barer Zeit ein entsprechendes Pilot- projekt realisieren dürfen.

Autoren:Dipl.-Ing. Victor SchmittAufsichtsrat Dipl.-Ing. Anton BraunVorstand Dr.-Ing. Thomas LechnerLeiter Entwicklung SSF Ingenieure AG,MünchenProf. Dr. Günter Seidl Fachhochschule Potsdam

Literatur[1] Allgemeine Bauartgenehmigung Z-26.4-56:

Stahlverbundträger mit Verbunddübelleisten in Klothoiden- und Puzzleform. Deutsches Institut für Bautechnik, Berlin, 14.05.2018.

[2] Barbaux, S.; Baryla, J.-M.; Chenallier, F.; Petitjean, J.;Piquet A.: PS Mixte en BHP à connexion différée. Le PS 13 sur A85. Bulletin de liaison diffusé par le Centre des Techniques d‘Ouvrages d‘Art du Service d‘Études Techniques des Routes et Autoroutes, No 36, Paris, Dezember 2000.

[3] Doss, W. et al.: VFT-Bauweise. Entwicklung von Verbundfertigteilträgern im Brückenbau; in: Beton- und Stahlbetonbau, 96. Jg., 2001, H. 4, S. 171–180.

[4] Schmitt, V. et al.: Verbundbrücke Pöcking. Inno-vative VFT-Träger mit Betondübeln; in: Stahlbau, 73. Jg., 2004, H. 6, S. 387–393.

[5] Schmitt, V.; Luft, N.; Petzek, E.: Muresviadukt in Simeria, Rumänien; in: Brückenbau, 5. Jg., 2013, H. 1/2, S. 13–17.

[6] Seidl, G. et al.: Segmentbrücke Greißelbach als Stahlverbundbrücke ohne Abdichtung und Asphalt; in: Stahlbau, 85. Jg., 2016, H. 2, S. 126–136.

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16 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Planung und Ausführung

Ersatzneubau der Talbrücke Rothof von Bernd Endres, Manfred Becker

Die im Zuge der Bundesautobahn A 7 südöstlich der Anschlussstelle Würzburg-Estenfeld liegende Tal- brücke Rothof wird bis Ende 2020 durch einen Neubau ersetzt. Das Bestandsbauwerk wurde 1965 fer- tiggestellt und besteht als achtfeld-rige Brücke aus einem Teilbauwerk mit einer Gesamtstützweite von 410 m. Der einzellige Überbau wurde als Stahlverbundquerschnitt mit Stahlhauptträgern und einer längs- wie quervorgespannten Fahrbahnplatte ausgebildet. Ihre Vorspannung erfolgte mit span-nungsrisskorrosionsgefährdeten Spannstählen, bei der Stahlkon-struktion werden zudem die rechne-rischen Spannungs- und Beulnach-weise für das Ziellastniveau LM 1 nicht eingehalten. Die Brücke über- führt die A 7 über Gleise der DB- Strecken Würzburg–Schweinfurt und Würzburg–Nürnberg sowie über eine Gemeindeverbindungs-straße, Wirtschaftswege und den Talraum des Landleitenbachs. Als Ersatzneubau ist eine achtfeldrige und 410 m lange Spannbetonbrü-cke mit Einzelstützweiten bis 60 m geplant, deren Herstellung im Takt- schiebeverfahren ohne Hilfsstützen erfolgt. Die bestehende Autobahn-trassierung wird im Wesentlichen beibehalten, so dass zur Aufrecht-erhaltung des Verkehrs aufgrund des einzelligen Bestandsbauwerks eine Errichtung in Seitenlage mit anschließendem Querverschub erforderlich wird. Die neue Brücke wird im Hinblick auf einen späteren Ausbau der A 7 bereits mit sechs Fahrstreifen konzipiert.

1 Lage und VerkehrsbelastungDie A 7 ist mit 962,20 km die längste deutsche Bundesautobahn und die zweitlängste durchgehende nationale Autobahn Europas. Sie führt als Nord-Süd-Achse von der dänischen Grenze durch Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Hessen, wechselt mehrfach zwischen Bayern und Baden-Württemberg und endet an der österrei-chischen Grenze bei Füssen.Östlich von Würzburg fahren zwischen der Anschlussstelle (AS) Würzburg- Estenfeld und dem Autobahnkreuz (AK) Biebelried ca. 40.000 Kfz/d, davon ca. 9.000 Lkw/d. Vor dem Hintergrund wei- ter steigender Verkehrszahlen wird der Ersatzneubau der Talbrücke Rothof auf einen sechsstreifigen Querschnitt mit Seitenstreifen ausgerichtet. Der sechs-streifige Ausbau der Autobahn im Ab- schnitt zwischen dem AK Schweinfurt-Werneck und dem AK Biebelried ist im geltenden Bedarfsplan für die Bundes-fernstraßen im »Weiteren Bedarf« mit Planungsrecht enthalten.

2 StraßenplanungFür die neue Talbrücke Rothof wird die bestehende Autobahntrassierung im Wesentlichen übernommen. Im Bau-werksbereich folgt die Autobahnachse im Grundriss einem Radius von 3.000 m. Die Gradiente verläuft im Brückenbereich im Bestand wie im Neubau in einer Wan- ne mit einem Ausrundungshalbmesser von 25.000 m. Die maximale Längsnei-gung auf der neuen Brücke beträgt 1,50 %. Zur Vermeidung von abflussschwachen Zonen auf der Brücke wurden Gradien-tenanpassungen im Vorfeld untersucht, allerdings aus wirtschaftlichen Gründen nicht weiter vertieft. Aufgrund der Trassierung stellt die Ent- wässerung der Brückentafel eine beson- dere Herausforderung dar. Die Brücken-planer mussten daher auf die unliebsame Ausbildung einer Pendelrinne auf dem Bauwerk zurückgreifen, um eine best- mögliche Entwässerung zu erreichen.

1 Lage im Straßennetz © Autobahndirektion Nordbayern

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171/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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3 Bestandsbauwerk und ErsatzneubauDie 410 m lange Bestandsbrücke wurde bis 1965 als einteilige Stahlverbundstruk-tur über acht Felder mit bis zu 60 m Stütz-weite errichtet und nach dem damaligen Stand der Technik nach DIN 1072 auf Brückenklasse 60 bemessen. Die Kon- struktionshöhe verläuft parabelförmig und variiert zwischen 3,40 m und ca. 5 m.Die Fahrbahnplatte liegt auf den beiden Stahlhauptträgern und den Querträgern auf und ist über Dübel mit den Stahl-obergurten verbunden. Sie ist in Längs- und Querrichtung vorgespannt: Zur Vor- spannung der vergleichsweise dünnen Fahrbahnplatte wurde spannungsriss-korrosionsgefährdeter Spannstahl verwendet.Der Brückenüberbau lagert auf Rollen-lagern mit Längsfesthaltung in Brücken-mitte. Die Stahlkonstruktion wurde im Freivorbau mit Hilfsstützen und Vorbau-gerät hergestellt, die Montagestöße wurden genietet.Die Besonderheit liegt in der Einleitung der Vorspannung in die Fahrbahnplatte durch Teilabsenken. Das Vorspannen der Fahrbahnplatte durch Absenken wurde nicht, wie damals üblich, durch Absen-ken über die Gesamtlänge der Brücke erreicht, sondern durch Absenken von Einzelabschnitten, die durch Montage-gelenke miteinander verbunden waren. Dadurch konnte die maximale Stapel-höhe von ca. 5 m auf 0,50 m deutlich reduziert werden.Aufgrund ihres schlechten Bauwerkszu-stands und ihrer statisch-konstruktiven Defizite muss die Talbrücke Rothof durch einen Neubau ersetzt werden: Im Rah- men der Nachrechnung hat sich gezeigt, dass sich das angestrebte Ziellastniveau LM 1 nicht erreichen lässt. Bei der Stahl- konstruktion ergeben sich deutliche rech- nerische Spannungsüberschreitungen.

Die Beulnachweise für die Einzelfelder der Stegbleche der Hauptträger können aufgrund der hohen Ausnutzung bzw. der vorhandenen Überschreitungen der zulässigen Längsspannungen an vielen Stellen nicht eingehalten werden. Weiter- hin weist die Spannbetonfahrbahnplatte rechnerische Defizite hinsichtlich ihrer Querkrafttragfähigkeit auf. Aufgrund der bestehenden Blechdickenabstufung an den Hauptträgern sind kaum System-reserven vorhanden, zudem werden die vorhandenen Beulsteifen den heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht. Im Rahmen der Bauwerkshauptprüfungen wurden zahlreiche Schäden festgestellt, dokumentiert in der Zustandsnote 3,0.Aufgrund der Gesamtheit der Defizite ist eine Grundinstandsetzung des Bestands-bauwerks wirtschaftlich und technisch nicht machbar. Die Stahlkonstruktion müsste an einer Vielzahl von Stellen verstärkt werden, was sich vor allem bei genieteten Lamellenkonstruktionen äußerst aufwendig gestaltet. Darüber hinaus entsteht bei dieser Art von Kon- struktion bei einem geplanten Fahrbahn-plattenaustausch eine besondere Pro-

blematik: Durch die Quer- und Längsvor-spannung, die eingeprägte Vorspannung durch überhöhtes Herstellen und nach- trägliches Ablassen des Überbaus sowie durch das Langzeitverhalten des Betons liegen in der Fahrbahnplatte rechnerisch kaum beherrschbare Spannungszustände vor. Bei einem bereichsweisen Rückbau und Ersatz der Platte ist es deshalb ausge-schlossen, dass sich die ursprünglichen Spannungs- und Verformungszustände wieder einstellen. Aufgrund des schlechten Bauwerkszu-stands, der Ergebnisse der Nachrechnung und Materialuntersuchung wurden zur Erhaltung bzw. Verlängerung der Lebens- dauer des Bauwerks ab dem Jahr 2011 Kompensationsmaßnahmen eingeleitet und realisiert:– Verlegung der Fahrspuren, so dass der

Lkw-Verkehr weitestgehend über die Längsträger abgewickelt wird.

– Überholverbot für Lkws mit gleich- zeitiger Verengung der Überholspur. – Instandsetzung der Längsentwässe- rung.– Durchführen von Sonderprüfungen.

2 Bestandsbrücke im Jahr 2016 ©Hajo Dietz/Nürnberg Luftbild

3 Querschnitt des Bestandsbauwerks © Autobahndirektion Nordbayern

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18 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

4 VariantenuntersuchungIm Rahmen der Vorplanung wurden verschiedene Überbauvarianten und Herstellungsverfahren untersucht:– Spannbetonhohlkasten, Stützweiten bis 60 m, Taktschiebeverfahren,– zweistegiger Spannbetonplatten-

balken, Stützweiten bis 40 m, Herstel-lung auf Vorschubrüstung oder Traggerüst,

– Stahlverbundhohlkasten, Stützweiten bis 70 m, Einschub,– Stahlverbundhohlkasten, Stützweiten

bis 85 m, Einschub.Zur Ausführung kommt nun ein Spann-betonhohlkasten, der im Taktschiebever-fahren bis 60 m Stützweite ohne Hilfsstüt-zen über dem Tal und über die kreuzen- den Bahnstrecken verschoben werden kann. Die gewählte Konstruktion ist auch für den notwendigen Querverschub gut geeignet.

5 EntwurfsplanungDie Überbauten werden in Ortbetonbau-weise ausgeführt und im Taktschiebe-verfahren hergestellt. In Längsrichtung werden sie sowohl intern mit nachträg-lichem Verbund als auch extern vorge-spannt, in Querrichtung sind sie schlaff bewehrt.

Bei Einzelstützweiten in Brückenachse von 35,00 m, 50,00 m, 4 x 60,00 m, 50,00 m und 35,00 m ergibt sich eine Gesamt-länge zwischen den Endauflagern von 410,00 m. Die Hohlkästen weisen über die gesamte Brückenlänge eine konstante Querschnittshöhe von 3,70 m auf. Aus der gewählten Konstruktionshöhe resultiert ein robustes Schlankheitsverhältnis h/l ≤ 1/16.

Die Breite der Bodenplatte des Hohlkas-tens beträgt 8,00 m. Die Kragarmlängen sind mit 3,55 m an den Außen- bzw. 3,20 m an den Mittelkappen vorgesehen, am Anschnitt sind die Kragarme 55 cm dick. Die Fahrbahnplatte hat in Überbau-mitte eine Dicke von 35 cm, beide Über- bauten werden in Spannbeton der Festig- keitsklasse C 45/55 hergestellt. Als Beton- stahl kommt B 500B zur Anwendung, die Vorspannung erfolgt mit Spannstahl 1660/1860 (intern) und 1570/1770 (extern).

4 Visualisierung der neuen Talbrücke Rothof © Leonhardt, Andrä und Partner AG

5 6 Neubau in Draufsicht und Längsschnitt © Autobahndirektion Nordbayern

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191/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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Der Überbau liegt durchgehend auf Kalottenlagern mit Längsfesthaltung in drei Pfeilerachsen in Brückenmitte auf. An beiden Widerlagern werden geräusch-arme, mehrprofilige und wasserdichte Fahrbahnübergänge eingebaut.Die massiven Pfeiler haben einen verän- derlichen Querschnitt mit einer Neigung von 40:1 in Längs- und 25:1 in Querrich-tung. Der Pfeilerkopf mit 6,30 m Höhe weitet sich nach oben auf und bietet aus- reichend Platz für die Lager und die An- ordnung der Pressen vor und hinter dem Lagersockel bei ihrem Tausch. Die Quer- schnittsausbildung der Pfeiler ergibt sich aus zwei Stielen mit veränderlichen Rechteckquerschnitten.Die Oberflächen der Pfeilerköpfe und Pfeilerschäfte werden analog jenen der Widerlager in Sichtbetonqualität mit sägerauer Brettstruktur hergestellt, für die Spiegelflächen der Pfeiler wird eine gehobelte Brettschalung mit horizon-talem Schalungsverlauf ebenfalls in Sichtbetonqualität vorgesehen. Die Widerlager und Pfeiler der neuen Brü- cke werden mittels bis zu 20 m langer Großbohrpfähle mit einem Durchmesser von 1,50 m tief gegründet.Die bestehende Autobahntrassierung wird im Wesentlichen übernommen, so dass zur Aufrechterhaltung des Verkehrs aufgrund des einzelligen Bestandsbau-werks eine Errichtung in Seitenlage mit anschließendem Querverschub erforder-lich wird.Als Bauzeit sind vier Jahre vorgesehen. Die Gesamtkosten für den Neubau und den Abbruch der Talbrücke Rothof betra- gen ca. 40 Mio. € und werden von der Bundesrepublik Deutschland getragen.

6 Bauausführung6.1 BauphasenDie Errichtung der neuen Talbrücke Rot- hof gliedert sich im Wesentlichen in zwei Hauptbauabschnitte. Im ersten Abschnitt wird die Bauwerks-hälfte in Fahrtrichtung Fulda in östlich versetzter Lage auf provisorischen Unter- bauten neben der bestehenden Brücke hergestellt. Die Herstellung erfolgt im Taktschiebeverfahren ohne zusätzliche Hilfspfeiler zwischen den Pfeilerachsen, der Taktkeller befindet sich hinter dem Widerlager Fulda in Achse 10. Danach

wird eine 4+0-Verkehrsführung einge-richtet und der Verkehr auf den neuen Überbau in Seitenlage umgeleitet. An- schließend wird die Bestandsbrücke abgebrochen.Im zweiten Bauabschnitt wird die Bau- werkshälfte in Fahrtrichtung Würzburg in endgültiger Lage ebenfalls im Takt- schiebeverfahren erstellt. In jenem Bau- abschnitt werden auch die endgültigen Unterbauten für die Fahrtrichtung Fulda errichtet.

7 Regelquerschnitt des Neubaus © Autobahndirektion Nordbayern

8 Ausbildung eines Pfeilers © Autobahndirektion Nordbayern

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20 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Nach Fertigstellung dieser Bauwerkshälfte wird der 4+0-Verkehr auf den neuen Über- bau umgeschwenkt und jener der Fahrt- richtung Fulda in seine Endlage querver-schoben. Nach den erforderlichen Ergän- zungsarbeiten wie Einbau der Lager und Übergangskonstruktionen, Hinterfüllung, Entwässerung etc. kann der Verkehr plan- mäßig auf der neuen Brücke geführt werden.Die Herstellung der Beckenanlage erfolgt nach dem Querverschub und dem Ab- bruch der Behelfspfeiler.

6.2 BehelfsunterbautenDie Stützweiten der Pfeiler und Widerla-ger entsprechen jenen des endgültigen Bauwerks. Die Pfeiler haben einen recht- eckigen Hohlquerschnitt und werden in Abschnitten von 5 m mit Kletterschalung hergestellt, ihre Gründung erfolgt über Fundamente und Bohrpfähle mit 150 mm Durchmesser bis in den tragfähigen Bau- grund. Das Widerlager wird als »Spar-widerlager« ausgeführt und ebenfalls über Bohrpfähle gegründet.

10 Herstellung der Hilfspfeiler in Seitenlage © Porr Deutschland GmbH

9 Behelfsunterbauten und Verschubbahn für den Querverschub © Autobahndirektion Nordbayern

Bei beiden Widerlagern wird für die Bau- grubenerstellung ein verankerter Verbau zur bestehenden Trasse angeordnet, der beim zweiten Bauabschnitt umgeankert

wird. Nach dem Querverschub des ersten Überbaus werden die Behelfseinrichtun-gen bis 1 m unter Geländeoberkante abgebrochen.

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211/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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22 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

6.3 Herstellung der Überbauten Die Überbauherstellung erfolgt im Takt- schiebeverfahren, wobei der Taktkeller hinter dem Widerlager Fulda, und zwar sowohl in der Behelfslage als auch in der Endlage, angeordnet wird. Der Taktkeller beginnt 25 m hinter dem Widerlager, hat eine Schal- und Betonierstation mit einer Länge von 30 m und weitere 30 m Länge für die Bewehrungsvorfertigung von Bodenplatte und Stegen. Die in die- sem Bereich erforderlichen Spannglieder werden ebenfalls vormontiert angelie- fert und im Zuge der Bewehrungsvor-fertigung eingebaut. Der eingesetzte Stahlvorbauschnabel hat eine Länge von 36 m und eine Spur- breite von 7,20 m in der Verschubachse. Die Hubreibeanlage vom Typ AH 317 befindet sich auf dem Widerlager.Pro Woche wird ein Takt mit einer Länge von 23–30 m realisiert, wobei jeden Mon- tagvormittag der neuhergestellte Über- bauabschnitt vorgeschoben wird. Der Überbau besteht aus insgesamt 15 Tak- ten, so dass er letztlich in vier Monaten zu errichten ist. Der Ablauf des Taktschiebens im Wochen-takt gestaltet sich folgendermaßen:– Montag: Aufbringen der Längsvor-

spannung, Verschub, Fertigstellung der Schalung, Einziehen des Bewehrungs-korbs, Schalarbeiten an Bodenplatte und Steginnenschalung.

– Dienstag: Schalarbeiten an Boden-platte und inneren Stegen, Betonage der Bodenplatte und Stege, Ausscha-len der Steginnenschalung, Aufhängen der Konsolen für den Deckentisch und Herausziehen des Deckentischs aus dem vorherigen Abschnitt.

– Mittwoch: Ausschalen der Stege, Auf-hängen der Deckentischkonsolen, Herausziehen des Deckentischs, Be- wehren der Fahrbahnplatte, beglei-tende Spanngliedverlegung, Schalen der Koppelfuge.

12 Vorfertigung von Bewehrung, Taktkeller und Überbau © Porr Deutschland GmbH

11 Vorbauschnabel zur Überbauerstellung © Porr Deutschland GmbH

– Donnerstag: Bewehren der Fahrbahn-platte, begleitende Spanngliedverle-gung, Schalen der Koppelfuge, Rest- arbeiten an der Fahrbahnplatte, Vorbereiten der Betonage.

– Freitag: Betonage und Glätten der Fahrbahnplatte, Umlegen der Spannglieder.

– Samstag: Ausschalen der Koppel-stellen, Säubern der Schalung, Reini- gung des Überbaus, Vorbereitung für Vorspannarbeiten, Schalen der Stützquerträger bzw. Lisenen in Bewehrungsvorfertigung.

– Montag bis Samstag: Bewehren des jeweils nächsten Trogquerschnitts einschließlich Stützquerträger und Umlenklisenen in der Bewehrungs-vorfertigung mit Spanngliedverle-gung in der Bodenplatte.

Bei Taktlängen bis 30 m, Überbauabmes-sungen von 3,70 m Konstruktionshöhe und einer Fahrbahnplattenbreite von 17,55 m und den zu verarbeiteten Men- gen wie 450 m³ C 45/50, 100 t Bewehrung und 14–16 Stück Spanngliedern ist die Taktherstellung im Wochentakt nur im Zweischichtbetrieb zu gewährleisten. In einem Zeitraum von vier weiteren Monaten wird der Überbau mit Lagern, Übergangskonstruktionen, externer Vorspannung, Kappen, Geländer, Schutz- einrichtungen und Fahrbahnbelag vervollständigt.

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231/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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6.4 Endgültige UnterbautenDie Gründung der Pfeiler und Widerlager erfolgt einheitlich über Fundamente auf Großbohrpfählen mit 1,50 m Durchmes-ser, wobei wegen der anstehenden Böden die Verrohrung bis zum Pfahlfuß nieder- gebracht werden muss.Die Widerlager werden als kastenförmige, begehbare Hohlkörper errichtet, die ent- sprechend der Richtzeichnung (RiZ) Zug 4 und Zug 6 über einen Einstieg an der Vor- derseite verfügen. Sie erhalten zudem einen Wartungsgang und einen Besich-tigungssteg. Die massiven Pfeiler mit veränderlichem Querschnitt werden in 5-m-Abschnitten mittels Kletterschalung hergestellt.

13 Baustelle im Sommer 2018: Taktschieben in Seitenlage © Hajo Dietz/Nürnberg Luftbild

16 Vierspurige Verkehrsführung auf neuem Überbau in Ersatzlage © Porr Deutschland GmbH

14 15 Baustelle im Herbst 2018: Ausbau der Brücke in Seitenlage © Hajo Dietz/Nürnberg Luftbild

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24 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

6.5 Abbruch des BestandsbauwerkesBeim Bestandsbauwerk handelt es sich um eine Stahlverbundbrücke aus den 1960er Jahren. Die Fahrbahnplatte liegt kontinuierlich auf den beiden Stahlhaupt-trägern und den Querträgern im Abstand ca. 2,00 m auf, ist über Dübel mit dem Stahlobergurt verbunden und in Längs- wie Querrichtung vorgespannt. Die Stahl- konstruktion wurde mit Hilfsstützen in drei Abschnittslängen, bezogen auf die Brückenlänge, unter Verwendung von Gelenken hergestellt. Die Umlagerung der Zug- und Druckspannungen im Tragwerk wurde durch Ausnutzung der Gelenke, das Heben und Senken der Hilfsstützen nach Betonage der Fahr-bahnplatte und den Verschluss der Gelenke erzielt.Der Rückbau des Überbaus erfolgt, be- ginnend am Widerlager Fulda, abschnitts-weise über die gesamte Brückenlänge bis zum Widerlager Würzburg. Hierzu werden als vorbereitende Maßnahmen der Fahrbahnbelag einschließlich Dich- tungsschicht und Mittelkappe zurück- gebaut.Zur Aufrechterhaltung der Tragfähigkeit des abzubrechendes Bauwerks wird pro Feld eine Hilfsstütze angeordnet, die je nach Abbruchzustand kraftgesteuert ist. Weiterhin verbleibt ein Druckglied auf den Längsträgern zur temporären Konser-vierung des Verbundbauquerschnittes sowie zum kontrollierten Abbau der Druckspannungen. Dazu wird die Fahr- bahnplatte mittels Betonschneidens jeweils beidseitig neben den Längs-trägern in Abschnitten durchtrennt.

Danach beginnen das Abstemmen der Kragarme und der Fahrbahnplatte. Das 50 cm breite Betondruckglied über den Längshauptträgern bleibt beim Rückbau der Fahrbahnplatte erhalten. Damit durch den Stemmbagger keine lokale Belastung auftritt, werden Baggermatratzen zur Lastverteilung angeordnet. Im Bahnbe-reich wird die Fahrbahnplatte nur durch

Trennen bzw. Schneiden in Segmente geteilt und dann mit einem Kran heraus- gehoben sowie abtransportiert. Weiterhin wird zum Schutz des Bahnbereiches ein entsprechendes Gerüst montiert, für des- sen Aufbau ebenso wie für den Aushub der geschnittenen Teile aus sicherheits-technischen Gründen eine Sperrpause im Zugverkehr eingeplant ist.

17 18 Detailpläne: Traverse, Windverbände und Längsträgersteifen © Porr Deutschland GmbH

19 Übersicht Phasen 7–12 des Rückbaus © Porr Deutschland GmbH

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251/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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Die verbliebene Stahlkonstruktion wird mit den vorhandenen Längsträgern, dem Druckglied und den noch existierenden Queraussteifungen in Abschnitten von 10 m Länge sukzessive mit dem Rückbau der Fahrbahnplatte vom restlichen Stahl- verbund getrennt und mittels Autokran ausgehoben.Nach Beendigung dieser Arbeiten erfolgt im Nachlauf der mechanische Abbruch der Unterbauten.

6.6 Querverschub des ersten Überbaus Nachdem die endgültigen Unterbauten mit dem zweiten Überbau in Endlage er- richtet wurden, erfolgt die Verkehrsum-legung von der Seitenlage auf den zweiten Überbau (4+0).Die Behelfspfeiler stehen in der Achse parallel zu den Pfeilern der Endlage. Da- zwischen wird als Tragkonstruktion für die Verschubbahn ein Stahlbetonbalken hergestellt. Die Verschubbahn kommt in allen Pfeiler- und Widerlagerachsen zum Einsatz. Das Verschubpaket ist kraftge-steuert und wird zwischen den beiden Lagern in jeder Achse angeordnet. Die in der Ersatzlage eingebauten endgülti-gen Lager und Übergangskonstruktionen müssen für den Querverschub vorbereitet werden. Die Übergangskonstruktionen werden am Behelfswiderlager gelöst, mit einer Tragkonstruktion gesichert und ver- bleiben am Überbau. Ähnlich ist es bei den Lagern, deren Unter- und Oberteil in der vorgefundenen Stellung miteinander verschraubt, und gleichzeitig von der unteren einbetonierten Lagerplatte gelöst werden. Danach wird an allen sieben Achsen eine Zugvorrichtung angebracht. Der Verschub erfolgt synchron, kraftgesteuert und wird mit Monitoring überwacht und gesteuert. Das Gesamtgewicht des zu verschieben-den Überbaus beträgt ca. 17.000 t.Nach dem Verschub in die Endlage wer- den die Lager auf den Endpfeilern gemäß Versetzplan eingebaut und vergossen. Gleiches geschieht mit den Übergangs-konstruktionen, die in die neuen Kam- merwände einbinden.Nach Realisierung der Anschlüsse, der endgültigen Fahrbahnmarkierung und der Verkehrssicherheitseinrichtungen wird der Verkehr auf die beiden neuen Überbauten verlegt.

6.7 Abbruch der BehelfsunterbautenNach dem Querverschub erfolgt der mechanische Abbruch bzw. Rückbau der Behelfsunterbauten mit anschließender Rekultivierung des Baufeldes.

7 Zahlen und FaktenGründung auf Großbohrpfählen mit D = 1,50 m:– Anzahl: 224 Stück– Länge: 4.055 mÜberbau mit 410 m Länge, 15 Takte à 23–30 m, Mengen:– ca. 12.500 m³ Beton – ca. 2.700 t Bewehrung– ca. 450 t Spannstahl zentrisch– ca. 100 t Spannstahl extern Sieben Pfeilerachsen mit Höhen bis 28 mBehelfslage Widerlager, Hohlpfeiler und Pfahlkopfplatten:– Bewehrung 395 t– Beton 2.610 m³– 112 Pfähle mit D = 1,50 m– 1.000 lfdm PfähleEndlage Widerlager, Vollpfeiler und Pfahlkopfplatten:– Bewehrung 910 t– Beton 6.220 m³Provisorische Dammschüttung zur Herstellung in Ersatzlage – Volumen: ca. 30.000 m³

Autoren: Ltd. Baudirektor Dipl.-Ing. (Univ.) Bernd EndresAutobahndirektion Nordbayern,NürnbergDipl.-Ing. Manfred Becker, Niederlassungsleiter Porr Deutschland GmbHZweigniederlassung Berlin

Bauherr Bundesrepublik Deutschland

AuftragsverwaltungAutobahndirektion Nordbayern, Nürnberg

Entwurfsplanung Leonhardt, Andrä und Partner, Beratende Ingenieure VBI AG, Nürnberg

Ausführungsplanung Stähler + Knoppik Ingenieurgesellschaft mbH, Neu-Isenburg

Prüfingenieur Dr.-Ing. Andreas Jähring, München

Bauleitung und BauüberwachungProf. Dr.-Ing. H. Bechert + Partner, Ingenieurbüro für Bauwesen, Schleiz-Gräfenwarth

AusführungPorr Deutschland GmbH, Berlin

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26 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Konzept und Ausführung

Abbruch der Talbrücke Heidingsfeld von Tobias Bäumler, Tobias Schmidt

Die Bundesautobahn A 3 ist Euro- pastraße und Bestandteil des trans- europäischen Verkehrsnetzes. Sie verbindet die Beneluxstaaten mit Südeuropa und innerhalb Deutsch-lands Bayern mit den Zentren am Rhein. Sie zählt damit zu den be- deutendsten Strecken im Netz der Bundesautobahnen. Seit ihrer durchgehenden Fertigstellung zwischen Aschaffenburg und Nürn- berg Mitte der 1960er Jahre hat der Verkehr sich bis heute etwa verdrei-facht. Im Bereich um Würzburg fahren derzeit über 78.000 Kfz/d, davon ca. 17.000 Lkw/d. Der bis- herige Trend wird sich in Form von weiter steigendem Personen- und Schwerverkehr fortsetzen. So wird die tägliche Gesamtverkehrsbelas-tung auf bis zu 100.000 Kfz/d stei- gen, davon über 20.000 Lkw/d. Nur mit einem sechsstreifigen Ausbau kann diese Verkehrsmenge heute und zukünftig sicher und staufrei bewältigt werden. Der sechsstrei-fige Ausbau der Bundesautobahn A 3 im Stadtgebiet von Würzburg und damit zwischen der Anschluss-stelle Würzburg-Heidingsfeld und der Mainbrücke Randersacker sieht vor, die Trasse bis zu 12 m abzusen-ken und auf einer Länge von 570 m in einen Tunnel zu verlegen. Im Anschluss an den neuen Katzen-bergtunnel muss auch die alte Talbrücke Heidingsfeld abgebro-chen und neu errichtet werden. Der Abbruch dieser schlanken, materialoptimierten Stahlverbund-brücke, die über eine Bahnstrecke, über Stadtstraßen und eine Stadt-bahn führt, stellt für Bauherrn, beteiligte Planer und Firmen eine ganz besondere Herausforderung dar.

1 Ausbauabschnitt der A 3Im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen ist der sechsstreifige Ausbau von der An- schlussstelle (AS) Aschaffenburg bis zum Autobahnkreuz (AK) Biebelried als vor- dringlicher Bedarf ausgewiesen. Mit dem sechsstreifigen Ausbau wird eine leis- tungsfähige und den heutigen Anforde-rungen gerechte Verkehrsverbindung geschaffen.

1 Lage im Netz © Autobahndirektion Nordbayern

2 Ausbau im Stadtgebiet Würzburg © Autobahndirektion Nordbayern

Der Ausbau der 94 km langen Gesamt-strecke soll bis Herbst 2021 verkehrs-bereit fertiggestellt sein. Mit 76 km sind bereits 81 % fertig ausgebaut, 18 km im Spessart und bei Würzburg noch in Bau. Mit dem Autobahnausbau werden ins- gesamt zehn Großbrücken ertüchtigt, eine davon ist die derzeit in Realisierung befindliche Talbrücke Heidingsfeld.

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271/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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2 Bestandsbrücke2.1 Konstruktion Die bestehende Talbrücke Heidingsfeld, eine zweistegige Stahlverbundplatten-balkenkonstruktion mit stählernen Voll- wandhauptträgern im Abstand von 23,00 m, deren Hauptträger eine Höhe zwischen 5,00 m und 6,00 m haben, und einer Spannbetonfahrbahnplatte, spannt mit neun Feldern über insgesamt 664,40 m. Die Einzelstützweiten betra-gen 64,40 m, 6 x 80 m, 64 m und 56 m.

3 Talbrücke Heidingsfeld im Jahr 1965, Blick in Richtung Frankfurt am Main © Willi Dürrnagel

4 Bestandsbauwerk im Jahr 2014, Blick in Richtung Nürnberg © Autobahndirektion Nordbayern

5 Bestandsplanung: Längsschnitt Teil 1 © Autobahndirektion Nordbayern

7 Bestandsplanung: Querschnitt in Feld- und Stützbereich © Autobahndirektion Nordbayern

6 Bestandsplanung: Längsschnitt Teil 2 © Autobahndirektion Nordbayern

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28 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Zusätzlich befinden sich in den Stützbe-reichen des Durchlaufträgers Fachwerk-querträger, die zur Stabilisierung der druckbeanspruchten Untergurte der Hauptträger dienen. Der Verbund zwi- schen den Stahlbau- und den Betonbau-teilen der Fahrbahnplatte wird durch Blockdübel und aufgeschweißte Stahl- schlaufen sichergestellt.In den Drittelspunkten der Fahrbahn-platte zwischen den Stegen sind zwei lastverteilende Fachwerkslängsträger. In Brückenlängsrichtung wird die Fahr- bahnplatte in einem Abstand von 2,00 m über Querträger aus geschweißten I-Pro- filen mit einer Höhe von ca. 1,00 m unter- stützt. Diese Querträger bilden zusam-men mit den Vertikalsteifen der Voll-wandhauptträger die Querrahmen des Brückenquerschnitts.Die Vorspannung der Fahrbahn in Quer- richtung konzentriert sich auf den Bereich über den Hauptträgern. Nur über den Pfeilern wurde die Quervorspannung über die gesamte Brückenbreite geführt. In den Stützbereichen ist zusätzlich eine Vorspannung in Längsrichtung vorhan-den, die sich jeweils ca. 10 m in die an- grenzenden Felder hinein erstreckt.Der Festpunkt der Brücke liegt in Achse IV. Für die Lagerung auf den Pfeilerachsen kamen Stelzenlager zur Ausführung, die, mit Ausnahme der Achse IV, über den Drehpunkt am Fußpunkt Längenände-rungen des Überbaus aufnehmen kön- nen. Auf den Widerlagern wurden Rollen- lager mit seitlicher Zahnradführung ein- gesetzt, in Querrichtung sind die Stelzen- und Rollenlager konstruktionsbedingt fest. Der Überbau der Brücke lagert auf zwei flachgegründeten Widerlagerachsen in Achse 0 und IX sowie auf 8 Pfeilern in den Achsen I–VIII, die zum Teil mit Rammpfählen tiefgegründet wurden (Achse IV–VII).Die begehbaren Widerlager stellen eine aufgelöste Konstruktion aus ausgesteif-ten Längs- und Querscheiben dar. Eine Pfeilerachse wird in Querrichtung aus zwei Pfeilerstielen, je Hauptträger ein Stiel, gebildet, die im Kopfbereich durch einen vorgespannten Querträger mitein- ander verbunden sind. Stiele und Quer- träger sind begehbare Hohlquerschnitte.

2.2 Bau der BestandsbrückeNeben dem Rückbau ist auch die eigent- liche Bauweise interessant und soll nach- folgend kurz erläutert werden.Zunächst erfolgte die Herstellung der Widerlager, Pfeiler und Hilfsstützen, die in jedem Feld als Zwischenunterstützung für die Montage des Überbaus dienten.

8 Bestandsplanung: lastverteilende Längsträger © Autobahndirektion Nordbayern

9 Brückenunterseite im Jahr 2016 © Ed. Züblin AG

10 Herstellung der Unterbauten in Achsen VI–IX © Willi Dürrnagel

Pfeiler und monolithische Hilfspfeiler wurden im Gleitbauverfahren errichtet, im Bahnfeld, Feld 3 zwischen den Achsen II und III, und den Randfeldern kamen Stahlhilfsstützen zum Einsatz.

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291/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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Im Anschluss an die Herstellung der Unterbauten erfolgte die schussweise Montage der Stahlkonstruktion (Schuss-längen: im Feld ca. 18,00 m, Stütze ca. 14,00 m) sowie des temporären Mon-tage- und Windverbandes, beginnend am Widerlager Frankfurt (Achse 0) in Richtung Nürnberg mit einem oben auf dem Stahlbau fahrenden Derrickkran. Da die Hilfsstützen nur in Feldmitte an- geordnet waren, lässt sich die Stahlbau-montage als Mischung aus Freivorbau und Herstellung mit Hilfsunterstützung bezeichnen. Die Besonderheit der Herstellung lag in einer bauzeitlich planmäßigen überhöh-ten Lagerung bis zu ca. 2,10 m über den Pfeilern in Brückenmitte bei einer gleich- zeitigen planmäßigen Unterhöhung an den Widerlagerachsen von ca. 1,10 m und der sich daran anschließenden weiteren Herstellfolge: – Betonage der Feldbereiche 1–6

zwischen den Viertelspunkten,– Ausbau der Hilfsstützen in den Feldern

1, 2 und 3,– Betonieren des Stützbereiches I und

des Feldbereiches 7,– Ausbau der Hilfsstützen 4, 5 und 6,– Betonieren des Stützbereichs III und

der Feldbereiche 8 und 9,– Ausbau der Hilfsstützen 7, 8 und 9,– Betonage der Stützbereiche V und VII,– Betonage der Stützbereiche II, IV, VI

und VIII,– Aufbringen der Längsvorspannung in

den Stützbereichen und Ausbau des Montage- und Windverbandes sowie

– Absenken des Überbaus über den Pfeilerachsen um bis 2,80 m (Achse IV, Festpunkt) bei gleichzeitigem Anheben des Überbaus über den Widerlager-achsen um bis 1,50 m.

Die Brücke wurde somit im Sinne der Materialoptimierung nochmals quasi in sich vorgespannt und damit ihre Trag- fähigkeit erhöht.Im Anschluss an das Ab- und Aufstapeln und das Einlagern erfolgten das Aufbrin-gen der Ausbaulasten und die Fertig-stellung. 2.3 Weitere Besonderheiten Die Hauptlängsträger wurden auf etwa halber Höhe auf kompletter Brückenlän-ge mittels verbliebener Schraublasche für die Montage gestoßen und anschließend verschweißt. Als Stützquerträger über den Pfeilerachsen wurde mittig nur eine Fachwerkscheibe als Querfachwerk angeordnet.Die horizontalen und vertikalen Steifen bzw. Beulsteifen wurden lediglich auf der Hauptträgerinnenseite mit einem Längs- abstand von ca. 2,00 m, entsprechend

dem Querträgerabstand, angeordnet und in vertikaler Richtung strikt nach Beanspruchung mit Abständen zwischen 0,45 m und 0,95 m und Versätzen zwi- schen den Einzelfeldern gestaffelt.Die Hauptträger wurden als Doppel-T-Schweißprofil ausgebildet. Die Stegblech-dicken belaufen sich im Feld auf 10 mm bei gleichzeitigen Träger- bzw. Steghö-hen bis ca. 6 m. Zusätzlich wurden die Hauptträger mit bis zu fünf zusätzlichen Untergurtlamellen zuzüglich weiterer Stoßlaschen verstärkt. Im Stützbereich erhöht sich die Stegblechdicke von 10 mm über 12 mm und 14 mm auf 16 mm. Außerdem wurden zwei 20 mm dicke Untergurtlamellen zuzüglich weiterer Stoßlaschen angeordnet. Die Unter- gurtlamellen im Feld- und Stützbereich sind untereinander längs und quer verschweißt und im Stoßbereich zusätzlich verschraubt.

12 Herstellung der Fahrbahnplatte, Stützbereiche IV und VI noch nicht betoniert © Autobahndirektion Nordbayern

11 Stahlbaumontage im Bahnfeld zwischen Achse II und III © Autobahndirektion Nordbayern

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30 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

2.4 Schäden am BestandsbauwerkAufgrund der hohen Schwerverkehrs-belastung und seinerzeit statisch nicht richtig berücksichtigter Lastfälle, wie zum Beispiel Temperatureinwirkung, weist das Bauwerk erhebliche Schäden an tragenden Bauteilen auf. Betroffen sind vor allem die Haupt- und Querträ-gerstege sowie die Stegaussteifungen.Infolge der vorhandenen Schäden wurde die Brücke statisch untersucht mit dem Ergebnis, dass die Nachweise im Grenz- zustand der Tragfähigkeit nur für die Brü- ckenklasse 60 möglich sind. Die Stand-sicherheit des Bauwerks war aufgrund der Schäden an den Schweißstößen der

Untergurtlamellen der Vollwandhauptträ-ger und der Risse in den Schweißnähten des Anschlusses der Vertikalsteifen an die Hauptträger jedoch nur noch für eine Restnutzungsdauer von wenigen Jahren gewährleistet. Bis zur Fertigstellung des erforderlichen Ersatzneubaus waren daher einschnei-dende verkehrliche Kompensationsmaß-nahmen, wie die Sperrung der Seiten-streifen, die Anordnung eines Überhol- verbots für Lkws sowie strenge Auflagen für Schwertransporte, erforderlich.Darüber hinaus wurden jährliche Sonder- prüfungen durchgeführt. Seit der Frei- gabe der neugebauten Richtungsfahr-bahn Frankfurt im März 2018 ist die alte Talbrücke Heidingsfeld nicht mehr unter Verkehr und damit bereit für den Abbruch. 3 Abbruch der Bestandsbrücke3.1 Konzept der AusschreibungDie Ausschreibung des Abbruchs der Bestandsbrücke sah vor, nach dem Ab- fräsen der Asphaltdeck- und Schutz-schicht und nach dem Abtragen der Ab- dichtung den Überbau jeweils feldweise zunächst durch Abbrechen der Fahrbahn-platte auf kompletter Länge zu leichtern.

Da der Abbruch zum einen Voraussetzung für den Neubau der zweiten Richtungs-fahrbahn ist und zum anderen die Topo- graphie des Bahnfeldes und somit die Andienung des Feldes von unten als schwierig gelten, war vorgesehen, zwei obenfahrende Schutzgerüste einzuset-zen, die nach dem Rückbau der Fahr-bahnplatte im Feld II–III mit dem Abbruch der Stahlkonstruktion oberhalb der Bahn nach dem Prinzip des umgedrehten Frei- vorbaus (Trennschnitt in Feldmitte, seg- mentweiser paralleler Rückbau der Stahl- konstruktion von Feldmitte jeweils in Richtung der Pfeiler II und III) beginnen sollten.Nach Abbruch des Bahnfeldes war ge- plant, mit dem ersten Schutzgerüst die Platte von Achse II in Richtung Achse 0 zu leichtern und anschließend die Stahl- konstruktion des Feldes I–II mittels Litzentechnik abzulassen. Der Rückbau des Feldes 0–I war durch segmentweises Demontieren unter Einbezug von Hilfs- stützen vorgesehen. Das zweite Schutzgerüst sollte nach Rückbau des Bahnfeldes zum Abbruch der Platte von Achse III in Richtung Achse IX dienen. Parallel dazu war der Aufbau von Hilfsstützen in den Feldern VII–VIII

14 Rückbaukonzept der Ausschreibung © Autobahndirektion Nordbayern

13 Schadensbild bei Untergurt und Vertikalsteifen © Autobahndirektion Nordbayern

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und VIII–IX, der Heuchelhofstraße, ge- plant. Für den Abbruch der geleichterten Stahlkonstruktion war vorgesehen, die Konstruktion ungefähr in Mitte des Feldes VI–VII zu trennen, anschließend das halbe Feld VI–VII mit Litzentechnik abzusenken und danach den Abbruch wiederum in zwei getrennten Rückbaurichtungen weiter fortzusetzen.Mittels Litzentechnik sollte feldweise, beginnend mit Feld V–VI, der Stahlüber-bau in Richtung des Brückenfestpunktes auf Achse IV, jedoch entgegen der Mon- tagerichtung der neuen zweiten Rich- tungsfahrbahn abgelassen werden. Durch Herausziehen der geleichterten Feldbe-reiche VI–IX einschließlich des verbliebe-nen Kragarmes des halben Feldes VI–VII und das segmentweise Abtrennen in einem Taktkeller hinter dem Widerlager in Achse IX sollte der restliche Teil des Stahlüberbaus abgebrochen werden.Der Rückbau der Pfeiler Achse II und III sollte jeweils mittels Fallrichtungsspren-gung erfolgen, wobei geplant war, dass der Pfeiler in Achse II in Richtung des Feldes I–II und der Pfeiler in Achse III entgegengesetzt in Richtung des Feldes III–IV kippt, um die Bahnanlagen weitest- gehend zu schützen.Für die Pfeiler der Achsen V, VI und VII sowie die Hilfsstütze im Feld VII–VIII sollte ein Sprengabbruch oberhalb von 35 m über Gelände erfolgen. Der Abbruch der

Pfeilerschäfte bis 35 m Höhe über Ge- lände sowie der Komplettabbruch der Pfeilerachsen I, IV und VIII waren mit Abbruchzangen und Longfrontbaggern vorgesehen.Die Beseitigung der Unterbauten sollten der Teilabbruch des Widerlagers in Achse 0 bis auf die Taktkellerhöhe für die Mon- tage des Stahlhohlkastens der neuen Richtungsfahrbahn Nürnberg sowie der Komplettabbruch des Widerlagers Achse IX abschließen.

3.2 Alternatives RückbaukonzeptDas mit der Ausführungsplanung im eigenen Hause betraute Technische Büro Konstruktiver Ingenieurbau der Zentralen Technik der Ed. Züblin AG entwickelte zusammen mit dem Bereich Brückenbau Süd-Ost im Zuge der Erstellung der Ab- bruchplanung ein alternatives Abbruch-konzept, das auf der grundlegenden Idee basierte, die Fahrbahnplatte und damit die benötigte aussteifende und stabilisie-rende Scheibenwirkung nicht zu entfer- nen, sondern zu belassen.Erste Berechnungen bestätigten die Um- setzbarkeit; die Felder stellten sich im maßgebenden Zustand des Heraus-schneidens aus der Durchlaufträger- kette und ihrer Umwandlung in ein Ein- feldträgersystem als ausreichend trag- fähig heraus. Gleiches galt auch für die verbliebenen Durchlaufträgerfelder.

Spannungs- und Stabilitätsnachweise konnten am globalen System ohne zu- sätzliche Maßnahmen, zum Beispiel Ein- bau von Untergurtlamellen in Feldmitte etc., erbracht werden.Die mit dem Verbleib der Fahrbahnplatte einhergehende Laststeigerung für die Litzentechnik von ca. 1.500 kN je Haupt- trägerende auf ca. 5.500 kN erforderte eine Verlagerung des Anschlagpunktes vom Obergurtbereich auf eine Jochträ-gerkonstruktion unter dem Untergurt der Hauptträger. Für die Lasteinleitung wurden zusätzliche Steifenbleche angeordnet.Um das Bahnfeld zwischen den Achsen II und III und die daran anhängenden Feld- bereiche 0–II vom kritischen Weg für die Herstellung der neuen Richtungsfahr-bahn zu entkoppeln, wurde für den Ab- bruch des Feldes auch ein alternatives, zugleich schnelleres und einfacheres Konzept unter Berücksichtigung der Topographie und der Belange der Bahn gesucht.Aus dem Absenken der Nachbarfelder mit Litzenhebern und den seitens der Bahn signalisierten längeren möglichen Sperrpausen entwickelte sich die Idee, das Bahnfeld ebenfalls mittels Litzen-hebern abzusenken.

15 Überlagerung von Bestand und Neubau © Autobahndirektion Nordbayern

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Durch die Anordnung mehrerer Hilfsstüt-zenachsen sowie von Steckträgern in den mittig in der Böschung stehenden Pfeiler- stielen in Achse II Süd und Achse III Nord sowie von Fundamenten an den übrigen Stielen ergab sich ein schlüssiges Konzept zur Auflagerung des abgesenkten Feldes. Der Achsabstand der Hilfsunterstützun-gen wurde dabei einerseits aus dem frei- zuhaltenden Lichtraumprofil der Bahn und andererseits unter der Maßgabe einer später möglichen weiteren Demontage mit Mobilkrantechnik entwickelt.Da weitergehende Fragestellungen und Berechnungen zu den Lasteinleitungen der Auflagerkräfte in die Hauptträger, der Horizontalkraftabtrag und die Stabilisie-rung der Untergurte über den Hilfsstüt-zen in Brückenquerrichtung, aber auch der Technologie zur Herstellung der er- forderlichen Tiefgründung der Hilfsstüt-zen auf beengten Platzverhältnissen am und im Hang durch Einsatz von Schreit-baggern mit Bohraufsatz geklärt werden konnten, stand somit das Konzept zum Absenken des Bahnfeldes mittels Litzentechnik.Zur Gewährleistung eines schnellen weiteren Baufortschritts, losgelöst vom möglichen tatsächlichen Zeitpunkt des Komplettabbruchs des abgesenkten Bahnfeldes, wurde das Ausklinken des Bahnfeldes im Bereich des Pfeilerstieles in Achse II Nord bzw. im Bereich der neuen Achse 30 Süd vorgesehen.Durch die Anordnung der Pfeilerstiele in den Achsen II und III – und das mit einem Stiel mittig in der Böschung, mit dem jeweils zweiten Stiel auf der Oberkante der Böschung stehend – war die Anpas- sung der Abbruchtechnologie für die Pfeiler auf segmentweises Schneiden und Auskranen erforderlich, da sich die vorgesehene Fallrichtungssprengung nicht mit der erforderlichen Sicherheit gegenüber der Bahn hätte durchführen lassen. Um die Abbrucharbeiten in Richtung des neuen Taktkellers für die Stahlbaumonta-ge hinter Achse 0 (alt) bzw. Achse 10 Süd (neu) zeitlich weiter zu verkürzen, sah das Konzept nach dem Absenken des Feldes I–II mit Litzentechnik zudem das Umzie- hen des Pfeilers in Achse I zum Nieder-legen des Feldes 0–I vor dem Bestands-widerlager Achse 0 vor.Der Abbruch der Felder in Richtung Widerlager in Achse IX wurde für die Achsbereiche III–VIII mittels Litzentech-nik und für das Endfeld VIII–IX über der Heuchelhofstraße mittels Hilfsstütze und segmentweisen Auskranens vorgesehen.

3.3 Aufgaben für Planung und AusführungNach eingehender Prüfung der überge-benen Unterlagen zum alternativen Ab- bruchkonzept durch die Autobahndirek-tion Nord konnte ab Mitte März 2018 in der Zentralen Technik der Ed. Züblin AG mit der Erstellung der zugehörigen Aus- führungsplanung begonnen werden.Um die Prüfung der Unterlagen auch hinsichtlich der Belange der Bahn zu erweitern, entschloss sich die Autobahn-direktion zu Beginn der Planungen, in Ergänzung zum zuständigen Prüfer Prof. Dr.-Ing. Robert Hertle die Unterlagen

16 Geländesituation im Bahnfeld © Ed. Züblin AG

18 Hilfsstützenstellung mit Ausklinkung des Überbaus © Ed. Züblin AG

17 Konzept mit Hilfsstützenstellung im Bahnfeld © Quelle: Ed. Züblin AG

gleich parallel durch den EBA-Prüfer Prof. Dr.-Ing. Geißler auf die Belange Bahn prüfen zu lassen. Dieser nicht alltägliche Schritt bedeutete zwar für Planer, ZTV- Ing-Koordinator, Bauherrn und Baustelle eine anfängliche Mehrfachbelastung aus der gleichzeitigen doppelten Koordina-tion und Abstimmung: Hier vorwegge-griffen, hat sich dies jedoch im Ergebnis durch die entsprechend reduzierte Ge- samtprüfzeit und die Vorlage von bereits komplett geprüften Unterlagen bei der Bahn ausgezahlt. Ein weiterer, positiver

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Nebeneffekt lag darin, dass durch die Doppelprüfung und die differenzierte Fokussierung bei der Bearbeitung die Redundanz im System und damit die Sicherheit bei etwaigen Störungen bzw. Unwägbarkeiten bei der Bauausführung erhöht werden konnten.Die technische Bearbeitung des Rückbaus der Talbrücke Heidingsfeld gliedert sich in folgende thematische Schwerpunkte:– Bewertung der Vorschädigungen der Bestandsbrücke,– Freischneiden und Absenken des Bahnfeldes,– Rückbau des abgesenkten Bahnfeldes,– Absenken der Nachbarfelder I–II und II–III,– Umziehen des Feldes 0–I,– Rückbau der Feldbereiche IV–VIII und– Rückbau des Feldes über der Heuchel- hofstraße (VIII–IX).

3.4 Bewertung der Vorschädigungen Anhand der übergebenen umfangreichen Bauwerksdokumentation ergaben sich im Wesentlichen die nachfolgend aufgeführ-ten Hauptschäden samt entsprechenden Häufungen: – defekte Brückenentwässerung bzw.

defekte Teilbereiche einschließlich der damit zusammenhängenden Folge- schäden wie Korrosion von Bau- und Betonstahl im Bereich von Brücken-abläufen etc.,

– unterschrittene Betondeckungen in Verbindung mit lokalen Betonabplat-zungen infolge Korrosion des Beweh-rungsstahls,

– Korrosion der Stahlkonstruktion im Bereich der Untergurte,

– Risse in den Schweißnähten der Längsstöße der Untergurtlamellen und

– Risse in den Schweißnähten der Beulsteifen und Stegverstärkungen.

In Abstimmung mit den Prüfern wurden die Schäden hinsichtlich der Einflüsse auf die Nachweisführung anhand des eben- falls vorliegenden Schadensplans bewertet.Als relevant für eine erforderliche De- tailbetrachtung im Zuge der statischen Nachweisführungen wurden nur die Risse in den Längsstößen der Untergurtlamel-len bestimmt, die gehäuft im Bereich einer geänderten Beanspruchung inner- halb eines Bauteils, zum Beispiel Wechsel von Druck- auf Zugzone etc., lagen oder die gehäuft bei wenigen Lamellenzula-gen auftraten. Im Endergebnis ließen sich in allen Fällen aufgrund der geringen Beanspruchungen im Abbruchzustand die Nachweise führen.

3.5 Freischneiden und Absenken 3.5.1 HauptaspekteDer erste wesentliche Schwerpunkt der Bearbeitung lag im Freischneiden und Absenken des Bahnfeldes mit nachfol-genden Hauptaspekten:– Hilfsstützenstellung, Lage der

Hilfsunterstützungen,– Ausbildung der Steckträger und der

Hilfsfundamente,– Plattenöffnungen und Traggerüste zum

Einbau der Stahlbauverstärkungen,– Lasteinleitungspunkte der Hilfsstützen,– Stabilisierung der Untergurte im

Bereich der Hilfsstützen,

– Lasteinleitung an den Hauptträger-enden durch die Jochträger mittels Litzentechnik und Hilfsunterstüt-zungen,

– Stabilisierungsverbände an den Hauptträgerenden,

– Litzentechnik,– Pfeilerkopfertüchtigungen,– Arbeitsanweisung zum Absenken im

Bahnfeld, – Ausklinken des Bahnfeldes zur Schaf-

fung der Baufreiheit für den Neubau in Achse 30 Süd,

– Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit und

– Abweichungen im Bestand.

3.5.2 Hilfsstützstellungen und Hilfsunterstützungen Im Ergebnis offener und konstruktiver Abstimmungen mit den verschiedenen Fachbereichen der Bahn, die über das Büro Railing als von der Autobahndirek-tion Nordbayern beauftragten Bauüber-wacher Bahn zuverlässig und zielführend koordiniert wurden, wurde entschieden, infolge zu großer Nähe zu einem Ober- leitungsmasten mit frei hängender Spei- seleitung auf eine Hilfsstützenachse zu verzichten. Die sich daraus ergebenden Lastumlagerungen konnten durch das System, bezogen auf die Spannungen, jedoch zuverlässig abgetragen werden, für die in Feldmitte stehende Hilfsstütz-achsen P3–P4 ergaben sich entsprechend größere Stützenlasten.

19 Hilfsstützenstellung im Bahnfeld mit Entfall von Achse P5–P6 © Ed. Züblin AG

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Als Elemente für die erforderliche Tief- gründung der Hilfsstützen wurden Mikro- pfähle vom Typ Ischebeck Titan 73/53 und 73/35 eingesetzt, da sie sich durch entsprechende Anbaugeräte mittels der im Bahnfeld erforderlichen Schreitbagger herstellen ließen. In Abstimmung mit den Prüfingenieuren wurde die Mikropfahlgründung durch Anordnung von zusätzlichen Schrägpfäh-len und die zusätzliche konstruktive Aus- bildung als Zugpfähle auch für außer-planmäßige Exzentrizitäten bis zu 20 cm verstärkt. Je Hilfsstütze und Pfahlkopf-platte wurden 14 Pfähle mit Pfahllängen zwischen 9,50 m und 13,00 m angeord-net.Die planmäßige Abtragung der Windlas-ten auf das abgesenkte Bahnfeld erfolgt durch eine Verklammerung des abge-senkten Feldes auf Höhe der Fahrbahn-plattenoberkante in den Pfeilerstielen der Achsen II und III Süd.Um eine schnellstmögliche Bauausfüh-rung für die Hilfsstützen zu gewährleis-ten, wurden für die bis 13,50 m hohen Stützen Schachtringe als verlorene Scha- lung und analog zur Bohrpfahlbeweh-rung vorgefertigte Bewehrungskörbe geplant. Dadurch war die Baustelle in der Lage, je Arbeitstag und Hilfsstütze einen Betonierabschnitt und die höchste Stütze in insgesamt vier Arbeitstagen zu realisieren.

3.5.3 Steckträger und der HilfsfundamenteDie Auflagerung des abgesenkten Bahn- feldes im Bereich der Bestandspfeilerach-sen sollte für die mittig in der Böschung stehenden Pfeilerstiele über Steckträ-gerkonstruktionen und für die auf der Böschung befindlichen Stiele über flach- gegründete Einzelfundamente erfolgen. Neben der Vermeidung von zeit- und kostenaufwendigen Arbeiten zur Andie- nung dieser Pfeiler ergab sich der Ein- satz der Steckträger auch aus den unter- schiedlichen Geländeverläufen an den Stielen einer Bestandsachse.Da im Zuge der Detailnachweise keine ausreichende Zugkraftübertragung im Schnittbereich zwischen Pfeilerstiel und Fundament nachgewiesen werden konnte, mussten die Steckträger über die Bestandsachse verlängert und hinter den Pfeilerstielen in Zugpfählen, die eben-falls als Mikropfähle hergestellt wurden, zurückgespannt werden, um die Zug- kräfte zu überdrücken.

20 Herstellung der Mikropfähle © Ed. Züblin AG

22 Prinzipskizze der Steckträger © Ed. Züblin AG

21 Errichtung der Hilfsstützen © Ed. Züblin AG

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Die Abmessungen der flachgegründeten Einzelfundamente vor den Pfeilerstielen in den Achsen II Nord und III Süd resul- tierten aus den zulässigen Bodenpres-sungen und den unterschiedlichen abzu- tragenden Lasten infolge angepasster Unterstützungs- bzw. Hilfsstützen- achsen.

3.5.4 Plattenöffnungen und TraggerüsteBei sämtlichen Betrachtungen, Konstruk-tionen und Nachweisführungen am Be- standsüberbau war stets zu beachten, dass die erforderlichen Stahlbauverstär-kungen ausschließlich von der vorhan-denen Fahrbahnplatte aus durch Aus- schnitte und eingehängte Trag- und Schutzgerüste eingebracht werden konnten. Die Ausschnitte waren dabei in Größe und Anzahl zu beschränken, um eine ausreichende Druckzone für das Ausschneiden des Feldes aus dem Durchlaufträgersystem und das Umwan-deln in ein Einfeldträgersystem zu belassen.Da sich durch die Bahnanlagen und die damit mögliche Anordnung der Hilfsun-terstützungen die erforderlichen Platten- öffnungen zwangsläufig auch in Feld- mitte ergaben, waren für das Freischnei-den und Absenken entsprechende De- tailnachweise zu führen. Die Druckkräfte in der Platte konnten für diesen Zustand rechnerisch zu einem großen Anteil auf den verbliebenen Restquerschnitt um- gelenkt werden, so dass für das Umlagern in das Einfeldträgersystem die Öffnungen nur noch durch Drucksteifen zu verstär-ken bzw. auszusteifen waren.

Die benötigten Trag- und Arbeitsgerüste wurden zur Sicherstellung einer größt-möglichen Reduktion der Arbeiten über den Bahnanlagen als auf der Platte vor- zumontierende und im Ganzen einzu-hebende Türme geplant, die nach dem Einhängen lediglich miteinander unter der Platte verbunden und für die erfor- derlichen Arbeitsbreiten ergänzt werden müssen.

3.5.5 Lasteinleitungspunkte der HilfsstützenFür die Auflagerung des Bahnfeldes auf den Hilfsunterstützungen wurden an allen Achsen Elastomerlager vom Typ B vorgesehen. Die zugehörigen Lastein-leitungspunkte in die Hauptträger über den Hilfsstützen wurden mittels Steifen-blechen geplant und zur Erhöhung der Robustheit planmäßig von Untergurt bis Obergurt geführt.Durch die erforderliche Reduktion der Hilfsstützenachsen und die damit ein- hergehende Laststeigerung waren zu- sätzliche, sehr detaillierte und zeitauf-wendige Betrachtungen und Abstimmun-gen mit den Prüfern zum Thema Beulen notwendig, in deren Ergebnis die erfor- derlichen horizontalen Beulsteifen auf die Hilfsstützenachse P3–P4 begrenzt wer- den konnten, jedoch zweilagig auszu-führen waren.

Um etwaige, gegenläufige Lagerschief-stellungen etc. zu korrigieren, wurden Pressenansatzpunkte und die zugehöri-gen Steifen vorgesehen. In Teilbereichen war die Anordnung von Futterblechen zum Ausgleich der Abstufung im Bereich der Untergurtlamellen erforderlich.

3.5.6 Stabilisierung der UntergurteDie Diagonalen zur Aussteifung und Sta- bilisierung der Untergurte im Bereich der Hilfsstützenauflagerung wurden im Rahmen der Ausführungsplanung dahin- gehend modifiziert, dass sie so einfach wie möglich und unter Ausnutzung des Hebelprinzips von der Plattenoberseite eingehoben und montiert werden konnten. 3.5.7 Lasteinleitung an Hauptträgerenden Analog zu den Lasteinleitungspunkten über den Hilfsstützen wurden die erfor- derlichen Steifen für die Jochträger der Litzentechnik und die Auflagerung auf den Steckträgern und Einzelfundamen-ten geplant und ausgeführt.

24 Trag-, Arbeits- und Schutzgerüst © Ed. Züblin AG

23 Plattenöffnungen im Bahnfeld © Ed. Züblin AG

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3.5.8 Stabilisierung der Hauptträgerenden Ein Ergebnis der Doppelprüfung und der Redundanzerhöhung war die Anordnung eines Stabilisierungsverbandes an den Hauptträgerenden, um deren etwaigem, unplanmäßigem Ausknicken beim Um- hängen in die Litzentechnik und dem sich anschließenden Absenken bereits konstruktiv entgegenzuwirken. Für diese Stabilisierungsverbände kamen übergrei-fende Zugstäbe zur Ausführung.

24 Trag-, Arbeits- und Schutzgerüst © Ed. Züblin AG

25 Lasteinleitungspunkte der Hilfsstützen © Ed. Züblin AG

28 Stabilisierungsverband an den Hauptträgerenden © Ed. Züblin AG

27 Druckstab zur Untergurtstabilisierung © Ed. Züblin AG

26 Absenken des Bahnfeldes: Verstärkungen über Hilfsstützen © Ed. Züblin AG

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38 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

29 30 Litzentechnik: Längs- und Querschnitt © Ed. Züblin AG

32 Anschlagpunkt am Hauptträgerende © Ed. Züblin AG

31 Litzentechnik nach Montage © Ed. Züblin AG

3.5.9 LitzentechnikDie Planung der Litzentechnik erfolgte federführend durch das Ingenieurbüro Walter Hauf im Auftrag der Max Wild GmbH, die von der Ed. Züblin AG mit den eigentlichen Abbrucharbeiten beauftragt worden war. Infolge der Anhänge- und Absenklasten von 550 t je Hauptträgerende bzw. An- hängepunkt wurden je Anhängepunkt vier verstärkte Litzenträger HEB 1000 mit zwei 300-t-Litzenhebern auf der An- hängeseite und einem 200-t-Litzenheber auf der Rückhängeseite nach dem Waage-balkenprinzip angeordnet. Die Abhän-gung wurde dabei im Abstand von ca.

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2,50 m unter Berücksichtigung des sich nach oben verjüngenden Pfeilerquer-schnittes und der Lage der Querträger des Überbaus realisiert, die Rückhängung hat einen entsprechenden Achsabstand von ca. 9,20 m.Wie bereits erwähnt, war wegen der hö- heren Anschlag- und Absenklasten das Anschlagen über einen quer unter den Hauptregeln angeordneten Joch- bzw. Traversenträger erforderlich. Die Rück- hängung konnte über Augbleche im Steg der Hauptträger unter den Obergurten verankert werden.

3.5.10 PfeilerkopfertüchtigungenUm die Pfeiler mit den zwischenzeitlich bekannten Defiziten im Bereich der Zug- kraftübertragung aus den Stielen in die Fundamente nicht zu überlasten, aber auch um auf weitere Verstärkungen und Ertüchtigungen zu verzichten, wurde das zuvor abgesenkte Feld auf einer Länge von 30 m als Gegengewicht für das nächste den Nachweisführungen zu- grunde gelegt und der Pfeiler dadurch nahezu zentrisch belastet.

32 Anschlagpunkt am Hauptträgerende © Ed. Züblin AG

Zur Aufnahme und gesicherten Abtra-gung der Kräfte aus den Litzenträgern waren entsprechende lokale Verstär-kungen im Bereich der Pfeilerköpfe erforderlich.Die hier dargestellten Druckstücke und konstruktiven Zugverankerungen in den Pfeilerkopf werden erst für den Zustand

des Absenkens des Nachbarfeldes erfor- derlich. Für das Herausschneiden oder Abschneiden eine Feldes bzw. eines temporären Endfeldes aus dem Durch-laufträgersystem besitzt der Überbau eine ausreichende Tragfähigkeit.

35 Verstärkung des Überbaus über Pfeilern © Ed. Züblin AG

33 Ablaufprinzip beim Absenken der Überbaufelder © Autobahndirektion Nordbayern

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40 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

3.5.11 Arbeitsanweisung: Ablassen BahnfeldParallel zur Erstellung der statischen Berechnungen und der zugehörigen Ausführungspläne wurde unter Einbe- zug aller Beteiligten frühzeitig mit der Erstellung einer Arbeitsanweisung be- gonnen, die alle einzuhaltenden Schritte und deren Reihenfolge zur Verstärkung und Ertüchtigung der Bestandsbrücke im Vorfeld des Freischneidens sowie die danach folgenden Einzelschritte im Zu- sammenhang mit dem Freischneiden und Umhängen in die Litzentechnik so- wie dem sich anschließenden Absenken und Aufsetzen aufführt.Kernpunkt der Arbeitsanweisung war die Vorgabe der schrittweisen Lasterhöhung in den Litzenhebern im Zusammenhang mit dem kontrollierten, schrittweisen Brennschneiden der Hauptträger. Darüber hinaus beinhaltet die Arbeitsan-weisung die notwendigen Zwischenkon-trollen und eine eindeutige Verhaltens-weise bei festgestellten Abweichungen.

3.5.12 Ausklinken des Bahnfeldes Die in der Konzeptphase vorgesehene Ausklinkung des Bahnfeldes zur Schaf-fung der erforderlichen schnellen Bau- freiheit für die Achse 30 Süd der neuen Richtungsfahrbahn Nürnberg ließ sich problemlos realisieren.

3.5.13 Erhöhung der SicherheitUm die Sicherheit der Bauausführung zu erhöhen, wurden verschiedene Maßnah-men ergriffen. Eine bestand darin, die Berechnungsannahmen zu den Eigen-gewichten bzw. zur Masse zu überprüfen. Dazu wurde über die Plattenausschnitte zum Einbau der erforderlichen Verstär-kungen ein detailliertes geometrisches Aufmaß zur Plattendicke erstellt und die vorhandene Wichte der Platte über die gewonnenen Bohrkerne in einem Bau- stoffprüflabor ermittelt. Im Ergebnis ließ sich eine sehr gute Übereinstimmung zwischen den charakteristischen Rechen- werten und dem Bestand feststellen. Eine weitere Maßnahme war, alle Steifenble-che und weiteren Stahlbauverstärkun-gen mit ausreichender Sicherheit und einheitlich nur für den Maximalwert zu dimensionieren, um bei womöglich auf- tretenden Korrektur- und Anpassungs-maßnahmen infolge des Bestandes flexi- bel bleiben zu können, ohne umfangrei-che Neuberechnungen und Material-beschaffungen abwarten zu müssen.Exemplarisch wird noch auf den Einsatz der Bohrkernfänger verwiesen. Um das Abstürzen und Durchfallen der Bohrkerne sicher zu vermeiden, werden die späteren Kerne vor Bohrbeginn durch Gewinde-dübel und Schraubverbindungen mit dem Kernbohrgerät verbunden. Unter Einsatz dieser Fangkonstruktion konnten die Kernbohrarbeiten oberhalb der Bahn- anlagen auch im Schutze natürlicher Zugpausen erfolgen.

3.5.14 Abweichungen im Bestand Im Zuge des planmäßigen Einbaus der Stahlbauverstärkungen ergaben sich auch unplanmäßige Situationen. So wur- den, um nur die wesentlichen Punkte zu nennen, nachfolgende Abweichungen von den Bestandunterlagen festgestellt:– vorhandene Steifen dort, wo nach Plan

keine Steifen eingezeichnet waren, bzw. die vorhandenen Steifen waren in ihrer Lage deutlich verschoben eingebaut,

– Öffnungen in den Stegblechen, die auf den Plänen nicht verzeichnet waren, und

– Unebenheiten im Hauptträgersteg über die Bauhöhe.

Aber auch der Baugrund barg gerade im Bahnfeld immer wieder Überraschungen, zum Beispiel durch das Antreffen von Fundamenten, die vermutlich im Zusam- menhang mit dem damaligen Brücken-neubau standen.Da sich jedoch die Verstärkungsmaßnah-men infolge des alternativen Rückbau-konzeptes auf wenige und oft wiederkeh-rende Stellen beschränkten, ließ sich vor allem die bauzeitliche Auswirkung aus den Bestandsabweichungen insgesamt eingrenzen. Zum anderen konnte auf- grund der zuvor geschilderten Verein-heitlichung und der ausreichenden Vor- dimensionierung der Verstärkungsbau-teile nach Abstimmung mit den Prüfern in der Regel innerhalb von ein bis zwei Tagen an der betroffenen Stelle weiter-gearbeitet werden.

36 Neubau im Bereich der Bahnfeldausklinkung © Ed. Züblin AG

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411/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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3.6 Rückbau des abgesenkten BahnfeldesDurch die im Zuge der Planungen be- wusst vorgenommene Trennung in Frei- schneiden, Absenken und Auflagern einerseits und Komplettabbruch des abgesenkten Feldes andererseits konnte ein ausreichend großes Zeitfenster zur Suche und Abstimmung möglicher Sperrungen und Betriebsruhen mit der Bahn für den Komplettabbruch geschaf-fen werden.Im Schatten einer größeren baulichen Maßnahme der Bahn selbst, bei der der auf der Strecke befindliche Güterverkehr unterbrochen und der Personenverkehr auf zwei Zugfahrten je Stunde zwischen 5 Uhr und 22 Uhr reduziert ist, kann unter Nutzung der natürlichen Zugpausen und der nächtlichen Betriebsruhen der Ab- bruch des abgesenkten Feldes unter Aus- nutzung der durch die Hilfsunterstützun-gen stark verkürzten Spannweiten durch segmentweises Schneiden und Auskra-nen mittels Raupenkran über die Achse III erfolgen.Die erforderliche technische Bearbeitung fokussierte sich dabei auf die Abtragung der horizontalen und vertikalen Bean-spruchungen der Restquerschnitte aus den einzelnen Zwischenbauzuständen.

3.7 Absenken der NachbarfelderDie zuvor beschriebenen Schritte ließen sich nahezu identisch auf die Planungen zum Schneiden und Absenken der bei- den Nachbarfelder I–II und III–IV mit den nachfolgenden Vereinfachungen übertragen: Durch den in den Nachbarfeldern wesent-lich günstigeren Geländeverlauf konnten sie weitestgehend auf Erdkörper bzw. auf den Baugrund abgesetzt werden.Die Anzahl der Hilfsstützen reduzierte sich auf eine im Feld I–II für den südli-chen Hauptträger und ebenso die Aufla- gerung auf Steckträger auf ein Hauptträ-

38 Abbruch eines abgesenkten Felds © Ed. Züblin AG

37 Absenken von Feld I–II © Ed. Züblin AG

gerende je Feld. Während in Achse II Süd noch ein zusätzlicher Steckträger ober- halb der Steckträgerebene für das Bahn- feld angeordnet werden musste, konnte in Achse III Nord der zur Rückspannung in den Baugrund verlängerte Steckträger des Bahnfeldes genutzt werden.Ähnlich zu den erforderlichen statisch-konstruktiven Betrachtungen zum Aus- klinken des Bahnfeldes waren für das Feld I–II infolge des einseitigen Aufsetzens auf die Hilfsstütze und den Steckträger Detailnachweise für den segmentweisen Rückbau des Feldes erforderlich.

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42 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

40 Vorschwächen von Pfeiler I © Ed. Züblin AG

41 Absenkprinzip für Feld VII–VIII © Ed. Züblin AG

3.8 Umziehen des Feldes 0–IUm eine zeitliche Optimierung der Ab- brucharbeiten sicherzustellen, auf Stahl- bauverstärkungen weitestgehend zu verzichten und die Arbeiten generell zu vereinfachen, bot es sich an, das Feld 0–I als verbliebenes letztes Überbaufeld vor dem Widerlager in Achse 0 durch Umzie- hen des Pfeilers Achse I im Ganzen nie- derzulegen, da die Fallhöhe des Feldes relativ gering ist und die für die Bohr-pfahlarbeiten an der neuen Widerlager-achse 10 Süd erforderliche Schüttung der Damm- und Bohrebene zunächst als Fallbett genutzt werden konnte.Die für das Umziehen des Feldes notwen- digen Planungen mit den Schwerpunkten des gezieltes Vorschwächens des Pfeilers Achse I unter Beibehaltung einer ausrei- chenden Resttragfähigkeit und Einbau eines Rollenlagers einschließlich der zugehörigen Abrollebene wurden durch Dr.-Ing. Rainer Melzer erbracht.

3.9 Rückbau der Feldbereiche IV–VIIIFür das Abbrechen der Feldbereiche in den Achse IV–VIII wurde ebenfalls das Absenken mit Litzentechnik vorgesehen. Infolge des einerseits schräg zur Brücke einfallenden Geländes im Bereich der Achsen IV–VI und der Hangsituation im Feld VII–VIII andererseits waren Damm-schüttungen bis 10 m zum Absetzen der abgesenkten Felder, eine mit 120er Bohr- pfählen tiefgegründete Hilfsstützenachse im Feld VII–VIII und eine Bestandsfunda-mentertüchtigung an der Achse VIII zu Auflagerungen des abgesenkten Über- baus zu berücksichtigen.

Aus den Defiziten der Zugkraftübertra-gung am Pfeilerfuß und der Höhenlage von ca. 21,50 m über Gelände resultie-rend, wurde auf eine Auflagerung der Hauptträgerenden des Feldes VII–VIII auf Steckträgern in der Pfeilerachse VII ver- zichtet und stattdessen das Feld im ab- gesenkten Zustand als einseitig über der Hilfsstützenachse auskragender Einfeld-träger auf zwei Stützen nachgewiesen.Da sich die Teilsprengungen der Pfeiler gemäß Amtsentwurf aus erschütterungs-technischen und bauzeitlichen Gründen

39 Niederlegen von Feld 0–I © Ed. Züblin AG

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431/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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44 Bahnfeld vor Komplettabbruch © Ed. Züblin AG

43 Feld IV–V nach Absenkung © Ed. Züblin AG

42 Rückbauprinzip: Heuchelhofstraße © Ed. Züblin AG

als nicht oder nur mit erheblichen Mehr- aufwendungen umsetzbar darstellten, wurde, ausgehend von einem Vorschlag der Max Wild GmbH, das Umziehen der Pfeiler geplant. Um die Erschütterung beim Aufprall des Pfeilers auf die zuläs- sigen Werte begrenzen zu können, wur- den die auf den Absetzdämmen liegen-den Überbaufelder planerisch in die erforderlichen Fallbetten »integriert« und mit einer weiteren Schüttung auf der Platte versehen.Der Abbruch der Pfeiler in Achse VII, der Hilfsstützenachse im Feld VII–VIII und des Pfeilers in Achse VIII erfolgen nach Rück- bau des Endfeldes über der Heuchelhof-straße durch eine gleichzeitige Spren-gung. Das abgesenkte, auf der Hilfsstüt-zenachse aufliegende Feld VII–VIII wirkt dabei gleichsam erschütterungsmindernd als Fallbett.

3.10 Rückbau von Feld VIII–IXNeben dem Bahnfeld stellte der Rückbau des Feldes über der Heuchelhofstraße für alle Beteiligten eine weitere besondere Herausforderung dar, einerseits den Umständen geschuldet, dass es als nun alleinstehendes ehemaliges Endfeld einer Durchlaufträgerkette zur Demontage der Litzentechnik im Bereich der Achse VIII mit schwerer Autokrantechnik befahrbar bleiben muss und andererseits die Heu- chelhofstraße mit möglichst wenigen und schnellen Rückbauschritten zur Vermei-dung längerer Verkehrssperrungen zurückzubauen ist. Da die Heuchelhofstraße eine der weni- gen und zudem die zentrale Verbindungs- achse zwischen Würzburg und dem Stadtteil Heuchelhof ist, sind von ihrem Abbruch die Straßenverbindung mit je zwei Streifen je Fahrtrichtung, die zwei- gleisige Straßenbahnlinie und ein Geh-

und Radweg betroffen. Entsprechend umfangreich und detailliert gestaltete sich der Koordinierungsprozess mit der Stadt Würzburg, der Würzburger Straßen- bahn, der Polizei und den Rettungsdiens-ten zu den möglichen Sperrungen, bau- zeitlichen Umleitungen und den daraus resultierenden möglichen Bauzuständen und -abläufen.Das aktuell in der Endabstimmung befin- dliche Konzept sieht vor, die Straßen-verbindung für die Dauer der jeweiligen Abbrucharbeiten großräumig über die B 19 umzuleiten, den Rettungsdiensten die Zu- und Abfahrten durch das Baufeld zu ermöglichen und den Straßenbahn-verkehr weitgehend aufrechtzuerhalten, so dass Arbeiten im Bereich der Straßen-bahn nur in den nächtlichen Betriebs-ruhen oder im Schutze von Wochenend-sperrungen mit Schienenersatzverkehr erfolgen können.

4 Stand der Arbeiten 4.1 AbbruchmaßnahmeBis Anfang des Jahres 2019 wurde folgender Arbeitsstand erreicht:– Bahnfeld auf Hilfsstützen abgesenkt,– Felder 0–I, I–II, III–IV komplett abge- brochen,– Felder IV–V und V–VI abgesenkt sowie – Teilabbruch WL Achse 0 fertiggestellt.Bis Mitte Februar 2019 soll das Absenken der Felder VI–VII und VII–VIII durchge-führt werden, der Komplettabbruch des abgesenkten Bahnfeldes ist für Ende Februar 2019 terminiert. Nach dem Umziehen des Pfeilers in Achse VI und der Freigabe der Stuttgarter Stra- ße für den öffentlichen Straßenverkehr besteht dann ab Ende März 2019 Bau- freiheit für den Rückbau der Heuchelhof-straße. Die Pfeilersprengungen in Achse VII und VIII werden voraussichtlich im Mai bzw. Juni 2019 erfolgen können, so dass die Abbrucharbeiten im Juni bzw. Juli 2019 beendet sein werden.

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44 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

4.2 Neubau der Richtungsfahrbahn NürnbergDer Taktkeller hinter dem Widerlager in Achse 10 konnte noch im Oktober 2018 mit den Stahlbauschüssen des ersten Verschubtakts belegt werden.Das Widerlager in Achse 10 und die Pfei- ler in Achse 20 werden bis Ende Januar 2019 fertiggestellt werden. Die Pfeiler-achse 30 folgt bis Anfang Februar 2019, so dass der erste Verschub planmäßig Ende Februar 2019 erfolgen wird.Die Gesamtfertigstellung ist für Ende 2020 vorgesehen.

45 Blick vom Taktkeller in Richtung Nürnberg © Ed. Züblin AG

47 Querträgermontage im Taktkeller © Ed. Züblin AG

46 Stahlbauarbeiten im Taktkeller © Ed. Züblin AG

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451/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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5 FazitDer Abbruch einer großen Talbrücke, die die unterschiedlichsten Verkehrswege, zudem in großer Höhe und bei schwie-riger Geländesituation überspannt, ist eine verantwortsvolle Aufgabe für alle Projektbeteiligten und bedingt einen nicht zu unterschätzenden Planungsauf-wand, der dem eines Brückenneubaus in vielen Bereichen mindestens ebenbürtig ist. Ein erfolgreicher Brückenabbruch be- deutet aber auch gelebte Teamarbeit, da trotz sorgfältigster Planungen und Abstimmungen nicht alle Unwägbarkei-ten erkannt oder im Vorfeld bedacht werden können. Dass der Abbruch der Talbrücke Heidingsfeld bis dato erfolg-reich umgesetzt wurde, ist ein Beweis der Teamarbeit und des Engagements aller Beteiligten!

Autoren:Baudirektor Dipl.- Ing. (Univ.) Tobias BäumlerAutobahndirektion Nordbayern,NürnbergDipl.-Ing. (Univ.) Tobias SchmidtDirektion BrückenbauBereich Brückenbau Süd-OstEd. Züblin AG,Dresden

BauherrBundesrepublik Deutschland

AuftragsverwaltungAutobahndirektion Nordbayern, Dienststelle Nürnberg (Planung) Autobahndirektion Nordbayern, Dienststelle Würzburg (Bauausführung und Bauüberwachung)

PlanungEd. Züblin AG, Dresden (Abbruch) Ingenieurbüro Walter Hauf, Gundelfingen (Litzentechnik)Planungsbüro für Bauwerksabbruch Dr.-Ing. Rainer Melzer, Dresden (Sprengabbruch, Pfeilerumzug)

PrüfingenieureProf. Dr.-Ing. Robert Hertle, GräfelfingProf. Dr.-Ing Karsten Geißler, Berlin

BauausführungEd. Züblin AG, Bereich Brückenbau Süd-Ost, DresdenDonges Steeltec GmbH, DarmstadtMax Wild GmbH, Berkheim

DritteDB Netz AG, Produktionsdurchführung WürzburgRailing. GmbH, Hohenbrunn Stadt WürzburgWürzburger Straßenbahn GmbH

48 Stahlbaumontage im Mittellängsverbau © Ed. Züblin AG

Platz schaffen ist Wild.Industrieabbruch | Hausabbruch | Brückenabbruch

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46 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Errichtung der Rheinbrücke Leverkusen und anderer Ingenieurbauwerke

Ausbau der A 1 zwischen Köln-Niehl und Leverkusen-West von Nicole Ritterbusch

Die Gesamtmaßnahme umfasst den Ausbau der Autobahn BAB 1 mit dem Neubau der Rheinbrücke Leverkusen und schließt den Um- bau des Autobahnkreuzes Lever-kusen-West sowie die Anpassung der Anschlussstelle Köln-Niehl ein. Der Ausbauabschnitt der BAB 1 hat eine Länge von 4,55 km. Aufgrund von erheblichen Schäden an der vorhandenen Rheinbrücke ist zeit- nah ein Ersatzneubau zwingend erforderlich. Der Landesbetrieb Straßenbau NRW ist als Teil der Landesverwaltung für die Umset-zung im Rahmen der Auftragsver-waltung verantwortlich, Träger der Baumaßnahme ist die Bundesrepu-blik Deutschland. Nachstehend wird über dieses Vorhaben genauer berichtet.

1 Darstellung des VorhabensDie BAB 1 ist eine Verkehrsachse von europäischer Bedeutung, im Planungs-raum ist sie Teil des Transeuropäischen Straßennetzes TEN. Der Streckenabschnitt wird aufgrund der für 2030 prognostizier-ten Verkehrsstärken zukunftsfähig auf acht durchgängige Fahrstreifen ausge-baut. Die Maßnahme ist im Bundesver-kehrswegeplan 2030 als laufendes, fest disponiertes Projekt vorgesehen.Zwischen der Anschlussstelle Köln-Niehl (AS K-Niehl) und dem Autobahnkreuz Leverkusen-West (AK Lev-West) werden neben den vier Hauptfahrstreifen je Fahrtrichtung durchgängige Verflech-tungsstreifen angeordnet. Für die beiden Hauptbauwerke ergeben sich somit Breiten von über 34 m.

Das Gesamtprojekt ist geprägt durch eine große Anzahl von Brückenbauwerken. Neben der Rheinquerung müssen acht weitere Brücken neu errichtet werden. Allein im AK Lev-West sind fünf Bauwerke im Zuge der einzelnen Verbindungsram-pen zu ersetzen, da diese spannungsriss-korrosionsgefährdet sind. Natürlich wer- den alle Bauwerke an die veränderte Trasse der BAB 1 angepasst. Insbeson-dere sind in diesem Zusammenhang díe Hochstraße A im Zuge der A 1 im AK Lev-West als Stahlverbundbrücke und die Brücke über die Stadtbahnstre-cke der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) im linksrheinischen Köln-Merkenich zu nennen. Zudem muss das Kreuzungsbau-werk in der AS K-Niehl unter Aufrechter-haltung des Verkehrs ersetzt werden. Die Querschnittsgestaltung erfolgt ent- sprechend den verkehrstechnischen Erfordernissen. Die Linienführung der BAB 1 und die Grundform der Knotenpunkte orientieren sich weitgehend am Bestand. Mit dem Ausbau ist rechtsrheinisch auf dem Gebiet der Stadt Leverkusen ein Eingriff in die gesicherte Altablagerung Dhünnaue verbunden. Hier sind beson- dere Sicherungsmaßnahmen erforderlich. Wesentliches Ziel der Planung war die Minimierung der Eingriffe in dieses Sicherungssystem.

2 Bestand und Neubau der Rheinbrücke LeverkusenDie am 5. Juli 1965 für den Verkehr frei- gegebene Leverkusener Rheinbrücke weist schwerwiegende Bauwerksschäden auf. Mit zwei Fahrstreifen plus Standstreifen pro Fahrtrichtung war sie in den 1960er Jahren ein zukunftsweisendes Stück Infra-struktur. Einst konzipiert für 40.000 Kfz/d, hat die Brücke zuletzt mit über 120.000 Kfz/d, darunter 15.000 Lkws, ihre Belastungs-grenzen erreicht. Aufgrund der steigen-den Verkehrsbelastung erfolgte schon 1986 eine Umnutzung der Standstrei- fen zum jeweils dritten Fahrstreifen pro Fahrtrichtung. Konsequenz war, dass der Schwerverkehr auf der Brücke, statisch ungünstig, nach außen verlagert wurde. Zudem hat sich im Lauf der Jahre das zu- lässige Gesamtgewicht eines Lkws von 24 t auf derzeit 44 t erhöht. Weiterhin sind bekanntlich auch die Anzahl und das Gewicht der genehmigungspflichtigen Schwertransporte im Laufe der Jahre deutlich gestiegen.Diese Faktoren haben dazu geführt, dass sich die Anforderungen an das vorhande-ne Bauwerk und die damit einhergehen-den dynamischen Belastungen gravie-rend erhöht haben.

1 Übersichtslageplan aus dem Feststellungsentwurf © Landesbetrieb Straßenbau NRW

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471/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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Schon 2007 wurde der Bauwerkszustand nach DIN 1076 mit Note 3 bewertet. Ende November 2012 musste die Brücke drei Monate lang für Fahrzeuge über 3,50 t gesperrt werden, weil im Rahmen der Hauptprüfung Risse am Haupttragwerk festgestellt wurden. Anders als bei den Rissen, die schon seit 2007 kontinuierlich repariert wurden, war damit eine gravie- rende Schadensstufe erreicht, die zum sofortigen Handeln zwang. Nach der Entdeckung der Schäden war zunächst unklar, ob sie an dem hochbelasteten Brückenbauwerk überhaupt reparabel sein würden. Es wurden dann rasch die schwerwiegendsten behoben und an fünf ausgewählten Stellen »Monitorsysteme« angebracht, die kleinste Veränderungen des Bauwerkes erfassen können. Darüber hinaus befindet sich das Bauwerk unter permanenter Beobachtung durch Brückenfachleute.Seit Mai 2013 stehen auf der Rheinbrü-cke Leverkusen wieder sechs Fahrstrei- fen zur Verfügung. Das Tempo bleibt auf 60 km/h begrenzt, für Fahrzeuge mit mehr als 3,50 t zulässigem Gesamtge-wicht gilt ein Fahrverbot.Zur Sicherung des Durchfahrtsverbotes ist seit Februar 2014 auf der Rheinbrücke pro Fahrtrichtung eine stationäre Ge- schwindigkeitskontrolleinrichtung in Betrieb, und seit September 2016 sind sogar Mess- und Kontrollstellen mit Schrankenanlagen auf den Zufahrts-strecken installiert.

Wegen der Gewichtsbeschränkungen ist eine durchgehende Befahrbarkeit der BAB 1 für schwere Fahrzeuge nicht mehr gegeben, Umwege und Verkehrsverlage-rungen sind die Folge. Zudem ist die Lebensdauer des vorhandenen Bauwer-kes begrenzt. Eine konkrete Vorhersage, wie lange es den schon eingeschränkten Verkehr noch aufnehmen kann, vermag auch das zusätzlich eingesetzte Experten-gremium, Vertreter von Stahlbaulehr-stühlen, Materialprüfanstalten, schweiß-technischen Lehr- und Versuchsanstalten sowie Statiker und Beratende Ingenieure umfassend, nicht zu prognostizieren. Seine Lebensdauer ist absehbar, lediglich über den genauen Zeitpunkt besteht Un- klarheit. Die Befahrbarkeit von Schwer-verkehr ist somit auf Dauer auszuschlie-ßen!

3 Der Zeitplan: Planung des Ersatzneubaus Mit der Erteilung des Planungsauftrages durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) im Dezember 2012 an den Landesbetrieb Straßenbau NRW wurden viele vorberei-tende Maßnahmen gleichzeitig gestartet.Zuständig für das Projekt ist die Regional-niederlassung Rhein-Berg, Außenstelle Köln, Projektgruppe Kölner Autobahn-ring. Diese Gruppe aus Mitarbeitern, die aus den Fachabteilungen dafür abgeord-net sind, übernahm bereits das Anstoßen jener Maßnahmen und wickelt heute alle das Projekt betreffenden Aufgaben und Verträge ab.

2 Bestandsbauwerk: Leverkusener Rheinbrücke © Landesbetrieb Straßenbau NRW

3 Risswachstum in der Seilkammer des Bestandsüberbaus © Landesbetrieb Straßenbau NRW

Zu den ersten Schritten zählten unter anderem die Ausschreibung der Pla-nungsleistung für das gesamte Projekt durch einen Teilnahmewettbewerb, die Vermessung des Planungsraums, die Kartierung der für den Artenschutz not- wendigen Daten, die Erstellung von Verkehrsgutachten, die ersten Baugrund-erkundungen, insbesondere in der Altab- lagerung Dhünnaue, sowie die Ermittlung und Einbeziehung betroffener Dritter.Auf Basis des schlechten Zustandes der Rheinbrücke wurde ein Zeitplan aufge- stellt. Das vorrangige Ziel: Bis Ende 2020 soll der erste Überbau der Rheinbrücke Leverkusen unter Verkehr genommen werden – und auch von Lkws genutzt werden können! Dieser sehr ambitio-nierte Zeitplan wurde bisher in allen Phasen eingehalten.Unter Hochdruck konnten die folgenden Planungsschritte abgearbeitet werden: Auftragserteilung an ein Planungsbüro im Oktober 2013, Beantragung des Bau- rechtes durch Einreichen des Planfest-stellungsentwurfes im Oktober 2015, Beschluss der Planfeststellungsbehörde nur ein Jahr später. Zum Ende der Klage- frist im Januar 2017 waren drei Klagen eingegangen.

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48 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Das Projekt war eines der ersten, für wel- ches das im Bundesfernstraßengesetz mit § 17e verankerte, verkürzte Klageverfah-ren bei besonders dringlichem Bedarf bzw. zur Beseitigung schwerwiegender Verkehrsengpässe angewandt wurde, so dass die Klagen direkt in erster und somit letzter Instanz dem Bundesverwaltungs-gericht (BVerwG) in Leipzig vorgelegt und dort verhandelt wurden.Trotz der anhängigen Klagen genehmigte das BVerwG im Frühjahr 2017 vorberei-tende Maßnahmen sowie die parallele Erarbeitung der Ausschreibungen und deren Veröffentlichung unter Vorbehalt. Ende September 2017 fand die mündli-che Verhandlung vor dem BVerwG statt, die Urteilsverkündung am 11. Oktober 2017 brachte das erhoffte Ergebnis: Die Klagen wurden abgewiesen, und es besteht Baurecht!Erste Bauverträge wurden daraufhin bereits Ende Oktober 2017 vergeben.

4 Randbedingungen der Planung und Ermittlung der VorzugsvarianteViele Randbedingungen unterscheiden sich wohl kaum von denen anderer Pro- jekte: Der Ausbau erfolgt zukunftswei-send entsprechend der Bundesverkehrs-wegeplan-Prognose 2030. Auch dass ein neues Teilbauwerk neben der vorhande-nen Brücke errichtet wird, damit das bestehende Bauwerk bis zur Inbetrieb-nahme der neuen Rheinquerung den Verkehr aufnehmen kann, ist heutzutage nichts Ungewöhnliches mehr. Andere Randbedingungen aber machen dieses Projekt zu einem besonderen. So führt der kurze Abstand zwischen dem AK Lev-West und der AS K-Niehl (ca. 1,50 km), zwischen denen sich die Rhein- querung befindet, zu vermehrten Fahr-

streifenwechseln, Beschleunigungs- und Verzögerungsvorgängen, welche sich nachteilig auf den Verkehrsablauf aus- wirken. Die Ein- und Ausfahrsituation zu den Anschlussstellen AK Lev-West und AS K-Niehl wurden verkehrssicher gemäß den Regeln der Technik gestaltet. Daraus ergeben sich auf der Strombrücke je Fahrtrichtung sechs Spuren nebst Stand- streifen und zusätzlichem Rad- und Geh- weg. Die Gesamtbreite eines Teilbauwerks im Bereich der Strombrücke misst somit 34,15 m zwischen den Geländern. Der Vorteil: Sowohl während des Rück- baus der Bestandsbrücke und der Bauzeit des zweiten Teilbauwerkes als auch für spätere Instandsetzungsmaßnahmen, zum Beispiel an den Seilen der Brücke, steht genügend Platz zur Verfügung, um eine 6+0-Verkehrsführung auf einer der Brücken einzurichten.Die Auswirkungen auf die Umwelt wur- den durch begleitende Fachgutachten geprüft. So ist hinsichtlich der Verletzung der Verbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG ein artenschutzrechtlicher Fachbeitrag erar- beitet worden, der zu dem Ergebnis ge- kommen ist, dass bei einer größeren Anzahl von Vogelarten der Verbotstatbe-stand erfüllt sein kann: gegebenenfalls signifikant erhöhtes Kollisionsrisiko für 77 Zugvogelarten. Dies wurde in der Variantenauswahl der gewählten Brückenform berücksichtigt.Auch der Eingriff in und die Auswirkun-gen auf die Überschwemmungs- und Wasserschutzgebiete sowie den Land-schaftsschutz wurden bewertet. Hier ist neben den Flächen am Rhein insbesonde-re der Flusslauf der Dhünn als Schutzge-biet zu nennen. Selbstverständlich spielt der Rhein selbst ebenfalls eine Rolle, be- einflussen seine Pegelstände doch den späteren Bauablauf. Für die wichtige

4 Projektzeitplan ab Beschluss der Planfeststellungsbehörde im Herbst 2016 © Landesbetrieb Straßenbau NRW

Wasserstraße dürfen keine Beeinträchti-gungen entstehen, worauf im Weiteren noch eingegangen wird.Und nicht zuletzt sollte der Eingriff in das gesicherte System der Altablagerung Dhünnaue minimiert werden. Sowohl die bestehende BAB 1 als auch der zu- künftige Ausbaubereich liegen innerhalb jener Altablagerung. Dabei handelt es sich um eine ehemalige Deponie, die bereits Anfang des letzten Jahrhunderts Abfälle der chemischen Industrie aufge- nommen hat und bis in die 1960er Jahre vor allem von den Bayer-Werken genutzt wurde. In ihr lagern unterschiedlichste Abfälle – von völlig unbelastetem Boden- aushub und einfachem Bauschutt über Klärschlamm bis hin zu Produktionsab-fällen aus der chemischen Industrie.Durch die dringend notwendige Erwei- terung der Rheinbrücke muss in die Ab- dichtung der Altablagerung an verschie-denen Stellen flächig oder punktuell eingegriffen werden, denn nur so kön- nen die Fahrbahnen ausgebaut und die zukünftigen Brückenpfeiler sicher im Boden verankert werden. Es müssen ca. 88.000 m³ belastetes Deponat ausgeho-ben und anschließend sicher entsorgt werden. Im Vergleich zur Gesamtaushub-menge entspricht dies etwa einem Drittel.Ein Großteil der aufzunehmenden Ab- fälle ist ungefährlich. Es sind aber ebenso Materialien zu entsorgen, die Lösemittel, chlororganische Verbindungen oder tee- rige Bestandteilen enthalten. Deshalb sind für die Arbeiten umfassende Sicher- heitsmaßnahmen geplant, damit keine Schadstoffe von der Baustelle nach außen dringen.

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Der Anteil des organischen Abfalls ist in der Altablagerung vergleichsweise ge- ring. Da die ehemalige Deponie jedoch sehr inhomogen ist, wurde für die Grün- dung der Brückenpfeiler der Rampenbau-werke und der rechtsrheinischen Wider- lager der Strombrücken eine Tiefgrün-dung unterhalb der Altablagerung auf der tragfähigen Rheinterrasse gewählt. Für jene Tiefgründung muss wiederum in die Altablagerung eingegriffen und Deponat entsorgt werden. Dieses Vor- gehen war einer der zentralen Bestand-teile der Einwendungen und der Klagen gegen den Bau der Maßnahme. Sämtliche Kritikpunkte und Bedenken ließen sich aber in der Gerichtsverhandlung durch das planfestgestellte Sicherungskonzept mit den umfangreichen Emissionsschutz-maßnahmen ausräumen. Die aus allen Randbedingungen ermit- telte Vorzugsvariante der Linienführung erfüllt die genannten Aspekte am besten, und zwar insbesondere hinsichtlich des zu minimierenden Eingriffs in die Altab- lagerung Dhünnaue und der Vorgabe, den Verkehr während aller Bauphasen aufrechtzuerhalten.Zur Ermittlung der geeignetsten Brü- ckenform wurden im Zuge der Planung vier Varianten erarbeitet. Auf Basis der oben genannten Randbedingungen wurde eine Bewertungsmatrix erstellt und auf deren Grundlage die Brücken-form ausgewählt. Es kommt die Variante 1a »Schrägseilbrücke mit A-Pylonen« zur Ausführung. 5 Die Ingenieurbauwerke im Planungsabschnitt Im Planungsabschnitt befinden sich neben der Rheinquerung acht weitere Brückenbauwerke, die wegen des Aus- baus der Bundesautobahn bzw. aus Gründen ihrer Schadhaftigkeit ersetzt werden müssen.

Im linksrheinischen Abschnitt wird die BAB 1 in Richtung Norden verbreitert. Hier wurde ein Baumischlos vergeben, zu dem neben dem Straßenbau das Über- führungsbauwerk in der AS K-Niehl als zweifeldrige Stahlverbundstruktur mit zwei Teilbauwerken und auch eine drei- feldrige Unterführung einer Straßen-bahnlinie gehören, die ebenfalls in zwei Teilbauwerken als Walzträger-in-Beton-(WIB-)Konstruktion auszuführen ist. Dieser Abschnitt befindet sich bereits in der Umsetzung.Im rechtsrheinischen Bereich ver-schwenkt die Verbreiterung der BAB 1 nach Süden. Hier gibt es zwei Bauab-schnitte: Der erste Abschnitt umfasst parallel zur Errichtung des ersten Über- baus der Rheinquerung den Abbruch und Neubau eines Rampenbauwerks (K 33/34) im AK Lev-West sowie den Straßenbau.

5 Visualisierung der gewählten Brückenform © V-Kon.media GmbH/Landesbetrieb Straßenbau NRW

6 Lage der rechtsrheinischen Bauwerke © Ingenieurbüro Grassl GmbH/Landesbetrieb Straßenbau NRW

Das neue Rampenbauwerk ist eine Stahl- verbundkonstruktion mit einer Länge von ca. 445 m. In puncto Straßenbau erfolgt zudem der größte Eingriff in die Altabla-gerung Dhünnaue mit allen dafür vorge- sehenen Sicherungsmaßnahmen. Auch dieser Abschnitt befindet sich derzeit in der Umsetzung.Der verbleibende rechtsrheinische Aus- bauabschnitt beinhaltet die Rampen-bauwerke K 31 (Länge: 445 m) und K 32 (Länge: 742 m) sowie die Hochstraße A. Alle Brücken werden ebenfalls in Stahl- verbundbauweise realisiert. Die Hoch-straße A wird, ähnlich wie die Rheinque-rung selbst, mit zwei getrennten Über- bauten errichtet. Der erste Überbau mit 432 m Länge wird neben dem Bestand hergestellt, danach erfolgen dessen Rückbau und die Errichtung des zweiten Überbaus mit einer Länge von 377 m an der Stelle des bisherigen Bestandsbau-werkes. Im Nachgang zum Ausbau der BAB 1 wird dann das Bauwerk K 36 durch eine Stahl- verbundbrücke mit drei Feldern und einer Länge von 146 m ersetzt.Alle Lärmschutzwände sowie die Fahr- zeugrückhaltesysteme wurden bzw. wer- den in gesonderten Fachlosen ausge-schrieben. Gleichfalls werden insgesamt fünf Beckenanlagen, die das Oberflächen-wasser der Fahrbahnen aufnehmen sol- len, jeweils gesondert ausgeschrieben und gebaut. Zwei der fünf Beckenanlagen sind bereits fertiggestellt, zwei befinden sich im Bau, die fünfte wird noch veröffentlicht.

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50 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

6 Entwurf und Ausschreibung der RheinquerungDie zukünftige Rheinquerung besteht aus jeweils einem Brückenzug je Fahrtrich-tung, wobei sich jeder von ihnen in eine Vorlandbrücke als Spannbetonbauwerk im linksrheinischen Rheinvorland und eine Strombrücke als seilverspanntes Bauwerk in Stahlverbund- bzw. Stahlbau-weise aufgliedert. Die zwei parallelen Schrägseilbrücken erfüllen in optimaler Weise die wirtschaftlichen, bauzeitlichen und bautechnischen Anforderungen.Die Vorlandbrücken haben jeweils sechs Felder und eine Gesamtlänge von 377 m. Die Überbauten sind in Spannbetonbau-weise mit je zwei Hohlkästen konstruiert. Beide Vorlandbrücken stehen bis auf das westliche Widerlager komplett im Über- schwemmungsgebiet des Rheins.Die ca. 689 m lange Strombrücke weist außenliegende Stahlhohlkästen mit den außen angeordneten Seilkonsolen zur Aufnahme der jeweils acht vollverschlos-senen Seile (vier à 164 mm Durchmesser und vier à 120 mm Durchmesser) auf.

Im Bereich der drei Felder des Rheinvor-landes wird die Brücke in Stahlverbund-bauweise, im Stromabschnitt mit einer Spannweite von 280 m in Stahl mit ortho- troper Fahrbahnplatte ausgeführt.Die Fuge zwischen Strom- und Vorland-brücke liegt am Trennpfeiler in Achse 80. Die Rheinbrücken verfügen über jeweils 13 Felder, ihre Gesamtlänge beträgt 1.068,50 m. Im Zuge der Entwurfserarbeitung erga- ben sich Randbedingungen, die hier nur stichpunktartig angesprochen werden, da sie einen eigenen Beitrag darstellen würden.Die radargerechte Konstruktion für die Schifffahrt sei in dem Zusammenhang genauso erwähnt wie die Verankerung von Fahrzeugrückhaltesystemen auf der Stahlbrücke. Gleiches gilt für die zu er- wartenden Mitnahmesetzungen aus dem Herstellen der Gründungskörper eines Brückenbauwerkes neben einer vorhan-denen Brücke. Zum Schutz vor aggressiven Stoffen oder Wässern aus der Altablagerung wurden verschiedene Untersuchungen für die Gründung durchgeführt. Die Pfähle wer- den entsprechend den Ergebnissen inner- halb des Deponats mit PEHD-Rohren ummantelt, wie es im Deponiebau üblich ist.Kampfmitteluntersuchungen sind in jedem Bauvorhaben ein Thema. Alleine dafür wurden im Vorfeld sämtliche Details betrachtet, wodurch sich viele hilfreiche Erkenntnisse in der Planungsphase gewinnen ließen. Hoch- und Niedrigwasserrisiken sind bei Brücken über den Rhein wichtige zu beachtende Rahmenbedingungen der

8 Prinzip der Bohrpfahlummantelung © Ingenieurbüro Grassl GmbH/Landesbetrieb Straßenbau NRW

Planung. Die Minimierung des Risikos gegen Hochwasser durch ständig vorzu- haltende Zuwegungen im Rheinvorland auf Höhe der Hochwassermarke I (Ein- schränkung der Schifffahrt auf dem Rhein) ist nur auf Basis genauer hydrau-lischer Untersuchungen, insbesondere die Auswirkungen auf die Rheinsohle umfassend, zu gewährleisten. Darüber hinaus war eine Randbedingung, dass die Schifffahrt auf Deutschlands meistbefahrener Schifffahrtsstraße immer aufrechterhalten bleiben muss. Ihre Voll- sperrung wurde von Beginn der Planung an durch die Wasserschifffahrtsverwal-tung abgelehnt. Alle Montage- und Demontageplanungen dürfen eine maxi- male Einschränkung der Wasserstraße von 50 m (dortige Gesamtbreite: 150 m) ausweisen. Um im rechtsrheinischen Bereich den die Rheinbrücke unterquerenden Abschnitt der BAB 59 ebenfalls so wenig wie mö- glich einzuschränken, wird dieses Feld des Stahlverbundüberbaus längs ver- schoben.Sehr wichtig war auch die Aufrechterhal-tung der Radverkehrsverbindung über den Rhein, die, parallel zum Straßenver-kehr, jeweils über die Bestandsbrücke sichergestellt ist.Nicht uninteressant bei der Größenord-nung der Brücke ist zudem der Rückbau des maroden Bestandsbauwerks. Das Demontagekonzept sieht vor, dass in etwa so demontiert wird, wie damals ihre Herstellung erfolgte. Aufgrund ihres bautechnischen Zustands wurde dafür eine geprüfte Statik erarbeitet. Das Er- gebnis zeigt, dass Verstärkungen gegen Beulstabilität vor dem Rückbau einge-bracht werden müssen.Das Interesse an der Bestandskonstruk-tion ist groß: Immer mehr Stahlbrücken aus der Bauzeit weisen heute ähnliche Probleme wie die Rheinbrücke Leverku-sen auf. An den demontierten Stahltei- len sollen daher Untersuchungen zur Schweißbarkeit von Altstahl und zu anderen Möglichkeiten der Verstärkung unter der Federführung der Bundesan-stalt für Straßenwesen (BASt) erfolgen.

7 Übersicht: Rheinbrücke im Bauwerksentwurf © Ingenieurbüro Grassl GmbH/Landesbetrieb Straßenbau NRW

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511/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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7 Besonderheiten aus Sicht des BauherrnDieses Großprojekt mit seinem beson-deren Status und seinen außergewöhn-lichen Randbedingungen ist kein all- tägliches Geschäft. Es lassen sich einige Highlights nennen, die man nicht so oft in seiner beruflichen Laufbahn erleben darf: Zum einen der Erörterungstermin im Juli 2016, der durch die Bezirksregierung Köln als Anhörungsbehörde in der Stadt- halle Köln-Mülheim durchgeführt wurde. Die Erörterung fand, unterteilt in Einzel- themen der Einwendungen der Bürger und der Träger öffentlicher Belange, an insgesamt fünf Tagen täglich von 8 bis 20 Uhr statt. Dann die mündliche Verhandlung beim 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig am 26. und 27. September 2017. Im Vorfeld dazu fanden eine um- fangreiche Vorbereitung sowie im An- schluss daran die Verhandlung selbst mit einer Vielzahl an Fachberatern und Planern statt.Die Urteilsverkündung erfolgte am 11. Oktober 2017. Die Klagen wurden abgewiesen (BVerwG 9 A 14.16 und BVerwG 9 A 17.16), so dass gebaut werden durfte.

Weitere Besonderheiten sind folgende Randbedingungen: Das Planungsgebiet ist geprägt durch große Industrieanlagen beiderseits des Rheins, wodurch sich eine Vielzahl an Versorgungsleitungen dort befindet. Die Leitungsverlegung, im Kleinen wie im Großen, sowie der Schutz der Leitungen kosten nicht nur viel Zeit und Geld, son- dern erschweren auch die baulogistische Abwicklung. Schützenswerte Tiere und Pflanzen befinden sich ebenfalls in die- sem Planungsraum und wurden sowohl bei der Planung als auch bei der Aus- schreibung und der jetzt stattfindenden Baudurchführung berücksichtigt. Zahlreiche Einwände der Bürger und Initiativen mussten beantwortet werden, Akteneinsichten gewährt, Bürgerinforma-tionsveranstaltungen durchgeführt und Vereinbarungen mit Dritten, wie zum Beispiel Versorgungsunternehmen, getroffen werden. Die Grunderwerbsthemen nehmen gleichfalls viel Raum ein. Außerdem gilt es Lärm- und Erschütterungsmessungen, begleitend zum Bau, durchzuführen und vielfältige Anfragen aus der Bürgerschaft und der Politik zu beantworten.

Es mussten etliche Fachthemen durch externe Dienstleister und Ingenieurbüros bearbeitet werden. So sind im Zuge des Projektes zahlreiche Verfahren gemäß der Vergabeverordnung für öffentliche Auf- träge (VgV) nach EU-Richtlinie durchge-führt worden. Abschließend ist zu sagen, dass alle am Projekt Beteiligten in einer kurzen Zeit sehr viel geleistet haben. Nur mit außer- ordentlichem und persönlichem Engage- ment konnte der bisherige Terminplan eingehalten und nur so kann das Ziel erreicht werden, die Verkehrsfreigabe des ersten Teilbauwerks der Rheinquerung bis Ende 2020 zu schaffen!

Autorin:Dipl.-Ing. Nicole RitterbuschLandesbetrieb Straßenbau NRW,Köln

BauherrBundesrepublik Deutschland

AuftragsverwaltungLandesbetrieb Straßenbau NRW, Regionalniederlassung Rhein-Berg, Außenstelle Köln, Projektgruppe Kölner Autobahnring

Bauwerksentwurf Ingenieurbüro Grassl GmbH

Bundesautobahn A1 | AS Köln-Niehl - AK Leverkusen-West8-streifiger Ausbau inkl. Ersatzneubau der Rheinbrücke Leverkusen

www.grassl-ing.de

GesamtplanungVerkehrsanlagen, Ingenieurbauwerke, Baugestalterische Beratung, Geotechnik, Deponie, Emissionsschutz, Kampf-mittelfreiheit, Lärmschutz, Luftschadstoffe, Aerodynamik, Hydraulik, Baulogistik und SiGeKo

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52 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Eine seilverspannte Brücke im Seeton

Mangfallbrücke Rosenheim von Hans Grassl, Jacqueline Donner

Die Westtangente Rosenheim schließt die Lücke zwischen der bestehenden B 15 nördlich von Rosenheim und der A 8. Dieser Lückenschluss erfordert unter anderem die Querung des dicht- bebauten Gewerbegebiets Aicher-park, der Mangfall und des Mang-fallkanals. Der durch sehr mächtige Beckenablagerungen, sogenannte Seetone, Tone, Schluffe und See-sande umfassend, gekennzeich-nete Rosenheimer Baugrund stellt aufgrund seiner Setzungsanfällig-keit eine wesentliche Randbedin-gung für die Neubaumaßnahme dar. Die neue Mangfallbrücke erfüllt mit ihrem weichen seilverspannten System die durch den setzungs-empfindlichen Baugrund gestellten Anforderungen bestmöglich und fügt sich als schlankes und transpa-rentes Bauwerk mit Zurückhaltung in das landschaftliche und städte-bauliche Umfeld ein.

1 Hintergrund der MaßnahmeDie Bundesstraße B 15, Westtangente Rosenheim, stellt eine tangentiale Ver- bindung zwischen der Bundesautobahn A 8 und der bestehenden B 15 nördlich von Rosenheim dar. Sie beginnt ca. 2 km westlich des Inntaldreiecks an der BAB A 8 und schließt mit einer neuen An- schlussstelle an die Autobahn an. Sie verläuft in Richtung Norden zwischen den Orten Schlipfham und Westerndorf und überquert die St 2078 westlich des Rosenheimer Ortsteiles Schwaig. An- schließend überquert die Westtangente Rosenheim die Mangfall, den Mangfall-kanal, das Gewerbegebiet Aicherpark an der Stadtgrenze zwischen Rosenheim und Kolbermoor, die Bahnlinie Holzkir-chen–Rosenheim und den Stillerbach mit einer ca. 650 m langen Brücke, »Hoch-straße über den Aicherpark« genannt, und durchfährt nördlich davon Wald-gebiete, Felder, das Inntal, kreuzt zwei Bahnlinien und schließt nördlich von Pfaffenhofen wieder an die bestehende, bereits ausgebaute B 15 an.Die Verkehrsbelastung auf der B 15 wird im Prognosehorizont 2030 bei voller Ver- kehrswirksamkeit der Westtangente Rosen- heim im Bauwerksbereich südlich der An- schlussstelle Aicherpark mit 19.600 Kfz/d und nördlich der Anschlussstelle mit 20.200 Kfz/d veranschlagt.

Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten ergibt sich unabhängig von der letztlich gewählten Entwurfsvariante für das Gesamtbauwerk (Bau-km 3+807.50– 4+476.00) eine »Trennung« in zwei Teil- bauwerke. In der Abwägung stellte sich für Teilbauwerk 1 (Bau-km 3+807.50– 4+000.00) ein schlanker Stahlverbund-überbau als Durchlaufträger in Kombi-nation mit einer relativ flach geneigten Überspannung und niedrigen Pylonen als bevorzugte Variante heraus. Für Teilbau-werk 2 (Bau-km 4+000.00–4+476.00) mündete der Abwägungsprozess eben- falls in einen Stahlverbundüberbau, hier als mehrfeldrige, durchlaufende Deck- brücke ausgebildet. Der Übergang zwi- schen den beiden Teilbauwerken erfolgt bei Bau-km 4+000 mittels eines Trenn-pfeilers.Gegenstand des vorliegenden Tagungs-beitrags ist das seilverspannte Teilbau-werk 1 zur Querung der Mangfall und des Mangfallkanals und damit die Mangfall- brücke südlich des Gewerbegebietes Aicherpark westlich von Rosenheim mit einer Gesamtspannweite von 192,50 m. Die beengten Verhältnisse im Gewerbe-gebiet des Aicherparkes und die Fluss- läufe bilden die Hauptzwangspunkte der Bauwerksplanung. Insgesamt ist hier auf die besonderen örtlichen Verhältnisse

1 Visualisierung der Gesamtmaßnahme mit beiden Teilbauwerken: Brücke über Renkenweg, Mangfall und Mangfallkanal sowie Brücke über Aicherpark und Deutsche Bahn © Ingenieurbüro Grassl GmbH

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531/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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hinzuweisen: Die Mangfallbrücke quert ein Gewässer erster Ordnung, einen parallel dazu verlaufenden Kanal und Teile des Gewerbegebiets. Eine große Herausforderung stellt dabei unter ande- rem die Errichtung des nördlichen Brü- ckenteils im Gewerbegebiet dar, da hier das Bauwerk unter beengten Verhältnis-sen auf Betriebsgrundstücken unter Aufrechterhaltung der Produktion und Logistik realisiert werden muss.Die Gradiente im Brückenbereich ist einer möglichen Trassierung der B 15 Westtan-gente in diesem Bereich geschuldet. Die Zwänge aus den örtlichen Gegebenhei-ten und Auflagen aus dem Planfeststel-lungsverfahren bedingen die gewählte Trassierung. Eine Optimierung der Tras- sierungselemente bezüglich des Brücken- baus wurde angestrebt, soweit dies auf- grund der Rahmenbedingungen machbar war.Die Längsneigung der Mangfallbrücke zwischen den Widerlagern beträgt 0,80 %, die Querneigung variiert mit einem Quer- neigungswechsel auf der Brücke zwi- schen -3,15 % und 4 %. Von Süden kom- mend, nähert sich die Gradiente der Mang- fallbrücke mit einem Radius R = 800 m und geht mit einer Klothoide A = 275 auf einen Radius R = 600 m über.Auf Basis der Vorgaben aus der Planfest-stellung und der örtlichen Situation waren vor allem nachfolgende Rand-bedingungen zu berücksichtigen:– Das Lichtraumprofil für Fußgänger und

Radfahrer auf der mittleren Damm-krone zwischen Mangfall und Mang-fallkanal liegt mit einer minimalen lichten Höhe im Bauwerksbereich bei 2,25 m über Dammoberkante.

– Das Lichtraumprofil für Fahrzeuge liegt beim Renkenweg am südlichen Wider- lager mit einer minimalen lichten Höhe im Bauwerksbereich bei 4,00 m über Belagsoberkante.

– Der Kreuzungswinkel zwischen der B 15 und der Mangfall beträgt ca. 124 gon.

– Die Trasse der B 15 liegt im Brückenbe-reich in einer Wendeklothoide, A = 275, die Gradiente wird mit einer konstan-ten Längsneigung von 0,80 % über die Mangfall und den Mangfallkanal geführt.

– Der Fahrbahnquerschnitt besitzt ein Pultprofil mit Querneigungswechsel auf dem Bauwerk (-3,15 bis +4,00 %).

– Die erdverlegten Wasser- und Hoch-druckgasleitungen der Stadtwerke Rosenheim laufen mit variablem Ab- stand relativ parallel zur Bauwerks-trasse.

– Das Querprofil (Regelquerschnitt in Anlehnung an RQ 10,5) ist wie folgt aufgeteilt: Notgehweg und Schutzein-richtung 1,80 m, Fahrbahn 8,00 m, Notgehweg und Schutzeinrichtung 1,80 m.

– Für die Gründung steht setzungsemp-findlicher Baugrund durch mächtige Beckenablagerungen in Form von Seetonen an.

– Im nördlichen Teil des Brückenbau-werks tangiert die Trasse unmittelbar die vorhandenen Gewerbebauten des Aicherparks.

2 BaugrundDas Bauvorhaben liegt im Bereich von sehr mächtigen Beckenablagerungen. Bei diesen Beckenablagerungen handelt es sich um sogenannte Seetone, Tone, Schluffe und Seesande: Während die Seetone bei überwiegend weicher Kon- sistenz stark zusammendrückbar sind, konnten bei den Seesanden eine mittel- dichte bis dichte Lagerung und entspre-chende Tragfähigkeit nachgewiesen wer- den. Es galt zu berücksichtigen, dass die vorhandenen Seetone äußerst sensitiv sind und sich bei Erschütterungen ver- flüssigen. Das Bauwerk befindet sich im Mangfalltal, in dem die Beckenablage-rungen von Auelehmen und Kiesschich-ten mit einer Mächtigkeit zwischen 4 m und 7 m überdeckt sind. Das Grund- wasser fließt in den wasserleitenden Kiesschichten.

3 EntwurfsplanungZiel des Entwurfs war ein Brückenbau-werk mit ausgewogenen Proportionen, das sich gut in die landschaftliche Situ- ation und das Gewerbegebiet einpasst. Aufgrund der beschriebenen besonderen örtlichen Randbedingungen, der Vorga- ben aus der Planfeststellung und der schwierigen Baugrundverhältnissen wa- ren die »grundsätzlichen« Variationsmög-lichkeiten im Zuge der Entwurfserarbei-tung sehr eingeschränkt.

Im Bereich der Mangfallbrücke ist auch der Naherholung als wichtiger Nutzung in verstärktem Maß Rechnung zu tragen, da hier entlang den Gewässern mit ent- sprechendem Wegenetz eine starke Fre- quentierung von Fuß- und Radverkehr stattfindet. Resultierend aus der Gradien- tenlage, den notwendigen Stützweiten, der Aufrechterhaltung der bestehenden Wege und der Einhaltung des Hochwas-serabflusses lässt sich hier nur ein oben- liegendes Tragwerk errichten. Die man- gels technischer Realisierbarkeit ausge- schlossenen Bauweisen würden darüber hinaus auch aus optischen und gestalte-rischen Gründen nicht in Frage kommen, da sie infolge ihrer großen Überbauhö-hen den Flussraum regelrecht »abriegeln« würden.Abweichend vom Vorentwurf einer Stab- bogenbrücke über die Mangfall mit Durchlaufwirkung zum Nachbarfeld als Deckbrücke über den Mangfallkanal muss, gemäß der zweiten Tektur der Planfeststellung, der Abschnitt Bau-km 3+810–3+842 südlich der Mangfall im Bereich des Renkenwegs freigehalten und das Widerlager in Richtung Süden verschoben werden. Weiterhin sind be- züglich des querenden Dükers für die Hauptwasser- und Gashochdruckleitung der Stadtwerke Rosenheim beim Mittel- damm sowie für eine im Rahmen der Vorplanung vorgesehene Gründung des Bauwerkes in diesem Bereich Kosten für eine etwaige Spartenverlegung (vorhan-dene Kollision mit Gründungsbauteilen im Mitteldamm) ermittelt worden, welche sich auf über 3 Mio. € belaufen. Die Ver- legung der Leitungen wurde in der Ab- wägung wegen der örtlichen Randbedin-gungen als großes Risiko betrachtet, das es möglichst zu vermeiden gilt. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Mangfall und den Mangfallkanal mit einem großen Feld ohne Pfeiler im Mittel- damm zwischen den beiden Gewässern zu überbrücken. Dabei scheiden aufgrund des setzungsempfindlichen Baugrunds steife Durchlaufträgertrogbrücken aus. Übrig bleiben obenliegende Stabbögen in Form von Langer‘schen Balken als Einfeldträgerketten oder mit Durchlauf-wirkung, Trogbrücken als Einfeldträger-ketten sowie seilverspannte Brücken als Durchlaufsysteme.

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54 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Maßgebend für die Wahl der Vorzugsvari-ante einer seilverspannten Stahlverbund-brücke mit niedrigen Pylonen waren die gute Einpassung in das landschaftliche und städtebauliche Umfeld, die hohe Dauerhaftigkeit durch den Verzicht auf Bauwerksfugen und die durch den wei- chen Überbau vorhandene gute Verträg-lichkeit hinsichtlich der zu erwartenden Differenzsetzungen. Durch die Einspan-nung der Pylone in den Überbau und die Anordnung von Lagern in den Pylonach-sen werden die Gründungslasten redu- ziert und Ausgleichsmöglichkeiten zur Kompensation der Differenzsetzungen geschaffen. Eine weitere Minimierung der Gründungslasten resultiert aus den Haupt- und Querträgern sowie Pylonen in Stahlbauweise. Lediglich die Fahrbahn-platte wird im Hinblick auf die Verkehrs-sicherheit und die Betriebskosten im Win- ter in Stahlbeton ausgeführt. Darüber hinaus bietet das seilverspannte System durch die Möglichkeit der Nutzung des endgültigen Tragwerks für den Freivorbau bei der Montage große Vorteile gegen-über einer Stabbogenreihe. Der dreifeldrige Überbau der Vorzugsvari-ante besteht aus einem Stahlträgerrost mit außenliegenden, torsions- und biege- steifen Längsträgern aus luftdicht ver- schweißten Stahlhohlkästen. Zur Steige- rung der wahrgenommenen Schlankheit in der Brückenansicht weisen die Außen- stege im Querschnitt einen Knick auf. Durch die neigungsbedingte unterschied-liche Reflexion des Lichts wird eine Glie- derung der Ansichtsfläche erzeugt – oberhalb des Knicks in ein durchlaufend helles und unterhalb in ein dunkles Band.

In Querrichtung werden im Abstand von 3,45 m Stahlquerträger als offene Profile angeordnet, die an die Längsträger bie- gesteif angeschlossen sind. Die über den Querträgern liegende Stahlbetonfahr-bahnplatte wirkt in statischem Verbund.An den Innenstützen wird je Längsträger ein Pylon situiert, in der Fachliteratur für das System der extern überspannten Brü- ckenbauwerke auch als »Deviator« be- zeichnet, der jeweils mit 8° zur Lotrechten nach außen geneigt ist. Die Überspan-nungen aus Stahlzuggliedern liegen in der Ebene zwischen Pylon- und Längs-trägerachse.Die Zugglieder werden durch Litzenbün-delseile gebildet, die am Deviator fest und an den Längsträgern nachspannbar verankert sind. Die Litzenbündelseile werden aufgrund der beengten Platzver-hältnisse für die Bauzustände – es sind nur aufgerollte Litzenbündel verwendbar, und ihr Einbau muss mit leichtem Gerät erfolgen –, der guten Prüfbarkeit des Litzenzustandes (magnetinduktive Prü- fung) und des mittlerweile erfolgreich erprobten Einsatzes (ohne Zustimmung im Einzelfall) den vollverschlossenen Seilen vorgezogen. Ein ausführlicher Vergleich der beiden möglichen Spann-systeme ist in aktueller Fachliteratur (BASt-Heft B 98 und Stahlbau-Kalender 2012) zu finden. Die Litzen sind an- und nachspannbar sowie austauschbar. Die Seilverankerung schließt statisch vorteilhaft in den Systemachsen der Längsträger an. Eine Konsolkonstruktion an den Längsträgeraußenseiten, welche neben dem exzentrischen Anschluss in Querrichtung auch geometrisch bedingte Zusatzmomente abtragen müsste, wäre

ebenso aufwendig und passt nicht zum gestalterischen Konzept des Bauwerkes mit seinem durchgängigen Überbauband und geneigten Außenseiten. Die Proble- matik der Seilschwingung wurde im Zuge der Ausführungsplanung überprüft. Den- noch ist es möglich, Schwingungsdämp-fer nachträglich vorzusehen, sollte sich in der Realität ein anderes Ergebnis zeigen. Für die gesamte Stahlkonstruktion wird Stahl der Gütegruppen S 355 und S 460 nach DIN EN 10025 für Zugbleche bis t = 80 mm und -30 °C Nutzungs- bzw. Verarbeitungstemperatur gewählt. Die Errichtung der Fahrbahnplatte aus Stahl- beton erfolgt in C 35/45, sie ist schlaff bewehrt.Die Dicke der Stahlbetonverbundplatte beträgt im Regelquerschnitt 35 cm. Sie ist in den Randfeldern auf jeweils ca. 31,00 m Länge auf ca. 1,20 m vergrößert, um den erforderlichen Ballast für die Lagerstabilität zu gewinnen. Der Ballast wird als voll mittragender Konstruktions-beton ausgeführt und die in Längsrich-tung wirkenden Zwangskräfte über seitlich angeordnete Kopfbolzen in die Hauptträger eingeleitet. Eine Zugveran-kerung der Lager ist aufgrund der zu gewährleistenden Ausgleichbarkeit von Auflagersetzungen (Ausgleichsplatten) nicht möglich. Die Lagerung des Überbaues erfolgt auf jeweils zwei Kalottenlagern an allen Pfei- lerachsen und an der Widerlagerachse. Zur Querfesthaltung des Überbaues ist an den Achsen 20 und 30 jeweils ein Lager quer fest vorgesehen. Der Festpunkt in Längsrichtung wird durch eine Festhal-tung an dem westlichen Pfeilerlager der Achse 30 erzielt.

2 Künftige Autofahrerperspektive: Brücke über Renkenweg, Mangfall und Mangfallkanal © Ingenieurbüro Grassl GmbH

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Aufgrund der Setzungsproblematik und der hohen, für den Überbau nicht ver- träglichen möglichen Differenzsetzungen ≤ 6 cm werden nach Feststellung von Differenzsetzungen ≥ 2–3 cm Ausgleichs-platten eingefügt. Bei der statischen Berechnung wurden Differenzsetzungen von 3 cm berücksichtigt. Für spätere Lagerwechsel wurden Pressenplätze zum Anheben des Überbaues angeordnet, die an den Pfeilern und am Widerlager unter den Längsträgerinnenstegen bzw. Quer- trägern und Endquerträgern seitlich der Lagersockel platziert sind.Je Übergang wird eine geräuscharme, wasserdichte Lamellenfahrbahnüber-gangskonstruktion mit auskragenden rautenförmigen Stahlplatten im Fahr-bahnbereich eingebaut. Im Gehwegbe-reich sind die Lamellen mittels Tränen-blechen abgedeckt. Am Widerlager Süd, Achse 10, und am Trennpfeiler ist die Fahrbahnübergangskonstruktion an den Anschlüssen zum Längsträger jeweils um 90° abgewinkelt.Die Pylonhöhe beträgt ca. 10,70 m, so dass sich ein Verhältnis von 1/10 zur maximalen Spannweite ergibt. Die Py- lone mit reduzierter Bauhöhe fügen sich gut in die Umgebung ein.Die Pylonpfeiler, als Stützenscheiben mit abgesetzten Auflagerbereichen vorgese-hen, weisen an den Stirnseiten analog zur Neigung der Pylone einen um 8° nach außen geneigten Verlauf mit einem abge- kanteten Rechteckquerschnitt aus Stahl- beton auf. Sie sind jeweils rechtwinklig zur Bauwerksachse unterhalb der Pylone angeordnet, die variablen Grundriss-abmessungen betragen maximal 15,10 m × 1,90 m.

Der Trennpfeiler weist analog den Pylon- pfeilern einen zur Außenseite abgekante-ten Rechteckquerschnitt aus Stahlbeton, auch mit geneigten Stirnseiten und vari- ablen Querschnittsbreiten, mit den Außen- abmessungen von maximal 14,10 m ×

2,45 m auf. Angeordnet ist er unterhalb der Lagerachsen der hier zusammen auf- liegenden Mangfall- und Aicherpark-brücke.Für das Widerlager ist ein Kastenwider-lager aus Stahlbeton geplant.

3 Komplette Querung von Renkenweg, Mangfall und Mangfallkanal © Ingenieurbüro Grassl GmbH

4 Querschnitt in Pfeilerachse 30 © Ingenieurbüro Grassl GmbH

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56 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Die vorgesehene Mischgründung besteht aus Pfahlkopfplatten, Ortbetonbohrpfäh-len, Vertikaldrains und Verdrängungssäu-len. Ihre konstruktive Durchbildung und sämtliche baubegleitende Maßnahmen zu ihrer Herstellung und Qualitätssiche-rung beruhen auf der Gründungsempfeh-lung des Zentrums für Geotechnik der Technischen Universität München (TUM), die auf Basis umfangreicher Pfahlprobe-belastungen entwickelt wurde. Im Ergeb- nis stellt die Mischgründung in ihrer Ge- samtheit ein robustes Gründungsbauteil dar, welches nicht nur auf das Tragverhal-ten einzelner Bohrpfähle angewiesen ist.Die Verdrängungssäulen bewirken eine Verdichtung und eine Verspannung des Bodens, die eine Erhöhung der Scherfes-tigkeit und der Steifigkeit des Seetons sowie des aktivierbaren Mantelreibungs-widerstandes der Bohrpfähle hervorrufen. Zudem erzeugen die Verdrängungssäulen eine Homogenisierung des Baugrundes hinsichtlich seines Tragverhaltens und wirken herstellungsbedingten Störungen entgegen. Die Verdrängungssäulen wer- den nicht an die Pfahlkopfplatten ange- schlossen. Es ist ein Polster aus gebro-chenem, gut verdichtbarem Material als Drainageschicht unter den Pfahlkopf-platten vorgesehen, die ebenfalls einen direkten Kraftschluss mit den Verdrän-gungspfählen verhindert. Die Vertikaldrains ermöglichen einen raschen Abbau der durch die Bodenver-drängung infolge der Herstellung der Ver-drängungspfähle induzierten Porenwas-serüberdrücke und somit eine schnelle

Konsolidierung des Seetons. Sie führen das Wasser in die Kiesschicht unterhalb der Pfahlkopfplatte, die mit einer Drai- nage zu entspannen ist. Durch die für die Errichtung der Pfahlkopfplatten vor- gesehenen Spundwände, die ausreichend in den Seeton einbinden und auch nach Fertigstellung der Pfahlkopfplatten ver- bleiben sollen, wird dauerhaft eine hy- draulische Verbindung der Vertikaldrains mit dem quartären Grundwasserhorizont in den kiesigen Deckschichten verhindert.

4 AusführungsplanungIm Rahmen der Ausführungsplanung wurden die statischen Nachweise des Überbaus unter Zuhilfenahme von Be- rechnungsmodellen erbracht. Hierfür wurde ein Stabwerkmodell mit Sofistik für den Stahlbau erzeugt und die Fahr- bahnplatte mit Plattenelementen inte- griert. Somit war es möglich, sowohl die Nachweise des Stahlbaus als auch die Bewehrungsermittlung in der Beton-platte an nur einem Modell durchzu-führen. (Bild 5)

6 7 Auszug Stahlbaudetailplan: Längsschnitt in Pylonachse und zugehöriges Detailmodell des Pylonkopfes für die Berechnung © Ingenieurbüro Grassl GmbH

5 Berechnungsmodell der Ausführungsplanung © Ingenieurbüro Grassl GmbH

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Das Tragwerk hat, wie beschrieben, einige konstruktiv anspruchsvolle Details, wel- che ausgearbeitet und entsprechend statisch nachgewiesen wurden. Für die statischen Betrachtungen wurden Detail- modelle als Finite-Elemente-(FE-)Platten- modelle erstellt. Problematisch sind bei derartigen Detailmodellen insbesondere die korrekte Lagerung im Raum und das Aufbringen der Beanspruchungen. 7 Auszug Stahlbaudetailplan: Längsschnitt in Pylonachse

und zugehöriges Detailmodell des Pylonkopfes für die Berechnung © Ingenieurbüro Grassl GmbH

10 11 Seilverankerung im Hauptträger: Längsschnitt mit Ansicht, Längsschnitt und Draufsicht (v.o.n.u.) © Ingenieurbüro Grassl GmbH

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8 Einbindung des Pylonkopf-Detailmodells ins Stabwerkmodell © Ingenieurbüro Grassl GmbH

Um diesem Umstand Rechnung zu tra- gen, wurden sie jeweils in das Stabwerk-modell integriert, was gewährleistete, die Randbedingungen und Beanspruchun-gen der im Stabsystem integrierten De- tailmodelle zutreffend zu erfassen. Solche Detailmodelle wurden für die Seilveran-kerung im Längsträger, an der Stelle mit der maximalen Seilkraft, einen Pylonkopf inklusive sämtlicher Seilverankerungen

und einer monolithischen Verbindung zwischen Pylonfuß und Längsträger erar- beitet, in das Stabwerkmodell integriert und nachgewiesen. Die Rechenzeiten konnten mit diesem Vorgehen in einem verträglichen Rahmen gehalten werden.

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58 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Da die Geometrie des Stahlbaus aufgrund der Trassierung im Grundriss als Klothoi-de und des vorhandenen Querneigungs-wechsels sehr komplex und variabel über die Brückenlänge ist und, im Raum lie- gend, über schräge und variable Winkel verfügt, wurden jene Detailmodelle mit Revit erstellt. Das Revit-3-D-Modell wurde in das Sofistik-Modul Sofiplus übertragen, daraus ein Strukturmodell erzeugt und mit Koppelelementen in das Stabwerk-modell integriert. Die Planauszüge und Graphiken der Strukturmodelle in den Bildern 6–14 illustrieren die beschriebene Vorgehensweise beispielhaft für das Pylonkopf- und das Seileinleitungsdetail. Für den Pylonfußpunkt wurde das gleiche Vorgehen gewählt.

Diese Detailmodelle konnten zudem zur Überprüfung des Zusammenbaus und der Schweißreihenfolge sowie zur Festlegung der Schweißnahtdetails verwendet wer- den. Da der Bauablauf wesentliche Aus- wirkungen auf die Beanspruchungen in den Bauteilen, mögliche Umlagerungen im System und somit auf die Nachweise hat, wurden die einzelnen Bauphasen im Berechnungsmodell detailliert abgebil-det. Abschließend wurde mit jenem Modell die Verformungsberechnung für die Angabe der Überhöhung erarbeitet.

Neben der komplexen und anspruchsvol-len Geometrie des Überbaus stellt die Gründung der Brücke im Rosenheimer Seeton eine wesentliche Herausforderung sowohl für die Planung als auch für die Realisierung dar. Durch das Zentrum für Geotechnik der TUM wurde ein Herstel-lungsverfahren entwickelt und anhand von Pfahlprobebelastungen verifiziert. Parameter, wie die Bohr- und Ziehge-schwindigkeit, das Vorauseilmaß der Verrohrung, die Wasserauflast, die Prü- fung des Bohrloches etc., wurden opti- miert und sind exakt für die Ausführung vorgegeben.

13 14 Detailmodell des Seileinleitungspunkts: Außenansicht und Blick ins Innere © Ingenieurbüro Grassl GmbH

12 Einbindung des Detailmodells »Seileinleitungspunkt« ins Stabwerkmodell © Ingenieurbüro Grassl GmbH

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591/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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15 Mischgründung in den Pylonachsen auf 17 Großbohrpfählen, 50 Drainagesäulen und 66 Verdrängungspfählen © Zentrum für Geotechnik der Technischen Universität München

Abschließend wurde ein Gründungsvor-schlag ausgearbeitet, der eine Misch-gründung auf Großbohrpfählen mit der Bodenverbesserung durch ringsherum angeordnete Verdrängungs- und Drai- nagesäulen vorsieht (Bild 15). Ein Teil der Belastungen wird durch den verbesserten Boden abgetragen, das Gros durch die Großbohrpfähle. Hiermit konnte der Nachweis der Gründungsele-mente erbracht werden. In den Pylonach-sen der Brücke über Renkenweg, Mang- fall und Mangfallkanal müssen die Grün- dungselemente ab Unterkante Pfahl- kopfplatte 45 m lang sein. Mit einer Auf- standsfläche für die Geräte 5 m oberhalb der Pfahlkopfplattenunterkante ergeben sich 50 m erforderliche Bohrlängen so- wohl für die Großbohr- als auch für die Drainage- und Verdrängungspfähle. Im Rahmen der Probebelastungen wurde die Realisierbarkeit dieser Lösung, die mit solchen Abmessungen und in einer derartigen Komplexität in Deutschland erstmalig realisiert werden muss, nachgewiesen. Zur Überprüfung des Bodenverhaltens während der Bauausführung und der nachfolgenden Setzungen wurde durch das Zentrum für Geotechnik der TUM zudem ein Monitoringkonzept erstellt, welches Gegenstand der Ausschreibung der Bauleistung ist und auch in dieser Form zur Ausführung kommen wird.

5 AusschreibungBei der Brücke über Renkenweg, Mangfall und Mangfallkanal stellt die Ausschrei-bung von Litzenbündelseilen aktuell noch eine Besonderheit dar. Zum Zeit- punkt der Bearbeitung lag keine allge- meine bauaufsichtliche Zulassung für ein System mit 37 Litzen vor. Somit wurden sowohl die Bauleistung der Seile als auch die Arbeiten zur Erlangung einer Zustim- mung im Einzelfall (ZiE) in das Leistungs-verzeichnis aufgenommen und in der Baubeschreibung – in Anlehnung an die fib recommendation »acceptance of stay cable systems using prestressing steels« und die ZTV-ING Abschnitte 4-4 und 4-5, welche damals nur als Gelbdruck vorla- gen – die entsprechenden Randbedin-gungen erläutert. Außerdem wurde mit Abgabe des Angebotes gefordert, den Seillieferanten und eine Zeitschiene zur Erlangung der ZiE zu nennen, neben weiteren Punkten zum gewählten Sys- tem. Damit soll sichergestellt werden, dass diesem doch sehr kritischen Punkt von den Bietern in der Angebotsphase ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Bei der Erstellung der Ausschreibung war zu berücksichtigen, dass wesentliche Teile der Ausführungsplanung – das umfasste Standsicherheitsnachweise, Überhöhungsberechnungen, Stahlbau-, Schal- und Bewehrungspläne sowie Pläne für Absteckung, Entwässerung, Erdung und Ausstattung – dem Auftragnehmer (AN) vom Bauherrn zur Verfügung gestellt werden. Aufgrund der Komplexität des Projekts sowie zur Sicherstellung der Terminschiene, zur Erlangung einer Mas- sensicherheit und zur Reduzierung des Nachtragspotentials wurde auf das zu Zeiten der Beauftragung von Sondervor-schlägen im Brückenbau gängige Über- springen der Leistungsphasen 4 und 5 der Tragwerksplanung verzichtet. Hierbei ist es enorm wichtig, die Leistungsgrenze exakt zu definieren und zu beschreiben, so dass für den AN Bau bei der Angebots-bearbeitung klar erkennbar ist, welche Teilleistungen der Ausführungsplanung, wie zum Beispiel Montage- und Werk-stattplanung etc., von ihm zur Realisie-rung der Maßnahme zu erbringen sind.

6 BauausführungEnde Oktober 2018 wurde die Arbeits-gemeinschaft aus Habau Hoch- und Tief- baugesellschaft mbH und MCE GmbH beauftragt, die Bauleistung auszuführen. Für die Spezialtiefbauarbeiten sind die Firmen Bauer AG und Menard SAS als Nachunternehmer vorgesehen. Nach ersten Anlauf- und Abstimmungsge-sprächen wird aktuell die Planung des Spezialtiefbaus vorgenommen und die Werkstattplanung für die Stahlbauten erstellt. Direkt nach Auftragsvergabe erfolgten Abstimmungsgespräche mit der Stahl- baufirma, um die Stahlbaudetails und den vorgesehenen Bauablauf zu disku- tieren. Einige Anpassungen hinsichtlich der firmenspezifischen Fertigungs- und Montagerandbedingungen konnten be- rücksichtigt werden. Mit den abgestimm-ten Parametern wurde die Überhöhungs-berechnung erneut durchgeführt und dann übergeben.

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60 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Zur Verkürzung der Bearbeitungszeiten für die Werkstattplanung wurde die Systemgeometrie als Grundlage für die Werkstattzeichnungen als Plandarstel-lung und in Tabellenform dem Werkstatt-planer übersandt. Die Stahlbaugeome-trie wurde in Abhängigkeit der Quernei- gung entlang der Trassierungsachse mit Dynamo Studio programmiert und in Revit abgebildet.Neben den oben beschriebenen Detail- modellen hat auch hier die Anwendung neuer Technologien zu einer Verkürzung der Bearbeitungsfristen sowie zu einer Verbesserung der Qualität und Genauig-keit der Ergebnisse geführt.Mit der Stahlbaufertigung soll im Novem- ber 2019 begonnen werden, die Fertig- stellung der Brücke ist für August 2022 geplant.

AutorenDr. sc. techn. Hans GrasslDipl.-Ing. Jacqueline DonnerIngenieurbüro Grassl GmbH,München

BauherrFreistaat Bayern

AuftraggeberStaatliches Bauamt Rosenheim

Objekt- und Tragwerksplanung: Entwurf, Genehmigungs- und Ausführungsplanung, Vorbereitung und Mitwirkung bei der Vergabe Ingenieurbüro Grassl GmbH, München

Örtliche Bauüberwachung und BauoberleitungSSF Ingenieure AG, MünchenIngenieurbüro Grassl GmbH, München

Fachbauüberwachung GeotechnikIngenieurbüro Gebauer, Traunstein

VerkehrsanlagenplanungWagner Ingenieure GmbH, München

BaugrundgutachtenSchubert + Bauer GmbH, Ingenieurbüro für Geotechnik, Olching

Geotechnische BeratungZentrum für Geotechnik, Technische Universität München

PrüfingenieurProf. Dr.-Ing. Robert Hertle, Gräfelfing

BauausführungHabau Hoch- und Tiefbaugesellschaft mbH, Perg, Österreich MCE GmbH, Linz, Österreich

16 Flussdiagramm: Programmierung der Stahlbaugeometrie in Dynamo Studio © Ingenieurbüro Grassl GmbH

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611/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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62 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Ein Sachstandsbericht

Die neuen Eurocodes von Martin Muncke

Der Artikel thematisiert die Ge-schichte der Eurocodes seit 1975 sowie die aktuellen Arbeiten auf- grund des Mandates der Euro- päischen Kommission. Er stellt die Struktur des TC 250 vor, das diese Arbeiten durchführt, und beschreibt den Ablauf der Arbeiten und die damit verbundenen Schwierigkei-ten. Erste Ergebnisse werden vor- gestellt und die weiteren Schritte im Normungsprozess erläutert.

1 Die Geschichte der EurocodesDie Eurocodes haben bereits eine lange Geschichte, denn sie starteten im Jahr 1975 als ein Ergebnis der Entscheidung der Europäischen Gemeinschaft. Es wurde damals ein Aktionsprogramm auf dem Gebiet des Bauwesens initiiert, das auf dem Artikel 95 der Römischen Verträge basierte.Ziel dieses Programmes war die Abschaf-fung von technischen Handelshemmnis-sen und die Harmonisierung technischer Normen durch technische Regeln, die in einem ersten Schritt als Alternative zu den nationalen Regeln in den Mitglieds-staaten dienen und sie letztendlich erset- zen sollten. 1984 wurden dann die ersten Eurocodes durch die Europäische Kom- mission veröffentlicht und bald danach die erste Bauproduktenrichtlinie, die stark mit den Eurocodes verknüpft ist.

Als eine Folge davon gab es 1990 ein Mandat der Europäischen Kommission zur Erstellung von Europäischen Vornor- men (ENV). Die Ausarbeitung und Veröf- fentlichung dieser Eurocodes auf Basis einer Vereinbarung mit dem europäischen Normungszentrum (CEN) wurden dem Technischen Komitee CEN/TC 250 über- tragen, die Eurocodes sollten euro- päische Normen werden. Dies geschah dann 1992 mit dem Beginn der Veröf-fentlichungen durch CEN. Aufgrund der Schwierigkeiten der Harmonisierung aller Aspekte der verschiedensten Verfahren und Methoden hatte man sich bei den Eurocodes entschlossen, sogenannte Boxed Values einzuführen, die auf natio- naler Ebene angepasst werden konnten. Heute sind es die berühmten NDP, die »nationally determined parameters«. Die Anpassung erfolgte damals wie heute in den Nationalen Anhängen.Darüber hinaus wurde der Schritt von den ENV zu den eigentlichen EN im Jahre 1998 mit einem weiteren Mandat ange- stoßen.Zur Umsetzung der Eurocodes wurden seitens der Kommission Empfehlungen zu ihrer Einführung und ihrem Gebrauch herausgegeben, die bekannten »Guide-lines«. Die EN-Eurocodes sind eine Reihe von empfehlenden Normen für die Be- messung von Produkten und Bauwerken, die die Grundanforderungen des mecha- nischen Widerstandes und der Stabilität genauso wie die des Brandschutzes er- füllen. Die Mitgliedsstaaten sind aufge- rufen, die empfohlenen Werte für NDP anzunehmen und für die weitere Harmo- nisierung und Entwicklung der Eurocodes einzutreten. 2006 war dann die Veröffent-lichung der ersten kompletten Ausgabe der Eurocodes abgeschlossen, und die Koexistenzperiode parallel mit den natio- nalen Normen begann. Dies war eine ambitionierte Zeit, galt es doch die Taug- lichkeit der neuen Normen im Vergleich mit den althergebrachten Regeln nachzu- weisen bzw. sie anzupassen.Dies wurde 2010 mit der Zurückziehung der entgegenstehenden nationalen Nor- men abgeschlossen. Seitdem gelten die Eurocodes mit ihren jeweiligen Nationa-len Anhängen in den Mitgliedsstaaten von CEN.

2 Der aktuelle Auftrag und der ProzessAber schon 2011 erteilte die Europäische Kommission ein neues Mandat M/466, »Programming mandate addressed to CEN in the field of structural Eurocodes« genannt, das nach einigen Anfangs-schwierigkeiten in das Mandat M/515 »Mandate for amending existing Euro- codes and extending the scope of Struc- tural Eurocodes« zur Überprüfung und Weiterentwicklung der bestehenden Eurocodes übergeleitet wurde.Dieses Mandat wurde wieder CEN/TC 250 übertragen, wobei der Aufgabenbereich des entsprechenden TC ebenfalls neu geschärft wurde. TC 250 hat nun die Auf- gabe der Normung der konstruktiven und geotechnischen Bemessungsregeln für Gebäude und Bauwerke unter Berücksich-tigung der Annahmen bezüglich der Baustoffe, Bauausführung und Prüfung.Mit der Übernahme des Vorsitzes durch Prof. Steve Denton aus Großbritannien und dem neuen Mandat wurde auch die Organisation angepasst, und es wurden zwei neue Unterkomitees (SC) aus der Taufe gehoben. EN 1990 als Grundlage der Eurocodes wurde dem neuen SC 10 zugeordnet, eine Aufwertung von frühe- rer Arbeitsgruppe zu eigenem Unterkomi-tee. Mit dem SC 11 wurde der Bedeutung von Glas als eigenem Baustoff Rechnung getragen. Ebenso wurden die Aufgaben der Horizontalen Gruppen (HG) stärker definiert, so sollen sie in Zukunft die Koordinierung der verschiedenen SCs erleichtern.Um die Komplexität des Themas sowie die Rolle des TC 250 darzustellen, muss auch ein sehr weitreichender Beschluss des Technical Board von CEN (BT) er- wähnt werden, indem dem TC 250 die »übergeordnete Verantwortung für kon- struktive und geotechnische Bemes-sungsregeln für Gebäude und Bauwerke« bestätigt wurde (letztmalig BT C36/2014). Hierdurch gibt es derzeit umfangreiche Abstimmungen mit anderen TCs, die in ihren Produktnormen vielfach versuchen, abweichende Regelungen zu treffen, um auf ihrer Ebene optimale Bedingungen für die Produkte zu erreichen. Übergeord-net trifft das aber leider selten zu.

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631/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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Das neue Mandat M/515 hatte, wie er- wähnt, einen temporären Vorläufer, das Mandat M/466, mit dem man das Verfah- ren einleitete. Die sich daraus ergebenen Aussagen und Prämissen wurden in die Aufgabenstellung des Mandats M/515 eingearbeitet und dann offiziell heraus-gegeben. Das Mandat M/515 sieht die Aufteilung der Weiterentwicklung der Eurocodes in zwei Paketen vor, einmal die Berechnungsnormen EN 1990, EN 1991 sowie EN 1997 und EN 1998 und ande- rerseits die Materialnormen EN 1992 bis EN 1996 und einen neuen Eurocode bzw. eine TR für Glas. Die einzelnen Arbeiten in den Projekt-teams wurden mit der Aufgabenstellung durch die SCs respektive die zuständigen WGs definiert und dann teilweise noch weiter unterteilt. In den Projektteams (PT) waren einerseits Vertreter möglichst vieler nationaler Normungsorganisatio-nen gewünscht, die aber auch das jewei- lige Thema umfassend abdecken und un- bedingt alle Interessengruppen reprä- sentieren sollten. Als Maximalanzahl wa- ren sechs Mitglieder je PT vorgesehen. Für einige PT haben sich dann noch nicht einmal diese sechs Personen gemeldet, und das Abdecken aller Fachthemen war nahezu unmöglich.Die Steuerung der Projektteams und die Abrechnung mit der Europäischen Kom- mission übernahm im Auftrag des CEN die NEN, die niederländische Normungs-organisation, die bis heute eine immense Arbeit damit hat. Unterstützend wirkt auch das Sekretariat des TC 250 mit, das von BSI gehalten wird.

Die Arbeiten sollten in vier Phasen in den einzelnen Projektteams durchgeführt werden, wobei jedes Jahr eine Phase starten und das gesamte Arbeitspensum 2019 bereits abgeschlossen sein sollte. Diese ambitionierte Planung konnte auf- grund politischer und wirtschaftlicher Randbedingungen leider nicht voll ein- gehalten werden. Der Startzeitpunkt verschob sich um ein Jahr, und auch das Ende wird nicht vor 2024 erfolgen. Der überwiegende Teil wird allerdings im Jahr 2022 an die nationalen Normungs-organisationen übergeben werden.Hierzu hat auch die geänderte Bearbei-tung bei CEN (CCMC) beigetragen.

2 Änderung der Eurocodes gemäß Mandat M/515 © Comité Européen de Normalisation

3 Die Ergebnisse der Phasen 1 und 2Die PT der Phasen 1 und 2 haben über- wiegend Grundlagenarbeit für einzelne Teile der Eurocodes durchgeführt und dabei hauptsächlich die bestehenden Texte überprüft, auf das neue Layout angepasst und die einzelnen Sonderauf-träge abgearbeitet. Insbesondere ist hier die Arbeit des PT für die Horizontal Group »Bridges« zu erwähnen, die aus allen Tei- len der Eurocodes die brückenrelevanten Abschnitte untersucht hat und Empfeh-lungen zur jeweiligen Überarbeitung oder Weiterbearbeitung gab.Ebenso wurde durch das PT für die EN 1990 die grundlegende Bearbeitung dieser und weiterer neuer Teile gestartet. Als ein Ergebnis ist die Entscheidung zur Herausgabe der neuen Version der EN 1990 in zwei Abschnitten zu sehen. Der Regeltext der EN 1990 wird zusammen mit den Anhängen A 1, B, C, D und E vor- aussichtlich 2019 in das Formal »Vote« kommen und veröffentlicht werden, wäh- rend die weiteren Anhänge A 2, A 3, A 4, A 5, A 6 sowie F und G erst in einem zweiten Paket für 2021 oder 2022 vorgesehen sind.

1 Struktur des CEN/TC 250 © Comité Européen de Normalisation

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Ein starker Diskussionspunkt waren die modalen Hilfsverben. Nach Vorgaben von ISO und CEN sind die verschiedenen Stu- fen (Anforderung, Empfehlung, Erlaubnis oder Möglichkeit) durch die Verwendung der modalen Hilfsverben zu kennzeich-nen. Dieses ist im Englischen durch den Gebrauch der Hilfsverben recht klar und einfach möglich, Sprachen wie Deutsch und Französisch erlauben dies ebenfalls. In vielen anderen Sprachen muss es aber umschrieben werden. Dies ist bei den Übersetzungen entsprechend zu berücksichtigen.Eine zusätzliche Kodierung mit dreibuch-stabigen Kodes (<REQ>, <REC>, <PER>, <POS>) ließ sich leider nicht durch- führen.In den Eurocodes wird zukünftig im Vor- wort bei jedem Teil explizit auf diese Zu- ordnung verwiesen. Die frühere Zusatz-bezeichnung »P« für »Principle« entfällt somit ersatzlos.Eine wesentliche Neuerung betrifft die Gliederung der Normen. Hier wurden neue Vorgaben gemacht, welche die Nummerierung der Kapitel betrifft, und die Fachthemen haben eine um 2 erhöhte Nummer. Dies ergibt einen großen Auf- wand bei der Kontrolle bzw. Neufestle-gung der Verweise. Ebenso werden die neuen Zusatzkapitel eine Veränderung in der Gliederung verursachen.Die textliche Bearbeitung hat insgesamt eine starke Reduzierung des Umfangs ergeben, allerdings haben die neuen Abschnitte in vielen Fällen diese Redu- zierung wieder ausgeglichen.

Bezüglich der National Determined Para- meters wird es weiterhin die Möglichkeit geben, nationale Entscheidungen bezüg- lich der Sicherheit zu definieren. Durch das Forschungszentrum der EU, das Joint Research Center (JRC), wurde in den letz- ten Jahren eine Datenbank mit allen Aus- sagen der einzelnen nationalen Normungs- organisationen bezüglich der NDP aufge- baut. Eine Auswertung jener Daten hat ergeben, dass es bereits heute bei sehr vielen Parametern eine große Überein-stimmung der Werte gibt, teilweise wer- den bis 80 % der Werte schon gleicher-maßen definiert. Insofern können diese Parameter bereits heute aufgelassen bzw. in absehbarer Zeit allgemeingültig definiert werden.Andererseits wird kein Zwang dazu aus- geübt werden.

3 Die Testfragen © Comité Européen de Normalisation

4 Das Beispiel EN 1991-2© Comité Européen de Normalisation

Im bisherigen Guidance Paper L waren die Notwendigkeit und auch grundle-gende Anforderung von Nationalen An- hängen für die einzelnen EU-Mitglieds-staaten festgeschrieben. Dies wird der- zeit mit der Europäischen Kommission besprochen und soll in ähnlicher Art ebenso für die neue Generation der Eurocodes gelten.

4 Die Arbeit der laufenden Phasen 3 und 4Derzeit laufen die Phasen 3 und 4, die einerseits noch vertiefende Untersuchun-gen zu Einzelthemen, aber auch über- greifende Abstimmungen zwischen den einzelnen Teilen der Eurocodes vorneh-men sollen. Insbesondere das Thema »Robustheit« ist derzeit noch in starker Diskussion und wird sowohl federführend

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von der WG 6 unter Führung der briti- schen Kollegin Julie Bregulla als auch von einem Projektteam im Bereich des SC 10 bearbeitet.Weiteres Thema ist ebenfalls noch die Er- müdung, die für fast alle Materialnormen und die Bemessung wichtig ist.Bei der Bearbeitung sollten eigentlich nur bestehende anerkannte Regeln der Tech- nik und praxiserprobte Methoden in die Normung übernommen werden bzw. erkannte Fehler beseitigt werden. Aller- dings gibt es immer wieder sowohl von den nationalen Normungsorganisationen als auch von den Experten Wünsche, neue wissenschaftliche Erkenntnisse direkt zu integrieren. Hierzu wurde eine Art Check- liste entwickelt, mit deren Hilfe der Nut- zen der Regelungen überprüft wird. Die- se Checkliste wird mittlerweile schon in einigen SCs angewandt und hat sich vom Grundsatz her sehr bewährt.

5 Der Übergang der Eurocode- Generationen: Zeitschiene und nächste SchritteAufgrund der umfangreichen Bearbei-tung der derzeit 55, zukünftig wahr-scheinlich 59 Eurocodeteile, wurde unter Berücksichtigung der einzelnen Phasen, Abstimmungsszenarien und der Ressour- cenverfügbarkeit der beiden Normungs-organisationen DIN und AFNOR (für die Übersetzungen) ein Ausgabediagramm erarbeitet, das eine sukzessive Bearbei-tung und Herausgabe der einzelnen Teile aufzeigt sowie die Herausgabe auf natio- naler Ebene für die Jahre 2019 bis 2024 beschreibt, so dass die Umstellung auf die neueste Generation der Eurocodes mit dem Jahre 2026 abgeschlossen wer- den kann. Dies schließt allerdings nicht aus, dass durch die kontinuierliche Wei- terentwicklung der Technik und die Ein- führung neuer Materialien eine ständige Aktualisierung erfolgen kann.Basis dieser Zeitschiene sind die verschie- denen Meilensteine, die für die Bearbei-tung und Genehmigung festgelegt wur- den. Für die einzelnen Phasen gibt es in den internen Regeln von ISO und CEN festgelegte Zeiträume, die eine kon-tinuierliche Planung und Bearbeitung ermöglichen sollen. Aus der nun vorlie- genden Übersicht ist allerdings zu erse- hen, dass durch die Menge der einzelnen Normungsteile und den Umfang dieser in Seiten ein erhöhter Ressourcenbedarf bei den nationalen Normungsorganisationen und bei CCMC selbst herrscht. Dies wird in der nächsten Zeit eine besondere Her- ausforderung vor allem der ehrenamtli-chen Experten auf nationaler Ebene.

Als ein Beispiel kann auch die Bearbei-tung der EN 1991-2 dienen. Hier hat es ein PT in der ersten Phase gegeben, das seine Arbeit abgeschlossen und die Grundlage für die neue Ausgabe erarbei- tet hat. Teile sind aber ausgeklammert worden und werden nun in mehreren Ad-hoc-Gruppen bzw. durch andere PTs erarbeitet, wobei erst wieder deren Er- gebnisse abgewartet werden müssen, um dann in das neue Dokument eingepflegt zu werden. Für die Herausgabe einer neuen EN 1991-2 scheint derzeit ein Termin im Sommer 2021 möglich zu sein.

6 Ein AusblickMit der aktuellen Bearbeitung der Euro- codes wird eine Verbesserung der Anwen-dung für die praktische Arbeit erreicht. Aktuelle Weiterentwicklungen und neue Materialien werden in die Normenland-schaft integriert. Durch die weiter beste- henden nationalen Parameter wird es auch eine nationale Anpassung an die Sicherheitsniveaus geben. Insgesamt wird es aber zu einer fortschreitenden Harmonisierung der gemeinsamen euro- päischen Regelungen kommen, auch mit dem Ziel, den Umfang der Regelwerke zu reduzieren. Hier wird unbedingt der Ingenieurverstand gefordert bleiben, allgemeine Rezeptlösungen werden nur für wenige Gebiete angeboten.

Autor:Dipl.-Ing. Martin MunckeConvenor CEN/TC 250/SC 1/WG 3 »Traffic loads on bridges« ÖBB-Infrastruktur AG, Wien, Österreich

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Planung und Ausführung

Instandsetzung des Sitterviadukts von Robert Wagner

Das Schweizer Schienennetz ist eines der dichtesten der Welt. Auf- grund seiner hohen Akzeptanz in der Schweizer Gesellschaft erfor-dern Instandsetzungen an der Infra- struktur besondere Strategien, um während der Arbeiten gleichzeitig eine hohe Verfügbarkeit des betrof- fenen Streckenabschnitts gewähr-leisten zu können. Der vorliegende Text berichtet von der Instandset-zung des Sitterviadukts, der höchs- ten Schweizer Eisenbahnbrücke. Es wird Einblick in die hierfür zu- grundegelegten Untersuchungen, die Instandsetzungsmaßnahmen und den projektierten Bauablauf gegeben, der lediglich eine fünf-wöchige Streckensperrung beinhaltet.

1 EinleitungDas Schweizer Schienennetz umfasst über 5.200 km, verteilt auf eine Fläche von lediglich 41.285 km². Daraus ergibt sich eines der dichtesten Eisenbahnnetze der Welt, das täglich von über 1,20 Millio- nen Menschen in der Schweiz genutzt wird. Die spezifische Topographie der Schweiz führte beim Bau der Eisenbahn-strecken zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer Vielzahl von Brücken, um größere oder kleinere Geländeeinschnitte eisen- bahnkonform zu queren. Sehr viele dieser in der Gründerzeit der Eisenbahn erstell- ten Stahlbrücken sind noch heute in Be- trieb. Infolge des hohen Nutzungsgrades des Bahnnetzes und der damit erforder-lichen hohen Verfügbarkeit der Infra-struktur beinhalten Instandsetzung und Wartung der Kunstbauten besondere Herausforderungen. Die nachstehenden Kapitel behandeln die Instandsetzung eines der eindrücklichsten Brückenbau-werke im Schweizer Eisenbahnnetz.

2 Der Sittertobelviadukt2.1 AllgemeinesDer Sitterviadukt verbindet im Osten der Schweiz, geographisch zwischen den Städten St. Gallen und Herisau gelegen, als Schlüsselbauwerk den Bodensee mit dem Zürichsee. Erbaut wurde er in den Jahren 1908–1910 von der Bodensee-Toggenburg-Bahn (BT). Seit 2001 befin- det sich der Viadukt infolge einer Fusion der Bahngesellschaften im Eigentum der Schweizerischen Südostbahn AG.Das Bauwerk stellt mit einer Höhe von 99 m die höchste normalspurige Eisen- bahnbrücke der Schweiz dar. Die Gesamt- länge von 365 m setzt sich aus zwei ge- mauerten Vorlandbrücken und einer 120 m überspannenden genieteten Eisen-konstruktion zusammen. Die in einer Kurve liegenden Vorlandbrücken wurden als Steingewölbe mit einer Spannweite bis zu 25 m ausgebildet. Die gemauerten Steinpfeiler sind bis zu 90 m hoch. Um die Hauptspannweite von 120 m mög- lichst ressourcenschonend zu überque-ren, wurde die Eisenkonstruktion als Halbparabelträger (Fischbauchträger) konzipiert. Die maximale Höhe des

1 Höchste Eisenbahnbrücke der Schweiz© Schweizerische Südostbahn AG

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Trägers beträgt 12 m, der Achsabstand der Längsträger 5 m, woraus sich ein Gesamtgewicht von 920 t ergibt. Die Montage des Fachwerkträgers erfolgte, ausgehend von einem hölzernen Be- helfspfeiler mit Plattform in der Mitte der Brücke, vor Ort. Nach Fertigstellung wurde die Konstruktion auf vier Granit-quader von je 13,50 t abgesetzt. [1] Die Bilder 1 und 2 zeigen den Viadukt in der Ansicht und im Grundriss, Bild 3 gewährt einen Blick in den Fischbauch-träger.

2.2 Frühere Instand- setzungsmaßnahmen In den Jahren nach der Inbetriebnahme des Viadukts zeigten sich infolge der Verkehrslast und materialbedingter Kriechbewegungen Verformungen an den Widerlagerpfeilern. Die Pfeiler neig- ten sich bis zu 27 cm zueinander. Eine in den Jahren 1920–1922 installierte Ver- spannungsvorrichtung stabilisierte das Bauwerk.Der Viadukt wurde für die zu seiner Er- richtungszeit übliche Verkehrslast für Hauptbahnen bemessen. Die angenom-mene gleichmäßig verteilte Last von 4,20 t/m war für den Bahnverkehr bis Mitte des 20. Jahrhunderts ausreichend. Erst in den Jahren 1978–1982 war erst- mals eine Verstärkung des Fischbauch-trägers erforderlich. Unter Aufrechter-haltung des Bahnbetriebs wurden die Querverbände unter der Fahrbahn ver- stärkt und der Korrosionsschutz erneuert. An den Haupttragelementen der Eisen- konstruktion und den Steingewölbe-brücken waren keine Verstärkungen erforderlich.

Die Schienen auf den Vorlandbrücken liegen in einem in den 1970er Jahren nachgerüsteten wassserdichten unter-haltsfreundlichen Schottertrog, da ein- dringendes Wasser an den Steingewölbe-brücken Wasserschäden verursachte. Im Bereich der Eisenkonstruktion sind die Brückenhölzer kraftschlüssig mit der Konstruktion des Halbparabelträgers verbunden. [1]

3 Aktueller Bauwerkszustand3.1 Bedeutung des ViaduktsIm Zuge der Hauptinspektionen seit der Jahrtausendwende zeigten sich an dem Viadukt natürliche Alterungsspuren an den Vorlandbrücken und am Fachwerk-träger. Aufgrund der Bedeutung des Sit- terviadukts im Schienennetz der Schwei- zerischen Südostbahn AG und weil der Viadukt Bestandteil des Kulturschutzgü-terinventars mit nationaler Bedeutung ist, standen der Erhalt und die uneinge-schränkte Nutzung für weitere 50 Jahre außer Frage.

2 Grundriss des Sittertobelviadukts © Schweizerische Bauzeitung

3 Erscheinungsbild des Fischbauchträgers © Schweizerische Südostbahn AG

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3.2 Visuelle Untersuchungen3.2.1 NatursteinmauerwerkDie visuelle Untersuchung des Natur-steinmauerwerks offenbarte eine Vielzahl von Ausbesserungen und Flickstellen an den Pfeilern, die in den vergangenen Jahrzehnten durchgeführt wurden. Die Instandsetzungen bestanden aus lokalen Betonummantelungen, Zementinjektio-nen und partiellem Mauerwerksersatz. Weiterhin wurden die Pfeiler in der Ver- gangenheit teilweise mit Betonringen umschnürt. Bedenkliche Setzungen oder Ausbauchungen an den Pfeilern konnten bei der Inspektion von Auge nicht iden- tifiziert werden. Neben der beschriebe-nen heterogenen Erscheinung der Pfeiler konnten an ihren Oberflächen etliche Risse wahrgenommen werden. Die Maxi- malbreite der Risse beträgt 4 mm. Zu- sätzlich zu den Rissen sind an allen Ober- flächen kleinere Abplatzungen zu finden. Bei den verwendeten Natursteinen han- delt es sich um Kalksteine an den Sicht- flächen der Pfeiler und Sandstein an den Gewölbeuntersichten. Gesamthaft zeigen sich die Naturstein- und Betonoberflä-chen in akzeptablem bis gutem Zustand,

mit wenigen lokalen Feuchtstellen. Über die visuelle Untersuchung hinaus wur- den, um auch einen Blick in die Pfeiler zu erhalten, verteilt über das ganze Bauwerk Bohrkerne gezogen. Der visuelle Eindruck der Oberflächen bestätigte sich dann bei den gezogenen Bohrkernen. Die Druck- festigkeitsprüfung der unterschiedlichen Materialien (Beton, Sandstein, Kalk etc.) ergab Werte von ca. 40 N/mm² (Betoner-satz am Pfeiler) bis ca. 85 N/mm² (Um- mantelung). [6] Die Bilder 4 und 5 geben einen exemplarischen optischen Einblick in den Zustand des Natursteinmauer-werks.

3.2.2 LagerDas Stahlfachwerk wird auf der Seite St. Gallen durch feste Auflager gehalten. Die gegenüberliegende Seite Herisau ist mit Rollenlager versehen. Die Lager aus Stahl bzw. Stahlgussteilen wiesen im Zuge der Hauptinspektion, abgesehen von kleinen Einlaufspuren, nur geringe Spuren von Korrosion und Verunreinigungen auf. Der vorhandene Bewegungsspielraum der Rollenlager genügt den rechnerisch auf-

4 Exemplarische Gewölbeuntersicht © Materialtechnik am Bau AG

5 Exemplarische Pfeileranmutung © Materialtechnik am Bau AG

6 7 Festes und bewegliches Lager © Gruner AG

tretenden Temperaturverformungen (w = ±40 mm) infolge einer Temperatur-differenz von ΔT = ±30 °C. Obwohl der Bewegungsspielraum der beweglichen Lager bei 30 °C nahezu ausgereizt ist, wird von einem Austausch der Lager im Zuge der Viaduktinstandsetzung abge- sehen. Ein Lagertausch ist mit beträcht-lichem Aufwand verbunden, daher wird der geforderte Sicherheitszuschlag mit- tels konstruktiver Anpassung des Wider- lagerpfeilerkopfes erreicht: Der vorhan-dene »Puffer« wird verschoben. Instand-gesetzt werden müssen die Abdeckplat-ten auf den Widerlagerpfeilern, diese weisen Schäden aufgrund der natürli-chen Verwitterung auf. Um eine weitere Alterung und das Eindringen von Wasser in die Pfeiler zu vermeiden, bieten sich eine Reprofilierung und Abdichtung an. [7] Die Bilder 6 und 7 zeigen je ein festes und bewegliches Lager.

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3.2.3 EisenkonstruktionDer Fachwerkträger wurde im Zuge der Hauptinspektion ebenfalls einer detail- lierten Kontrolle unterzogen. Im Laufe der Zeit hat sich an den Stoßverbindungen, Knotenblechen und Nieten etwas Korro- sion gebildet. Die Roststellen sind lokal bis 8 mm tief. Zusätzlich konnten einige nicht feste Querträgerverbindungen mit Spaltmassen bis 3 mm identifiziert wer- den. Die Hauptträger befinden sich durchwegs in gutem Zustand. Die kom- plette Konstruktion ist frei von Ermü-dungsrissen. Die beschriebenen Schäden betreffen ausschließlich die Dauerhaftig-keit der Konstruktion und beeinträchti-gen die Tragfähigkeit erst bei einem weiteren Fortschreiten. Die Korrosions-schutzbeschichtung, die letztmalig im Jahr 1981 erneuert wurde, hat ihre Le- bensdauer erreicht. Dies ist vor allem an den Profilkanten und -doppelungen an deren Verwitterung ablesbar, Material-verlust an den Stahlprofilen war noch nicht erkennbar. Am gesamten Bauwerk sind keine Schäden ersichtlich, die auf statische Defizite hinweisen würden. [3]

3.2.4 Weitere BauteileNeben der Brückenkonstruktion wurden auch die eisenbahnspezifischen Bauteile untersucht. Die auf dem Viadukt verleg- ten Holzschwellen wiesen alterstypische Risse und Verwitterungen auf und haben das Ende ihrer Lebensdauer erreicht. Die Schwellen liegen auf den Vorlandbrü-cken in einem Schottertrog. Messungen zeigten ein Mindermaß von 10 cm gegen- über der erforderlichen Mindestschotter-dicke von 30 cm auf. Eine ebenfalls zu geringe Höhe wiesen die Randborde zur Schotterhaltung auf. An der Abdichtung der Brücke konnten trotz des Alters von 45 Jahren keine Schäden detektiert werden.

3.3 Rechnerische ÜberprüfungDie Tragsicherheit des Sitterviadukts wurde erstmals im Jahr 2003 auf Grund- lage der Schweizer Normen SIA 260 ff. geprüft. Mit Erscheinen der Normenreihe SIA 269 ff. im Jahr 2011 liegt nun eine Normenreihe für Bestandsbauten vor. Sie sieht gegenüber den Neubaunormen reduzierte Teilsicherheitsbeiwerte auf der Widerstandsseite für den Grenzzustand der Tragfähigkeit vor, sofern die tatsäch-lichen geometrischen Verhältnisse des Bauwerks aufgenommen werden. In den Jahren 2015 und 2016 erfolgte eine Über- prüfung der Berechnungsergebnisse auf Basis der SIA 269 ff.Die rechnerische Überprüfung der Vor- landbrücken zeigte ausreichende Reser- ven hinsichtlich der Tragsicherheit und der Gebrauchstauglichkeit. Die Ermittlung der maßgebenden Schnittkräfte am Halbparabelträger er- folgte mit Hilfe eines räumlichen Stab- werkmodells. Teilbereiche des Fachwerks wurden zusätzlich für Detailnachweise in kleineren Stabmodellen separat abgebil-det. Das Haupttragwerk (vertikale Fach- werke) und das Querträgersystem (Auf- lager Schwellenträger) sind in der Lage, die nach der Erhaltungsnorm SIA 269 anzusetzenden Einwirkungen aufzuneh-men. Dies gilt für den Grenzzustand der Tragfähigkeit und den Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit. Beim Ermüdungs-nachweis ergibt sich eine Restlebens- dauer von über 50 Jahren für die ge- nannten Bauteile. Verstärkungen sind erforderlich an den oben- und untenlie-genden Wind- sowie an den Bremsver-bänden. An den Verbänden konnte im Zuge der Berechnungen keine ausrei-chende Tragsicherheit nachgewiesen

5 Exemplarische Pfeileranmutung © Materialtechnik am Bau AG

8 Räumliches Modell zur Erdbebenberechnung © Gruner AG

werden. Das heißt, die bestehenden Profi-le sind nicht in der Lage, die anzusetzen-de Schlingerkraft unter Berücksichtigung des exzentrischen Knickens aufzuneh-men. Der vorhandene Schwellenträger verfügt entsprechend den Berechnungen zwar über eine ausreichende statische Tragsicherheit, wies aber beim Nachweis der Ermüdungsfestigkeit nur noch eine Restlebensdauer von weniger als fünf Jahren auf. Ein Ersatz ist daher zwingend erforderlich. [5]Die Lager des Stahlfachwerks wurden ebenfalls rechnerisch überprüft. Auf- grund ihrer ursprünglich verhältnismäßig großzügigen Dimensionierung ergeben sich auch infolge der über die Jahre ge- steigerten Verkehrslasten durch die kon- tinuierlich eingebrachten Verstärkungen eine erhöhte Eigenlast und damit ausrei- chende Traglastreserven. In der SIA 269/3 sind Empfehlungen für die charakteristi-schen Eigenschaften historischer Stähle zu finden, so dass, auf der sicheren Seite liegend, den Bauteilen aus Stahl (Rollen, Zapfen) ein Wert von fyk = 235 N/mm2 und für Bauteile aus Gussstahl der Wert für die Druckfestigkeit mit fy = 140 N/mm2 angesetzt werden konnten. [3]Ergänzend zu den beschriebenen Über- prüfungen wurde der Viadukt einer Erd- bebenberechnung unterzogen. Für den Erdbebennachweis nach dem Antwort-spektrenverfahren wurde der gesamte Viadukt als räumliches Stabmodell mo- delliert, wie in Bild 8 dargestellt. Die an den Halbparabelträger anschließenden Natursteingewölbe wurden als Dreige-lenkbögen modelliert, der Fachwerkträ-ger als Ersatzstab im System berücksich-tigt. Während der Hauptinspektion wurde sichergestellt, dass die Betonplatte unter dem Schotterbett im Bereich der Gewöl- bescheitel unterbrochen ist. Die Gelenke sind daher funktionsfähig. Die Steifigkeit dieses Ersatzstabs auf Druck wurde so gewählt, dass sich in ihm die durch die Verspannvorrichtung erzeugte Normal-kraft einstellt. Die Pfeiler wurden als unten eingespannt angenommen. Als wesentliche Vereinfachung bei der Be- rechnung wurde für das Natursteinmau-erwerk mit einem auf der sicheren Seite liegenden einheitlichen Materialkenn-wert gerechnet. Die Auflagerbereiche des Fachwerkträgers sind in Längs- und Querrichtung ausreichend groß, so dass ein Absturz der Lager ausgeschlossen werden kann. Die Nachweise zeigten, dass die zulässigen Druckspannungen an keiner Stelle überschritten werden und dass trotz der Exzentrizität der Normal-kraft an den Pfeilerfüßen keine klaffen-den Fugen auftreten. [4]

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4 Instandsetzungsmaßnahmen4.1 Projektierte MaßnahmenDie Instandsetzungsmaßnahmen dienen der uneingeschränkten Nutzung des Via- dukts für weitere 50 Jahre. Die Arbeiten lassen sich daher in drei Bereiche eintei- len und nehmen nicht nur Einfluss auf

10 Abbruch und Ersatz bestehender Windverbände © AF Toscano AG

11 Verstärkung bestehender vorhandener Windverbände © AF Toscano AG

9 Maßnahmenübersicht am Sitterviadukt © AF Toscano AG

die Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit der Brücke, sondern berücksichtigen auch bahnspezifische Anforderungen für die nächsten Jahrzehnte. In den folgenden

Abschnitten werden die einzelnen In- standsetzungsmaßnahmen beschrieben. Bild 9 zeigt eine Gesamtübersicht der projektierten Maßnahmen.

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4.2 VorlandbrückenAufgrund der Untersuchungsergebnisse ergeben sich an den Vorlandbrücken (Pfeiler und Gewölbe) keine statisch wirksamen Eingriffe, sondern lediglich die Behebung von Oberflächenschäden. Erforderlich sind über das ganze Bauwerk verteilte lokale Mauerwerksinstandset-zungen, die wegen der Bauwerksgröße und Höhe mit erheblichem Aufwand verbunden sind. Diese Maßnahmen lassen sich, wie nachfolgend dargestellt, zusammenfassen:– Erneuerung der Mörtelabdeckplatten

auf den Widerlagerpfeilern des Stahlfachwerks,

– Erstellen eines Schlagregenschutzes am Pfeiler IV,

– lokale Mauerwerksinstandsetzungen,– Erhöhung der Randborde zur Gewähr-

leistung eines ausreichenden Schotter-rückhalts und der erforderlichen Schotterdicke,

– Erneuerung der Abdichtung auf den Vorlandbrücken.

4.3 FachwerkträgerAm Stahlfachwerk sind die liegenden Diagonalen der Windverbände teilweise zu ersetzen bzw. zu verstärken. Um das Erscheinungsbild der Brücke möglichst wenig zu beeinträchtigen, werden die Ersatzdiagonalen mittels HV-Schrauben an den vorhandenen Fahnenblechen befestigt bzw. die Tragfähigkeit der vor- handenen Diagonalen mit nachträglich angeschraubten Winkeln erhöht, wie in den Bildern 10 und 11 dargestellt. Der Schwellenträger wird über die gesamte Brückenlänge ersetzt, genauso wie der bestehende Dienststeg. Es erfolgt der Einbau einer komplett neuen Konstruk-tion für die Befestigung der FFU-Schwel-len. Der neue Schwellenträger besteht aus zwei längsgespannten Walzprofilen (HEB 600, S 355) die ihre Vertikallast an die vorhandenen Querträger weiterge-ben, eine Zusammenfassung der Maß- nahmen ist in Bild 12 zu sehen. Die Montagestöße befinden sich über den Querträgern.

Die umfangreichste Maßnahme am Fachwerkträger ist die Erneuerung des Korrosionsschutzes. Die vorhandene Beschichtung wird mittels Trockenstrahl-verfahren abgetragen. Aufgrund der filigranen Bauweise und der geglieder-ten Stabprofile der Konstruktion ist ein maschinelles Auftragen des neuen Ober- flächenschutzes nur mit hohem Material-verlust möglich. Daher werden die vier Lagen des neuen Oberflächenschutzes nach Reinigung und Vorbereitung der entschichteten Oberflächen von Hand mit Rolle und Pinsel aufgetragen.Die Lager des Trägers werden mit einem neuen Korrosionsschutz versehen, vorher aber lediglich gereinigt, um durch das Sandstrahlen die Lager nicht zu beschädi-gen. Zusätzlich werden die beschriebe-nen Anpassungen zur Vergrößerung des Bewegungsspielraums am Pfeilerkopf vorgenommen. [2]

12 Ersatz der Schwellenträger © AF Toscano AG

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4.4 Übergeordnete MaßnahmenDie bestehenden Brückenhölzer (und Füllschwellen) auf dem Stahlfachwerk werden im Zuge der Instandsetzung durch FFU-Schwellen ersetzt. Diese FFU- Schwellen wurden vor ca. 40 Jahren in Japan entwickelt und versprechen eine wartungsfreie Haltbarkeit von 40–50 Jahren. Als Kunstholzschwellen bestehen sie, wie in Bild 13 zu sehen, aus glasfaser-verstärktem Kunststoff und vereinen des- sen Dauerhaftigkeit mit der Bearbeitbar-keit und den spezifischen Eigenschaften von Holz. Übliche Holzschwellen errei- chen in der Regel nach 25–30 Jahren das Ende ihrer Nutzungsdauer, eine Verlänge-rung um einige Jahre ist dann oftmals nur mit teuren Instandsetzungsarbeiten möglich. Ein Schwellenwechsel bei offe- nen Fahrbahnen wie dem des Sittervia-dukts ist häufig teuer und sehr aufwen-dig, der Einbau eines Schottertrogs ana- log zu den Vorlandbrücken aus Gründen der Tragfähigkeit des Stahlfachwerks nicht möglich. Die höheren Kosten für die neuartigen Brückenhölzer sollen durch die deutlich längere Lebens-

dauer und die zukünftig besser mögliche, abgestimmte Erneuerung des Korrosions-schutzes des Stahlfachwerks kompensiert werden. Im Zuge der Erneuerung der Fahrbahn wird diese auch um 10 cm an- gehoben und neu abgedichtet, die Fahr- leitungsanlage wird ebenfalls erneuert, um den Anforderungen der Anlagengat-tungsstrategie »Fahrleitung« der SOB- Infrastruktur zu genügen: Es erfolgt die Umrüstung von einer halbnachgespann-ten Fahrleitung vom Typ N-FL zu einer vollnachgespannten des Typs R-FL. Die Fahrleitungsmasten werden weiter verwendet. [2]

5 Ausführung5.1 AllgemeinesDie Umsetzung der Arbeiten zur Instand- setzung des Viadukts ist für den Zeitraum von Anfang 2019 bis Anfang 2021 ge- plant. Dieser zweijährige Zeitraum ergibt sich aus dem Erfordernis, dass die Strecke, abgesehen von einer fünfwöchigen Total- sperre im Sommer 2019, für den Bahn- verkehr benutzbar bleibt. Das bedeutet,

dass die meisten Arbeiten unter Betrieb in ca. 100 m Höhe ausgeführt werden müssen. Gleichzeitig mit dem Viadukt wird der angrenzende Tunnel Sturzenegg von März 2019 bis September 2019 in- stand gesetzt. Daraus ergeben sich zu- sätzliche koordinative Herausforderun-gen – vor allem während der Totalsperre. Die Arbeiten am Viadukt werden im Zeit- raum der Totalsperre an sechs Tagen der Woche im Zweischichtbetrieb ausgeführt.

5.2 BauablaufDie Arbeiten am Viadukt gliedern sich, wie nachstehend dargestellt:– Instandsetzungsarbeiten an den Gewölbebrücken,– Arbeiten während der Totalsperre am

Schottertrog der Gewölbebrücken und dem Fachwerk,

– Etappierte Korrosionsschutz- und Verstärkungsmaßnahmen am Halbparabelträger unter Betrieb,

– Nacharbeiten (Rückbau Gerüste etc.).Die Ausführungsarbeiten beginnen an den Vorlandbrücken. Nach Erstellen der Gerüste werden die Pfeiler- und Gewöl- beoberflächen saniert und die Randborde angepasst.Im Zuge der Totalsperre werden die Arbeiten, welche die Fahrbahn unmittel-bar tangieren, umgesetzt. Auf den Vor- landbrücken wird der Schottertrog ange- passt, da die derzeitige Schotterdicke das erforderliche Mindestmaß unterschreitet. Auf dem Stahlfachwerk werden in dieser Zeit die Schwellenträger zusammen mit dem Dienststeg erneuert. Ebenfalls er- neuert werden die obenliegenden Wind- und Bremsverbände und der Korrosions-schutz auf der unter Betrieb nicht zu- gänglichen Oberseite der Stahlkonstruk-tion. Auf der gesamten Brücke werden während der Totalsperre die Schwellen ersetzt.

14 Etappierte Erneuerung des Korrosionsschutzes © AF Toscano AG

13 Einbau sogenannter FFU-Schwellen © Schweizerische Südostbahn AG

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Nach Beendigung der Totalsperre erfolgt die etappierte Instandsetzung des Stahl- fachwerks. Aus Gründen des Umwelt-schutzes ist für die Korrosionsschutzar-beiten eine Einhausung erforderlich. Da eine komplette Einhausung des Ein- feldträgers mit zu großen temporären Windkräften einhergehen würde, wird eine Unterteilung in vier Abschnitte vorgenommen, wie in Bild 14 darge- stellt.Nach Abschluss der Arbeiten der Etap- pe 4 beginnen dann der Rückbau der Baubehelfe und Gerüste und kleinere abschließende Maßnahmen ohne Beein- trächtigung des Bahnverkehrs.

6 KostenDie Gesamtkosten für die Instandsetzung belaufen sich auf 13,50 Mio. CHF. Die Projektlaufzeit wird sich, beginnend mit der Studie im Jahr 2015 bis zum prognos-tizierten Abschluss der Arbeiten in 2021, auf sechs Jahre aufsummieren. Davon entfallen zwei Jahre auf die Ausführung der Instandsetzungsarbeiten. Gegenüber einem möglichen Neubau des Viadukts

ergeben sich dadurch nicht nur finan-zielle, sondern auch zeitliche Vorteile, besonders unter Berücksichtigung der geringen Beeinträchtigung der Bahn-reisenden während der Bauzeit.

7 FazitDas Beispiel des Sitterviadukts zeigt, dass mittels sorgfältiger Planung Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten an Eisen- bahnbrücken unter minimaler Beein-trächtigung des Bahnverkehrs möglich sind und gleichzeitig die Lebensdauer deutlich verlängert werden kann: Ohne Kompromisse hinsichtlich der Gebrauchs-tauglichkeit eingehen zu müssen, sind auch Anpassungen an die Einwirkungen der aktuellen Normengeneration mög- lich. Voraussetzung hierfür ist eine enge Zusammenarbeit von Bauherr, Planer und ausführenden Unternehmungen und den Genehmigungsbehörden.

Autor:Dipl.-Ing. Robert Wagner Schweizerische Südostbahn AG, St. Gallen

Literatur[1] Dietz, W.: Sitterviadukt. Vorzeigeobjekt der

SOB-Linie; in: tec21, Heft 138, 2012.[2] Burgherr, B.; Hofer, S.: Technischer Bericht

Auflageprojekt. Bericht, 2018.[3] Cown, D.; Paul, N.: Sitter-Viadukt Schwellenträger.

Bericht, Beyond Access GmbH, 2017.[4] Hofer, S.: Erdbebenüberprüfung. Bericht, Gruner

AG, 2016.[5] Hofer, S.: Statische Überprüfung »Fischbauch-

träger«. Bericht, Gruner AG, 2016.[6] Donadini, F.: Materialtechnische Untersuchung

des Viadukts. Bericht, Materialtechnik am Bau AG, 2017.

[7] Hofer, S.: Kurzbericht zu Brückenlagern. Bericht, Gruner AG, 2016.

Bauherr Schweizerische Südostbahn AG, St. Gallen, Schweiz

AuflageprojektGruner + Wepf Ingenieure AG, St. Gallen, Schweiz

AusführungsplanungAF Toscano AG, Winterthur, Schweiz

Großprojekt Abwasserkanal Emscher, Traggerüststellung Foto: Teupe

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Köln, Mülheimer Brücke

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74 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Bedeutung, Entwurf und Planung

Bahnhof Køge Nord in Dänemark von Steen Savery Trojaborg

Das Wahrzeichen des neuen Køge- Nord-Bahnhofs ist eine schlangen-förmige Fußgängerbrücke mit ellip- tischem Querschnitt und einem beeindruckenden, nach Norden gerichteten 180°-Panoramafenster. Der im dänischen Køge gelegene Bahnhof soll ein Verkehrszentrum für den Großraum Kopenhagen werden, an dem sich Hochge-schwindigkeits- und Regionalzüge sowie eine Autobahn treffen. Die Brücke steht für architektonischen Wagemut und setzt Standards für die zukünftige Stadtentwicklung und Bebauung in Køge, bei der man auf Nachhaltigkeit und eine grüne Identität setzt.

1 EinleitungSüdlich von Kopenhagen, in der däni-schen Hafenstadt Køge, entsteht gerade der neue Bahnhofsbereich Køge Nord, ein Verkehrsknotenpunkt für Hochgeschwin-digkeitszüge, S-Bahn und eine Autobahn. Das Design des Projekts – es wurde 2014 in einem Architektenwettbewerb ausge- schrieben – ist eine Gemeinschaftsarbeit von Dissing+Weitling architecture, COBE und COWI. Bauherren des Projekts, des- sen Fertigstellung für den Mai 2019 an- gesetzt ist, sind Banedanmark, DSB und die Kommune Køge.Das Wahrzeichen des Bahnhofs ist eine 225 m lange Fußgängerbrücke, um die es in diesem Beitrag gehen soll. Darüber hinaus umfasst das Projekt eine Park- and-ride-Anlage und einen visionären Bebauungsplan für das gesamte Bahnhofsviertel.

2 Stadtentwicklung in Køge Der Køge-Nord-Bahnhof liegt 39 km südwestlich von Kopenhagen und soll sich zu einem Verkehrsknotenpunkt für den Großraum Kopenhagen entwickeln, an dem Hochgeschwindigkeitszüge, S-Bahn und die Autobahn aufeinander-treffen. Die Brücke stellt für die 90.000 Menschen, die den Knotenpunkt täglich passieren, ein neues Tor nach Kopen-hagen dar und ist für die erwarteten 4.000 Passanten pro Tag ein wichtiger Schritt.

1 Bahnhofsgebäude und Fußgängerbrücke in einem © COBE/Dissing+Weitling architecture/COWI/Luxigon

Die Brücke spannt sich über den Bahn- hof und die achtspurige Autobahn M 10, die zu den verkehrsreichsten Dänemarks zählt. Diese breiten Verkehrskorridore hatten bei der Stadtentwicklung in Køge ein großes Hindernis dargestellt, welches nun mit der querverlaufenden Brücke überwunden werden konnte, die vermut- lich auch zu einer Mobilitätsteigerung in der gesamten Region beitragen wird. Der moderne Bahnhof schafft eine ganz neue Verbindung, die zum einen eine nachhal-tige Alternative zur Pkw-Nutzung eröff- net und zum anderen auch die Grundlage für die Entwicklung und Anbindung der gesamten Region bilden kann. Es ist zu hoffen, dass die Brücke weitere Pendler anzieht und der grünen Agenda der Region zusätzliche Substanz verleiht.Der Bau der Brücke ist die erste Etappe auf dem Weg zu einem neuen, nach- haltigen Stadtteil. In den kommenden 10–15 Jahren soll das angrenzende, 130 ha große Areal zu einem lebendigen Viertel mit Gewerbe- und Wohnbebauung ausgebaut werden. Auf lange Sicht soll sich der Køge-Nord-Bahnhof zu einem Wahrzeichen von Køge entwickeln und zum Symbol für grüne Mobilität im Groß- raum Kopenhagen werden. Parallel dazu repräsentiert die Brücke gestalterischen Wagemut und setzt Standards für die zukünftige Bebauung im Norden von Køge.

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751/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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3 Das BrückendesignDie Röhrenform der Brücke erinnert an eine Schlange. Bei der Streckenführung wurde darauf geachtet, dass man beim Umsteigen vom Auto auf den Zug die Gleise möglichst rasch und bequem überqueren kann. Die Brücke verläuft quer zu den Bahnsteigen und bildet daher eine natürliche Verlängerung der Straße Snogebækstien in Richtung des Zentrums von Køge. Um einen optimalen Zugang zu den Zügen zu gewährleisten, wurden die Aufzüge und Treppen zu den Gleisen so nah wie realisierbar an der Mitte der Bahnsteige platziert. Im Innern der Bauwerks entsteht ein dynamischer Flow mit einem schlichten, aber dennoch charaktervollen Erschei-nungsbild für die Reisenden und Passan- ten. Die aus zwei kleinen, weichen Kni- cken in der Brücke resultierenden Rich- tungsänderungen sorgen bei der Über- querung für zusätzliche Abwechslung und eine weniger statische Erfahrung. Die entworfene Röhrenstruktur fällt nach Osten hin etwas ab, um über den Gleisen für die Regionalzüge die ideale Höhe zu erreichen. Man hat sich für diese Lösung entschieden, um die Länge der Treppen von der Brücke zur Regionalbahn zu redu-zieren und die Anlage an die niedrigere Einfamilienhaussiedlung im Osten anzu- passen. Dementsprechend wurde auch der westliche Vorplatz angehoben, um hier ebenfalls die Treppenlänge möglichst gering zu halten.Die Nordseite der Brücke weist eine be- eindruckende Glasfassade mit 180°-Pano-rama auf. Allen Besuchern bietet sich derart eine herrliche Aussicht über die Kulturlandschaft und die dynamischen, stark frequentierten Verkehrsadern, wäh- rend sie gleichzeitig vor der Witterung und dem Verkehrslärm geschützt sind.

Als Kontrast zu der offenen Seite in Rich- tung Norden ist die Brücke nach Süden weitgehend geschlossen, wodurch eine Überhitzung des Innenraums aufgrund direkter Sonneneinstrahlung verhindert wird. Im Süden fällt Licht durch die per- forierten Aluminiumplatten und die tiefen Fensternischen ein, während das punktuelle Licht an der Glasfront im Norden freie Bahn hat. In ihrem Zusam-menspiel erzeugen die Lichtquellen an- genehme Tageslichtbedingungen. Die Enden der Brücke geben im Osten den Blick auf die Snogebækstien in Richtung des Zentrums von Køge sowie im Osten auf die Kulturlandschaft von Ølsemagle und das dortige Areal frei. Letzteres soll langfristig in ein attraktives, lebendiges Viertel mit Wohnhäusern, Bürogebäuden und Dienstleistungsgewerbe umgewan-delt werden. Den aufsehenerregenden Abschluss der Brücke bildet die Auskra-gung.

2 Lageplan © COBE/Dissing+Weitling architecture/COWI

Die Architektur des Bahnhofs zeigt klare Bezüge zu den Themen Transport und Bewegung und unterstreicht durch ihr modernes Erscheinungsbild die Funktion. Die gewählten Materialien verleihen der Fassade Tiefe und entsprechen jenen, die in der Infrastruktur des Standortes zu finden sind. Die Brückenkonstruktion hat eine extrudierte Form mit elliptischem Querschnitt und enthält eine großzügige Glasfassade, die sich über die komplette Nordseite erstreckt und eine großzügige Aussicht über das Viertel und die Bahn- steige bietet. Der geschlossene Bereich ist mit gefalteten Aluminiumplatten ver- kleidet und nimmt dadurch Bezug auf die Bau- und Werkstoffe der Eisen- und Auto- bahn. Zusammen mit den Betonpfeilern strahlt die Materialwahl Widerstandskraft und Stärke aus. Die Aufzüge wurden in die Pfeiler integriert, um eine platzspa-rende Lösung für die Bahnsteige und gleichzeitig einen gut sichtbaren Trans- portweg für die Brückennutzer zu schaffen. Die Innenausstattung der Brücke bildet einen klaren Kontrast zu deren äußerer Erscheinung. Der Innenbereich wurde warm und einladend gestaltet, gleichzei-tig wurde in den Durchgangsbereichen aber auf Funktionalität und Übersicht-lichkeit geachtet. Die Decke ist mit Holz- paneelen verkleidet, die sich über den Wänden fortsetzen und in der Mitte einen geschwungenen, skulpturalen Sitzbereich aufspannen. Diese Sitzmöglichkeit setzt einen verspielten Kontrapunkt zu der ansonsten eher neutral anmutenden länglichen Röhrenform. Die Holzverklei-dung mit skandinavischem Flair wirkt hell und einladend.

3 Röhrenform auf Pfeilern mit integrierten Aufzügen © COBE/Dissing+Weitling architecture/COWI/Tegmark

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76 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

4 Innenausstattung und Panoramaausblick © COBE/Dissing+Weitling architecture/COWI/Luxigon

5 Konzeptstudie: innere Hülle und kantige Fassade, 180°-Aussicht, Licht und Lärm © COBE/Dissing+Weitling architecture/COWI

Es war uns wichtig, eine Reihe von indi- viduell gestalteten Aufenthaltszonen in Form von offenen, transparenten, über- sichtlichen Räumen zu schaffen, die Geborgenheit und Behaglichkeit aus- strahlen, zugleich aber auch zu Aktivitä-ten verschiedenster Art einladen. Die Enden der Brücke ähneln Tribünen mit Sitzplätzen, von denen aus sich die Umgebung betrachten lässt oder auf denen man beim Warten auf den Zug dessen Status per Tablet oder Smart-phone checken kann. An der geschlosse-nen Seite des Innenraums befindet sich eine langgestreckte, bequeme Sitzbank, die aus der nach Süden orientierten Wand herauswächst: Dort lässt sich im Sitzen die Aussicht nach Norden genießen. Der Mittelbereich der Brücke bietet ausrei-chend Fläche für die Passanten, damit sie rasch und bequem vom einen zum ande- ren Ende der Brücke gelangen können. Parallel dazu wurde an jenen Stellen, an denen die Brücke die Eisenbahn kreuzt und Treppen, Aufzüge und Rolltreppen eingebunden sind, an geräumige Transit- zonen gedacht. So sind die Treppen und Aufzugkerne leicht versetzt zur Ausfüh-rung gekommen, um einerseits Platz für einen natürlichen Fußgängerstrom zu schaffen und um andererseits Reisenden, die vor den Aufzügen warten, genügend Freifläche zu bieten.

Es war unser übergeordnetes Ziel, eine Brücke mit Wiedererkennungswert zu schaffen, deren klare Formensprache Bewegung, Dynamik und Funktionalität ausstrahlt. Das markante Äußere kontras- tiert mit dem taktilen Inneren. Zudem spiegelt das Design der Brücke die gro- ßen Verkehrsadern wider, die sie sowohl kreuzt als auch verbindet.

4 Wartung und BetriebSowohl außen als auch innen haben wir mit verschleißfesten Materialien gearbei- tet, die Wind, Wetter und häufigem Ge- brauch standhalten. Durch die Wahl langlebiger Materialien senken wir den Energie- und Materialverbrauch der Brücke, wodurch sich wiederum die betrieblichen und baulichen Kosten verringern.Der Bau ist an eine Ressourcenplanung gebunden. Deshalb haben wir uns für vorgefertigte, lineare, geschweißte Kas- tenprofile entschieden, die weniger Wartungsaufwand bedeuten. Darüber hinaus wurde die Brücke mit einfachen Montageprinzipien und ohne jegliche Dehnungsfugen errichtet, was den War- tungsbedarf ebenfalls reduziert. Die Außenseite aus eloxiertem Aluminium ist äußerst langlebig und simpel im Aufbau, später eventuell beschädigte Fassadenteile lassen sich deshalb auch

leicht austauschen. Glasschutz und -abdeckung der Aufzüge und Treppen sind sehr wartungsarm: ein Grund, warum sich ähnliche Lösungen bei vie- len vergleichbaren Bahnhofsprojekten finden. Die Brücke verfügt über ein natürliches Belüftungssystem mit der Möglichkeit zum Luftaustausch unter den Fenstern und an den Eingängen. Die Geräusche von der Autobahn werden aufgrund der nur schmalen Lufteinlassöffnungen ge- dämpft. Die Glasfassade an der Nordseite fällt sanft ab und wird dank der titanbe-schichteten Antihaftoberfläche bei Regen somit ganz natürlich gereinigt. Dies war eine Forderung seitens Banedanmark. Da ein direkter physischer Zugang zum Dach nicht erlaubt ist, wurde die Lösung einer Inspektion der Brücke per Drohne geplant. Nach Einweihung des Bauwerks wird es rund um die Uhr mittels Kameras und Sensoren überwacht, um Ausfällen und Vandalismus vorzubeugen.

5 KonstruktionDie Brücke ist eine Balkenstruktur mit geschlossenem Kastenquerschnitt. Um den Verkehrsteilnehmern eine uneinge-schränkte Sicht zu ermöglichen, wurde sie als geschlossener Stahlkastenquer-schnitt konstruiert, der frei über der Autobahn M 10, der Hochgeschwindig-keits- und der S-Bahn-Trasse hängt. Die Fußgängerbrücke hat eine Gesamtlänge von ca. 225 m. Ihre größte Spannweite, die sich über der M 10 erstreckt, beträgt ca. 60 m. Sie hat eine Lebensdauer von 120 Jahren und ist auf minimale Betriebs- kosten ausgelegt.Um die Anordnung von Dehnungsfugen zu vermeiden, besteht die Brücke aus einem langen, durchgehenden Träger und einem Überbau in Form eines Stahl- rippenskeletts mit einer Glasfassade auf der Nordseite. An den Enden der Brücke befinden sich Aussichtsbereiche mit Aus- kragung und Glasfront. Die Brücke ist aus vorgefertigten Stahlprofilen zusammen-gesetzt, die auf den Träger gehoben und anschließend zusammengeschweißt werden.

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771/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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Dieser Träger ist mit einem Entfeuch-tungssystem ausgestattet, um die Ober- flächenbehandlung der Flächen im Innen- bereich auf ein Minimum zu reduzieren. Um auch die Wartungsausgaben bei den äußeren Stahlflächen möglichst gering zu halten, werden sie feuerverzinkt und lackiert.

Das Bauwerk erfüllt die allgemeinen Komfortanforderungen für Fußgänger und die geltenden TSI-Normen. Für uns hatte ihre reine, architektonische Form Priorität, und mit den geschlossenen Fassadenbereichen vermeiden wir Über- dachungen über den Oberleitungen.

Autor:Steen Savery TrojaborgArchitekt MAADissing+Weitling architecture, Kopenhagen, Dänemark

Literatur[1] Löffler, S.: Brückenschlag zur Hochgeschwindig-

keit. Künftiger Verkehrsknotenpunkt im dänischen Køge; in: Umrisse, Zeitschrift für Baukultur, 18. Jg., H. 4/5, 2018, S. 10–15.

Bauherren

Banedanmark, Kopenhagen, DänemarkKøge Kommune, Køge, DänemarkDanske Statsbaner (DSB), vertreten durch DSB Properties, Kopenhagen, Dänemark Architekten COBE, Kopenhagen, DänemarkDissing+Weitling architecture, Kopenhagen, Dänemark

IngenieureCOWI, Lyngby, Dänemark

VerkehrsplanungCOWI, Lyngby, DänemarkNiras Gruppen A/S, Allerød, Dänemark

BauwerksprüfungBanedanmark, Kopenhagen, DänemarkPer L. Pedersen, Lønborg a/s, Hjørring, Dänemark

Ausführung Bladt Industries A/S, Aalborg, Dänemark

6 Montage des ersten Brückenelements im November 2017 © Banedanmark

GERB.COMSchwingungen sind beherrschbar

wo immer sie auftreten

Hong Kong-Zhuhai-Macau BridgeSchwingungsschutz an der längsten Brücke der Welt:

Schwingungstilger für Brückendecks zur Reduktion wirbelerregter Vertikalschwingungen

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78 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Ein Bauwerk im Dialog

Zweite Hinterrheinbrücke in Reichenau von Steen Savery Trojaborg, Monika Schenk, Andreas Galmarini, Ian Firth

Die »Sora Giuvna« (deutsch: jüngere Schwester) stellt eine elegante, fein- gliedrige und zeitgemäße Antwort für einen außerordentlichen Ort mit vielfältigen Herausforderungen dar. Zurückhaltend und doch sehr eigen- ständig tritt die neue Brücke in einen subtilen Dialog mit der histo- rischen, 1895 errichteten Stahlfach-werkbrücke, indem sie mit wenigen Elementen und einer minimalisti-schen Formensprache einerseits die technischen Anforderungen und Randbedingungen erfüllt und ande-rerseits dem landschaftlichen Um- feld aus verschiedensten Perspek-tiven gerecht werden kann. Die »Sora Giuvna« besteht aus einem schlanken Stahltrog mit Doppel-V-förmigen Streben, die auf schlichten Betonpfeilern lagern. Sie wurde mit dem Anspruch auf einen wirtschaft-lichen Bau und Unterhalt entwickelt und berücksichtigt als wesentliche Randbedingungen neben Funktio-nalität, Dauerhaftigkeit und Unter-haltsfreundlichkeit auch die gestal- terische Einbindung in die Umge-bung. Funktionalität, Wirtschaftlich-keit und gestalterische Anforderun-gen finden ihren Ausdruck in der zurückhaltenden Eleganz der Brü- cke, die in ihrer Materialität, ihrem Ausdruck und dem schlanken Cha- rakter die örtliche Bahninfrastruktur widerspiegelt. Weil die bestehende Überführung über die schräglaufen-de Nationalstraße A 13 ersetzt wer- den muss, wurde eine neue, kombi- nierte Brücke für beide Gleisstränge entworfen, die konzeptuell als inte- grierter Teil eines Gesamtensembles verstanden wird, die die projektspe-zifischen Charakteristika aufgreift und so als gestalterischer Treiber Verwendung findet.

1 EinleitungDie neue Stahlbrücke ist 200 m lang und weist einen maximalen Pfeilerabstand von 63 m auf. Der Hintergrund für den Bau der Zweiten Hinterrheinbrücke ist der Wunsch des Be- treibers, der Rhätischen Bahn (RhB), den lokalen einspurigen Engpass – der Ab- schnitt über die bestehende Fachwerk-brücke ist nur einspurig befahrbar – zu beseitigen, um die Kapazität zu erhöhen, und, damit verbunden, Fahrplanstabilität und Funktionalität zu verbessern. Außerdem muss die vorhandene Brücke umfassend saniert werden, was ohne den Neubau einer zweiten aufgrund fehlen-der Umfahrungsmöglichkeiten eine ein- jährige Unterbrechung des Bahnbetriebs zur Folge gehabt hätte. Aktuell wird die Fachwerkbrücke saniert und der gesamte Bahnverkehr im bisherigen Regime über die neue Brücke abgewickelt. Die Doppel- spurigkeit wird nach Abschluss der Arbei- ten mit dem Fahrplanwechsel im Novem- ber 2019 in Betrieb genommen.

Der Wartungssteg auf der unteren Ebene des Fachwerks der bestehenden Brücke wird mit der Sanierung zum Wanderweg ausgebaut und damit ein weiterer Ab- schnitt einer Wanderroute durch die welt- bekannte Rheinschlucht, auf Rätoroma-nisch »Ruinaulta«, erschlossen. Im Hin- blick auf eine möglichst integrale Erhal- tung des historischen Stahlfachwerkträ-gers und einen möglichst ungehinderten Hochwasserabfluss – der Wasserspiegel eines 300-jährigen Hochwassers liegt knapp unter der Unterkante des Fach- werkträgers – werden für den Wander-weg Anpassungen der Widerlager erfol- gen, welche die Dramaturgie der Fluss- querung erhöhen und den Wanderern neben der Schönheit der Natur auch ein spektakuläres Architekturerlebnis bieten werden. Beim Bewegen vom einen Fluss- ufer zum anderen, hoch über dem Strom, werden so die konstruktiven Prinzipien des Brückenbaus verschiedener Epochen, die Unterschiede des Unter- und Über- baus, des Tragens und Getragenwerdens nähergebracht – und der Wanderer ist dabei wortwörtlich Teils eines direkten Dialogs zwischen der alten und der neuen, im Oktober 2018 fertiggestellten Brücke.

1 Zweite Hinterrheinbrücke neben bestehender Fachwerkkonstruktion © Matthias Ludin

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791/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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2 Charakteristik des OrtesDer Ort mit dem Reichenauer Schloss, dem Zusammenfluss von Vorder- und Hinterrhein und den zahlreichen Brü- cken und Mauern ist von einmaliger Kraft. Brücken sind an diesem Ort seit dem 14. Jahrhundert verbürgt und gehören mit zum Landschaftsbild. Wurden die Straßenbrücken nach und nach durch Betonbauwerke ersetzt, geht die Stahl- fachwerkbrücke für die Bahn über den Hinterrhein noch auf die Blütezeit des Eisenbahn-Industriezeitalters zurück und ist damit von besonderem Wert.Die bestehende Querung der Bahn be- steht gleichsam aus zwei Teilen: dem historischen Brückenträger über den Hinterrhein, der sich symmetrisch zur Achse des Rheins verhält und beidseitig auf einem massiven, gemauerten Wider- lager sitzt, und der östlich anschließen-den Spannbetonbetonbrücke aus den 1960er Jahren über die Autobahn A 13, die wir als Einschnitt in die Bergflanke lesen. Diese Zweiteiligkeit erachten wir auch für das neue Brückenensemble als wichtig.Fast rechtwinklig zu den beiden Oberläu-fen bahnt sich hier der vereinte Alpen-rhein seinen Weg durch die Engstelle zwischen Reichenau und den »Ils Aults« nordwärts in Richtung Chur. Sind die Hänge der kegel- bis kuppelförmigen Hügel aufgrund ihres Herkunftsmaterials typischerweise sanft modelliert und be- waldet, haben die zunehmend massive-ren Einschnitte durch Bahn, Straße und Autobahn zu einer Reihe von dominanten Stützmauern auf der Ostseite des Rheins geführt, welche die ursprüngliche rund- liche »Toma«-Hügellandschaft, von Straße und Bahnhof gesehen, nicht mehr richtig erkennen lassen. Um eine weniger auffällige und der Typo- logie der hier typischen »Tomahügel« besser entsprechende landschaftliche Einbettung zu erreichen, wurden ca. 30.000 m³ Hang und eine 8 m hohe Stützmauer abgebaut und durch eine Böschung ersetzt. Durch den ordnen- den Eingriff wird die Infrastrukturanlage räumlich begrenzt und die Brücken besser zur Geltung gebracht.

3 Gestaltung der neuen BrückeIm herausfordernden Kontext von Land- schaft, historischen und neuzeitlichen Brücken soll die zweite RhB-Hinterrhein-brücke eine selbstverständliche Ergän-zung bilden. An diesem einmaligen Ort mit seinen außerordentlichen Strukturen gilt es eine Synthese aus Umfeld und Anforderungen, aus Architektur, Land- schaft und Ingenieurskunst zu finden.

Die Topographie bringt es mit sich, dass die neue und die historische Eisenbahn-brücke über den Hinterrhein aus verschie-denen Blickwinkeln wahrgenommen werden: von oben von den umliegenden Höhen, von unten vom Ufer oder aus der Flussperspektive und auf Augenhöhe von den benachbarten Brücken. Die neue Eisenbahnbrücke soll dem hohen Standard der umgebenden Querungs-bauwerke – neben der erwähnten Stahl- fachwerkbrücke sind das unter anderem eine Stahlfachwerkbrücke als Straßen-verbindung ins Dorf Reichenau, die Lavoitobelbrücke von Mirko Ros und Max Bill sowie die Rheinbrücke Tamins von Christian Menn – und ihrer Inge-nieurkunst entsprechen.

Die bestehende Eisenbahnbrücke zeich- net sich durch eine sehr hohe Transpa-renz aus. Dies hat zur Folge, dass die alte und die neue Brücke stets zusam-men wahrgenommen werden und als Ensemble erscheinen. Dabei sollte nicht einfach die historische Brücke kopiert werden, vielmehr stellten wir uns eine harmonisch wirkende Ergänzung in einem mehr abstrakten Sinne vor. In Bezug auf Proportionen, Transparenz und Ingenieurfertigkeit sollte die neue Brücke ebenso unsere Zeit widerspie- geln, wie die historische Brücke den damaligen Stand der Technik verkörperte.

2 Charakteristik des Ortes © Roman Sidler

3 Skizze des Brückenentwurfs © Dissing+Weitling architecture

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80 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Als besonders wichtig erachteten wir die Anforderung, dass, aus welchem Blick- winkel auch immer die beiden Brücken betrachtet werden, sie sich nicht gegen-seitig stören, sondern wie im Zusammen-spiel wirken. Eine in der Horizontale leicht vom linearen Bestand weggekrümmte Linienführung der neuen Brücke betont die Eigenständigkeit der beiden Struktu-ren und fördert ihren Dialog miteinander.Für die neue Hinterrheinbrücke haben wir eine Stahltrogkonstruktion entworfen, welche nicht über die Brüstung der histo- rischen Brücke ragt. Sie wird durch jeweils zwei ineinanderlaufende Doppel-V-för-mige Stahlstreben, die sogenannten Quadropods, die gleichsam vier Finger einer Hand bilden, auf Betonpfeilern ab- gesetzt. Die unterhaltsarme Konstruktion aus geschweißten, geschlossenen Blech- kastenprofilen konnte dank Vorfabrika-tion transportfähiger Großteile im Werk

und dem Zusammenbau zu noch größe- ren Komponenten auf dem Installations-platz einfach und wirtschaftlich montiert werden. Die insgesamt acht bis zu 270 t schweren und 73 m langen Stahlelemen-te wurden mit Hilfe eines Raupenkrans in die Endposition gehoben bzw. längs ein- geschoben. Die Vorfertigung führte zu einer hohen Verarbeitungsqualität und trug zu einem störungsarmen Bauprozess bei. Die neuen Betonstützen korrespondieren in Lage und Ausrichtung mit den Natur- steinpfeilern der historischen Brücke. Als präzis geformte Körper aus sonderge-schaltem Beton wurden sie beiderseits des Flussufers östlich und westlich des Hinterrheins in die Flucht der vorhande-nen Pfeiler der alten Brücke gestellt. Der untere Abschluss der Quadropods liegt auf der Höhe der unteren Kante des Stahlfachwerks der historischen Brücke.

Damit entspricht die Höhe der neuen Stahlkonstruktion jener des bestehenden Stahlträgers, genauso wie die Pfeiler der alten und der neuen Brücke gleich hoch erscheinen. Während die Quadropods nach unten zusammenlaufen, weiten sich die Pfeiler gen Terrain quer zur Brücken-achse markant auf und laufen in Längs- richtung leicht zu, um einen angemesse-nen Fußabdruck zu erzielen. Der Über- gang wirkt fließend, mit Stahl und Beton in der gleichen Flucht. Die längsseitigen Außenflächen der beto- nierten Widerlager sind tangential zu den Außenflächen des Brückenträgers orien- tiert und infolgedessen leicht geneigt. Ein einheitliches Schalungsbild, welches an ein riesenformatiges Verbandsmauerwerk erinnert, verbindet Widerlager und Pfeiler der neuen Brücke zu einer Familie und kontrastiert das Zyklopenmauerwerk der bestehenden Widerlager.

4 Draufsicht als Visualisierung © Dissing+Weitling architecture /Hager Partner AG/COWI/WaltGalmarini AG

5 6 Ansichten von Norden und von Süden © Dissing+Weitling architecture /Hager Partner AG/COWI/WaltGalmarini AG

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811/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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4 Die Nationalstraße A13Die Betonbrücke über die Nationalstraße A13 und die Stützmauer östlich des Widerlagers der alten Stahlfachwerk-brücke wurden zurückgebaut, um eine Aufweitung des Lichtraumprofils von zwei auf drei Spuren zu ermöglichen. Damit die neue zweite Hinterrheinbrü-cke, welche eine kontinuierliche Struktur zwischen dem Damm im Westen und der Stützmauer östlich der A 13 bildet, und die Fachwerkbrücke nicht durch ein mar- kantes drittes Brückenelement gestört werden, wurde im Entwurf die neue Hin- terrheinbrücke über der A 13 so erwei-tert, dass sie beide Gleisstränge, also die neue und die alte Gleislinienführung, trägt. Diese Maßnahme definiert die his- torische Stahlbrücke eindeutig als die zuerst errichtete und reduziert die visu- elle Vielfalt der Brückenlandschaft. Im

weiteren Projektverlauf konnten die Linienführungen so weit angepasst wer- den, dass sie zwar jeweils auf einem eige- nen Träger auflagern, was den Bauprozess wesentlich vereinfacht und die zukünfti-ge Flexibilität massiv erhöht, aber durch die Verwendung des gleichen Trägers visuell noch immer eine Einheit bilden.Die begleitenden Massivkonstruktionen, wie zum Beispiel Stützmauer, Widerlager und die sichtbaren Fundamente, wurden sorgfältig in die Landschaft eingefügt, um eine ruhige, angepasste Erscheinung zu erreichen und die vorhandenen Natur-steinsockel weitestgehend zu erhalten. Die östliche Widerlagerwand der Spann- betonbrücke wird zu jenem Zweck rück- gebaut und an ihrer Stelle die beste-hende Stützmauer ergänzt. Der Durch-stoß der neuen Brücke durch diese Stütz-

mauer wird durch eine neue betonierte Mauerkrone, welche die Form der neuen Brücke aufnimmt, gefasst.Die neuen Massivkonstruktionen an der Straße sowie die spektakuläre V-förmige, parallel zur Straße ausgerichtete und damit schief zur Brückenachse stehende Stütze ergeben insgesamt eine harmoni-sche Torsituation für die A 13.

5 FarbgebungDie Betonelemente, das heißt Widerlager, Pfeiler usw., haben analog zum umge-benden Gesteinsmaterial einen sanften hellgrauen Farbton und weisen eine glatte Oberfläche auf, die durch ein prä- gnant horizontalbetontes Schalungs-muster fein strukturiert ist.

7 8 Längsschnitt und Lageplan © Dissing+Weitling architecture /Hager Partner AG/COWI/WaltGalmarini AG

9 Teilelemente der Brücke: Stützen, Pfeiler, Überbau, Widerlager © Dissing+Weitling architecture /Hager Partner AG/COWI/WaltGalmarini AG

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Sämtliche Stahlteile sind in einem hell- grauen Farbton, DB 702 zu DB 701, la- ckiert, welcher bei unterschiedlichen Blickwinkeln und Lichtverhältnissen vielfältig variiert. Da die beiden Brücken ein Ensemble bilden, aber gleichzeitig klar eigenständige Bauwerke sind, ist keine massive farbliche Differenzierung nötig. Die Fachwerkbrücke wird daher nach der Sanierung in einem leicht dunk- leren Farbton, DB 703 zu DB 702, der gleichen Familie gestrichen.

6 Materialisierung Bedingt durch die räumliche Enge vor Ort und eine sehr komplexe verkehrstechni-sche Situation, wurde der Herstellungs- und Wartungsfreundlichkeit große Auf- merksamkeit gewidmet. Dauerhaftigkeit und geringe Unterhaltskosten waren deshalb wesentliche Kriterien für das Projekt. Materialwahl und konstruktive Details sind so gewählt, dass der Unter- halt einfach und effizient ausgeführt wer- den kann – unter Berücksichtigung der nötigen Umweltmaßnahmen.Das durchgehende Tragwerk weist einzig im Bereich der Widerlager Fugen auf, die jedoch für Inspektion und Unterhalt ein- fach zugänglich sind. Nur die Ostseite der neuen Brücke verfügt über einen expli- ziten Fahrbahnübergang mit Schotter-trennung. Er ist durch eine Vertiefung im Terrain auch von unten gut zugänglich, was einen einfachen Unterhalt erlaubt.

Das Brückenträger besteht aus einem 6,30 m breiten Trogquerschnitt mit schlan- ken, geschweißten seitlichen Längshohl-kastenträger, zwischen denen die quer- ausgesteifte Fahrbahnplatte Schotter, Schienen und Kabelkanäle trägt. Die Unterflansche der Querrippen liegen dabei in einer Ebene mit den Untergur-ten der Hohlkästen, so dass die Unter-sicht des gesamten Trägers eine rhythmi-sierte Ebene bildet. Die Blechdicken der Hohlkästen mit geneigtem äußerem Steg werden gegen innen variiert, damit der Brückenträger eine über die ganze Länge konstante Höhe von 1,70 m und eine ununterbrochene, glatte Oberfläche zeigt. Die geneigten Streben der Quadropods bestehen wie die Längsträger aus ge- schweißten Hohlkästen. Ihre Form ent- spricht einem leicht tordierten Pyrami-denstumpf. Sie sind untereinander und mit den Hohlkastenträgern integral ver- schweißt und mittels Bolzenlagern auf den Betonpfeilern befestigt. Die Arme der V-Stütze entlang der A 13 folgen derselben formalen Logik wie die Quadropods. Die V-Stütze ist in die Pfahl- kopfplatte abgespannt, die Arme tragen den Brückenträger über Gleitlager und sind am Kopf mittels dreier Spannstangen ausgesteift. Für alle Stahlbauteile wurde Stahl der Festigkeitsklasse S 355 verwendet und alle Schweißnähte wurden auf voller Länge ultraschallgeprüft. Die Hohlkästen wurden als geschlossene Kästen ausge- führt, so dass die inneren Oberflächen keine Korrosionsschutzbehandlung erfor- derten. Alle äußeren Oberflächen wurden mit einem vierschichtigen Korrosions-schutz versehen, sämtliche Kanten abge-

rundet. Die konstruktiven Details sind so konstruiert, dass sich möglichst keine Schmutzkonzentrationen und Ablage-rungen bilden können.

Autoren: Steen Savery TrojaborgArchitekt MAADissing+Weitling architecture,Kopenhagen, DänemarkMonika SchenkLandschaftsarchitektin, GeologinHager Partner AG, Zürich, Schweiz Dr. Andreas GalmariniIngenieurWaltGalmarini AG,Zürich, Schweiz Ian FirthIngenieurCOWI, London, England

Bauherr Rhätische Bahn (RhB) AG, Chur, Schweiz

ArchitektenArbeitsgemeinschaft:Dissing+Weitling architecture, Kopenhagen, Dänemark (Architektur)Hager Partner AG, Zürich, Schweiz (Landschaftsarchitektur)

IngenieureFlint & Neill Ltd. (COWI), London, EnglandWaltGalmarini AG, Zürich, Schweiz

VermessungDonatsch + Partner AG, Landquart, Schweiz

PrüfingenieurProf. Dr. Peter Marti, Zürich, Schweiz

Bauausführung Arbeitsgemeinschaft:Schneider Stahlbau AG, Jona, Schweiz (Stahlbau) Jörimann Stahl AG, Bonaduz, Schweiz (Stahlbau) Toscano Stahlbau AG, Realta, Schweiz (Stahlbau), J. Erni AG, Flims, Schweiz (Baumeister) Casutt AG, Falera, Schweiz (Erdarbeiten)

10 Gesamtsituation mit Zweiter Hinterrheinbrücke nach Fertigstellung © Stéphane Braune

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Leuchtturmprojekt für das geplante Hochgeschwindigkeitsnetz

Colne Valley Viaduct als Referenzentwurf von Martin Knight, Héctor Beade Pereda, Bartlomiej Halaczek

Der 111 km² messende Colne-Valley- Regionalpark ist die erste zusam-menhängende Grünfläche westlich von London und umfasst mehrere Wasserläufe, größere Teiche, Wiesen und Wälder. In Teilen unter Natur-schutz stehend, gilt er als ein sehr beliebtes Naherholungsgebiet. Im Zuge des neuen Hochgeschwindig-keitsbahnprojektes HS2, das eine direkte Verbindung zwischen Lon- don und Birmingham herstellt, wird er künftig von einem 3,40 km langen Viadukt überquert werden. Knight Architects wurden zusam-men mit Atkins von der Entwick-lungsgesellschaft High-Speed Two Limited beauftragt, einen Referenz-entwurf zu erarbeiten, welcher den Charakter des Parks respektiert und gestalterisch behutsam auf dessen Wesen reagiert. Die Weiterentwick-lung des Entwurfs soll in Form eines Design-and-Build-Vertrags als Los gemeinsam mit zwei Tunneln an ein Baukonsortium vergeben werden.

1 Anforderungen1. 1 GestaltungDer Colne Valley Viaduct wird das promi- nenteste und damit wichtigste Bauwerk im Verlauf der sogenannten High-Speed Two (HS2) Line sein, hauptsächlich wegen seiner Länge, seiner exponierten Lage und aufgrund der Positionierung in eben- jenem Regionalpark. Aus diesem Grund entwickelte das britische Parlament ein Konzeptpapier, in dem die Anforderun-gen an Gestaltung und Qualität festge-schrieben wurden: »(...) der Colne Valley Viaduct wird das herausragendste sicht- bare Ingenieurbauwerk auf der HS2 Phase One Route (…). Angesichts der negativen Stimmung gegenüber dem Projekt bei der Lokalbevölkerung muss dieses Bau- werk der Landschaft mit Respekt begeg- nen, gleichzeitig soll es respektiert wer- den können. (…) Es soll mit viel Sympa-thie und Vorstellungskraft entworfen werden, so dass es als angemessenes Symbol für die künftigen Strecken des Hochgeschwindigkeitsnetzes gesehen werden kann.«Um auf möglichst alle Parteien Rücksicht nehmen zu können, wurde der Referenz-entwurf auf Basis der Erkenntnisse aus mehreren Bürgerdialogen und Beteilig-tenbefragungen erarbeitet. Dabei stan- den den Planern auch das HS2 Colne Valley Regional Park Panel (CVRPP) und das HS2 Independent Design Panel (HS2 IDP) beratend zur Seite.

Das Hauptanliegen des CVRPP war die Entwicklung von Maßnahmen zur Mini- mierung der negativen Ein- und Auswir-kungen des CVV auf den Regionalpark. Das CVRPP repräsentiert Institutionen wie HS2, The Government’s Department for Transport, direkt betroffene Gemeinden, die Umweltbehörden Natural England, Environment Agency, Canal and River Trust, verschiedene Wildlife Trusts und die CVRP Community Interest Company. Das HS2 IDP wiederum ist eine unabhängige Beratungsgesellschaft, welche unter anderem prüft, ob die Methoden, die im Laufe des Projektes Anwendung finden, mit den Grundprinzipien von HS2 verein- bar sind. Die Gesellschaft setzt sich zu- sammen aus Experten unterschiedlicher Disziplinen, wie etwa Architekten, Stadt- planern, Landschaftsplanern, Produkt-designern, Umweltschutzexperten und Bauingenieuren.

1 Colne Valley Viaduct im Bereich des zweiten Harefield Lake © Hayes Davidson/Knight Architects

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1.2 HSR ViaduktdesignHochgeschwindigkeitsstrecken durch-ziehen diverse Landschaften, die, vom Passagiersitz aus gesehen, sich kontinu-ierlich und schnell abwechseln. Bauele-mente, welche entlang einer solchen Route eingesetzt werden, sollten in ihrer Gestaltung auf diese Diversität reagieren und sich möglichst harmonisch in die jeweilige Umgebung einpassen. Aus dem Naturell von Hochgeschwindigkeitstre-cken resultiert jedoch eine Reihe von Eigenschaften, welche die Gestaltungs-freiheit stark einschränken. So lässt der Streckenverlauf wenig Spielraum für die Berücksichtigung geographischer Gege- benheiten, stattdessen wird die Land-schaft durch zahlreiche Brücken und Via- dukte zerteilt, die teilweise signifikante Längen aufweisen. Da die Bahnviadukte wesentlich höheren horizontalen und vertikalen Kräften ausgesetzt sind als

herkömmliche Straßenbrücken, führen allein schon solche Randbedingungen zu wesentlich robusteren Querschnitten und relativ kurzen Spannweiten, was den Entwurf von schlanken und eleganten Strukturen deutlich erschwert. Hinzu kommen sekundäre Aufbauten, wie Lärmschutzwände und Oberleitungs-maste.

2 Randbedingungen2.1 Landschaftscharakter und SichtverhältnisseDer Colne-Valley-Regionalpark besteht überwiegend aus Wald-, Wiesen- und vereinzelten Agrarflächen, aufgebrochen wird er jedoch durch größere Reservoirs, Kanäle und einen Fluss. Parallel zu ihm eine bestehende Bahnstrecke, und an einer Stelle wird er von der Bundesstraße A 412 und der Moorhall Road gekreuzt.

2 3 Untersuchung der Landschaftscharakteristika © Knight Architects

Der Charakter der Landschaft wird mit- bestimmt durch ihre frühindustrielle Geschichte, bei den Reservoirs handelt es sich um geflutete Steinbrüche.Die an das Viadukt direkt angrenzenden Landschaften lassen sich in zwei Typen unterteilen: offene Wasser- und dichte Waldflächen. Für die Entwicklung eines einheitlichen Bauwerkstyps stellt dies eine Herausforderung dar, denn die Was- serflächen sind offen einsehbar und haben reflektierende Eigenschaften, wäh- rend die bewaldeten Bereiche die Blick- winkel stark einschränken und etwaige Bauelemente nur in unmittelbarer Nähe erkennbar sind. Das heißt, in seiner Ge- samtheit wird das Viadukt lediglich aus der Vogelperspektive wahrgenommen werden können, bodengebundene Beob- achter werden lediglich Abschnitte be- trachten können. Die zuvor genannten zwei Landschafts-typen, See und Forst, sind also die prä- genden Motive des Parks, weshalb sich das Entwurfskonzept speziell an diesen beiden Merkmalen orientieren sollte.

2.2 HS2 Vorgaben, Streckenverlauf, QuerschnitteBei Auftragsvergabe waren sowohl die Streckenführung als auch die Gradiente bereits festgelegt. Letztere folgt im Wesentlichen dem Bodenverlauf, wobei sich die Fahrbahnebene ca. 10–15 m über dem Grund befindet. Diese Einschrän-kung ist aus gestalterischer Sicht proble- matisch, da die Viadukte unterhalb der Baumwipfel verlaufen und sie so aus der Ferne nicht auszumachen sind. Gleich-zeitig führen die niedrige Höhe und die Massivität der Querschnitte zu einem sehr schweren Erscheinungsbild, das speziell auf Fußgänger erdrückend wirken wird. Andererseits bietet die niedrige Fahr-bahnlage viel Potential, um mit Wasser-spiegelungen über den Reservoirs zu »spielen«.

4 Planungsgebiet mit Standardkonzept als »Platzhalter« © Knight Architects

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Der Streckenverlauf umschreibt eine langgezogene Rechtskurve durch das Colne River Valley. Gekrümmte Grundrisse haben bestimmte geometrische Eigen- schaften, die sich prägend auf die Gestal- tung auswirken. Als Vorteil ist hier zu sehen, dass Reisende in einer Kurve die Chance haben, einen Blick auf das unten- liegende Tragwerk zu werfen, was sonst nur bei obenliegenden Konstruktionen möglich ist. Allerdings sollte in einer Kurve immer auf die Stützenstellung geachtet werden. Das heißt, bei außen-stehenden Stützenpaaren, wie sie sich in einem Trogbauwerk finden, resultiert aus ihrer radialen Anordnung der Eindruck eines unruhigen »Stützenwalds«, da sich der Blickwinkel auf die Querachsen permanent ändert. Die Randbedingungen für die Entwick-lung des Querschnittes ergaben sich aus dem Lichtraumprofil der Bahn: Zwei parallelliegende Gleisachsen, beide zur Kurveninnenseite geneigt, die von zwei Notgehwegen sowie je einer Antient-gleisungs-Vorrichtung auf beiden Seiten der Strecke flankiert werden, galt es unterzubringen. Oberleitungsmaste sind auf beiden Seiten der Strecke in einem Längsraster von 40–60 m zu platzieren sowie entlang größeren Streckenab-schnitten zusätzlich eine Lärmschutz- wand vorzusehen. Ein übergeordneter Planungsansatz, der sich auf die Lokalität bezieht, zugleich aber auch die technischen Vorgaben der Bahn integriert, schien am erfolgver-sprechendsten zu sein.

3 Entwurfsintentionen3.1 LeuchtturmprojektDas Colne Valley Viaduct soll nach Wunsch des Bauherrn ein repräsentatives Bei- spiel für das gesamte HS2-Projekt sein – und entsprechend hoch waren die Erwar- tungen in puncto Entwurfsqualität. Die »Natur« des Bauwerkes stand jedoch im Gegensatz zur Vorstellung vieler betei- ligter Parteien darüber, wie solch ein »Leuchtturmprojekt« auszusehen habe. So wurde der Wunsch nach einer Que- rung von signethaftem Charakter geäu- ßert, belegt mit einem Bild von Virlogeux´s Millau-Viadukt. Da die Randbedingun- gen bei dieser Brücke aber vollkommen andere waren als im vorliegenden Fall, wie nicht zuletzt ein weitgespanntes tiefes Tal mit der Möglichkeit zur Ausbil- dung langer schlanker Stützen und einer exponierten Positionierung des Über-

baus, mussten die Erwartungen erst einmal mit der Realität zur Deckung gebracht werden. Während Millau von der Prominenz des Streckenverlaufes profitiert und daraus sich das gesamte Erscheinungsbild entwickelt, gilt es beim Colne Valley Viaduct einen Fokus auf dessen Eleganz zu legen. Entgegen dem additiven Vorgehen, bei dem ein Standardbauwerk durch Hinzufügen von Gestaltungselementen dekoriert wird, sollte hier ein reduktiver Ansatz Anwen-dung finden, um durch integrative Detail- lierung, die Wahl möglichst schlanker Proportionen und eine quasi minimalis-tische Einbeziehung aller Komponenten die gewünschten gestalterischen Eigenschaften zu erzielen. 3.2 ProportionenEin Viadukt, das sich in niedriger Höhe über dem Boden erstreckt, muss sinnhaft proportioniert werden. Die Verhältnisse zwischen Spannweite, Querschnittshöhe, Querschnittsbreite und Bauwerkshöhe sind die Hauptparameter, welche die Proportionierung beeinflussen: Zu kurze Felder entbehren der Dramatik eines weitgespannten Balkens, doch zu lange Felder bedingen wiederum massive Querschnitte, so dass die Unterseite der Brücke dem vor ihr stehenden Betrachter nahe kommt. Faktoren, die Leichtigkeit und Transparenz repräsentieren, wie Durchsicht und Lichtdurchlässigkeit, profitieren hingegen von größeren Öff- nungsweiten, während gedrungene Deckquerschnitte den Passanten quasi erschlagen. Die richtige Balance zwischen all diesen Aspekten zu finden, entschei-det dementsprechend über Erfolg und Misserfolg des Konzeptes.

5 Gekrümmter Grundriss samt Anordnung einer Lärmschutzwand © Knight Architects

6 Standardquerschnitt gemäß Vorgabe © Knight Architects

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3.3 Charakteristische Bereiche und QualitätWie zuvor erläutert, entscheidet die angemessene Reaktion auf die zwei definierenden Charakteristika des Parks, nämlich Forst und Gewässer, ob der Ent- wurf von den beteiligten Interessen-gruppen auch akzeptiert wird.Die Offenheit und damit die Einsehbar-keit der Gewässer begünstigt größere Spannweiten, die begrenzte Sicht in bewaldeten Zonen erlaubt aber kürzere Feldlängen zu realisieren. Ferner ist es essentiell, eine Beziehung zu den linea- ren Infrastrukturelementen herzustellen, die unter der Brücke verlaufen: Straßen, Wege, Kanäle, Flüsse. Dazu müssen die Pfeiler den Weg symmetrisch links und rechts flankieren, oder die Kreuzung wird zumindest durch den Einsatz eines Son- derquerschnittes oder »Feature Span« bewusst betont. Auch die Pfeilerform kann auf die Umgebung zugeschnitten werden. Die definierende Deckkante, sei es ein Randträger oder eine Kappe, sollte über die Länge des Viadukts Konsistenz bewahren, damit dessen lineare Erschei-nung nicht gestört wird und es von nah wie fern wiedererkennbar bleibt.

Alle Bauteile, die an Fußgängerbereiche angrenzen, sind in puncto Qualität, Textur und Maßstab so zu gestalten, dass sie sich bei geringer Geschwindigkeit gut wahrnehmen lassen. Die Qualität in diesem Projekt bezieht sich auf das geo- metrische Gesamtdesign, die Auswahl der Materialien, die Verwendung der Textur für einige Oberflächen, die Art und Weise, wie diese Materialien in der Konstruktion verwendet werden, und die Gestaltung der Details.Da der Colne Valley Viaduct direkt an der Mündung eines Tunnels endet, ergibt sich die aufregende Gelegenheit, den Fahrgästen den dramatischen Wechsel zu einem offenen Ausblick über das Colne Valley zu bieten. Die Gestaltung der Lärm- schutzwände muss deshalb zum Ziel haben, Funktion mit Transparenz zu paa- ren, um das Rauschen eines Zuges zu reduzieren und gleichzeitig die Aussichts-möglichkeiten von der und auf die Brücke zu maximieren.

4 Musterentwurf4.1 Hauptquerschnitt und PfeilerNachdem die zu realisierenden Design-ansprüche festgelegt worden waren, wurden die Konzeptoptionen mit ihnen abgeglichen, um sowohl die Planer bei der Erzielung der besten Lösung zu unter-stützen als auch um den verschiedenen Interessengruppen die Angemessenheit dieses Entwurfes durch den Vergleich mit anderen zu erklären.Zwei Randbedingungen waren letztlich ausschlaggebend: der niedrige Verlauf der Strecke und deren Kurven bzw. Krümmungen, die sich auf die Wahl der Pfeilergeometrie auswirkten. Ein traditioneller Hohlkasten mit seitli- chen Auskragungen hat sein gesamtes Tragvolumen unterhalb der Gleisebene. Und das rückt dessen Unterseite optisch näher an den Grund, gleichzeitig sind die Aufbauten wie Lärmschutzwand und Oberleitungsmaste als Additionen er- kennbar. Ein U-förmiger Trogquerschnitt würde zwar die Unterseite der Brücke deutlich anheben, allerdings nur auf Kosten der Transparenz der Brücke, was speziell die Fahrgäste negativ betrifft. Ferner kann so ein Tragwerk entweder durch Pfeilerpaare (nicht erwünscht) oder durch massive Hammerkopfkonso-len abgefangen werden, wobei keine der beiden Optionen überzeugte.

7 Querschnittsentwicklung bis zur gewählten Variante (rechts) © Knight Architects

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Die vorgeschlagene Lösung kombiniert nun positive Elemente beider Überbau-typen, indem sie mit einem Querschnitt zwischen Trog und Kastenträger aufwar- tet, der ebenso auf die HS2-Einschrän-kungen wie die Besonderheiten des Standorts reagiert: Die Höhe der Stege ist begrenzt, um die Sicht aus dem Zug frei zu halten und die Geräuschentwick-lung der Räder dennoch zu dämpfen.Ein solcher Querschnitt hat eine gerin-gere Höhe unterhalb der Fahrbahn, was ihn vom Boden besser absetzt, gleichzei-tig werden die Aufbauten in ihrem Erscheinungsbild deutlich reduziert, da sie integraler Bestandteil der Tragstruktur sind. Der Querschnitt besitzt eine ausrei- chende Torsionssteifigkeit, so dass er sich mittig auf einem Zentralpfeiler lagern lässt. Damit wird die Gefahr des »Stützen-waldes« vermieden und das gesamte Bauwerk erscheint leichter. Die Pfeiler sind facettiert, um ihr Volumen weiter aufzubrechen.

4.2 EntwurfsprinzipienZu Beginn der Analyse wurden viele Tragsysteme im direkten Vergleich mit der von HS2 vorgeschlagenen Lösung untersucht, wobei das Spektrum von einem konventionellen Durchlaufbalken mit 50–60 m Spannweite bis zu einem Mehrpylonschrägseilsystem mit 350 m langen Feldern reichte. Dies wurde unter anderem deshalb gemacht, um die Unan- gemessenheit solcher Systeme im gege- benen Kontext glaubhaft vermitteln zu können.

Basierend auf früheren Designannahmen hatten alle Optionen zwei gemeinsame Merkmale: Einerseits bestanden die Überbauten aus klassischen, untenlie-genden Hohlkästen, auf der anderen Seite erfolgte in ausgewählten Abschnit-ten die Ergänzung um entsprechende konstruktive Elemente, um längere Spannweiten von 100–115 m im Gewäs- serbereich erzielen zu können. Zu diesen Optionen gehörten auch ein Extradosed- und ein Rohrsystem sowie mehrere Sys- teme mit variabler Bauhöhe, teils über und teils unter dem Deck angeordnet.

9 Vorzugslösung für die Abschnitte oberhalb von Gewässerflächen © Knight Architects

8 Vergleich der verschiedenen Tragsysteme mit Berücksichtigung der Spiegelungen © Knight Architects

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Die bevorzugte Lösung geht von einem extrudierten Querschnitt konstanter Höhe im Waldbereich fließend in eine Reihe von 105 m weiten Feldern über, die mit ihrer Bauhöhe in Feldmitte bo- genförmig in ein Paar V-Stützen über-leiten. Dieses Konzept reagiert direkt auf die Charakteristika der einzelnen Areale, die das Viadukt kreuzt. Die Reflexionen im Wasser werden hier bewusst zur Verstär- kung der visuellen Erscheinung genutzt. Die V-Stützen verjüngen sich zudem nach unten, was der Brücke eine zusätzliche Leichtigkeit verleiht, so dass es letztlich scheint, als ob sie über die Wasserober-fläche springen würde. Die großen Öff- nungen zwischen den V-Stützen erzeu- gen den Eindruck der Transparenz, die bewaldeten Seeufer bleiben durch das Viadukt hindurch sichtbar. Die Facettie-rung der Deckunterseite und der V-Stüt- zen brechen zudem das Licht und tragen so zur weiteren Verschlankung des Bauwerks bei. Als Hauptmaterial wurde Beton gewählt, da er günstig in der Instandhaltung ist, gute Dämpfungseigenschaften aufweist und optisch auf würdevolle Art altert.

10 Visualisierung: Querung eines Teiches © Hayes Davidson/Knight Architects

12 Sonderbauwerk über der Bundesstraße © Knight Architects

11 Fließender Übergang von Wald- zu Seefeldern © Knight Architects

Die Nachteile, die mit einer solch massiven Konstruktion verbunden sind, lassen sich hier als verhältnismäßig überschaubar einstufen, da alle Bereiche des Viadukts gut zugänglich sind und auch die geringe Tiefe der Teiche von ca. 5 m keine Pro- bleme beim Aufbau einer Schalung bereiten sollte.

4.3 Querung der A 412 Aber nicht nur im Seebereich sind beson- dere Feldlängen notwendig, auch die schleifende Kreuzung mit der Straße A 412 bedingt ein Feld von ca. 80 m Spannweite. Eine bogenartige Lösung wurde aufgrund von geometrischen

Konflikten mit dem Lichtraumprofil der Straße verworfen, stattdessen erfolgt die Wahl eines Trogquerschnitts mit variabler Bauhöhe. Dieser Querschnitt führt die architektonische Sprache des Viaduktes gleichsam fort, indem die Bögen der Wasserquerung geometrisch um die Deckachse nach oben gespiegelt werden. Zur Lastabtragung muss bei den Pfeilern allerdings eine Ausnahme gemacht wer- den, denn hier werden sie tatsächlich als Paare ausgebildet. Die Besonderheit der Situation, einer Kreuzung, erlaubt jedoch einen solchen Kunstgriff, da für die Auto- fahrer so auch ein Portal entsteht.

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4.4 Aufbauten und AusstattungAlle nichttragenden Bauteile auf dem Deck wurden mittels eines holistischen Ansatzes so entwickelt, dass sie sich visuell in das Bauwerk integrieren. Das System besteht aus einer Folge relativ dicht angeordneter Edelstahlstangen mit dreieckigem Querschnitt, welche die

Neigung der oberen Außenflächen des Überbaus weiterführen. Diese Elemente sind in ihrer Höhe gestaffelt – zwei von je vier sind 1,25 m hoch –, so dass sie im unteren Bereich als Geländer fungieren, während die längeren Stäbe die Aufgabe des Fledermaus- und Vogelschutzes

übernehmen. Dort, wo ein zusätzlicher Lärmschutz benötigt wird, lassen sie sich zusätzlich mit transparenten Acrylglas-platten ausfachen. Die Oberleitungsmas-ten sind ebenfalls Sonderentwicklungen, die der Neigung der Außenwände zur Deckmitte folgen.

16 Colne Valley Viaduct im Bereich des zweiten Korda Lake © Hayes Davidson/Knight Architects

15 »Waldquerschnitt« mit integriertem Geländer sowie Lärm- und Vogelschutz © Knight Architects

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Die Verwendung dreieckiger Querschnitte ergibt ein transparentes Erscheinungsbild für die Parkbesucher, wenn sie das Via- dukt aus der Ferne betrachten. Aufgrund ihrer Reihung und Schlankheit bleiben sie für HS2-Benutzer, die aus dem Zug- fenster blicken, hingegen nahezu unsicht-bar, zumal sie durch die hohe Fahrge-schwindigkeit und ihren geringen Ab- stand optisch zu einer Art leichtem Grauschleier verschwimmen.

5 ZusammenfassungIn Anbetracht der Tatsache, dass die Lose für die Hauptabschnitte des HS2 auf Basis eines Design-and-Build-Vertrages ver- geben werden, war es enorm förderlich, diesem Verfahren die Entwicklung eines Musterentwurfs vorzuschalten, um die Anforderungen, Einschränkungen und Möglichkeiten, die das Gesamtprojekt bestimmen, detailliert untersuchen zu können.

Der letztlich erarbeitete Entwurf, der sowohl von den verantwortlichen Gremien als auch von den einzelnen Interessengruppen außerordentlich positive Unterstützung erfahren hat, wird nun als Referenz und Maßstab für die weiterbeauftragten Leistungen dienen. Er reagiert in respektvoller Weise auf die variierenden Charakteristika des Parks und berücksichtigt bewusst die Benut-zerwahrnehmung entlang dem und unterhalb des Bauwerks. Gleichzeitig erfüllt er den Anspruch, den Eingriff in die Natur nach Möglichkeit zu mini- mieren.

Autoren:Martin Knight BA (Hons) Dip ArchHéctor Beade Pereda MEng Civil EngineerDipl.-Ing. Bartlomiej HalaczekKnight Architects,High Wycombe, England

AuftraggeberHS2 Ltd, Birmingham, England National Rail Enquiries Ltd., London, England

ReferenzplanungKnight Architects, High Wycombe, EnglandWS Atkins PLC, London, England

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Montageplanung und Ausführung

Bogibeel Bridge in Indien von Jens Schülke

Dieser Beitrag beschreibt die Mon- tageplanung und die Ausführung der Bogibeel Bridge über den Brah- maputra, der längsten kombinier-ten Eisenbahn- und Straßenbrücke Indiens. Neben der Erläuterung der Gründe und Einflussfaktoren, die zu der gewählten Montagetechnologie geführt haben, wird die statische und technische Umsetzung des gewählten Verfahrens vorgestellt.

1 EinleitungDie nordöstlichen Bundesstaaten Indiens, die auch als »Sieben Schwesterstaaten« bezeichnet werden, gerieten nach der Unabhängigkeit Indiens und Pakistans 1947 in eine isolierte Lage. Das zwischen den nordöstlichen Bundesstaaten und dem Rest Indiens liegende Ostbengalen kam im Zuge dieser Teilung zu Pakistan und machte sich 1971 als Bangladesch unabhängig. Als Folge dessen sind die »Sieben Schwesterstaaten«, in denen lediglich 4 % der indischen Bevölkerung leben, heute nur über einen schmalen, an der engsten Stelle lediglich 20 km breiten Korridor mit dem Rest des Landes verbunden. Der Nordosten Indiens ist wirtschaftlich auf diese Verbindung ange- wiesen, der Frachtverkehr läuft über den Hafen von Kolkata, nicht über den eigent- lich viel näheren von Chittagong in Bang- ladesch. Die indische Armee zeigt in dem strategisch exponierten Gebiet massive Präsenz, nachdem im Indisch-Chinesi-schen Krieg von 1962 chinesische Trup- pen vorübergehend den schmalen Durch- gang besetzten und damit Nordostindien vom Hauptteil des Landes abschnitten.Um die wirtschaftliche Entwicklung des lange Zeit vom Mutterland vernachlässig-ten Nordostens zu beschleunigen, wer- den seit einigen Jahren unter anderem große Infrastrukturprojekte in der Region realisiert. Ein zentraler Punkt ist hierbei die Verbindung der beiden Ufer des Flus- ses Brahmaputra, der den Landstrich und insbesondere den größten Bundesstaat

Assam prägt. Der Brahmaputra bildet den Hauptstrang des sogenannten Meghna, des wasserreichsten Flusses Asiens. Nach dem Zusammenfluss mit dem Ganges und weiterer Flüsse spannt er bei seiner Mündung im Golf von Bengalen das flä- chenmäßig größte Delta auf, allgemein bekannt als Ganges-Delta.Die Bogibeel Bridge, die den Brahmapu-tra auf einer Länge von 4,94 km unterhalb der Stadt Dibrugarh im äußersten Nord- osten des Bundesstaates Assam über-quert (Bild 1), ist eines der großen Infra- strukturprojekte in dieser Region. Die Brücke soll die bisher kaum entwickelte Gegend nördlich des Brahmaputra, den Bundesstaat Arunachal Pradesh, erschlie- ßen. Da sich im Bundesstaat Arunachal Pradesh ca. 75 % der 4.000 km langen Grenze zu China befinden, besitzt die Brücke ebenfalls eine große militärische Bedeutung für Indien.Das Bauwerk, das eine zweigleisige Eisenbahnbrücke und eine dreispurige Straße überführt, war bei Baubeginn die vierte Brücke über den Brahmaputra. In der Zwischenzeit wurde ca. 150 km fluss- aufwärts eine weitere und damit die fünfte Brücke für den Straßenverkehr errichtet. Die nächste Straßenbrücke flussabwärts befindet sich ca. 300 km in Tezpur, die nächste Eisenbahnbrücke in der Provinzhauptstadt Guwahati ist ca. 500 km entfernt.

Die Bogibeel Bridge wird durch die North-East Frontier Railways (NFR) bzw. durch die staatliche indische Eisenbahn-gesellschaft gebaut. Die Entwurfs- und Ausführungsplanung der Brücke erfolg- ten in einer Zusammenarbeit des staat- lichen indischen Büro Rites Limited mit dem Büro Rambøll, die statische Prüfung oblag Anwikar Consultants. Der Auftrag zum Bau des Überbaus – mit den Unter- bauten wurde bereits im Jahr 2008 in einem gesonderten Auftrag begonnen – wurde im Jahr 2012 an ein Konsortium, bestehend aus den indischen Bauunter-nehmen Hindustan Construction Com- pany (HCC) und VNR Infrastructures Limi- ted sowie der DSD Brückenbau GmbH, erteilt. Während die beiden indischen Firmen für die Fertigung der Brücke ver- antwortlich waren, war DSD für die Pla- nung und Berechnung des gesamten Montagevorgangs der Brücke zuständig. Die Planung der gesamten Montage der Brücke sowie die Ermittlung des Einflus- ses auf die für den Endzustand überge-bene Materialverteilung waren durch die ausführenden Firmen zu erbringen. Für die statische Berechnung der Montage-zustände und der Hilfskonstruktionen wurde von DSD das Büro Schüßler-Plan, Berlin, eingebunden.

1 Lage der Brücke im Nordosten Indiens © Hindustan Construction Company

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2 Beschreibung des BauwerksDie Bogibeel Bridge ist eine kombinierte Eisenbahn- und Straßenbrücke: Sie über- führt eine zweigleisige Eisenbahnstrecke und eine dreispurige Straße über den Brahmaputra. Die Brücke verläuft im Grund- und im Aufriss über eine Länge von 4,94 km vollkommen gerade. Das Bauwerk besteht aus einer Reihe von insgesamt 39 identischen Einfeldträgern mit einer Regelspannweite von 121,60 m (Bild 2). An insgesamt 40 Brückenpfeilern, die einen Achsabstand von 125 m auf- weisen, lagern somit immer jeweils zwei Träger mittels insgesamt vier Kalotten-lagern auf. Die anschließenden Endfelder werden als Einfeldträger mit einer Spann- weite von jeweils 32,75 m ausgeführt. Auf dem Nord- und Südufer schließen ca. 800 m lange Rampenbauwerke aus Beton an, welche die oberhalb der Eisenbahn-linie verlaufende Straße im Rampenbe-reich auf das Geländeniveau überführen.

2 Längsansichten des Überbaus © DSD Brückenbau GmbH

3 Regelquerschnitt © DSD Brückenbau GmbH

Der Querschnitt der Brücke (Bild 3), der weitestgehend an jenen der Öresund- Brücke zwischen Dänemark und Schwe- den erinnert, besteht aus zwei außenlie-genden Fachwerkhauptträgern aus Stahl, die in einem Achsabstand von 10,60 m angeordnet sind. Die Fachwerkhauptträ-ger sind am Untergurt an den Fachwerk-knoten durch einen Querträger angebun-den. Die Querträger bilden die Auflager für die insgesamt vier Längsträger, die jeweils unter den Gleisen als Einfeldträger (stringer) konzipiert wurden. Die Ober- gurte der Fachwerkhauptträger sind im Abstand von ca. 3,00 m durch Querträ- ger miteinander verbunden, über Kopf- bolzendübel sind der Obergurt und die Querträger mit der anschließenden Betonplatte gekoppelt. Die Betonplatte ist am Anschnitt zu den Auflagern 40 cm und in den Feldbereichen 25 cm dick.Die Pfeiler bestehen aus zwei runden Stüt- zen mit einem Durchmesser von 5,30 m und einer Wanddicke von 1,00 m (Bild 4).

4 Gründung der Pfeiler © DSD Brückenbau GmbH

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Die Stützen werden durch eine 1,20 m dicke Platte am Kopf der Stützen und durch eine 2,20 m dicke Gründungsplatte verbunden. Die Tiefgründung der Pfeiler erfolgte als Brunnengründung, die bis zu einer Tiefe von 60,00 m in das Flussbett des Brahmaputra geführt wurde, da unter anderem bis 35,00 m tiefe Auskolkungen an der Gründung berücksichtigt werden mussten. Die Einfeldträger sind über Kalottenlager statisch bestimmt auf den Stützen gelagert. Zur Aufnahme der Erd- bebenlast befinden sich mittig zwischen den Lagern zusätzliche Festhaltungen.Als Stahlgüte wurde ein Stahl E 410 – er entspricht weitestgehend einem S 420 nach EN 10025 – gemäß den indischen Standards IS 2062 und IS 8500 verwen-det, lediglich die Verbände und die Quer- träger wurden aus einem Stahl der Güte E 250, der einem S 235 nach EN 10025 weitestgehend ähnelt, hergestellt. Zusätzlich zu den Anforderungen aus den indischen Normen wurden an den Grob- blechen Ultraschalltests nach EN 10160 durchgeführt. Die Herstellung erfolgte generell auf Grundlage der EN 1090-2, das heißt, auch für die Schweiß- und Korro-sionsschutzarbeiten galten die entspre-chenden europäischen Normen. Die Querträger sowie die Ober- und Unter-gurte der Fachwerkträger wurden mit einer Spritzverzinkung und einer an- schließenden Deckbeschichtung konserviert.

3 RandbedingungenDie Montagetechnologie wird maßgeb-lich durch die Lage der Brücke und die dortigen hydraulischen Gegebenheiten des Brahmaputra sowie durch die vorhan- dene Infrastruktur bestimmt (Bilder 5 und 6). Als mögliche Technologien kamen nur die Montage mit Hilfe eines Schwimm- und/oder Mobilkrans oder eine Montage mittels Taktschieben in Frage.

Eine Errichtung der Brücke mit Hilfe eines Schwimmkrans ist lediglich in einem Quartal realisierbar, da der Brahmaputra nur maximal drei Monate im Jahr schiff- bar ist. In der Zeit des Monsuns von Mai bis September steigt der Wasserspiegel im gesamten Flussbett um ca. 8 m an, und die mittlere Abflussgeschwindigkeit wächst auf 55.000 m³/s; zum Vergleich: Beim Rhein beträgt der Abfluss maximal 2.300 m³/s. Ein Arbeiten mittels Schwimm- krans ist somit nur innerhalb von drei Monaten und zudem in den Wochen nach Ende des Monsuns möglich. In der rest- lichen Zeit besteht der Brahmaputra aus mehreren kleineren Flussläufen mit da- zwischenliegenden Inseln. Auch in dieser Zeit ist aufgrund der Bodenverhältnisse – das Flussbett besteht ausschließlich aus sehr feinem Sand – eine Montage mit Mobilkränen bei zu hebenden Gewichten eines Einfeldträgers von 1.800 t nicht machbar. Im Fall einer Errichtung im Vorschubver-fahren ist zu berücksichtigen, dass das Nordufer des Brahmaputra verkehrstech-

nisch nur sehr unzureichend erschlossen ist. Die nächste Brücke über den Brahma- putra befindet sich, wie erwähnt, in mehr als 300 km Entfernung. Gutausgebaute Straßen und Eisenbahnstrecken sind auf dem Nordufer fast gar nicht vorhanden. Die Verbindung zwischen den beiden Ufern erfolgt hauptsächlich über Fähren, wobei deren Verkehr stark von den Was- serspiegelschwankungen des Brahma-putra abhängt. Während in der Monsun-zeit wegen der hohen Fließgeschwindig-keiten kein Fährverkehr stattfinden kann, müssen die Fähren bei Niedrigwasser oft einen Umweg von mehreren Kilome-tern fahren, um in schiffbare Bereiche zu gelangen. Aufgrund der schlechten verkehrstechni-schen Anbindung des Nordufers wurde der Vormontageplatz nur auf dem Süd- ufer eingerichtet. Der Einschub der ge- samten Brücke musste somit ebenfalls vom Südufer erfolgen. Dort wurde neben dem Vormontageplatz die komplette Baustelleneinrichtung inklusive einer Fertigungswerkstatt installiert.

5 Luftbild der Baustelle © Hindustan Construction Company

6 Gesamtbauwerk im Montagezustand © Hindustan Construction Company

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4 Fertigungs- und MontageablaufAuf der Südseite des Brahmaputra wur- den ein Camp – auf der Baustelle waren bis zu 3.000 Leute bzw. Arbeiter beschäf-tigt - und eine ca. 9.000 m² große Ferti- gungswerkstatt errichtet (Bilder 7 und 8). Die insgesamt ca. 80.000 t Stahlblech für die Brücke und die Hilfskonstruktionen wurden per Zug und Lkw von diversen Walzwerken aus ganz Indien antranspor-tiert. In der Werkstatt erfolgte die Vorfer- tigung der Knotenpunkte, der Fachwerk-diagonalen, der Querträger sowie aller weiteren Bauteile. Da das Schweißen einer Fachwerkbrücke für den Eisenbahn-verkehr in Indien ein Novum war, wurden die Knotenpunkte zunächst als Holzkon-struktionen hergestellt, um so Rück-schlüsse für den Zusammenbau und die erforderlichen Schweißarbeiten zu erhalten.Hinter dem Widerlager am Nordufer des Brahmaputra wurde ein ca. 800 m langer Taktkeller eingerichtet. In den hinteren, jeweils 150 m langen Hallen wurden die in der Werkstatt vorgefertigten und bis zur Zwischenbeschichtung konservierten Bauteile zunächst in liegender Position zu größeren Montageeinheiten ver-schweißt (Bild 9). Jeder Fachwerkhaupt-träger wurde dafür in fünf Montageein-heiten unterteilt, die dann mit Hilfe zweier Portalkräne mit einer Gesamttrag-kraft von 160 t zu einer anschließenden Freifläche transportiert wurden. Dort erfolgten das Aufrichten der Montageein-heiten mittels Kippkonstruktion (Bild 10) und ihr Weitertransport in die 300 m lange Vormontagehalle. In dieser Halle wurden die aufgerichteten Montageein-heiten zu den beiden Fachwerkträgern verschweißt und die Querträger der

7 8 Baustelleneinrichtung und Fertigungswerkstatt auf dem Südufer © Hindustan Construction Company

unteren sowie die Verbundträger der oberen Ebene ergänzt. Nach Abschluss der Schweißarbeiten wurde der fertige 125 m lange und 1.800 t schwere Träger

freigesetzt. Hierzu wurden an den Lager- punkten jeweils 450-t-Pressen positio-niert, um den Überbau bis zum Freisetzen von den Montagestapeln anzuheben.

9 Vormontage in horizontaler Lage © Hindustan Construction Company

10 Drehen der Bauteile am Vormontageplatz © Hindustan Construction Company

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In jenem Zustand wurden die Überhöhung sowie die Verdrehung des Fachwerkunter-gurtes kontrolliert und mit den Toleranz-vorgaben aus der statischen Berechnung abgeglichen. Danach wurde der Brücken-träger auf Gleitschlitten abgesetzt und mittels Hydraulikpressen in den letzten Bereich der Halle vorgeschoben. Dort erfolgte neben den Korrosionsschutz-arbeiten der Anschluss an den bereits eingeschobenen Brückenträger. Nach Beendigung der genannten Arbeiten wurde der Brückenzug um 125 m vorge- schoben, wobei im Taktkeller Gleitschlit-ten und ein zusätzliches Verschublager Verwendung fanden. Das zusätzliche Verschublager war erforderlich, um Höhenkorrekturen (Stützensenkungen und -hebungen) bis zu 300 mm beim Einschieben der jeweils ersten beiden Träger durchzuführen. Ohne diese Hö- henkorrekturen, die im Wesentlichen die Überhöhung des Fachwerkträgers und die daraus resultierende Stützensenkung ausglichen, wären die zulässigen Lasten der Verschubbahn und des Verschubla-gers überschritten worden. Die Höhen-korrektur war ferner am Ende eines jeden Verschubvorganges für den geometrisch korrekten Anschluss der Träger unterein-ander notwendig, sie erfolgte mit Hilfe von Hydraulikpressen und dem Ein- bzw. Ausbau von Futterplatten.

Die Fertigung und der Verschub der 39 Brückenträger beanspruchten einen Zeit- raum von ca. 43 Monaten. Die Träger einer Verschubeinheit waren bis auf den ersten und letzten – bei selbigen mussten die Bleche aufgrund der Beanspruchung aus dem Einschubvorgang verstärkt wer- den – vollkommen identisch. Die große Anzahl der Träger sowie deren weitestge-hend identische Ausführung ermöglich-ten eine kontinuierliche Optimierung des Fertigungs- und Montageablaufes. Für den Fertigungszyklus eines Fachwerk-trägers mit 1.800 t konnten somit zum Ende des Projektes Durchläufe von drei Wochen erreicht werden, das heißt, alle drei Wochen erfolgte der Vorschub eines weiteren Trägers.

5 MontagetechnologieDamit die Brücke mittels Vorschubverfah-ren errichtet werden kann, müssen die Einfeldträger durch Hilfskonstruktionen zu einem Durchlaufträger zusammenge-schweißt werden. Für den Verschub der gesamten Brücke mit einer Masse von ca. 70.000 t wären theoretisch bei Ansatz eines Reibungskoeffizienten von 5 % Vorschubkräfte von 3.500 t erforderlich. Um die erforderliche Kraft und die Ver- schublänge auf ein baupraktisches Maß zu begrenzen, wurde die Brücke in ins- gesamt vier sogenannte Verschubein- heiten unterteilt. Die ersten drei Ver- schubeinheiten bestanden jeweils aus zehn, die vierte und letzte Einheit aus neun Einfeldträgern mit jeweils 125 m Länge. Damit konnte die maximale Verschubkraft auf ca. 900 t reduziert werden.

Die Fachwerkträger wurden auf dem südlichen Ufer vormontiert und zu einem Durchlaufträger verschweißt. Der Ein- schub erfolgte unter Verwendung von zwei hydraulischen 1.000-t-Litzenhebern, die am ersten Brückenpfeiler in der Achse 1 installiert wurden. Die Litzenheber zie- hen die am Ende des Überbaus veranker-ten Litzen mit einem Hub von 40 cm vor- wärts. Mittels dieser bewährten Technik und der in Abschnitt 7 detailliert be- schriebenen Verschublager erfolgte der feldweise Verschub der ersten zehn Fach- werkträger. Zur Reduzierung der Bean- spruchungen aus Zwischenbiegung im Untergurt des Fachwerkträgers wurden sechs Fachwerkscheiben des ersten und letzten Trägers um A-förmige Hilfsausstei-fungen ergänzt. Ferner wurden dort die Längsträger für die Schienen zur Last- reduzierung erst nach dem Verschub montiert (Bild 11).

11 Verschubsystem als Prinzipskizze © DSD Brückenbau GmbH

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Da der Verschub, wie bereits erläutert, nur vom Südufer des Brahmaputra erfol- gen kann, musste die Verschubeinheit, die aus zehn Fachwerkträgern und einem Vorbauschnabel besteht, über alle vor- handenen Pfeiler bis zum Nordufer ge- schoben werden. Hierfür wurde an der Verschubeinheit zusätzlich ein Nachlauf-schnabel angebracht (Bilder 12 und 13).

Damit der weitere Einschub der 1.354 m langen Verschubeinheit erfolgen konnte, mussten die Vorschubpressen nach dem Anbau des Nachlaufschnabels vom Pfeiler in Achse 1 auf den in Achse 11 umgebaut werden, wobei nach jedem Vorschub um die Regelspannweite von 125 m auch die

13 Gliederung in Verschubeinheiten © Hindustan Construction Company

12 Struktur des Vorbauschnabels © Hindustan Construction Company

Der Vorbau- und der Nachlaufschnabel wurden als geschraubte, kleinteilige Kon- struktion ausgeführt. Das war erforder-lich, da beide Konstruktionen im Zuge des Montagevorganges über dem Fluss- bett wieder demontiert werden mussten, und zwar aufgrund der Untergrundver-hältnisse im Flussbett mit möglichst klei- nen Hebezeugen. Der Vorbau- und der Nachlaufschnabel wurden identisch mit einer Länge von jeweils 52 m realisiert. Wegen der Vielzahl der Verschubvorgän-ge wurden sie ohne eine planmäßige Aufkletterkonstruktion errichtet. Das Auf- bzw. Runterfahren von den Verschubla-gern wurde durch einen Anzug des Unter-gurtes um 1,50 m sichergestellt, der die Verformungen des auskragenden Fach- werkträgers beim Verschubvorgang aus- gleicht. Das Gewicht des Vorbau- bzw. Nachlaufschnabel betrug jeweils 190 t.

Litzenverankerung am Überbau um ein Feld zu versetzen war. Mit dem Umbau der Verankerung mussten nach jedem Vorschub auch die jeweils 35 Litzen der beiden Litzenheber umgebaut werden (Bild 14).

14 Verschubsystem: mittlere Sektion © Hindustan Construction Company

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Die Verschubeinheit wurde nach diesem Prinzip feldweise über den Brahmaputra verschoben. Um die Endposition am Nordufer zu erreichen, waren die Vor- schubpressen zwei weitere Male zu ver- setzen (Pfeiler in Achse 21 und 31). Nach Erreichen der Endposition wurden der Vorbau- und der Nachlaufschnabel de- montiert und die temporären biegestei-fen Verbindungen zwischen den einzel- nen Fachwerkträgern entfernt. Zum Ein- bau der endgültigen Lager wurden die Überbauten über Lagerstapel und Hy- draulikpressen um 1,50 m abgesenkt.Der Einschub der weiteren drei Verschub-einheiten erfolgte anlog dem beschriebe-nen Vorgehen. Hierbei musste bei dem jeweils letzten Verschub der Vorbau-schnabel sukzessive demontiert werden, um nicht mit der bereits eingeschobe-nen Verschubeinheit zu kollidieren. Das Verschublager wurde für diesen Verschub nicht auf dem Pfeiler, sondern auf einer zusätzlichen Hilfskonstruktion neben ihm positioniert.Im Anschluss an die Verschubarbeiten wurden die beiden Randfelder der Brücke mittels Mobilkränen ergänzt. Abschlie-ßend begannen das Betonieren der Fahrbahnplatte, die Montage der Gleise und der weitere Ausbau.

6 MontageplanungDie statische Berechnung der beschriebe-nen Montagetechnologie erfolgte auf Basis des Eurocode 3. Der Fachwerkträger wurde mit den für den Endzustand der Brücke ermittelten Blechdicken ins Pro- grammsystem Sofistik implementiert. Zusätzlich wurde die für den Endzustand ermittelte Überhöhung von ca. 300 mm in Feldmitte bei der Berechnung der Ver- schubzustände berücksichtigt. Da sich die maßgebenden Beanspruchungen aus dem Verschub im Überbau hauptsächlich in den beiden Endfeldern sowie dem an- schließenden Feld auswirken, wurde die Berechnung statt an einem Zehnfeld- an einem Sechsfeldträger durchgeführt. Für die Verschublager wurden Ansätze zur Lasteinleitungslänge und zur Lastvertei-lung auf die Stege der Fachwerkunter- gurte getroffen, die durch zusätzliche Finite-Elemente-Berechnungen verifiziert wurden. Sämtliche Berechnungen zu den Verschubzuständen wurden vom Büro Rambøll geprüft.Zusätzlich zu den ständigen Lasten, den Arbeitslasten beim Verschub sowie den Wind- und Temperaturbeanspruchungen mussten für die sogenannten Halteposi-tionen Erdbebenlasten berücksichtigt werden. Die Brücke liegt nach der indi- schen Norm IS 1893 in der Zone V mit hoher seismischer Aktivität. Für den Verschubzustand wurden 50 % der Erdbebenlasten angesetzt, wobei die Berechnung ergab, dass selbige gegen-über den angesetzten Windlasten nicht maßgebend werden. Die Brücke wurde für Windlasten von 1 kN/m², entsprechend einer Windge-schwindigkeit von 40 m/s, bemessen. Zusätzlich wurden für die Verschubzu-stände unter Ansatz einer Windgeschwin-digkeit von 20 m/s dynamische Berech-nungen durchgeführt. Die dynamische Windanalyse zeigte, dass bis zu einer Windgeschwindigkeit von 20 m/s die Zusatzlasten aus den dynamischen Effek- ten durch die angesetzte Windlast von 1 kN/m² abgedeckt waren. Generell er- folgte der Verschub nur bei Windlasten bis maximal 15 m/s. Im Falle einer Havarie während des Verschubvorganges und auftretender Windgeschwindigkeiten ≥ 20 m/s wurden Maßnahmen vorgese-hen, den auskragenden Vorbauschnabel kurzfristig diagonal mit Seilen am nächsten Pfeiler zu verankern.

Infolge der Verschublasten mussten die Diagonalen und der Fachwerkuntergurt um insgesamt 2.050 t verstärkt werden, was bei einer Gesamttonnage von 70.000 t ein Massenzuwachs von 3 % bedeutete. Weitere Verstärkungen konnten trotz der sehr großen Verschublasten von 19 MN durch die Konstruktion der Verschublager und die Anordnung von zusätzlichen temporären Diagonalen im Bereich der maximalen Beanspruchungen vermieden werden.Die Standsicherheit der Pfeiler in den Achse 1, 11, 21 und 31, die durch die Einleitung der horizontalen Vorschublast von 900 t belastet werden, war zu über- prüfen. Dabei galt es zu berücksichtigen, dass die zusätzliche Horizontallast ohne eine Auflast aus dem Überbau auftreten kann. Die Verschublager wurden so auf dem Pfeiler angeordnet, dass die aus der Auflast und der Ausmitte resultierenden Momente jenem aus der Verschubkraft im Pfeiler entgegenwirken. Für die Stand- sicherheitsnachweise wurde auf Basis der Entwurfsgrundsätze und in Abstimmung mit dem Prüfer eine Auskolkung von maximal 18 m angesetzt. Diese Auskol-kungstiefe wurde auch beim Standsicher-heitsnachweis für den Endzustand der Brücke in Überlagerung mit den Erdbe- benlasten angesetzt. Es konnte gezeigt werden, dass die horizontalen Verschub-lasten sowie die exzentrisch auf den Überbau wirkenden vertikalen Verschub-lagerlasten gegenüber den Lasten im Endzustand nicht maßgebend werden.Nach dem Einschubvorgang waren die temporären Verbindungen zwischen den Einfeldträgern wieder zu entfernen. Die Verschubeinheit trägt in der Endlage allerdings weiterhin als Durchlaufträger mit einem Stützmoment an den Pfeiler-achsen. Bevor die temporären Verbindun-gen zwischen den Ober- bzw. Untergur-ten entfernt werden konnten, war es erforderlich, die dort vorhandenen Kräfte weitestgehend zu reduzieren. Hierfür wurde ein Ablaufplan entwickelt, der jenen Zustand durch Absenken der be- treffenden Auflagerachse und gleichzei-tiges Anheben der benachbarten Lager- achsen mittels hydraulischer Pressen erreicht. An jedem Pressenauflagerpunkt waren hierfür zwei 600-t-Pressen erforderlich.

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15 Verschublager als Visualisierung © DSD Brückenbau GmbH

16 Verschubvorgang auf Lagern © DSD Brückenbau GmbH

7 VerschublagerAls maximale Lagerlast (Designlasten) aus dem Einschubvorgang wurden ca. 19 MN ermittelt. Die Verschublager, die in der Stahlgüte E410 gefertigt wurden, be- standen aus einem Stahlhohlkasten mit einer Länge von 5,70 m. Eine statisch bestimmte Lagerung des Überbaus in Brückenquerrichtung auf den Verschub-lagern mit zwei -ebenen, zum Beispiel den jeweiligen Innenstegen der beiden Fachwerkträgeruntergurte, hätte zu erheblichen Verstärkungen im Steg des Fachwerkuntergurtes geführt. Um diese Massenerhöhungen zu vermeiden bzw. auf ein maximales Maß von 3 % der Gesamttonnage zu begrenzen, wurden Verschublager entwickelt, die für jeden Fachwerkträgeruntergurt zwei Verschub-ebenen ermöglichen. An jeder Pfeiler-achse ergaben sich somit insgesamt vier Verschubebenen, die jeweils unter den Stegen des Fachwerkuntergurtes lagen (Bild 15). Hieraus resultierte eine statisch unbe-stimmte Lagerung des Überbaus an jeder Pfeilerachse. Die Verschublager wurden daher so ausgebildet, dass zusätzlich zu der Verdrehung der Lager um die Brü- ckenquer- auch eine Verdrehung um die -längsachse möglich war. Die beiden Verschublager einer Pfeilerachse wurden dafür durch zwei Träger biegesteif mitein- ander verbunden. Beide Verschublager lagerten wiederum auf jeweils einer

120 mm dicken Stahlplatte, die mit einem Radius von 11 m kugelförmig bearbeitet wurde und so die Funktion eines Kalot- tenlagers übernahm. Die Konstruktion gestattete also Verdrehungen quer und längs zur Brückenachse. Um eine gleich- mäßige Lasteinleitung sicherzustellen, wurden auf dem Obergurt der Verschub-lager je Verschubebene sechs Elasto-merlager mit einem darüber liegenden 40 mm dicken Blech samt aufgeschweiß-tem Edelstahlblech angeordnet. Für den Verschub wurden Stahlplatten mit gekammertem PTFE verwendet: Sie mussten während des Verschubes an

den vier Verschubebenen kontinuierlich in Verschubrichtung eingelegt und am Ende des Verschublagers wieder entnom- men werden. Während des Verschubes waren hierfür je Lager vier Arbeiter sowie eine zusätzliche überwachende Person erforderlich – in Summe also mindestens zehn Personen pro Pfeilerachse (Bild 16). Aufgrund der vielen notwendigen Ver- schubvorgänge wurde diesem bewährten System, das im Prinzip der von DSD für den Verschub der Sauertalbrücke im Jahre 1984 entwickelten Vorgehensweise entspricht, der Vorzug gegeben.

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Für die Lasteinleitung der Verschublager-lasten in den Steg des Fachwerkuntergur-tes wurde eine gleichmäßige Lasteinlei-tung auf einer Länge von ca. 80 % der Verschublagerlänge angesetzt: 0,8 x 5,70 m ~ 4,50 m. Dieser Ansatz, der von den Steifigkeitsverhältnissen zwischen dem Fachwerkuntergurt der Brücke und dem Verschublager abhängt, wurde durch eine Finite-Elemente-Berechnung überprüft. Für die statisch unbestimmte Lagerung wurde für jedes Verschublager zunächst der Ansatz getroffen, dass die Lastverteilung auf die beiden Stege des Fachwerkgurtes im Verhältnis 60:40 erfolgt. Ursache der ungleichen Lastver-teilung sind die Torsionssteifigkeit des Verschublagers sowie des Fachwerkunter-gurtes und unvermeidbare Ausführungs-toleranzen. Die Überprüfung der obigen Ansätze wurde für zwei unterschiedliche Systeme durchgeführt: Zum einen wurde der Fall der Lasteinleitung vom Verschublager in den Fachwerkuntergurt an einem Fach- werkknoten und zugehöriger großer Steifigkeit gegenüber Verformungen und Verdrehung untersucht (System I). Der andere Fall bildete die Lasteinleitung zwischen zwei Fachwerkknoten mit ent- sprechend geringeren Steifigkeiten ab (System II). Für beide Systeme wurde die Lasteinleitung vom Verschublager in den

18 Bogibeel Bridge vor der Einweihung im Dezember 2018 © DSD Brückenbau GmbH

17 Ergebnisse der Lasteinleitung am Verschublager © DSD Brückenbau GmbH

System I – Lasteinleitung Fachwerkknoten

System II – Lasteinleitung zwischen zwei Fachwerkknoten

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Fachwerkträgeruntergurt anhand eines Finite-Elemente-Modells ermittelt. Hier- bei wurden zusätzlich zu den planmäßi-gen Verschublasten eine mögliche Aus- mitte der Last um 20 mm sowie eine Imperfektion des Untergurtes mit einer Höhendifferenz von 2 mm zwischen den Stegen eines Fachwerkuntergurtes an- gesetzt. Die maximale Ausmitte wurde durch die Seitenführung des Verschubla-gers sowie die Einhaltung der als maximal definierten Imperfektion im Fertigungs-prozess durch ständige Kontrollen sichergestellt.Die Ergebnisse der Berechnung zeigten in der Längsverteilung der Lasten den er- warteten Verlauf (Bild 17). Bei dem Sys- tem mit der steifen Lasteinleitung am Fachwerkknoten ergab sich eine Last- konzentration in der Mitte des Verschub-lagers, während sich die Kräfte bei dem weniger steifen System zwischen den Fachwerkknoten an den Enden des Ver- schublagers konzentrieren. In beiden Fällen konnte der gewählte Ansatz zur Lasteinleitung bestätigt werden.

Maßgebend für eine maximale ungleiche Lasteinleitung zwischen den beiden Ver- schubebenen eines Lagers war eine ge- genläufige Imperfektion (Verdrehung) der beiden Fachwerkträgeruntergurte. Die Auswertung ergab für diesen Lastfall eine Verteilung im Verhältnis 55:45, so dass die in der statischen Berechnung angesetzte Verteilung von 60:40 auf der sicheren Seite lag.

8 Stand der ArbeitenDer erste Verschub erfolgte im April 2014, der letzte im November 2017. Anschlie-ßend begannen das Abstapeln der Brü- cke, der Lagereinbau, die Herstellung der Verbundplatte und die weiteren Aus- bauarbeiten. Die Brücke wurde dann am 25. Dezember 2018 offiziell vom indi- schen Ministerpräsidenten Narendra Modi eingeweiht und dem Verkehr übergeben (Bild 18).

Autor:Dipl.-Ing. Jens SchülkeDSD Brückenbau GmbH, Berlin

BauherrNorth-East Frontier Railways, Neu-Delhi, Indien

Entwurfs- und AusführungsplanungRites Ltd., Indien Rambøll A/S, Kopenhagen, Dänemark

PrüfungAnwikar Consultants GmbH, Würzburg

MontageplanungDSD Brückenbau GmbH, BerlinSchüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH, Berlin

Ausführung ÜberbauHindustan Construction Company, Mumbai, IndienVNR Infrastructures Ltd., Neu-Delhi, Indien DSD Brückenbau GmbH, Berlin

Neues Schiffshebewerk Niederfinow uelle DSD Brückenbau GmbH

DSD Brückenbau GmbH | Landsberger Allee 117a | 10407 BerlinTel.: 030 / 2092 8220 20dsd‐brueckenbau.com | info@dsd‐brueckenbau.com

Brückenbau GmbH

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Masterplan der Deutschen Bahn

Modernisierung und Erneuerung der Eisenbahnbrücken von Jens Müller

Die Deutsche Bahn AG unterhält in Deutschland mehr als 25.600 Eisen- bahnbrücken unterschiedlichster Größe und Bauart, welche eine durchschnittliche Nutzungsdauer von über 100 Jahren erreichen müssen. Insgesamt sind heute bereits 11.900 Eisenbahnbrücken mehr als 100 Jahre alt, ihr mittleres Alter lag 2017 bei 73,40 Jahren. Die Qualität einer Brücke wird jedoch nicht über das Alter, sondern die Zustandsnote beschrieben. Diese wird bei den regelmäßigen Begut-achtungen gemäß der DB-Richtlinie 804 ermittelt. Entsprechend der Richtlinie werden die Bauwerksteile separat bewertet, und die Brücke erhält die Gesamtzustandsnote des schlechtesten Bauwerksteils. Die Zustandsnoten reichen von Note 1 (allenfalls punktuelle Schäden ohne Sicherheitsrelevanz) bis Note 4 (gra- vierende Schäden ohne Sicherheits-relevanz). Aktuell befinden sich ca. 1.100 Eisenbahnbrücken oder ca. 4 % in der Zustandsnote 4 und sind daher in den nächsten Jahren zu erneuern.

1 Leistungs- und FinanzierungsvereinbarungBereits mit der Leistungs- und Finanzie-rungsvereinbarung (LuFV) II wurde be- gonnen, den Investitionsrückstau bei Eisenbahnbrücken zu beheben. Durch das größte Modernisierungsprogramm in der Geschichte der Deutschen Bahn (DB) AG wird ermöglicht, dass im Zeitraum 2015–2019 mindestens 875 Eisenbahn-brücken voll- und teilerneuert werden.Jährlich 175 Brücken (875 Brücken/ 5 Jahre) zu erneuern, erschien bei Ver- tragsabschluss anspruchsvoll, aber den- noch realistisch. Jedoch stellte sich bald heraus, dass nicht alle angerechnet wer- den können, weil zum Beispiel Verfüllung, Bahnübergangsbeseitigung, Verkleine-rung zum Durchlass etc. nicht ausreichen und es somit anspruchsvoll sein würde, die Zahl von 875 Brücken zu erreichen.

Das Portfolio der zu erneuernden Brücken musste somit nochmals überprüft und teilweise geändert werden. Dies führte zu einer Verzögerung in der Anfangsphase und einem »nichtlinearen Hochlauf«, so dass 2015–2017 lediglich 360 an- rechenbare Brücken erneuert wurden. Im Jahr 2018 wurden, vorbehaltlich einer abschließenden Prüfung, weitere 255 Brücken erneuert. Aktuell wird damit gerechnet, das anspruchsvolle Ziel der Erneuerung von 875 Brücken bis Ende 2019 zu erreichen.

1 Eisenbahnüberführung Fredersdorfer Mühlenfließ © Hendrik Blaukat/DB Netz AG

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2 Weiterführung der StrategieDer Investitionsrückstau bei Eisenbahn-brücken ist mit der LuFV II noch nicht behoben – trotz massiver Erhöhung der Instandhaltungsaufwendungen und ge- zielter Prävention. Durch diese gezielte Instandhaltung lässt sich eine längere technische Nutzungsdauer der Brücken erreichen, was im Endeffekt zu späteren Ersatzinvestitionen führt. Durch den zyklischen Einsatz der Prävention wird die Zustandsverschlechterung der Anlage verzögert und somit auch die Erneue-rung verschoben. Trotz dieser optimalen Strategie ist das Modernisierungsprogramm der Brücken auch im und über den LuFV-III-Zeitraum weiterzuführen. Bei der Betrachtung der durchschnittlich unterstellten techni-schen Nutzungsdauer unseres Anlagen-bestands von 120 Jahren und der wirt- schaftlichen Verweildauer im Zustand 4 ergeben sich dauerhaft bei ca. 25.000 Eisenbahnüberführungen im Mittel 190 Voll- oder Teilerneuerungen pro Jahr. Die kontinuierliche Fortführung des Programms ermöglicht es den Beteilig-ten, besonders unseren Lieferanten, sich auf den entsprechenden Bedarf einzu-stellen. Dafür ist Personal aufzubauen, zu qualifizieren und sind Investitionen in die notwendige Ausrüstung und Maschinen zu tätigen.

3 BeschaffungDie Lieferanten werden durch den Ein- kauf der DB AG gebunden. Um jedoch den gewünschten Qualitätsstandard dauerhaft zu halten, wurde ein Lieferan-tenmanagement mit vier Phasen (Lie- ferantenqualifizierung, -entwicklung, -bewertung und -stabilisierung) für Bau- unternehmen, Planungsbüros sowie die Bauüberwacher implementiert. Für ausgewählte Leistungen gibt es wei- terhin ein Präqualifikationssystem auf der Basis des § 48 der Sektorenverordnung. Hierzu zählen auch relevante Bauleistun-gen aus dem Bereich des konstruktiven Ingenieurbaus. Zu diesen gehören die vier Kernleistungsbereiche

– Allgemeiner Tiefbau, bestehend aus den Warengruppen Erdbauwerke, Kabelführungen und Kabelverlegung;

– Spezialtiefbau, bestehend aus den Warengruppen Gründungen sowie Stützbauwerke und Verankerungen;

– Konstruktiver Ingenieurbau, bestehend aus den Warengruppen Spannbeton-brücken, Stahlbetonbrücken, Stützbau-werke und Stahlbrücken;

– Bauen unter Eisenbahnbetrieb.

3 Eisenbahnüberführung Sundewitter Straße in Rendsburg © Hendrik Blaukat/DB Netz AG

2 Eisenbahnüberführung über die Aller bei Verden © Hendrik Blaukat/DB Netz AG

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Derzeit verfügen ca. 430 Lieferanten der DB AG über eine der vorgenannten Prä- qualifikationen. Aufgrund des bundes-weit steigenden Bauvolumens in der Verkehrsinfrastruktur ist jedoch eine Erweiterung des »Lieferantenpools« gewünscht.Weitere Maßnahmen zur Sicherstellung der Umsetzung und Kostenoptimierung sind die Bündelung und/oder Paketie-rung von Baumaßnahmen. Hierbei kann eine strecken-, bauart- oder kaufmänni-sche Bündelung vorgenommen werden, um attraktive Auftragsvolumina zu ge-

winnen. Bei der streckenbezogenen Bündelung werden sämtliche Baumaß-nahmen, welche in einem Streckenab-schnitt geplant sind, zu einem Gesamt-projekt zusammengefasst. Hierdurch werden neben der Vermeidung von Be- gleitmaßnahmen, zum Beispiel Siche-rungstechnik und Oberleitung sowie Gleisverschwenkung, besonders die be- trieblichen Einschränkungen minimiert. Somit ist die streckenbezogene Bünde-lung eine gute Maßnahme zur Reduzie-rung negativer Auswirkungen aus dem Baugeschehen auf unsere Kunden.

6 Gewölbebauwerk: Innere Kanalstraße in Köln © Hendrik Blaukat/DB Netz AG

5

4 Kreuzungsbauwerk in Hamburg-Barmbek © Hendrik Blaukat/DB Netz AG

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4 StandardisierungNeben der Optimierung der Beschaffung liegt ein weiteres Augenmerk auf der Er- höhung der Standardisierungsquote. Die Voraussetzung für eine sinnvolle Standar- disierung ist, dass Bauteile genügend oft hergestellt werden, um die möglichen Vorteile – Reduzierung der Planungs- und

Baukosten,– zeitlicher Planungsvorteil,– Planungssicherheit, Ausführungs-

sicherheit und Massensicherheit,– gleichbleibende Planungsqualität

und einheitliche Konstruktion,– Langlebigkeit und– geringere Instandhaltungsauf-

wendungenzu erreichen. Eine hohe Anzahl gleicharti-ger Brücken liegt im Stützweitenbereich bis ca. 16 m vor, daher wurde hierfür der standardisierte Rahmen bei der DB Netz AG eingeführt. Durch die typengeprüfte Statik und deren Schal- und Bewehrungs-pläne kann eine schnelle Umsetzung in der Entwurfs- und Ausführungsplanung erfolgen und die Ausführungsqualität gesteigert werden.

5 DenkmalschutzBei der Modernisierung ergeben sich aufgrund der Altersstruktur der Eisen-bahnbrücken besondere Herausforderun-gen, weil es sich teilweise um bau- und technikgeschichtliche »Zeitzeugen« han- delt. Bei diesen Eisenbahnbrücken, vor allem denen mit eisernen Überbauten, ist zu überprüfen, ob sie künftig noch den steigenden Anforderungen standhalten können. Somit sind bei der Beurteilung nicht nur die geschichtliche, künstlerische und städtebauliche Bedeutung des Bau- werks, sondern auch dessen Substanz und künftige Anforderungen zu berück-sichtigen. Für den sicheren Personen- und Güterverkehr ist vor allem die Betriebs-, Verkehrs- und Standsicher- heit der Anlage sicherzustellen. Sollte dies bei einem schützenswerten Einzelbauwerk, also einem Kulturdenk-mal, bzw. bei kulturhistorischen Gesamt-anlagen mit Ensembleschutz möglich und sinnvoll sein, so sollte dieser Erhalt ebenfalls mit Modernisierungsmitteln machbar sein, denn die Bewahrung der Baukultur ist ein gesellschaftliches Anliegen.

6 ZusammenfassungZusammenfassend lässt sich festhalten, dass die langlebigen Brückenbauwerke eine nachhaltige, langfristige Instandhal-tungsstrategie erfordern, die mit Errei- chen des Jahres 2019 keinesfalls abge- schlossen sein kann. Nach dem Hochlauf des Modernisierungsprogramms »Brü- cken« ist es das gemeinsame Ziel, ein stabiles Niveau in der Instandhaltung und Erneuerung der Eisenbahnbrücken beizubehalten und den Investitionsrück-stau langfristig abzubauen. Hierfür werden wir uns auch weiterhin einsetzen, um das System Schiene und die Eisenbahnbrücken fit für die Zukunft zu machen. Für mehr Qualität. Für unsere Kunden.

Autor:Dipl.-Ing. Jens MüllerTechnik und AnlagenmanagementBrückenbau und LärmschutzDB Netz AG,Frankfurt am Main

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Ein Beitrag zur Baukultur

Lärmschutzanlagen an der A 7 in Hamburg von Gregor Gebert

Gewidmet Karl-Heinz Reintjes, bis 2017 Abteilungsleiter bei der DEGES

Mit der sechs- bzw. achtstreifigen Erweiterung der A 7 nördlich des Elbtunnels im Stadtgebiet von Hamburg sind umfangreiche Lärm- schutzmaßnahmen verbunden. Um den Lärmschutzanforderungen zu genügen, ist der Bau von drei Tun- neln in Schnelsen, Stellingen und Altona notwendig. Im Anschluss an die Tunnel werden bis zu 9 m hohe, in den Fahrbahnraum einkragende Lärmschutzwände erforderlich, wel- che dem Streckenabschnitt einen unverwechselbaren Charakter ver- leihen. Auf die architektonische Ge- staltung dieser Wände wurde daher großer Wert gelegt. Die Umsetzung der Entwurfsidee bis zur Ausfüh-rungslösung erfolgte unter Berück-sichtigung der besonderen, statisch- konstruktiven und funktionalen Anforderungen in einem intensiven Planungsprozess.

1 VeranlassungDie sechs- bzw. achtstreifige Erweiterung der A 7 nördlich des Elbtunnels ist mit umfangreichen Lärmschutzmaßnahmen verbunden. Wesentlicher Bestandteil dieser Maßnahmen ist der Bau von drei Tunneln in Schnelsen, Stellingen und Altona, die sogenannten Hamburger De- ckel. Aus städtebaulichen Gründen wer- den sie über das aus den reinen Lärm-schutzanforderungen notwendige Maß hinaus teilweise deutlich verlängert. Die Mehrkosten werden durch die Stadt Ham- burg getragen, die damit in beispielhafter Weise die Chance nutzt, die durch den Autobahnbau in den 1970er Jahren ge- trennten Stadtgebiete wieder zu vernet- zen. Für die Anwohner resultiert daraus eine deutliche Verbesserung der Lebens- qualität.

Die ersten lärmschutztechnischen Unter- suchungen hatten ergeben, dass im An- schluss an die Lärmschutztunnel bis 15 m hohe Lärmschutzwände sowohl am Fahr- bahnrand als auch im Mittelstreifen zu errichten sind. Im Rahmen einer »Studie zu Immissionsschutz, Kosten und Ge- staltung« von 2008 wurde dann die Idee entwickelt, diese Wände abzuknicken und mit einer Auskragung von ca. 4,50 m in den Fahrbahnraum auszubilden. Bei gleicher Lärmschutzwirkung konnte die Wandhöhe damit auf 9 m reduziert wer- den, was zu einer wesentlichen Verbesse-rung der städtebaulichen Verträglichkeit geführt hat (Bilder 1 und 2). Gegenstand der Studie waren auch Ansätze zur Kon- struktion und zur architektonischen Ge- staltung der Wände und Portalbauwerke, die im Folgenden näher beschrieben werden.

1 Lärmschutzwirkung der abgeknickten Wand © DEGES GmbH/SSF Ingenieure AG

2 Straßenquerschnitt mit auskragenden Lärmschutzwänden © DEGES GmbH/Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH

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2 GestaltungskonzeptDie Konstruktion ist in deutlich aus der Wandfläche hervortretende Fachwerk-stützen sowie in zurückgenommene, in die Wandfläche integrierte Nebenstützen gegliedert. Die Wände sind leicht nach außen geneigt, was der Konstruktion eine gewisse Dynamik verleiht und ihnen visuell die Massivität nimmt. Ein wesent- liches Gestaltungsmerkmal sind der flie- ßende, stetige Verlauf der Wände ent- lang der Strecke sowie die Ausformung der Übergänge zwischen einzelnen Ab- schnitten und im Bereich von Ausfahrten ohne Brüche und Knicke. Dies wird op- tisch durch ein Abschlussprofil, den so- genannten Spoiler, betont, der die Krag- armspitzen verbindet bzw. den oberen Abschluss der Lärmschutzwände bildet und den Verlauf der Wände nachzeichnet (Bild 3). Weitere Gestaltungsmerkmale sind die spezielle Ausformung der Wand- abschlüsse und das abgestufte, zurück-haltende Farbkonzept. Aus der Grundform der auskragenden Wände leiten sich alle weiteren Bauwerke ab, die in diese Streckenbereiche zu inte- grieren sind. Hierzu zählen insbesondere drei Portalbauwerke und insgesamt 39 Verkehrszeichenbrücken. In einem schrittweisen Planungsprozess, im Dialog zwischen Tragwerksplaner und Architekten, wurde dieses Konzept bis zur finalen Lösung weiterentwickelt. Auf- grund der großen städtebaulichen Be- deutung erfolgte dies in enger Abstim-mung mit der Stadt Hamburg und dem damaligen Oberbaudirektor Prof. Jörn Walter. Gewürdigt werden soll an der Stelle auch das Wirken von Karl-Heinz Reintjes, der als damaliger Abteilungslei-ter der DEGES die Planung maßgeblich geprägt hat.

3 Statische und konstruktive Umsetzung 3.1 Auskragende Wände3.1.1 KonstruktionDie Aufgliederung der Wandkonstruktion in Haupt- und Nebenstützen wurde in der Entwurfsplanung übernommen. Im Unterschied zur Studie wird der auskra-gende Teil der Fachwerkkonstruktion je- doch sichtbar unter die Dachfläche ge- legt, so dass das Tragwerk von der Fahr- bahnseite aus in Gänze erkennbar ist

3 Architektenskizze aus der Studie © DEGES GmbH/SSF Ingenieure AG/Lang Hugger und Rampp Architekten

4 Finales Gestaltungskonzept mit Detailangaben © DEGES GmbH/SSF Ingenieure AG/Lang Hugger und Rampp Architekten

(Bild 4). Die Höhe der Stützenstiele be- trägt ca. 6,90 m, die Länge der Auskra-gung variiert zwischen ca. 5,00 m im Abschnitt Stellingen und ca. 3,50 m im Abschnitt Schnelsen. Der Regelabstand der Fachwerkstützen ist 12,60 m, da- zwischen befinden sich jeweils zwei Nebenstützen.

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Die Gesamtlänge der auskragenden Wände misst 3,80 km (Seitenwände mit einseitiger Auskragung) bzw. 1,30 km (Mittelwand mit beidseitiger Auskragung). Für diese typischen Wandabschnitte wur- de ein Regelentwurf erstellt, der detail- lierte geometrische Vorgaben sowie die Bemessung und ausführungsreife Kon- struktion der wesentlichen Tragglieder und Anschlüsse beinhaltet (Bilder 5–9).

5 6 Isometrie der Hauptstützen: Seiten- und Mittelwand © DEGES GmbH/Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH

7 Konstruktion einer Seitenwandhauptstütze © DEGES GmbH/Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH

10 Stützenanschluss am Fundament © DEGES GmbH

8 9 Querschnitte: Hauptstütze und Nebenstütze einer Seitenwand © DEGES GmbH/Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH

Dazu gehören Details wie der Stützenan-schluss am Fundament (Bild 10) und die Ausbildung von Schraubstößen zwischen Stützenstiel und Auskragung zur Vermei- dung von Schweißarbeiten auf der Bau- stelle. Der Regelentwurf wurde in sta- tisch-konstruktiver Hinsicht durch einen Prüfingenieur begutachtet und war als Referenzunterlage die Basis für die Aus- schreibung und die konkrete Ausfüh-rungsplanung, die im Zuge der Realisie-rung durch die Baufirma erfolgte.

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Die Lärmschutzelemente lassen sich auf- grund der Auskragung nicht nach oben herausheben. Um sie im Schadensfall von der Fahrbahnseite aus austauschen zu können, werden die Nebenstützen mit geschraubten Flanschverbindungen aus- geführt (Bild 9). Zu Inspektionszwecken erhält die Mittelwand auf der Dachkon-struktion einen Laufsteg. Die Prüfung ihrer Unterseite erfolgt mit Hubsteigern von der Fahrbahn aus. Als Materialien für die Ausfachung der Wände kommen im unteren Bereich hochabsorbierende Porenbeton- und darüber Aluminiumele-mente zum Einsatz. Die Dachflächen der auskragenden Wände und der Portalbau-werke weisen eine Trapezblecheinde-ckung auf. Die Unterseite wird mit hoch- absorbierenden Aluminium-Vorsatzele-menten verkleidet. Für die Dachentwäs-serung der Mittelwand sind Entwässe-rungsrinnen, Abläufe und Fallleitungen erforderlich. Die Fallleitungen sind in die Konstruktion der Hauptstützen integriert und über abnehmbare Verkleidungen zu inspizieren. Die Seitenwände entwässern über Dachrinnen und angeschlossene Fallleitungen.

10 Stützenanschluss am Fundament © DEGES GmbH

9 Querschnitte: Hauptstütze und Nebenstütze einer Seitenwand © DEGES GmbH/Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH

3.1.2 Statische BerechnungDie Berechnung erfolgte mit einem räumlichen Stabwerksmodell (Bilder 11 und 12). Der Bemessung wurde der da- mals gültige DIN-Fachbericht 101 zu- grunde gelegt. Nachfolgend wird die statische Funktion der Tragglieder beschrieben.Hauptstützen: Die Hauptstützen bilden als biegesteife Kragträger zusammen mit dem »Spoiler« das Haupttragwerk der auskragenden Dachkonstruktion. Die Stützen sind in der Wandebene als Stahl- hohlkasten ausgebildet, die durch ein gekrümmtes, räumliches Rohrfachwerk ausgesteift wird. Nebenstützen: Die Nebenstützen beste- hen aus vertikalen Stielen und gelenkig angeschlossenen gekrümmten Riegeln, die sich an der Kragarmspitze auf den durchgehenden »Spoiler« abstützen. Die Riegel der Nebenstützen dienen als Auf- lager der gelenkig angeschlossenen Dachpfetten.

Längstragelemente: Der Spoiler bildet als Doppelrohrkonstruktion den vorderen Abschluss des auskragenden Daches, das innenliegende Rohr wiederum das Auf- lager für die Riegel der Nebenträger. Über dieses Rohr werden die Dachlasten zu den Hauptstützen abgetragen. Die gelen- kig angeschlossenen Dachpfetten dienen zusammen mit dem Längsträger in Wand-ebene als Auflager für die Dachhaut, die als querorientiertes, tragendes Trapezpro-fil konzipiert ist. Als durchlaufendes Profil fungiert der Längsträger in Höhe des Wandabschlusses neben dem Spoiler als aussteifendes Element in Längsrichtung.Gründung: Die Gründung erfolgt auf Bohrpfählen. Die Nebenstützen werden direkt in den oberen Teil des Stahlbeton-pfahls einbetoniert. Die Hauptträger wer- den über Fußplatten auf einer Pfahlkopf-platte verankert, in die der Bohrpfahl einbindet.

11 12 Südportal des Tunnels Stellingen mit Rampen und Portalbauwerk: Gestaltungskonzept und Visualisierung © DEGES GmbH/Lang Hugger und Rampp Architekten/V-Kon.media GmbH

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15 Statisches System der Seitenwand © DEGES GmbH/Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH

13 14 Portalbauwerke in Bauausführung © DEGES GmbH

Die besondere Konstruktion der Lärm-schutzwände mit aus der Wandfläche heraustretenden, relativ filigranen Fach- werkstützen erforderte besondere Über- legungen bezüglich der Lastansätze. Dies betrifft insbesondere die dynamische Anregung durch Wind sowie das Sicher- heitskonzept hinsichtlich Fahrzeugan-prall. Windbeanspruchung: Die Windbeanspru-chungen dürfen gemäß DIN 1055-4 aus statischen Ersatzlasten ermittelt werden, wenn die Tragstruktur als nicht schwin-gungsanfällig eingestuft werden kann. Dieses Kriterium ist für die Regelausbil-dung der Seitenwand erfüllt. Bei vom Regelentwurf abweichenden Wänden lässt sich die Schwingungsanfälligkeit nicht völlig ausschließen. In einem sol- chen Fall wären dynamische Vergröße-rungsfaktoren zu berücksichtigen, für welche die maßgeblichen Bemessungs-querschnitte des Regelentwurfs jedoch ausreichende Tragreserven aufweisen. Fahrzeuganprall: Ein Versagen des Haupt- tragwerks ist bei Fahrzeuganprall auf eine Hauptstütze auszuschließen. Im Sinne der Wirtschaftlichkeit war hierfür ein reali- tätsnahes Anprallszenario zugrunde zu legen, für das folgendes Konzept entwickelt wurde: Eine durchgehende Betongleitwand ver- hindert den direkten Anprall des schwe- ren Fahrzeugchassis an die Fachwerkkon-struktion. Der Widerstand der Betongleit-wand bewirkt allerdings ein Kippen des Fahrzeugs, so dass ein Anprall der oberen, leichteren und stärker verformbaren Fahr-zeugteile an die Stütze nicht ausgeschlos-sen werden kann. Hierfür lassen sich je- doch geringere statische Ersatzlasten annehmen. Da der DIN-Fachbericht 101 keine Ansätze für eine differenzierte Her- leitung der statischen Ersatzlasten ent- hält, wurde in Abstimmung mit dem

Prüfingenieur auf die Schweizer Richtlinie »Anprall von Straßenfahrzeugen auf Bauwerksteile von Kunstbauten« zurück- gegriffen. Die Höhe der Anpralllast wird dort mit Erhöhungs- bzw. Reduktionsfak-toren ermittelt, die die Distanz vom Fahr- bahnrand, Anprallhöhe und das vorhan-dene Fahrzeugrückhaltesystem berück-sichtigen. Der Anprall erfolgt an die vorstehenden Teile des Rohrfachwerks (Gurt und Diago- nalen). Da eine Anprallbemessung hier unwirtschaftliche Querschnittsabmessun-gen ergibt, wird im unmittelbaren An- prallbereich ein Ausfall dieser Querschnit-te unterstellt und die Bemessung über die ausreichende Tragfähigkeit des Rest- querschnittes geführt. Die aus dem An- prall resultierenden Verformungen des Gesamttragwerks münden in eine Last- umverteilung auf die benachbarten, nicht geschädigten Stützen. Das Sockel- und das untere Lärmschutzelement aus Beton werden als aussteifende und lastvertei-lende Elemente zwischen den Stützen bei

Fahrzeuganprall aktiviert. Die Dachpfet-ten und der Spoiler beteiligen sich nicht an der Lastweiterleitung, ebenso wer- den die obere Ausfachung der Wand mit leichten Lärmschutzelementen und die Dachhaut statisch nicht angesetzt. Die Nebenstützen werden nicht auf Anprall bemessen, der Ausfall einer Nebenstütze wird als außergewöhnlicher Lastfall berücksichtigt.

3.2 PortalbauwerkeEine besondere Herausforderung für Planung und Bauausführung waren auch die Portalbauwerke. Hierbei handelt es sich um geometrisch komplizierte, räum- liche Konstruktionen, mit deren Hilfe der gewünschte harmonische Übergang vom offenen Streckenbereich mit auskragen-den Lärmschutzwänden zum geschlosse-nen Tunnelbereich realisiert wird. Aus- gehend von den Architektenskizzen und Visualisierungen (Bilder 13 und 14) er- folgte in der Entwurfsplanung die kon- krete geometrische Anpassung an die

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16 Auskragende Lärmschutzwände mit integrierter Verkehrszeichenbrücke nach Fertigstellung © DEGES GmbH

jeweilige Situation – dies bedeutete zum Beispiel unterschiedliche Fahrbahnbrei-ten, andere Querneigungen der Fahr-bahn, die Berücksichtigung von Ausfahr-streifen etc. – und die statisch-konstruk- tive Durchbildung. Eine Vorstellung von der Konstruktion und der anspruchsvol-len Geometrie vermittelt Bild 15.

4 Bauausführung und FazitDie Bauausführung ist weit fortgeschrit-ten, so dass die gelungene Umsetzung des Gestaltungskonzepts in der Realität sichtbar nachvollzogen werden kann. Die Wände für den Bauabschnitt Ost im Bereich des Tunnels Schnelsen, wo für die östliche Tunnelröhre kürzlich die Ver- kehrsfreigabe erfolgt ist, sind inklusive des Portalbauwerks komplett fertigge-stellt, im Bereich des Tunnels Stellingen befinden sich diese im Bauabschnitt Ost im Bau. Besondere Anerkennung gilt der Ausfüh- rung des Stahlbaus. Die geometrisch sehr anspruchsvollen Konstruktionen der Lärmschutzwände, Verkehrszeichenbrü-cken und insbesondere der Portalbau-werke mit geometrisch komplizierten Übergängen zwischen den einzelnen Wandabschnitten wurden im Sinne des architektonischen Grundgedankens von stetig fließenden Linien in beeindrucken-der Weise realisiert. Für den Autofahrer stellt dieser Auto-bahnabschnitt ohne Zweifel ein ganz besonderes Erlebnis dar, die außerge-wöhnliche Konstruktion und Gestaltung der Lärmschutzanlagen verleihen ihm einen unverwechselbaren Charakter (Bild 16).

Autor:Dipl.-Ing. Gregor GebertDEGES GmbH, Berlin

BauherrBundesrepublik Deutschland

AuftragsverwaltungFreie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation

ProjektdurchführungDEGES GmbH, Berlin

MachbarkeitsstudieSSF Ingenieure AG, München

Gestalterische BeratungLang Hugger Rampp Architekten, München

Entwurfsplanung (Regelentwurf)Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH, Hamburg Gregull + Spang Ingenieurgesellschaft für Stahlbau mbH, BerlinKrebs und Kiefer Ingenieure GmbH, Hamburg

AusführungsplanungHochtief Engineering GmbH, EssenAWB Ingenieurbau GmbH, LübeckSchüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH, Hamburg

PrüfingenieureProf. Dr.-Ing. Heiner Geißler, BerlinDr.-Ing. Frank-Peter Brunck, HamburgDipl.-Ing. Volkhard Angelmaier, Stuttgart

BauausführungVia Solutions Nord GmbH & Co. KG, Nützen (ÖPP-Projektgesellschaft) Hochtief Infrastructure GmbH, HamburgFranki Grundbau GmbH & Co. KG, Seevetal(Arbeitsgemeinschaft Tunnel Stellingen) Claus Queck GmbH, Düren Lamparter Stahlbau GmbH & Co. KG, Kaufungen(Nachunternehmen Stahlbau)

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112 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Durchführung großmaßstäblicher Beulversuche

Längsversteifte Beulfelder unter biaxialen Spannungen von Martin Mensinger, Joseph Ndogmo, Nadine Maier

Für die Dimensionierung eines Brü- ckenquerschnittes wird häufig der Beulnachweis während des Takt- schiebens maßgebend, wodurch der Brückenquerschnitt für diesen Bemessungszustand entsprechend ausgelegt werden muss. In Deutsch-land haben sich der Einsatz von Längssteifen, eine stufenartige Erhöhung der Stegblechdicke im Lasteinleitungsbereich und eine Verlängerung der Verschublager als effektive Maßnahmen etabliert. Die aktuellen Regelungen der DIN EN 1993-1-5 beruhen für den Fall längsversteifter Platten unter biaxialen Spannungen jedoch lediglich auf numerischen Ergeb-nissen und wurden nicht durch Versuche verifiziert. Anlässlich des Ersatzneubaus der Talbrücke Thulba wurden an der Technischen Univer-sität München sechs großmaßstäb-liche Beulversuche unter biaxialer Belastung durchgeführt. Die Probe- körper wurden dabei annähernd im Maßstab 1:1 gewählt, um ferti- gungsspezifische Imperfektionen möglichst korrekt abzubilden.

1 Stand der Forschung und NormungScheer und Nölke [1] vollzogen 2001 eine Rückkehr zur Anwendung der idealen Beulvergleichsspannung σVPi. Ausgehend von der Verzweigungsspannung σxPi, σyPi und σPi, der einzeln wirkend angenom-menen Spannungen, kann diese ideale Beulvergleichsspannung näherungsweise für nicht ausgesteifte und für ausgesteifte Platten mit äquidistant angeordneten Steifen nach Gleichung 1 (Bild 1) berech- net werden. Mit dem bezogenen Vergleichsschlank-heitsgrad aus Gleichung 2 (Bild 1) werden die Abminderungskatoren κx*, κy* und κτ* aus den zugehörigen Beulkurven ermit- telt. Der Verzweigungslaststeigerungs-faktor αcr kann näherungs-weise oder mittels Finite-Elemente-(FE-)Programm ermittelt werden.Die Beulsicherheit bei kombinierter Bean- spruchung ist dann gegeben, wenn die Bedingung aus Gleichung 3 (Bild 1) erfüllt ist.Das ist die Grundlage des Beulnachweises mit der Bedingung (10.1) in DIN-Fachbe-richt 103 [2] und (10.5) in EN 1993-1-5 [3]. Scheer und Nölke hatten in [1] Traglast-berechnungen an unversteiften Platten unter biaxialer Druckbeanspruchung (σx = σy) bei unterschiedlichen b/t-Ver- hältnissen durchgeführt und stellten eine Überschätzung der Tragspannungen bis zu 23 % gegenüber dem zulässigen Sicherheitsniveau fest.

1 Entwicklung des Beulnachweises seit 2001

Gleichung 1:

Gleichung 2:

Gleichung 3:

Gleichung 4:

Die Arbeiten von Braun [4] [5], Maur [6] und Winterstetter [28] haben gezeigt, dass die Bedingung (10.1) in DIN-Fachbe- richt 103 [4] und (10.5) in EN 1993-1-5 [3] bei biaxialem Druck, Ergebnisse auf der unsicheren Seite liefern kann. Johansson hatte bereits in [7] darauf hingewiesen. Nach umfangreichen numerischen Unter- suchungen an unversteiften Platten, die auch in [8] bestätigt sind, schlugen Braun/Kuhlmann folgenden Nachweis vor, der sich von der bisherigen Bedin-gung lediglich durch die Wiedereinfüh-rung des Faktors V unterscheidet. Dabei ist V = σcx•σcz für biaxialen Druck und V = 1,0 für alle anderen Fälle: vergleiche Gleichung 4 in Bild 1.Der Vorschlag von Braun/Kuhlmann be- ruht ausschließlich auf Untersuchungen an unversteiften Platten. Die Modifikation fußt im Wesentlichen auf einer Parame-terstudie auf Basis von FE-Berechnungen [5] und berücksichtigt damit auch über- kritisches Tragverhalten. Es war unklar, ob dieser Vorschlag auf längsversteifte Platten (mit knickstab-ähnlichem Verhalten), wie sie häufig im Brückenbau vorliegen, ohne weiteres übertragen werden kann, denn es fehl- ten an dieser Stelle gesicherte wissen-schaftliche Erkenntnisse.

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2 VeranlassungIm Großbrückenbau werden Bauwerke häufig im Taktschiebeverfahren herge-stellt, wobei die Zustände während des Verschubs für die Dimensionierung der Stahlkonstruktion oft maßgebend wer- den. Beim Einschub der Brücke ist dabei insbesondere die mehraxiale Beanspru-chung der Stege und des Bodenblechs von Bedeutung. Aus der Einleitung der Verschublagerkräfte in den Überbau ergeben sich bei schrägen Stegen im Bodenblech Querdruckkräfte, siehe Bild 2. Der Beulnachweis muss in diesem Fall unter Berücksichtigung der kombinierten Beanspruchung aus biaxialem Druck und Schub erbracht werden.Für bestimmte Beanspruchungsfälle wie biaxialen Druck enthält die auf Schnitt-größen bezogene Methode der wirksa-men Breiten aktuell keine adäquate Lö- sung, so dass nur ein Nachweis nach der Methode der reduzierten Spannungen oder eine Berechnung mit der FE-Metho-de möglich ist. Die Methode der reduzier- ten Spannungen lässt eine Ausnutzung der einzelnen Bauteile lediglich bis zur Fließgrenze zu, die schwächsten Quer- schnittsteile sind also nur bis zum Fließ- kriterium ausnutzbar [11]. Aus dem Grunde sind die Ergebnisse der Methode der wirksamen Breiten im Vergleich zur Methode der reduzierten Spannungen in aller Regel wirtschaftlicher. Dieser wich- tige Vorteil kann aber insbesondere im Brückenbau heute nicht genutzt werden, da, wie bereits erwähnt, aktuell ein Kon- zept für den Fall des biaxialen Drucks für die Methode der wirksamen Breite fehlt. Eine erste Untersuchung [12] zeigt zwar Möglichkeiten auf, das Verfahren MWB für den Fall von biaxialem Druck zu er- weitern, aber es fehlt eine ausreichende wissenschaftliche Absicherung.

Beide Methoden haben jeweils ihre Vor- teile und sollten auch weiterhin parallel angewendet werden dürfen. Eine Ab- schaffung eines der beiden Verfahren sollte nicht angestrebt werden, sondern eher eine klare Abgrenzung voneinander, um Fehlanwendungen zu vermeiden. Wie bereits in [5] und [10] gezeigt wurde, führt das Nachweisverfahren nach der Methode der reduzierten Spannungen, DIN EN 1993-1-5 [3] Abschnitt 10, für unausgesteifte Beulfelder nicht in allen Fällen zu auf der sicheren Seite liegenden Bemessungsergebnissen. Daher wurde für Beulfelder unter biaxialer Druckbe- anspruchung in [5] ein Modifikationsfak-tor V für das derzeitige Nachweisformat (10.5) gemäß DIN EN 1993-1-5 [3] vorge- schlagen, der inzwischen auch über ein »Amendment« [13] in die zurzeit gültige Norm EN 1993-1-5 eingegangen ist. Die Untersuchungen in [5] konzentrieren sich auf die Einzelfelder und basieren auf an älteren Versuchen verifizierten numeri-schen Untersuchungen. Grundsätzlich, wie auch in [14] festgestellt, muss der Beulsicherheitsnachweis nach DIN EN 1993-1-5 [3] für die Einzelfelder und das Gesamtfeld getrennt durchgeführt wer- den. Längsausgesteifte Beulfelder haben im Gegensatz zum Einzelfeldnachweis eine stark ausgeprägte Anisotropie und dadurch ein ausgeprägtes knickstabähn-liches Verhalten, und sie wurden bisher nicht systematisch untersucht. Aus die- sem Grund enthält DIN EN 1993-1-5 für den Nachweis des Gesamtfeldes keine eindeutigen Regelungen, insbesondere zur Berücksichtigung der Einflüsse aus dem knickstabähnlichen Verhalten bei einem längsausgesteiften Beulfeld unter biaxialer Druckbeanspruchung. Zudem sind die Ergebnisse der Untersuchungen

2 Schematische Darstellung von Schnittgrößen (l.) und Spannungen (r.) während des Einschubs © Aus [9] [10]

an unversteiften Beulfeldern nicht ohne weiteres auf ausgesteifte Beulfelder über- tragbar. Wegen der fehlenden Regelun-gen werden in [10], [11], [14], [15], [16] und [17] auf der sicheren Seite zusätzli-che Nachweise wie der Nachweis der Längssteife nach Theorie II. Ordnung unter Berücksichtigung von Abtriebs-kräften aus Querdruck gefordert. Wie [11] für einen älteren Kranbahnträger zeigt, können deshalb die Ergebnisse für aus- gesteifte Beulfelder auch gegenüber der alten deutschen Normung zu ungünsti-geren Lösungen führen und die Wettbe-werbsfähigkeit von Stahl- und Verbund-brücken möglicherweise gefährden. Dies stellt für die Stahlbaubranche einen Nachteil gegenüber dem Wettbewerb dar. Für den Bau der Talbrücke Thulba wurden daher im Auftrag der Autobahndirektion Nordbayern in Ergänzung zu den stati- schen Nachweisen nach DIN EN 1993-1-5 die wichtigsten Verschubsituationen mit Hilfe von Traglastversuchen an maßge-benden Beulfeldern unter biaxialem Druck experimentell abgesichert. Daraus wurden Empfehlungen für die Auslegung der Talbrücke Thulba für den Verschub hergeleitet.Für diesen Zweck wurde an der Material-prüfungsanstalt (MPA) Bau der Techni-schen Universität München ein Prüfstand errichtet, der eine Durchführung von Beulversuchen im Maßstab 1:1 bei unter- schiedlichen Beanspruchungssituationen erlaubt.

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3 Versuchsaufbau3.1 PrüfstandDer Versuchsstand wurde als modularer U-Rahmen mit den Außenabmessungen 8 m x 12 m konzipiert, auf dessen Längs- seite die Probekörper mit den Abmessun-gen 3,00 m x 4,00 m eingebaut werden. Der Versuchsstand wird liegend aufge-baut und lagert auf insgesamt sechs HEB-600-Profilen. Die Biege- und Normal- kraftbeanspruchung wird an den Schen- keln des U-Rahmens mit Hilfe einer auf Druck beanspruchten hydraulischen Presse mit einer Nennkraft von 4,30 MN aufgebracht. Diese Druckkraft wird mit zwei umlaufenden Zugstangen kurzge-schlossen. Damit kann ein äußeres Biege- moment von maximal 24 MNm bei einer äußeren Normalkraft von 4,30 MN in die Probekörper eingeleitet werden. Das Verhältnis des Biegemomentes zur Nor- malkraft kann durch Variation des Hebel- armes zur Lasteinleitung variiert werden. In Bild 3 ist der Versuchsstand schema-tisch dargestellt. Der Probekörper ist durch den grauen Bereich hervorge-hoben.

Die Einleitung der Beanspruchung in Querrichtung erfolgt über zwei hydrauli-sche Pressen mit jeweils einer Nennkraft von 4,30 MN. Diese Querkraft wird über eine Traverse, die mit dem U-Rahmen mit Hilfe von insgesamt vier umlaufenden Zugstangen verspannt wird, abgetragen. Die Verspannung mit dem U-Rahmen er- folgt hier rechts- und linksliegend des Versuchskörpers, um je 500 mm nach außen versetzt. Damit wird die Einleitung einer Schubbeanspruchung in die Probe- körper reduziert. Durch den Versatz der Lasteinleitung der Querlasten wird in Ver- suchskörpermitte ein zusätzliches Biege- moment von maximal 10 MNm sowie

3 Versuchsstand mit Lasteinleitung © Technische Universität München

4 Krafteinleitung in Querrichtung im Detail © Technische Universität München

die am Rand des Versuchskörpers vorlie- gende Querkraftbelastung, die maximal einen Wert von 8,60 MN annehmen kann, induziert. Die Lasteinleitung der Quer- last erfolgt nicht direkt über die hydrau-lischen Zylinder, sondern über eine Last- einleitungskonstruktion, wie sie auch beim Taktschieben von Stahlbrücken üblicherweise eingesetzt wird. Aufgrund der großen Bedeutung dieses Details werden für die Planung verschiedene Hydrauliksysteme aus der Praxis zugrun- de gelegt. Für die Durchführung der Ver- suche wurde schließlich eine Lasteinlei-tung, bestehend aus zwei versteiften HEM-Profilen mit einer Lasteinleitungs-länge von 750 mm, geplant. Unter Be- rücksichtigung der Flanschbiegung und der mittragenden Effekte ergibt sich daraus rechnerisch eine Lasteinleitungs-länge von 2.300 mm. Bild 4 zeigt die Krafteinleitung in Querrichtung im Detail.Durch die flexible Planung des Versuchs-standes können weitere Versuche mit verschiedenen Lasteinleitungskonstruk-tionen realisiert werden. So wird bei- spielsweise in weiteren Untersuchungen der unterschiedliche Einfluss auf das Tragverhalten zwischen dem Einsatz einer Verschubwippe und hydraulischen Ver- schubsystemen herausgearbeitet werden.

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3.2 ProbekörperZur Vorplanung und Vergleichbarkeit mit dem maßgebenden Beulfeld in Thulba wurden an der Universität Stuttgart numerische Berechnungen durchgeführt [19]. Für die Abdeckung des vorgenom-menen Parameterbereichs wurden drei der Probekörper mit steifen (V1, V2, V5) und drei mit weichen (V3, V4, V6) Steifen hergestellt. Die steifen Steifen besitzen dieselbe bezogene Steifigkeit , wie sie in der Ausführung der Talbrücke Thulba geplant sind. Die Abstände der Steifen sind bei den ersten vier Versuchen (V1– V4) und den letzten zwei Versuchen (V5 und V6) jeweils identisch. Der Abstand zur ersten Steife wird in den letzten zwei Versuchen (V5 und V6) affin zur Planung von Thulba gewählt.Der allgemeine Querschnitt der Versuchs-träger ist in Bild 5 dargestellt. In Bild 6 sind die geometrischen Abmessungen dargestellt, die für alle sechs Versuche gleich festgelegt wurden, während die variierenden Parameter der einzelnen Probekörper in Bild 7 zusammengefasst sind. Die Probekörper V 1 und V 2 werden mit steifen Steifen ausgeführt. Der Unter-schied zwischen diesen beiden ist das Spannungsverhältnis σz / σx, so dass hier der Einfluss der jeweiligen Spannung auf das Beulverhalten beurteilt werden kann. Für die Versuche V 3 und V 4 wird die Stei- figkeit der Steifen reduziert, was allein durch die Reduzierung der Höhe realisiert wird. Die Abstände zwischen den Steifen werden aus V 1 und V 2 beibehalten. V 3 wird in demselben Spanungsverhältnis σz / σx. wie V 2, V 4 wie V 1 gefahren.

Dadurch kann der alleinige Einfluss der Steifigkeit der Steifen auf das Beulverhal-ten analysiert werden. V 5 hat dieselbe Steifengeometrie wie V 1 und V 2. Die Steifenabstände werden geändert. Der Abstand b1 zur ersten Steife wird von 300 mm auf 540 mm vergrößert. Hieraus kann der Einfluss der Position der Steifen untersucht werden. Der Abstand b1 zur ersten Steife sowie die bezogene Steifig- keit ist bei V 5 identisch zu dem Ersatz- neubau der Talbrücke Thulba dimensio-niert. Ebenso wird dasselbe Verhältnis der Spannungen σz / σx bis zum Versagen wie bei Thulba erreicht. Als Referenz zu V 5 wird anschließend der Versuch V 6 mit reduzierter Steifensteifigkeit bei gleich- bleibender Lage der Steifen und dem- selben Spannungsverhältnis σz / σx durch-geführt. Bei V 6 bleibt der Winkel der Steifenflansche unverändert zu V 5, was zu einem breiteren Steg als in V 1–V 5 führt.

hw (mm) tw (mm) a (mm) bf (mm) tf (mm) Bst (mm) tst (mm)

3.000 8 4.000 500 30 300 6

b1 (mm) b2 (mm) b3 (mm) b4 (mm) hst (mm) bst (mm) σz / σx

V1 300 400 700 700 125 150 0.5

V2 300 400 700 700 125 150 1.0

V3 300 400 700 700 65 150 1.0

V4 300 400 700 700 65 150 0.5

V5 540 305 695 560 125 150 0.5

V6 540 305 695 560 65 197 0.5

5 Querschnitt der Prüfkörper © Technische Universität München

6 Allgemeine geometrische Abmessungen © Technische Universität München

7 Variierende Parameter der Versuchskörper © Technische Universität München

Da für jeden Versuch immer nur ein Para- meter geändert wird, kann der Einfluss auf das Beulverhalten aufgrund des Be- anspruchungsverhältnisses σz / σx sowie der Lage der Steife und der Steifigkeit der Steife getrennt voneinander untersucht und bewertet werden. Die Probekörper werden mit dem Mate- rial S 355 hergestellt. Da sich das Material der Steifen, des Steges und des Flansches wesentlich auf das tatsächliche Tragver-halten auswirkt, werden für die numeri-sche Nachrechnung die Materialkenn-werte der Streckgrenze fy und der Zugfes- tigkeit fu, zusätzlich zu den Angaben der Materialzeugnisse, in eigenen Zugver-suchen überprüft.

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3.3 VersuchsprogrammDie Versuche werden druckgeregelt gefahren, um ein langsames Aufbringen der Last zu gewährleisten. Dazu werden zwei Aggregate eingesetzt: Über das eine wird das Aufbringen der Belastung in x-Richtung reguliert, über das andere in z-Richtung. Die beiden Zylinder, die die Querlast in z-Richtung aufbringen, wer- den zu einem Kreis zusammengefasst und parallel gesteuert. Der Zylinder in x-Richtung kann unabhängig von den anderen beiden gesteuert werden. Somit ist ein flexibles Ansteuern verschiedener Verhältnisse σz / σx möglich. Es wird im ersten Schritt die Spannung σx über den Zylinder an dem linken Schen- kel auf das Niveau gebracht, das rechne- risch für das Versagen des Bauteils not- wendig ist. Durch diese Belastung wer- den die Normaldruckbelastung N und das Moment My in den Probekörper induziert. In einem zweiten Schritt wird die Querlast schrittweise gesteigert, bis das Versagen eintritt. Durch die Steuerungsvariante, bei der im ersten Schritt die Belastung F1 und erst dann F2 bis zum Versagen erhöht werden, kann mit einer einfachen und klar nach- vollziehbaren Krafteinleitung das Bauteil bis zum Versagen geprüft werden. Es werden dabei insgesamt mehrere Span- nungsverhältnisse abgefahren. Das Span- nungsverhältnis, das letzten Endes zum Versagen führt, ist klar erkennbar. Für die Messung der Kraft wird je Ölkreis ein Öldrucksensor direkt an dem Aggre- gat angebracht, über den sich die in das System aufgebrachte Last ermitteln lässt. Zusätzlich werden an den Gewindestan-gen insgesamt vier Kraftmessdosen ein- gesetzt, die die ankommende Last erfas- sen und kontinuierlich aufzeichnen. Zu- sätzlich werden an jede Gewindestange zwei DMS geklebt. Dadurch bekommt man zum einen Kontrollwerte, zum an- deren ist es so möglich, Verluste durch Reibung zu erfassen.

Die Dehnungen werden mittels DMS und Rosetten gemessen. Zusätzlich wird eine Messung der Dehnungen über Glasfasern durchgeführt. Durch eine Dehnungsmes-sung mittels Glasfasern ist es möglich, die Dehnungen über die gesamte Länge des Bauteils kontinuierlich zu erfassen.Der Verformungszustand des Versuchs-stands und die Verformung der Probekör-per aus der Ebene sowie dessen Flansch-verdrehung werden durch Wegaufnehmer kontinuierlich gemessen. Mittels 3-D- Laserscan werden Imperfektionen der Probekörper im lastfreien Zustand sowie die Verformungen aus der Ebene zusätz- lich an den definierten Laststufen gemessen.

4 Versuchsergebnisse Im Folgenden werden die maximalen Lasten der einzelnen Versuche und deren Versagensmodi dargestellt. Die Vorzei-chen der Verformungen sind an das glo- bale Koordinatensystem angepasst, dargestellt in Bild 9. Alle Probekörper verformten sich unter aufgebrachter Längslast in positive y-Richtung, also in Richtung der Steifen.

F1 [kN] 2*F2 [kN] M [MNm] soll Versuch Versagen

V1 3.129,25 1.660,84 19,08 0,5 0,39 Global, -y

V2 1.601,73 2.241,12 11,32 1,0 0,89 Global, -y

V3 1.575,30 1.780,08 9,95 1,0 0,78 Global, +y

V4 2.438,54 1.738,52 14,27 0,5 0,52 Global, +y

V5 2.867,10 1.809,68 17,81 0,5 0,45 Lokal gGlobal, +y

V6 1.916,17 1.619,97 11,49 0,5 0,61 Lokal gGlobal, +y

Durch die Einleitung der Längsspannun-gen σx auf Stegebene kommt es in den Steifen zu einem kleinen Versatzmoment, da deren Schwerpunkt nicht in der Steg- ebene liegt. Daraus resultiert ein Moment, welches Druck im Stegblech des Probe- körpers und Zug in dem Flansch der Steife hervorruft. Die Verformungen ent- weichen der etwas höheren Druckspan-nung und wandern in den positiven Verformungsbereich in Richtung der Steifen: vergleiche Bild 11.

8 Schematische Darstellung der Kraftaufbringung © Technische Universität München

9 Gewähltes Koordinatensystem © Technische Universität München

11 Resultierende Schnittgrößen in der Steife infolge Normaldruckspannungen N1 © Technische Universität München

10 Maximale Belastung der einzelnen Probekörper © Technische Universität München

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Mit der Einleitung der Querlast kann sich die Richtung der Verformung ändern. Durch die Einleitung der Querlast auf Stegebene und die Abnahme der Druck- kraft über die Höhe des Bauteils infolge Lastausbreitung entsteht ein Torsions-moment, aus dem eine Verdrehung der Steife in Uhrzeigersinn resultiert. Durch die Verdrehung und damit einhergehen-de Verformung der anliegenden Bereiche ergeben sich zusätzliche Abtriebskräfte (Theorie II. Ordnung), die jenen Effekt begünstigen. Das Versagen tritt in nega- tiver y-Richtung ein. Der entsprechende Effekt wurde bei den Versuchen 1, 2 und 3 beobachtet. Dieses Verhalten kann auf zwei Ursachen zurückgeführt werden: zum einen die Auswirkung des Querdru-ckes auf die untere Steife aufgrund von Imperfektionen und lastbedingten Vor- verformungen, dies war insbesondere für Versuch 1 ausschlaggebend für die Versa- gensform, da hier die untere Steife deut- liche Imperfektionen in negative y-Rich- tung aufweist; zum anderen bestand bei Versuch 2 und Versuch 3 ein Spannungs-

verhältnis σz / σx = 1,0, wodurch die Ein- leitung der Querlast bei beiden Versu-chen dominierend war und zum Versa- gen mehr beitrug als bei den restlichen Versuchen (V 1 und V 4–V 6). Das liegt darin begründet, dass das Moment aus Bild 12, auch im unverformten Zustand, durch den ausmittigen Lastangriff des Querdruckes im Stegblech zur Lage des Schubmittelpunktes entsteht und es bei Überwindung des Torsionswiderstandes der Steife ein Ausweichen der Steife in negative y-Richtung verursacht.Bei größerem Steifenabstand zur Last- einleitungsstelle (V 5 und V 6) wurde in beiden Fällen ein mehrwelliges Ausbeu-len des ersten Beulfeldes unter alleiniger Wirkung der Längsbelastung beobachtet. Dies ist in der Aufnahme des 3-D-Scans (Bild 13) zu erkennen. Mit der Einleitung der Querlast wechselt das Versagen von Einzelfeld- zu Gesamtfeldbeulen. Die ent- standenen Beulen wirken auf die einge- leitete Querlast als Aussteifung, so dass hier etwas größere Traglasten als erwartet eintraten.

9 Gewähltes Koordinatensystem © Technische Universität München

11 Resultierende Schnittgrößen in der Steife infolge Normaldruckspannungen N1 © Technische Universität München 13 Verformungszustand aus der Ebene nach aufgebrachter Längslast

© Technische Universität München

Probekörper 5 Probekörper 6

5 Beulnachweis der Versuchskörper nach DIN EN 1993-1-5 (Methode der reduzierten Spannungen)Eine wichtige Größe für die Nachrech-nung der Versuche stellt der angenom-mene Einspanngrad der Längssteifen in den Prüfrahmen dar. Bei der Annahme einer gelenkigen Lagerung, wie dies im Fall einer Statik wäre, würde die rechneri-sche Tragfähigkeit beim Gesamtfeldnach-weis als zu gering ermittelt werden. Da bei realen Bauwerken Einspanngrade auftreten könnten, die kleiner als der des Versuchsstandes sind, würde eine solche Auswertung also zu Ergebnissen auf der unsicheren Seite führen. Wird dagegen bei der Nachrechnung der Versuche von einer vollen Einspannung ausgegangen, liegen die Ergebnisse auf der sicheren Seite, könnten aber eventuell zu konservativ sein.

12 Verformungszustand aus der Ebene nach aufgebrachter Längslast © Technische Universität München

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Es werden die Fälle des gelenkigen An- schlusses sowie einer Teil- und Vollein-spannung der Längssteifen jeweils mit nomineller und realer Streckgrenze untersucht. Zusätzlich wird unterschie-den, ob die Torsionssteifigkeit der Längs- steife berücksichtigt wird oder nicht. In Bild 14 sind die Ergebnisse ohne Berück- sichtigung der Torsionssteifigkeit nach aktueller Empfehlung dargestellt. Die Teileinspannung des Prüfstandes wurde durch Ersatzsysteme rechnerisch ermit- telt und mit den Dehnungsmessungen abgeglichen. Die Bewertung dieses Vergleichs ist nicht trivial. In dem Diagramm bedeutet ein Wert √η>1,0, dass beim jeweiligen Nach- weis niedrigere Traglasten ermittelt wer- den, als im Versuch erreicht wurden. Das heißt im Umkehrschluss, dass der Nach- weis dann als sicher gelten kann, wenn Werte größer als 1 erzielt werden. Dies gilt unter der Annahme, dass die Imper- fektionen der Versuchskörper im Wesent- lichen den Imperfektionen realer Bauteile entsprechen.Es ist zu erkennen, dass alle Ergebnisse auf der sicheren Seite liegen. Die An- nahme eines gelenkigen Anschlusses führt jedoch zu weitgehend konservati-ven Lösungen. An dem Ergebnis aus Ver- such 5 und 6 ist der aussteifende Effekt des unteren Beulfeldes, wie in Kapitel 4 erläutert, klar zu erkennen. Die entste-henden mehrwelligen Beulen unter Längsbelastung wirken auf die Querlast, ähnlich wie ein Wellblech, aussteifend. Dadurch kann die Querlast höhere Werte als erwartet annehmen. Dies ist in Bild 14 zu erkennen, in der die Versuche 1–4 ein 1,40- bis 1,70-faches Sicherheitsniveau und im Vergleich die Versuche 5 und 6 eine 2,20- bis 2,30-fache Sicherheit unter Teileinspannung erreichen.

6 Ausblick Die getroffenen Überlegungen stellen einen Zwischenstand der Auswertung der Beulversuche an der Talbrücke Thulba dar. Sie wurden ausschließlich mit dem Ziel entwickelt, Empfehlungen zur Durchfüh-rung der Beulnachweise für Beulfelder unter biaxialem Druck bei diesem Bau- werk zu geben. Es wurde daher ange-strebt, Regelungen zu treffen, die einer- seits das notwendige Sicherheitsniveau sicherstellen, andererseits aber auch eine wirtschaftliche Bauweise ermöglichen. Notwendig zur Kalibrierung des Nach-weises ist jedoch eine Anbindung des Sicherheitsniveaus an die Regelungen der DIN EN 1990. Dies kann mit den fol- genden Überlegungen zum aktuellen Zeitpunkt nur näherungsweise erfolgen. Dazu sind weitere Untersuchungen notwendig.

Die Ergebnisse zeigen einen deutlichen Einfluss aus Imperfektionen, dem Steifen- abstand, dem Spannungsverhältnis, der Randbedingung und Torsion auf das Beul-verhalten. Weitere wichtige Einflüsse, wie die Lasteinleitungskonstruktion oder Imperfektionen aus der Lasteinleitung, sind nicht systematisch untersucht worden. Diese und andere weiterführende Unter- suchungen werden im Rahmen eines neuen DASt-AiF-Forschungsprojekts der Technischen Universität München und der Universität Stuttgart geklärt, das am 1. Dezember 2018 gestartet ist.Daher werden in der nahen Zukunft auf- grund der fortgeführten Arbeiten bezüg- lich Auswertung und Nachrechnung der Versuche mit großer Wahrscheinlichkeit neue Erkenntnisse vorliegen, die eine weitere Präzisierung des Nachweisfor-mats erlauben.Die im Projekt erzielten Ergebnisse zum Tragverhalten ausgesteifter Platten unter biaxialem Druck ermöglichen eine wirt- schaftliche Dimensionierung von Beul- feldern, wie sie auf Basis des aktuellen Standes der Technik bisher nicht erzielbar war. Von besonderer Bedeutung ist dies für das Taktschieben, einer sehr wirt-schaftlichen Bauweise des Brückenbaus, die vor allem bei größeren Stahl- und Verbundbrücken zum Einsatz kommt. Zudem können die Projektergebnisse genutzt werden, um eine erhöhte Verläss- lichkeit im Fall einer numerischen Bemes- sung zu erzielen: Kalibrierung der Mo- delle an den Versuchsergebnissen, ver- besserte Kenntnis der anzusetzenden Anfangsimperfektionen.

14 Ausnutzungsgrade √η beim Gesamtfeldnachweis nach DIN EN 1993-1-5 (10.5) ohne Berücksichtigung der Torsionssteifigkeit der Längssteifen, mit Berücksichtigung des V-Faktors und mit nomineller Streckgrenze © Technische Universität München

Der Lehrstuhl für Metallbau der Techni-schen Universität München möchte einen herzlichen Dank an den Auftraggeber, die Autobahndirektion Nordbayern, zu den begleitenden Beulversuchen zur Tal- brücke Thulba aussprechen. Hier konnten wichtige Ergebnisse, Erkenntnisse und Erfahrungen gesammelt werden, so dass sich, auf ihnen aufbauend, eine wissen-schaftliche Forschung effektiv weiterfüh-ren lässt. An dieser Stelle danken wir dem Bundes- ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), das unter dem Dach der der AiF-Forschungsvereinigung das neue Forschungsprojekt AiF-DASt 20455 und damit die Weiterführung der For- schung zu »längsausgesteiften Beul- feldern unter mehrachsigen Spannun-gen« ermöglicht hat. Ein besonderer Dank gilt auch unseren Projektpartnern, Prof. Ulrike Kuhlmann und Vahid Pouro- stad von der Universität Stuttgart, die schon die Versuche zur Talbrücke Thulba durch numerische Berechnungen unter- stützten. Die guten Ergebnisse trugen wesentlich zu dem erfolgreichen Ab- schluss des Projektes bei. Wir freuen uns über die gelungene Zusammenarbeit und auf die weiterführende Kooperation im Rahmen des neuen Forschungsprojektes.

Autoren:Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. Martin Mensinger Dr.-Ing. Joseph NdogmoNadine Maier M. Sc. Lehrstuhl für MetallbauTechnische Universität München

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Literatur[1] Scheer, J. und Nölke, H.: Zum Nachweis der Beul-

sicherheit von Platten bei gleichzeitiger Wirkung mehrerer Randspannungen; in: Stahlbau 70, H. 9, 2001, S. 718–729.

[2] DIN-Fachbericht 103:2009-03: Stahlbrücken. März 2009.[3] DIN EN 1993-1-5:2010-12: Eurocode 3: Bemessung

und Konstruktion von Stahlbauten, Teil 1–5: Plattenförmige Bauteile; Deutsche Fassung EN 1993-1-5:2006 und AC:2009.

[4] Braun, B. and Kuhlmann, U.: Reduced stress design of plates under biaxial compression; in: Steel Construction 5, N. 1, 2012, P. 33–40.

[5] Braun, B.: Stability of steel plates under combined loading. Mitteilungen des Instituts für Konstruk-tion und Entwurf, Nr. 2010-3. Stuttgart, 2010.

[6] Maur, J.; Schmidt, H. und Verwiebe, C.: Span-nungsbasierter Beulsicherheitsnachweis ebener und gekrümmter stählerner Flächentragwerke unter kombinierter Membranbeanspruchung. Eine vergleichende Analyse der Eurocode-Formate; in: Stahlbau 80, H. 11, 2011, S. 804–813.

[7] Kuhlmann, U.; Braun, B.; Degée, H. and Zizza, A.: New chances and developments of Eurocode 3 Part 1.5. Bridge design aspects; in: Steel Construc-tion 4, N. 4, 2011, P. 224–231.

[8] Unterweger, H.; Kettler, M.: Einzelfeldbeulen. Wirklich große Unterschiede zwischen Eurocode EN 1993-1-5 und DIN 18800-3; in: Stahlbau 82, H. 8, 2013, S. 597–608.

[9] Zizza, A.: Buckling behaviour of unstiffened and stiffened steel plates under multiaxial stress states. Dissertation. Universität Stuttgart, 2016.

[10] Seitz, M.: Tragverhalten längsversteifter Blech-träger unter quergerichteter Krafteinleitung. Dissertation. Universität Stuttgart, 2005.

[11] Frickel, J.; Pourostad, V.; Kuhlmann, U.; Schmidt-Rasche, C.: Untersuchungen zum Beulnachweis nach DIN EN 1993-1-5. BASt. FE.89.0313/2015.

[12] Bitar, D.; Adamakos, T.; Mangin, P.: Ponts haubanés à tablier métallique orthotrope. Vérification des plaques orthotropes sous compression bi-axiale; in: Revue Construction Métallique 2015, S. 41–68.

[13] CEN/TC 250/SC 3, N 2128 (2015), AM-1-5-2015-02-Amendment for EN 1993-1-5. Chapter 10 Biaxial Compression incl. background.

[14] Timmers, R.: Zur direkten Bestimmung der Trag-lastkurve nicht ausgesteifter und ausgesteifter Beulfelder durch Anwendung der Fließlinienthe-orie. Dissertation. Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, April 2015.

[14] Hertle, R.; Mensinger, M.; Ndogmo, J.; Köberlin, T.: Anmerkungen zum Stabilitätsnachweis längs-versteifter Platten unter bi-axialem Druck; in: Stahlbau 86, H. 7, 2017, S. 148–159.

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NORD-LOCK.DE

[15] Mensinger, M.; Ndogmo, J.: Beulnachweise im Stahlbrückenbau; in: Brückenbau 7, H. 4, 2015, S. 24–33.

[16] Ndogmo, J.; Mensinger, M.; Both, I.: Buckling Behavior of Stiffened Plate under Biaxial Com-pression and Shear; in: Procedia Engineering 156, 2016, S. 272–279.

[17] Kuhlmann, U.; Braun, B.; Feldmann, M.; Naumes, J.; Martin, P.-O.; Galéa, Y.; Johansson, B.; Collin, P.; Eriksen, J.; Degée, H.; Hausoul, N.; Chica, J.; Raoul, J.; Davaine, L.; Petel, A.: Combri-Handbrückenbau. Teil I: Anwendung von Eurocode-Regelungen, 2008.

[18] Kuhlmann, U.; Schmidt-Rasche, C.; Frickel, J.; Pourostad, V.: Untersuchungen zum Beulnachweis nach DIN EN 1993-1-5. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Brücken- und Ingenieurbau. Heft B 140.

[19] Mensinger, M.; Maier, N.; Ndogmo, J.; Kuhlmann, U.; Pourostad, V.: Beulversuche längsversteifter Platten unter bi-axialen Druckspannungen, be- gleitende Beulversuche zur Talbrücke Thulba. Abschlussbericht. Auftraggeber: Autobahndirek-tion Nordbayern.

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120 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Entwurf einer Extradosed Bridge

Neckartalbrücke Horb von Holger Haug, Christoph Maulhardt

Um eine umfassende Entlastung der Ortsdurchfahrt in Horb zu er- reichen, soll östlich der Stadt eine zusätzliche Querung des Neckartals geschaffen werden. Die Planung für dieses Projekt beinhaltet den Bau einer Brücke über das Neckartal ein- schließlich der beiden Anschluss-knoten mit den bestehenden Bun- desstraßen B 14 und B 32. Im Zuge einer Machbarkeitsstudie für die neuzuschaffende Neckartalquerung wurden bereits in den Jahren 2007 und 2008 verschiedene Varianten untersucht. Deren Bewertung er- gab, dass unter statisch-konstruk-tiven, gestalterischen und wirt-schaftlichen Gesichtspunkten eine sechsfeldrige überspannte Balken-brücke insgesamt die überzeu-gendste Lösung ist. Nachfolgend werden der in den Jahren 2017 und 2018 ausgearbeitete Entwurf der Neckartalbrücke Horb vorgestellt und die erforderlichen Planungs-änderungen zu der damaligen Vorzugsvariante beschrieben.

1 Projekt und LageDie Bundesstraße B 32 stellt einen wich- tigen Abschnitt der West-Ost-Achse B 28– A 81 in der Region Nordschwarzwald in Baden-Württemberg dar. Diese Achse verläuft von Offenburg bis zur A 81 und bindet den Landkreis Freudenstadt an das überregionale Fernstraßennetz an. Die Bundestraße B 32 führt, von Südosten kommend, in das Neckartal hinunter und mündet innerhalb der Stadt Horb in die dort im Neckartal verlaufende Bundes-straße B 14, die sich wiederum entlang dem Stadtrand weiter nach Norden zieht und dann das Neckartal verlässt.

In Voruntersuchungen wurde festgestellt, dass eine umfassende Entlastung der Ortsdurchfahrt Horb durch die Schaffung einer zusätzlichen Querung des Neckar-tals erzielt werden kann. Entsprechend wurde die Planung einer Hochbrücke östlich der Stadt Horb einschließlich der plangleichen, signalisierten Anschluss-punkte mit den vorhandenen Bundes-straßen B 14 und B 32 ausgelöst. Der Planungsabschnitt B 32 neu erstreckt sich von der bestehenden B 14, Stutt-garter Straße (km 0-162), über die Neckartalbrücke auf eine Gesamtlänge

1 Lageplan (Ausschnitt) © Geoportal Baden-Württemberg

3 Grundriss und Ansicht © Leonhardt, Andrä und Partner AG

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1211/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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von ca. 2 km bis zur bestehenden B 32, Hornaustraße am Ortsende Nordstetten (km 1+850). Von Norden kommend, schwenkt die neue Trasse der B 32 im Bereich des vorhandenen Parkplatzes »Rauschbart« von der alten B 14 nach Osten und verläuft dann über eine Länge von ca. 670 m auf einer Talbrücke über das Neckartal. Hierbei werden die DB- Strecke 4860 Stuttgart–Horb, die L 370 Horb–Mühlen, der Neckar und die DB- Strecke 4600 Tübingen–Horb gekreuzt. Der Höhenverlauf der B 32 neu orientiert sich am Bestand der B 14 alt nördlich und der B 32 alt südlich der Talbrücke. Auf der Neckartalbrücke erreicht die Gradiente dadurch eine Höhe von ca. 70 m über Tal- grund bei einer Längsneigung bis 2,50 %. Auf der Talbrücke kommt der Regelquer-schnitt RQ 11,5+ mit Überholstreifen je- weils für die Bergfahrt zur Anwendung. Im Bereich von Knotenpunkten werden Abbiegestreifen mit einer Breite von 3,25 m angeordnet. Die Länge der einzel- nen Abbiegestreifen wurde entsprechend der Verkehrsbelastung dimensioniert und erstreckt sich über einen größeren Ab- schnitt in den Randfeldern der Brücke. Die Breite des Überbaus zwischen den Geländern erhöht sich deshalb von 19,40 m im Regelbereich auf 22,65 m in Abschnitten mit Abbiegestreifen.

2 Änderungen der MachbarkeitsstudieDie im Rahmen einer Machbarkeitsstudie ausgearbeitete Bauwerksskizze zeigte einen Überbau mit konstanter Bauhöhe. Die Hauptstützweiten wurden mit 61 m, 120 m, 152,50 m, 152,50 m, 120 m und 73 m angegeben. Die außenliegenden Längsträger wurden mit einer massiven Aufkantung und einem darin integrierten Fahrzeugrückhaltesystem dargestellt.

Abbiegestreifen mussten im Bereich der Brücke zum damaligen Zeitpunkt nicht berücksichtigt werden, so dass eine Fahr- bahnplatte in Stahlbetonbauweise, zwi- schen den außenliegenden Hauptträgern spannend, vorgesehen war. Im Zuge der Entwurfsbearbeitung wur- den zunächst folgende, für die Vorzugs-variante getroffenen Festlegungen weiter untersucht und auf ihre Eignung für die Entwurfsplanung überprüft. Aufgrund der Verbreiterung infolge der zu berücksichtigenden Abbiegestreifen erwies sich die Querschnittsausbildung mit einer zwischen den außenliegenden Hauptträgern spannenden Fahrbahnplat-te in Stahlbetonbauweise als ungeeignet. Zwischen den Hauptträgern waren des- halb Querträger anzuordnen, und eine konstant dicke Fahrbahnplatte sollte von Querträger zu Querträger spannen. Die Querträger sollten in Stahl- oder Spann- betonbauweise ausgeführt werden.Wie sich darüber hinaus zeigte, konnten mit der bisherigen Querschnittsausbil-dung die heutigen Sicherheitsbelange

der Verkehrsteilnehmer nicht mehr erfüllt werden, und für den Bauwerksentwurf war deshalb auf ein zugelassenes Fahr- zeugrückhaltesystem zurückzugreifen. Die vorgesehene Anordnung der Pylone und Seile innerhalb der Kappen verlangte die Planung breiterer Kappen, um einen ausreichenden Abstand der Schutzplan-ken zum Fahrbahnrand und einen aus- reichend breiten, durchgängigen Notgehweg zu gewährleisten.Beim Überbauquerschnitt für die Mach- barkeitsstudie lag die Fahrbahnplatte ungefähr auf der Höhe der Schwerachse und leistete somit nur einen unwesentli-chen Beitrag zu den Widerstandswerten des Querschnittes. Es war zu erkennen, dass eine wirtschaftliche Planung mit dieser Querschnittsausbildung nicht möglich war. Größere Widerstandswerte bei gleichbleibendem Gewicht ließen sich erreichen, indem man die Fahrbahn-platte an den oberen Querschnittsrand verschob und damit die massive Auf- kantung der Hauptträger entfiel.

4 Querschnitt des Überbaus © Leonhardt, Andrä und Partner AG

5 Ansicht aus der Planfeststellung © Leonhardt, Andrä und Partner AG

6 Überbauquerschnitt aus der Planfeststellung © Leonhardt, Andrä und Partner AG

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122 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Der Überbau mit konstanter Bauhöhe erlaubte keine ausgewogene Abtra- gung der veränderlichen Lasten über die Hauptträger und die Überspannung. Die aus statischen Gründen erforderliche Bauhöhe für die Hauptträger führte zu einer hohen Biegesteifigkeit des Über- baus und verhinderte dadurch, dass die Überspannung einen nennenswerten Beitrag zur Lastabtragung leistet. Erst eine merkliche Reduzierung der Bauhöhe im Feldbereich und, damit einhergehend, eine Reduzierung der Biegesteifigkeit sorgten dafür, dass die Überspannung sich mehr an der Lastabtragung beteili-gen konnte. Die mit dieser Bauhöhe zu erzielende Querschnittstragfähigkeit war jedoch nicht ausreichend für die hohen Stützmomente. Aus jenem Grund war eine Voute zu den Pfeilern hin vorzuse-hen, die aufgrund ihrer vergleichsweise kurzen Länge nur in geringem Maße die Gesamtbiegesteifigkeit der Hauptträger beeinflusste.Die Stützweiten waren mit Ausnahme des südlichen Randfeldes nur gering zu verändern. Mit einer Vergrößerung der Hauptstützweiten von 152,50 m auf 157,50 m und einer Verringerung der ersten Innenfelder von 120 m auf 115 m war eine wirtschaftlichere Ausführung der gevouteten Hauptträger möglich. Der neue Pfeilerstandort für die Achse 50 konnte so um nochmals 5 m von der DB- Strecke 4600 abgerückt und Auswirkun-gen auf den Bahndamm bei der Herstel-lung der Gründung somit praktisch ausgeschlossen werden.Die Länge des südlichen Randfeldes er- wies sich mit den geplanten 73 m als zu lang und ließ keine wirtschaftliche Aus- führung zu. Die Stützweite wurde auf 61 m verringert, was der des nördlichen Randfeldes entspricht. Die damit einher- gehende Verschiebung des südlichen Widerlagers um ca. 12 m talwärts war bei den gegebenen Randbedingungen problemlos zu bewerkstelligen. 3 EntwurfDie ca. 670 m lange Neckartalquerung Horb wurde als sechsfeldrige Balkenbrü-cke entworfen und weist Spannweiten von 61 m, 115 m, 157,50 m, 157,50 m, 115 m und 61 m auf. Der Überbau wurde als überspannter, gevouteter Durchlaufträger konzipiert. Der Querschnitt ist ein zweistegiger Plat- tenbalken mit außenliegenden Stegen bzw. Hauptträgern in Stahlbetonbau-weise mit einer Konstruktionshöhe von 2,30 m in den Feldbereichen und maxi- mal 4,55 m an den Stützenachsen. Der gevoutete Abschnitt erstreckt sich auf eine Länge von 25 m beiderseits der Pfeilerachsen.

In den Feldbereichen zwischen den Vouten werden die Stege an der Unter- seite mit einem außenliegenden, bis zu 150 mm dicken Grobblech für die Auf- nahme der Zugspannungen infolge der positiven Feldmomente verstärkt. Das Grobblech ist über Kopfbolzendübel mit dem Stahlbetonquerschnitt verbunden. Das untenliegende Grobblech bietet die Möglichkeit, die Querschnittstragfähig-keit zu erhöhen, ohne im gleichen Maße die Biegesteifigkeit des Trägers zu erhö- hen. Die sehr schlanke Gestalt der Haupt- träger im Feldbereich von l/h ≈ 65 er- möglicht erst eine ausgewogene Last- abtragung zwischen Biegeträger und der Überspannung. Mit der Ausbildung einer Voute zu den Mittelpfeilern hin wird auf wirtschaftliche Art die erforder-liche Querschnittstragfähigkeit in den Stützbereichen geschaffen, ohne damit in nennenswertem Umfang die Steifig-keitsverhältnisse zu verändern. Die Seitenflächen der Hauptträger sind mit 9:1 geneigt und haben an der Unter- seite über die gesamte Brückenlänge eine konstante Breite von 2 m. Um eine robuste und wartungsarme Konstruktion zu erhalten, werden die Hauptträger massiv ausgeführt.Zwischen den Hauptträgern spannen Querträger in regelmäßigen Abständen von 4,20– 4,35 m, die zusammen mit den Hauptträgern als Trägerrostsystem fun- gieren. Die Querträger haben einen dicht-geschweißten Rechteckquerschnitt und werden an die Hauptträger über Kopf- platten mit Kopfbolzendübeln ange-schlossen. Die 35 cm dicke Fahrbahn-platte spannt von Querträger zu Quer- träger und kann unter Ausnutzung der Durchlaufwirkung wirtschaftlich bemes- sen werden. Über Kopfbolzendübeln auf dem Obergurt der Querträger wird ein Verbund mit der Fahrbahnplatte erzeugt. Die Neckartalbrücke Horb ist ein semi- integrales Bauwerk: Die drei mittleren Pfeiler in den Achsen 30, 40 und 50 sind monolithisch mit dem Überbau verbun-den und werden um 21,50 m über den

Überbau hinaus verlängert. In Querrich-tung sind sie als Rahmen konzipiert, wo- bei die beiden Stiele mit insgesamt drei vorgespannten Querriegeln verbunden sind.Die Überspannung besteht aus fünf Parallellitzenseilen nach jeder Seite und für jeden außenliegenden Hauptträger. Die harfenförmig angeordneten Seile sind mit ca. 18° zur Horizontalen geneigt und werden in den Pylonen fest veran-kert. Hierfür werden in den Pylonen vor- gefertigte Einbauteile aus Stahl, soge-nannte Ankerboxen, einbetoniert. An der Unterseite der Hauptträger sind Lisenen vorgesehen für die Verankerung der Seile. Diese Lisenen werden, vom Ende der Voute aus gerechnet, im Abstand von 8,60 m angeordnet und erzeugen eine elastische Unterstützung des Überbaus un- gefähr bei einem Drittel der Stützweite.Das Spannen der Seile erfolgt litzenweise von den Spannankern an den Hauptträ-gern aus.In den Achsen 20 und 60 befinden sich massive, rechteckige Pfeiler unter jedem Steg, die mit allseits beweglichen Kalot- tenlagern ausgestattet sind. Auf den Widerlagern wird eines der beiden längs- verschieblichen Lager in Querrichtung fest ausgebildet.Mit Ausnahme der Randpfeiler in Achse 60 und der westlichen Widerlagerhälfte in Achse 10 sind alle Unterbauten auf Groß- bohrpfählen mit einem Durchmesser von 1,50 m gegründet. Die Widerlager kommen als begehbare Kastenwiderlager zur Ausführung. Be- dingt durch den Überbauquerschnitt mit außenliegenden Stegen werden ihre Flügel nach innen versetzt, damit die Innenkante der Kappen mit jener der Flügelwände abschließt.Trotz ihrer relativ flachen Neigung von ca. 18° zur Horizontalen leisten die Seile aufgrund der schlanken Überbauausbil-dung einen merklichen Beitrag an der Abtragung der veränderlichen Lasten und weisen insofern ein Schrägseilbrücken vergleichbares Tragverhalten auf.

7 Detail: Seilverankerung eines Pylons © Leonhardt, Andrä und Partner AG

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Entsprechende Kriterien in der Richtlinie »Cable stays. Recommendation of French Interministerial Commision on Prestres-sing« (Setra, 2002) bestätigen diese Ein- schätzung, so dass für die Entwurfspla-nung die der Konzeption von Schrägseil-brücken zugrunde gelegten Sicherheits-konzepte angewandt wurden: Die Ein- wirkungen aus ständigen Lasten und Seilvorspannung werden als gemeinsame Einwirkung »G+P« mit γG,,sup = 1,35 für die Tragsicherheitsnachweise definiert, wobei auf der Widerstandsseite für die Seilbemessung größere Sicherheitsbei-werte angesetzt werden als beispiels-weise bei externen Spanngliedern. Das Tragverhalten des Überbauquer-schnittes wurde mit einem räumlichen Trägerrostmodell untersucht. Dabei zeigte sich, dass sich vom kürzesten Seil bis zur Torsionseinspannung an den monolithisch angeschlossenen Pfeilern in Achse 30, 40 und 50 ein großes Tor- sionsmoment aufbaut. Durch die Quer- träger in Stahlverbundbauweise in en- gen Abständen lassen sich diese, im Wesentlichen Verträglichkeitstorsions-momente, merklich reduzieren. Nichtsdestotrotz konnte der Nachweis der Druckstrebe mit den üblichen Rechen- ansätzen für Torsion bei einem massiven Querschnitt nicht erfüllt werden. Durch die Anordnung einer zusätzlichen inne- ren Bewehrung wurde die gleiche Tor- sionsbewehrung erzeugt wie bei einem Hohlkastenquerschnitt, womit sich rech- nerisch eine größere Wanddicke für die Torsionsnachweise ergab und die Tor- sionsbeanspruchungen nachgewiesen werden konnten. 4 Herstellung des ÜberbausIn der Entwurfsphase wurden bereits mögliche Bauverfahren für die Herstel-lung des Überbaus genauer untersucht und in der Planung berücksichtigt. Die Berücksichtigung des Herstellungsprozes-ses erwies sich als zwingend erforderlich bei diesem Bauwerk, um den tatsächli-chen Spannungszustand in den einzel-nen Bauteilen zu kennen und im Hinblick auf die Ausschreibung eine zuverlässige Grundlage für die Mengenermittlung zur Verfügung zu haben. Darüber hinaus lieferte die Berechnung des Bauablaufs erst die erforderlichen Eingangswerte für die Planung der Baubehelfe zur Herstel-lung des Überbaus, zum Beispiel für die Hilfsjoche und Hilfsgründungen. Der Überbau befindet sich in ca. 70 m Höhe über dem Talgrund und kreuzt mehrere Verkehrswege sowie den Neckar.

8 Statisches System © Leonhardt, Andrä und Partner AG

9 Baustoffe und Mengen © Leonhardt, Andrä und Partner AG

10 Bauablauf: Freivorbauverfahren © Leonhardt, Andrä und Partner AG

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124 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

In der Entwurfsplanung wurde deshalb zunächst vorgesehen, den mittleren Bereich der Brücke von den Achsen 30, 40 und 50 aus im Freivorbauverfahren zu errichten. Die Randbereiche auf beiden Seiten sollten mittels eines bodenge-stützten Traggerüstes ergänzt werden. Um die Bauzeit zu minimieren, wurde im Bereich des Freivorbaus eine räumliche Trennung der einzelnen Arbeitsschritte für die Herstellung eines Segmentes vor- gesehen. Die Freivorbaugeräte sollten dazu mit einem Vorläufer ausgestattet werden, um im vorderen Abschnitt die untenliegenden Stahlbleche einbringen und an das überstehende Stahlblech anschweißen zu können. Um weniger Schweißarbeiten auf der Baustelle aus- führen zu müssen, sollten die Bleche mindestens zwei Segmente lang sein. Im mittleren Abschnitt des Freivorbau-gerüstes wurde vorgeschlagen, die Stahlquerträger zu versetzen und an- schließend die Hauptträger zu betonie-ren. Im hinteren Abschnitt, auf einem Nachläufer, sollten die 13 cm dicken Stahlbetonhalbfertigteilplatten auf die Querträger gelegt und der 22 cm dicke Aufbeton ergänzt werden. Danach war geplant, das Freivorbaugerät vorzu- fahren, um die Hauptträger- und Fahr- bahnplattenabschnitte für das nächste Segment zu realisieren. Die Herstellung des Überbaus im Frei- vorbauverfahren bietet den Vorteil einer geringen Flächeninanspruchnahme im Tal und erfordert einen niedrigen Rüstmate-rialeinsatz. Als nachteilig sind hingegen die beengten Platzverhältnisse für die Ausführung der verschiedenen Bauleis-tungen bei der Herstellung eines Seg- mentes anzuführen. Im Hinblick auf eine geringe Bauzeit sind die einzelnen Ar- beitsschritte zeitlich eng aufeinander abzustimmen, hieraus rührt aber ein hohes Bauzeitenrisiko. Durch das beengte Arbeiten in großer Höhe ist das Unfall-risiko zudem als hoch einzuschätzen und erfordert deshalb umfangreiche Maßnahmen für die Gewährleistung der Arbeitssicherheit. Im Bauzustand erwiesen sich die frei stehenden Pfeiler mit langen Kragarmen nach ersten Unter- suchungen schwingungsanfällig, so dass Vorkehrungen zur Gewährleistung der aerodynamischen Stabilität nicht ausge- schlossen werden konnten. Um die Ver- formungen bei einseitiger Belastung zu verringern, wurde auf einer Seite jeweils eine Hilfsstütze angeordnet. Hierdurch ließen sich auch die hohen Beanspru-chungen in den Pfeilern während der Errichtung des Überbaus verringern. Neben dem Freivorbauverfahren wurde auch die abschnittsweise Herstellung des Überbaus auf Traggerüst untersucht.

11 Bauablauf: Traggerüst © Leonhardt, Andrä und Partner AG

Beginnend beim nördlichen Widerlager, war dabei vorgesehen, den Überbau in insgesamt fünf Abschnitten zu realisie-ren. Die Abstände der Hilfsjoche für das Traggerüst wurden mit ca. 30 m festge-legt, so dass die Distanzen zu den zu über- brückenden Verkehrswegen genügend groß ausfallen. Im Bereich vor Achse 30 bis nach Achse 50 werden jeweils Ab- schnitte, welche von Feldmitte bis Feld- mitte reichen, eingerüstet, was einer Ab- schnittslänge von ca. 160 m entspricht. Nach dem Herstellen eines Überbauab-schnittes mit einer Überspannung wer- den die Kabel in selbigem gespannt. Das Betonieren eines eingerüsteten Abschnit-tes ist in mehreren Schritten geplant. Zunächst soll im Bereich der Pfeiler ein ca. 10 m langer Überbauabschnitt her- gestellt und anschließend der gesamte gevoutete Überbauabschnitt ergänzt werden. Damit wird die Möglichkeit ge- schaffen, parallel zur weiteren Bauab-folge bereits die Betonmasten errichten und die Kabelverankerungen montieren zu können. Die Montage dieses ersten Traggerüstabschnittes links und rechts der Pfeiler erfolgt im gleichen Zeitraum, in welchem im vorherigen Abschnitt die Grobbleche verlegt, die Kabelveranke-rung eingebracht und dann die Über-

bauabschnitte bis zur Feldmitte ergänzt werden. Damit wird erreicht, dass gleich- artige Tätigkeiten, wie das Verlegen und Verschweißen der Grobbleche oder das Bewehren und Betonieren des Überbaus in großem Umfang, zeitgleich und weit- räumig voneinander getrennt durch-geführt werden können. Die Untersuchungen zeigten, dass sich gegenüber der Herstellung im Freivor-bauverfahren bei einer abschnittsweisen Herstellung auf Traggerüst die Bauzeit um rund ein Jahr verkürzen lässt. Mit einer abschnittsweisen Herstellung auf Trag- gerüst sind deutlich weniger Arbeits-schritte aufeinander abzustimmen, so dass das Bauzeitenrisiko geringer zu be- werten ist, zumal die einzelnen Arbeits-schritte auch großräumig voneinander getrennt ausgeführt werden können. Bei einem stationären Arbeitsgerüst stehen ausreichende Arbeitsflächen zur Verfü- gung, und Sicherheitseinrichtungen las- sen sich einfacher montieren als bei ver- fahrbaren Gerüsten. Damit ist auch das Unfallrisiko als niedriger zu bewerten. Die Flächeninanspruchnahme ist bei der Herstellung auf Traggerüst wegen der erforderlichen Hilfsjoche aber deutlich größer und als Nachteil zu nennen. Mit der Herstellung auf Traggerüst ist zudem

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ein sehr viel höherer Rüstmaterialeinsatz verbunden, was höhere Kosten im Ver- gleich zum Freivorbau verursacht. Die zusätzlichen Kosten für die Gründungen der Hilfsjoche sind ebenfalls zu beachten und bei einer Bewertung als nachteilig einzustufen. Gegenüber dem Freivorbauverfahren überwiegen jedoch die Vorteile bei einer abschnittsweisen Herstellung auf einem bodengestützten Traggerüst, weshalb geplant ist, jene Variante weiterzuver-folgen. 5 ZusammenfassungAls Ergebnis einer früheren Machbarkeits-studie wurde eine ca. 670 m lange Hoch- brücke mit Überspannungen der Haupt- felder vorgeschlagen. Im Rahmen der Entwurfsbearbeitung wurde dieser Vorschlag in wesentlichen Punkten geändert bzw. überarbeitet: Das betraf die Standorte der Unterbauten, die Ausführung des Überbauquerschnittes, die Planung eines gevouteten Überbaus

anstelle der Lösung mit konstanter Bau- höhe sowie sämtliche Details für die Überspannung. Die Entwurfsbearbeitung wurde geleitet durch den hohen An- spruch an die Gestaltung des Bauwerks, gleichzeitig sollte aber die Wirtschaftlich-keit nicht aus den Augen verloren werden. Die neue Neckartalbrücke wird das Tal in ca. 70 m Höhe überqueren, entworfen wurde sie als sechsfeldrige Extradosed Bridge mit Überspannungen der Haupt- felder. Der Querschnitt ist ein zweistegi-ger Plattenbalken mit massiven außen-liegenden Stegen bzw. Hauptträgern in Stahlbetonbauweise mit einer Bauhöhe von 2,30 m in den Feldbereichen und maximal 4,55 m in den Stützenachsen. Durch die sehr geringe Bauhöhe für die Feldbereiche und die nur ca. 25 m lan- gen Vouten zu den Pfeilern hin konnte die Biegesteifigkeit des Durchlaufträgers so weit reduziert werden, dass sich eine ausgewogene Abtragung der veränder-lichen Lasten über den Träger und die

Überspannungen einstellen kann. Für die Aufnahme von Zugspannungen in den Feldbereichen wurde an der Quer- schnittsunterseite ein bis zu 150 mm dickes außenliegendes Grobblech vor- gesehen. Bei der geplanten Bauweise für die Längsträger ließ sich die Bauhöhe so um ≥ 1 m reduzieren und damit ver- hindern, dass die Abtragung der ver- änderlichen Lasten zu stark und insofern unwirtschaftlich über den Überbau erfolgt.Für die Ausführung des Überbaus wur- den bereits in der Entwurfsplanung zwei mögliche Bauverfahren genauer unter- sucht. Hierbei zeigte sich, dass die ab- schnittsweise Errichtung mit einem bodengestützten Traggerüst als vorteil-haft zu bewerten ist im Vergleich zu einer Herstellung der mittleren Abschnitte im Freivorbauverfahren; bei beiden Bauver- fahren werden die Randbereiche mittels eines bodengestützten Traggerüsts reali- siert. Trotz höherer Materialkosten für das bodengestützte Traggerüst erweist sich dieses Vorgehen als die wirtschaftlichere Lösung, da so eine wesentlich kürzere Bauzeit realisiert werden kann.

Autoren: Dipl.-Ing. Holger HaugDipl.-Ing. Christoph MaulhardtLeonhardt, Andrä und PartnerBeratende Ingenieure VBI AG,Stuttgart

BauherrRegierungspräsidium Karlsruhe

Entwurfsplanung und AusschreibungLeonhardt, Andrä und Partner Beratende Ingenieure VBI AG, Stuttgart

12 Neckartalbrücke Horb als Visualisierung © Leonhardt, Andrä und Partner AG

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126 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Variantenuntersuchung und Entwurf

Neckarbrücke Benningen von Holger Haug, Marc Schumm

Zur Entlastung des Ortskerns von Benningen sowie der alten Neckar-brücke und zur Entzerrung des Verkehrsknotenpunkts der L 1138 Freiberg am Neckar–Marbach am Neckar mit der K 1672 Ludwigs-burg–Marbach am Neckar wird die L 1138 als Ortsumfahrung neu ge- baut. Kernstück dieser ca. 1,20 km langen Ortsumfahrung ist die Er- richtung einer Neckarbrücke, die im Grundriss in einem Radius von R = 125 m den Fluss überquert. Bei ihrer Planung war unter anderem die neue Generation von 135 m langen Binnenschiffen zu berück-sichtigen, die im Bereich der Neckar-schleife eine Breite des einzuhalten-den Lichtraumprofils von 60 m er- forderlich machen. Nachfolgend wird auf die Variantenuntersuchung im Rahmen der Vor- sowie auf die Entwurfsplanung des dreifeldrigen semiintegralen Rahmenbauwerks in Stahlverbundbauweise eingegan-gen. Die Brücke wurde Ende 2018 ausgeschrieben, Baubeginn wird Anfang 2019 sein. Es wird mit einer Bauzeit von zwei Jahren gerechnet. Die Ausschreibung des Straßenbaus erfolgt getrennt, er soll etwa ein Jahr nach Beginn des Brückenbaus starten. Die Fertigstellung der ge- samten Ortsumfahrung ist bis September 2021 geplant.

1 Projekt und LageDie Gemeinde Benningen am Neckar be- findet sich im Landkreis Ludwigsburg in Baden-Württemberg, ca. 20 km nördlich von Stuttgart und in einer nach Westen geöffneten Flussschleife. Der Ortskern liegt in dieser Schleife, auf der Nordseite des Neckars folgt das Gewerbegebiet Krautlose, das nach Norden durch den Prallhang des Neckars begrenzt wird.Die Gemeinde Benningen wird, von Nor- den anfahrend, über die Landesstraße L 1138 erschlossen. Die in die Jahre gekommene bestehende dreifeldrige Spannbetonbrücke weist zahlreiche Schäden auf und ist auf ein zulässiges Gesamtgewicht von 12 t beschränkt. Weiterhin treffen hier die beiden wichti- gen überörtlichen Verbindungsstraßen, die L 1138 aus Richtung Freiberg am Neckar und die K 1678, von Ludwigs- burg aus verlaufend, aufeinander, so dass sich im ohnehin beengten Ortskern ein hohes Verkehrsaufkommen mit starken Verkehrsbeeinträchtigungen ergibt. Zur Entlastung des Ortskerns sowie der vorhandenen Neckarbrücke plant das Land Baden-Württemberg als Straßen-baulastträger die neue Ortsumfahrung als Gesamtbaumaßnahme nördlich bzw. nordwestlich der Ortslage von Bennin-gen.

Ihre Streckenführung sieht vor, dass die L 1138 von den Sportanlagen und damit westlich vor dem Ortseingang nach Nor- den schwenkt und im Bereich des Neckar- vorlandes in einer Rechtskurve den Fluss mit einer konstanten Krümmung über- quert. Im weiteren Verlauf zieht sie sich durch das Gewerbegebiet Krautlose parallel zum Neckar in östlicher Richtung, und zwar bis zur Einmündung der Lud- wigsburger Straße, der L 1138, unterhalb der Weinberge, um sich dann in Richtung Marbach am Neckar fortzusetzen. Nörd- lich der alten Neckarbrücke wird der neue Knotenpunkt mit der L 1138 als Kreisver-kehr ausgebildet. Die neue Neckarquerung ist nach Nord- osten orientiert und liegt ca. 600 m west- lich der vorhandenen Flussbrücke, sie hat im Grundriss eine geschwungene Trassierung. Die Fahrbahn der geplanten Ortsumfah-rung wird in der Regel mit einer Breite von 7,25 m im Streckenbereich bzw. mit 8,00 m auf der Neckarbrücke ausgebildet. Die ca. 1,20 km lange Ortsumfahrung wird im Westen mit einer Einmündung mit Linksabbiegestreifen an die beste-hende L 1138 und im Osten mit einem neuzuerstellenden Kreisverkehrsplatz an das vorhandene Straßennetz ange-schlossen.

1 Lage der Gemeinde Benningen am Neckar © www.googlemaps.de

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1271/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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Im Rahmen des Baurechtsverfahrens wurden die Auswirkungen der neuen Ortsumfahrung auf den Hochwasserab-fluss in einem Untersuchungsbericht des Instituts für Wasser und Gewässerent-wicklung der Technischen Universität Karlsruhe dokumentiert. Hierbei konnte sichergestellt werden, dass die vorhan-denen Neckarauen im Kreuzungsbereich als Retentionsflächen im Überschwem-mungsfall ausreichend sind und die Aus- wirkungen auf den Hochwasserabfluss bei Rückstaueffekten von maximal 4–6 cm vergleichsweise gering sein werden.

2 Entwurf2.1 Bauwerksvarianten Die neue Neckarbrücke verläuft in nord- östlicher Richtung und hat im Grundriss eine geschwungene Trassierung, die am Bauwerksanfang südlich des Neckars in einer Wendeklothoide mit A = 85 m er- folgt, die dann in eine Klothoide mit A = 67,50 m übergeht. Daran schließt ein konstanter Radius von R = 125,00 m an, mit dem der Neckar in einem Bogen überquert wird. Dementsprechend ergibt sich ein Querneigungswechsel auf dem Bauwerk von ca. - 2,50 % an dessen An- fang über 0,00 % im Scheitelpunkt bis hin zur konstanten Querneigung von

+ 7,00 %. Die Gradiente bildet im Bau- werksbereich eine Kuppe mit einem Aus- rundungsradius von 2.500 m und einem symmetrischen Längsgefälle von jeweils 5,00 %, der Scheitelpunkt befindet sich in der Neckarachse.Das Lichtraumprofil im Bereich der Neckarbrücke mit einer Höhe von 6,30 m über HSW (= +190,87 m NN) ist freizu-halten. Um die Breite dieses Lichtraum-profiles in der Neckarkurve auch für die neueste Generation der Binnenschiffe mit 135 m Länge und 16,50 m Breite, also für sogenannte Europaschiffe, festlegen zu können, wurden durch das Bundes-amt für Wasserbau (BAW) umfangreiche Schleppkurven berechnet und ausgewer-tet. Im Ergebnis war das Lichtraumprofil im Brückenbereich über eine Breite von 60 m freizuhalten.Ziel der Entwurfsbearbeitung war es, im Hinblick auf Lage und Gestaltung eine Brücke zu konzipieren, die sich harmo-nisch in die Landschaft einfügt und sich wirtschaftlich herstellen und unterhalten lässt. Dazu wurden in Form einer umfang- reichen Variantenuntersuchung verschie-dene Lösungsmöglichkeiten verglichen, wobei folgende, grundsätzlich mögliche und geeignete Alternativen betrachtet und bewertet wurden:– Variante 1: Durchlaufträgerbrücke mit konstanter Bauhöhe– Variante 2: gevoutete Durchlauf- trägerbrücke– Variante 3: Balkenbrücke mit Abspannung– Variante 4: gevoutete Rahmenbrücke– Variante 5: Bogenbrücke

2 Ortsumfahrung Benningen und neue Neckarquerung © BIT Ingenieure AG

3 Untersuchung von Varianten © Leonhardt, Andrä und Partner AG

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128 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Unter Berücksichtigung des Erschei-nungsbilds der Brücke, der Wirtschaftlich-keit, des Herstellverfahrens und insbe-sondere der Möglichkeit zur Absenkung der Gradiente über dem Neckar und so- mit der Minimierung der Straßendämme in den Vorlandbereichen wurde in Ab- stimmung mit dem Regierungspräsi- dium Stuttgart, die Variante 4 »Gevoutete Rahmenbrücke« als Vorzugslösung festgelegt.

2.2 Vorzugslösung: gevoutete RahmenbrückeDas dreifeldrige Brückenbauwerk ist ein semiintegraler Zweigelenkrahmen, mit je einem angeschlossenen Seitenfeld und einem ausgeprägt gevouteten Überbau. Die Voute wird als wesentliches Gestal-tungselement im Bereich der Unterstüt-zungsachsen in einen durchlaufenden Überbauriegel und Schrägstiele aufge-

löst. Die Stützweiten betragen 54,50 m, 86,00 m und 54,50 m (Lges = 195 m). Der Überbau hat eine Konstruktionshöhe von 1,90 m in Feldmitte und in den Auf- lager- wie Stützenachsen, er weist in Feldmitte somit eine Schlankheit von 86/1,90 = 1/45 auf. Zu den Schrägstielen hin wird er entsprechend angevoutet.

4 5 Längsschnitt und Grundriss © Leonhardt, Andrä und Partner AG

6 Regelquerschnitt © Leonhardt, Andrä und Partner AG

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1291/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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Der Überbau wird durchgängig als luft- dicht verschweißte Stahlverbundkons-truktion mit Hohlkastenquerschnitt aus- geführt. Das Bodenblech des Kastens ist horizontal konzipiert, die Stege werden mit ca. 1:15 nach außen geneigt. Die Stege und der Untergurt des Stahlkas-tens gehen monolithisch in die Seiten-flächen der Schrägstiele über. Das durch- laufende Gesimsband wird ausgerundet, so dass sich eine optische Untergliede-rung des Bauwerks in der Ansicht ergibt.Die Fahrbahnplatte im Bereich des Stahl- kastens ist 45 cm dick. Die 3,80 m langen Kragarme haben am Anschnitt eine Dicke von 45 cm, die zu Kragarmende auf 25 cm abnimmt. Die Kragarme können ohne Quervorspannung ausgeführt werden.

Bei der Ausführung der Stahlkonstruktion ist unter anderem zu beachten, dass das Deckblech des geschlossenen Stahlhohl-kastens der Querneigung der Straßenpla-nung folgt und sich daher im Bereich der Wendeklothoide von ca. -2 % und + 7 % verwindet: ein Aspekt, der bei Werkstatt-planung und Fertigung zu berücksichti-gen ist. Durch eine entsprechende Ferti- gung der Querschotte und gegebenen-falls eine gezielte Behandlung mit Wär- mepunkten im Rahmen des Zusammen-schweißens des Hohlkastens sollte dies jedoch problemlos möglich sein.Die Schrägstiele als Teil der aufgelösten Voute des Überbaus werden senkrecht zur Bauwerksachse angeordnet und monolithisch an die Pfahlkopfplatten angeschlossen, in Brückenquerrichtung werden sie von ca. 4 m an der Unterkante des Überbaus auf ca. 5 m an der Ober-kante des Fundaments aufgeweitet. In der Brückenansicht verjüngen sie sich von oben nach unten von ca. 1,90 m auf 0,80 m.

Aufgrund der semiintegralen Bauweise hat die Steifigkeit der Gründung einen entscheidenden Einfluss auf das Trag- und Verformungsverhalten des Bauwerks. Für die Schrägstiele in den Pfeilerachsen 20 und 30 wurde daher eine setzungsun-empfindliche Gründungsart jeweils auf sechs Großbohrpfählen mit d = 1,50 m und einer Länge von ca.10,00 m sowie einer 2,00 m dicken Pfahlkopfplatte im oberen Muschelkalk gewählt.Zur Reduktion der Zwangsbeanspruchun-gen musste weiterhin eine horizontale Nachgiebigkeit der Pfeilergründungen gewährleistet werden, weshalb die Bohr- pfähle auf den oberen 5 m konisch ge- formt und mittels Schutzrohr vom Erdreich isoliert (doben = 1,16 m, dunten = 1,33 m) werden. Da der Grundwasserstand in etwa mit dem Wasserspiegel des Neckars korrespondiert, werden zur Herstellung der Pfahlkopfplatten in den Pfeilerachsen ein wasserdichter Spundwandverbau bis in den oberen Muschelkalk sowie eine 1,20 m dicke Unterwasserbetonsohle erforderlich.

7 Wechselnde Querneigung im Bereich der Wendeklothoide © Leonhardt, Andrä und Partner AG

8 Aufgelöste Voute mit Schrägstielen © Leonhardt, Andrä und Partner AG

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130 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Am Anschluss der Schrägstiele an die Stummelpfeiler in den Achsen 20 und 30 wird der Stahlhohlkastenquerschnitt wegen dessen eingeschränkter Zugäng-lichkeit und der dichten Bewehrungsan-ordnung mittels selbstverdichtenden Betons (SVB) der Güte C 60/75-SVB im unteren Bereich auf einer Länge von 2,50 m ausbetoniert. An der Oberkante des ausbetonierten Abschnitts wird ein Montagestoß für den Stahlquerschnitt vorgesehen sowie als Abschluss des Betonkörpers ein Querschott angeord-net. Zum Einbringen des SVB sind ent- sprechende Rohre bzw. Öffnungen sowie Entlüftungsöffnungen an den Hochpunk-ten einzuplanen. Der untere Teil der Stiele wird zusammen mit dem Stummelpfeiler, das heißt ohne Arbeitsfugen, hergestellt. Die Fuge zwi- schen den endenden Stahlblechen der Stiele und dem Betonkörper wird mit einem dauerelastischen Zweikomponen-tenkitt auf PUR-Basis, der mit dem Be- schichtungssystem verträglich und überstreichbar ist, verschlossen.

10 Temperaturbeanspruchung +∆TN © Leonhardt, Andrä und Partner AG

2.3 Globales TragverhaltenDas globale Tragverhalten entspricht dem eines Zweigelenkrahmens mit beidersei-tigen Endfeldern. Dies wird an der der Verformungsfigur unter einer gleichmäßi-gen Temperaturänderung +∆TN deutlich (Bild 10). Hierbei können die Zwangsbe-anspruchungen durch eine Vertikalver-formung (»Aufatmen«) des Überbaus und die horizontale Nachgiebigkeit der Pfeilergründungen abgebaut werden.Im Bereich der »aufgelösten Voute« wird bei der vorliegenden Konstruktion das Stützmoment des Dreifeldträgers in Druckkräfte in den Schrägstielen und in eine Zugkraft im Überbau aufgelöst,

wodurch sich die Momentenbeanspru-chung im Überbau deutlich verringert und somit eine ausgesprochen schlanke und filigrane Gestaltung erzielt wird.Eine weitere Besonderheit der Neckar-brücke Benningen ist die ungewöhnlich große Grundrisskrümmung des Überbaus von R = 125 m. Aus ihr resultieren Tor- sionsbeanspruchungen, die bei der Be- messung des Überbaus und der Quer-schotte zu berücksichtigen sind. Weiter- hin führt die Druckbeanspruchung des Überbaus als Rahmenriegel zu Horizon-tallasten, welche ebenfalls Torsionsbean-spruchungen in den Schrägstielen und Gründungen hervorrufen.

9 Anschluss: Schrägstiele an Stummelpfeiler© Leonhardt, Andrä und Partner AG

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11 Bauablauf © Leonhardt, Andrä und Partner AG

2.4 BauablaufNachfolgend wird der vorgesehene Bau- ablauf kurz beschrieben.Gründungen: Nach Herstellung der Bau- stellenzufahrten und -straßen innerhalb der Baustelle müssen entsprechende Bohrebenen geschaffen werden. Nach Einbringen der Großbohrpfähle erfolgt die Errichtung der Baugrubenverbauten in den Achsen 20 und 30, um sie teilweise unter Wasser ausheben zu können. Dann wird die Unterwasserbetonsohle ausge- führt und die Baugrube gelenzt, wonach sich die Herstellung der Pfahlkopfplatten anschließt. Parallel werden die Funda-mente für die Hilfsstützen im Vorland-bereich gebaut.Unterbauten: In den Achsen 20 und 30 erfolgen die Herstellung der Stummel-pfeiler einschließlich des ersten Stahlseg- ments der Schrägstiele und das Vergie- ßen mit SVB. Parallel dazu werden die aufgehenden Wände der Widerlager und der Stützwand errichtet sowie die Bau- grube verfüllt und der Straßendamm hergestellt.

Randfelder des Überbaus: Zunächst be- ginnt die Errichtung der Hilfsstützen. Nach Anlieferung der einzelnen Überbau-segmente mit dem Tieflader werden sie zu Einbaueinheiten vormontiert. Danach werden die Schrägstiele auf der Landseite auf Hilfsstützen mittels Autokran mon- tiert, gefolgt von der Kranmontage der Endfelder auf Hilfsstützen bzw. Hilfsla-gern und des Mittelteils zwischen den Schrägstielen sowie der Montage der Schrägstiele auf der Neckarseite.Mittelstück des Überbaus (Lückenschluss): Das Mittelstück (Länge ~ 46,60 m, Grund- risskrümmung R = 125 m, Gewicht ~145 t) wird auf einem Vormontageplatz zusam- mengefügt, auf einen Schwimmponton verladen und eingeschwommen. Nach dem Einbau von Litzenhebevorrichtun-gen im Bereich der Kragarmenden kann das Mittelstück dann über dem Neckar eingehoben werden. Vorgesehen ist zu- nächst seine temporäre Verschlosserung sowie das Verschweißen der Baustellen-stöße. Hierbei werden sogenannte Fens-

terstöße aufgrund der Unverschieblich-keit der Vorlandbereiche in Brückenlängs-richtung erforderlich. Überbau, Fahrbahnplatte: Nach dem Ein- bau der Lager an den Widerlagern erfolgt die Herstellung der Endquerträger zu- sammen mit der abschnittsweisen Fer- tigung der Fahrbahnplatte mittels Schal- wagen. Im Anschluss werden die Hilfs- stützen ausgebaut.Brückenausstattung: Der Realisierung umfasst das Herstellen der Kappen, Geländer, Übergangskonstruktionen und Brückenentwässerung, außerdem Abdichtungs- und Belagsarbeiten, Korro- sionsschutz- und Beschichtungsarbeiten sowie weitere Restarbeiten.

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132 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

12 Statisches System im räumlichen Stabwerksmodell © Leonhardt, Andrä und Partner AG

2.5 Statische Berechnung Die globalen Schnittgrößen werden an einem räumlichen Stabwerk berechnet (Bild 12). Um das Zusammenwirken von Bauwerk und Baugrund darstellen zu können, werden die Gründungen in den Pfeilerachsen im globalen System mit ihren entsprechenden horizontalen und vertikalen Steifigkeiten angesetzt. Hierbei werden auch Grenzwertbetrachtungen mit oberen und unteren Steifigkeiten durchgeführt. Die gerissenen Bereiche der Fahrbahnplatte werden über eine Reduktion der Steifigkeit in der statischen Berechnung berücksichtigt, lokale D-Be- reiche mit Finite-Elemente-(FE-)Modellen abgebildet und nachgewiesen (Bild 13).

3 ZusammenfassungDie neue Neckarbrücke Benningen überzeugt durch ihre im Grund- und Aufriss geschwungene Form und den gevouteten Überbau mit einer äußerst geringen Bauhöhe in Flussmitte. Sie wird sich, wie die nachfolgenden Visualisierun-gen zeigen, in gestalterischer Hinsicht äußerst harmonisch in das Landschafts-bild der Neckaraue einfügen.

Die Eleganz dieser Konstruktion wird durch die Erlebbarkeit des untenliegen-den Tragwerks aufgrund der Krümmung der Brücke im Grundriss offenkundig. Bei der gevouteten Rahmenstruktur wird durch die V-förmig aufgelösten Unterstüt-zungen an beiden Flussufern ein räum- liches, skulpturales Bauwerk geschaffen, das seiner ortsbildprägenden, identitäts-stiftenden Funktion gerecht werden wird.

14 Flussquerung als Fotomontage © Leonhardt, Andrä und Partner AG

13 Lokales FE-Modell einer Rahmenecke © Leonhardt, Andrä und Partner AG

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1331/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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15 Visualisierung der neuen Neckarbrücke Benningen © Leonhardt, Andrä und Partner AG

In technischer Hinsicht weist die Neckar- brücke Benningen einige Besonderheiten und Neuerungen auf, wie zum Beispiel die semiintegrale Ausführung mit den monolithisch an die Stummelpfeiler an- geschlossenen Schrägstielen und deren Pfeilerherstellung mit selbstverdichten-dem Beton.

Eine weitere Besonderheit ist der luft- dicht verschweißte Stahlverbundüberbau mit den Übergängen bzw. Rahmenecken zu den Schrägstielen. Weiterhin sind die Grundrisskrümmung mit R = 125 m und die Wendeklothoide mit Querneigungs-wechsel auf der Brücke wesentliche Entwurfsmerkmale.

Autoren:Dipl.-Ing. Holger HaugDipl.-Ing. Marc SchummLeonhardt, Andrä und PartnerBeratende Ingenieure VBI AG, Stuttgart

BauherrRegierungspräsidium Stuttgart

Entwurf, Ausschreibung, Ausführungsplanung Leonhardt, Andrä und Partner Beratende Ingenieure VBI AG, Stuttgart

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134 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Entwurf und bauliche Umsetzung

Ersatzneubau Schiersteiner Rheinbrücke der A 643 von Harald Mank, Alwin Dieter

Die Schiersteiner Rheinbrücke ist mit rund 1.285 m die längste hessi- sche Straßenbrücke. Sie übernimmt dabei eine bedeutende Funktion bei der Erschließung der Wirtschafts-räume Rheinland-Pfalz und Hessen. Als Bestandteil der Bundesautobahn A 643 bildet das Bauwerk mit der A 60 ab Dreieck Mainz zusammen mit den Bundesautobahnen A 671 und A 66 den Mainzer Ring. Der bisherige Brückenzug überspannt mit fünf Teilbauwerken das Vorland und zwei schiffbare Stromarme des Rheins sowie die Insel Rettbergsaue. Die Überbauquerschnitte der Strom- brücken waren als Ganzstahlkon-struktionen mit orthotroper Fahr- bahnplatte konzipiert worden, die Überbauquerschnitte der verblei-benden drei Teilbauwerke bestan-den aus einem offenen Stahlver-bundquerschnitt mit quer vorge- spannter Betonfahrbahnplatte. Der notwendig gewordene Ersatz-neubau befindet sich derzeit in Realisierung.

1 Notwendigkeit des ErsatzneubausDie Verkehrsbelastung für die Bestands-brücke wurde ursprünglich mit maximal 23.000 Kfz/24 h abgeschätzt. Daher wurde das Bauwerk in der Breite mit zwei Fahr- streifen zuzüglich Standstreifen je Fahrt- richtung dimensioniert. Mittlerweile ist die Verkehrsbelastung auf ca. 80.000 Kfz/24 h mit einem Lkw-Anteil von 8 % angewach-sen. Zukünftig ist nach einer Prognose sogar mit 97.000 Kfz/24 h bei überpro-portional ansteigendem Schwerlastanteil zu rechnen. Alleine aus Kapazitätsgrün-den ist deshalb der Ersatz des Bauwerks mit einem leistungsfähigeren Querschnitt, der jeweils drei Fahrstreifen plus Stand- streifen je Fahrtrichtung umfasst, zwin- gend erforderlich.Darüber hinaus wurden gravierende Schäden am Bauwerk festgestellt, die dem hohen Schwerlastanteil geschuldet sind.

Die Verbundbrücken der Schiersteiner Brücke wiesen im Altbestand im Bereich der Fahrbahnplatten erhebliche Schäden auf. Durch den jahrzehntelangen Tau- salzeintrag bei zugleich unzureichender Betondeckung ist beispielsweise Chlorid bis 12 cm tief in den Beton vorgedrungen und hat die Querspannglieder beschä-digt.An den als Ganzstahlbrücken errichteten Teilbauwerken wurden bei Bauwerksprü-fungen unter anderem zahlreiche Risse an den Schweißnahtanschlüssen der Längsrippen an die Querträgerstege vor- gefunden. Nach Auswertung der Mate- rial- und Schweißnahtprüfungen zeigte sich, dass das Grundmaterial zwar von der Festigkeit der Güte eines Werkstof- fes S 355 entsprach, jedoch die Anforde-rungen in Dickenrichtung (sogenannte Z-Güten) nicht erfüllt waren. Auch die Schweißnahtgüten entsprachen nicht den heutigen Anforderungen an die Nahtgüte B gemäß DIN EN ISO 5817. Zusätzlich zu den Material- und Schweiß-nahtdefiziten wurden bei den Stößen der Trapezhohlsteifen an die Querträger bis 40 mm Versatz festgestellt.

1 Lageplan: Mainzer Ring im Bundesautobahnnetz © TOP 50/Hessen Mobil

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Aufgrund des extrem schnellen Scha-denszuwachses an den Ganzstahlbrücken wurde die Restnutzungsdauer zeitlich beschränkt. Darüber hinaus hätte eine grundhafte Sanierung bzw. ein Ersatz der Fahrbahnplatten an den Verbundbrücken nur unter Vollsperrung durchgeführt wer- den können, da der vorhandene Überbau aus einem einteiligen Querschnitt mit vier Fahrstreifen und zwei Standstreifen besteht bzw. bestand. In Summe war der Ersatzneubau sowohl aus verkehrlichen als auch aus Gründen der Standsicherheit zwingend erforderlich.

2 Gestaltungswettbewerb2.1 WettbewerbsgrundlagenFür den Ersatzneubau der Schiersteiner Brücke fand ein Gestaltungswettbewerb statt. Die Auslobung erfolgte nach den Grundsätzen und Richtlinien für Wettbe-werbe der Raumordnung, des Städtebaus und des Bauwesens (GRW 1995) in der Fassung von 2003. Darin war vorgeschrie-ben, dass in einer Arbeitsgemeinschaft von Bauingenieur und Architekt unter der Federführung des Bauingenieurs zusam- mengearbeitet werden musste. Abzuge-ben waren Erläuterungsbericht, Kosten-berechnung, Pläne, die Visualisierung des Entwurfs sowie eine Vorstatik.

2.2 Wettbewerbsaufgabe [1]Die Wettbewerbsaufgabe war im Wesentlichen durch das im überwiegen-den Teil des Planungsgebietes ausgewie-sene FFH-Gebiet, das Vogelschutz- sowie das Naturschutzgebiet geprägt. Die Insel Rettbergsaue bietet Lebensraum für zahl- reiche Brut- und Rastvögel. Aus einem avifaunistischen Gutachten ging hervor, dass die Vögel das bestehende Brücken-bauwerk in der Regel in einem Korridor überfliegen. All dies ist naturschutzrecht-lich von sehr hoher Bedeutung und mün- dete in folgende Wettbewerbsregeln:

– Die zu planenden Brücken sollten von möglichst wenig Grundpfeilern oder Pylonen getragen und diese sollten nach Möglichkeit nicht im FFH-Gebiet platziert werden.

– In den Uferbereichen sowohl auf rhein-land-pfälzischer als auch auf hessischer Seite und ebenso im Bereich der Rett- bergsaue sollten keine geschützten Lebensraumtypen in Anspruch ge- nommen werden.

– Prioritäre Lebensräume durften nicht beeinträchtigt werden.

– Tabuzonen zur Errichtung von Brücken-pfeilern waren zu beachten.

– Eventuelle Verseilungen der neuen Brücken waren so zu wählen, dass sie kein massives Hindernis für die Avifauna darstellen.

– 10 m oberhalb der Brücken waren Flugkorridore offen zu halten, um einen ungestörten Flug für die Avifauna zu gewährleisten.

– Die Farbgebung der zu planenden Brücken war so zu wählen, dass sie von der vorkommenden Avifauna wahrgenommen werden kann.

4 Bestandsquerschnitt mit Versatz der Trapezhohlsteifen © Hessen Mobil

2 3 Schäden und Sanierung der Längstrapezsteifen © Horst Surbeck

– Auf eine Beleuchtung der Brücke sollte nach Möglichkeit verzichtet werden, damit ein zusätzliches Kollisionsrisiko durch Anlockung, Blendung, Irritation oder Ablenkung vermieden wurde.

– Es sollte ein Bauablauf mit möglichst wenig Eingriffen in die bestehenden Natura-2000-Gebiete und in die Uferbereiche gewählt werden.

– Abschließend waren folgende Aufla-gen der Wasser- und Schifffahrtsver-waltung zu berücksichtigen:

– keine Einschränkungen der vorhan- denen lichten Weite von 200 m im nördlichen Rheinarm durch Strom- pfeiler; – keine Strompfeiler im Mombacher Arm; – lichte Durchfahrtshöhe für die Schifffahrt von 9,10 m über dem höchsten schiffbaren Wasserstand; – radargerechte Gestaltung der Bauwerke.

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2.3 WertungskriterienAus den genannten Wettbewerbsbedin-gungen ergaben sich folgende Beurtei-lungskriterien mit nachstehenden Wertigkeitsvorgaben:– Standsicherheit und Robustheit 20 %– Realisierbarkeit der Konstruktion und Bauverfahren 10 %– Dauerhaftigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Nachhaltigkeit 10 %– Wirtschaftlichkeit 15 %– Unterhaltung und Prüfbarkeit 10 %– Umweltverträglichkeit 20 %– Gestaltung und Einbindung in das städtische Umfeld 10 %– Innovation 5 %

2.4 WettbewerbsergebnisUnter der Leitung des Bundesministe-riums für Verkehr und digitale Infrastruk-tur (BMVI) ist im Dezember 2007 der Wettbewerbssieger ermittelt worden. Den ersten Platz belegte das Ingenieur-büro Grontmij mit dem Architekten Ferdinand Heide, beide Frankfurt am Main.Der Siegerentwurf, eine Deckbrücke, zeichnet sich durch eine einfache Bau- weise und die an die Umgebung ange- passte Gestaltung aus. Die Zugänglichkeit des Bauwerks wie der damit verbundene künftige Wartungs- und Unterhaltungs-aufwand sind voraussichtlich gering. Der Entwurf stellt sowohl in der Unterhaltung als auch bezüglich der Herstellungskos-ten die wirtschaftlichste Lösung dar.

5 Visualisierung des Siegerentwurfs © Ferdinand Heide

6 7 Neue Rheinbrücke Schierstein in Grundriss und Längsschnitt © Hessen Mobil

In Betrachtung der Umweltverträglichkeit ist die gewählte Bauweise optimal, da sich durch den flachen Überbau keine Einschränkungen auf die Avifauna erge- ben. Kritisch wurden die Schwingungs-anfälligkeit des angehängten Geh- und Radwegs sowie die Klärung offener Details bewertet.Aus der Sicht des Bauherrn punktet der Siegerentwurf durch eine saubere inge- nieurmäßige Durcharbeitung, insbeson-dere hinsichtlich der Konstruktion, des Bauverfahrens, der Dauerhaftigkeit und Gebrauchsfähigkeit sowie der Unterhal-tung. Beim Entwerfen wurde auf eine fertigungsgerechte und ermüdungsarme Konstruktion Wert gelegt.

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1371/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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3 Bauwerksentwurf nach RAB-Ing [2]3.1 Längs- und Querschnittsgestaltung Die Streckentrassierung der Schiersteiner Rheinbrücke verläuft für beide Überbau-ten in der Geraden. Der Achsabstand der beiden Überbauten in Achse O am Widerlager Wiesbaden be- trägt ca. 18,90 m, der lichte Brückenab-stand zwischen den Kappen ca. 2,60 m. Bedingt durch die erforderliche Anbin-dung der Überbauten an die Vorlandbau-werke in Rheinland-Pfalz (Anschlussstelle Mombach) und einen sich dadurch erge- benden Zwangspunkt aus der Verkehrs-führung sind die Achsen der Überbauten im Grundriss mit einem Winkel von ca. 0,70 gon gespreizt. Dadurch vergrößert sich im Anschlussbereich an die Vorland-bauwerke auf rheinland-pfälzischer Seite der Abstand der beiden Achsen auf ca. 33 m sowie der lichte Abstand auf ca. 16,70 m. Die Überbauten der Brücke bestehen jeweils aus zwei hintereinan-derliegenden Durchlaufträgern mit Stütz- weiten von 50 m, 55 m, 102,50 m, 205 m, 102,50 m, 89 m sowie 102,50 m, 205 m, 102,50 m, 70 m, 60 m, 60 m, 47 m bzw. 52 m sowie einem anschließenden Rah- men mit ca. 29,90 m Stützweite. Die Gesamtlänge der Überbauten beträgt 1.285,85 m für die Brücke Unterstrom sowie 1.280,92 m für die Brücke Ober-strom. Die beiden Durchlaufträger ruhen in Achse G auf einem gemeinsamen Trennpfeiler und werden mit einer Über- gangskonstruktion verbunden. Die Fest- punkte in Längsrichtung werden für die südlichen Durchlaufträger jeweils in Achse E angeordnet sowie für die nörd- lichen Träger in Achse I. Weitere Dehn-fugen für den Stahl- und Stahlverbund-überbau sind dadurch nur noch in den Achsen A und N beziehungsweise N´ erforderlich.

Die Querschnittsgestaltung der Deckbrü-cke gliedert sich im Wesentlichen in zwei Materialkonzepte, die entsprechend ihrer Tragwirkung und unter Berücksichtigung von statischen, wirtschaftlichen und ge- stalterischen Aspekten in den entspre-chenden Feldbereichen vorgesehen sind:Zum einen sind dies Stahlverbundquer-schnitte mit Stahlbetonfahrbahnplatten in den Achsen A–C, F–G und J–N. Zum anderen sind die großen Hauptöffnungen im Strombereich als Stahlquerschnitte mit orthotroper Fahrbahnplatte in den Achsen C–F und G–J konzipiert. Für die Lagerung der Überbauten werden wegen

der hohen Lasten und Lagerverdrehun-gen ausschließlich Kalotten- bzw. Kalot- tengleitlager nach DIN EN 1337 [3] ange- ordnet. Im Bereich über der Rheingau-straße (Achse N–O) sind Rahmen aus vorgespannten Halbfertigteilen mit Ort- betonergänzung vorgesehen. In den Achsen C, F und J wechselt die Überbau-ausbildung des Querschnitts von einer reinen Stahlkonstruktion (Bild 8) zu einem Verbundquerschnitt (Bild 9) mit Betonfahrbahnplatte.In den Achsen C und J wird dabei zusätz- lich ein Übergang von einem zweizelligen Verbund-Hohlkastenquerschnitt in einen einzelligen Stahlhohlkasten realisiert.

9 Verbundquerschnitte © Hessen Mobil

8 Stahlquerschnitte © Hessen Mobil

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138 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Alle Materialübergänge werden als bie- gesteife Anschlüsse ausgebildet. Für die beiden Hauptöffnungen mit jeweils 205 m Spannweite und für die beidseitig angrenzenden Nebenöffnungen mit 102,50 m Spannweite sind einzellige Stahlhohlkästen mit orthotroper Fahr- bahnplatte vorgesehen. Mit einer Kon- struktionshöhe von 4,80 m in Feldmitte der Hauptöffnungen ist ein sehr schlan- ker Überbau gelungen (l/43). Dennoch ist an diesen Stellen die Durchbiegung auf l/375 = 54 cm begrenzt. Die Quer- schnittshöhe verändert sich parabelför-mig, so dass über den Pfeilern eine Vou- tenhöhe von 8,30 m entsteht. Die Steg- bleche haben dabei über den gesamten Brückenbereich eine konstante Schräg-

10 11 Ausbildung der orthotropen Platte © Hessen Mobil

neigung. Die Stahlquerschnitte der Über- bauten werden aus Baustahl der Güte S 355 J2 +N bzw. S 355 K2 + N (65 mm < t ≤ 80 mm) hergestellt. Die für den Bau- stahl geforderten Zugwerte (Streckgrenze, Zugfestigkeit) sind in Walzlängs- und -querrichtung zu erfüllen und nachzuwei-sen. Bei der chemischen Zusammenset-zung des Baustahls (Schmelzenanalyse) ist neben den geforderten 14 Elementen nach DIN EN 10025-1 [4] zusätzlich auch der Massenanteil Bor in Prozent anzuge-ben. Der Grenzwert von B ≤ 0,0008 ist einzuhalten und nachzuweisen. Für die Massenanteile Schwefel und Phosphor in Prozent sind, abweichend von der Norm, die strengeren Grenzwerte S ≤ 0,005 und P ≤ 0,015 einzuhalten und nachzuweisen.

3.2 Besonderheiten der orthotropen FahrbahnDer Forderung nach einer besonders robusten Konstruktion für die Ganzstahl-bauwerke wurde im Entwurf dadurch Rechnung getragen, dass das Fahrbahn-deck, die orthotrope Platte, direkt unter dem »fahrenden Rad« eine hohe Steifig- keit und damit Dauerhaftigkeit erhält.

Der Regelabstand der Querträger zur Aus- steifung des Querschnitts wurde deshalb auf 3,50 m und die Querträgerhöhe auf 1,00 m festgelegt. Als Beulaussteifung werden Trapezhohlsteifen mit einer Bau- höhe von 400 mm gewählt. Das relativ geringe Mehrgewicht (< 5 %) im Ver- gleich zur gesamten Stahlmasse recht- fertigt diese Maßnahme.

3.3 Biegesteife ÜbergängeDie Verbundbrücken sind mit Ausnahme der Dilatationsstelle in Achse G biegesteif mit den dreifeldrigen Stahlbrücken ge- koppelt, um die Anzahl der Fugen im Bauwerk und damit den Wartungsauf-wand zu minimieren. Durch die Koppe-lung der Verbundbrücken mit den Stahl- brücken werden außerdem die abheben-den Auflagerkräfte in den kurzen End- feldern der Stahlbrücken reduziert. Für den biegesteifen Anschluss von Stahl- zu Verbundüberbau ist ein Detail entwickelt worden (Bild 12, 13), das die Kräfte im Stahlbetonquerschnitt über Kopfbolzen-dübel und eine entsprechende Beweh-rungsführung in das darunterliegende Stahlblech überträgt.

12 13 Biegesteifer Übergang von Stahl zu Stahlverbund © Sweco GmbH

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Das durch den Versatz der Deckbleche entstehende Biegemoment wird mit Hilfe eines quer zur Fahrbahn verlaufenden Hohlkastens aufgenommen und in die Stege der Hauptträger weitergeleitet. Der quer verlaufende Hohlkasten dient beim Übergang vom zwei- zum einzelli-gen Hohlkastenquerschnitt außerdem dazu, die Querkräfte aus den inneren Hohlkastenstegen des zweizelligen Quer- schnitts in die äußeren Stege abzutragen. In den Bereichen der Koppelstellen ist eine Verbundplatte mit einer Dicke von 50 cm durchgängig und ohne Anvoutung in Querrichtung vorgesehen.

3.4 Trennpfeiler In Achse G sind getrennte Auflager für die Stahl- und die Verbundbrücke vorge- sehen. Dies bedeutet, dass die Verbund-brücke über die Rettbergsaue sowie die Stahlbrücke über den Rhein ein Endauf-lager mit jeweils zwei Lagern pro Teilbau- werk und eine Übergangskonstruktion aufweisen. Um abhebende Lagerkräfte zu vermeiden, die in Achse G aus dem Stützweitenverhältnis sowie unter be- stimmten Belastungssituationen entste- hen, wird, beginnend bei Achse G, auf einer Länge von 22 m in Richtung Achse H ein Ballastbeton im Stahlquerschnitt eingebaut. Der hierfür erforderliche Betonkörper ist quer zur Brückenachse abgestuft und wird mit Dicken von ca. 0,90 m bzw. 1,50 m ausgeführt, so dass sich ein Gesamtgewicht von ca. 8.000 t je Überbau ergibt.

3.5 Angehängter Geh- und RadwegEin wichtiger Bestandteil des Entwurfs ist der an den Überbau in Achse 1 mit Hilfe eines Zugstabsystems angehängte Geh- und Radweg, der den Zugang zur Rett- bergsaue über eine Stahlbetonrampe ermöglicht. In den Achsen H und I sind zudem über den Bestandspfeilern Aus- sichtsbalkone vorgesehen. Diese Geh- und Radwegbrücke wird an die vorhan-denen Wege angebunden und verbindet die Vorlandbereiche beider Rheinseiten mit der Rettbergsaue durch eine stufen- freie Konstruktion mit einer Längsnei-gung von maximal 5,10 %. Der Überbau des Weges besteht aus einem flachen Stahlhohlkasten, der im Abstand von maximal 17,50 m mit Zugstäben am oberstromigen Kragarm der Überbauten in Achse 1 abgehängt ist. Horizontal wird der Hohlkasten in regelmäßigen Abstän- den am Hohlkasten der Hauptbrücke ab- gestützt, um das Schwingverhalten der leichten Stahlkonstruktion zu verbessern. In den Aufgangsbereichen beschränken sich die horizontalen Abstützungen auf die Pfeilerstandorte. Zur Absicherung der Standsicherheit wurden Schwingungs-berechnungen durchgeführt.

3.6 Vorstatik und BerechnungenUm die erforderlichen Massen für die Ausschreibung zu ermitteln, wurde eine statische Berechnung und Bemessung mit dem Programmsystem Sofistik durch- geführt. Die Hohlkästen der dreifeldrigen Stahlüberbauten wurden in Längsrich-tung als Dreistabsystem abgebildet. Mit den beiden äußeren Stäben wird die Biegesteifigkeit des Querschnitts model- liert, während mit dem innenliegenden Stab die Torsionssteifigkeit berücksichtigt wird. Die anschließende Massenermitt-lung ergab für die Stahlüberbauten in den Achsen C–F und G– J ein Gesamtge-

wicht von ca. 27.000 t. Das Konstruktions-stahlgewicht für die Verbundüberbauten in den Achsen A–C, F–G und J–N beträgt 6.040 t. Die Stahlkonstruktion für den Geh- und Radweg hat ein Gewicht von 1.750 t zuzüglich 11 t für die Hänger.

3.7 Montageverfahren (Entwurf)Die Stahlquerschnitte der Überbauten werden im Werk in Einzelabschnitten vorgefertigt und nach dem Konservieren mit Lkw- und Schiffstransporten zur Bau- stelle geliefert. Dabei wird angestrebt, dass dies in Form größtmöglicher Bau- teile geschieht, um die Schweißarbeiten auf der Baustelle zu reduzieren und die Qualität zu verbessern. Um den Transport per Schiff durchführen zu können be- dingt die Errichtung von Anlegestellen auf den Seiten »Mombach« und »Schier-stein«. Da die Anlieferung der Bauteile auf die Rettbergsaue ebenfalls mit Schiffstransporten erfolgt, ist auch dort eine Anlegestelle vorgesehen. Die Baustelleneinrichtungsflächen, Bau- straßen und Kranstandplätze wurden unter Berücksichtigung der Belange des Landschafts- und Naturschutzes angeord- net. Die auf dem Vormontageplatz der Seite »Mombach« verschweißten Bauteile werden, beginnend am Trennpfeiler in Achse A in Richtung Achse D, mit Kränen auf die Hilfsstützen gehoben und ver- schweißt. Am Pfeiler in Achse D werden die Bauteile auf einer Montageplattform abgelegt und im Freivorbau in beide Richtungen montiert und verschweißt. Auf der Seite Schierstein wird in gleicher Weise von Achse N in Richtung Achse I gebaut, ebenso werden auf der Rett- bergsaue die Bauteile mittels Hubmon-tage eingefügt und anschließend ver- schweißt.

14 15 Konzept des angehängten Geh- und Radwegs © Hessen Mobil

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Aufgrund der besonderen Lage des prio- ritären FFH-Gebietes Rettbergsaue muss das Mittelteil »Mombacher Arm« auf dem bereits zusammengebauten Stahlüber-bau im Bereich der Achsen E–F fertigge-stellt werden. Dieses Mittelteil wird da- nach auf ein aufgerüstetes Ponton ver- schoben, eingeschwommen und in Ein- baulage abgesenkt. Das längere Mittelteil der Hauptöffnung im Biebricher Fahrwas-ser kann auf dem Vormontageplatz kom- plett zusammengebaut werden, es wird dann auf zwei Pontons verschoben und zur Einbaustelle gebracht. Das Einheben erfolgt mit Litzenhebern. Nach Abschluss der Schweißarbeiten werden die Ver- bundplatten unter Zuhilfenahme von Betonierstützen und Schalwagen betoniert. Aufgrund der großen Schäden im Bereich der orthotropen Fahrbahnplatte des Bestandsbauwerkes sollte der Brücken-überbau in Achse 2 (Unterstrom) Ende Juni 2016 dem Verkehr übergeben wer- den. Dies hat zur Folge, dass die Bauar-beiten sowohl auf der Mombacher als auch auf der Schiersteiner Rheinseite zur gleichen Zeit beginnen.

3.8 Entwurf der GründungDer Baugrund im Bereich der neuen Rheinbrücke Schierstein ist als sehr set- zungsempfindlich anzusehen. Verant-wortlich dafür sind die Schichtenfolgen, hier vor allem eine Hydrobienschicht, die sich aus weichen, bindigen Böden in Wechselfolge mit Kalksteinbänken zu- sammensetzt. Die darüberliegenden Bodenschichten besitzen zum Teil nur sehr geringe Tragfähigkeiten, die eine Flachgründung der Unterbauten lediglich mit besonderen Erschwernissen erlauben und unter Berücksichtigung von wirt- schaftlichen Gesichtspunkten kaum durchführbar sind. Auch sind auf Schier- steiner Seite nahezu im gesamten Vor- landbereich abgelagerte Bauschutte aus den Folgen des Zweiten Weltkriegs mit einer Mächtigkeit von ca. 3 m vorhanden. Die Gründung der Unterbauten erfolgt daher mit Großbohrpfählen mit Durch-messern bis 1,80 m und Längen bis 26 m. Die Bohrpfähle sind in den einzelnen Gründungen jeweils als Pfahlrost ausge- bildet und durch massive Pfahlkopfplat-ten mit den aufgehenden Pfeilern verbunden.

4 Baudurchführung4.1 GründungDie Gründung des Bauwerks einschließ-lich sämtlicher Unterbauten wurde ge- mäß Kapitel 3.8 exakt umgesetzt. Neben- angebote, insbesondere Änderungen der Pfahldurchmesser sowie der Geometrie der Pfahlkopfplatte, wurden als nicht gleichwertig gegenüber dem Entwurf abgelehnt.

16 Montageablauf im Entwurf © Hessen Mobil

4.2 ÜberbauIm Bauvertrag war festgelegt, möglichst große Bauteile anliefern zu müssen. Die Aufteilung der Querschnitte der Ganz-stahl- und Verbundbrücken war vorge-schrieben. So sollte zum Beispiel der Geh- weg der Ganzstahlbrücken in einzelnen Plattenbauteilen erfolgen. Abweichend von dieser Vorgabe ist es der beauftrag-ten Arbeitsgemeinschaft gelungen, den Gehweg bereits im Werk an die entspre-chenden Teile anzubauen und als Ganzes mit dem Schiff auf die Baustelle zu liefern.Ursprünglich war vorgesehen, die Fluss- pfeiler im Rhein einschließlich einer Schwerlastplattform für den Freivorbau des Überbaus von der Pfeilerachse bis zu den Momentennullpunkten des Durch-laufträgers zu realisieren. Das setzte aber voraus, dass die Pfeiler zwingend vor Er- richtung der Schwerlastplattform sowie der Stahlbaumontage fertiggestellt sein mussten. Abweichend von diesem Kon- zept hat die ausführende Firma die Stahl- bauarbeiten für den Überbau von den Arbeiten zur Erstellung der Flusspfeiler zeitlich entkoppelt. Der Stahlüberbau, der sich in der endgültigen Lage zwischen Flusspfeiler und erstem Landpfeiler be- findet, wurde zunächst auf einer Vormon- tagefläche an Land hergestellt und an- schließend über eine untenliegende Verschubbahn einschließlich zweier Verschubstützen zum Flusspfeiler geschoben (Bild 21).Durch die so gewählte Änderung wurde es möglich, Flusspfeiler und Stahlüber- bau in jenem Bereich zeitlich parallel zu realisieren.

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17 18 Pfeilergründung in Landachse © Hessen Mobil

19 20 Pfeilergründung in Flussachse © Hessen Mobil

21 Ganzstahlbrücke: Montageablauf © Max Bögl Stahl- und Anlagenbau GmbH & Co. KG/Plauen Stahl Technologie GmbH

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142 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Aufgrund der Tatsache, dass der Verschub in der Achse der Brücke stattfand, konnte die aufgehende Konstruktion der Pfeiler in den Achsen G und J erst nach dem Ver- schub hergestellt werden, Bohrpfähle und Pfahlkopfplatten hingegen schon davor: eine Vorgehensweise, die vom Bauherrn genehmigt wurde, da sie keinen Einfluss auf die Ausbildung der Tragkon-struktion hatte.

Die 120 m langen und 2.000 t schweren Mittelteile der Ganzstahlüberbauten sind auf einem privat angemieteten Gelände vollständig zusammengefügt worden. Anschließend wurden sie auf zwei Ver- schubbahnen, die vom Ufer bis ca. 30 m in den Rhein hineinreichend gebaut wur- den, quer geschoben und dort von einem Ponton übernommen. Mit Hilfe des Pon- tons wurden die Mittelteile an die Ein- bauorte verschifft und dort mit Litzen-heber in die Endlage gebracht (Bild 23).

Dieses Verfahren ist, abweichend vom Bauwerksentwurf, auch bei der Montage der Mittelteile über den Mombacher Arm angewandt worden. Bezüglich der Montage der Verbundüber-bauten ist anzumerken, dass die Stahl- querschnitte nicht, wie vorgesehen, in zwei Teilen, sondern in einem Teil als »U« auf die Baustelle geliefert wurden. Somit konnte vor Ort auf den aufwendigen Mittelstoß des Untergurtes verzichtet werden.

5 ZusammenfassungDie Rheinbrücke Schierstein ist mit ihren großen Spannweiten und der anspruchs-vollen Konstruktion ein einzigartiges Pro- jekt. Die Herausforderungen, die aus dem Queren des Rheins und den Vorgaben an den Naturschutz in diesem Bereich resul- tierten, konnten dank einer strukturierten Planung und einer engen interdisziplinä-ren Zusammenarbeit des Auftraggebers mit den Entwurfsverfassern sehr gut gemeistert werden.

23 Einschwimmen Mittelteil und Anheben mit Litzenhebern © Sweco GmbH

22 Vormontagefläche auf dem Cemex-Gelände © Sweco GmbH

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1431/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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Brückenbau | Tunnelbau | Hochbau | konstruktiver Ingenieurbau

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Rheinbrücke Schierstein, Ausführungsplanung | © Fa. Max Bögl

Talbrücke Rothof, bautechnische Prüfung | © Hr. Mordhorst

Bei der baulichen Realisierung kamen viele innovative Verfahren zum Einsatz. Besonders erwähnenswert sind die Längsverschübe der gevouteten Ganz- stahlbrücken und das Einschwimmen der 120 m langen Brückenteile. Der im November 2017 fertiggestellte und dem Verkehr übergebene erste Bauabschnitt ist ein unterhaltungsfreundliches und robustes Bauwerk.

Autoren:Dipl.-Ing. Harald MankHessen Mobil,WiesbadenDipl.-Ing. Alwin DieterSweco GmbH,Frankfurt am Main

Literatur[1] Bauwerksentwurf der Ersatzneubauten B 54 über

die BAB 45. Hrsg. von Sweco, Frankfurt am Main, 2017 (unveröffentlicht).

[2] Dokumentation des Realisierungswettbewerbs. Hrsg. vom Amt für Straßen- und Verkehrswesen Wiesbaden, Wiesbaden, 2009.

[3] Pelke, E., Dieter, A.: Die neue Rheinbrücke Wies-baden-Schierstein. Wettbewerb und Entwurf; in: Stahlbau 82, H. 2, 2013, S. 106-121.

[4] DIN EN 10025-1: Warmgewalzte Erzeugnisse aus Baustählen. Teil 1: Allgemeine technische Lieferbe-dingungen. Berlin, 2005.

BauherrBundesrepublik Deutschland, vertreten durch Hessen Mobil, Niederlassung Dillenburg

EntwurfSweco GmbH, Frankfurt am MainArchitekt Ferdinand Heide, Frankfurt am Main

Tragwerksplanung ÜberbauWeyer Beratende Ingenieure GmbH, Dortmund

PrüfingenieureDipl.-Ing. Winfried Neumann, HagenDr.-Ing. Wolfgang Vogel, WiesbadenProf. Dipl.-Ing. Günter Ernst, Darmstadt

BauausführungArbeitsgemeinschaft Max Bögl Stahl- und Anlagenbau GmbH & Co. KG, NeumarktPlauen Stahl Technologie GmbH, Plauen

24 Stahlquerschnitt des Verbundüberbaus © Hessen Mobil

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144 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Trogbauwerk mit hohem Vorfertigungsgrad

Brücke über die Salzach bei Kaprun von Günter Seidl, Wolfgang Mariacher, Jürgen Schmidt

Im Zuge der Hochwasserschutz-maßnahmen entlang der Salzach wird für die Überführung der Straße von Zell am See nach Kaprun eine neue Brücke mit größerer Stützwei-te notwendig. Der Ersatzneubau dieser Brücke über die Salzach ist ein Trogbauwerk in Verbundbau-weise. In Querrichtung werden π-Platten mit externer Bewehrung gewählt, um eine große Schlankheit und eine schnelle Bauzeit zu ermög- lichen. Die externe Bewehrung der Platten wird feuerverzinkt ausge-führt.

1 EinleitungZiel des Hochwasserschutzprojekts »Zeller Becken« ist die Nutzung der natürlichen Retentionsräume entlang der Salzach. Das Projektgebiet umfasst die Gemein-den Kaprun, Bruck an der Glockenstraße und Zell am See, Kernpunkt ist hier die Aufweitung des Flussbetts. Die Verbin-dungsstraße von Zell am See nach Kaprun überquert die Salzach bei Mayereinöd. Die vorhandene Brücke genügte den neuen, mit den Hochwasserschutzmaß-nahmen verbundenen Anforderungen nicht mehr. Um den notwendigen Durch- flussquerschnitt der Salzach zu realisie-ren, ist die bestehende, einspurige Brücke durch einen Neubau mit 50 m Stützweite zu ersetzen. Der Ersatzneubau überführt neben den zwei Fahrspuren mit einer Fahrbahnbreite von 5,25 m auch einen 2,50 m breiten Geh- und Radweg. Der Radweg, der in Zukunft die Salzach begleitet, verläuft am Fuße des rechtsseitigen Damms unterhalb der neuen Brücke.

2 Vorplanung2.1 VariantenuntersuchungDer Abflussquerschnitt erforderte im Bauwerksbereich eine lichte Weite von 48,50 m. Ausgangspunkt für die Varian-tenuntersuchung war ein kostengünsti-ges und einfach zu nterhaltendes Rah- menbauwerk ähnlich jener Querung für Fußgänger und Radfahrer, die im Zuge der Eisenbahnüberführung über die Salzach bei Neumarkt-St. Veit realisiert worden war. Dieses Bauwerk ist ein sehr schlanker, tiefgegründeter Stahlverbund-rahmen in VFT-Bauweise mit Verbunddü-beln [1]. Ein bereits vorliegender Entwurf, der als tiefgegründeter Stahlbetonrah-men auf Lehrgerüst projektiert worden war, wurde seitens des Bauherrn kritisch in Bezug auf den Abflussquerschnitt bei Hochwasser während der Herstellung beurteilt.

2.2 BaugrundDer Projektstandort an der oberen Salz- ach liegt im Zeller Becken, das von sehr mächtigen Seetonschichten geprägt ist. Am Widerlager Mayereinöd wird der an- stehende Felsuntergrund von quartären Sedimenten überdeckt, deren Mächtig-keit im Brückenbereich bei maximal 480 m liegt. Diese Stillwasser- sowie Verlandungssedimente verzahnen sich mit fluvialen Sand-Kies-Gemischen, die rasch wechseln können. Die Aufschlüsse zeigen bis 10 m Tiefe feinkörnige, fluviale Ablagerungen mit weicher Konsistenz, darunter nimmt die Lagerungsdichte deutlich ab: Die Schluff-Sand-Gemische (Seetone) weisen eine abnehmende Kon- sistenz und einen zunehmenden Fein- kornanteil auf und werden als gering tragfähig eingestuft.

2.3 Ausgangspunkt: RahmenbrückeSomit sollte eine Brücke in Fertigteilbau-weise entworfen werden, die ohne Ein- bauten in der Salzach hergestellt werden kann. Diesen Anforderungen wird ein Überbau mit zwei außenliegenden Hohl- kästen und innenliegenden Fertigteil-platten gerecht, um die Verlegegewichte zu reduzieren.Nachdem ein erweitertes Baugrundgut-achten vorlag, zeigte sich, dass bei einer Tiefgründung mit Bohrpfählen zur Ablei- tung der vertikalen und vor allem der horizontalen Lasten aus der Rahmenwir-kung große Unwägbarkeiten anzuneh-men waren. Neben der Standsicherheit, die kritisch beurteilt wurde, war auch das unterschiedliche Setzungsverhalten der tiefgegründeten Brücke gegenüber den Anrampungen schwer abzuschätzen.

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Als wesentlich günstiger wurde vom Bodengutachter eine hochliegende Flachgründung eingeschätzt. Eine Ein- spannwirkung am Widerlager, die ein Rahmenbauwerk notwendigerweise benötigt, war somit nicht möglich. Die zweite Variante sah daher ein Einfeld-bauwerk mit obenliegendem Tragwerk vor.

2.4 BogenbrückeDie Bogenbrücke mit je sechs radial an- geordneten Hängern spannt über 52 m Länge. Die Bogenebenen sind verschränkt zueinander angeordnet und mit zwei Riegeln verbunden (Bilder 4 und 5). Bo- gen und Versteifungsträger bestehen aus Stahlhohlkästen, die Fahrbahnplatte aus Beton liegt auf Stahlquerträgern im Abstand von ca. 4,50 m.

1 Verbundbrücke als Rahmen © SSF Ingenieure AG

2 3 Feld- und Stützquerschnitt der Verbundbrücke © SSF Ingenieure AG

4 5 Querschnitt und Längsschnitt der Bogenbrücke © SSF Ingenieure AG

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146 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

2.5 TrogbrückeAlternativ wurde eine Trogbrücke ent- worfen, die in der Ausführung des Stahl- baus einfacher und damit kostengünsti-ger ist. Darüber hinaus war aus gestalte-rischen Gesichtspunkten eine Tragwerks-lösung gewünscht, die sich dem natur- nahen Umfeld der Salzach unterordnet. Um eine Begehbarkeit der Obergurte der Brücke durch Passanten auszuschließen, ist der Obergurt des Stahlträgers um 30° nach außen geneigt. Der Hauptträger wird als Hohlkasten ausgeführt, die Fahrbahn als Betonplatte auf Halbfertig-teilen (Bild 6).

3 Generelles Projekt3.1 EntwurfsideeAls Resultat der Variantenuntersuchung wurde die Lösung in Form einer Trogbrü-cke als Grundlage für die Entwurfspla-nung gewählt. Allerdings regte der Bau- herr, vertreten durch die Gemeinden Zell am See und Kaprun, an, die große Träger- höhe, die den Flussraum der Salzach optisch beeinträchtigt, zu optimieren. Erschwerend kam zu diesem Zeitpunkt hinzu, dass weitere Rohrleitungen über die Brücke geführt werden mussten, die aufgrund ihrer Isolierung wesentlich größere Durchmesser aufwiesen als zu Beginn des Projekts und zudem einfach

zugänglich sein sollten. Eine sichtbare, seitliche Anordnung der 450 mm und 500 mm großen Leitungen wurde aus gestalterischen Gründen ausgeschlossen. In Zusammenarbeit mit den Architekten Lang Hugger Rampp wurde eine Lösung entwickelt, die den Träger in seiner Funk- tionalität und Tragwirkung voll ausnutzt und von hoher ästhetischer Qualität ist.Die Idee des Architekten Florian Hugger war, den Träger deutlich zu gliedern. Gestaltung und statische Tragwirkung sind in den Bildern 7–8 erkennbar.

6 Querschnitt der Trogbrücke © SSF Ingenieure AG

7 8 Skizzen: Entwurf von Florian Hugger und Darstellung des statisch wirksamen Obergurtblechs (grau hinterlegt) © Lang Hugger Rampp Architekten

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Die notwendigen Rohrleitungen wer- den seitlich des Trägers aufgehängt. Der Obergurt bleibt 25° geneigt, wird jedoch durch ein stärker geneigtes Blech ergänzt. Das heißt, der Obergurt verjüngt sich von der vollen Breite in Feldmitte zum Auf-

lager hin, während das ergänzende Blech genau entgegengesetzt verläuft. Die beiden oberen Bleche bilden nun den Raum, in dem die Rohrleitungen liegen. Er wird mit einem seitlichen Blech ver- schlossen.

9 Ansicht der Trogbrücke mit mehrteiligem Obergurt © SSF Ingenieure AG

Durch diese Gestaltung gliedert sich die ursprünglich monoton anmutende Fläche des Hauptträgers in einen klarstruktu-rierten Körper und wirkt dadurch deut- lich dynamischer – und der Flussraum gewinnt an Attraktivität (Bilder 9 und 10).

10 Gegenüberstellung der Varianten in Ansicht und Schrägansicht © SSF Ingenieure AG

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3.2 Überbau des verschränkten Trogquerschnitts3.2.1 Einfeldträger in VerbundbauweiseDer Überbau ist ein einfeldriger Trog in Verbundbauweise mit einer Spannweite von 50,00 m. Die Fahrbahnbreite beträgt 5,25 m, der Geh- und Radweg ist 2,50 m breit, und die Breite zwischen den Geländern misst 7,85 m. Die Trogwangen bestehen aus 2,50 m hohen und ca. 1,50 m breiten Hohlkästen, an die die Verbundfahrbahn-platte mit einer Dicke von 20–35 cm schubsteif angeschlossen ist. Der Fahr- bahnbelag ist 12 cm dick. Zur einfacheren Herstellung und wegen der größeren Tragfähigkeit in Querrich-tung wurden π-Platten mit externer Be- wehrung als Fertigteile gewählt, die auch als Schalung im Bauzustand dienen. Der Überbau liegt in Längsrichtung schwim-mend auf vier Elastomerlagern, ein doppel-T-förmiger Stahlendquerträger verbindet die Stahlhauptträger in der Lagerachse.Die Fahrbahnplatte wird über den Über- bau weitergeführt und geht in eine tief- liegende Schleppplatte über. So werden die Bewegungen aus Temperatur wie bei einem integralen Bauwerk kontinuierlich in den Dammbereich eingetragen.

3.2.2 StahlbauDie Hauptträger sind luftdicht verschweiß-te Stahlhohlkästen mit geneigten Flan- schen. Aus gestalterischen Gründen ist der Obergurt in zwei Bleche unterteilt: Das obere und dreiecksförmig zulaufende ist um 25° nach außen geneigt und über- nimmt die Haupttragfunktion. Es hat am Widerlager eine Breite von 0,20 m und verbreitert sich kontinuierlich bis zur Feldmitte auf 1,35 m. An dieses Blech schließt ein um 50° geneigtes zweites an, das den äußeren Leitungskanal bildet. Es hat am Widerlager eine senkrecht pro- jizierte Breite von 1,35 m und verjüngt sich gegenläufig zum oberen Blech auf 0,20 m in Feldmitte. Die beiden Bleche werden geneigt ausgeführt, damit sich der Obergurt nicht durch Passanten begehen lässt.

Der Untergurt ist mit 2 % nach außen geneigt. Sollte Schwitzwasser an den Rohrleitungen anfallen, kann es nach außen abtropfen und verursacht keine Korrosionsschäden.Der Hohlkasten wird durch vertikale Schotte im Abstand von 5,20 m ausge-steift. Die Auflagerung der π-Platten erfolgt über eine Konsole, die auf der Innenseite der Träger ausgebildet wird. Zwei senkrecht aufgeschweißte Gewin-debolzen dienen der Befestigung der Platten unmittelbar nach dem Verlegen. Über diesen Platten wird eine horizontale Verbunddübelleiste am inneren Haupt-trägersteg angeschweißt, die sowohl die Bewehrung der Verbundplatte in den Dübeln als auch in zusätzlichen Bohrun-gen aufnimmt (Bild 13).Die offenen Endquerträger versteifen die Hauptträger gegen Verdrehen am Brü- ckenende und nehmen die Pressenkräfte im Fall eines Lagerwechsels auf. Verbun-den sind sie mit der Ortbetonplatte über zwei aufgeschweißte Verbunddübelleis-ten, wobei die Verbunddübel mit der Klothoidengeometrie (CL 150/60) gemäß Zulassung [2] [3] ausgeführt werden.

13 Detail der Auflagerung der VFT-WIB-Platten auf dem Hauptträger © SSF Ingenieure AG

11 12 Querschnitt am Widerlager und im Feld © SSF Ingenieure AG

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3.2.3 Fertigteilplatten mit externer BewehrungIn Querrichtung der Brücke dienen 19 Fertigteilelemente als Fahrbahnplatte, um deren Herstellung über der Salzach einfach zu gestalten. Die π-förmigen Platten mit einer Länge von 8,20 m spannen zwischen den Haupt-trägern und haben eine Bauhöhe von 0,20 m, die im Endzustand um die der Fahrbahnplatte ergänzt wird. Das Fertig- teil ist an der Unterseite mit einem T-för- migen Schweißträger der Güte S 355 versehen, der als externe Bewehrung wirkt und die Schlankheit von 1/40 im Bau- und von 1/20 im Endzustand ermög- licht. Er ist über Verbunddübel CL 150/60 [2] [3] mit dem Fertigteilbeton schubsteif verbunden. Die Fertigteilplatte mit der Betongüte C50/60 ist 2,60 m breit und 10 cm dick, die Aufkantung schließt bün- dig mit den Flanschen der Stahlträger mit einer Breite von 30 cm ab. Im Übergang zum Stahlträger liegt eine Dreikantleiste. Die Platten haben ein Verlegegewicht von 8,50 t. Sie werden auf die Stahlkonsole aufgelegt und mit zwei Schraubbolzen je externer Bewehrung am Stahlbau ge- sichert, die wiederum feuerverzinkt und danach mit einem organischen Korro-sionsschutz versehen wird.

3.2.4 Fahrbahnplatte mit SchleppplatteDie Fahrbahn mit der Betongüte C 35/45 ist schubsteif mit den Hauptträgern ver- bunden. Sie liegt nahe der Schwerlinie des Hauptträgers, und es werden nur kleine Schubkräfte übertragen. Für die Dauerhaftigkeit des Übergangs der Beton- platte zum Hauptträger ist es entschei-dend, dass die Fuge sich nicht unter Bie- gung der Fahrbahnplatte in Querrichtung öffnet: Ihre Einspannmomente am Haupt- trägeranschnitt entstehen durch die Tor- sionssteifigkeit der Hohlkastenträger. Die Verbunddübelleiste, die zur Schubüber-tragung horizontal angeordnet ist, wurde

daher zusätzlich mit Öffnungen in den Stahldübeln versehen, um dort mit einem günstigen Hebelarm die obere Beweh-rungslage der Fahrbahnplatte abzukröp-fen. Deren Abdichtung wird über die Betonplatte hinaus am Stahlsteg nach oben geführt, wobei sie ein Stahlwinkel L 60 x 80 abklemmt und so verhindert, dass Wasser vom Stahlsteg der Trogwan-gen eindringen kann (Bild 15).Um die Unterhaltskosten gering zu hal- ten, wurde eine schwimmende Lagerung in Längsrichtung der Brücke ohne eine Übergangskonstruktion entworfen. Die Bewegungen, die aus Temperaturände-rungen resultieren, werden über eine tiefliegende Schleppplatte an beiden Brü- ckenenden gleichmäßig in den Damm-bereich eingetragen. Mit dieser Konstruk-tion wurden in der Schweiz bereits gute Erfahrungen gesammelt [4], sie wurde 2011 auch in die Schweizer Richtlinien [5] übernommen. Außerdem lehnt sie sich an die neuerschienene Richtlinie und Vor- schrift für das Straßenwesen (RVS) »Be- messung und Ausführung von integralen Brücken« von 2018 [6] an. Die Fahrbahn-

platte läuft über den Stahlendquerträger hinaus und taucht unter das Straßenpla-num ab (Bild 16). Das Ende der Schlepp-platte ist abgefast. Unterhalb von ihr wurde eine Schürze angeordnet, die das Hinterfüllmaterial von der Lagerbank zurückhält. Die Schleppplatte ist ca. 8,00 m lang, um eine ausreichende Über- tragungslänge für horizontale Verschie-bungen zu gewährleisten und vertikale Setzungen auszugleichen. Die ungebun-dene Tragschicht des Straßenplanums reicht bis zur Mitte der Schleppplatte, im bauwerksnahen Bereich wird die Tragschicht von 9,50–50 cm Dicke eingebaut.

14 Querschnitt der Fertigteilplatten als π-Platten © Günter Seidl

15 Führung der Fahrbahnplattenabdichtung beim Trogquerschnitt © SSF Ingenieure AG

16 Schematischer Querschnitt durch die Schleppplatte © Günter Seidl

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150 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

3.2.5 KorrosionsschutzDer Korrosionsschutz der Hauptträger und der Endquerträger wird mit den in Bild 17 aufgeführten Systemen gemäß RVS [7] ausgeführt, die betonberühren-den Stahlflächen werden, mit Ausna- hme der Verbunddübelleisten, mit dem System S 4 nach RVS [7] beschichtet (Bild 18).

Die externe Bewehrung der π-Platten ist feuerverzinkt und wird mittels organi-scher Beschichtung vor Korrosion ge- schützt. Dieser Schutz entspricht dem System S 19 nach RVS [7] einschließlich mechanischer Beschichtung (Bild 19).

Ort Arbeitsgang Schichtdicke [µm]

Verzinkerei Oberflächenvorbereitung Beizen (Be)

Überzug Feuerverzinkung gemäß [8]

Korrosionsschutzwerk Oberflächenvorbereitung Dampf-Heißwasserstrahlung Sweep-Strahlung

Grundbeschichtung 2-K-EP/Eisenglimmer bzw. 60 Zinkphosphat

mechanische Schutzbeschichtung 2-K-EP 500

1. Deckbeschichtung 2-K-PUR-HS-Nus/Eisenglimmer 80

Baustelle Abdichtung von Fugen 1-K-PUR luftfeuchtigkeitshärtend - und Spalten

2. Deckbeschichtung 2-K-PUR-HS-Nus/Eisenglimmer 80

Gestaltungsanstrich 2-K-PUR/Microglimmer > 60

Ort Arbeitsgang Schichtdicke [µm]

Korrosionsschutzwerk Oberflächenvorbereitung Dampf-Heißwasserstrahlung Strahlen Sa 2½

Grundbeschichtung 2-K-EP/Eisenglimmer 80

Zwischenbeschichtung 2-K-PUR-HS-Nus/Eisenglimmer 120

1. Deckbeschichtung 2-K-PUR-HS-Nus/Eisenglimmer 80

Baustelle Kantenschutz 2-K-PUR-HS-Nus/Eisenglimmer 80

Abdichtung von Fugen 1-K-PUR luftfeuchtigkeitshärtend - und Spalten

2. Deckbeschichtung 2-K-PUR-HS-Nus/Eisenglimmer 80

Stark belastete Bereiche mechanische Schutzbeschichtung 2-K-EP/Inertpigmente 500

Gestaltungsanstrich 2-K-PUR/Microglimmer > 60

Ort Arbeitsgang Schichtdicke [µm]

Korrosionsschutzwerk Oberflächenvorbereitung Dampf-Heißwasserstrahlung Strahlen Sa 2½

Grundbeschichtung 2-K-EP/Zinkstaub 70

mechanische Schutzbeschichtung 2-K-EP 500

19 Korrosionsschutz der externen Bewehrung der π-Platten © SSF Ingenieure AG

18 Korrosionsschutz betonberührender Flächen © SSF Ingenieure AG

17 Korrosionsschutz der Stahlbauteile © SSF Ingenieure AG

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1511/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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3.3 Gründung und WiderlagerDie gewählte Flachgründung »schwimmt« auf dem ca. 10 m mächtigen Kiespolster über dem Seeton. Zusätzlich wurde der anstehende Baugrund bis zu einer Tiefe von 15 m mit einer kombinierten Rüttel- stopf- und Rütteldruckverdichtung ver- bessert. Dadurch wird bei einer Boden- pressung von 160 kN/m² eine Setzung von 4–5 cm erwartet. Das Betonieren der 1,20 m dicken Bodenplatte erfolgte in einem Spundwandkasten auf einer 1,00 m dicken Kiesausgleichschicht, wobei der Spundwandkasten nicht wieder entfernt wurde und jetzt als Schutz vor Auskol-kung bei Hochwasser dient.Im kastenförmigen Widerlager wurden die Flügelwände als Brüstung hochgezo-gen, und zwar in Verlängerung der Trog- wangen. Die Neigung der Stahlträger-obergurte setzt sich ebenfalls in der Brüs- tung fort. Der Nachteil einer Konterscha-lung bei schrägen Betonflächen ist der Einschluss von Luft an der Oberfläche des Betons. Diese Lunker verwittern schnell, und es bildet sich dort Moos. Eine Stahl- abdeckung, über die Brüstung eingebaut, schützt sie deshalb vor Bewitterung. Außerdem kann die Farbe passend zum Stahlüberbau gewählt werden. Und auch die Führung der Rohrleitungen und deren Revision sind in einer Stahlabdeckung einfacher zu realisieren, seitlich der Flügel befinden sich Revisionsschächte für die Rohrleitungen.Im Überbau wurden vor den Widerlagern Brückenabläufe angeordnet, die dann senkrecht in der Widerlagerwand weiterlaufen.

4 Bauausführung4.1 Ablauf und Kosten Die Vorbereitungen begannen im Herbst 2017. Da die Brücke eine wichtige Verbin- dung zum Abtransport der Erdmassen für die Verbreiterung der Salzach verkör- perte, sollte sie noch während der durch- zuführenden Hochwasserschutzmaßnah-me fertiggestellt werden. Die Brückenbauarbeiten wurden für 3.610 €/m² einschließlich Mehrwertsteuer an das Unternehmen Steiner Bau GmbH im Herbst 2017 vergeben, Baubeginn vor Ort war März 2018.

4.2 StahlbauAlle Stahlbauteile, auch die externe Bewehrung für die π-Platten, wurden im Werk der NCA Container- und Anlagen-bau in St. Paul hergestellt und mit dem ersten Korrosionsschutz versehen. Der Hauptträger wurde in zwei Teilen mit je 25 m Länge zur Baustelle transportiert und dort verschweißt. Anschließend wurden die 50 m langen Träger von der Seite Kaprun mit einem Raupenkran verlegt (Bild 20), die Querträger einge-baut und verschweißt.

20 Verlegen des 50 m langen Hauptträgers © Günter Seidl

21 Innenseite des Hauptträgers © Günter Seidl

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152 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

22 Stahlprofile mit Bewehrung in der Verbunddübelleiste © Günter Seidl

25 Fahrbahnplattenbewehrung mit Einbindung in den Hauptträger © Peter Fuchs

23 24 Verlegen der Fertigteilplatten © Reinhard Dorfer

4.3 FertigteilplattenDie 19 Fertigteilplatten wurden auf der nahe gelegenen Großbaustelle des Bau- unternehmers betoniert, und zwar jeweils fünf von ihnen parallel. Die Fertigteile 2–18 waren in ihrer Ausführung bau-gleich, nach dem Betonieren und Erhär- ten wurden sie zur Baustelle transportiert und mit einem Mobilkran verlegt. Das Verlegen funktionierte gut, da ihr »Ein- fädeln« nicht erforderlich war. Das Ver- schrauben mit den Gewindebolzen in der Stahlträgerkonsole zeigte sich als vorteilhaft.

4.4 F ahrbahnplatte und SchleppplatteDie Fahrbahnplatte wurde auf den Fertig- teilplatten bewehrt, die abgekröpfte Bewehrung ließ sich vor Ort problemfrei in die Öffnungen der Verbunddübelleiste einfädeln (Bild 25). Die Schleppplatte wurde vor der Fahrbahnplatte betoniert. Bild 26 zeigt die Fahrbahnplatte mit der angehängten Schleppplatte.

Autoren:Prof. Dr. Günter SeidlSSF Ingenieure AG, BerlinIng. Wolfgang MariacherAmt der Salzburger Landesregierung, Salzburg, ÖsterreichDipl.-Ing. Jürgen SchmidtSSF Ingenieure AG, München

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1531/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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22 Stahlprofile mit Bewehrung in der Verbunddübelleiste © Günter Seidl

26 Herstellen der Schleppplatte © Peter Fuchs

Literatur[1] Enzinger, P., Petraschek, T., Seidl, G., Yu, C., Garn, R.,

Dassler, M.: Eisenbahnüberführung über die Salz-ach bei Schwarzach-St. Veit, Erfahrungen beim Bau eines 46 m langen VFT-Rahmens; in: Stahlbau 86, Heft 9, 2017, S. 772–777.

[2] Deutsches Institut für Bautechnik: Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung Z-26.4-56 »Verbund-dübelleisten«. Berlin, 13.05.2013.

[3] Deutsches Institut für Bautechnik: Allgemeine Bauartgenehmigung Z-26.4-56, »Stahlverbund-träger mit Verbunddübelleisten in Klothoiden- und Puzzleform«. Berlin, 14.05.2018.

[4] Kaufmann, W.: Integrale Brücken. Sachstands-bericht. Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation, Bundesamt für Strassen. Greifensee, 2008

[5] Richtlinie Konstruktive Einzelheiten von Brücken, Kapitel 3, Brückenende. Eidgenössisches Departe-ment UVEK, Bundesamt für Strassen, ASTRA 12.2004, Ausgabe 2011.

[6] Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen, Abschnitt 15.02.12: Bemessung und Ausführung von integralen Brücken, Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie. Wien, 2018.

[7] Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen, Abschnitt 15.02.11: Vorkehrungen zur Brücken-prüfung und -erhaltung, Verbindlicherklärung. Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie. Wien 01.08.2017.

[8] ÖNORM EN ISO 1461: 2009.

BauherrWasserverband Hochwasserschutz Zeller Becken, Bruck am Großglockner, Österreich

BaudurchführungAmt der Salzburger Landesregierung, Salzburg, Österreich

PlanungSSF Ingenieure AG, Berlin

PrüfingenieurUniv.-Prof. Dr.-Ing. Martin Mensinger, München

Consulting BeschichtungNiehsner GmbH, Linz, Österreich

Qualitätskontrolle StahlbauDipl.-Ing. Johann Stranzinger, Linz, Österreich

BaugrundgutachtenMoser-Jaritz + Partner Ziviltechnik GmbH, Saalfelden, Österreich

BauausführungSteiner Bau GmbH, Heiligenreich, ÖsterreichNCA Container- und Anlagenbau GmbH, St. Paul, Österreich

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154 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Neue Fertigteilbauweise für den Ersatzneubau

Die Legobrücke von Markus Gabler, Abdalla Fakhouri, Katrin Baumann

Das Ingenieurbüro Arup entwi- ckelte zusammen mit dem Landes-betrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen eine neue Fertigteilbau-weise für Überführungsbauwerke, bei der sowohl Unter- als auch Überbauten aus Vollfertigteilen konstruiert werden. Ziel war dabei, die gesamte Bauzeit vom Abbruch der Bestandsbrücke bis zur Inbe-triebnahme des Ersatzneubaus auf ein Minimum zu reduzieren. Durch den Verzicht auf eine Ortbeton-ergänzung, die Integration der Kappen in den Überbau, die Wahl von Großfertigteilen, die Verwen-dung von hochfestem Beton und durch eine integrierende Bauweise kann nicht nur eine schnelle Mon- tage erreicht werden, auch die Dauerhaftigkeit wird dadurch wesentlich optimiert. In diesem Zusammenhang wurden einige Regeldetails aus den Richtzeich-nungen hinsichtlich der deutlich höheren Leistungsfähigkeit von hochfestem Beton gegenüber herkömmlichem Ortbeton weiter-entwickelt. Zwei Brückenbauwerke nach dieser neuen Bauweise wur- den Ende 2018 erfolgreich fertig-gestellt. Es zeigte sich dabei je- doch, dass die Fertigteilindustrie in Deutschland noch nicht optimal für die Herstellung solch großfor-matiger Fertigteile aufgestellt ist.

1 Initiative Legobrücken in Nordrhein-Westfalen1.1 Veranlassung Überall in Deutschland müssen derzeit zahlreiche Überführungsbauwerke aus den 1960er und 1970er Jahren ersetzt werden, weil dort entweder spannungs-rissgefährdeter Spannstahl zur Anwen-dung kam oder signifikante Bauwerks-schäden festgestellt wurden oder aber weil die zu überführende Straße verbrei- tert werden soll. Dazu ist entweder eine aufwendige Behelfsbrücke zu planen und zu bauen oder die überführte Straße bleibt für die Dauer der Baumaßnahme komplett gesperrt, was bis zu eineinhalb Jahren dauern kann. Als bevölkerungs- und verkehrsreichstes Bundesland sieht sich insbesondere Nordrhein-Westfalen mit vielen Problemen bei der Moderni-sierung der Infrastruktur konfrontiert. Es liegt daher nahe, nach innovativen Konzepten zu suchen.Der damalige Verkehrsminister von Nord- rhein-Westfalen, Michael Groschek, initi- ierte im Jahr 2015 das Projekt »Legobrü-cken« mit dem Ziel, die in den Niederlan-den weitverbreitete Fertigteilbauweise auch in Nordrhein-Westfalen einzusetzen. In den Niederlanden ist es seit vielen Jah- ren Stand der Praxis, Brücken aus Vollfer- tigteilen nach einem Baukastensystem zu realisieren, was deren Bauzeit auf etwa drei Monate beschleunigt. Durch die weite Verbreitung sind diese Bau- werke nicht nur wesentlich schneller errichtet, sondern auch wirtschaftlich. Die verminderte Verkehrsbehinderung durch die kurze Bauzeit hat positive Auswirkungen auf die Volkswirtschaft sowie auf die Nachhaltigkeit des Bauwerks. 1.2 Wettbewerb »Legobrücke«Im Jahr 2016 lobte der Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen (Stra- ßen.NRW) den Ideenwettbewerb »Ham- macher Straße« aus, der den Ersatzneu-bau für eine Überführung über die A 46 bei Hagen zum Thema hatte. Wichtigs- tes Kriterium war eine minimale Bauzeit, daneben sollten vor allem Robustheit und Erhaltungsaufwand bewertet wer- den. Zudem sollte ein Baukastensystem entwickelt werden, das auf andere Bau- werke mit ähnlichen Randbedingungen übertragen werden kann. Durch den

orthogonalen Grundriss und die empfoh- lene Flachgründung war dieses Vorhaben für ein Pilotprojekt sehr gut geeignet.Es wurden insgesamt zwölf Wettbewerbs-beiträge eingereicht. Den ersten Platz erzielte dabei die Sweco GmbH, Bremen, gefolgt von SSF Ingenieure AG, Köln, und Arup Deutschland GmbH, Düsseldorf. Im Anschluss wurde Sweco mit der Planung der Überführung der Hammacher Straße in Hagen beauftragt. Arup erhielt den Planungsauftrag für zwei Überführungs-bauwerke über die L 518 bei Werne: siehe Kapitel 2.

1.3 Wettbewerbsbeitrag von ArupArup bearbeitete den Wettbewerbsbei-trag mit Unterstützung der Hochtief Engi- neering GmbH aus Essen. Der Entwurf zeichnet sich durch einen hohen Vorfer- tigungsgrad der Unterbauten und der Überbauelemente aus. Durch die Wahl von Voll- im Gegensatz zu den sonst übli- chen Halbfertigteilen reduziert sich die Bauzeit erheblich. Außerdem weisen Fertigteile einen besonders hohen Wider- stand gegen Chloridmigration und Car- bonatisierung auf. Es wird ausschließlich hochfester Beton eingesetzt. Bei der Ent- wicklung der Details wurden die her- kömmlichen Ausführungsmethoden aufgrund der Wahl von hochleistungs-fähigen Werkstoffen bewusst optimiert. Zum Beispiel kann bei Verwendung von hochfestem Beton eine nachträgliche Abdichtung entfallen. Bis auf die Herstel- lung des Asphaltbelags und die Verfül-lung von Fugen erfolgen keine Betonier-arbeiten auf der Baustelle. Das entwickelte Konzept sieht für den Überbau 34,50 m lange, längsvorge-spannte Stahlbetonhohlbalken aus hoch- festem Beton C 55/67 vor, deren Hohl- kammern mit EPS-Hartschaum gefüllt sind. In den Niederlanden hat diese Art der Konstruktion einen hohen Grad der Standardisierung und wird seit mehr als 25 Jahren für viele Autobahn- und Über- führungsbauwerke, auch mit größeren Spannweiten, problemlos eingesetzt. Im vorliegenden Entwurf wurde das System an die Regelungen der ZTV-ING ange-passt und seine Dauerhaftigkeit weiter optimiert.

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Die Quersteifigkeit der Brücke und die Lastverteilung in Querrichtung werden durch eine Quervorspannung in der Ebene des Obergurtes der kastenförmi-gen Fertigteile bei der Montage auf der Baustelle gewährleistet. Außerdem erfol- gen auf der Baustelle die Montage der Fertigteilkappen sowie einzelne Verfu-gungen und das Aufbringen des Asphalt- belags. Auf eine Schalung und die damit verbundene Verkehrseinschränkung kann verzichtet werden.Der Unterbau besteht aus zwei voneinan-der getrennten Komponenten: Die Last- ableitung des Überbaus erfolgt über Lagerbalken auf jeder Seite, die auf Fertigteilpfeilern auflagern und die Lasten somit über die Pfeiler in die Fertigteilfundamentplatten weiter abtragen. Die Sicherung der Hinterfül-lung erfolgt über bewehrte Erde bzw. Gabionen.Die Gründung der Brücke ist von der Geländesicherung entkoppelt. Das heißt, jeder Fertigteilträger des Überbaus mit je einem Verformungslager je Seite ist auf eine durchgehende Lagerbank mit inte- grierter Kammerwand gegründet. Dieses großformatige Fertigteil lagert auf zwei rechteckigen Fertigteilpfeilern. Die Seg- mente des Fundaments werden nach der Installation vergossen, der Kraftschluss wird über übergreifende Schlaufen in den Fugen sichergestellt. Die Durchbindung von Fundament über Stütze zur Lager-bank erfolgt über je sechs Spannlitzen je

Pfeiler. Die Spannglieder werden im Rah- men der Montage in vorgesehenen Ni- schen der Fundamente vergossen und von oben durch die Lagerbank vorge-spannt und verankert. Die Spannnischen sowie die Litzen werden nachträglich verpresst.

2 Bauwerke über die L 518 bei Werne2.1 Weiterentwicklung des KonzeptsIm Anschluss an das Pilotvorhaben wurde Arup mit einem weiteren Projekt beauf- tragt. Dafür sollten zwei Überführungs-bauwerke über die L 518 bei Werne er- setzt und die Sperrung der überführten Gemeindewege auf ein Minimum redu- ziert werden. Die zu ersetzenden Bau- werke »Stiegenkamp« und »Nordbecker Damm« liegen östlich und westlich der Anschlussstelle Hamm-Bockum-Werne der A 1. Der Spannstahl beider Brücken aus dem Jahr 1965 ist spannungsriss-korrosionsgefährdet, daher sind Ersatz-

neubauten erforderlich. Die beiden Que- rungsbauwerke haben einen rechtwink-ligen Spannbetonquerschnitt und sind als Dreifeldträger ausgebildet, beide sind zudem schiefwinklig mit unterschied-lichen Kreuzungswinkeln und haben verschiedene Breiten.Es mussten verschiedene Vorgaben be- rücksichtigt werden: Das zu entwickelnde System sollte auf beide Brückengeome-trien übertragbar sein. Außerdem soll- ten die Gradienten der bestehenden Gemeindewege beibehalten werden. Aufgrund ihres dreifeldrigen Aufbaus wiesen die vorhandenen Brücken ge- ringe Querschnittshöhen auf, gleichzeitig musste eine Mindestlichthöhe von 4,70 m zwingend eingehalten werden. So stand für die neuen Brücken eine maximale Konstruktionshöhe in Überbaumitte von lediglich 71 cm (Stiegenkamp) und 73 cm (Nordbecker Damm) zur Verfügung, wes- halb ein möglichst schlanker Überbau zu

3 Ursprünglicher Wettbewerbsbeitrag: Regelquerschnitt © Arup Deutschland GmbH

1 2 Ursprünglicher Wettbewerbsbeitrag: Ansicht und Längsquerschnitt © Arup Deutschland GmbH

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156 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

entwickeln war. Weiterhin wurde ins Auge gefasst, die Anzahl der benötigten Fertig- teilelemente überschaubar zu halten und Erdarbeiten auf das Nötigste zu reduzie-ren. Wichtig war darüber hinaus, dass die neuen Gründungen zwischen den Be- standsfundamenten angeordnet werden können. Daher musste der ursprüngliche Wettbewerbsbeitrag, welcher für die Brücke Hammacher Straße erarbeitet worden war, angepasst und weiterent-wickelt werden. Es folgte eine Varianten-untersuchung unterschiedlicher Fertig- teilbauweisen.

2.2 Tragwerk der VorzugsvarianteLetztlich wurde ein Rahmensystem mit Plattenbalkenquerschnitt in integraler Bauweise unter Einsatz von hochfestem Beton ausgewählt, da es die zuvor ge- nannten Aspekte optimal zu vereinbaren erlaubte. Die Überbauhöhe in Feldmitte konnte damit auf ein Minimum reduziert werden, und es war möglich, die Grün- dungen zwischen die Bestandsfunda-mente zu legen (Bild 4).

Aus gestalterischer Sicht ergibt sich eine besonders attraktive Lösung dadurch, dass der Plattenbalkenquerschnitt des Überbaus in den Widerlagern weiterge-führt wird. Bild 5 zeigt eine Visualisierung der Brücke Nordbecker Damm.

2.3 GründungDie Gründung erfolgte über Bohrpfähle sowie eine Pfahlkopfplatte, die jeweils vor Ort innerhalb einer kurzen Zeitspanne (ca. 14 d) betoniert wurden: siehe Bild 6. Dies sind die einzigen Bauteile, die ange- sichts der vergleichsweise einfacheren Herstellung vollständig in Ortbetonbau-weise realisiert wurden. Die Pfahlkopf-platte weist eine Dicke von 1,20 m auf und die Pfähle einen Durchmesser von je 80 cm mit einer Schiefstellung von 5:1. Eine wesentliche Vereinfachung und somit Verkürzung der Ausführungszeit wurde erzielt, indem bereits während der Vorplanung die Platzierung der neuen Gründungselemente zwischen den be- stehenden erfolgte. Dadurch entfielen umfangreiche Erdarbeiten zur Herstel-lung größerer Baugruben und zum etwai- gen Abbruch bzw. zur Entnahme der alten Gründung. Dank einer sorgfältigen Pla- nung gab es keine Kollision der neuen mit der vorhandenen Gründung. Darüber hin- aus war eine zeitaufwendige Entfernung des Bestands nicht notwendig.

4 Längsquerschnitt durch die Brücke Stiegenkamp mit Darstellung der Bestandsgründungen © Arup Deutschland GmbH

5 Visualisierung der Fertigteilbrücke Nordbecker Damm © Arup Deutschland GmbH

6 Pfahlkopfplatte mit Anschluss der Widerlagerelemente © Arup Deutschland GmbH

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2.4 WiderlagerelementeDie Fertigteilwiderlager bestehen aus nebeneinanderliegenden T-Querschnit-ten aus hochfestem Beton C 60/75, die nicht kraftschlüssig verbunden werden. Die resultierenden Fugen zwischen den einzelnen Querschnitten werden anhand von Fugenverschlussbändern geschlossen (Bild 7). Die Widerlager werden mit der Pfahlkopfplatte über mittels Vergussmör-tel verfüllte Verankerungen aus Beton- stabstahl kraftschlüssig verbunden. Ein 40-mm-Bett aus Vergussmörtel bildet die Fuge zwischen Widerlager und Pfahlkopf-platte. In den Flügelbereichen sind Winkelstütz-mauern (WSM) aus Betonfertigteilen C 35/45 angeordnet, deren Höhe ≤ 6,30 m beträgt. Jeder Flügelbereich setzt sich aus drei WSM-Fertigteilen zusammen, die vor Ort nebeneinander aufgestellt werden. Zwischen den Fertigteilen wurden Fugen mit einer Breite von 25 mm angeordnet, die nicht verfüllt, sondern lediglich mit Fugenverschlussbändern versehen wer- den. Die Fertigteile sind so ausgebildet, dass die Abschrägung der Hinterseite im Endzustand der Böschungsneigung von 1:1,50 entspricht.

2.5 ÜberbauDer Überbau besteht aus drei vorgefertig-ten Spannbetonplattenbalkenträgern aus hochfestem Beton C 60/75 (Bild 8), die einzeln zur Baustelle transportiert und zunächst auf den bereits aufgestell-ten Widerlagern aufgelagert werden. Hierfür ist pro Widerlagerwand bzw. Überbausteg eine Kontaktfläche, ausge- stattet mit Stahlplatten, vorgesehen. Die Verfüllung der Längsfugen und der Rah- meneckenbereiche sowie das Aufbringen des Asphaltbelags erfolgen vor Ort.

7 Querschnitte der Widerlagerelemente am Beispiel des Bauwerks Nordbecker Damm © Arup Deutschland GmbH

Dadurch, dass die äußeren Überbaufer-tigteile in ihrer Geometrie die Form der Brückenkappe aufweisen, ist eine sepa- rate Montage von Kappen nicht mehr erforderlich.Der Überbau ist in Richtung der Wider-lager gevoutet, um den aufgrund der Randbedingungen sehr schlanken Feld- bereich zu entlasten. Infolge Kriechen und Schwinden lagert sich ein signifi-kanter Teil der Momente zu den Rah-menecken hin um.

Der Überbau wird mit dem Unterbau aus nebeneinander aufgestellten T-Fertigteil-elementen durch eine Ortbetonergän-zung (C 50/60) im Bereich der Rahmen-ecken zur Bildung eines Rahmentrag- werks verbunden. Da die Fertigteile des Überbaus bis 108 t wiegen, wurden sie aus Gründen der Wirtschaftlichkeit in einer Feldfabrik unweit der Standorte der beiden Brücken hergestellt. Bei allen anderen Fertigteilen erfolgte die Her- stellung jedoch in einem Fertigteilwerk.

3 Innovationen3.1 Integrierende Bauweise und hochfester BetonDa es sich beim entwickelten System im Endzustand um ein vollintegrales Bau- werk handelt, sind keine Lager und keine Gelenke vorhanden. Aufgrund der gerin- gen Dehnwege bestehen die Übergänge zwischen Bauwerk und Hinterfüllung aus Asphalt nach ZTV-ING, Abschnitt 8.2, darunter befindet sich je Seite ein Auf- lagerbalken von 80 cm × 1,10 m mit einer konstruktiven Bewehrung. Die Überbau-abdichtung orientiert sich an ZTV-ING 7-1 unter Verwendung von Flüssigkunststoff als Dichtungsschicht. Gesonderte Ent- wässerungseinrichtungen auf dem Über- bau sind nicht vorgesehen, da die Fahr- bahnentwässerung über die Seitenmul-den und Längsgefälle erfolgt.

8 Regelquerschnitt mit Widerlageransicht des Überbaus »Nordbecker Damm« © Arup Deutschland GmbH

9 Einhub der Überbausegmente © Sharin Leitheiser/Westfälischer Anzeiger

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158 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Aus Platzgründen war es erforderlich, die Übergreifungslängen der Bewehrung in der Rahmenecke zu optimieren. Hierzu wurde der α2-Faktor in Ansatz gebracht, ein in Deutschland meist nicht berück- sichtigtes Beiwert, der die Reduktion der Übergreifungslänge in Abhängigkeit von der Betondeckung erlaubt. Insbesondere beim Fertigteilbau, bei dem Vollstöße erforderlich sind, führt die genauere Betrachtung dieses Effekts zu wirtschaft-lichen Ergebnissen.Durch die Wahl von hochfestem Beton konnten nicht nur die Bauteilabmessun-gen gering gehalten werden, dies wirkt sich auch sehr vorteilhaft auf die Dauer- haftigkeit der Konstruktion aus. Grund-sätzlich wäre gar keine Bauteilabdichtung notwendig gewesen. Als Vorsichtsmaß-nahme wurde jedoch noch eine Lage Flüssigkunststoff aufgebracht.

3.2 Verbundfuge und QuervorspannungDie Planung und Fertigung der Überbau-segmente erfolgten so präzise, dass kein Höhenausgleich unter der Asphaltschicht erforderlich war. Es wurde lediglich eine 10 cm breite Fuge angeordnet, welche mit Vergussmörtel zu füllen ist (Bild 11); selbiger erreicht bereits nach einem Tag ausreichend hohe Festigkeiten.

Durch die Anordnung der Fuge zwischen zwei Stegen wird die rechnerisch auftre- tende Querkraft VEd reduziert. Um ande- rerseits die Quertragfähigkeit VRd zu er- höhen, ist in Brückenquerrichtung eine Vorspannung aus verbundlosen Spann-drähten vorgesehen. Diese haben den Vorteil, dass alle Einzellitzen mit Korro- sionsschutz versehen sind und dass einzelne Litzen im Bedarfsfall separat ausgetauscht werden können.

3.3 3-D-Modellierung von Tragwerk und BewehrungGrundlage für die statische Berechnung und konstruktive Bemessung sind 3-D- Modelle mit hohem Detailgrad unter Berücksichtigung der einzelnen Bau-phasen mit unterschiedlichen statischen Systemen sowie des zeitabhängigen Verformungsverhaltens. Zudem wurde aufgrund der integralen Bauweise eine Grenzwertbetrachtung für die Bettungs-

kenngrößen durchgeführt. Die Model-lierung erfolgte mit Hilfe der Software Sofistik, welche eine AutoCAD-basierte Eingabe des geometrischen Modells unterstützt (Bild 12).Basierend auf den Rechenmodellen wurden für die genaue Modellierung der Bauteile bereits ab der Entwurfsplanung 3-D-Modelle mit Hilfe der Software Stra- kon erstellt. Durch die 3-D-Schal- und -Bewehrungsplanung der Fertigteile ließen sich Kollisionen und Konflikte aus- schließen. Eine vor allem konfliktfreie Bewehrungsführung in den Schnittstel-len zwischen Überbau und Widerlager-elementen konnte hiermit gewährleistet werden. Auch die 2-D-Darstellung der anspruchsvollen geometrischen Verhält- nisse, bedingt durch die unterschiedliche Schiefwinkligkeit jedes Bauwerks sowie die sich ändernden Stegbreiten im Vou- tungsbereich, vermochte so fehlerfrei zu erfolgen.

10 Längsschnitt im Bereich der Brückenrahmenecke © Arup Deutschland GmbH

11 Detail einer verfüllten Längsfuge zwischen zwei Überbaustegen © Arup Deutschland GmbH

12 Finite-Elemente-Modell für Berechnung und Bemessung © Arup Deutschland GmbH

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1591/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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4 Zusammenfassung Brücken in Vollfertigteilbauweise erlau- ben eine Verkürzung der Bauzeit um 75 % gegenüber herkömmlichen Lösungen. Das vorgestellte Konzept ist auf vergleichbare Überführungsbauwerke leicht übertrag-bar, wobei abweichende Schiefwinklig-keiten und Fahrbahnbreiten eine Stan- dardisierung der Fertigteile nur einge-schränkt zulassen. Hier müssen indivi-duelle Festlegungen getroffen werden, inwiefern zum Beispiel auf die Schief-winkligkeit verzichtet werden kann, um für mehrere Ersatzneubauten einheitliche Fertigteile zu konzipieren. Je mehr Ver- einheitlichungen möglich sind, desto schneller und günstiger ist die Herstel-lung. Es hat sich gezeigt, dass die Fertigteil-industrie in Deutschland (noch) nicht für derartig große Bauteile gerüstet ist. Generell könnte zudem deren Transport über große Entfernungen eine Herausfor-derung darstellen. In Nordrhein-Westfa-len müsste dazu, anders als etwa in den Niederlanden, meist der Landweg zum Transport gewählt werden, was aufgrund der Gewichtseinschränkungen in vielen

Abschnitten aber schwieriger ist. Das Problem lässt sich jedoch durch eine Her- stellung in unmittelbarer Nähe der Bau- stelle überwinden. Viele hiesige Fertig-teilwerke haben inzwischen das Potential der Fertigteilbauweise im Brückenbau erkannt und passen ihre Kapazitäten ent- sprechend an. Durch eine regulatorische Offenheit auf Politik- und auf Bauherren-seite und die erweiterte gezielte Aus- schreibung von (Pilot-)Projekten können auch künftig wertvolle Erfahrungen auf dem Weg zu einer breiteren Anwendung neuer Bauweisen gesammelt werden. 5 DanksagungDie Autoren danken dem Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen für die Initiierung des Projektes und die optimale Unterstützung während der Planung, insbesondere Nicole de Witt, Dr. Markus Hamme, Reiner Weidekemper, Gregor Ellerkamp und Michael Ruhkamp. Herz- licher Dank gilt Prof. Reinhard Maurer und Michael Schrick von der Planungsgesell-schaft König und Heunisch in Dortmund für die technische Prüfung und wissen-

schaftliche Begleitung im Laufe des Pro- jekts. Für den Planungserfolg war die Unterstützung des Ingenieurbüros Erd- mann + Brandmann bei der Erarbeitung der 3-D-Modelle und Planunterlagen maßgeblich, denen hierfür ein beson-derer Dank der Autoren gilt. Autoren:Dr.-Ing. Markus GablerAbdalla Fakhouri M.Sc.Dipl.-Ing. Katrin BaumannArup Deutschland GmbH,Düsseldorf

Bauherr Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen, Regionalniederlassung Münsterland

Entwurfs- und Ausführungsplanung Arup Deutschland GmbH, Düsseldorf

Bautechnische Prüfung Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer, Dortmund

BauausführungHeitkamp Brückenbau GmbH, Herne

Die KerbDrain Bridge ist eine Kombination aus Entwässe-rungsrinne und Schrammbordstein der Kappe und steht damit für eine neue Form linearen Brückenentwässerung. Die monolithische Hohlbordrinne bietet besonders gestal-terisch, konstruktiv und technisch vielfältige Möglichkeiten auf der Brücke. www.aco-tiefbau.de/bridge

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Initiative zur Qualitätssteigerung

Offensive Holzbrückenbau von Arnim Seidel, Frank Miebach

Holzbautechnische und baupoliti-sche Veränderungen wie sich wan- delnde Nutzerinteressen lassen erwarten, dass sich der Anteil von Holzkonstruktionen im Bauwesen deutlich erhöhen wird. Mit zuneh-mender Mobilisierung steigt der Bedarf an Verkehrswegen und Brü- cken in vorher nicht da gewesenen Dimensionen. Noch nie in der Bau- geschichte sind so viele Brücken errichtet worden wie seit der zwei- ten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Führende Experten prophezeien in diesem Kontext dem Naturbaustoff Holz für den Brückenbau unter der Voraussetzung eine Zukunft, dass sich die Öffentlichkeit seiner über- ragenden Eigenschaften wieder bewusst wird und sich Baufach-leute wieder der naturgesetzlichen Disziplin des Konstruierens mit ihm unterziehen.

1 EinleitungDer Bau von Überführungen aus Holz – seien es Fußgänger-, Verkehrs- oder Grünbrücken – ist trotz technisch weg- weisender und von der Fachwelt wie der breiten Öffentlichkeit bewunderter Ein- zelbauwerke immer noch eine Ausnahme. Neben historischen Beispielen wie der jahrhundertealten Rheinbrücke in Bad Säckingen – mit 204 m ist sie die längste gedeckte Holzbrücke Europas – sind in Deutschland als Leuchtturmprojekte des 20. Jahrhunderts die 195 m lange Fuß- gängerbrücke über den Main-Donau-Kanal bei Essing von 1985 oder die Stra- ßenbrücke über die Isar bei Thalkirchen von 1991 zu erwähnen. In den letzten Jahren stärken bautechni-sche Innovationen sowie Untersuchun-gen zur Wirtschaftlichkeit von Holzkon-struktionen die Wettbewerbsfähigkeit und zeigen die große Leistungsfähigkeit des Holzbrückenbaus. So belegen Brü- cken in Holz-Beton-Verbundbauweise den Erfindungsgeist der Ingenieure, denn durch die Kombination zweier leistungs-starker Werkstoffe verfügen sie über eine Reihe positiver Eigenschaften. Hier wer- den Holz und Beton gleich mehrere Funktionen zugeordnet: Die bewehrte Betonplatte dient als Fahrbahn und wird gleichzeitig durch Einbindung in das Verbundtragwerk, über die schubsteife Verbindung mit dem Holz, zum Lastab-trag herangezogen. Zusätzlich über-nimmt die Betonplatte den Witterungs-schutz für das Holztragwerk, das Holz wiederum den Zugkraftanteil der Hybrid- konstruktion.Besonders erfreulich ist, dass die DEGES Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH, eine vom Bund und von derzeit zwölf Bundesländern getragenes Unternehmen, das die Planung und Bau- durchführung von Verkehrswegen über- nimmt, beim Bau von Grün- oder Wild- brücken den Baustoff Holz favorisiert.

Sie errichtete Europas erste Wildbrücke aus Holz über der B 96 bei Wilmshagen in Brandenburg, weitere folgten über der A 1 bei Nettersheim, Nordrhein-West-falen, oder der B 101 zwischen Lucken-walde und Trebbin, Brandenburg, neue Brücken in Thyrow, Brandenburg, und Samtens, Mecklenburg-Vorpommern, befinden sich bereits in der Realisierung. Beispielgebende Resultate im In- und Ausland belegen nicht nur deren techni- sches Potential, sondern auch die beson- dere Ästhetik von Holzbrücken. Sie bin- den sich gut in eine natürliche Umge-bung ein und gelten als besonders an- gemessen für den Landschaftsraum. Brücken sind oft schon wegen ihrer Größe weithin sichtbare Bauwerke, die das Bild einer Landschaft oder einer Stadt stark prägen können. Sie werden unter Um- ständen von Millionen an Menschen benutzt und nicht nur wegen ihrer ge- stalterischen Qualität, sondern auch in ihrer Materialität wahrgenommen.Auftraggeber im Brückenbau sind zu- meist die öffentliche Hand in Form von Tiefbauämter der Kommunen sowie die Bauverwaltungen der Eisenbahn, der Straßen und der Autobahnen und über allen das Bundesverkehrsministerium. Hier werden Entscheidungen gefällt, die vorrangig ökonomisch orientiert sind und den Holzbau nur selten in Betracht ziehen. Das liegt auch an der mangel-haften Überzeugungsarbeit seitens der Holzwirtschaft. Zentrale Fachausschüsse der Bauverwaltungen haben holzfreie Einheitssysteme von Richtlinien und sogar Richtzeichnungen geschaffen, die den gesamten Brückenbau reglementie-ren, angefangen vom Tragwerk bis hin zu sämtlichen Details der Ausstattung – doch Holz wird dabei kaum bzw. gar nicht erwähnt. So erfährt es in der Brückenbau-praxis noch nicht die ihm gebührende Marktdurchdringung.

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2 Vorbehalte gegen Holzbrücken Holzbrücken begegnen häufig noch über- kommenen pauschalen Vorurteilen hin- sichtlich ihrer Lebensdauer und ihrer Unterhaltskosten. Die neuveröffentlichten Ablöserichtlinien beweisen allerdings das Gegenteil. Das heißt, sie bestätigen ge- schützten Geh-, Radweg- und Straßen-brücken eine theoretische Nutzungs-dauer von 60 Jahren und legen den Satz der jährlichen Unterhaltskosten auf 2,00 % fest. Eine Untersuchung von hölzernen Verkehrsbrücken [1] zeigt, dass die Dauer-haftigkeit und Lebenserwartung ge- schützter Holzbrücken mit einer Nut- zungsdauer von 80 Jahren und jährlichen Unterhaltskosten von 1,00–1,30 % nahe den Konkurrenten aus Stahlbeton, Spann- beton, Stahl und den Stahlverbundbrü-cken liegen. Obwohl sich die Lebenserwartungen aller Baustoffe allmählich annähern, sind Kos- tenunterschiede festzustellen. Holz ist in dem Zusammenhang nicht nur dauerhaft und leistungsfähig, sondern es ist auch ein kostengünstiges Material. Der kon- struktive Holzschutz ist der Schlüssel zur Langlebigkeit einer Holzbrücke. Er ver- hindert nicht nur Schadensfälle, sondern auch den Einsatz chemischer Holzschutz-mittel. Eine konstruktiv gutgeplante Holzbrücke lässt sich bei plötzlich auftre- tenden Schäden, zum Beispiel Anprall-schäden durch Verkehrsunfälle, schnell reparieren, da die jeweiligen Bauteile relativ leicht und unkompliziert auszu-tauschen sind.

Die Entwicklung etablierter Holzprodukte wie Brettschichtholz mit gesteigerten Materialeigenschaften, großen Abmes-sungen und hoher Tragfähigkeit, aber ebenso Fortschritte in der Verbindungs-technik haben entscheidend zum neuen Verständnis und Stellenwert von Holz im Brückenbau beigetragen. Die neuen Ver- bindungstechnologien haben zudem jedoch die Fertigung und Montage tief- greifend verändert. Heute werden, ver- gleichbar dem modernen Holzhausbau, ganze Brückenbauteile in spezialisierten

1 Fachwerkbrücke in Lörrach Planung: Regierungspräsidium Freiburg/HSW-Ingenieure © Schmees & Lühn Holz- und Stahlingenieurbau GmbH & Co. KG

2 Blockträgerbrücke in Neckartenzlingen Planung: Ingenieurbüro Miebach © Burkhard Walther

Holzbauunternehmen vorgefertigt und auf der Baustelle zum kompletten Trag- werk montiert. Daraus resultiert ein zeit- licher, wirtschaftlicher und nicht zuletzt ein qualitativer Gewinn. Neue Fußgän-ger- und Straßenbrücken, die sich durch Originalität, gestalterische Qualität sowie eindrückliche Dimensionen auszeichnen, sind das Resultat.

3 Holzbau im Boom In Deutschland ist die Nachhaltigkeitsbe-wertung mittlerweile obligatorisch bei Bauvorhaben des Bundes. Das »Nachhal-tige Bauen« setzt sich langsam in dem für den Rohstoff Holz so wichtigen Bausektor durch. Holzbautechnische und baupoliti-sche Veränderungen sowie sich wandeln-de Nutzerinteressen lassen erwarten, dass sich deshalb der Anteil von Holzkonstruk-tionen im Bauwesen deutlich erhöhen wird. Schon heute gilt Holz als das nach- haltige Material mit dem größten Ent- wicklungspotential, da sich die Holztech-nologie und der Holzbau seit 25 Jahren in einer bisher ungekannten Geschwindig-keit entwickeln.

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Immer mehr Bauherren entscheiden sich im Neubau oder bei der Modernisierung von Gebäuden für die Holzbauweise. Bei Ein- und Zweifamilienhäusern haben Holzbauten im Bundesdurchschnitt einen Anteil von mehr als 15 %, in Baden-Würt-temberg sind es annähernd 25 %. Das mehrgeschossige Bauen bis unterhalb der Hochhausgrenze ist aufgrund der Novellierung von Landesbauordnungen nicht nur möglich, sondern führt gerade zu einer kleinen Sonderkonjunktur in der Holzwirtschaft. Diese Entwicklung ist noch lange nicht beendet – und von ihr sollte auch der Holzbrückenbau profitie-ren. Die Holznutzung bleibt trotz ihrer rasan- ten Dynamik freilich immer erklärungs-bedürftig: Traditionell geprägte Vorstel-lungen wie »Massives Bauen ist solides Bauen« oder Vorurteile gegenüber dem Holzbau selbst lösen sich erst langsam auf. In einem positiv gestimmten Klima wächst naturgemäß das Informations-bedürfnis potentieller Auftraggeber und der Fachwelt. Bauherren, Planer und Handwerk verlangen mehr denn je nach kompetenter Aufklärung über den Bau- stoff Holz und einen produktiven Dialog zwischen der Branche und der Bauwelt – dies gilt auch und gerade für den Bau von Brücken aus Holz.

3 Pylonbrücke in Lohmar Planung: Ingenieurbüro Miebach © Ingenieurbüro Miebach

4 Schwerlastfachwerkbrücke in Malters, Schweiz Planung: Pirmin Jung Ingenieure AG © Markus Schranz

4 Stoffliche Nutzung von Holz Im Gegensatz zu anderen Werkstoffen und Wirtschaftszweigen wirkt sich die Verwendung von Holz positiv auf den CO2-Haushalt und das Klima aus. Seine stoffliche Nutzung führt zu einer hohen CO2-Reduktion: Der Kohlenstoffspeicher bleibt über die gesamte Verwendungs-dauer von Holzprodukten erhalten. Andere, in ihrer Herstellung CO2-inten-sive Materialien werden ersetzt. Verbau-tes Holz erspart der Atmosphäre jahr- zehntelang CO2. Nicht nur ökologisch im Sinne des Klimaschutzes ist es die beste Strategie, Holz möglichst lange im Ver- wendungskreislauf zu halten, es bringt auch ökonomisch Vorteile, weil sich mit jedem Verarbeitungsschritt eine höhere Wertschöpfung erzielen lässt.

5 Sprengwerkbrücke in Peiden-Bad, Schweiz Planung: Conzett Bronzini Partner AG © Ralph Feiner

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Dieses Konzept der »Kaskadennutzung« sieht vor, dass Holz in mehreren Schritten stofflich, also als Werk- oder Baustoff, ein- gesetzt wird. Bauwerke aus Holz sind nicht nur aus dem Wald verlagerte Koh- lenstoffspeicher, sondern tragen zusätz- lich dazu bei, dass an anderer Stelle weni- ger CO2 entsteht. Erst wenn keine stoffli- che Verwendung mehr in Frage kommt, wird das Holz zur Energieproduktion, zum Beispiel für die thermische Nutzung, freigegeben. Relevant für das Klima ist jedoch nicht allein die Existenz solcher Speicher, sondern deren Stabilisierung und Vergrößerung. Neben dem Hinaus-schieben der Kohlenstofffreisetzung hat somit besonders eine steigende stoffliche Verwendung von nachhaltig produzier-tem Holz und eine damit verbundene Stärkung der Kaskadennutzung einen positiven Effekt auf das Klima. Holz ist der einzige nachwachsende Roh- stoff, der sich unmittelbar als konstruk-tiver Baustoff einsetzen lässt. Holzbau-werke – und hierzu zählen Holzbrücken, deren Realisierungspotential noch lange nicht ausgeschöpft ist – haben im Ver- gleich zu Bauten aus herkömmlichen, nicht nachwachsenden Materialien eine um mehr als die Hälfte kleinere CO2-Bilanz (Gesamtbetrag von Kohlenstoffdioxid-emissionen, der über die Lebensstadien eines Produkts entsteht), obwohl Fakto- ren wie Substitutionseffekte und Nach- wuchspotential hier noch gar nicht be- rücksichtigt sind. Die Verarbeitung von Bäumen zum Baustoff Holz benötigt weit weniger fossile Energie als die Herstel-lung von Stahl, Beton, Kunststoff, Ziegeln oder gar Aluminium. Im Unterschied zu vielen anderen Materialien verfügt Holz ebenso über sinnlich wahrnehmbare, haptische Qualitäten wie fertigungstech-nische Vorteile, etwa das geringe Gewicht oder die leichte Bearbeitbarkeit.

Brücken aus Holz sind, genau wie alle anderen Holzbauwerke, Baumaßnahmen mit Gewinn für den Klimaschutz. Holz ersetzt beim Brückenbau herkömmliche Baustoffe wie Stahl oder Beton, deren Herstellung besonders CO2-intensiv ist, und vermeidet die dabei entstehenden Emissionen. Aus Lebenszyklusanalysen, die die Treibhausgasemissionen eines Bauwerks von Errichtung über Instand-haltung bis zu Rückbau und Entsorgung betrachten und dabei Substitutionseffek-te berücksichtigen, ergibt sich, dass pro Kilogramm eingesetztem Holz bis zu 1,76 kg CO2 eingespart werden können.

6 Grünbrücke bei Luckenwalde Planung: Schwesig + Lindschulte GmbH © René Legrand

5 Offensive HolzbrückenbauDie beschriebenen Vorbehalte gegenüber dem Holzbrückenbau sind zumeist auf ein Wissensdefizit unter Baufachleuten und -entscheidungsträgern vor allem im kommunalen Bereich zurückzuführen. Die weitreichende Entwicklung des Holz- brückenbaus in den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde allenfalls in Teilberei-chen und auch nur für Eingeweihte publi- ziert. Eine professionelle Aufbereitung des Standes der Technik im Sinne konkre- ter Planungshilfen oder die gebündelte Darstellung gelungener Realisierungsbei-spiele als Überzeugungshilfe fanden weder in der Baufachliteratur noch in Publika-tionen für die breite Öffentlichkeit statt.

Beratende Ingenieure im Bauwesen PartG mbBDR. SCHÜTZ INGENIEURE

Erneuerung der Echelsbacher Brücke

1. Preis im Realisierungswettbewerb mit Kolb Ripke Architekten

Deutscher Ingenieurpreis 2017, Straße und Verkehr, Kategorie Baukultur mit Staatl. Bauamt Weilheim

Objekt- und Tragwerksplanung LPH 1 - 6

www.drschuetz-ingenieure.de

www.drschuetz-ingenieure.de

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164 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

Es erscheint also besonders wichtig, über die noch weitverbreiteten Vorurteile hin- sichtlich der Nutzungsdauer und Unter- haltskosten von Holzbrücken aufzuklären. Bauentscheidungsträger sollten deshalb mit ansprechendem Informationsmate-rial ausgestattet werden, das sie von den gestalterischen Qualitäten einer Holz- brücke überzeugt und ihnen entspre-chende Argumentationshilfen an die Hand gibt.

7 Wettbewerb: Fuß- und Radwegbrücke in LahrEntwurf: Meyer + Schubart Ingenieure/Kolb Ripke Architekten© Kolb Ripke Architekten

8 Wettbewerb: Fuß- und Radwegbrücke in Rheinfelden Entwurf: Ingenieurbüro Miebach/Swillus Architekten © Rendermanufaktur

Vor diesem Hintergrund riefen das Inge- nieurbüro Miebach, die Fachagentur Holz und die Qualitätsgemeinschaft Holzbrü-ckenbau e.V. die »Offensive Holzbrücken-bau« ins Leben. Mit Hilfe des Informa-tionsdienstes Holz sollen der aktuelle Stand des modernen Holzbrückenbaus, seine materialbezogene Attraktivität wie auch der Gewinn für den Klimaschutz in das Bewusstsein von Baufachleuten und -ent- scheidungsträgern getragen werden. Das

Angebot professioneller Planungshilfen für Tragwerksplaner und Architekten, ver- bunden mit der Dokumentation konkre-ter Anwendungen, ist nötig, um einen selbstverständlichen und sicheren Um- gang mit dem Baustoff Holz in Planung und Umsetzung zu bewirken sowie die Bereitschaft der Baufachleute zu stärken, Holz als Baustoff überhaupt in Betracht zu ziehen oder zu berücksichtigen. Erklär- tes Ziel ist die Erhöhung des Anteils von Holzbrücken am wachsenden Markt des Brückenbaus. Vier zusammenhängende Publikationen bieten technische Basisinformationen als Planungshilfe. Entwurf von Holzbrücken:Als Unterstützung für den fachgerech- ten Entwurf von Holzbrücken werden in dieser Broschüre auf 60 Seiten Grund-lagen, Regeln und Abläufe für die Aus- bildung von Brücken in Holzbauweise definiert. Dies umfasst die Erläuterung besonderer Rahmenbedingungen bei Holzbrücken, die Darstellung etablierter Bauweisen sowie die Ausbildung spezi- fischer Details von Querschnitten, Belägen, Geländern und Lagern.

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9 Schwerlastbrücke in Schwarzach Planung: Staatliches Bauamt Passau/Sailer Stepan und Partner GmbH © René Legrand

Tragwerksplanung von Holzbrücken: Als sinnvolle Ergänzung zu dem Vereinfa-chen von Entwurfsprozessen werden zur Unterstützung von Tragwerksplanern in dieser Broschüre Bemessungshilfen und Lastannahmen zusammengefasst. Neben Hilfen zur überschlägigen Einschätzung von Bauteilen des Tragwerks werden Aus- führungsmöglichkeiten aufgezeigt und mustergültige Berechnungen aufge-führt. Musterzeichnungen für Holzbrücken: Im Gegensatz zu Brücken aus konventio-nellen Baustoffen gibt es für Holzbrücken kaum technische Richtlinien. In dieser Broschüre wird Planern ein durchgängi-ger Katalog an Musterzeichnungen zu Verfügung gestellt. Die Zeichnungen berücksichtigen den aktuellen Stand der Technik und wurden innerhalb eines von der Fachhochschule Erfurt geleiteten Forschungsprojekts namens »ProTimb« in Zusammenarbeit mit ausführenden Betrieben und Ingenieurbüros entwickelt. Mit Anwendung der entwickelten Details lässt sich ein hoher Qualitätsstandart bei der Ausführung von neuen Holzbrücken gewährleisten und die Standardisierung von Details im Vergleich zu konventio-nellen Bauweisen weiter verbessern.Moderner Brückenbau mit Holz:Zusätzlich liegt ein besonderer Schwer-punkt in der Ansprache der Auftraggeber im Brückenbau. Dies sind Tiefbauämter der Kommunen, die zentralen Fachaus-schüsse der Bauverwaltungen und vor allem das Bundesverkehrsministerium. Für sie wird ergänzend das bildbetonte Buch »Moderner Brückenbau mit Holz« herausgegeben, das vor allem auf die Überzeugungskraft beispielhafter Brü- ckenbauwerke setzt, die sich aber auch an den Maßstäben einer langlebigen Konstruktion in Holz orientieren.

Die Veröffentlichungen können kostenfrei über die Websites www.holzbruecken-bau.com oder www.informationsdienst-holz.de bezogen werden. Die »Offensive Holzbrückenbau« wird maßgeblich durch den Waldklimafonds der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung in Bonn gefördert. Projektpartner des Inge- nieurbüros Miebach und der Fachagentur Holz sind die Qualitätsgemeinschaft Holz- brückenbau e.V., der Informationsverein Holz e.V. als Träger des Informations-dienstes Holz sowie die Studiengemein-schaft Holzleimbau e.V.

Autoren:Dipl.-Ing. Architekt Arnim SeidelFachagentur Holz, DüsseldorfDipl.-Ing. Frank MiebachIngenieurbüro Miebach, Lohmar

Literatur[1] Gerold, M.: Forschungsvorhaben Ablösebeträge für

moderne Holzbrücken, Richtzeichnungen und Typenentwürfe. Abschlussbericht, Teil 1. Harrer Ingenieure, Karlsruhe, 2005.

Hintergrundbild: A1 Talbrücke Exterheide Leistung: Genehmigungs- und Ausführungsplanung in ARGE

• HOAI Lph 1 - 9• Bauüberwachung• Überwachung Stahlbau-/Korrosions- schutzarbeiten• Nachtragsmanagement• Vermessung• SiGeKo

• Sicherheitsaudit• Bauwerksprüfungen für alle Baulastträger• Bauwerksprüfungen im Unterwasser- bereich• Bauwerksprüfungen mit Höhenzugangs- technik• Stahl- und Maschinenbau

Ingenieurdienstleistungen

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die-ing.de

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P R O D U K T E U N D P R O J E K T E

Lager und Übergangskonstruktionen von Maurer

Neubau der Schiersteiner Brücke

Die bisherige Autobahnbrücke über den Rhein im Zuge der A 643 wurde 1962 er- richtet und verbindet Wiesbaden-Schier-stein mit Mainz-Mombach. Wegen des stark gestiegenen Verkehrsaufkommens auf ca. 90.000 Kfz/d weicht sie nun einem zweiteiligen Neubau mit 1.280 m bzw. 1.285 m Länge: Die je 15-feldrigen Hohl- kastenbrücken haben drei Fahrspuren, einen Standstreifen sowie Rad- und Fuß- wege und sind 21,72 m breit.Der erste Überbau wurde seit 2013 fluss- abwärts parallel zur Bestandsquerung er- stellt und trägt seit November 2017 den Verkehr in beide Richtungen. Zwischen-zeitlich wurde die alte Brücke abgebro-chen, und der zweite Neubau soll, teil- weise unter Verwendung der alten Grün- dung, 2021 fertig sein. Bautechnisch an- spruchsvoller Höhepunkt war 2016 das Einschwimmen und Einheben des 120 m langen Mittelstücks über den Rhein. Be- reits während der Planungen musste abgeschätzt werden, welche Bewegun-gen und Kräfte die Lager bei diesem Kraftakt erfahren werden.Prognostiziert wurden hier große Verdre- hungen von 1,50 %, gleichzeitig müssen die Lager hohe Vertikallasten von über 6.000 t aufnehmen, weshalb Kalottenla-ger mit der Gleitpaarung MSM® (Maurer Sliding Material) und Edelstahlblech zum Einsatz kamen. MSM® hat gemäß Europäischer Techni-scher Bewertung ETA-06/0131 eine zerti- fizierte, extrem hohe spezifische, charak- teristische Pressung von 180 N/mm². Selbst beim eingerechneten Sicherheits-faktor von 1,40 ist auf diesen Gleitwerk-stoff eine außergewöhnlich hohe Pres- sung von 128 N/mm² zulässig. Dadurch konnten die Abmessungen der Kalotten-lager auf ein Minimum von ca. 1.600 mm x 1.500 mm x 380 mm bei einem Gewicht bis 4.600 kg pro Lager reduziert werden, was gegenüber herkömmlichen Lösun-gen eine Volumenersparnis von ca. 30 % bedeutet. Die in der Gleitpaarung auf- tretende Reibung wird aufgrund von MSM® im Übrigen auf sehr niedrige 2 % begrenzt.Die großen Verdrehungen wurden mit einem speziell angepassten inneren Ge- lenk, der Kalotte, realisiert, deren Ferti- gung mit dem hochfesten Material MSA® erfolgte: MSA® ist eine spezielle metalli-sche Legierung, die jegliche Korrosion verhindert und eine Lebensdauer von 100 Jahren aufweist, und zwar selbst unter widrigsten Umgebungsbedin-gungen.

Als Fahrbahnübergangskonstruktionen wurden Schwenktraversen mit oben aufgebrachter Lärmminderung gewählt, welche die Bauwerkspalte aufgrund von thermischen Bauwerksbewegungen an den beiden Deckenden überbrücken und zudem sicher und dauerhaft bei 90.000 Kfz/d funktionieren müssen. Der Geräuschpegel bei Überfahrten kann mit dieser Dehnfuge um 40–60 % redu- ziert werden. Und: Die Konstruktionsart Schwenktraverse besitzt keine wartungs-anfälligen Bauteile. Die schräg gestellten Traversen ermöglichen eine elastische Zwangssteuerung, die identisch große Fugenspalte erzeugt. Darüber hinaus erlaubt jenes Prinzip zwängungs- und ermüdungsfreie Brückenbewegungen in alle Richtungen über 50 Jahre und länger. Die Ausführung ist regelgeprüft und in ihrer Lärmminderung vom Bundesver-kehrsministerium (BMVI) bestätigt. Alle tragenden Teile und lärmmindernden Rautenelemente an der Fugenoberfläche sind verschweißt, bzw. es werden keine wartungsintensiven Schraubverbindun-gen eingesetzt. In Summe wurden beim ersten Überbau vier 22 m breite Fahr-bahnübergangskonstruktionen einge-baut, die zulässigen Brückenlängsbewe-gungen liegen zwischen 700 mm und 1100 mm bzw. bei der einprofiligen Über- gangskonstruktion bei 95 mm.Die zweite Strombrücke befindet sich derzeit in Realisierung und wird mit den gleichen Bauwerkschutzelementen aus- gestattet, ihre Freigabe ist für 2021 geplant.

www.maurer.eu

Neue Hohlkastenstruktur neben vorhandener Flussquerung © Maurer SE

Vermessung der eingebauten Keilplatte © Maurer SE

Kalottenlager im Schnitt © Maurer SE

Schwenktraversenkonstruktion von unten © Maurer SE

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P R O D U K T E U N D P R O J E K T E

Vermessung der eingebauten Keilplatte © Maurer SE

Kalottenlager im Schnitt © Maurer SE

Schwenktraversenkonstruktion von unten © Maurer SE

Erfolgreiche Schalungsarbeiten dank Paschal

Kinzigbrücke zwischen Steinach und Bollenbach

Die neue Brücke über die Kinzig, als Ersatz für das schadhafte Vorgängerbauwerk ge- plant und realisiert, ist Teil des vielbefah- renen und unter Schwarzwaldtouristen beliebten Kinzigtal-Radweges, der zwi- schen Offenburg und Freudenstadt ver- läuft. Darüber hinaus dient sie als wich- tige Verbindung zwischen Bollenbach und Steinach für Fahrradfahrer und Fußgänger. Die Baukosten für ihre Errichtung addie- ren sich auf ca. 1,60 Mio. € und werden von den beiden Kommunen Haslach und Steinach gemeinsam getragen. Von der ausführenden Baufirma wurde das Paschal-Werk G. Maier GmbH mit der Schalungsplanung und -bereitstellung beauftragt.

Feder-Brettern belegt. Letztlich wurden für dieses Projekt vom Kunststoffaus-gleich über die Scharnierecken bis hin zu den Großflächenelementen das komplette Logo.3-Sortiment sowie die Paschal-Raster-Universalschalung für Fundamente eingesetzt, was in Summe ca. 200 m² Schalung bedeutete.

Errichtung der Brückenpfeiler © Paschal-Werk G. Maier GmbH

Widerlager in Sichtbetonqualität © Paschal-Werk G. Maier GmbH

Ersatzneubau (kurz) vor Fertigstellung © Paschal-Werk G. Maier GmbH

Die Einweihung der neuen Brücke er- folgte Ende 2018 wie geplant, zuvor er- hielt sie aber noch einen ca. 4 m breiten, überdachten Überbau aus Holz.

www.paschal.com

Insgesamt lieferte Paschal die Schalung für die zwei Brückenpfeiler von je 5,45 m und 3,93 m sowie die Schalung für die beiden Widerlager, wobei hier die ge- wünschte Sichtbetonoberfläche mit Brettstruktur eine besondere Anforde-rung war: Dafür wurde die Logo.3-Scha-lung speziell mit 2 cm breiten Nut-und-

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168 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

P R O D U K T E U N D P R O J E K T E

Einfacher Trägereinhub dank Terex

»Verquerer« Brückenbau in Köln

Die Errichtung einer schräg zur Fahrbahn verlaufenden Brücke über der A 1 bei der Anschlussstelle Köln-Niehl stellte das Team des beauftragten Krandienstleisters vor ganz besondere Herausforderungen. Obwohl ein etwas kleinerer Kran diesen Job wahrscheinlich auch hätte überneh-men können – er wäre dazu aber auf der beengten Baustelle voll aufzurüsten ge- wesen –, fiel die Entscheidung letztlich zugunsten des Demag AC 500-8 All-Terrain-Krans: Gewählt wurde also ein Gerät, das alle anstehenden Hübe dank seiner hohen Hubkraft selbst im kleinen Rüstzustand sicher bewältigen konnte und damit unterm Strich die wirtschaft-lich und technisch beste Lösung war. Die Anfahrt des Krans erfolgte völlig pro- blemlos in Begleitung von nur vier Lkws, die den benötigten Ballast samt dem er- forderlichen Zubehör auf die Baustelle brachten. Der anschließende Aufbau des Krans erwies sich hingegen als deutlich komplizierter, denn aufgrund der beeng- ten Platzverhältnisse vor Ort durch ab- gestellte Schachtbauwerke und Fertig-teile anderer Baufirmen mussten die Ballast-Lkws auf der Gegenspur geparkt und der Kran über Fahrbahn und Leit- planke hinweg bestückt werden. Trotz des damit verbundenen Mehraufwands gelang es freilich, den Demag AC 500-8 mit drei Monteuren innerhalb von nur 1,50 h mit seinem 37,90 m langen Haupt- ausleger und den 120 t Gegengewicht für die insgesamt acht Hübe der 37 m langen und 51 t schweren Brückenelemente zu konfigurieren.Die eigentliche Herausforderung folgte indessen erst, galt es doch, die Stahlträ-ger ebenso über die Leitplanke hinweg zu entladen. Bei den Hüben selbst war dann höchste Präzision gefragt, da die Binder absolut waagerecht hängend auf den Widerlagern anzuordnen waren. Erschwerend kam dabei hinzu, dass die Brücke in einem Winkel von 80° schräg über die Autobahn verläuft. Zudem musste der Kran während der Hübe ein- mal umsetzen, ohne dabei die benach-barte Leverkusener Brücke befahren zu dürfen, was dank einer peniblen Vorbe- reitung in Summe bestens glückte.

Kran mit sehr hoher Hubkraft © Terex Germany GmbH & Co. KG

So ließen sich sämtliche Hübe innerhalb des vorgesehenen Zeitrahmens von 48 h an einem Wochenende durchführen, was in der Einschätzung mündete: »Im Nach- hinein betrachtet, hat sich unsere Ent- scheidung für den Demag AC 500-8 da- mit als goldrichtig erwiesen. Denn das

Einheben aller Stahlträger über Leitplanke und Gegenfahrbahn © Terex Germany GmbH & Co. KG

vorgegebene Zeitfenster hätten wir mit einem anderen Kran kaum einhalten können«, so der Projektleiter des Krandienstleisters.

www.terex.com

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1691/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

P R O D U K T E U N D P R O J E K T E

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Effektive Betonersatzsysteme von Sika

Schutz für Brückenbauwerke

Brücken sind elementare Bauwerke der Verkehrsinfrastruktur: In ihrer Mehrzahl bestehen sie aus Stahlbeton und sind in der Regel für eine Lebensdauer von ca. 60–100 Jahren konzipiert. Diese Nut-zungsdauer ist jedoch nur dann zu ge- währleisten, wenn sie von Anfang an optimal geschützt, regelmäßig gewartet und nachhaltig instand gesetzt werden. Welche Maßnahmen bei Letzterem sinn- voll sind, regelt Teil 9 der EN 1504, indem sie ein strukturiertes, prinzipielles Vor- gehen definiert, und zwar von der Zu- standsanalyse des geschädigten Trag- werkes bis hin zum Unterhaltsplan. Sika produziert ein umfangreiches Sorti- ment an Betonersatzsystemen, die spe- ziell für die Reprofilierung oder den Ersatz des Originalprofils und der Funktion des geschädigten Betons entwickelt wurden und sich für Bauwerke jeglicher Art eig- nen. Das System für die Betoninstandset-zung, Sika MonoTop PCC-System, ist sehr wirtschaftlich und bietet höchste Leis- tungsfähigkeit. Das heißt, es vereint Kor- rosionsschutz und Haftbrücke in einem Produkt und ist ideal auf das Sika Mono- Top-412 DE System abgestimmt, einen vielseitig verwendbaren einkomponen-tigen Betonreprofiliermörtel, der im Nass-Spritzverfahren appliziert wird.

Das Sika MonoTop PCC-System zeichnet sich durch seine hervorragenden Eigen- schaften aus, so ist der Mörtel statisch mitwirkend und besitzt die M3-Zulassung nach der Instandsetzungsrichtlinie des

Reprofilierung von Stahlbetonstrukturen © Sika Deutschland GmbH

Deutschen Ausschusses für Stahlbeton (DAfStb). Weitere Eigenschaften sind die Feuerwiderstandsklasse F 120 und ein sehr hoher Chloridmigrationswiderstand. Für mögliche nachfolgende Arbeiten bil- den wiederum die Feinspachtel Icoment- 520 Mörtel und Sika MonoTop-723 DE eine optimale Basis.Dank einer ausgefeilten Silo-Logistik ist im Übrigen garantiert, dass die Baustelle rund um die Uhr mit ausreichend Material versorgt wird. Auch die notwendige Bau- stelleneinrichtung inklusive Aufstellsilo, Mischeinheit, technischer Dokumentation und eines zuverlässigen technischen Supports stellt Sika aus einer Hand zur Verfügung.

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170 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

P R O D U K T E U N D P R O J E K T E

Friedr. Ischebeck auf der bauma 2019

Baugeräte plus Service Als Hersteller von Schalungsprodukten, die größtenteils nicht im Bauwerk ver- bleiben, sondern nur in der Rohbauphase zum Einsatz kommen, bietet Ischebeck eine Schnittstelle zum BIM-Modell, um in selbigem die Schalungsplanung reali- sieren zu können. Dies erfolgt mit Hilfe des Programms Revit von Autodesk, die Ischebeck-Produkte stehen dementspre-chend als Revit-Dateien zur Verfügung.Ob als einzelner Stützturm, Raumgerüst, Schaltisch oder Schalwagen: Das Scha- lungsgerüst »Titan« trägt Lasten aller Art – und in Deutschland ist es bis zu einer Höhe von 24,60 m über eine Typenprü-fung geregelt. In allen anderen Fällen

mussten bislang aufwendige Einzelnach-weise erbracht werden: Mit der neuen smartTitan-Bemessungssoftware von Ischebeck gibt es jetzt freilich ein Tool, mit dem sich der Nachweis auf Basis der Grundlagen der Typenprüfung für jeden Systemaufbau erstellen lässt. Zugleich erlaubt sie, den Materialeinsatz für eine optimale Auslastung des Systems anzupassen. Digitale Unterstützung gibt es auch im Bereich der Geotechnik. Ab April wird ein Tool existieren, das Planern hilft, ihre Projekte leicht und schnell mit dem Sys- tem-Mikropfahl Titan auszuarbeiten. Das heißt, es brauchen nur einige weni-

ge Parameter eingetragen zu werden, und schon erfolgen, quasi ganz auto-matisch, die Nachweise zur inneren und äußeren Tragfähigkeit oder zum Knicken. Darüber hinaus wird auf der Messe in München der sogenannte Screen Saver zu sehen sein, eine Einhausung aus leich- ten Aluminiumlochblechen mit Platt- formen auf vier Ebenen, die sowohl die Arbeiter schützt, als auch ein Herunter-fallen von Gegenständen verhindert. Das alles und noch viel mehr zeigt die Friedr. Ischebeck GmbH auf der bauma 2019 in Halle B 3 am Stand 449.

www.ischebeck.de

Neuer und hochpräziser Desktop Lasercutter von Mr Beam

Fertigung von Brückenbaumodellen im Büro

Bauwerksmodelle lassen sich dank eines neuen Desktop Lasercutter schnell und präzise direkt im eigenen Büro anfertigen. Architekten und Ingenieure sind dadurch in der Lage, ihre Modelle unabhängig von Drittanbietern und teuren Industrielasern flexibel, schnell und kostengünstig selbst herzustellen – und damit Zeit zu sparen und sich einen Vorsprung gegenüber dem Wettbewerb zu verschaffen. Das Münchner Start-up Mr Beam Lasers GmbH hat sich nicht nur zum Ziel gesetzt, Lasercutter als normale Verbraucherelek-tronik in die Wohnzimmer zu bringen, son- dern will auch dafür sorgen, dass die Ge- räte nicht mehr aus Schulen, Ingenieur-, Architektur- und Designbüros sowie Bou- tiquen wegzudenken sind. Das neueste Produkt ist seit Mitte 2018 verfügbar und heißt »Mr Beam II«: ein kompakter Laser- cutter, der mit seiner Größe von 724 mm x 538 mm x 175 mm bequem auf jedem Schreibtisch Platz findet. Die Bedienung erfolgt über eine benutzerfreundliche Webapplikation und kann so plattform-unabhängig über Windows, Linux oder Mac angesteuert werden. Über das inte- grierte WLAN oder LAN ist es zudem mög- lich, den Lasercutter mühelos in das vor- handene Netzwerk einzubinden. Um Materialien zu schneiden, ist lediglich eine Vektordatei, wie zum Beispiel dxf oder svg, erforderlich, die sich mit jedem gängigen Graphikprogramm erzeugen lässt, während für Gravuren schon Pixel- graphiken wie jpg oder png reichen: Per Drag & Drop werden diese in die Web- applikation geladen. Das User-Interface erlaubt selbst Laien die Anpassung der

benötigten Einstellungen, und die Posi- tionierung der Graphik auf dem Material gelingt dank einer integrierten Kamera spielend leicht. Auf der 500 mm x 390 mm großen Ar- beitsfläche des Mr Beam II Lasercutter können feinste Details, wie Brückengelän-der, Entwässerungsrinnen oder Auflager-punkte, sowie Rundungen jeglicher Art exakt ausgeschnitten werden. Einzelteile, die häufiger benötigt werden, sind dar- über hinaus auf Knopfdruck in beliebi- ger Anzahl präzise reproduzierbar. Neben dem Zuschneiden von feinsten Formen ist es auch möglich, Oberflächenstrukturen und Fahrbahneinteilungen per Lasergra-vur zu realisieren, dazu bedarf es nur einiger simpler Anpassungen der Ein- stellungen im User Interface. Der Phantasie sind also kaum Grenzen gesetzt, zumal in puncto Materialien ebenfalls eine reiche Auswahl zur Ver- fügung steht: Neben Finnpappe, Well- pappe und Sperrholz kann der Mr Beam II eine Vielzahl unterschiedlicher Werkstoffe verarbeiten, eine Liste findet sich auf der

Homepage. Um zu gewährleisten, dass das gewünschte Material geeignet ist, bietet Mr Beam Lasers vor dem Kauf kostenlose Tests von Mustern an. Trotz seiner Leistungsstärke ist der Mr Beam II ein Laserklasse-I-Gerät, da durch das vollkommen geschlossene Gehäuse und zahlreiche Sicherheitsfunktionen sichergestellt ist, dass kein Laserlicht nach außen dringt. In geschlossenen Räumen wird der Mr Beam II entweder an ein vorhandenes Abluftsystem ange- schlossen oder mit einem zusätzlich erhältlichen Mr Beam Air Filter System kombiniert. Das heißt, Feinstaub und unangenehme Gerüche, die während des Laserns entstehen, werden in jedem Fall komplett aus der Abluft gefiltert. Wer den Lasercutter in Aktion erleben möchte, hat jeden ersten Mittwoch im Monat die Gelegenheit, sich für einen Testnachmittag in München anzumel- den – um den Mr Beam live zu erleben und selber zu testen.

www.mr-beam.org

Kompakte Abmessungen zur beliebigen Platzierung © Mr Beam Lasers GmbH

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1711/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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Weitere Modellierungsfunktionen bei Bentley

Open-Anwendungen als Neuerung

Bentley Systems Inc., der weltweit führen-de Anbieter von umfassenden Software-lösungen für die Weiterentwicklung von Planung, Bau und Betrieb von Infrastruk-turen, hat unter anderem OpenBridge Designer eingeführt: OpenBridge Desig- ner ist eine neue, umfassende Anwen-dung, welche die Modellierungsfunktio-nen von OpenBridge Modeler sowie die Analyse- und Planungsfunktionen von RM Bridge, LEAP Bridge Concrete und LEAP Bridge Steel integriert, so dass jetzt alle Anforderungen, die bei der Planung und dem Bau von Beton- und Stahlbrü-cken auftreten können, erfüllen werden.Das heißt, OpenBridge Designer ermög- licht es Ingenieuren, schnell ein intelli-gentes, parametrisches Brückenmodell zu erstellen, das vollständig mit Analyse und Planung sowie Zeichnungen korrespon-diert, in das sich selbige also jederzeit integrieren lassen. Und das wiederum ge- währleistet die nahtlose Synchronisation verschiedener Disziplinen für Analyse, Planung, Detaillierung, Dokumentation, Berechnung und Bemessung.

Ein weiteres Beispiel für kollaborative digitale Workflows von und innerhalb der Open-Anwendungen, die stets Planung und Analyse verknüpfen, ist im Übrigen OpenBuildings Station Designer mit der Fußgängersimulation namens »Legion«,

Kombination von Planung und Analyse © Bentley Systems Inc.

mit der Szenarien des Fußgängerverkehrs simuliert und damit entworfen, getestet und validiert werden können.

www.bentley.com

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172 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

S O F T WA R E U N D I T

Sicheres Zusatztool von Sidoun

G-BIM als Alternative

G-BIM steht für Global BIM: Die Spezial-funktion der Sidoun Globe Oberfläche ist die schnelle und sichere Alternative zur IFC-Schnittstelle. Das heißt, Anwender arbeiten wie gewohnt in ihrem CAD-Programm und erfassen die Daten indi- viduell sowie zeitgleich durch mehrere Mitarbeiter über weite geographische Entfernungen, wobei eine Mehrsprachen-option die Kooperation über Ländergren-zen hinweg erleichtert. Die Sidoun Globe G-BIM Software synchronisiert dabei die Daten in Echtzeit – ohne Konvertierung, ohne Datenübertragung und ohne IFC-Schnittstelle. Sind die grundsätzliche Geometrie und die Qualitäten in CAD erfasst, generiert Sidoun Globe G-BIM das BIM-taugliche Gebäudemodell, und zwar inklusive Übernahme der Mengen in nachvollzieh-barer und VOB-gerechter Form. Änderun-gen in der CAD dann werden automatisch übernommen, so dass jeder Anwender auf Basis identischer Daten arbeitet. In einem weiteren Schritt können die pas- senden Positionen im Leistungsverzeich-nis zu jedem Gebäudemodell-Element ausgewählt werden, der Planer entschei-det also auf der Basis einer gefilterten Liste, welche konkreten Qualitäten die einzelnen Gebäudeteile haben. Es folgen Kostenauswertung, Vergabe, Abrechnung und Rechnungsstellung.

Pflegt man während des Bauprozesses weitere Daten ein, wird eine andauernde Vertiefung der »Level of Detail« erreicht. Und das bedeutet letztlich, dass die Soft- ware die Qualitäten der Gebäudeteile kontinuierlich erfasst und Rückmeldun-gen über den jeweils aktuellen Stand gibt. Alle geschriebenen Daten sind zu- dem mit Quellnachweis gekennzeichnet, so dass der Projektverantwortliche leicht und sicher den Ursprung der Daten erkennt.

Leistungsverzeichnis samt Kalkulation als Beispiel © Sidoun International GmbH

Mit G-BIM haben Planer endlich die Mög- lichkeit, ihr Projekt vollständig zu über- wachen und zu steuern. Das Ergebnis ist eine VOB-gerechte Erfassung sämtlicher CAD- und AVA-Daten in einem digitali-sierten Modell. Eine effiziente Bearbei-tung von Ausschreibungen ist damit ebenso gesichert wie die Kostenauswer-tung und Steuerung nach DIN 276. Die Software trägt derart der hohen Varia- bilität von Bauprozessen Rechnung und lässt Raum für Nachbearbeitungen und flexible Dateneingabe.

www.sidoun.de

Einbindung der Artikelkataloge von Peri

Schalungsplanung in und mit BIM

Die Autodesk® Revit®-Software für Buil- ding Information Modeling (BIM) umfasst unter anderem Funktionen für den kon- struktiven Ingenieurbau sowie die Bau- ausführung und ermöglicht, Entwürfe rasch und unkompliziert zu modellieren. Revit® erleichtert zudem die Zusammen-arbeit verschiedener Projektbeteiligter, da hier alle Mitwirkenden auf zentral frei- gegebene Modelle zugreifen können, er- gänzt um die Option der schnellen und

einfachen Erstellung von 3-D-Visualisie-rungen, wobei Produktkataloge verschie-denster Hersteller für eine intuitive Anwendung sorgen.Ab sofort lassen sich nun auch sämtliche Peri-Systembauteile direkt ins Revit®- Modell integrieren. Das heißt, Interes-sierte können das notwendige Datenpa-ket jetzt kostenfrei auf der Peri-Website herunterladen und in Revit® als Plug-in integrieren. Zur Visualisierung stehen in

Revit® im Übrigen diverse Darstellungen mit unterschiedlichen Detaillierungsgra-den zur Verfügung, so lassen sich im Modell zum Beispiel die Schalungs- mit den zugehörigen Verbindungselementen darstellen oder aber das finale Betonbild: eine große Unterstützung insbesondere für Planer, die exakt diese Visualisierung frühzeitig benötigen. Und: Die Peri Library+ für Revit® ist kompatibel mit Revit® 15, 16 und 17.

www.peri.de

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1731/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

N AC H R I C H T E N U N D T E R M I N E

mit MixedMedia Konzepts

V E R L A G S G R U P P EW I E D E R S P A H NBiebricher Allee 11 b65187 WiesbadenTel.: +49/611/98 12 920Fax: +49/611/80 12 52kontakt@verlagsgruppewiederspahn.dewww.verlagsgruppewiederspahn.dewww.mixedmedia-konzepts.dewww.symposium-brueckenbau.de

Mit BRÜCKEN IN DER STADT wollen wir viele Anfragen insbesondere aus Städten und Kommunen beantworten, wann die nächste Veranstaltung vorgesehen ist, die nicht nur Geh- und Radwegbrücken thematisiert, sondern auch größere Bauvorhaben in den Innenstädten.

Im September werden wir, und zwar erneut in München, dieses Thema aufgreifen und nicht nur große Querungen über Gleisanlagen, innerstädtische Straßenzüge und Gewerbegebiete vorstellen, sondern natürlich ebenso Geh- und Radwegbrücken.

Und da für die Akzeptanz bei der Bevölkerung eine Voraussetzung ist, dass die Beleuchtung, dem Anlass entsprechend, ausreichend und harmonisch gestaltet wird, kommt ihrer Konzeption genau wie der des Lärmschutzes eine hohe Bedeutung zu.

Viele Vorschläge hierzu liegen uns bereits vor, weitere erwarten wir gerne.

Wir würden uns freuen, wenn Sie Interesse an diesem Termin im September 2019 haben.

Einladung zum Symposium BRÜCKEN IN DER STADTTagungsort und Tagungsdatum: München im September 2019

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174 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

N AC H R I C H T E N U N D T E R M I N E

Verleihung im Rahmen des Ingenieuretags

Bayerischer Ingenieurpreis 2019

Für ihre ebenso herausragenden wie zukunftsweisenden Leistungen wurden drei bayerische Ingenieurbüros mit dem »Bayerischen Ingenieurpreis 2019« ausge-zeichnet. Mit insgesamt 10.000 € dotiert, wurde der alle zwei Jahre ausgelobte Preis damit bereits zum zehnten Mal von der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau vergeben. Seine Verleihung erfolgte im Rahmen des 27. Bayerischen Ingenieure-tags in München durch Kammerpräsi-dent Prof. Dr.-Ing. Norbert Gebbeken und den bayerische Bauminister Dr. Hans Reichhart. Bei der Beurteilung der eingereichten Arbeiten standen für das siebenköpfige Preisgericht, dem – Dipl.-Ing. Karl Wiebel, Oberste Baube-

hörde im Bayerischen Staatsministe-rium des Innern, für Bau und Verkehr (Vorsitz),

– Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Markus Auf-leger, Universität Innsbruck,

– Prof. Dr.-Ing. Hans Bulicek, Technische Hochschule Deggendorf,

– Prof. Dr.-Ing. Norbert Gebbeken, Bayerische Ingenieurekammer-Bau,

– Dipl.-Ing. Michael Wiederspahn, Verlagsgruppe Wiederspahn, und

– Dipl.-Ing. (FH) Ralf Wulf, Bayerische Ingenieurekammer-Bau,

angehörten, vor allem Originalität und Kreativität, Innovationskraft sowie die Nutzung neuer Technologien im Mittelpunkt.

Der erste Preis ging an die Max Bögl Stif- tung & Co. KG für die Segmentbrücke in Mühlhausen, und zwar auf Basis nach- stehender Jurybegründung: »Die Seg- mentbrücke stellt eine neuartige Fertig- teilkonstruktion dar, die einen hohen Vorfertigungsgrad aufweist, sehr kurze Bauzeiten ermöglicht und bei der die Fahrbahnplatte ohne Abdichtung und Belag auskommt – was die Jury in Sum- me überzeugt hat. Kennzeichnend ist die klare Trennung des Längstragwerksys-tems von längs- und quervorgespannten

Bauminister Dr. Hans Reichhart, Preisträger, Kammerpräsident Prof. Dr.-Ing. Norbert Gebbeken (v.l.n.r.) © Tobias Hase/Bayerische Ingenieurekammer-Bau

Erster Preis: Segmentbrücke in Mühlhausen © Firmengruppe Max Bögl

Fahrbahnplatten. Die auf luftdicht ver- schweißten Stahlhohlkastenträgern auf- gelagerten, mittels externer Vorspannung im Gehwegbereich zusammengespann-ten Fahrbahnplatten können direkt be- fahren werden und sind problemlos aus- tauschbar. Das Ergebnis ist eine war-tungsarme Brückenkonstruktion, bei der die Vorteile serieller Werksvorfertigung von Bauteilen zum Tragen kommen.« (Projektbeteiligte: Max Bögl Stiftung & Co. KG, Sengenthal; SSF Ingenieure AG, München)

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1751/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

N AC H R I C H T E N U N D T E R M I N E

Den zweiten Preis erhielt die Konstruk-tionsgruppe Bauen AG für den Umbau und die Instandsetzung der Heini-Klop-fer-Skiflugschanze in Oberstdorf, deren Qualität die Jury mit diesen Worten wür- digte: »Die Erhaltung von Ingenieurbau-werken und deren Ertüchtigung für wei- tere Nutzungen sind Zukunftsaufgaben. Bei der Heini-Klopfer-Skiflugschanze handelt es sich um ein bayerisches Wahr- zeichen der Ingenieurbaukunst, deren Instandsetzung alle Kriterien des Inge- nieurpreises erfüllt. Die Generalsanierung und der Umbau der bestehenden Schan- zenanlage, einer vorgespannten Leicht- beton-Konstruktion aus dem Jahr 1973, erforderten die Entwicklung diverser anspruchsvoller Lösungen. Im Zuge der Planungen mussten aufwendige Berech- nungen auf Basis von Finite-Elemente-Modellen mit nicht-linearen Effekten unter höherem Lastniveau durchgeführt werden. Das realisierte Konzept umfasst unter anderem eine umfangreiche Be- standsaufnahme zur Ortung von Spann- gliedern, flexible Systeme zur Veranke-rung im Leichtbeton mit Zustimmungen im Einzelfall. So konnte das bestehende Bauwerk minimal-invasiv und wirtschaft-lich den heutigen Anforderungen an Ski- fluganlagen angepasst werden.« (Projekt-beteiligte: Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten; Sportstätten Oberstdorf, Oberstdorf; Renn Architekten, Fischen)

Zweiter Preis: Heini-Klopfer-Skiflugschanze in Oberstdorf © Eva Bartussek

Dritter Preis: Optimierung der Lüftungsanlagen im Terminal 2, Flughafen München © Mawo.tech GmbH

Der dritte Preis wurde der Mawo.tech GmbH für digitales Qualitätsmanagement bei der Optimierung der Lüftungsan- lagen im Terminal 2 des Münchner Flug- hafens zuerkannt. Juryerläuterung: »Für die Jury stehen die dem Projekt zugrun-deliegende Idee und deren Potential für künftige Anwendungen im Vordergrund. Aufgabe war die Optimierung der Lüf- tungsanlagen im Terminal 2 auf einem digitalen Prüfstand. Dazu wurde die welt- weit erste digitale Betreiber-Plattform für die automatisierte Bewertung von Auto- mationsfunktionen genutzt. Die Konzep-tion eines digitalen Zwillings der realen Klimaanlage ermöglicht die Leistungs- und Funktionsprüfung beliebig komple-xer Gebäudetechnik mit hoher Skalierbar-keit in einem extrem kurzen Zeitraum.

Optimierungen von Anlagen können so getestet und bewertet werden, ohne in den realen Betrieb eingreifen zu müssen.« (Projektbeteiligte: Mawo.tech GmbH, München; synavision GmbH, Bielefeld; Terminal 2 Gesellschaft mbH & Co oHG, München)Eingebettet war die Preisverleihung in den 27. Bayerischen Ingenieuretag in München, der erneut mit insgesamt 900 Teilnehmern aufwarten konnte, schon von jeher als größter Branchentreff des bayerischen Bauwesens gilt und wieder- um durch ein außerordentlich spannen-des Programm alle Anwesenden zu begeistern vermochte.

www.bayerischer-ingenieurpreis.dewww.bayika.de

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176 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

N AC H R I C H T E N U N D T E R M I N E

Auszeichnung (auch) für Brückenbauwerke

Auslobung des Verzinkerpreises 2019

Zum inzwischen 16. Mal lobt der Indus- trieverband Feuerverzinken den Verzin- kerpreis für Architektur und Metallgestal-tung aus. Erstmals vor 30 Jahren verliehen und mit 15.000 € dotiert, dient er zur Würdigung innovativer Bauwerke, Objekte und Pro- dukte, die in wesentlichem Umfang feuer-verzinkt sind oder interessante feuerver-zinkte Details aufweisen. Architekten, Bauingenieure, Stahl- und Metallbauer, Designer und Metallgestalter sollten sich also aufgerufen fühlen, ihre aktuellen oder eben nicht gar so alten Entwurfs-

Aufruf zur Teilnahme © Industrieverband Feuerverzinken e.V.

Bahnbrechendes Resultat von Forschenden der ETH Zürich

Leichtbaumaterialien von einzigartiger Steifigkeit

3-D-Druck und andere additive Ferti-gungsverfahren erlauben es, Materialien mit bisher ungeahnt komplexen inneren Strukturen herzustellen – also auch sol- che, die ein Maximum an inneren Hohl- räumen aufweisen und infolgedessen ebenso leicht wie stabil sind. Forschende der Eidgenössischen Tech- nischen Hochschule (ETH) Zürich unter Leitung von Dirk Mohr, Professor für nu- merische Materialmodellierung in der Fertigung, haben nun innere Strukturen entwickelt, die Kräfte aus nicht nur einer Richtung, sondern aus allen drei Dimen- sionen aufnehmen müssen und die gleichzeitig extrem steif sind, und zwar aus sich regelmäßig wiederholenden Git- terstrukturen statt der bis dato bevorzug-ten Gitterstäbe. Das heißt, diese neue Konstruktionsweise kommt der theore-tischen Steifigkeitsobergrenze extrem nahe oder, anders ausgedrückt: Es ist praktisch unmöglich, andere Material-strukturen zu entwickeln, die bei gege- benem Gewicht noch steifer sind.

Die ETH-Wissenschaftler haben die Struk- turen zunächst am Computer abgebildet und dabei ihre Eigenschaften berechnet, anschließend erfolgte ihre Realisierung mittels 3-D-Druck im Mikrometermaßstab (noch) aus Kunststoff her. Den denkbaren Anwendungen sind deshalb kaum Gren-

Plattenstruktur (noch) im Mikrometermaßstab © ETH Zürich

zen gesetzt, wobei deren Spektrum von medizinischen Implantaten über Laptop- gehäuse bis hin zu Fassadenelementen zu reichen vermag.

www.ethz.ch

resultate einzureichen: Deren Beurteilung erfolgt durch eine unabhängige Jury in den zwei Kategorien Architektur und Metallgestaltung – und diese beinhalten quasi implizit auch den Brückenbau, wie sich an nicht gerade wenigen Auszeich-nungen in der Vergangenheit ablesen lässt. Wettbewerbsteilnahmen sind noch bis zum 1. April 2019 möglich, die entspre-chenden Bewerbungsunterlagen finden sich im Internet.

www.verzinkerpreis.de

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1771/2 . 2019 | BRÜCKENBAU

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Aufruf zur Teilnahme © Industrieverband Feuerverzinken e.V.

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178 BRÜCKENBAU | 1/2 . 2019

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BRÜCKENBAUISSN 1867-643X11. JahrgangAusgabe 1/2 . 2019www.zeitschrift-brueckenbau.de

Herausgeber und Chefredakteur Dipl.-Ing. Michael [email protected]

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