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www.uni-erlangen.de Forum Forschung S. 56 Universitätsbund S. 96 Personalia S. 99 uni.kurier.magazin 105/Juni 2004/30.Jg.

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Forum ForschungS. 56

UniversitätsbundS. 96

PersonaliaS. 99

uni.kurier.magazin 105/Juni 22004/30.Jg.

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Editorial

können Sie sich eine Welt ohne Technik vorstellen? Undenkbar.Seit Urzeiten hat der Mensch ein nachhaltiges Interesse daran,seine Lebens-, Arbeits- und Umwelt mit Hilfe technischer Errun-genschaften zu vereinfachen, sich das Leben zu erleichtern, an-genehmer zu machen.

Den Begriff Technik haben wir den Griechen zu verdanken.Bei ihnen bedeutete téchne Handwerk, Kunstwerk, Kunstfertig-keit. Suchen wir im Internet nach einer aktuellen Definition, so bie-tet uns das Net-Lexikon (www.net-lexikon.de/Technik) folgendes:„Unter Technik verstehen wir heute Verfahren und Fertigkeiten zurpraktischen Anwendung der Naturwissenschaften und zur Pro-duktion industrieller, manueller oder künstlerischer Erzeugnisse.Technik kann als die Fähigkeit des Menschen verstanden werden,Naturgesetze, Kräfte und Rohstoffe zur Sicherung seiner Exis-tenzgrundlage sinnvoll einzusetzen oder umzuwandeln. Nebenden materiellen Bedürfnissen werden auch kulturelle Bedürfnissedurch die Technik gesichert.“

Unser heutiger Wohlstand resultiert weitgehend aus techni-schem Fortschritt. Technik prägt unseren Alltag in all seinen Fa-cetten, von technischen Entwicklungen wird unsere Zukunft be-stimmt. Dieser hohe Stellenwert der Technik muss in der breitenÖffentlichkeit erkannt werden.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat nachden Jahren der Geowissenschaften und der Chemie das Jahr2004 der Technik gewidmet. Wir nehmen dies zum Anlass, dasSchwerpunktthema dieser Ausgabe unter den Titel „FaszinationTechnik“ zu stellen, wohl wissend, dass sich derart komplexeThemen beim besten Willen nicht auf wenigen Seiten abhandelnlassen. Dennoch möchten wir den Versuch unternehmen, Ihnenvor Augen zu führen, welche Disziplinen unserer Universität sichmit Fragestellungen der Technik befassen, ohne einen Anspruchauf Vollständigkeit zu erheben. Denn nicht nur in den Naturwis-senschaftlichen und der Technischen Fakultät sind unsere Wis-senschaftlerinnen und Wissenschaftler dem Phänomen Technikauf der Spur, auch Mediziner, Geisteswissenschaftler, Zoologen,Sport- oder Wirtschaftswissenschaftler befassen sich mit Technikim weitesten Sinne. Ab Seite 5 können Sie sich einen kleinen Ein-druck von ihren neueren und neuesten Forschungen verschaffen.

Bis in die Tiefen des Kosmos stoßen Forscherinnen und For-scher mit dem ANTARES-Projekt vor, das wir Ihnen in der Rubrik„Forum Forschung“ ab S. 56 vorstellen. Mit einem unterseeischenDetektor, der zur Zeit in einem europäischen Gemeinschaftspro-jekt in einer Tiefe von 2.400 Metern vor der Küste von Marseilleaufgebaut wird, sollen Informationen über die Geburt unseres Uni-

versums aufgespürt werden. Als Botschaftsträger dienen Neutri-nos, die zwar ständig in unvorstellbarer Zahl durch die Erde strö-men, aber nur sehr schwer eingefangen werden können. DasNeutrinoteleskop auf dem Meeresgrund ist darauf angelegt, denflüchtigen Teilchen ihre Botschaft zu entlocken. Das PhysikalischeInstitut der Universität Erlangen-Nürnberg ist bei diesem Aben-teuer dabei.

Auf S. 64 erfahren Sie, was Roboter von Fledermäusen lernenkönnen: die Objekterkennung mittels Ultraschall. Ein Team aus In-genieuren und Biologen entwickelt dazu einen künstlichen Fleder-mauskopf, dessen Mund und Ohren realitätsgetreu bewegt wer-den können. Das neue Interdisziplinäre Zentrum ÖkosystemareForschung ECOSYS, an dem neun Lehrstühle und Arbeitsgrup-pen aus vier Fakultäten beteiligt sind, können Sie ab S. 66 einge-hend kennenlernen. Seine besondere Stärke liegt in der Bünde-lung von ökologisch ausgerichteter Grundlagenforschung undtechnischen Anwendungen.

Zu den neuesten Ergebnissen der medizinischen Forschungzählt die innerhalb kürzester Zeit erfolgte Entdeckung von zweiMedikamenten, mit denen die spinale Muskelatrophie, eine ge-fährliche Erbkrankheit, besser als bisher behandelt werden kann.Patente in Deutschland und den USA sind bereits angemeldet.Auf S. 78 beschreiben wir, wie es dazu kam.

Passend zur Erweiterung der Europäischen Union im Mai2004 beziehen sich mehrere Beiträge auf das Thema Europa. AbS. 84 präsentiert sich der Projektverbund SprachChancen, derden Erwerb von Fremdsprachenkenntnissen mit Hilfe multimedia-ler Sprachsoftware erleichtern soll. Auf S. 86 geht es um die Pro-bleme der neu beigetretenen Länder Ungarn, Polen und Rumä-nien, und ab S. 87 können Sie einen Arzt auf seiner Reise durchdas mittelalterliche Europa begleiten.Ein solches Heft Könnte nicht ohne die engagierte Beteiligungzahlreicher Mitwirkender erstellen. Im Namen der FAU danke ichIhnen sehr herzlich, allen voran der Redaktionsleiterin Ute Misselund ihrem Team.

Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen

Karl-Dieter GrüskeRektor

Liebe Leserinnen und Leser,

1 uni.kurier.magazin 105 / juni 2003

Stereodarstellung auf einer großfor-matigen Projektionswand am Lehr-stuhl Grafische Datenverarbeitung.

Das Unterseeboot Nautile wird beimAufbau des Neutrinodetektors ANTA-RES eingesetzt.

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2 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Mediadaten

Ausgaben1x jährlichAuflage5.500uni.kurier.magazinist das Informations-Magazin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Es informiert seit 1975kompetent und umfassend über Aktivitäten und Vorhaben derUniversität in den Bereichen Forschung, Lehre undHochschulpolitik.VerbreitungMitarbeiter (Professoren, Dozenten, wiss. Mitarbeiter) in denInstituten, Kliniken und der Verwaltung; Studierende; Mitgliederdes Universitätsbundes; Partneruniversitäten; Freunde undFörderer; Ministerien; Forschungseinrichtungen; Hochschulen inDeutschland und im Ausland; Firmen und Einrichtungen, mitdenen die Universität wissenschaftlich, technisch undkommerziell zusammenarbeitet; Medien.InternetDas uni.kurier.magazin wird im Internet unter www.uni-erlangen.de, Button „infocenter/ Presse & Öffentlichkeitsarbeit/Veröffentlichungen“, veröffentlicht. DruckverfahrenOffset Heftformat210 x 297mm (DINA4) AnzeigeenVMK - Verlag für Marketing & Kommunikation GmbH & Co. KG,MonsheimRedaktionelle VVorlagenTexte auf Diskette (Datenkonvertierung möglich, Manuskript beifügen) oder per E-MailBildvorlagen elektronisch (z. B. CD) oder auf Papier

Impressum

HerausgeberFriedrich-Alexander-Universität Erlangen-NürnbergDer RektorSchlossplatz 4, 91054 ErlangenTel.: 09131/85 -0Fax: 09131/85 -22131Internet: http://www.uni-erlangen.de Unterstützt durch den Universitätsbund VerantwortlichFriedrich-Alexander-Universität Erlangen-NürnbergSachgebiet ÖffentlichkeitsarbeitUte Missel M.A.Schlossplatz 3, 91054 ErlangenTel.: 09131/85 -24036Fax: 09131/85 -24806E-Mail: [email protected] RedaktionUte Missel M.A.Gertraud Pickel M.A.Thomas Wenzel M.A.Gestaltung TTitelthemazur.gestaltung, NürnbergDTPFriederike DebatinHeidi KurthDruckVMK - Druckerei GmbH, Monsheim FotosDie Fotos zum Titelthema wurden uns dankenswerterweise von den Lehrstühlen zur Verfügung gestellt.

Editorial

1 Liebe Leserinnen und Leser

Impressum

2 Mediadaten, Impressum3 Inhalt

Universitätsbund

96 Treue und Unterstützung in schwerer Zeit

Personalia

99 in memoriam102 Berufungen

Mediadaten · Impressum · Inhalt

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3 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Forum Forschung

Physik56 Ein Blick in den Weltraum mit

Neutrinos

Werkstoffe uund VVerfahren58 Sechs Äpfel wiegen einen Fahrrad-

rahmen auf 60 Fortschritte auf dem Weg zum

Leichtbau-Auto60 Ein Minimum an Reibung61 Pumpen ohne Funkenflug63 Innovative Kombinationen

Sensorik64 Künstlicher Fledermauskopf mit

Empfangs- und Sendesystem

Ökologie66 Umweltforschung mit System

Geowissenschaften68 Spuren von versunkenen Ozeanen

Bioverfahrenstechnik70 Pharmaziereservoir aus dem Meer

83 Was macht Mädchen zu „Tekkies“?83 Nähe im sozialen Sinn

Europa84 Viele Sprachen, viele Chancen86 Stolperschwellen auf der neu

formierten Landkarte87 Der Arzt im Luxus des Südens

Dialektforschung89 Klöße waren nicht immer eine

fränkische Leibspeise

Archäologie88 Die Königsgräber von Tarnassos

Arbeitsmarktpolitik90 Spielraum für den Verdienst

Theologie92 Spannende Begegnung93 Poetische Spurensuche

Didaktik94 Mathematikdidaktik im Internet

6 Ein WWerkzeug aaus LLichtDer Laser – eine Schlüsseltechnolo-gie für das 21. JahrhundertAndreas Otto

10 Der NNatur nnachgebildetBiomimetik – Materialforschung an der Schnittstelle zur BiologiePeter Greil

12 Die ddenkbar kkleinsten RRöhrenKohlenstoffnanoröhren – Bausteine mit einzigartigen EigenschaftenAndreas Hirsch/Otto Vostrowsky/ Lothar Ley/Ralf Graupner

16 Ein GGramm PPulver rreicht zzurSonneNanopartikel – Von der Grenzfläche zur AnwendungWolfgang Peukert

18 Nachhaltige WWandlerRedoxaktive Metallkomplexe – Pro-zesssteuerung durch KatalysatorenHorst Kisch

20 Optisch KKommunizierenHöchstbitratenübertragung auf Singlmode-GlasfasernBernhard Schmauss, Lorenz-Peter Schmidt

24 Gezähmte DDatenflutVisualisierung – das Fenster zur Virtutellen RealitätGünther Greiner/Marc Stamminger

27 Technik uund TTechnikwissenschaftErkenntnis und Gestaltung als kom-plementäre AspekteAlbrecht Winnacker

28 Auf dder ÜÜberholspurTechnik und Unternehmensge-schichte – das Beispiel der Automo-bilindustrieWilfried Feldenkirchen

30 Ab iin ddie BBlutbahnDie Injektionsspritze - Medizintech-nik, Menschenbild und Marktwirt-schaftMarion M.Ruisinger

32 Gen-CChip uund ZZell-CChipVision einer Molekularen Chirurgie zur Behandlung bösartiger TumorenMichael Stürzl

34 Kleines GGelenk mmit ggroßerWirkungEine neue Schraube hilft bei Wirbel-säulenoperationenConstantin Klöckner

38 Die sstille EEpidemieSicherheit vor Stürzen im höheren Lebensalter – der Beitrag der TechnikEllen Freiberger

42 Technik uund RRecht iimWechselspielGesetzliche Regeln unter den Be-dingungen von Dynamik und Kom-plexitätKlaus Vieweg

44 Digitales MMittelalterDer Handschriften-Diebstahl in Vel-dekes Eneasroman als FiktionFriedrich M. Dimpel

48 Der ffrühe WWille zzur GGestaltungDie Anfänge der Technik in der SteinzeitChristian Züchner

50 Wunderwerke dder MMikromechanikInsekten – Hochleistungs-Organis-men mit effizienten ProblemlösungenLutz T. Wasserthal

Inhalt

Faszination Technik

Schmerzforschung71 Wenn die Hitzeschwelle sinkt

Epilepsieforschung72 Präzise und schonend

Virologie75 In breiter Front gegen aggressive

Herpesviren76 RNA-Interferenz: Kurze

Doppelstränge greifen ein

Neurologie78 Neue Therapien der spinalen

Muskelatrophie

Psychologie79 Das Wort Blau in gelber Farbe80 E-Learning mit Seniorenhotline81 Zu Hause bleiben muss nicht sein

Mosaik82 Leben am ökologischen Limit82 Kommunikation mit AIDAR83 Deutscher Antisemitismus

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Faszination Technik

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6 uni.kurier.magzin 105/juni 2004

Faszination Technik

Licht hat die Menschheit schon immerfasziniert. Die Namen der Wissenschaftler,die sich mit Licht beschäftigt haben, lesensich wie das „Who is who?“ der Ge-schichte der Naturwissenschaften: Pytha-goras, Newton, Fresnel, Maxwell, Hertz,Röntgen, Planck, Einstein und vieleandere haben versucht, das Licht undseine faszinierenden Eigenschaften zu be-schreiben. Dass Licht einmal zu einem derwichtigsten Werkzeuge zur Materialbear-beitung wird, hat dabei sicherlich nochkeiner der genannten Wissenschaftler ge-ahnt.

Mit der Entwicklung des Lasers hat esder Mensch im vergangenen Jahrhundertgeschafft, Licht zu beherrschen. Seine be-sonderen Eigenschaften – die Einfarbig-keit und die gute Fokussierbarkeit derLaserstrahlung – haben den Laser heutezu einem unverzichtbaren Werkzeug zumBeispiel für die Fertigungs- und Mess-

technik, die Medizintechnik oder auch dieKommunikationstechnik gemacht. DerLaser gilt daher vollkommen zu Recht alsSchlüsseltechnologie für das 21. Jahr-hundert.

Die Faszination des Werkzeugs Laserentspringt seinen nahezu unendlichen An-wendungsmöglichkeiten. In der Fertig-ungstechnik wird der Laser mittlerweile inbeinahe allen Bereichen eingesetzt. MitLaserstrahlung kann gefügt und getrenntwerden, Oberflächen können veredeltoder Bleche und Profile gebogen werden.Am Lehrstuhl für Fertigungstechnologie(LFT) der Universität Erlangen-Nürnbergund an dem aus dem Lehrstuhl hervor-gegangenen Bayerischen Laserzentrum(BLZ) arbeiten derzeit unter der Leitungvon Prof. Manfred Geiger etwa 40Wissenschaftler an der Erforschung derunterschiedlichsten Einsatzmöglichkeitendes Lasers in der Materialbearbeitung und

Andreas Otto

Ein Werkzeug aus Licht Der Laser – eine Schlüsseltechnologie für das 21. Jahrhundert

Abb. 1: Geregeltes Trennen von Kieferknochen mit Er:YAG-Laser (Laserosteotomie) am Bayerischen Laserzentrum. Foto: Fuchs

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Faszination Technik

unterstützen die Industrie bei der Um-setzung der Verfahren in die Fertigung.

Aufstieg einer NischentechnikDabei können die Wissenschaftler am LFTund dem BLZ auf eine ganze Reihe vonErfolgen zurückschauen. So galt bei-spielsweise das 3D-Laserstrahlschwei-ßen bis Ende der 80er Jahre als Nischen-technologie, die allenfalls für Spezialan-wendungen interessant ist. In einem vomdamaligen Bundesministerium für For-schung und Technik geförderten Verbund-projekt des LFT mit Mercedes Benz undder Trumpf GmbH + Co. KG wurde dieFügetechnologie für den Großserienein-satz qualifiziert und in die Serienfertigungder Mercedes Benz S-Klasse überführt.Heute hat das 3D-Laserstrahlschweißenkonventionelle Fügeverfahren im Karos-seriebau wie das Widerstands-Punkt-schweißen weitgehend verdrängt. Amneuen Golf V der Volkswagen AG werdenbeispielweise an jeder Karosserie Nähtemit einer Länge von 70 m mit dem Lasergeschweißt oder hartgelötet. Die Vorteileder Laserverbindungstechnologien liegendabei in den verringerten Fertigungs-kosten und dem reduzierten Gewicht derKarosserie bei gleichzeitig erhöhterSteifigkeit und Crashsicherheit (sieheAbb. 2).

Diese Forschungs- und Entwick-lungsarbeit hatte einen stark ingeni-eurwissenschaftlichen Charakter. Heutebewegt man sich oftmals im interdiszip-linären Umfeld der Ingenieurwissen-schaften, wobei die verschiedenen Dis-ziplinen (Maschinenbau und Fertigungs-technik, Werkstoffwissenschaften, Infor-matik und Regelungstechnik) und andereNaturwissenschaften wie Biologie, Che-mie, Physik oder auch Medizin zu-sammenarbeiten. So entstehen beispiels-weise bei der Materialbearbeitung mit ex-trem kurzen Laserpulsen im Femto-sekundenbereich (1 fs = 10-16s!) Material-zustände fernab vom thermischen Gleich-gewicht. Ein tiefgreifendes physikalischesVerständnis ist hier notwendig, um dieWechselwirkungsvorgänge zwischen La-serstrahlung und Materie verstehen unddamit optimieren zu können.

Ein weiterer interdiziplinärer Schwer-punkt aktueller Forschungsarbeiten amBayerischen Laserzentrum ist die Laser-medizintechnik. Ein geregeltes Verfahrenzur Er:YAG-Laserosteotomie wurde etwain Zusammenarbeit mit der Mund-, Kiefer-und Gesichtschirurgie des Universitäts-klinikums entwickelt (siehe Abb. 1). Mitdiesem Verfahren können menschlicheUnterkieferknochen schonend durch-

trennt werden (Osteotomie), wie es bei derKorrektur von Kieferfehlstellungen not-wendig ist. Bisher finden in der klinischenPraxis bei Osteotomien vor allem Bohrer,Fräser, Hammer und Meißel Verwendung.Durch den Einsatz eines Er:YAG-Lasers,der für die Bearbeitung von biologischenGeweben besonders gut geeignet ist, wirddie Osteotomie zu einem vibrations-armen, minimal invasiven Eingriff mitwesentlich geringerem intraoperativenKnochenverlust. Die Er:YAG-Laserost-eotomie nutzt den Effekt der Photo-ablation, der zu einem sehr effektiven Ab-trag mit minimaler Wärmeeinflusszoneführt und bezüglich der Dauer derWundheilung vergleichbar ist mit derSägeosteotomie.

Diese Beispiele verdeutlichen, dassfür die Entwicklung innovativer Prozesseund Verfahren von der Idee bis zu derenindustrieller Umsetzung beziehungsweisebis zum medizinischen Einsatz eine ganz-heitliche, interdisziplinäre Vorgehens-weise zwingend erforderlich ist. Dabeiverschmelzen insbesondere am Randeder Machbarkeit zunehmend die Grenzenzwischen den verschiedenen natur- undingenieurwissenschaftlichen Disziplinen.Gerade dies macht die Faszination desLasers als Werkzeug aus und begründetdessen Potential als Schlüsseltechnologiefür die Entwicklung zukunftsweisenderProdukte und Verfahren.

Privatdozent Dr.-Ing. Dipl. Phys. AndreasOtto ist am Lehrstuhl für Fertigungstech-nologie der Universität Erlangen-Nürn-berg mit der wissenschaftlichen Leitungdes Bereichs Lasertechnologie betraut.

Mehrwert des Lasereinsatzesbei angepasster Konstruktion

+ verbessertes Crashverhalten+ verringertes Gewicht+ geringere Kosten

• Erste Anwendung 1989: C-Säule (S-Klasse, Mercedes Benz)

• Aktueller Weltrekord: 70 m(Volkswagen: Golf V)

• typische Geschwindigkeiten bis ~3 m/min (3D-Fall)

• einige Hersteller streben bis zu80% Laserschweißungen an

Abb. 2: 3D-Laserstrahlschweißen im Karosseriebau.Abbildung: LFT

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Faszination Technik

Die biologisch inspirierte Materialentwick-lung bietet besonders faszinierendeMöglichkeiten, neuartige Materialien mitgeringerem Aufwand, aber gleichzeitigoptimierten Funktionseigenschaften fürtechnische und medizinische Anwend-ungen zu erzeugen. Biomimetische Mate-rialien sind komplexe Materialien, die fürihre Synthese, ihre Strukturierung oderihre Funktion wesentliche Regulations-prinzipien biologischer Wachstumspro-zesse nutzen oder nachahmen. Hierbeiwird die evolutionäre Optimierungs-strategie der Natur bewusst als Vorbild fürtechnische Lösungen eingesetzt, wofürsich der Begriff Bionik eingebürgert hat.

Biomimetische Materialien unter-scheiden sich gegenüber konventionellentechnischen Materialien hinsichtlich ihresAufbaus und ihrer Eigenschaften. Die aufunterschiedlichen hierarchischen Ebenenbzw. Längenskalen von Nanometer bisMillimeter organisierte Werkstoffstrukturund die äussere Form gewinnen dadurchgegenüber stofflich bestimmten Ei-

genschaften an Bedeutung für die Funk-tionsoptimierung. So können beispiels-weise Steifigkeit, Festigkeit, Zähigkeitoder Verschleißbeständigkeit optimal anden äußeren Belastungszustand ange-passt werden. Beispiele für hierarchischstrukturierte biomimetische Materialien(und ihr biogenes Pendant) sind Nano-partikelcomposite (Dentin), Fasercompo-site (Cuticalae), Laminatverbunde (Perl-mutt) oder Zellularverbunde (Knochen).

Die biomimetische Materialsyntheseumfasst einerseits eng an die Naturangelehnte Prozesse, bei denen Bio-moleküle – teils nach genetischer Repro-duktion – gezielt eingesetzt werden, umSelbstordnungsprozesse und Kristalli-sationsvorgänge einzuleiten. Andererseitswerden neue Synthesewege auch ohnedirekte Beteiligung biologischer Ver-bindungen entwickelt, in denen wesent-liche Regulationsprinzipien bei der Mate-rialorganisation auf unterschiedlichen hie-rarchischen Ebenen technisch nachvoll-zogen werden. Ein dritter Forschungs-

ansatz verknüpft anorganische mit bio-organischen Komponenten zur Bildunghybrider Compositmaterialien, die Bio-konjugat-Nanopartikel-Hybride als auchvegetative Zellträgermaterialien umfas-sen.

Cellulosefasern als FormgeberDie hauptsächlich aus Kohlenstoff, Sauer-stoff, Stickstoff und Wasserstoff be-stehenden und durch kettenartige Ver-knüpfung von Monosacchariden auf-gebauten Polysaccharide (Mehrfach-zucker) kommen unter den bio-organischen Polymeren mengenmäßigam häufigsten vor; insgesamt produzierenPflanzen durch Photosynthese jährlichüber 1015 kg Cellulose. Im Gegensatz zuProteinen und Nucleinsäuren bilden Poly-saccharide sowohl verzweigte als auchlineare Strukturen, was beispielsweise dieBildung hierarchisch aufgebauterspiralförmiger Cellulosefaser-Composit-strukturen in der Zellwand vonPflanzengeweben möglich macht.

Peter Greil

Der Natur nachgebildet Biomimetik – Materialforschung an der Schnittstelle zur Biologie

Pavillon WeltausstellungMontreal (B. Fuller)

Radiolarien-SkelettAulospharea (E. Haeckel)

Carbon Buckyball

Abb. 1: Die Natur als Vorbild – das Radiolarienskelett: im Makrokosmos für die geodätische Kuppel und imMikrokosmos für das Kohlenstoffsupramolekül (Fullerene). Abbildungen: Lehrstuhl für Glas und Keramik

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Faszination Technik

Natürliche Cellulosefasergewebe (Holz)sowie technisch aufbereitete Cellulosefa-serprodukte (Papier, fiber boards) eröffneneinen interessanten Weg zur Herstellungvon biomorpher Siliciumcarbidkeramik.Dabei wird der Kohlenstoffgehalt desCellulosetemplats als Reaktand für dieUmsetzung mit einer fluiden Silicium-quelle (Schmelze, Lösung, Gas) genutzt,wobei sowohl die äußere Körperform alsauch insbesondere die innere zellulareStruktur weitgehend identisch in die hoch-temperaturfeste Keramik abgebildetwerden. Biomorphe Keramiken, die durchAbformung natürlicher Gewebestrukturenhöherer Pflanzen erzeugt werden, weiseneinen zellularen Aufbau mit gerichtetenPorenkanälen auf.

Aus der ausgeprägt axial ausge-richteten Porenkanalstruktur leiten sichanisotrope mechanische und physika-lische Eigenschaften der biomorphenKeramiken ab. Durch gezielte Beein-flussung des Reaktionsgefüges der Zell-wand (Materialstege), durch Ausbildungein-, zwei- oder mehrlagiger Schicht-strukturen kann das Bruchverhalten vonspröd zu fehlertolerant mit signifikant ge-steigerter Brucharbeit und Bruchdehnungverändert werden. Potentielle An-wendungsgebiete für biomorphe Kera-

miken mit zellularem Aufbau umfassenu.a. die Bereiche Produktion/Verfahrens-technik (Mikroreaktoren, Gradienten-formen, Fluidspeicher); Verkehr/Mobilität(Leichtbau, Metallverstärkung, Tribologie);Energie/Umwelt (Isolierung, Katalysator-träger, Abgasreinigung); Medizin (Kno-chenersatz, Zellträger, Wirkstoffträger).

Die Abformung makrostrukturierterCellulosefaserkörper in biomorphe Kera-miken mit Hilfe von Flüssig- und Gas-phaseninfiltrationsverfahren bietet darü-ber hinaus neue Möglichkeiten, die weitentwickelten Prozess- und Verarbeitungs-technologien der Papierindustrie zur Her-stellung neuartiger keramischer Leicht-baustrukturen zu nutzen.

Material für ZukunftsvisionenBiomimetische Materialien gelten als eineder wichtigsten Materialtechnologien im21. Jahrhundert. Sie enthalten das Po-tential, Materialien mit optimierten An-wendungseigenschaften künftig weitpräziser und effektiver zu erzeugen, als esmit konventionellen technischen Ver-fahren heute der Fall ist. Bisher nichtmögliche Eigenschaftskombinationen undgesteigerte Leistungsfähigkeit bilden dieGrundlage für visionäre Konzepte zumEinsatz biomimetischer Materialien bei-

spielsweise für die Erzeugung von Be-wegung („künstlicher Muskel“), fürvariable Steifigkeit und Schwingungs-dämpfung („adaptive Strukturen“), für re-generative („selbstheilende“) Materialien,für optische Materialien mit über dieStrukturhierarchie steuerbaren elektro-optischen Eigenschaften sowie für medi-zinische Implantatbauweisen mit sig-nifikant verbesserten biokompatiblen Ei-genschaften. Nicht zuletzt könntenbiomimetische Syntheseverfahren denVerbrauch an Rohstoffen senken, dieEnergiekosten bei der Fertigung redu-zieren sowie sehr aufwändige Her-stellungsprozesse – etwa für die Mikro-strukturierung – vereinfachen.

Prof. Dr. Peter Greil ist seit 1993 Inhaberdes Lehrstuhls Werkstoffwissenschaften(Glas und Keramik) der Universität Er-langen-Nürnberg. 1999 wurde am Lehr-stuhl eine Wissenschaftliche Nachwuchs-gruppe „Biomimetische Materialsyn-these“ mit Fördermitteln der Volkswagen-Stiftung eingerichtet.

Pflanzenzelle

Produktionstechnik

Medizin Umwelttechnik

Luft- / RaumfahrtBiomorpheKeramik

Biomorphe SIC-Keramik

Abb. 2: Zellulares Porenkanalgefüge von biomorpher SiC-Keramik, (pinus silvestris) hergestellt durch Si-Infiltration.

Abb. 3: Beispiele potentieller Anwendungsbereiche biomimetischer Materialien.

Abb. 4: Beispiel für die Herstellunghochtemperaturbeständiger biomorpher Keramikträger aus Cellulosefaser-Strukturen für die Abgasreinigung im Automobil .

Abb. 5: Die „Zellulare Fabrik“ der Zukunft – Molekulargesteuerte parallelisierte Synthese undSelbstorganisation maßgeschneiderter Materialien.

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Faszination Technik

„Kleiner, schneller, leistungsfähiger“ lau-ten zunehmend die Anforderungskriterienfür heutige und zukünftige technischeProdukte. Damit wird das 21. Jahrhundertzur Ära der Nanotechnologie, der Tech-nologie der kleinsten denkbaren Bau-steine. Gegenstand der Nanotechnologieist die Herstellung, Untersuchung und An-wendung von Strukturen, Materialien undApparaten mit Dimensionen von einigen10 Nanometern (1 Nanometer nm = 1Millionstel Millimeter) bis hinunter zumolekularen und atomaren Abmes-sungen. Visionen der Nanotechnologie-forschung sind schnellschaltende Logi-ken, Halbleiter- und Speicherelemente inder Größe von Molekülen, Nanometer-miniaturisierte Instrumente und Werk-zeuge, Energiespeichersysteme, Nano-materialien und -werkstoffe. Produktedieser Art werden die Grundlagen für zu-künftige Elektronik, Kommunikations-systeme, technische Anwendungen undAutomation darstellen.

Besonders vielversprechende Nano-meterobjekte mit völlig neuartigen Eigen-schaften sind die Kohlenstoffnanoröhren(carbon nanotubes, CNTs). Der japanischePhysiker Sumio Iijima beobachtete 1991

bei der Verdampfung von Kohlenstoff imelektrischen Lichtbogen die Entstehungvon kleinsten Röhrchen. Aufgebaut auszylinderförmig zusammengerollten Gra-phitschichten mit einem Sechseck-Waben-Muster besitzen sie Durchmesservon einem bis zu mehreren hundert Mikro-meter und Längen bis zu wenigen Mikro-metern. Neben Diamant, Graphit und denfußballförmigen Fullerenmolekülen sinddiese Nanotubes die vierte geordneteModifikation des Kohlenstoffs.

Die zuerst entdeckten Kohlenstoff-röhren bestanden aus mehreren in-einander geschachtelten, mehrwandigenRöhren (multiwalled carbon nanotubesMWCNTs, Abb. 1a). Inzwischen gelangauch die Herstellung einwandiger Kohlen-stoffröhren (singlewalled carbon nano-tubes, SWCNTs). Je nachdem, wie dasGraphitgitter aufgerollt ist, entstehen „armchair“-Formen (Abb. 1b), helikale (Abb.1c) und „Zickzack“-Formen (Abb. 1d). Beiden helikalen Röhren unterscheidet manlinks- und rechtsgedrehte Formen, diesich wie Bild und Spiegelbild unter-scheiden. Einwandige Kohlenstoffnano-röhren aggregieren bevorzugt zu parallelausgerichteten Bündeln (Abb. 1e).

Hundertmal stärker als StahlDie entscheidende Bedeutung für zu-künftige Technologien erlangen die Nano-tubes durch ihre einmaligen mecha-nischen, physikalischen, chemischen undelektronischen Eigenschaften. Nanotubeshaben einen Elastizitätsmodul in derGrößenordnung von Terapascal (1012 Pa),ihre Zugfestigkeit ist damit hundertmal sogroß wie die von hochfestem Stahl – unddas bei nur einem Sechstel von dessenGewicht. Die mechanische Festigkeit inVerbindung mit der geringen Dichtemachen die winzigen Röhren zu idealenKomponenten für Verbundwerkstoffe. Jenachdem, wie sie aufgerollt sind, habenNanotubes halbleitende oder metallisch-leitende elektronische Eigenschaften(Abb. 2).

Wegen ihrer elektronischen Eigen-schaften lassen sich aus Kohlenstoff-nanoröhren aktive elektronische Bau-elemente mit Abmessungen im nm-Be-reich aufbauen. Einfache elektronischeBauelemente wie Dioden, Feldeffekttran-sistoren und insbesondere Feldemis-sionsdisplays wurden bereits realisiertund zu Schaltkreisen kombiniert.

Andreas Hirsch/Otto Vostrowsky/Lothar Ley/Ralf Graupner

Die denkbar kleinsten RöhrenKohlenstoffnanoröhren – Bausteine mit einzigartigen Eigenschaften

Abb. 1: a) Computermodellierte Darstellung einer MWCNT vor dem Hintergrund einer Elektronenmikroskop-Aufnahme;b) Arm chair-Form einer SWCNT; c) helikale Form und d) Zickzack-Formen von SWCNTs; e) ein Bündel von SWCNTs.Abbildungen: Lehrstuhl für Organische Chemie

a b c d e

Abb. 2: a) Zickzack-Röhre (metallisch) und b) helikale spiralige SWCNT (Halbleiter). Die rot und grün verstärkten Bindungen bzw.Pfeile markieren die Aufrollrichtung des Kohlenstoffgitters.

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Faszination Technik

Mäntel für NanoröhrenSolch ein röhrenförmiges Kohlenstoff-molekül ist ähnlich wie Diamant undGraphit weder in Wasser, noch in einemorganischen Lösungsmittel löslich. Daserschwert eine spätere Verarbeitung undProzessierung. Mit der Verbesserung derLöslichkeit und der Verarbeitbarkeit vonCNTs befasst sich die Arbeitsgruppe vonProf. Andreas Hirsch vom Institut fürOrganische Chemie. Ziel ist es, die Ei-genschaften der Kohlenstoffnanoröhrengezielt so zu steuern, dass aus ihnenMaterialien mit den gewünschten Cha-rakteristika entwickelt werden können.Dazu wird die Oberfläche der Nanotubesdurch chemische oder physikalische An-

bringung funktioneller Gruppen modifiziert(Abb. 3). Die Röhren bekommen quasieinen „Mantel“ übergezogen, der sie miteiner erhöhten Affinität zum Lösemittelumgibt.

Verbesserte Lösungseigenschaftenverändern die mechanischen, physika-lischen und elektronischen Eigenschaftender Tubes und ermöglichen ein „Fine-tuning“ ihrer Eigenschaftsprofile auf be-stimmte Anwendungen hin und die Ent-wicklung jeweils neuer Materialien. De-finiert funktionalisierte Kohlenstoffnano-röhren sind benetzbar und lassen sichbesser in Komposit-Materialien und Filmeeinarbeiten. In Zusammenarbeit der Ar-beitskreise von Prof. Andreas Hirsch undProf. Lothar Ley wird im Elektronen-

mikorskop geprüft, Institut für TechnischePhysik der Universität Erlangen-Nürn-berg, wird im Elektronenmikroskop ge-prüft, wo sich die funktionalisierendenMoleküle auf der Oberfläche der Röhrenbefinden; mittels Röntgenstrahlen lässtsich die Oberfläche der Tubes abtastenund die Zusammensetzung qualitativ ana-lysieren.

Arbeitskreise in drei DisziplinenIn den letzten Jahren etablierten sich ei-nige Arbeitskreise der Chemie, Physik undMaterialwissenschaften zur Untersuch-ung von Eigenschaften, Bearbeitung undFunktionalisierung von Kohlenstoff-nanoröhren an der Universität Erlangen-

Nürnberg. Am Institut für OrganischeChemie arbeitet das Team von Prof. An-dreas Hirsch u.a. an der chemischenFunktionalisierung von CNTs. Die For-schergruppe um Prof. Lothar Ley, Tech-nische Physik II, befasst sich mit denphysikalischen Eigenschaften und derCharakterisierung der modifizierten Röhr-en. Eine der Forschungsprioritäten desArbeitskreises Prof. Dirk Guldi, Institut fürPhysikalische Chemie (Nachfolge Prof.Siegfried Schneider), liegt im Einsatz vonKohlenstoffröhren als Komponenten inoptoelektronischen Elementen.

Die Arbeiten sind in nationale und in-ternationale Forschungsnetze einge-bettet. Die Europäische Gemeinschaft för-derte 2000 bis 2003 die Zusammenarbeit

der Organischen Chemie mit acht wei-teren europäischen Forschungsinstitu-tionen im RTN-Netzwerk FUNCARS. ZumTeil fließen Forschungsbeiträge aus Er-langen in andere EU-Netzwerke und inden Erlanger DFG-Sonderforschungs-bereich 583 ein. Seit 2003 sind OrganischeChemie und Technische Physik unter derKoordination des Lehrstuhls für Werk-stoffwissenschaften (Prof. Robert F.Singer) Projektpartner im von derBayerischen Forschungsstiftung geför-derten Forschungsverbund FORCARBON.In diesen Verbund sind auch die SiemensAG Erlangen, die FutureCarbon Bayreuthund Infineon Technologies München alskompetente Industriepartner eingebunden.

Prof. Dr. Andreas Hirsch ist seit 1996 In-haber des Lehrstuhls II am Institut fürOrganische Chemie der Universität Er-langen-Nürnberg. Dr. Otto Vostrowsky istals Akademischer Oberrat an diesemLehrstuhl tätig und befasst sich unteranderem mit der chemischen Funk-tionalisierung von Kohlenstoffnanoröhren.Prof. Dr. Lothar Ley ist seit 1989 Inhaberdes Lehrstuhl für Experimentalphysik amInstitut für Technische Physik der Univer-sität Erlangen-Nürnberg. Dr. Ralf Graupnererforscht als wissenschaftlicher Assistentan diesem Lehrstuhl die elektronischeStruktur der Nanoröhren.

Abb. 3: Verschiedene Arten der Funktionalisierung von SWCNTs: nicht-kovalente Funktionalisierung mit Polymeren, Defektgruppen Funktionalisierung,nicht-kovalente Funktionalisierung unter Ausnutzung der π-Stapelwirkung,

nicht-kovalente Funktionalisierung

endohedrale Funktionalisierung

Seitenwand-Funktionalisierung

SWCNT

kovalente Seitenwand-Funktionalisierung, endohedrale Funktionalisierung mit C60-Fulleren unter Ausbildung der „Erbsenschoten“-Verbindung C60@SWCNT.

Defektgruppen-Funktionalisierung

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16 uni.kurier.magzin 105/juni 2004

Faszination Technik

Schon 1959 hatte der berühmte Physikerund Nobelpreisträger Richard Feynmandie moderne Nanotechnologie vor-hergesehen. In seinem Vortrag „There isplenty of space at the bottom“ führte eraus, dass es keinen physikalischen Grundgibt, Materie nicht aus sehr kleinen Bau-steinen zusammenzusetzen. Erst die Ent-wicklung verschiedener Messtechniken(u.a Rastersondentechniken) in denletzten beiden Jahrzehnten hat aber denDurchbruch zur modernen Nanotech-nologie ermöglicht. Erst jetzt können dieForscher in den Nanokosmos sehen unddamit beginnen „Lego mit Nanopartikeln“zu spielen. Damit wird eine Tech-nologieplattform mit immenser Tragweiteermöglicht.

Die Partikeltechnik beschäftigt sich mitder Herstellung von Partikeln und Ver-arbeitung von Partikelsystemen zu funk-tionalen Produkten. Die Anwendungensind sehr vielfältig. Allein in der che-mischen Industrie werden ca. 70 Prozentaller Produkte in Form von Partikeln ver-kauft. Als weitere große Bereiche seien dieWerkstoffwissenschaften (z.B. Keramik,Halbleiter, Nanoverbundwerkstoffe), Le-bensmittel (z.B. Instantprodukte, Spei-seeis, Schokolade), Konsumgüter (z.B.Sonnencreme), die Biotechnologie (Zel-len, Proteine), die Informationstechnik(vom Reinraum bis zum Waferpolishingmit nanoskaligen Suspensionen) oder dieUmweltechnik (z.B. Dieselruß) genannt.

Der Wert von Partikeln und Partikel-systemen wird von deren Eigenschaftenbestimmt. Die Eigenschaften typischerMassenprodukte (z.B. Zement, Schoko-lade oder Pigmente) als auch die neuerProdukte mit hoher Wertschöpfung wiez.B. magnetische Nanopartikeln (u.a. Ab-trennung von DNA-Molekülen) oder inFerrofluiden, aktive Wirkstoffformulie-rungen oder Halbleiternanopartikeln mitdefinierter Bandlücke hängen neben derchemischen Zusammensetzung stark vonden physikalischen Eigenschaften der

Wolfgang Peukert

Ein Gramm Pulver reicht zur Sonne

Nanopartikel – Von der Grenzfläche zur Anwendung

Abb. 1: Nanostrukturierte Oberflächefür die HaftkraftsteuerungAbbildungen: Lehrstuhl für Feststoff-und Grenzflächenverfahrenstechnik

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17 uni.kurier.magzin 105/juni 2004

Faszination Technik

Partikel ab. Wichtige Parameter sinddabei die Partikelgröße und Partikel-größenverteilung, die Partikelform, ihre in-neren Strukturen (Morphologie) und dieOberflächeneigenschaften. Unter Pro-duktgestaltung versteht man die Her-stellung wohl definierter Produkteigen-schaften, also der dispersen Eigenschaft-en von Partikeln und Partikelsystemen.

Wie Kerzenruss auf GlasBesonders stark im Zentrum des Inte-resses von Wissenschaft und Technikstehen heute Nanopartikel, also Partikel,deren Durchmesser deutlich kleiner als 1 µm ist. Um ein Beispiel der Größenver-hältnisse zu geben: das Verhältnis von 10nm zu 1 cm entspricht etwa dem Ver-hältnis von 1 cm zur Höhe des MountEverest. Ein wichtiges Forschungsgebietist es, solche Nanopartikel herzustellen,zu verarbeiten und zu neuen Produktenzusammenzufügen. Dies ist übrigensnicht neu: In China wurde Tusche ausnanoskaligem Russ schon vor 4.000Jahren genutzt. Jeder kann dies nach-ahmen: man halte eine Glasscheibe übereine Kerzenflamme, der schwarze Nieder-schlag besteht aus nanoskaligen Russ-partikeln. Die Kunst besteht darin denHerstellungsprozess möglichst genau zusteuern um maßgeschneiderte Ei-genschaften zu produzieren.

Nanopartikel können heute sowohldurch Zerkleinern als auch durch Syn-thesen in der Gasphase und in Flüssig-keiten hergestellt werden. Die Verar-

beitung von Nanopartikeln stellt nach wievor eine große Herausforderung dar. In-dustriell erzeugte Nanopartikel könnenOberflächen von einigen 100 m2/g auf-weisen, eine Kette von einem Grammdieser Partikel könnte die Strecke von derErde bis zur Sonne überbrücken.

Der Trick der GeckosAllen Verfahren und Methoden zur Her-stellung von Nanopartikeln und deren Ver-arbeitung zu nanoskaligen Produkten istgemeinsam, dass die Oberflächeneigen-schaften von zentraler Bedeutung sind.Zwischen Partikeln treten Wechselwir-kungen und im Kontakt Haftkräfte auf.Das Verhältnis von Haftkraft zur Gewichts-kraft steigt mit abnehmendem Partikel-durchmesser stark an. Für Teilchen derGröße 1 µm sind diese Haftkräfte ca. 1 Million mal größer als deren Gewicht.Diese Eigenschaften werden in der Naturzum Beispiel vom Gecko und der Stuben-fliege genutzt, um an der Decke entlang-zulaufen. Makroskopische Eigenschaftennanoskaliger Partikelsysteme sind dem-nach nur durch die mikroskopische Kon-trolle der Grenzflächen steuerbar. Partikel-oberflächen lassen sich beeinflussen,indem die chemischen Eigenschaftendurch Adsorption oder chemische Bin-dung von Ionen oder Molekülen bzw. dieStruktur der Oberfläche durch Belegungmit anderen Partikeln verändert wird.

Ein Beispiel für eine sehr regelmäßigrauhe Oberfläche ist in Abb. 1 gezeigt.Hier wurden (fast) gleich große Partikel auf

einer flachen Oberfläche in einem Tauch-ziehprozess aus einer Suspension wohlgeordnet abgeschieden. Solche Ober-flächen können eingesetzt werden, um dieAdhäsion von Partikeln auf Oberflächenzu steuern. In der Natur nutzen dies z.B.der Lotus und die Kapuzinerkresse, umdie Schmutzanhaftung auf den Blättern zuminimieren. In der Technik kann diesesPrinzip vielfach genutzt werden: z.B. Rei-nigungstechnik, Agglomerationstechnik,Druck- und Lackiertechnik, Aerosol-medizin. Beim Laserdruck werden mitNanopartikeln beschichtete Tonerpartikelmit Durchmessern von ca. 5–10 µm ausder Druckerpatrone separiert, auf die Ent-wicklerwalze und schließlich auf das Pa-pier transferiert. Bei Hochleistungs-druckern, die teilweise über 1000 Seitenpro Minute drucken, sind dies über 1010

Teilchen pro Minute. Wissenschaftlich sind Haftvorgänge,

ähnlich wie z.B. die Reibung, noch wenigverstanden. Moderne Methoden wie z.B.die Rasterkraftmikroskopie oder nume-rische molekulardynamische Simula-tionen versprechen hier neue Einsichten.Abb. 2 gibt einen Einblick in diese Vor-gänge. Es wird deutlich, dass im Kontakt-bereich sehr hohe Kräfte auftreten, die zustarken Verformungen führen können.

Prof. Dr. Wolfgang Peukert ist seit 2003 In-haber des Lehrstuhls für Feststoff- undGrenzflächenverfahrenstechnik der Uni-versität Erlangen-Nürnberg.

Abb. 2: Deformation im Kontaktbereich links: REM-Aufnahme von Goldpartikeln auf einem organischen Substrat, Mitte: Molekulardynamische Simulation einer Alumumiumoxidober-fläche in Kontakt mit einem Aluminiumoxidpartikel (rot), blau: Wasser, rechts: zwei Aluminiumoxidpartikeln bei der Enthaftung.

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18 uni.kurier.magzin 105/juni 2004

Faszination Technik

Metallkomplexe sind in belebter undunbelebter Natur allgegenwärtig. Redox-aktive Metallkomplexe spielen eine zen-trale Rolle in den natürlichen Kreisläufender Elemente und sind unverzichtbar fürdie Aufrechterhaltung aller Lebensvor-gänge. Als homogene oder heterogeneKatalysatoren aktivieren sie reaktions-träge Moleküle für selektive Umsetzungenunter minimalem Energieaufwand. Diedabei entstehenden Produkte reichen vonDüngemitteln über Pharmaka und maß-geschneiderte Kunststoffe bis zu „intel-ligenten Werkstoffen“. Aber auch bei derVermeidung und Entfernung von Schad-stoffen aus Luft und Wasser spielen

Horst Kisch

Nachhaltige Wandler Redoxaktive Metallkomplexe –

Prozesssteuerung durch Katalysatoren

Abb. 1: In Gegenwart eines redoxaktivenTitandioxid-Platinkomplexes wird derWasserschadstoff Phenol durchLuftsauerstoff im diffusen Tageslicht zuKohlendioxid und Wasser katalytischabgebaut.

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19 uni.kurier.magzin 105/juni 2004

Faszination Technik

Katalysatoren eine entscheidende Rolle.Aus diesen Gründen verbindet die Kata-lyse wie kein anderes Phänomen derStoffumwandlung ökonomische Wert-schöpfung mit dem Prinzip der Nach-haltigkeit.

Die katalytische Aktivität eines redox-aktiven Metallkomplexes hängt im we-sentlichen von zwei Faktoren ab: DemRedoxzustand des Zentralmetalls undden elektronischen und sterischen Ei-genschaften seiner Umgebung, den so-genannten Liganden. Der heute erreichteStand des Wissens über Synthese,Struktur und Reaktivität von Metallkom-plexen eröffnet die Möglichkeit, grund-sätzliche Fragestellungen der Chemie vonMetallkomplexen systemübergreifend zuerforschen und darüber hinaus Problemevon allgemeiner Tragweite zu lösen. Damitergibt sich eine Zielsetzung, die für einenSonderforschungsbereich (SFB) geradezuprädestiniert ist.

Ließen sich die bei katalytischen Pro-zessen ablaufenden chemischen Ele-mentarschritte durch die Struktur der be-teiligten Metallkomplexe selektiv beein-flussen, wäre auch eine gezielte Steuer-ung dieser chemischen Prozesse möglich.

Besondere Bedeutung hat einesolche gezielte Steuerung für jene Pro-zesse, bei denen kleine Moleküle wie N2,CH4, H2O, H2, O2 und CO2 durch redox-aktive Metallkomplexe erst aktiviert undanschließend entweder reduziert oderoxidiert werden, um z.B. Ammoniak, Me-thanol, Wasserstoff oder Kohlenstoffver-bindungen zu liefern. Manche dieser Pro-zesse sind nicht nur verlust- und abfall-freie Synthesen, wichtiger noch ist, dasssie auf chemischem Wege aus nahezuunbegrenzt verfügbaren oder erneuer-baren Ausgangsstoffen Energie undNahrung in potentiell beliebigem Umfangzugänglich machen. Hier lässt sich einSzenario für die Lösung von Problemenentwerfen, die über chemische Fragestel-lungen weit hinausgehen. Die gezielteSteuerung dieser Prozesse würde nichtnur elementare Bedürfnisse der Mensch-heit wie Energie, Nahrung und Kleidungdauerhaft stillen, sondern auch den Ideal-fall sogenannten nachhaltigen Handelnsdarstellen, das kommende Generationennicht mit schwer handhabbaren Hin-terlassenschaften belastet.

Ein unerschöpflicher Energieträgerwäre Wasserstoff, wenn er mittelsSonnenlicht aus Wasser erzeugt werdenkönnte. Auch dieser Prozeß erfordert dieAnwesenheit eines redoxaktiven Kataly-sators (Abb. 2). Obwohl dafür in derGrundlagenforschung schon vielver-

sprechende Ergebnisse vorliegen, istnoch kein technisch anwendbares Ver-fahren in Sicht.

Einigen dieser hochgesteckten Zieleist der seit 1. Juli 2001 laufende SFB 583in seiner ersten Förderperiode einenwesentlichen Schritt nähergekommen. Esgelang eine Fokussierung der 16 Teilpro-jekte auf die einzelnen Elementarre-aktionen, die bei der metallkomplex-katalysierten Redoxumwandlung kleinerMoleküle ablaufen. Diese Umwandlungenlassen sich in die Teilschritte der Akti-vierung und des Ladungstransfers zer-legen. Der Ladungstransfer umfaßt dabeiimmer die Übertragung von Elektronenund häufig zusätzlich einen Ionen- bzw.Atomtransfer. Durch phantasiereiche Vari-ation von Zentralmetall und Liganden-sphäre ließen sich molekulare Archi-tekturen realisieren, die detaillierte Ein-blicke in Struktur-Funktionsbeziehungenredoxaktiver Metallkomplexe gestatten.Die neuen Architekturen enthalten alsLiganden der Natur nachempfundenePeptid- und Porphyrinderivate, aber auchneuartige Systeme wie Ketten aus Koh-lenstoffatomen und elektronische Halb-leiter wie Titandioxid. Einige dieser Funk-tionalitäten ermöglichen die stereoche-misch selektive Addition von H2 an un-gesättigte Verbindungen, andere dielichtinduzierte Aktivierung von O2 für denoxidativen Abbau von Schadstoffen ausLuft und Wasser (Abb. 1). SupermolekulareArchitekturen mit mehreren Metallatomen

wiederum zeigen neuartige magnetischePhänomene, die zum Kühlen von Mole-külen verwendet werden können.

Diese neuen Befunde werden durchReaktivitätsstudien, kinetisch-mechanist-ische Untersuchungen, physikalischeMessungen und theoretische Berech-nungen, in Zusammenarbeit mit demComputerchemiezentrum, quantitativ cha-rakterisiert, um durch eine vollständigeBeschreibung ein maximales Verständnisdes Reaktionsablaufs zu erreichen.

Ein derartiges Forschungsprogrammerfordert die intensive Zusammenarbeitzwischen anorganisch und organisch syn-theseorientierten, physikochemischen,physikalischen und theoretischen Arbeits-gruppen. Der SFB 583 erfüllt dieseForderungen. Auf Grund seiner Zu-sammensetzung besitzt er eine genü-gende Breite, um gemeinsam sein hoch-gesteckte Ziel anstreben zu können: Diegezielte Reaktivitätssteuerung kataly-tischer Prozesse durch redoxaktiveMetallkomplexe.

Prof. Dr. Horst Kisch hat seit 1984 eineProfessur für Anorganische Chemie am In-stitut für Anorganische Chemie der Uni-versität Erlangen-Nürnberg. Er ist Sprech-er des Sonderforschungsbereichs 583„Redoxaktive Metallkomplexe“ und betei-ligt sich am Graduiertenkolleg „Homo-gener und heterogener Elektronen-transfer“.

Abb. 2: Kreislauf des Wasserstoffs beim Einsatz als Energieträger.

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20 uni.kurier.magzin 105/juni 2004

Faszination Technik

Durch die Verbreitung der Mobilkom-munikation, durch die Entwicklungen aufdem Sektor der Multimediatechnologienund ganz besonders durch den rasantenAusbau des Internets haben sich die An-forderungen an unsere Kommunikations-netze immens erhöht. In nahezu allen Be-reichen der Wirtschaft und Forschung,aber auch in der Verwaltung und nicht zu-letzt für viele private Zwecke ist der Bedarfan Übertragungskapazität sprunghaft an-gestiegen. Dieser Bedarf ist die Triebkraftfür die Entwicklung immer leistungs-fähigerer Übertragungssysteme gewesen.Unsere modernen Kommunikationsnetzebasieren zu einem wesentlichen Teil aufoptischen Übertragungstechnologien, dieals einzige die Chance bieten, die er-forderlichen Datenmengen mit dernötigen Sicherheit und Flexibilität wirt-schaftlich zu übertragen. Diese im Ver-gleich zu Mobilfunktechnologien für denNutzer nicht wahrnehmbaren Produkte er-

möglichen also erst das Kommunikations-verhalten unserer modernen Gesellschaft.

Gastprofessur für optische NachrichtentechnikUm auch an der Universität Erlangen-Nürnberg dieses Fachgebiet in Forschungund Lehre zu etablieren, wurde in Koope-ration mit Lucent Technologies Nürnbergeine Gastprofessur für optische Nach-richtentechnik eingerichtet. Seit Juni 2001wird von Lucent Technologies die Per-sonalstelle des Gastprofessors finanziert.Die Kooperationspartner seitens der Uni-versität sind der Lehrstuhl für Nach-richtenübertragung (Prof. Dr.-Ing. Jo-hannes Huber), der Lehrstuhl für Hoch-frequenztechnik (Prof. Dr.-Ing. Lorenz-Peter Schmidt) sowie der Lehrstuhl fürOptik (Prof. Dr. Gerd Leuchs). Die Stelledes Lucent - Gastprofessors war bis30.9.2003 durch Prof. Dr.-Ing. BernhardSchmauss besetzt, der seit 1.10.2003

eine Professur für optischen Nachrichten-technik an der Fachhochschule Regens-burg innehat. Seit 1.1.2004 ist die Stelledurch Prof. Dr.-Ing. Herbert Haunstein be-setzt.

Im Rahmen der Gastprofessur wurdenvon Prof. Schmauss Lehrveranstaltungenzu Komponenten optischer Kommu-nikationssysteme sowie zur Konzeptionund Architektur optischer Kommunika-tionssysteme angeboten. Prof. Haunsteinbietet ergänzend dazu Lehrveranstalt-ungen zu Sendern und Empfängernoptischer Kommunikationssysteme undzu Aspekten optischer Kommunikations-netze an.

Neben den Lehrangeboten wurdendurch Prof. Schmauss am Lehrstuhl fürHochfrequenztechnik zwei wissenschaft-liche Projekte initiiert, die sich mit derStreckenauslegung optischer Übertra-gungssysteme bei 160Gbit/s bzw. mit derRegeneration optischer Signale bei unter-

Bernhard Schmauss/Lorenz-Peter Schmidt

Optisch Kommunizieren Höchstbitratenübertragung auf Singlemode-Glasfasern

Abb. 1: Untersuchungen zur Steigerung der Leistungs-fähigkeit optischer Übertragungssysteme. Foto: Nachrichtentechnik

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Faszination Technik

schiedlichen Modulationsformaten füreine Bitrate von 40Gbit/s beschäftigen.

Auslegung von 160Gbit/s Über-tragungssystemenUm den steigenden Kapazitätsan-forderungen an optische Übertragungs-systeme Rechnung zu tragen, werdenÜbertragungssysteme mit ständig stei-genden Übertragungsraten untersucht undentwickelt. Nachdem 40Gbit/s Systeme inden letzten Jahren entwickelt und zurMarktreife gebracht wurden, stellenSysteme mit der vierfachen Kapazität dennächsten logischen Schritt dar. 160Gbit/sentspricht der Übertragungsrate von2.5Mio ISDN Kanälen. Bei diesen Über-tragungsraten, sind verschiedene Effekteder Glasfasern zu berücksichtigen und soin Einklang zu bringen, dass Über-tragungsreichweiten von einigen hundertKilometern realisiert werden können. DieOptimierung der Streckenauslegung kannmit Hilfe aufwändiger numerischerSimulationen geschehen. Dazu wurden imRahmen des Projektes aufbauend aufeiner Simulationsumgebung, die der Pro-jektpartner Lucent Technologies zur Ver-fügung gestellt hat, am Lehrstuhl fürHochfrequenztechnik neue Systemkom-ponenten zur Erzeugung von 160Gbit/sSignalen und zum Empfang dieserhöchstbitratigen Signale modelliert unduntersucht. Eine besondere Heraus-forderung beim Entwurf dieser Systemeist die Tatsache, dass bei diesen hohenGeschwindigkeiten die Zusammenführ-ung von vier Datenströmen bei 40Gbit/szu einem 160Gbit/s Datenstrom nur nochauf optischem Weg geschehen kann. So-mit ist die Erzeugung stabiler kurzer Pulsesowie das zeitlich korrekte Ineinander-fügen der Basiskanäle (Multiplexen) be-sonders wichtig für das Gelingen des Ar-beiten. Ebenso gilt es für die Strecken-auslegung hinreichend stabile und flexibeleinsetzbare Konzepte zu erarbeiten, dieeinen späteren Praxiseinsatz unter-stützen. Die Verifikation der Model-lierungen und die Überprüfung deroptimierten Streckenauslegungen findetin den hochmodernen Labors von LucentTechnologies in Nürnberg bzw. beim Pro-jektpartner Fraunhofer Institut für Nach-richtentechnik, Heinrich-Hertz-InstitutBerlin durch die dort angestellten Spezi-alisten statt.

Optische Regeneration und ModulationsformateDie Erhöhung der Reichweite, bzw. derZuverlässigkeit optischer Übertragungs-systeme erfordert die Entwicklung und

den Einsatz von Elementen zur Verbes-serung der Signalqualität (Regene-ratoren). Zu deren Realisierung können dienichtlinearen Eigenschaften optischerÜbertragungsfasern, bzw. von besondersauf nichtlineares Verhalten ausgelegtenSpezialfasern genutzt werden. Durchneue Entwicklungen auf dem Gebiet deroptischen Modulationsformate wird nichtnur der Zustand „hell“ oder „dunkel“ zumAufbringen der Information auf das Licht-signal genutzt, sondern auch diePhasenlage des Lichts. Für diese Modu-lationsverfahren werden in einem zweitenForschungsprojekt am Lehrstuhl fürHochfrequenztechnik in Kooperation mitdem Lehrstuhl für Optik entsprechendeRegeneratoren entwickelt. Das Projektwird durch das BMBF im Rahmenpro-gramm MultiTeraNet gefördert. Es werdendabei zwei grundsätzliche Regene-ratorarchitekturen analysiert. Einerseitswerden transmittive Strukturen in Kom-bination mit optischen Bandpassfilterneingesetzt, andererseits werden auf Vor-arbeiten am Lehrstuhl für Optik aufbauendinterferometrische Strukturen, sogenan-nte nichtlineare optische Schlaufen-spiegel (NOLM) untersucht. Für beideStrukturen werden das Potential hinsicht-lich der Verbesserung der Signalqualitäteingehend untersucht, sowie Strategienzur optimalen Dimensionierung der Re-generatorparameter entwickelt. Mit die-sen optimierten Elementen kann danneine Steigerung der Leistungsfähigkeitoptischer Übertragungssysteme erreichtwerden. Ferner haben die bisherigen

Untersuchungen wertvolle Erkenntnissezur Auslegung von Übertragungsstreckenhoher Reichweite ergeben. So wurde einStreckenkonzept entwickelt, das dieKompensation von Signalstörungen mitHilfe kurzer Faserstücke, die periodisch indie Strecke eingebracht werden, er-möglicht. Eine Kombination der ver-schiedenen oben beschriebenen Ansätzekann zu einer weiteren Optimierung desÜbertragungsverhaltens genutzt werden,so dass extrem hohe Reichweiten mitmoderatem Mehraufwand zu realisierensind.

Durch die Etablierung der optischenNachrichtentechnik an der Universität Er-langen besteht für unsere Studierendendie Möglichkeit sich auf diesem wichtigenGebiet zu qualifizieren. In der nationalenund internationalen wissenschaftlichenFachwelt sind die Arbeiten durch Vorträgebei Tagungen und Konferenzen sowiedurch Veröffentlichungen in der ein-schlägigen Fachpresse bekannt und an-erkannt.

Prof. Dr. Bernhard Schmauss war von2001 bis 2003 Inhaber der Lucent-Gast-professur für optische Nachrichtentech-nik. Prof. Dr. Lorenz-Peter Schmidt ist seit1998 Inhaber des Lehrstuhls für Hoch-frequenztechnik an der Universität Er-langen-Nürnberg.

Abb. 2: Fast schon überholt: das Handy alsKommunikationsmittel.

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24 uni.kurier.magzin 105/juni 2004

Faszination Technik

Moderne Technik ist ohne Informatik nichtdenkbar. Jede Waschmaschine wird vonSoftware gesteuert, ein Auto fährt erst,nachdem alle Programme für die zahl-reichen Mikroprozessoren installiert sind,und moderne Medizintechnik wieRöntgen- oder Magnetresonanztomo-graphie ist nur möglich, weil ein leistungs-fähiger Computer die ungeheuren Mengevon Sensordaten in Bilder konvertiert.

Die Bedeutung der Informatik für dieProduktentwicklung lässt sich gut am Bei-spiel der Automobilfertigung aufzeigen.Designer entwerfen die Karosserie,realisieren sie mit CAD-Programmen undbeurteilen die optische Qualität anhandvirtueller Modelle. Berechnungsingeni-eure optimieren die Sicherheit in zahllosenvirtuellen Crashtests, noch bevor der erstePrototyp gebaut wird. Auch der cw-Wert,Schadstoffausstoß, Benzinverbrauch undandere relevante Faktoren werden mitHilfe von Simulationen optimiert. DieErgonomie des Innenraums sowie dieSerienfertigung werden ebenfalls amvirtuellen Modell untersucht.

Bei all diesen Verfahren entsteht eineenorme Menge von Ergebnisdaten. Einvirtueller Crashtest rechnet mehrereStunden für die Simulation der erstenMillisekunden nach einem Crash und er-zeugt dabei Gigabytes an Daten. Das

Ergebnis muss in eine grafische Dar-stellung umgewandelt werden, damit esvom Ingenieur interpretiert werden kann.Ein moderner Röntgentomograph erzeugtbei einer Ganzkörperaufnahme bis zu2.500 hoch aufgelöste Schichtbilder. DerArzt kann diese Datenflut nur bewältigen,indem er aus den Schichtbildern drei-dimensionale Ansichten erzeugen lässt.

Die Darstellung abstrakter Daten inForm aussagekräftiger Bilder wird „Visu-alisierung“ genannt. Nur mit einer gutenVisualisierung können die Ergebnissevieler Berechnungen und Messungen ver-standen werden. Entscheidend ist, dasWesentliche vom Unwesentlichen zu tren-nen, also alles, was für die Aufgaben-stellung irrelevant ist, auszublenden unddie wichtigen Strukturen so darzustellen,dass eine problemabhängige Interpre-tation möglich ist.

Zyklus der AnpassungDie Visualisierung läuft in der Regel ineinem Zyklus ab, in dem der Anwender dieDarstellung so lange optimiert, bis diegewünschte Information gefunden ist. DieSimulations- oder Messdaten werden zu-erst gefiltert, relevante Daten werden aus-sortiert und vorverarbeitet. DieseVisualisierungsdaten werden in geo-metrische Primitive wie Linien, Flächen

und Punkte mit Attributen wie Farbe undTransparenz umgewandelt, die dann dar-gestellt werden. Stellt das Ergebnis nichtzufrieden, können einzelne Schritte kor-rigiert und angepasst werden. Für denpraktischen Einsatz, insbesondere im Hin-blick auf virtual-reality-Anwendungen, diedirekte Interaktion mit den virtuellen Ob-jekten einschließen, ist die Geschwindig-keit der Bilderzeugung ein entscheidenderFaktor.

Die folgenden Beispiele für prak-tische Anwendungen von Visualisierungentstammen Projekten des LehrstuhlsGraphische Datenverarbeitung, zeigenausschließlich interaktive Visualisierungs-verfahren und sind in Zusammenarbeit mitPartnern aus der Industrie oder innerhalbder Universität entstanden.

Innenansichten und ÜberblickeIn der Qualitätskontrolle soll die Güte vonrealen oder virtuellen Objekten mittelsVisualisierungsverfahren beurteilt werden.Abb. 2 stellt das CAD-Modell eines Auto-karosserieteils einer Visualisierung gegen-über, die auf der Simulation vonReflektionslinien basiert. Anhand eines„harmonischen“ Verlaufs dieser Linienunter wechselnden Ansichten wird dievisuelle Qualität von Bauteilen beurteilt.Abb. 3 zeigt die Außenansicht eines realen

Günther Greiner/ Marc Stamminger

Gezähmte Datenflut Visualisierung – das Fenster zur Virtuellen Realität

Abb. 1: Farbkodierte Darstellungdes Drucks bei einer aerodyna-mischen Simulation (Koop. mit LSfür Strömungsmechanik).

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Faszination Technik

Gussteils neben der semitransparentenVisualisierung des Ergebnisses einerRöntgentomographie-Aufnahme. Die un-erwünschten Lufteinschlüsse im Innerndes Objekts sind klar zu erkennen, ohnedass das Bauteil zerstört werden musste.

In der Medizin gibt es heutzutage eineganze Reihe von bildgebenden Verfahren,mit denen die 3D-Struktur von anato-mischen oder funktionellen Arealen immenschlichen Körper zur Diagnose,

Operations- und Therapieplanung ana-lysiert werden kann. Abb. 4 zeigt Roh-daten und eine daraus entstandeneVisualisierung am Beispiel der Gefäß-bahnen im Gehirn mit einer vergrößertdargestellten Ausweitung (Aneurysma).

Im physikalisch-technischen Bereichreicht die numerische Simulation heutevon einfacheren Prozessen, z.B. Um-strömungen von Fahrzeugen, bis hin zusehr komplexen Vorgängen wie globaler

Wettersimulation oder Elektromagne-tisch-Akustik-Mechanik-Kopplungen. DieVisualisierung einer aerodynamischenSimulation in Abb. 1 stellt den Druck umein Flugobjekt farbcodiert dar. Abb. 7 zeigtdas Ergebnis der Simulation eines Ultra-schallsensors: durch elektromagnetischeAnregung wird eine Membran in mecha-nische Schwingung versetzt und strahltSchallwellen in die Umgebung ab.

Im virtuellen RaumFür die Zukunft ist absehbar, dass zurVisualisierung verstärkt Methoden dervirtuellen Realität angewendet werden.Das Spektrum reicht von Stereo-Darstel-lungen auf dem Bildschirm mit räum-lichem Tiefeneindruck über großformatigeProjektionswände (s. Abb. 6) bis hin zuCAVES, bei denen der Benutzer komplettvon Projektionsflächen umgeben ist undsomit vollkommen in die Visualisierungeintaucht. Durch spezielle Eingabegerätekann der Benutzer die visualisierten Ob-jekte manipulieren und mit der Visu-alisierung interagieren, was ein tieferesVerständnis ermöglicht.

Prof. Dr. Günther Greiner ist seit 2001 In-haber des Lehrstuhl für Informatik 9 (Gra-fische Datenverarbeitung) der UniversitätErlangen-Nürnberg und amtiert alsSprecher des Graduiertenkollegs „Dreidi-mensionale Bildanalyse und -Synthese“.Prof. Dr. Marc Stamminger ist seit 2002Professor für Grafische Datenverarbeitungund Visualisierung am selben Lehrstuhl.

Abb. 2: Qualitätskontrolle im Karosseriebau. Links: Motorhaube in CAD-Darstellung,rechts: Motorhaube mit Reflexionslinien (Koop. mit BMW AG, München).

Abb. 3: Zerstörungsfreies Prüfverfahren: links Außenansicht eines Gußteils, rechts semitransparente Darstellung des gesamten Volumenobjekts (Koop. mit Fraunhofer Institut, IIS, Fürth).

Abb. 5: Simulation einer Ultraschallsonde basierend auf elektromagnetisch-mechanisch-akustischenWechselwirkung. Links: Auslenkung der elektrisch angeregten Membranen, Mitte und rechts: Isobarendes Schalldrucks zum Zeitpunkt 1 mµs und 10 mµs (Koop. mit LS für Sensorik).

Abb. 6: Stereoprojektionswand am LS GraphischeDatenverarbeitung.

Abb. 4: Visualisierung von Aneurysmen. Links: vier von 250 Schichtaufnahmen, rechts Gefäßbahnen imGehirn mit Aneurysma, auch vergrößert dargestellt (Koop. mit der Neurochirurgischen Klinik).

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27 uni.kurier.magzin 105/juni 2004

Faszination Technik

Das Jahr 2004 wurde zum Jahr der Technik ausgerufen. Ent-sprechend ihrer Aufgabe, Forum für aktuelle Fragen der Zeit zusein, will auch unsere Universität in diesem Jahr besondereZeichen setzen. Ein solches nach außen wirkendes Zeichen istdiese Sonderausgabe des UniKurier.

Es geht im Jahr der Technik vor allem darum, Technik alsprägende Kraft unserer gesellschaftlichen und kulturellen Ver-hältnisse sichtbar zu machen. Dazu ist unsere Friedrich-Alexander-Universität in besonderer Weise in der Lage. Sie stellt,wie der Rektor gerade im Zusammenhang mit der aktuellen Spar-diskussion wiederholt hervorgehoben hat, gewissermaßen zweiUniversitäten in einer dar, indem sie eine klassische Universitätmit einer Technischen Fakultät verbindet. Insofern ist es in hohemMaße zu begrüßen, dass das vorliegende Heft nicht etwa schwer-punktmäßig von der Technischen Fakultät gestaltet ist. Es zeigtvielmehr die vielfältigen Ansatzpunkte auf, die sich an unsererUniversität für Aktivitäten in den Grenzbereichen zwischen derTechnik und anderen Disziplinen bieten. Unter diesem Gesichts-punkt dürfte die Stoffauswahl dieses Heftes zustande gekommensein. Es ist faszinierend zu sehen, dass durch einen solchen An-satz nicht nur eine Sammlung von Themen mit interdisziplinäremCharakter, sondern zugleich auch eine Sammlung modernsterThemen der Technik entstanden ist. Der Fortschritt der Technikvollzieht sich eben in hohem Maße in den Grenzbereichenzwischen den Disziplinen.

Wenn man nach Trends und Schwerpunkten in der Technikunserer Zeit fragt, so wird man, ohne Vollständigkeit be-anspruchen oder ein Reihung vornehmen zu wollen, sicherlichStichworte wie Informations- und Kommunikationstechnik, Life-Sciences, Medizin- und Bioverfahrenstechnik, neue Werkstoffeund Nanotechnologie sowie optische Techniken nennen dürfen.Die meisten der vorliegenden Aufsätze lassen sich mühelos indiese Bereiche einordnen. Dazu kommen Aufsätze, die diewichtigen Aspekte der Einbindung der Technik und ihrer Entwick-lung in die gesellschaftlichen Zusammenhänge betrachten.

Wenn im Titel von „Technik und Technikwissenschaft“ dieRede ist, so weist dies auf zwei Aspekte des Themas „Technik“an einer Universität hin. Der Technik geht es ja einerseits um dasMachbare, um die Anwendung. Sie ist aber zugleich auchWissenschaft. An einer Universität geht es also immer auch umden Erkenntniswert der Technik. In dieser Doppelaufgabe – An-wendung und Erkenntnis – wird oft ein Konflikt gesehen,formuliert auch als der zwischen Anwendung und Grundlagen.Wo liegen die Aufgaben der Universität, was sind überhauptGrundlagen? Der Konflikt ist aber nicht so tiefgehend, wie esvielfach scheint oder behauptet wird. Beides greift eng in-einander, der Vorgang der Erkenntnis und der Vorgang der Ge-staltung zu einer technischen Anwendung. Auch das wird in denAufsätzen dieses Heftes deutlich.

Der interdisziplinäre Zug der modernen Technik muss sich auchauf die Lehre auswirken. Dieser Aspekt ist für die TechnischeFakultät von besonderer Bedeutung. Ein prägender Grund-gedanke bei der Gründung der Fakultät war ja der, die Ausbildungvon Ingenieuren einzubinden in eine klassische Universität, umauf diese Weise den naturwissenschaftlichen Grundlagen ein be-sonderes Gewicht zu verleihen. Der Spiritus Rector auf Univer-sitätsseite, der theoretische Physiker Helmut Volz, schriebdamals in visionärem Schwung: „Diese Technische Fakultät wirdeinen neuen Zug in das wissenschaftlich-technische LebenDeutschlands bringen. Sie soll dokumentieren, dass die Technikmitten hinein gehört in die übrigen Bereiche unserer geistigenKultur, und sie soll unserem Land Ingenieure von einem neuenTypus liefern, die ganz nahe bei den mathematischen-naturwissenschaftlichen Grundlagen aufgewachsen und damitunmittelbar mit der Quelle des technischen Fortschrittes ver-bunden sind“. Das Jahr der Technik sollte für die TechnischeFakultät, aber auch für die Universität insgesamt ein Anlass seinzu fragen: Was ist aus dieser Vision geworden, was bedeutet sieheute?

Wie alle großen Ideen, so kann auch diese zu Missverständ-nissen Anlass geben. Zum Beispiel zu dem Missverständnis,Technik sei im wesentlichen Angewandte Naturwissenschaft. Da-mit ist aber der Kern nicht erfasst. Ein Mediziner macht zwar Ge-brauch von den biologischen Grundlagen, aber man wird ihnkaum als angewandten Biologen bezeichnen wollen. Auch beidem Ingenieur als Schöpfer nützlicher Maschinen tritt ein eigenesMoment zu der Anwendung der Naturwissenschaft hinzu. DieStudienpläne der Technischen Fakultät tragen dieser Tatsacheheute vermehrt Rechnung durch Betonung des spezifisch tech-nischen Elementes. Zugleich muss aber der Gedanke der Inter-disziplinarität in den Studienplänen und –angeboten heutestärker in den Vordergrund treten. Die beste Lösung scheint unsdie Einführung von Vertiefungsfächern: Elektrotechniker mit Ver-tiefungsfach Medizintechnik, Fertigungstechniker mit Ver-tiefungsfach Betriebswirtschaftlehre. Solche Modelle werdenvielfach erschwert durch die Kapazitätsgrenzen der Nach-barfakultäten. Das Modell einer Technischen Fakultät in einerklassischen Universität verlangt in diesem Bereich nach neuenLösungen. Interdisziplinäre Einbindung der Technik ist eine Auf-gabe aller Fakultäten!

Prof. Dr. Albrecht Winnacker hat 2001 das Amt des Dekans derTechnischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg über-nommen und ist Inhaber des Lehrstuhls WerkstoffwissenschaftenVI/Werkstoffe der Elektrotechnik.

Albrecht Winnacker

Technik und TechnikwissenschaftErkenntnis und Gestaltung als komplementäre Aspekte

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Faszination Technik

Technische Innovationen zählen zu denfaszinierendsten Gegenständen der Un-ternehmensgeschichte. Dazu gehört auchdas Automobil, dessen Herstellung sichinnerhalb von hundert Jahren von derhandwerklich geprägten Werkstättenfer-tigung über die fordistische Fließfertigungder 1920er Jahre bis hin zur computer-gesteuerten „zweiten Revolution“ desspäten 20. Jahrhunderts entwickelte. Ander Geschichte dieser Branche lässt sichdie Rolle technischer Neuheiten ebensowie der wachsende Einfluss des interna-tionalen Wettbewerbs beispielhaft zeigen.

Von der Werkstatt zur MassenproduktionDie Erfindung des Automobils im letztenDrittel des 19. Jahrhunderts geht zurückauf deutsche Maschinenbauer wie CarlBenz oder Gottlieb Daimler. Dennochsetzte sich der industriell betriebene Kraft-wagenbau im Deutschen Reich ver-gleichsweise langsam durch. Die werk-

stattorientierte, dezentrale Produktion mitganzheitlichen Arbeitsvollzügen und derDominanz der Meisterwirtschaft blieb hierüber den Ersten Weltkrieg hinaus typisch.Kraftwagen wurden traditionell in Einzel-oder Kleinserienfertigung mit einfachenMaschinen und einem hohen handwerk-lichen Aufwand gebaut (Abb. 1).

Im Gegensatz dazu setzte sich in denUSA bereits im ausgehenden 19. Jahr-hundert die Massenherstellung durch, dieim Wesentlichen auf Normierungs- undStandardisierungsmaßnahmen fußte. MitHilfe austauschbarer Teile wurden dieMontageprozesse in eine Reihe einfacher,sich stets wiederholender Operationenzerlegt. Hohe Durchlaufgeschwindig-keiten senkten die Herstellungskosten aufeinen Bruchteil.

Die im Jahr 1903 gegründete FordMotor Company gilt als Pionier derMassenproduktion von Automobilen.1908 brachte das Unternehmen mit dem„Modell T“ das erste standardisierte Auto-

mobil auf den Markt. Nach Einführung derFließfertigung mit Hilfe automatischerTransportbänder im Jahr 1912 stieg dieAnzahl der gefertigten Fahrzeuge von1.700 im Jahr 1903 auf 248.307 im Jahr1914. Die so eröffneten Möglichkeiten dermodernen Skalenökonomie (economiesof scale) verbanden den größtmöglichenOutput mit sinkenden Kosten. Währenddas „amerikanische Modell“ so breiteKäuferschichten erschloss, blieb das Autoin Deutschland weiterhin ein Luxusgut.Dass hier der Motorisierungsgrad bis zumZweiten Weltkrieg weit hinter dem andererwestlicher Industrienationen zurückblieb(Abb. 2), hing auch mit den höherenSteuerbelastungen für Kraftfahrzeuge undKraftstoffe zusammen.

Die Rationalisierungsbewegung der 1920er JahreDie wirtschaftliche Krisensituation nachdem Ersten Weltkrieg und die Stärke ame-rikanischer Mitbewerber wie Ford oder

Wilfried Feldenkirchen

Auf der Überholspur Technik und Unternehmensgeschichte – das Beispiel der Automobilindustrie

Abb. 1: Handwerklich geprägteAutomobilproduktion in einer Fertigungshalle.

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Faszination Technik

General Motors veranlassten deutscheAutomobilhersteller gegen Mitte der1920er Jahre zu Rationalisierungsmaß-nahmen, so dass die durchschnittliche Ar-beitsproduktivität im Jahr 1928 auf fast260 Prozent des Standes von 1913 an-stieg. Amerikanische Vorbilder und Er-fahrungen aus der Rüstungsproduktionförderten die Normierung einzelnerBauteile. 1923/24 führte die Firma Opeldie Fließfertigung ein und wurde damitzum Pionier des Fordismus in Deutsch-land.

Andere Hersteller wie Daimler-Benzsetzten auf das Konzept der so genanntenflexiblen Qualitätsproduktion. Dabeiwurde die Fließfertigung durch Kontroll-stationen zur Qualitätssicherung unter-brochen, so dass der Anteil manueller Tä-tigkeit vergleichsweise hoch blieb.Dennoch eröffneten amerikanische Pro-duktionsmodelle zur Typenreduzierungund Standardisierung mittelfristig auchder deutschen Automobilfertigung denÜbergang zum preisgünstigen Einheits-modell. Der „Volkswagen“ wurde in den1930er Jahren zur Initialzündung für dieMassenmotorisierung. 1938, ein Jahr vorKriegsbeginn, legte Hitler den Grundsteinfür das Volkswagenwerk in Wolfsburg, das

seinen Aufstieg jedoch erst im bundes-deutschen „Wirtschaftswunder“ nachdem Zweiten Weltkrieg nehmen sollte.

In den 1950er und 1960er Jahrenbildete VW die Merkmale des ame-rikanischen Produktionssystems (Ein-Produkt-Strategie, Fließfertigung mitFließbändern, Spezialmaschinen undTransferstraßen sowie Erhöhung der Fer-tigungstiefe und Einrichtung internerKomponentenwerke) geradezu ideal-typisch aus (Abb. 3). Unter anderem des-halb hatte sich das Unternehmen in derzweiten Hälfte der 1960er Jahre als einerder größten europäischen Automobilpro-duzenten etabliert.

Hohe Produktivität und Nutzung vonSkalenerträgen bei sinkenden Stück-preisen machten die Automobilindustriezur Schlüsselindustrie des deutschenWirtschaftswunders. Insgesamt stieg ihrAnteil am Bruttoinlandsprodukt von 1,7Prozent im Jahr 1952 auf 5,0 Prozent 1960und weiter auf 8,9 Prozent im Jahr 1968(Abb. 4) Erst mit der Rezession ab derzweiten Hälfte der 1960er Jahre gerietendie Automobilhersteller in eine Struk-turkrise, die das fordistische Modell inFrage stellte. Die Verschärfung des Wett-bewerbs und neue Anforderungen an dieDifferenzierung der Produkte wiesen aufein „Flexibilitätsdilemma“ hin. Die stan-dardisierten Abläufe der Massenpro-duktion ließen eine elastische Anpassungvon Stückzahlen, Typen und Modellen andie Nachfrage nur begrenzt zu.

Der Aufschwung in der zweiten Hälfteder 1970er Jahre leitete daher eine Wendezur flexiblen Massenproduktion ein, dieinsbesondere durch neue Technologienwie den Einsatz mikroelektronisch ge-steuerter Industrieroboter und moderneInformations-, Steuerungs- und Kontroll-systeme sowie variable Transport-einrichtungen und typenunabhängig ein-setzbare Mehrzweckmaschinen getragenwurde.

Investitionsmaßnahmen wie diese warennicht zuletzt durch die Exportoffensivejapanischer Hersteller zu Beginn der1980er Jahre nötig geworden, die ihrenMarktanteil in der Bundesrepublik auf 13Prozent erhöhte. Eine MIT-Studie aus demJahr 1991, die den europäischen Herstel-lern drastische Produktivitätsrückständegegenüber japanischen Wettbewerbernnachwies, lenkte die Aufmerksamkeit aufneue kostensenkende Fertigungs-methoden wie die Konzepte des „Just-in-time“ und der „Lean Production“, die aufflexiblen Zulieferstrukturen und auf einergeringen Lagerhaltung fußten. Zu Beginnder 1990er Jahre eröffnete Volkswagenals erster deutscher Hersteller zwei Werkenach dem Vorbild japanischer „Trans-plants“, die durch flache Hierarchien, einegeringe Fertigungstiefe, die logistischeVernetzung mit Zulieferern und eine team-förmige Arbeitsorganisation geprägtwaren. Damit präsentiert sich die Auto-mobilindustrie aus historischer Per-spektive als eine der innovativstenSchlüsselindustrien der Weltwirtschaft.Als Modell für den transnationalen Know-how-Transfer fungiert sie heute als Weg-bereiter einer globalen Wirtschaft.

Prof. Dr. Wilfried Feldenkirchen ist seit1990 Inhaber des Lehrstuhls für Wirt-schafts-, Sozial- und Unternehmens-geschichte der Universität Erlangen-Nürn-berg, der sich seit Jahren intensiv mit derGeschichte von Unternehmenswachstumund Strategiepolitik in der Automobil-industrie befasst und sich durch die Zu-sammenarbeit mit dem Stuttgarter Auto-mobilbauer DaimlerChrysler zu einemwichtigen Standort der Automobilge-schichte entwickelt hat. Aus dieserKooperation ging 2003 die Publikation„Vom Guten das Beste“ hervor, die sichmit der Fusionsgeschichte des Konzernsbefasst.Abb. 3: Der „Käfer“ als Prototyp eines preiswerten

Modells für breite Käuferschichten.

Abb. 2: Motorisierungsgrad in westlichen Industrienationen vor demZweiten Weltkrieg.

Abb. 4: Anteil der Automobilproduktion am deutschen Bruttoinlandsprodukt.Abbildungen: Lehrstuhl für Wirtschafts-, Sozial- und Unternehmensgeschichte

KFZ je 10.000 Einwohner

USA

Wertmäßiger Anteil der Automobilindustrie am Bruttoinlandsprodukt inden Jahren 1952, 1960 und 1968 (in Preisen von 1991)

250

200

150

100

50

0

600

500

400

300

200

100

01914 1925 1929 1932 1937

Mrd

. DM

Bruttoinlads-produkt (BIP)

Anteil derAutmobil-indurstrieam BIP

GB

F

D

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Faszination Technik

Medizinische Instrumente sind ver-räterisch – sie geben das Körperbild derZeit preis, aus der sie stammen. Ein Aderlassschnäpper ist ohne die Humoral-pathologie ebensowenig denkbar wie eineInsulinpumpe ohne die Endokrinologie.Dies gilt auch für die uns allen vertrauteInjektionsspritze, die erst unter demWandel der medizinischen Konzepte all-mählich ihre heutige Gestalt annahm.

Einfache Spritzen waren bereits in derAntike bekannt. In der frühen Neuzeit ver-wendete man auch eine Art „Spritz-beutel“, eine Tierblase, die mit einemMundstück aus Metall oder Knochen ver-bunden war. Damit ließ sich Flüssigkeit indie Körperöffnungen pressen, um Nase,

Ohr, Harnröhre, Scheide oder Darm zuspülen. Einspritzungen in die Gefäße hin-gegen wurden nicht vorgenommen, so-lange die antike Lehre von der Physiologiedes menschlichen Körpers wirkmächtigwar. Dieser zufolge wird die Nahrung inder Leber zu dem Gemisch der vier Säfte(Blut, Schleim, gelbe Galle, schwarzeGalle), das sich durch die Venen undArterien im Körper verteilt und schließlichvom Gewebe aufgezehrt wird. Einsprit-zungen in die Adern hätten daher nur eineWirkung auf den peripheriewärts liegen-den Körperabschnitt entfalten können.Wollte man die Qualität der Säfte in ihrerGesamtheit beeinflussen, konnte dies nurauf diätetischem Wege erfolgen.

Im Jahr 1628 veröffentlichte WilliamHarvey (1578-1657) seine berühmteSchrift „De motu cordis et sanguinis“(Über die Bewegung des Herzens und desBlutes). Harvey untermauerte seinerevolutionäre These vom Kreislauf desBlutes nicht nur mit Hunderten von Tier-versuchen, sondern verwies auch auf Er-fahrungen aus der Alltagswelt, so auf dierasche Ausbreitung des Giftes nach einem

Marion M. Ruisinger

Ab in die BlutbahnDie Injektionsspritze -

Medizintechnik, Menschenbild und Marktwirtschaft

Abb. 1: Spritze mit Glaskolben undEdelstahlkanüle. Medizinische SammlungErlangen

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Vipernbiss. Diese Beobachtung war dererste Hinweis darauf, dass man die Venendazu nutzen könnte, um Arzneimittel imgesamten Körper zu verteilen.

In den 1660er Jahren kam es dann zueinem regelrechten „Injektions-Boom“,dem zahllose Hunde, aber auch einigeMenschen, zum Opfer fielen. Für die als„Chirurgia infusoria“ oder „Neue Klistier-kunst“ bezeichnete intravenöse Injektionbediente man sich im Wesentlichen dergleichen Metallspritzen oder Spritzbeutel(Abb. 2) wie für das Einspritzen in die Kör-perhöhlen. Um das stumpfe Mundstück indie Vene einführen zu können, musstediese vorher durch eine kleine Operation(Venae sectio) freigelegt und vorsichtigeingeschnitten werden. Die Einspritzung,deren Ausführung manche Parallele zumAderlass aufwies, lag in der Hand desChirurgen.

Die neue Methode konnte die in siegesetzten Hoffnungen nicht erfüllen.Lorenz Heister (1683-1758) berichtete1719 in seiner „Chirurgie“, dass die in-travenöse Injektion, um die „von Anno1660 ungefehr bis 1680, so grosserRumor und Wesen [...] ist gemachtworden“, kaum mehr im Gebrauch sei. Siegewann erst rund 200 Jahre später vordem Hintergrund neuer physiologischerErkenntnisse wieder an Bedeutung, alsdurch die pharmazeutischen Synthese-verfahren Medikamente auf den Marktkamen – allen voran das zur Syphilis-behandlung eingeführte Salvarsan – dieso aggressiv waren, dass sie unmittelbarin die Blutbahn eingebracht werdenmussten.

Für die intravenöse Einspritzungkonnte man nun auf Spritzen zurück-greifen, die zwischenzeitlich für die sub-kutane Injektion von Opiaten u.a. Arznei-mitteln entwickelt worden waren. Als Pro-totyp der modernen Injektionsspritze giltdas 1853 von Charles-Gabriel Pravaz(1791-1853) entworfene Modell aus Glas,Silber, Kautschuk und Leder, dessenStempel mit einem Schraubgewinde ver-sehen war, um eine genaue Dosierung zuermöglichen (Abb. 3). Im Zuge der Asepsiswurde die anfängliche Materialvielfaltreduziert, sterilisierbare Ganzglasspritzenmit eingeschliffenem Kolben oder Glas-spritzen mit Metallmontierung („Rekord-spritzen“) wurden der neue Standard(Abb. 1).

Damit war die Injektionsspritze tech-nisch ausgereift. Wenn sie ihre Gestaltweiter veränderte, dann nicht aus medizi-

nischen, sondern aus marktwirtschaft-lichen Gründen: Die Entwicklung injizier-barer Medikamente wie Insulin und späterPenicillin führte zu einem explosions-artigen Anstieg des Spritzenbedarfs, das20. Jahrhundert wurde zum „injectioncentury“. Die Hersteller reagierten auf diesteigende Nachfrage zunächst mit derAutomatisierung der Produktion, dann mitder Entwicklung von billigen Einweg-spritzen, die im Laufe der 1950er Jahre diesterilisierbaren Mehrwegspritzen weit-gehend verdrängten.

Die elegante neue Lösung brachteneue Probleme mit sich, denn Einweg-spritzen setzen ein funktionierendesMüllentsorgungssystem und eine hin-reichend ausgeprägte Wegwerfmentalitätvoraus – beides war und ist in vielenLändern der Dritten Welt nicht gegeben.Durch die Wiederverwendung gebrauch-ter Spritzen und Kanülen wurde diesegensreiche Erfindung für viele zumFluch: Laut Schätzungen der WHO gehenjährlich etwa 1,3 Millionen Todesfälle anAIDS, Hepatitis B und C auf solche„unsafe injections“ zurück.

Durch neue Spritzentypen wird ver-sucht, dem Rechnung zu tragen: SeitMitte der 1980er Jahre gibt es die sterili-sierbare Kunststoffspritze, wenige Jahrespäter wurden auf Veranlassung der WHO„selbstzerstörende Einwegspritzen“ ent-wickelt, die nach einmaliger Verwendungautomatisch blockieren. Eine weitere Va-riante, die „Sicherheitsspritze“, bei der dieaufmontierte Kanüle nach Gebrauch ge-schützt werden kann, soll die Gefahr derNadelstichverletzungen minimieren.

Auch der wiederverwendbare, nadel-freie Injektionsapparat wird als Alternativezur subkutanen Einspritzung diskutiert,wegen der Gefahr der Kontamination aberkritisch gesehen. Aus der gleichen Über-legung heraus wurde am Klinikum Er-langen Anfang der 1980er Jahre auf denweiteren Gebrauch des Injektionsappa-rates „Dermojet“ verzichtet, der sich fürdie schmerzlose Lokalanästhesie beimLegen von Venenverweilkatheternbewährt hatte (Abb. 4).

Dr. Marion Maria Ruisinger ist wissen-schaftliche Assistentin am Institut für Ge-schichte und Ethik der Medizin der Univer-sität Erlangen-Nürnberg.

Abb. 3: Die Pravaz’sche Spritze (a) mit Hohlnadel(b)und Trokar (c). Lithographie aus: Albert Eulenburg, Diehypodermatische Injection als Arzneimittel. Berlin1865

Abb. 4: Dermojet Druckinjektor zur atraumatischen Lokalanästhesie. Medizinische Sammlung Erlangen

Abb. 2: Vor der Einspritzung wurde die gestaute Venemit einem Skalpell eröffnet. Holzschnitt aus: JohannDaniel Major: Chirurgie infusoria. Kiel 1667

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Dem Einsatz im Operationssaal wirdselten der erste Gedanke gelten, wennvon dem ungeheuren Wissenszuwachsdie Rede ist, den molekularbiologischeForschungsansätze der Medizin gebrachthaben. Dennoch wäre solches Wissen,wenn es schnell genug verfügbar ist, einezusätzliche solide Grundlage für Chir-urgen, die beschließen müssen, wie um-fangreich ein Eingriff zur Tumorbehand-lung ausfallen soll. Noch könnendetaillierte Kenntnisse über biologischeVorgänge im Einzelfall nicht rechtzeitig zurStelle sein, doch lässt sich jetzt schon ab-sehen, welchen Nutzen Operateure undPatienten künftig aus der Hilfestellung vonnaturwissenschaftlicher Seite ziehenwerden.

Pathologie als EntscheidungshelferIn die chirurgische Behandlung bösartigerTumoren sind derzeit vor allem Pa-

thologen einbezogen. Bereits intraope-rativ entnimmt der Operateur ein StückGewebe und verschickt es in einemkleinen Plastikgefäß sofort über ein Rohr-postsystem. Dieses kleine Gewebestückwird den Fortgang der Operation ent-scheidend beeinflussen. Am anderenEnde der Rohrpost sitzt ein Pathologe, derin den nächsten Minuten ein sehr umfang-reiches Programm zu bewältigen hat. Erwird das Gewebe einfrieren, aus dem ge-frorenen Material 2-5 Mikrometer dünneSchnitte erzeugen, diese anfärben undunter dem Mikroskop begutachten. DieseUntersuchung soll zeigen, ob es sich umdie vermutete Tumorart handelt, ob derTumor gutartig oder bösartig wächst undob mit Metastasen gerechnet werdenmuss. Bereits zehn Minuten später wirdder Pathologe das Ergebnis denChirurgen im Operationssaal mitteilen, diedementsprechend mit der Operation fort-

fahren. Diese als Schnellschnitt bezeich-nete Methode stellt derzeit eine derwichtigsten Entscheidungshilfen währendder Operation dar.

Was der Chirurg nicht weiß, ist, wiesich der Tumor speziell bei diesemPatienten entwickeln wird, ob der Patientzu postoperativen Komplikationen neigt,ob er eine gute oder schlechte Wund-heilung besitzt und ob eine oder welchebegleitende Therapie die Behandlungs-chancen verbessern wird. Wichtige Ein-blicke hierzu könnten über den Vergleichder Genexpression von Tumor undNormalgewebe eines Patienten erhaltenwerden. Die genetische Information desMenschen umfasst etwa 40.000 Gene.Gene sind in der Zelle in Form von Des-oxyribonukleinsäure (DNS) gespeichert.Aktive Gene werden in spezifische Ribo-nukleinsäure-Moleküle (RNS) umge-schrieben, die dann in Proteine übersetztwerden. Abhängig vom Aktivierungsgradeines Gens werden mehr oder wenigerRNS-Moleküle gebildet.

Michael Stürzl

Gen-Chip und Zell-Chip im OperationssaalVision einer Molekularen Chirurgie zur Behandlung bösartiger Tumoren

Kolorektalkarzinome Gesunde Schleimhäute

Abb. 1: Vergleichende Analyse der Genaktivität in verschiedenen Kolorektalkarzinomen (n=20) und ingesunden Darmschleimhautproben (n=10). Dargestellt sind die Genaktivitätsmuster der verschiedenenGewebeproben. Angegeben sind Gene, die im Tumor (rot) bzw. im Kontrollgewebe (grün) stärker aktivsind. Es fällt auf, dass die Muster der Genaktivitäten in den Kontrollgeweben einheitlicher als in denKarzinomen sind [Ergebnisse von Dr. Roland Croner, Chirurgische Klinik].

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Faszination Technik

Rot oder grün: Test für Tumor-GenaktivitätDies ist der Ansatzpunkt für die Ver-wendung von Gen-Chips, beschichtetenGlasplättchen, auf die mittels mikrotech-nologischer Verfahren an exakt vorgege-benen Positionen jeweils spezifischemolekulare Angelhaken (Gensonden) füralle RNS-Moleküle des Menschen auf-getragen wurden. Alle RNS-Moleküleeines Tumors und, zur Kontrolle, desumgebenden Normalgewebes werdenisoliert und mit einem roten (Tumor-RNS)bzw. grünen (Kontroll-RNS) Farbstoffmarkiert. Die markierten RNS-Molekülewerden in wässriger Lösung auf den Gen-Chip gegeben und lagern sich an den ent-sprechenden Gensonden an. Abhängigdavon, ob ein Gen im Tumor oderNormalgewebe aktiver ist, färben sich dieSondenauftragsflächen rot oder grün.

Über die Farbe aller 40.000 Sonden-auftragsflächen kann die gesamte Gen-aktivität beider Gewebearten verglichenwerden. In der Chirurgischen Klinik in Er-langen wird diese Methode routinemäßigfür den Vergleich der Genaktivität vonKolorektalkarzinomen und Normalgewe-be eingesetzt. Es konnten bereits über200 Gene identifiziert werden, die in denbeiden Gewebetypen unterschiedlich ak-tiv sind (Abb. 1). Sie werden gegenwärtigals molekulare Marker eingesetzt, umKarzinomzellen von normalen Körperzel-len zu unterscheiden.

Einblick in Kooperation der GeneVon noch größerer Bedeutung ist, wiediese 200 Gene bei der Karzinoment-stehung zusammenwirken. Untersuch-ungen von Kombinationseffekten sind ex-trem aufwendig. Bereits die Untersuchungder Wirkung von 200 paarweise kom-binierten Genen erfordert mehr als 20.000Experimente. Erst vor zwei Jahren wurdemit der Zell-Chip-Analyse eine Methodebeschrieben, mit der dieses Pensumbewältigt werden kann.

Ausgangspunkt ist wie beim Gen-Chip ein beschichtetes Glasplättchen, mitdem Unterschied, dass Nukleinsäurenaufgetragen wurden, welche in einer Zelledie Synthese der verschiedenen Genpro-dukte bewirken (Abb. 2A). Der Chip wirdmit Zellen überbeschichtet, wobei dieBedingungen so gewählt werden, dassdie Zellen über einem Auftragspunkt dieentsprechenden Nukleinsäuremoleküleaufnehmen und das/die kodierte/n Pro-tein/e synthetisieren (Abb. 2A, B). Aufeinem einzigen Zell-Chip können bereitsbis zu 2.000 Experimente zur Einzel- undKombinationswirkung von Genen durch-

geführt werden. Das Verfahren wurde ander Chirurgischen Klinik in Zusammen-arbeit mit dem GSF-Forschungszentrumfür Umwelt und Gesundheit in Neuherbergetabliert.

Gegenwärtig dauern Gen-Chip- undZell-Chip-basierende Verfahren noch meh-rere Tage. Weltweite Anstrengungen zurOptimierung lassen jedoch den opera-tionsbegleitenden Einsatz beider Tech-niken in nicht allzu ferner Zukunft alsmöglich erscheinen.

Naturwissenschaftund Medizin als PartnerZum 1. August 2003 hat die AbteilungMolekulare und Experimentelle Chirurgie(AMEC) der Chirurgischen Klinik der Uni-versität Erlangen-Nürnberg unter derLeitung von Prof. Dr. Michael Stürzl die Ar-beit aufgenommen. Die Abteilung soll einePlattform für die Zusammenarbeit vonMedizinern und Naturwissenschaftlern bie-ten, um Neuentwicklungen der molekular-biologischen Grundlagenforschung schnel-ler für die Diagnose und Behandlung bös-artiger Erkrankungen verfügbar zumachen.

Um die Anwendung molekularbio-logischer Verfahren in der Chirurgie zu för-dern, hat die AMEC mit der ChirurgischenKlinik (Direktor: Prof. Dr. Werner Hohen-berger) ein Partnerschaftsprogramm ein-

gerichtet. Dieses Programm ermöglicht esNaturwissenschaftlern, die Abläufe undErfordernisse bei Operationen zu erfas-sen, und bietet umgekehrt Chirurgendetaillierte Einblicke in die Perspektivenund Möglichkeiten molekularbiologischerForschung. Die interdisziplinäre Vernet-zung der chirurgischen Forschung wirdwesentlich dazu beitragen, dass derOperateur fundierte Entscheidungen tref-fen kann.

Prof. Dr. Michael Stürzl ist seit 2003 Pro-fessor für Molekulare und ExperimentelleChirurgie an der Universität Erlangen-Nürnberg und leitet die Abteilung ViraleVaskulopathie am GSF-Forschungszen-trum für Umwelt und Gesundheit inNeuherberg. Die Arbeiten werden durchden BioFuture-Forschungspreis des BMBF,den Förderschwerpunkt „Apoptosede-fizienz und ihre Modulation bei malignenErkrankungen“ der Deutschen Krebshilfe -Dr. Mildreed Scheel-Stiftung, das Schwer-punktprogramm 1130 „Infektionen desEndothels“der DFG, durch das BayerischeStaatsministerium für Unterricht undKultus (Bavarian-Quebec Research Coo-peration), durch das Interdisziplinäre Zen-trum für Klinische Forschung der Univer-sität Erlangen-Nürnberg und den WienerWirtschaftsförderungsfonds (Co-operateVienna 2003) unterstützt.

Abb. 2: (A) Schematische Darstellung der Zell-Chip-Analyse. Zuerst werden Desoxyribonukleinsäuren(DNA) aufgetragen, die für verschiedene Proteine kodieren. Nachfolgend werden die Chips mit einerLösung beschichtet, die die Aufnahme der DNA in Zellen unterstützt. Dieser Prozess wird Transfektiongenannt. Abschließend werden die Chips in geeignetes Nährmedium gegeben und mit Zellen über-schichtet. Dies führt zur Aufnahme der DNA und zur Expression der entsprechenden Proteine. (B) Beispieleiner Transfektion auf einem Zell-Chip. Es wurden Nukleinsäuren auf den Chip aufgetragen, welche nachAufnahme in die Zelle die Expression eines grün fluoreszierenden Proteins steuern. Rechts ist die Vergröß-erung eines Auftragspunkts gezeigt. Der Durchmesser des Auftragspunkts beträgt 600 mm. Er ist vonetwa 300 Zellen besiedelt, von denen etwa 70 Prozent das Fremdgen exprimieren. [Ergebnisse von RenèLeubert, GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, Neuherberg]

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Faszination Technik

Der an einem geraden Stamm ange-bundene krumme Baum ist das Symbolder Orthopädie. Es geht auf Nicolas Andryzurück, der 1741 auch das Wort „Ortho-pädie“ prägte. Das Bild charakterisiertderen beide Heilprinzipien: die Wuchs-lenkung beim jugendlichen Individuumund die Stütztherapie beim „Krüppel“, wiekörperlich Behinderte noch bis 1945 of-fiziell bezeichnet wurden. Mit Maschinenund Apparaten versuchte man in denersten, zu Beginn des 19. Jahrhundertsgegründeten orthopädischen Kliniken undInstituten hauptsächlich Klumpfüße undRückgratverkrümmungen, so genannteSkoliosen, zu „behandeln“. Heute werdenbei der Behandlung von Rückgratver-krümmungen spezifische Operationsver-fahren wie die Ventrale Derotations-Spondylodese (VDS) eingesetzt. In derZusammenarbeit zwischen Medizinernund Ingenieuren konnte durch eine Im-plantat-Modifikation eine verfahrens-typische Komplikationsgefahr reduziertwerden.

Die Skoliose der Wirbelsäule begüns-tigt deren Verschleiß und kann zu ver-mehrten Beschwerden im gesamtenBewegungsapparat führen sowie diekardiopulmonale Funktionsfähigkeit ein-schränken. Des Weiteren fühlen sich diePatienten durch die entstellende Kos-

metik beeinträchtigt. Mit operativen Ein-griffen lässt sich die Fehlstellung zu-mindest teilweise korrigieren. Die VDSwird seit 1975 erfolgreich angewandt. Beidieser Operationsmethode werden in diefehlstehenden Wirbelkörper Schraubeneingebracht, die durch einen flexiblen Ge-windestab verbunden sind. Damit lässtsich eine dreidimensionale Korrektur derDeformität realisieren. Auf Grund derwirkenden Kräfte besteht jedoch dieGefahr von Schraubenausrissen im End-wirbelbereich.

Mit einer gelenkigen Verbindungzwischen Schraubenkopf und Gewinde-teil der Schraube lässt sich die auf dieEndschrauben wirkende Auszugskraftentscheidend verringern. Hierzu sind ei-nige Erläuterungen notwendig. BeimVDS-Instrumentarium sind die Schraubenzu Beginn der Korrektur konvergierend zu-einander ausgerichtet, gegen Ende derKorrektur kommt es zu einer annäherndparallelen Konfiguration. Durch die Kor-rektur der Skoliose und die damit ver-bundene Verschiebung der Schrauben-stellung zueinander kommt es zu einerVeränderung der Kräfteverhältnisse imSystem. Vor allem die Endschraubenwerden durch die einwirkende Querkrafteinseitig belastet. Des Weiteren wird deraxiale Gewindestab durch das Anziehen

der Muttern zwangsläufig stets im rechtenWinkel zur jeweiligen Schraubenlängs-achse ausgerichtet. Bei der Korrektureiner ausgeprägten Skoliose kommt es imNormalfall im begradigten Bereich zueinem seitlichen Versatz der Wirbelkörperin der Frontalebene. Zwischen jeweilszwei Schrauben wird dem Gewindestabdadurch eine bestimmte Form auf-gezwungen. Auf Grund seiner Biege-steifigkeit übt der Gewindestab auf dieEndwirbelschraube eine axiale Auszugs-kraft P1 aus:

P1 = 12 · s · E · Iy : l3

Die Auszugskraft ist also proportional demElastizitätsmodul E des Gewindestabs,dem Flächenträgheitsmoment Iy des Ge-

Constantin Klöckner

Kleines Gelenk mit großer WirkungEine neue Schraube hilft bei Wirbelsäulenoperationen

Abb. 3: Idealisierte Schematisierung der Funktions-weise der VDS.

Abb. 2: Beispiel einer Skoliosebehandlung im 17. Jahrhundert.Abb. 1: Das Symbol der Orthopädie von Nicolas Andry

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windestabs und dem seitlichen Versatz sder benachbarten Schraubenköpfe. Sieist umgekehrt proportional zur dritten Po-tenz des Abstandes l zwischen denbeiden Schrauben.

Hat die äußere Schraube jedoch einScharniergelenk, das eine Kippung in derFrontalebene zulässt, dann nimmt der Ge-windestab beim Anziehen der Mutterneine andere Form ein. Die Auszugskraft P2an der Schraube bestimmt sich für diesenFall wie folgt:

P2 = 3 · s · E · Iy : l3

Bei der Schraube mit starrem Kopf ist dieAuszugskraft theoretisch also viermal sohoch wie bei einer Schraube mitScharniergelenk. In der Realität ist dieserFaktor jedoch wegen des Spiels zwischenMutter und Gewindestab wahrscheinlichdeutlich geringer. Um die wahre Redu-zierung der Auszugskraft durch einScharniergelenk zu ermitteln, wurde dieAuszugskraft für beide Schraubentypenexperimentell bestimmt. Dazu wurde vomHersteller des VDS-Implantats (Fa. Ulrich,Ulm) eine modifizierte Schraube mit einemScharniergelenk zwischen Gewindeteilund Kopf hergestellt. Diese Schraube er-laubt eine Kippung des Kopfes um jeweils20° in beide Richtungen und damit wirdeine exakt rechtwinklige Ausrichtung desGewindestabs zur Schraubenlängsachseverhindert. Die modifizierte Schraubekann mit dem übrigen VDS-Instrumen-tarium kombiniert werden. In einer ex-perimentellen Untersuchung konnte eineReduktion der Schraubenauszugskraftauf 51 Prozent bei Anwendung dermodifizierten Schraube nachgewiesenwerden. Die Differenz zwischen theo-retisch und experimentell ermittelter Aus-zugskraft lässt sich durch das Spielzwischen Gewindestab und Mutter er-klären.

Die Schraube wurde nach ent-sprechenden biomechanischen Belas-tungstests mit dem CE-Zeichen versehen.Mittlerweile wird die Schraube in der Or-thopädischen Universitätsklinik der Uni-versität Erlangen-Nürnberg eingesetzt.Die kurzfristigen klinischen Ergebnissebestätigen die theoretischen und ex-perimentellen Untersuchungen.

Priv.-Doz. Dr. Constantin Klöckner istLeitender Oberarzt an der OrthopädischenUniversitätsklinik der Universität Erlangen-Nürnberg. Die Arbeiten wurden gemein-sam mit Dr.-Ing. Antonius Rohlmann undProf. Dr.-Ing. Georg Bergmann, Bio-mechanik-Labor der Charitè, Universitäts-medizin Berlin, Campus Benjamin Franklindurchgeführt.

Abb. 5: Schematisierte Darstellung der Versuchsanordnung zur Bestimmung der Auszugskraft derherkömmlichen Schraube (oben) und der modifizierten Schraube (unten).

Abb. 6: Röntgenbilder präoperativ (links) und ein Jahr postoperativ (rechts) einer mit dem modifiziertenInstrumentarium versorgten Patientin.

Abb. 4: VDS-Instrumentarium mit herkömmlichen Schrauben (links) und modifizierter Endwirbelschraube(rechts) mit Gelenkverbindung.

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Faszination Technik

Wir leben in einer Gesellschaft, in der sichder Anteil der über 60jährigen von fünfProzent um die Jahrhundertwende aufheute fast 22 Prozent gesteigert hat. Fürdas Jahr 2030 werden knapp 35 bis 38Prozent prognostiziert, wobei sich be-sonders der Anteil der über 80jährigenüberproportional verändert. Über-raschenderweise belegen neuere Er-hebungen, dass bis zu drei Viertel der über85jährigen noch alleine ihren Alltagmeistern können. Allerdings ist dieseSelbständigkeit im Alter beispielsweisedurch Stürze stark gefährdet.

Nicht zu Unrecht nennt die GeriatrieStürze im Alter die „stille Epidemie“.Gemäß internationalen Studien stürztjeder dritte über 65 Jahre alte Menschmindestens einmal im Jahr. In der Gruppeder über 80jährigen steigert sich dieserAnteil auf 40 bis 50 Prozent. Rund zehnProzent der Stürze haben behandlungs-bedürftige Folgen – mit entsprechendenfinanziellen Konsequenzen. Für Morbi-dität und Mortalität bei den über 65jäh-rigen sind Stürze eine der häufigsten Ur-sachen, und fast 40 Prozent der Heimein-weisungen lassen sich unter anderem aufStürze zurückführen.

Spirale der UnsicherheitDoch die wirtschaftlichen Folgen sind nurein Aspekt des Themas. Ein Sturz ist für

viele Betroffene ein einschneidendes Er-eignis mit weitreichenden Konsequenzen.Aus Angst vor weiteren Stürzen schränkenviele Ältere ihre Aktivitäten ein und setzendamit eine verhängnisvolle Spirale inGang. So verlieren diese Menschen wei-tere Kompetenzen zur Gleichgewichts-erhaltung und provozieren damit dennächsten Sturz. Außerdem droht für dieBetroffenen eine soziale Isolation mit einerMinderung der Lebensqualität.

Die Ursachen für Stürze sind viel-fältig. Im Alltag zum Beispiel stellen nichtabgesenkte Bürgersteige, kurze Ampel-schaltungen und Treppen ohne Handläufeunterschiedliche Herausforderungen anden älteren Menschen. Studien haben indiesem Zusammenhang gezeigt, dassdurch gezielte Trainingsprogramme Sturz-anzahl sowie Sturzhäufigkeit reduziertwerden können.

Am Institut für Sportwissenschaft undSport der Universität Erlangen-Nürnbergfindet ein Forschungsprojekt unter derLeitung von Dr. Ellen Freiberger statt, dasden Einfluss eines multifaktoriellen Inter-ventionstrainings bei selbständig leben-den 70- bis 90jährigen untersucht. Alle160 Teilnehmer dieser randomisiertenKontrollstudie wurden einem Eingangs-test unterzogen, in dem motorische Fak-toren, z.B. Gleichgewicht, Gangge-schwindigkeit und Kraftmessungen in den

Ellen Freiberger

Die stille Epidemie Sicherheit vor Stürzen im höheren Lebensalter – der Beitrag der Technik

Abb. 1: Ein Shopping-Dreiradmacht der Einkauf für ältereMenschen bequem und sicher.Foto: PFAU-TEC

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Faszination Technik

Beinen, kognitive Faktoren wie Merkfähig-keit und Informationsverarbeitungs-geschwindigkeit sowie die Aufmerksam-keit erhoben wurden. Zusätzlich beant-worteten die Teilnehmer Fragebogen zurLebensqualität und zu ihrer Angst vorStürzen und Selbstwirksamkeit. Danachwurden die älteren Menschen per Los derExperimentalgruppe oder der Kontroll-gruppe zugeteilt.

Die Experimentalgruppe bekam einviermonatiges, multifaktorielles Training,das zweimal die Woche für je eine Stundestattfand. Jeweils eine dieser Stunden warmotorischen Übungen vorbehalten, in deranderen wurden unterschiedliche Thementheoretisch behandelt. Die motorischenÜbungseinheiten beinhalteten vorwie-gend Wahrnehmungstraining und koor-dinative Trainingselemente, Gleichge-wichts- und Kraftübungen. Ein wichtigesElement war zudem die reflektive Ver-arbeitung der Übungseinheiten, z.B. umden Bezug zum Alltag herzustellen, nachdem Motto „Warum trainieren wir diesesElement überhaupt?“.

Bewusst geändertes VerhaltenIn den theoretischen Trainingseinheiteninformierten zunächst Vorträge die Teil-nehmer über die Veränderungen, die derAlternsprozess für den menschlichenKörper bedeutet, und deren Folgen sowieüber Daten und Fakten zum ThemaStürze. Im weiteren Verlauf wurde dasThema Angst und Stürze in einemkognitiv-verhaltensorientierten Ansatz be-handelt. Die Teilnehmer lernten zuerst, dieAngst auslösenden Gedanken bewusstwahrzunehmen und die entsprechendenFolgen im Verhalten zu erkennen. An-schließend wurden mögliche Verhaltens-änderungen besprochen.

Der letzte Teil der theoretischen Ein-heiten galt gezielt den Hilfsmitteln.Studien haben belegt, dass durch denEinsatz eines Hüftschutzes (Abb. 2) diedurch Stürze bedingte Schenkelhals-fraktur bei gefährdeten Senioren vermeid-bar ist. Da die überwiegende Anzahl vonStürzen im engeren Wohnumfeld ge-schieht, sind Wissenschaftler dabei,spezielle Systeme als Personennotruf zuentwickeln, die Stürze automatisch er-kennen und weiterleiten. Ein solches Not-rufsystem soll in die Uhr oder den Fin-gerring integriert werden und die Defiziteherkömmlicher Geräte ausschließen.

Das Fahrradfahren gehört gerade ineiner „Fahrradstadt“ wie Erlangen fürältere Menschen zur alltäglichen Routine.Viele Teilnehmer der Studie gaben an, Pro-bleme beim Fahrradfahren zu haben. Es

wurden Alternativen aufgezeigt, z.B.bietet der Handel für Senioren mitGleichgewichtsproblemen Shopping-Drei-räder an (Abb. 1).

Nach vier Monaten ging die In-terventionsphase mit einer Abschlussver-anstaltung zu Ende. Die Kontrollgruppewurde in der Zwischenzeit telefonisch allevier Wochen kontaktiert, um für Stürzerelevante Daten zu erheben. Nach vierMonaten nahmen alle Teilnehmer derStudie an einem Post-Test teil.

Zur Zeit laufen Telefoninterviews mitallen Studienteilnehmern über einenZeitraum von weiteren sechs Monaten;danach werden alle Teilnehmer zumletzten Mal getestet, um Auskunft überLangzeitwirkungen der Intervention zuerhalten. Die Ergebnisse stehen noch aus.Weitere Forschungsprojekte mit anderenInterventionsschwerpunkten sind am In-stitut für Sportwissenschaft und Sport inder Planung. Was Wissenschaft und Tech-nik tun können, um die Unfallgefahr fürältere Menschen zu begrenzen, soll ge-schehen.

Dr. Ellen Freiberger ist wissenschaftlicheAssistentin am Institut für Sport-wissenschaft und Sport der Erziehungs-wissenschaftlichen Fakultät der Univer-sität Erlangen-Nürnberg. Ihre For-schungsschwerpunkte umfassen Bewe-gungskoordination im Alter, Kognition undKoordination im Zusammenhang mit demAlternsprozess, körperliche Aktivität undGesundheit sowie altersbedingte Stürze.

Abb. 2: Hüftprotektoren schützen bei einem Sturz vor Knochenbrüchen. Foto: SAFEHIP, Rölke Pharma, Hamburg

Internet-Adressen zum Thema Stürze im Alterwww.aktiv-in-jedem-alter.dewww.aekno.de/htmljava/a/kammerarchiv/sturzpraevention.pdfwww.pflegenet.com/wissen/literatur/sturzpraevention.html

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Spätestens mit der Industrialisierung hatdie Technik in fast jeden LebensbereichEinzug gehalten. Produktion, Transport,Energieversorgung, Kommunikation, Dienst-leistungen, Haushalt und Freizeitge-staltung sind ohne Technik nicht mehr vor-stellbar. Auch das Recht erfasst – wennauch mit unterschiedlicher Intensität – alleLebensbereiche. Es gibt – man mag dasbeklagen – keine „rechtsfreien Räume“mehr. Nimmt man Wirtschaft, Natur-wissenschaften und Ethik hinzu, so wirddeutlich: Die Beziehung von Technik undRecht bildet nur einen Ausschnitt auseinem vernetzten, komplexen System. Beiisolierter Betrachtung dieses Ausschnittssind starke wechselseitige Abhängig-keiten und Einflüsse erkennbar. Als Mitteldes Rechts kann Technik der Rechts- undEntscheidungsfindung dienen. Radarfallenund Videoüberwachung sowie der Rück-griff auf technische Sachverständige vor

Gericht sind Beispiele hierfür. Umgekehrtvereinnahmt das Recht die Technik in ihrerVielfalt als Objekt.

Da Technik nützen und schadenkann, schafft sie Konfliktpotentiale, dierechtlicher Ordnung bedürfen. So hängeneinerseits Art und Weise der wirtschaft-lichen Ausnutzung der Technik davon ab,ob sie rechtlichen Schutz, z. B. durchPatente genießt. Das Recht regeltebenfalls, unter welchen Vorausset-zungen Technik genutzt werden darf. Bei-spiele hierfür sind Vorgaben für ener-giesparende Heizungsanlagen und derenPrüfung durch Schornsteinfeger sowie dieFahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge. An-dererseits begründen die mit der Technikverbundenen Gefahren einen besonderenRegelungsbedarf. Neue Techniken er-weisen sich als Kristallisationskerne neuerRechtsgebiete: Rundfunkrecht, Atom-und Strahlenschutzrecht, Datenschutz-

recht, Medizinprodukterecht und Gen-technikrecht zeigen dies.

Technikrecht hat sich in den letztenJahrzehnten zu einem eigenständigenRechtsgebiet entwickelt. Sinnfälliger Aus-druck dafür sind die drei Universitäts-institute in Trier (seit 1989), Erlangen (seit1991)1) und Dresden (seit 1994) sowie dieerstmals in Erlangen im Jahre 2003 erteilteLehrbefugnis für Technik- und Wirt-schaftsrecht. Allerdings ist Technikrechteine Querschnittsmaterie und somit nichtklar abgegrenzt.

Kennzeichen des TechnikrechtsDynamik und Komplexität der Technikspiegeln sich in drei Charakteristika desTechnikrechts. Zum einen fällt einzeitlicher Abstand zwischen der Entwick-lung einer Technik und ihrer rechtlichenRegelung auf. So fuhr das erste von CarlBenz entwickelte Kraftfahrzeug 1886 auf

Klaus Vieweg

Technik und Recht imWechselspiel

Gesetzliche Regeln unter den Bedingungen vonDynamik und Komplexität

Abb. 1: Risiken und Nutzen der Technik beschäftigen den Gesetzgeber. Quelle: Deutscher Bundestag/Siegfried Büker

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öffentlichen Straßen, die gesetzliche Re-gelung des Straßenverkehrs ließ jedochnoch 24 Jahre auf sich warten. Man kanndieses Phänomen als „legal lag“bezeichnen. Eine zeitnahe oder sogarvorausschauende rechtliche Regelungwürde angesichts der Komplexität derTechnik den Gesetzgeber in aller Regelüberfordern. Nur ausnahmsweise erfolgt –wie beim Verbot des Klonens mensch-licher Embryonen (1991) – im Vorgriff einerechtliche Regelung. Zum anderen ver-langen insbesondere die Komplexität derTechnik, ihre Innovationsorientierung unddie nicht immer exakt vorherzusehendenFolgen nach differenzierenden gesetz-geberischen Lösungen. Nicht verwunder-lich ist deshalb die Fülle spezialge-setzlicher Regelungen und die damit ein-hergehende Rechtszersplitterung. ZumDritten wird – staatsentlastend – privaterSachverstand in einem besonderen Um-fang durch Gesetzgebung, Verwaltungund Rechtsprechung rezipiert. TechnischeNormen – wie die DIN-Normen – und dastechnische Sachverständigenwesen (z. B.TÜV) belegen dies eindrucksvoll.

Wie bereits erwähnt, gibt es kaumnoch „rechtsfreie Räume“. Überspitztkann man von einer verrechtlichten Weltsprechen. Die vom Deutschen Institut fürNormung (DIN) erstellte Datenbank „Tech-nisch relevante Rechtsvorschriften“erfasst 1.530 Gesetze, 4.313 Verord-nungen und 6.030 Verwaltungsvor-schriften des Bundes und der Ländersowie Richtlinien der EU. Diese Re-gelungsfülle verwundert nur auf denersten Blick. Geradezu bescheiden nimmtsie sich aus im Vergleich mit den tech-nischen Normen privater Normungs-organisationen wie dem DIN, dem Ver-band Deutscher Elektrotechniker (VDE)und dem Verein Deutscher Ingenieure(VDI). Allein das DIN-Normenwerk und dieVDE-Bestimmungen füllen über 125.000Druckseiten.

Schon hinter der klassischen In-genieurfrage „Wie sicher ist sichergenug?“ verbergen sich Zielkonfliktezwischen technischer Sicherheit undPraktikabilität einerseits und finanziellerMachbarkeit andererseits. Hinzu kommt,dass es weder eine absolute Sicherheitnoch ein allgemein anerkanntes Risiko-Akzeptanz-Kriterium gibt. Aufgabe desStaates ist es, eine Schädigung seinerBürger durch technische Risiken mög-lichst zu vermeiden. Dazu dienen dastechnische Sicherheitsrecht und diezivilrechtliche Haftung, also die Pflicht zurZahlung von Schadensersatz undSchmerzensgeld. Die Effizienz dieses In-

struments beruht nicht zuletzt darauf,dass die Durchsetzungsinitiative bei denunmittelbar Betroffenen liegt. Ihr per-sönlicher Schaden ist hier der Garantdafür, dass Technikfehler und -folgen vordie Gerichte gelangen.

Beispiel PatentrechtSchutz und Vermarktung technischerInformationen werden insbesonderedurch die gewerblichen Schutzrechte, vorallem durch das Patentrecht gewähr-leistet. In Deutschland kommt es erstEnde des 18., Anfang des 19. Jahr-hunderts in einzelnen Ländern – z. B. inBayern und Preußen – zum Erlass patent-rechtlicher Regelungen. Das erste reichs-einheitliche Patentgesetz wird 1877 ver-abschiedet. Ein vorausgehender längererStreit zwischen Anhängern und Gegnernwird unter der Federführung Werner vonSiemens’ (1816 - 1892) durch einen Kom-promiss gelöst: Eine sogenannte Zwangs-lizenz wird für den Fall eingeführt, dass dieBenutzung einer Erfindung im öffentlichenInteresse geboten ist, sich der Patent-inhaber aber weigert, dies gegen eine an-gemessene Vergütung zu gestatten.

Die Zwecke des Patentrechts sindvielfältig. Neben dem Schutz der Erfinder-persönlichkeit soll es in erster Linie moti-vieren, Kenntnisse über gewerblich ver-wendbare Erfindungen preiszugeben, da-mit die Allgemeinheit Nutzen daraus

ziehen kann und der technische Fort-schritt forciert wird. Für seine Leistungwird der Erfinder durch ein Schutzrechtbelohnt, das ihm einen Vorteil im Wett-bewerb verschafft.

Neben der Dynamik der Techniktragen insbesondere die europäischenund internationalen Einflüsse dazu bei,dass das Technikrecht selbst einemständigen Wandel unterliegt. Wirtschaft,Technik und Recht bilden insoweit eineuntrennbare Einheit. Der Rechtsverbundaus europäischem und nationalem Tech-nikrecht hat seinen inneren Grund vorallem in der wirtschaftlichen Logik desBinnenmarktes. Dies gilt sowohl für dastechnikbegrenzende Sicherheitsrecht alsauch für die technikfördernden gewerb-lichen Schutzrechte, insbesondere dasPatentrecht.

Prof. Dr. Klaus Vieweg ist Inhaber desLehrstuhls für Bürgerliches Recht,Rechtsinformatik, Technik- und Wirt-schaftsrecht und leitet das Institut fürRecht und Technik der Universität Er-langen-Nürnberg seit dessen Gründungim Jahr 1991.

Abb. 2: Auch für die Abwasserbehandlung gibt es rechtliche Vorschriften. Foto: Kurt Fuchs

1) Einen Überblick über die Tätigkeitsfelder des In-stituts für Recht und Technik gibt der aus Anlassdes 10-jährigen Bestehens erschieneneSymposiumsband „Spektrum des Technikrechts“,herausgegeben von K. Vieweg, 2002 (www.irut.de).

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Hat vor über 800 Jahren ein Diebstahlstattgefunden? Um die Frage zu dis-kutieren, ob damals tatsächlich einwichtiges Manuskript entwendet wurde,ist es keineswegs zu spät. Im Gegenteilbietet erst jetzt die Computerphilologieneue Möglichkeiten, verlässliche Spurenzu entdecken. Als Werkzeug literatur-

wissenschaftlich-detektivischer Arbeit istdas für philologische Fragestellungen ent-wickelte Textanalysesystem „ErlangerMittelalter-Statistik“ (ErMaStat) einsetz-bar, das in der germanistischen Mediä-vistik Neuland betritt. Erstmals sind hierdie Erfassung einer großen Zahl ver-schiedenster Textmerkmale und die Aus-

wertung der gewonnenen Daten durch einstatistisches Prüfverfahren in einem ein-zigen Programmpaket integriert.

Am Ende des 12. Jahrhunderts hatHeinrich von Veldeke mit dem Eneas-roman den ersten höfischen Roman indeutscher Sprache verfasst. Zwar sinduns bei vielen mittelhochdeutschen

Friedrich M. Dimpel

Digitales MittelalterDer Handschriften-Diebstahl in Veldekes Eneasroman als Fiktion

Heinrich von Veldeke: Eneas-Roman. Vollfaksimiledes Ms. germ. fol. 282 der Staatsbibliothek zuBerlin, Preußischer Kulturbesitz.

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Faszination Technik

Texten die Umstände der Entstehung unddie genaue Datierung unbekannt, derEpilog jedoch des „Eneas“ gehört zu denkostbarsten Gönnerzeugnissen desMittelalters. Veldeke habe, so der Epilog,sein unvollendetes Manuskript der Gräfinvon Kleve geliehen, ein Graf Heinrich habees der Gräfin gestohlen. Erst nach neunJahren habe Veldeke das Manuskript zu-rückerhalten und das letzte Fünftel desWerkes fertigstellen können. Aufgrunddieser Angaben wurde eine Datierungzwischen 1170 und 1186 möglich.

Der Bericht vom Handschriftendieb-stahl wurde von der Forschungsliteraturbis vor kurzem für authentisch gehalten.Zuletzt hat jedoch Tina S. Weicker dieThese vertreten, der Bericht könne li-terarische Fiktion sein, Beispiele für fiktiveManuskriptverluste gebe es etwa in derAntike genug.

Über diese These kann mit tradi-tionellen philologischen Methoden kaumeine Entscheidung getroffen werden. EineAlternative bietet ein computerphilolo-gischer Ansatz. Der Reiz, der von solchenquantifizierenden Verfahren ausgeht, liegtin der intersubjektiven Nachvollziehbar-keit: Korrekt erhobene Zahlen kann mankaum anzweifeln, allenfalls kann man ihreBewertung in Frage stellen. Freilichkönnen statistische Erhebungen die her-meneutische Tätigkeit des Philologennicht ersetzen, sie können aber eine Ent-scheidungshilfe bei Streitfragen sein, beidenen durch traditionelle Forschunganders keine Einigkeit zu erzielen ist.

Verräterische TextmerkmaleMit der Textanalysesoftware „ErMaStat“können mittelhochdeutsche Versromanein Hinblick auf statistische Unterschiedeuntersucht werden. „ErMaStat“ erfassteine große Anzahl verschiedener Text-merkmale, da es in der Forschung bislangkeine Einigkeit gibt, anhand welcher Text-merkmale sich Autoren, Werke oder Werk-abschnitte unterscheiden. Die Vielzahl derTextmerkmale, die in „ErMaStat“ erhobenwerden, reicht von einfachen quanti-tativen Merkmalen wie Wort- oder Satz-längen über Vokal- und Konsonantenver-teilungen, über Funktionswörter und ein-fache Stilmittel zu syntaktischen Phäno-menen, zu lexikalischen Untersuchungenbis hin zu einer metrischen Analyse.

Zunächst wird die Häufigkeit derjeweiligen Textmerkmale ermittelt. Um dieFrage beantworten zu können, ob dieUnterschiede bei einem Textmerkmalzwischen zwei Texten signifikant sind,wird ein statistisches Prüfverfahren einge-setzt, der Wilcoxon-White-Test. Unter-

schiede zwischen zwei Textpassagengelten dann als signifikant, wenn die Hy-pothese, dass die Unterschiede durchden Zufall bedingt sind, mindestens miteiner Wahrscheinlichkeit von 95 Prozentzurückgewiesen werden kann.

„ErMaStat“ stellt Computer undStatistik in den Dienst der Philologie. Esgeht hier nicht um eine weitere Aus-breitung des Herrschaftsbereichs vonInformatik oder Statistik, sondern darum,den Computer als Hilfsmittel für Fra-gestellungen einzusetzen, die der Li-teraturwissenschaftler formuliert; es gehtum Textmerkmale, die mit dem Stil einesTextes zusammenhängen. Besondersdeutlich wird die Relevanz nicht ma-thematischer, sondern philologischerKompetenz bei dem aufwendigsten Teil-projekt: der automatischen metrischenAnalyse. Bei einer Fehlerquote von ca. 3 Prozent erkennt das Programm, welcheSilben betont und welche unbetont sind.Dabei werden Textmerkmale wie Kadenz-typ oder Alternierungsindikatoren erfasst,die wichtige stilistische Analysekriterienbieten.

Schwindende UnterschiedeNimmt man den Eneas-Epilog beim Wortund geht von einer neunjährigen Arbeits-unterbrechung aus, so wäre zu erwarten,eine derart lange Pause würde sich ineiner Änderung der sprachlich-stili-stischen Eigenschaften an der Stelleniederschlagen, bei der Veldeke die Hand-schrift abhanden gekommen ist. Ob dasder Fall ist, wird mit „ErMaStat“ geprüft.Der Epilog nennt diese Stelle: unz daz derhêre Ênêas frowen Lavînen brief gelas.Diese Angabe bezieht sich auf die Zeile290,5. Um festzustellen, ob die Schwan-kungen bei diesem Einschnitt größer sindals die übrigen Schwankungen im Roman,wird der Roman in vier Abschnittesegmentiert, die ersten beiden Segment-grenzen liegen dabei auf 100,1 sowie200,1. „ErMaStat“ vergleicht die vier Ro-mansegmente miteinander und unter-sucht dabei jeweils 606 verschiedeneTextmerkmale. Die ausführlichen Ergeb-nisdaten stehen im Internet unterwww.dimpel.de/veldeke, hier die Über-blickswerte:

In den beiden ersten Spalten steht,welche Textsegmente miteinander ver-glichen werden. Die Prozentzahlen da-neben geben an, wie hoch der Prozent-satz der signifikanten Unterschiede vonden möglichen signifikanten Unter-schieden ist. Entscheidend ist die letzteZeile: Bei dem Vergleich der Text-segmente III und IV, also der Text-segmente, die unmittelbar vor und nachdem behaupteten Handschriftenverlustentstanden sind, sind nur bei 4,5 Prozentvon allen untersuchten Textmerkmalentatsächlich signifikante Unterschiede vor-handen. Nimmt man eine Arbeitsunter-brechung bei 290,5 an, so sollten dieUnterschiede zwischen den Segmenten IIIund IV deutlich größer sein als diezwischen den Segmenten I und II sowiezwischen II und III. Doch das Gegenteil istder Fall: Zwischen III und IV gibt es mit 4,5Prozent noch nicht einmal halb so vieleUnterschiede, wie zwischen den übrigenTextsegmenten gemessen wurden. DieserBefund spricht mit frappierender Klarheitgegen einen sprachlich-stilistischen Bruchund somit gegen eine längere Arbeits-pause bei 290,5. Eine plausiblere Er-klärung dafür wäre, dass sich diestilistische Entwicklung Veldekes zumRomanende hin stabilisiert haben könnte.

Eine neun Jahre dauernde Arbeits-unterbrechung wird durch diese Ergeb-nisse wenig wahrscheinlich, während dieeingangs zitierte These von Weicker anGewicht gewinnt – es könnte sich beimEpilog um eine Diebstahls-Fiktion han-deln. Damit werden sogar Konsequenzenfür die Datierung des Romans denkbar:Den Beginn von Veldekes Arbeit am„Eneas“ deutlich vor 1180 anzusetzen,wäre demnach nicht länger notwendig.

Dr. Friedrich Michael Dimpel ist wis-senschaftlicher Mitarbeiter des Lehrstuhlsfür Germanische und Deutsche Philologieder Universität Erlangen-Nürnberg undder Arbeitsstelle Europäische Literaturdes Mittelalters. Er hat die Textana-lysesoftware „Erlanger Mittelalter-Statis-tik„ (ErMaStat) entwickelt.

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Bereits vor 3,5 Millionen Jahren wan-derten unsere Vorfahren aufrecht durchdie ostafrikanische Savanne und habenihre Fußspuren auf dem Boden von Laetoliin Tansania hinterlassen. Ob sie imLebenskampf noch allein auf ihre Händeangewiesen waren oder bereits einfacheHilfsmittel oder Werkzeuge aus vergäng-lichen Materialien verwendet haben,wissen wir nicht.

Vor rund 1,8 Millionen Jahren fing der„Homo habilis“ in Ostafrika an, systema-tisch Steingeräte herzustellen, in dem ernatürliche Gerölle nach bestimmten Re-geln zerschlug, um scharfe Arbeitskantenzu gewinnen. Mit diesem Ereignis beginntnach der in der archäologischen For-schung üblichen Definition die Mensch-heits- und Kulturgeschichte im engerenSinn, wohl vor allem deshalb, weil wir unsselbst als schöpferisches Wesen be-trachten, das nicht nur gelegentlichnatürliche Gegenstände zu Hilfe nimmt,sondern das seine Hilfsmittel selbst pro-duziert.

Mit der Anfertigung solch einfacherSteingeräte werden erstmals geistige Pro-zesse greifbar, die bis heute weiter wirken:handwerkliche bzw. technische Fähig-keiten, das Streben nach Verbesserungund Innovation, das Gefühl für Formenund Normen und der Wille, die Hilfsmittelüber das rein Funktionale hinaus zu ge-stalten.

Der Fortschritt beginntZunächst schritt die Entwicklung unend-lich langsam voran. Mit der Spaltung vonGeröllen konnte man nur einfache Kantenzum Schneiden oder Hacken erzeugen.Vor etwa 1,5 Mio. Jahren begann der„Homo erectus“, auch die Ränder undOberflächen der Gerölle zuzurichten. Esentstanden zunächst einfache Faustkeilemit unregelmäßigen, wellenförmigen Ar-beitskanten, später Typen mit regel-mäßigen Schneiden und ovalem bistriangulärem Umriss. Neben dem tech-nologischen Fortschritt drücken sich darinGestaltungswille und Formgefühl derfrühen Menschen aus.

Die paläolithischen Steingeräte be-stehen aus kieselsäurehaltigen Gesteinen,die nahezu unvergänglich sind. Sie prägenunsere Vorstellung allzu einseitig von derUrzeit als „Steinzeit“. Rund 400.000 Jahrealte, sehr sorgfältig gearbeiteten Holz-speere des Homo erectus vonSchöningen (Niedersachsen) belegen dieVerwendung auch vergänglicher Mate-rialien.

Christian Züchner

Der frühe Wille zur Gestaltung

Die Anfänge der Technik in der Steinzeit

Abb. 1: Mit zunehmender Erfahrung gelang es den Menschen im Alt- und Mittelpaläolithikum, immer feinereGeräte aus Feuerstein herzustellen. Allerdings ist die Entwicklung nicht linear, sondern sehr komplex. Funde:Ur- und Frühgeschichtliche Sammlung der Universität Erlangen-Nürnberg.

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Beim Herrichten von Faustkeilen ent-standen scharfkantige Abschläge. Zu-nächst mögen diese als Zufallsprodukteverwendet worden sein. Vor rund 200.000Jahren entwickelten die frühen Neander-taler Strategien, solche Abschläge gezieltherzustellen, um sie dann zu stan-dardisierten Werkzeugen weiter zu ver-arbeiteten. Vielfältige Schaber undSpitzen, aber auch Faustkeile kenn-zeichnen das „Moustérien“ und das„Micoquien“, die materiellen Hin-terlassenschaften der Neandertaler. DieSesselfelsgrotte im unteren Altmühltal hateine Abfolge dieser Kulturen in einer rundsieben Meter mächtigen Schichtenfolgebewahrt. Sie ist heute Eigentum der Uni-versität Erlangen-Nürnberg.

Vor rund 40.000 Jahren wandertenmit dem Homo sapiens sapiens unsere ei-genen Vorfahren aus Afrika in Europa ein.Sie besaßen hoch entwickelte Tech-nologien zur Bearbeitung von Feuerstein,Knochen, Geweih und Elfenbein. Die Ver-arbeitung gerade der organischen Werk-stoffe setzte gute Materialkenntnis vor-aus, die nur durch lange Erfahrungerworben worden sein konnte.

Komplexe KunstfertigkeitDie Anfänge von Kunst und Religion liegenim Dunkeln. Bereits der Homo erectus unddie frühen Neandertaler haben begonnen,mehr als nur „Nützliches“ zu tun: Linienund schalenförmige Vertiefungen in Fels-wände und Felsblöcke zu schleifen und ingroßem Umfang roten Ocker zu ver-wenden. Vor etwa 35.000 Jahren schufder moderne Mensch hoch entwickelteKunstwerke aus Elfenbein, Knochen undStein. Am bekanntesten sind dieStatuetten aus dem Vogelherd im Lonetal.Die rund 15.000 Jahre alten Malereien vonAltamira und Lascaux wurden keineswegsnur mit natürlichen Farben (Ocker,Mangan, Holzkohle) gemalt. Vielmehrkannten die Künstler komplexe Rezep-turen für die Herstellung ihrer Malmittel.Der Farbauftrag setzte geeignetes Werk-zeug voraus, die Dunkelheit in den Höhlenfunktionsfähige Lampen, die Konfigu-ration der Räume die Errichtung vonGerüsten.

Während der Altsteinzeit warenTongefäße und geschliffene Steinbeilenoch unbekannt. Diese Erfindungenblieben den neolithischen Bauern vor-behalten, die um 5500 v. Chr. aus demVorderen Orient in Mitteleuropa eintrafen.Der Klimawandel am Ende der Eiszeithatte die Menschen gezwungen, sichneue Ressourcen zu erschließen. Es ent-standen Ackerbau und Viehzucht, um

ausreichend Nahrungsmittel zu pro-duziert. Die Folge waren Sesshaftigkeitund die Herausbildung entsprechenderSozialstrukturen. Damit waren die Grund-lagen für unser heutiges Denken undHandeln gelegt. Ihre Wurzeln reichen un-endlich weit in die Anfänge der Mensch-heit zurück. In diesem Sinne kann die prä-historische Archäologie sehr viel bei-tragen zum Verständnis der Gegenwart,die so ganz anders zu sein scheint als dieVergangenheit und es doch nicht ist.

Dr. Christian Züchner ist als AkademischerDirektor am Instituts für Ur- und Früh-geschichte der Universität Erlangen-Nürn-berg tätig und fungiert seit 1973 als Kustosder universitätseigenen Ur- und Früh-geschichtlichen Sammlung.

Abb. 2: Im Jungpaläolithikum erreichte die Bearbeitung von Geweih, Knochen und Elfenbein eine hoheBlüte. Die Harpunen aus Laugerie-Haute (Frankreich) sind rund 12.000 Jahre alt. Funde: Ur- undFrühgeschichtliche Sammlung der Universität Erlangen-Nürnberg.

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50 uni.kurier.magzin 105/juni 2004

Faszination Technik

Artenzahl und Formenvielfalt wie indivi-duelle Leistungsfähigkeit kennzeichnenInsekten als die erfolgreichsten Tiere. IhreKreislauf- und Atemmechanik befähigt siezur Stoffwechselsteigerung bis zum Fak-tor 150 und zu sparsamer Energienut-zung. Die auch bei Insekten interagie-renden, noch wenig verstandenen Ver-sorgungsmechanismen stehen im Mittel-punkt der Arbeiten von Prof. Dr. Lutz ThiloWasserthal. Seit 1986 erforscht er mitseiner Arbeitsgruppe in Erlangen dasAtem- und Kreislaufsystem der besondersflugtüchtigen und ausdauernden Insektenwie der kolibri-ähnlich fliegenden Schwär-mer, der Schmeiß- und Schwebfliegensowie der Hornissen. Aber auch Hunger-künstler wie die Schaben, Langschläferwie Falterpuppen und Nashornkäfersowie die Gottesanbeterinnen gehören zuden aktuellen Untersuchungsobjekten.Unerwartetes Raffinement und perfekteKoordination treten dabei zutage.

Überlegenes Konstruktionsprinzip? Alle Insekten besitzen ein Außenskelettaus einem biologischen Kompositfaser-werkstoff, einer Protein-Grundsubstanzmit eingelagerten Chitinfasern und was-serabweisenden Wachs-Schichten. Wieeine Fahrzeug-Karosserie schützt dieseskutikulare Skelett die inneren Strukturen.Als tragende Spangenkonstruktion ragenFortsätze zur Befestigung der Muskulatur

und wichtiger Organe nach innen. Auchdas Atemsystem entstammt dem Außen-skelett. Verzweigte Luftröhren, die Trache-en, entspringen an den Körperseiten undleiten die Atemluft bis in die Gewebszellen(Abb. 2). Die Öffnungen sind mit mehr-schichtigen Filter-Reusen und Ventilenausgestattet. Der Sauerstoff wird also inder Gasphase direkt zu den Verbrauchs-orten transportiert. Damit wird die um dasetwa 300.000fach höhere Diffusions-geschwindigkeit gegenüber der Flüssig-phase genutzt. So erübrigen sich Atem-pigmente wie das Hämoglobin. Da dasBlut keinen Sauerstoff zu transportierenbraucht, ist z. T. nur eine so geringe Blut-menge nötig, dass Aristoteles die er-wachsenen Insekten für blutlos hielt.

Die Blutarmut und der Verzicht auf einAdersystem halten das Gewicht niedrig,was zum Fliegen unabdingbar ist. Flug-insekten bestehen im Innern zu 40 bis 60Prozent aus Luft! Das offene Kreislauf-system, in dem eine Mischung aus Blutund Lymphe, die Hämolymphe, dieOrgane direkt umspült, galt lange Zeit alstechnisch simpel. Tatsächlich bietet esviele Vorteile. Es ist extrem tolerantgegenüber Druck- und Volumenschwan-kungen. Es gibt weder Gefäßverstopf-ungen noch innere Blutungen. Die beiLarven und Puppen reichliche Hämo-lymphe wird nach der Metamorphose umden Faktor 3 bis 10 reduziert und dabei

eingedickt. Das fehlende Volumen wirdbei adulten Fluginsekten ersetzt, indemdie Luftsäcke des Tracheensystemszwischen den Organen aufgespanntwerden (Abb. 3). Dies geschieht durcheinen geringen Unterdruck im Hämocöl,der auch ein Verbluten bei äußeren Verlet-

Lutz T. Wasserthal

Wunderwerke der MikromechanikInsekten – Hochleistungs-Organismen mit effizienten Problemlösungen

Abb. 1: Schwebfliege im Dauerver-such zur Intratracheal-Druck- und -Sauerstoffmessung. a) mit Laufkugel und b) im Fluge .

a b

Abb. 3: Luftsäcke und Luftkammer in der Brusteines Schwärmers (Längsschnitt). Die Aorta bildeteine Kühlschlaufe zwischen den Flugmuskeln. Anordnung wie in Abb. 4.

Abb. 2: Tracheenaufzweigungen im Nachtfalter-auge. a) Tracheolen im Augenhintergrund sorgenfür gute Sauerstoffversorgung und wirken alsLichtreflektor. b) Der Querschnitt zeigt die dichteAnordnung von ovalen Tracheolen um jedes Seh-element in der Retina. Abbildungen: Lehrstuhl fürZoologie I.

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52 uni.kurier.magzin 105/juni 2004

Faszination Technik

zungen verhindert. Da die Vorausset-zungen für einen Atemgas-Austauschüber Diffusion derart günstig sind, wurdeangenommen, dass Insekten sich daraufbeschränken und ohne Ventilation atmen.Damit wurde auch ihr limitiertes Größen-wachstum erklärt. Dagegen konnte Prof.Wasserthal nachweisen, dass auch in denkleinsten Insekten, wie der TaufliegeDrosophila, das Tracheensystem durchunauffällige Mechanismen ventiliert wirdund die limitierte Größe der Insektenandere Ursachen haben dürfte.

Komplizierte HydraulikBeim ruhenden Insekt wird die Hämo-lymphe durch periodische Herzschlag-umkehr abwechselnd im Vorder- und Hin-terkörper angereichert. Dies führt zu einerkompensatorischen Volumenänderungdes Tracheensystems. Abdomenmuskeln,Herz und Hilfsherzen in Kopf und Brustwirken zusammen, um die geringe Hämo-lymphmenge effizient als Hydraulik-flüssigkeit einzusetzen. Dabei arbeiten diePumporgane z.B. der Schmetterlinge inhierarchischer Serie wie die Vakuumpum-pen eines Elektronenmikroskops. Ventileim Hämocöl ermöglichen, dass Druck-unterschiede innerhalb des Körpers er-zeugt und aufrecht erhalten werdenkönnen. Besonders extrem ist die Hämo-cöl-Druckdifferenz zwischen Schmet-terlingskörper und Saugrüssel, der miteinem Überdruck von mehreren kPa ver-sorgt und entrollt wird.

Fliegen reagieren bekanntlich be-sonders schnell, was für eine besondersgute Versorgung des Fliegenkopfesspricht. Tatsächlich ergaben Strömungs-,Intratrachealdruck- und Sauerstoff-Mes-sungen, dass eine Doppelpumpe imFliegenkopf so effizient arbeitet, dass ihrePulse noch in der Brust wahrnehmbarsind. Die Pumpe besteht aus einer Stirn-und einer Hinterhauptskomponente, dieüber zwei Muskelstränge miteinander ver-bunden sind und gleichzeitig bewegtwerden. Die mit den hinteren Pumpen-muskeln verwachsenen Luftsäcke werdenparallel mit den Vorpulsen des Herzensventiliert. Dies ließ sich sogar in Röntgen-Video-Aufnahmen direkt sichtbar machen(am ESRF, Grenoble, in Kooperation mitProf. Dr. Rainer Fink, PhysikalischeChemie 2 ).

Turbinen-Belüftung im FlugUntersuchungen der Atemgas-Versor-gung im Fluge, einer besonders schwie-rigen und erst kürzlich erfolgreich be-arbeiteten Materie, deckten äußerstunterschiedliche Ventilations-Mechanis-

men auf. Besonderseffizient ventilieren dieSchwärmer und Schweb-fliegen (Abb. 1). Ihr Sauer-stoffgehalt ist im Flugehöher als in der Ruhe, fastso hoch wie in der Außen-luft. Bei den Schwärmernarbeitet der Flugapparatanalog einer Turbine: ImFluge erzeugt er einen ge-richteten Atemluftstrom,der in das erste Paar Atem-öffnungen eingesaugt wirdund durch das zweiteStigmenpaar zusammenmit der CO2-haltigen Abluftausgeblasen wird (Abb. 4).Der für den Einstrom nötigeUnterdruck wird beim Ab-schlag durch Erweiterungeiner Luftkammer hinterden Abschlagmuskeln er-zeugt. Zugleich schließensich die hinteren Atemöff-nungen, und die Luft kannnur vorne einströmen. BeimAufschlag verkleinert sichdas Luftkammervolumen, und es öffnensich die hinteren Atemöffnungen, durchwelche die Atemluft ausgepresst wird. Dievorderen Atemöffnungen haben dement-sprechend eine mehrschichtige Filter-reuse, während die hinteren Ausström-Stigmen nur eine nach außen gerichteteKlappe besitzen.

Während der Sauerstoff über dieTracheen in die Gewebe transportiertwird, entsorgt die Hämolymphe das beimAtmen freigesetzte CO2. Sie wird währenddes Fluges kontinuierlich von vorne nachhinten durch die Zwischenräume derFlugmuskeln gesaugt, nimmt das leichtlösliche Gas auf und transportiert es zurhinteren Luftkammer. Erst hier gelangt dasmeiste CO2 zurück in das Tracheensystemund wird durch die Ausatmungs-Stigmenabgegeben. So steht das vordereTracheensystem nur für die Frischluft-zufuhr zur Verfügung, die verbrauchte Luftnimmt andere Wege. Damit wird auch diehohen Stoffwechsel-Steigerungsrate er-klärbar.

Sensoren für die MikroweltErst durch die Miniaturisierung derSensoren und Entwicklung neuer Ver-fahren bei gleichzeitiger Optimierung derMesstechnik wurde es möglich, dieseProzesse an weitgehend intakten Insektenzu messen. Erfolg hat man dabei nur,wenn es den Versuchstieren möglichst gutgeht und die Eingriffe ohne gravierende

Abb. 4: Erzeugung eines gerichtetenAtemgasstromes beim „Turbinenmechanismus”eines fliegenden Schwärmers durch Zusammen-spiel von Brustverformungen, Abdomen- undStigmenbewegungen.

Schädigung erfolgen. Wann immermöglich, wird mit nicht invasiven Me-thoden gemessen. Aufgeklebte Ther-mistoren dienen zur Strömungsmessung,Infrarotsensoren oder Reflexlichtschran-ken detektieren den Herzschlag und Ab-domenbewegungen. Die Atemparameterkönnen über Kanülen an den Atemöff-nungen erfasst werden. Um den Intratra-chealdruck, Sauerstoffgehalt oder denHämolymphdruck zu messen, muss nurein kleines Loch in die Rückencuticula ge-schnitten werden. Dieser Eingriff wird soschonend durchgeführt, dass es dieInsekten kaum wahrnehmen. Alle dieseMessungen können am selben Indivi-duum über Tage bis Monate durchgeführtwerden. Nach Versuchsende können dieInsekten intakt aus der Versuchsapparaturentlassen werden.

Prof. Dr. Lutz Wasserthal ist seit 1986 In-haber des Lehrstuhls Zoologie I der Uni-versität Erlangen-Nürnberg. Zu seinenzentralen Forschungsthemen zählenFunktionsmorphologie sowie Physiologievon Kreislauf und Atmung bei Insekten.

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ForumForschungDas Unterseeboot Nautile hat im Mittelmeer eine besondere Mis-

sion zu erfüllen. Mit einem Roboterarm verlegt es Kabel, welche

die Verbindung zwischen dem Teleskop ANTARES und dem

Festland hergestellen. ANTARES wird derzeit vor der Küste von

Marseille aufgebaut und soll Neutrinos detektieren, um

Aufschlüsse über die Entwicklung unseres Universums über

einen Zeitraum von 14 Milliarden Jahren zu gewinnen.

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Sehen kann man Neutrinos nicht. Siepassieren die Netzhaut genauso unbe-merkt, wie sie die Erde in ihrem gesamtenDurchmesser durchqueren können, ohneeine Spur zu hinterlassen. Trotzdem eröff-nen solche Elementarteilchen tiefere Einbli-cke als das Licht und könnten sogar dunkleMaterie sichtbar machen - wenn es gelingt,genügend dieser flüchtigen Informanteneinzufangen. Am Physikalischen Institut derUniversität Erlangen-Nürnberg sind dieLehrstühle von Prof. Dr. Gisela Anton undProf. Dr. Uli Katz am Neutrinoteleskop AN-TARES beteiligt, das zur Zeit in einem euro-päischen Gemeinschaftsprojekt in 2400Metern Tiefe vor der Küste von Marseilleaufgebaut wird.

Die meisten astronomischen Beob-achtungen und Erkenntnisse sind überJahrhunderte durch schlichtes „Hin-schauen“ gewonnen worden. Die Erfin-dung des Fernrohres hat die Möglichkei-ten, ferne Objekte zu untersuchen, erheb-lich gesteigert. Schließlich wurde außerdem sichtbaren Licht auch langwelligesLicht (Radiowellen, Infrarotwellen) undkurzwelliges Licht (UV-Licht, Röntgen-strahlung und Gammastrahlung) genutzt.Solche Messungen haben nicht nur dazubeigetragen, dass wir mit großer Detail-

kenntnis wissen, wie die Planeten und un-sere Sonne, die Sterne unserer Galaxieund andere Galaxien heutzutage ausse-hen, sondern auch, wie diese Objekte inder Vergangenheit ausgesehen haben undwie sie sich in Zukunft entwickeln werden.Obwohl die Menschheit erst seit wenigentausend Jahren astronomische Beobach-tungen durchführt, können wir Schlüsseauf die Entwicklung unseres Universumsüber einen zurückliegenden Zeitraum vonca. 14 Milliarden Jahren ziehen.

Aber die Informationen, die man ausdem Licht verschiedener Wellenlängen ge-winnen kann, sind beschränkt. Es gibt an-dere Botschafterteilchen, die wertvolle In-formationen vermitteln, z.B. die Neutrinos.Neutrinos sind im Kosmos in sehr großerZahl vorhanden. Pro Sekunde wird einmenschlicher Körper von vielen Milliardenvon Neutrinos durchquert. Das ist unge-fährlich, weil Neutrinos nur äußerst selteneine Reaktion mit Materie eingehen unddaher die resultierende radioaktive Belas-tung sehr gering ist. Aber die Sonnenneu-trinos liefern ebenso wie das SonnenlichtInformationen über die Sonne. Mit Hilfevon Neutrino-Teleskopen kann man dieseNeutrinos detektieren und so Aufschlüssegewinnen. Während die Sonne undurch-

sichtig ist und wir deshalb nur ihre Oberflä-che sehen können, gelangen die Neutri-nos, die im Zentrum der Sonne produziertwerden, ungehindert aus der Sonne he-raus und erreichen nach ca. acht Minutendie Erde. Sie können deshalb wesentlicheInformationen über die Fusionenreaktio-nen geben, die für die Energieversorgungder Sonne verantwortlich sind.

Dunkle MMaterie aals PProduzentvon NNeutrinos

Für die Astrophysikalische Forschung sindin den letzten Jahren sehr hochenergeti-sche Neutrinos in den Mittelpunkt des In-teresses gerückt. Solche Neutrinos mitEnergien größer als ca. 1012 eV könnenz.B. produziert werden, wenn ein schwar-zen Loch und ein Begleitstern sich sehreng umeinander drehen und dabei Materievom Begleitstern auf das schwarze Lochübergeht. Eine andere mögliche Quellehochenergetischer Neutrinos könnte in so-genannter kalter „dunkler Materie“ beste-hen. Diese dunkle Materie könnte im Ur-knall bei der Geburt unseres Universumsproduziert worden sein. Sie ist völlig ver-schieden von der bekannten Materie undkann z.B. nicht Licht aussenden oder re-

Forum Forschung Physik

56 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Beteiligung des physikalischen Instituts am ANTARES-Teleskop

Ein Blick in den Weltraummit Neutrinos

Abb. 1: Skizze des Antares-Detektors.

Abb. 2: Das Unterseeboot Nautile wird vom Schiffaus ins Wasser gelassen.

Fotos: Antares-Kollaboration

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flektieren, weshalb sie eben dunkel ist. DieTeilchen der dunklen Materie können aberzusammenstoßen und dabei Neutrinos er-zeugen. Die Messung solcher Neutrinosmit einem Neutrinoteleskop böte also ei-nen einzigartigen Blick in eine ansonstenverborgene Welt.

Da Neutrinos äußerst selten eine Re-aktion eingehen, ist es sehr schwierig undaufwändig, Neutrinos zu detektieren. Er-schwerend kommt hinzu, dass hochener-getische Neutrinos in relativ geringer An-zahl erzeugt werden. Deshalb benötigtman zum Nachweis hochenergetischerNeutrinos sehr große Detektoren, die übli-cherweise in internationalen Kollaboratio-nen entwickelt und betrieben werden, wiez.B. das Antares-Projekt.

Das ANTARES-Teleskop wird auszwölf „strings“ bestehen, die jeder am Bo-den verankert sind und von einer Boje am480 m entfernten Ende straff nach obengehalten werden. Abbildung 2 zeigt dasUnterseeboot Nautile, das zum Verlegenvon Kabeln benutzt wird, die von den„strings” kommen. Der Roboterarm derNautile muss unter Wasser bei einemDruck von 250 bar z. B. einen Stecker indie Kupplung einer „junction box” drü-cken. Von dort führt ein 40 km langes Ver-sorgungs- und Datenkabel zur Küste.

Cerenkovlicht: ddie BBremsspurdes MMüons

An den „strings” befinden sich auf 25 „Eta-gen“ je drei Photosensoren, die wie großeAugen aussehen und die das Cerenkov-licht vermessen sollen, das bei einer Neu-trinoreaktion entsteht. Ein Neutrino kann

bei einem Stoß mit einem Atomkern desWassers (Wasserstoffkern oder Sauer-stoffkern) ein Müon erzeugen. DiesesMüon fliegt entlang der ursprünglichenRichtung des Neutrinos und legt dabeieine Strecke von ca. 100 m im Wasser zu-rück. Es emittiert auf diesem Weg gewis-sermaßen als Bremsspur Cerenkovlicht.Dieses von den Photosensoren nachge-wiesene Lichtsignal wird elektronisch auf-bereitet, digitalisiert und über das Kabel anLand geschickt, wo es weiter analysiertund gespeichert wird.

Das ANTARES-Teleskop soll bis 2006fertiggestellt werden. 200 Physiker ausDeutschland, Frankreich, Großbritannien,Italien, den Niederlangen, Russland undSpanien arbeiten intensiv daran, dieses

Projekt zum Erfolg zu führen und die span-nende Suche nach hochenergetischenNeutrinos aufzunehmen, die Aufschlussüber faszinierende kosmische Gescheh-nisse versprechen.

Forum Forschung Physik

57 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Abb. 6: Die Position von Antares vor der Küste von Marseille (Toulon).

Abb. 4: Ein „string“ mit seinen Photosensoren imTestlabor.

Abb. 5: Der Roboterarm der Nautile versucht, dieVerbindung zwischen einem „string“ und der zentra-len „junction box“ herzustellen.

Abb. 3: Ein „string“ wird vom Schiff aus ins Wassergelassen.

Prof. Dr. Gisela AntonLehrstuhl für ExperimentalphysikTel.: 09131/85 [email protected]

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Der Maschinenbaustudent Karl Dursthatte ein ehrgeiziges Ziel: sein Fahrradrah-men sollte bei gleicher Stabilität wesent-lich leichter sein als der von Lance Arm-strong, dem viermaligen Gewinner derTour de France. Und er war erfolgreich. MitUnterstützung des Lehrstuhls für Kunst-stofftechnik der Universität Erlangen-Nürnberg berechnete und fertigte er einenCarbonfaserrahmen, der bei einem Ge-wicht mit 828 Gramm rund 300 Grammleichter und dabei zehn Prozent verwin-dungssteifer ist als der des derzeit wohlbesten Radprofis. Auch den Praxistest hatder Präzisionsrahmen bei mehreren Du-athlon- und Triathlonwettkämpfen bereitsbestanden.

Schon als junger Gymnasiast standfür Karl Durst sein Berufswunsch Maschi-nenbauingenieur fest. Im zarten Alter vonelf Jahren wollte er allerdings noch Modell-flugzeuge konstruieren, die er nach derSchule durch die mittelfränkischen Lüftekreisen liess. Erst kurz vor dem Abitur kamder heute 23jährige zum Triathlon und be-gann sich mit Fahrradkomponenten zu be-schäftigen. „Mein erstes Werk aus Car-bonfasern war ein Fahrradsattel, der ergo-nomisch perfekt auf mich abgestimmt undangenehm weich war,” erzählt Durst. „Dasganze Sattelsystem wog mit 108 Grammnur rund ein Fünftel der handelsüblichenSysteme.” Das war der Einstieg in dieFahrradtüftelei mit dem seit langem etab-lierten Verbundwerkstoff CFK (Carbonfa-serverstärkter Kunststoff).

Die Entwicklung des eigenen Fahrrad-rahmens begann dann vor vier Jahren. Dererste Prototyp war mit über zwei Kilo-gramm aber noch doppelt so schwer wiehandelsübliche Profirennrahmen. Durchsein Engagement als studentische Hilfs-kraft am Lehrstuhl für Kunststofftechnikvon Prof. Dr. Gottfried W. Ehrenstein erhielter die notwendigen Kenntnisse und Infor-mationen auf dem Gebiet der Faserver-bundwerkstoffe, um zu optimalen Ergeb-nissen zu gelangen. An der Rahmengeo-metrie wurde dabei nichts geändert.

Das „Geheimnis” liegt im WerkstoffCFK, der weitest gehend frei formbar ist.Die Faserlagen können in Dicke und Aus-richtung variiert werden, so dass verschie-dene Wandstärken fließend ineinander

übergehen können. Wegen seiner gerin-gen Dichte ist CFK immer da gefragt, wohohe Anforderungen an die Steifigkeit beigeringem Gewicht gefordert werden - wieeben bei Rennradrahmen. Zahlreiche For-schungsstellen an Universitäten oder inder Industrie suchen hier nach dem opti-malen Kompromiss zwischen geringemGewicht, Steifigkeit und ausreichendemDämpfungsverhalten. „Der Rahmen musssteif sein, um die gesamte Energie einesTritts auf die Straße zu bringen. Allerdingsmöchte niemand auf eine gewisse Dämp-fung, vor allem bei sehr langen Rennab-schnitten, verzichten,” erklärt Durst. Derdreifache mittelfränkische Juniorenmeis-ter im Duathlon weiß schließlich aus eige-ner Erfahrung, worauf es im Leistungs-sportbereich ankommt.

All diese Eigenschaften vereint derRahmen-Prototyp des Erlanger Studentenauf perfekte Weise. Mit 828 Gramm - demGewicht von sechs Äpfeln - hat er einenneuen Gewichts-Steifigkeit-Rekord fürprofitaugliche CFK-Rennradrahmen er-zielt. So wiegt der aktuelle Tourrahmen vonLance Armstrong immerhin 1100 Gramm.Der zu Zeit leichteste Rahmen einer ande-ren amerikanischen Radfirma wiegt noch895 Gramm.

Die Finanzierung des Prototyps hatdie Radsportfirma CUBE aus Marktredwitzübernommen. Nach den Berechnungen

von Durst wurden die Carbon-Rohre beider Firma CG-Tec aus Gunzenhausen ge-fertigt. Den Zusammenbau in Handarbeitübernahm der Student schließlich wiederselbst. Das gesamte Rad mit allen Anbau-ten - von der Schaltung bis zu den Brem-sen alles „Edelkomponenten”, wie in die-ser Kategorie üblich - wiegt nur 6,8 Kilo-gramm und hat einen Schätzwert von rund6.000 Euro.

Mit dem bisher Erreichten gibt sichDurst aber nicht zufrieden. Als nächsterCoup ist ein Rahmen mit rund 700 Grammangedacht, allerdings speziell angepasstan eine Triathlonkollegin aus Roth mit ei-nem Körpergewicht von etwa 50 Kilo-gramm. Und auch für sein eigenes Sport-gerät sucht der der ehrgeizige Studentnoch nach Optimierungsmöglichkeiten imRahmen seiner Diplomarbeit an der Uni-versity of Wisconsin. Mit dem dortigen Po-lymer Engineering Center, pflegt der Erlan-ger Lehrstuhl von Prof. Ehrenstein seitJahren eine intensive Kooperation.

Forum Forschung Werkstoffe uund VVerfahren

58 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Leichtbau mit carbonfaserverstärktem Kunststoff

Sechs Äpfel wiegen einenFahrradrahmen auf

Claus Dallner M.Sc.Lehrstuhl für KunststofftechnikTel.: 09131/85 [email protected]

Der Maschinenbaustudent Karl Durst mit seinem selbst gebauten Fahrradrahmen aus carbonfaserverstärk-tem Kunststoff. Mit allen Aufbauten wiegt das Rad nur 6,8 Kilogramm. Foto: Kurt Fuchs

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Leichtbau bedeutet einen gezieltenMaterialeinsatz: nur so viel soll aufgewen-det werden, dass die Höchstbelastung auf-gewogen wird, und das nur dort, wo es fürdie Konstruktion unerlässlich ist. Interes-sante Möglichkeiten dazu bietet das Innen-hochdruck-Umformen, ein Verfahren, dasnoch sehr entwicklungsfähig ist. Die Deut-sche Forschungsgemeinschaft hat an derUniversität Erlangen-Nürnberg ein Projektam Lehrstuhl für Fertigungstechnologievon Prof. Dr.-Ing. Manfred Geiger bewilligt,das die bisherigen Grenzen dieses Produk-

tionsverfahrens erweitern soll. Dipl.-Ing.Paolo Dal Bó setzt dazu beim Umformenvon Rohren die Strömung einer hochvisko-sen Flüssigkeit ein.

Die Innenhochdruck-Umformung ver-spricht Bauteile in verbesserter Qualität,die zudem sehr kostengünstig sind undeine höhere Steifigkeit aufweisen. Im Ferti-gungsprozess kann Material auf diesemWeg teils gezielt angehäuft und an andererStelle je nach Vorgabe reduziert werden.Beim Umformen von langen und komple-xen Rohren stößt das Verfahren jedoch

Die Bayerische Forschungsstiftungfördert an der Universität Erlangen-Nürn-berg ein weiteres Mal ein Projekt zum Fahr-zeug-Leichtbau am Lehrstuhl für Ferti-gungstechnologie von Prof. Dr.-Ing Man-fred Geiger. Innerhalb von zwei Jahrenplant Dipl.-Ing. Joachim Hecht, Grundla-gen für das Umformen von Magnesium-blechen zu erarbeiten, die inzwischen ingeeigneter Qualität verfügbar sind. Für dieUnternehmen, die am Projektverbund be-teiligt sind, kann ein entscheidender Vorteilim Wettbewerb entstehen.

Immer sicherer und komfortabler sol-len Automobile sein; zugleich wird eine ge-ringe Fahrzeugmasse angestrebt, um denEnergieverbrauch niedrig zu halten. Fürden Entwurf neuer Kraftfahrzeuge bedeu-tet dies scheinbar widersprüchliche Vorga-ben. Der Widerspruch ist aufzulösen, wennmoderne Karosseriekonzepte den Fahr-zeugleichtbau einbeziehen, der auf demEinsatz von Werkstoffen mit hoher spezifi-scher Festigkeit basiert.

Im Projektverbund „Leichtbau mitneuen Werkstoffen, Verfahren, Fügetech-niken und Berechnungsverfahren für denGroßserienbau“ hatte die Bayerische For-schungsstiftung (BFS) bereits ein zweijäh-riges Projekt am Lehrstuhl für Fertigungs-technologie gefördert, das schwerpunkt-mäßig die Umformung von Blechen ausAluminiumlegierungen untersuchte. Bei

erhöhter Temperatur konntendabei auch Magnesiumblecheumgeformt werden. Damit warnachgewiesen, dass dieses Ma-terial für wirkmedienbasierteUmformverfahren geeignet ist.

Die bislang am Markt er-hältlichen Magnesiumblechekonnten die hohen industriellenAnsprüche an Reinheit, Oberflä-chengüte und Umformvermö-gen nicht erfüllen. Mittlerweilesind die anlagentechnischenVoraussetzungen für die Her-stellung hochwertiger Mag-nesium-Feinbleche geschaffen.Im neuen BFS-geförderten Projekt „Innen-hochdruck-Umformen von Magnesium-blechen“ soll die umformtechnische Her-stellung von Leichtbau-Strukturbauteilenaus Magnesiumblech zu seriennaher Qua-lität herangeführt werden.

In Form gebracht werden die Blechemit Formwerkzeugen und einem flüssigenMedium, wie beispielsweise Öl. Über die-ses Wirkmedium wird ein Druck ausgeübt,der zu einer Ausformung der Bleche ent-sprechend der Werkzeugform führt. DaKaltumformbarkeit von Magnesium gerin-ger ist als die von Stahl und Aluminium,muss die Prozesstemperatur über 200°Cliegen. Im Gitteraufbau des Werkstoffeswerden dann zusätzliche Gleitsysteme ak-

tiv. In der Praxis werden erweiterte system-technische Komponenten eingesetzt, dieeine gezielte Erwärmung von Werkzeugund Wirkmedium ermöglichen. Der Ferti-gungsprozess wird deshalb als Halbwarm-Innenhochdruck-Umformen bezeichnet.

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60 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Leichtbau mit carbonfaserverstärktem Kunststoff

Fortschritte auf dem Wegzum Leichtbau-Auto

Prof. Dr.-Ing. Manfred GeigerLehrstuhl für FertigungstechnologieTel.: 09131/85 -27140Dipl.-Ing. Joachim HechtTel.: 09131/85 -28285 [email protected]

Machbarkeitsstudie: Kennzeichenblende aus MagnesiumblechAZ31B.

Innenhochdruck-Umformen von Magnesiumblechen

Ein Minimum an Reibung

Abb. 1: Hochviskoses Verhalten des Mediums, dasim Umformprozess eingesetzt wird.

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Forum Forschung Werkstoffe uund VVerfahren

61 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

derzeit an seine Grenzen. Aufgrund derReibung zwischen Werkzeug und Werk-stück wird ab einer bestimmten kritischenLänge der Führungszone (vgl. Abb.2) keinweiteres Material in die Aufweitzone desRohres nachgeschoben. Stattdessenkommt es lediglich zum Aufstauchen in derFührungszone.

Ein hochviskoses, also äußerst zäh-flüssiges Medium soll die Reibung auf einMinimum beschränken. Mit Hilfe der Strö-mung dieser Flüssigkeit wird der Span-nungszustand entlang der Werkstoffober-fläche so beeinflusst, dass sich die Form-gebungsgrenzen für Rohre erweitern. Dasviskose Medium fließt entlang der Außen-oberfläche eines Rohres durch Kanäle, diein das Werkzeug eingearbeitet sind. Aufdiese Weise können axiale, quer zur Rohr-länge verlaufende Schubspannungen indas Werkstück eingeleitet werden, wasden Materialfluss in Richtung der Aufweit-zone unterstützt.

Über den Verlauf des Umformprozes-ses ist zu wenig bekannt, als dass diese in-novative Technologie in der Industrie ver-wendet werden könnte. Das Forschungs-projekt am Lehrstuhl für Fertigungstech-nologie soll die Wissenslücken schließen.Parallel dazu wird nach dem Medium ge-sucht, das für diesen Zweck am besten ge-eignet ist. Die Flüssigkeit muss gleicher-maßen Anforderungen an Hochviskositätund Wirtschaftlichkeit erfüllen und in der

Industrieproduktion einsetzbar sein. DieDeutsche Forschungsgemeinschaft fördertdas Projekt für zwei Jahre.

Prof. Dr.-Ing. Manfred GeigerTel.: 09131/85 -27140Dipl.-Ing. Paolo Dal BóTel.: 09131/85 [email protected]

Abb. 2: Schematische Darstellung der Effekte der Strömung einer hochviskosen Flüssogkeit beim Innen-hochdruck-Umformen von Rohren. Abbildungen: LFT

Dünne Schichten aus Diamant sindunvergleichlich hart und glatt und schüt-zen stark beanspruchte Maschinenbau-teile bestens vor Verschleiß. Außerdem lei-ten die Kohlenstoff-Kristalle überschüs-sige Wärme ab; nur dem elektrischenStrom setzen sie hohen Widerstand entge-gen. Deshalb dürfen explosive Substanzenin einer Pumpe nicht mit diamantbeschich-teten Teilen in Kontakt kommen. An derUniversität Erlangen-Nürnberg hat die Dia-mantforschungsgruppe des Lehrstuhls fürWerkstoffkunde und Technologie der Me-talle (WTM) von Prof. Dr. Robert Singer die-ses Problem gelöst. In Zusammenarbeitmit dem Fürther Unternehmen DiaCConGmbH gelang es erstmals, elektrisch leit-fähige Diamantschichten auf keramischenGleitringen herzustellen, und zwar durchZugabe eines geringen Anteils Bor.

In der Tribologie, die sich mit Reibung,Verschleiß und Schmierung von gegenei-nander bewegten Körpern befasst, wer-den Schutzschichten aus Diamant wegenihrer herausragenden Eigenschaften dieschwersten Aufgaben zugewiesen. Siesind beispielsweise für den Einsatz inHochleistungspumpen geeignet, da diehohe Härte und Wärmeleitfähigkeit und dieniedrige Reibung effektiven Schutz vonGleitringen für Pumpenlager oder -dich-tungen bedeutet. Pumpenteile mit Dia-

mantbeschichtungen haben eine wesent-lich längere Lebensdauer und sind äußerstbelastbar; sie halten sogar im Trockenlaufdurch, wo heutige Standardbauteile sofortversagen.

Natürlicher Diamant ist allerdings einIsolator, und auch künstlich hergestellteDiamantschichten sind durch einen hohenelektrischen Widerstand charakterisiert.Bei schneller Bewegung können sich be-schichtete Gleitringe daher elektrisch auf-laden. Dann kann nicht ausgeschlossenwerden, dass Funken überspringen, wasbeim Pumpen von explosiven Flüssigkei-ten höchst gefährlich ist. Eine Dotierungder Diamantschicht mit weniger als einemProzent Bor, wie sie die WTM-Forschungs-gruppe vorgenommen hat, kann diese Ge-fahr beseitigen. Nach dem Einbau von Bor-Atomen in das Kristallgitter besitzt der Dia-mant eine elektrische Leitfähigkeit, dieAufladungen verhindert. Bei Temperaturenüber 600°C bildet sich außerdem Boroxid,das die Schicht zusätzlich vor Oxidationschützt. In weiteren Forschungsarbeitensoll der Einfluss der Bor-Dotierung auf dietribologischen Eigenschaften der Dia-mantschichten untersucht werden.

Leitfähige Diamantschicht neu entwickelt

Pumpen ohne Funkenflug

Stefan M. RosiwalLehrstuhl für Werkstoffkunde und Technologie der MetalleTel.: 09131/85 -27517 [email protected]

Abb. 1: Diamantbeschichtete Gleitringe

Abb. 2: Bor-dotierte Diamantschicht bei hoher Ver-größerung im Rasterelektronenmikroskop. Die kris-talline Form der einzelnen, zusammengewachsenenDiamantkristalle wird durch den kleinen Borgehaltnicht gestört. Abbildungen: Lehrstuhl WTM

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Jeweils zwei innovative Technologienfür den Leichtbau werden in zwei Projektenkombiniert, welche die Deutsche For-schungsgemeinschaft am Lehrstuhl fürFertigungstechnologie von Prof. Dr. Man-fred Geiger fördert. Dipl.-Ing. Massimo To-lazzi befasst sich mit der Umformung vonaus verschiedenen Werkstoffen zusam-mengeschweißten Blechen. Dipl.-Ing.Klaus Lamprecht untersucht eine Kombi-nation aus konventionellem Tiefziehen undwirkmedienbasierter Umformung.

Neue Karosseriekonzepte, die aufverringertes Fahrzeuggewicht abzielen,passen Werkstoff, Blechdicke und Um-formeigenschaften lokal den jeweiligenAnforderungen an. Eine dafür entwickelteTechnologie stellen die Tailored WeldedBlanks (zusammengeschweißte Bleche)dar (vgl. Abb. 1a). Weitere Möglichkeitenfür den Leichtbau bietet die wirkmedien-basierte Umformung, ein Verfahren, das zueiner homogenen Dehnungsverteilung unddamit zu einer gleichmäßigen Verfestigungdes Werkstoffs führt. Die Vorteile beiderTechnologien sollen genutzt werden.

Die richtige Wahl der Werkstoffe so-wie die Herstellung eines Werkzeugs miteinem geteilten Niederhalter und einer ak-tiven Regelung der Niederhalterkraft wer-den die Überwindung der aktuellen techni-schen Probleme ermöglichen. Eine Druck-messfolie (Abb. 1b) wird in Echtzeit dieVerteilung der Oberflächenpressung imFlansch und damit die aktuelle Lage desBlechs ermitteln können. Im Fall einesasymmetrischen Blecheinzugs soll durcheine externe Regelung die Niederhalter-kraft in bestimmten Bereichen des Flan-sches angepasst und damit die Asymme-trie ausgeglichen werden.

Eine weitere Möglichkeit ist, dieseasymmetrische Umformung nicht zu ver-meiden, sondern sie gezielt durch eine Op-timierung des Ausgangsblechzuschnitts,insbesondere durch Verwendung von nichtliniearen Schweißnähten, zu nutzen. Vorteildieser Strategie ist es, dass das Umform-potential beider Werkstoffe bestmöglichgenutzt wird und außerdem eine zusätzli-che Gewichtseinsparung realisiert werdenkann. Die experimentellen Untersuchun-gen werden durch Finite Elemente Simula-tionen unterstützt, wodurch eine ganzheit-liche Betrachtung und eine effektive Pro-zessauslegung von wirkmedienbasiertenUmformprozessen ermöglicht werden.

Patchwork-PPlatinen

Fortgesetzt wird die Förderung des Pro-jekts „Wirkmedienumformung von tiefge-zogenen Vorformen ausgehend von Plati-nen mit lokal unterschiedlichen Fließeigen-schaften“ für weitere zwei Jahre. Der aktu-elle Abschnitt des Forschungsvorhabenswidmet sich insbesondere der Untersu-chung der Umformeigenschaften vonPatchwork Blanks, die ähnlich den TailoredBlanks ein hohes Leichtbaupotential auf-weisen. Gegenstand der Untersuchungenist außerdem die Entwicklung und Verifika-tion von geeigneten Modellierungstechni-ken, mit denen Patchwork Blanks in FiniteElemente Simulationen dargestellt werdenkönnen. Darüber hinaus soll demonstriertwerden, dass die Verfahrenskombinationfür den Serieneinsatz geeignet ist.

Beim Tiefziehen mit starrem Stempelwird zunächst ein kontrollierter Werkstoff-

fluss und somit eine gleichmäßige Verfor-mung der Ausgangsplatine bewirkt. Beider anschließenden wirkmedienbasiertenUmformung werden komplexe Formele-mente erzeugt und eine homogen über dasBauteil verteilte Verfestigung eingestellt(Abb. 2). So sollen die Vorteile des Innen-hochdruck-Umformens auch für inhomo-gene Platinen nutzbar gemacht werden.

Forum Forschung Werkstoffe uund VVerfahren

63 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Wirkmedienbasierte Umformung von Tailored Welded Blanks und Patchwork Blanks

Innovative Kombinationen

Abb.1a): Automobilseitenrahmen aus verschiedenen zusammengeschweißten Werkstoffen mit unter-schiedlichen Blechdicken; b): Schematische Ansicht des zu entwickelnden Werkzeugs. Abbildung: LFT

Prof. Dr.-Ing. Manfred GeigerTel.: 09131/85 -27140Dipl.-Ing. Massimo TolazziTel.: 09131/85 [email protected]. Klaus LamprechtTel.: 09131/85 [email protected]

Abb. 2: Verfahrenskombination aus Tiefziehen und wirkmedienbasierter Umformung. Abbildung: LFT

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Fledermäuse gelten als Spezialistender Hörkunst. Mit Stimme und Ohren fin-den sie ihre Beute nach dem Prinzip desEcholots. Diese Fähigkeiten sollen genutztwerden, um in der Robotik und der Auto-matisierungstechnik die Objekterkennungdurch Ultraschall zu verbessern. Untermaßgeblicher Mitwirkung des Lehrstuhlsfür Sensorik von Prof. Dr. Reinhard Lerchwird ein internationales Projekt zur Erfor-schung des Ultraschall-Ortungssystemsvon Fledermäusen durchgeführt. Ein Teamaus Ingenieuren und Biologen entwickelthierzu einen künstlichen Fledermauskopf,der im Gegensatz zu bisherigen Realisie-rungen in seinen Abmessungen einem rea-len Fledermauskopf entspricht.

Das neu konstruierte mechanischeBewegungssystem mit mehreren Frei-heitsgraden ermöglicht sogar die realitäts-getreue Beweglichkeit der Ohren und desMundes. Damit können die Bewegungs-muster einer Fledermaus naturgetreunachgebildet werden. Die Forschergruppewill so einen entscheidenden Einblick indie Ortungsmechanismen von Fledermäu-sen gewinnen.

Neben der komplizierten Feinmecha-nik stellt auch die Generierung und die Ver-arbeitung der fledermaustypischen Sig-nale eine große Herausforderung dar, daFledermäuse sowohl die Frequenz alsauch die Amplitude des zur Ortung abge-gebenen akustischen Signals über die Zeitverändern. Der Einfluss dieser als „Chirp“bezeichneten Signalform auf das Orientie-rungsvermögen der Fledermäuse ist eben-falls Gegenstand der Forschungsarbeiten.Um eine möglichst schnelle digitale Aus-

wertung der über die Ohren empfangenenSignale zu gewährleisten, wird eine spe-zielle Auswertelektronik auf der Basis ei-nes neuronalen Netzwerkes entwickelt.

Da ein Ultraschallwandler mit dem fürFledermäuse typischen Frequenzbereichvon 20 - 200 kHz schwierig zu realisierenist, wurde bisher nur ein Teil des Frequenz-bereiches des Echoortungssystems unter-sucht. Die verschiedenen Fledermaussig-nale sind aber nur unter Ausnutzung desgesamten Frequenzbereiches realitätsnahzu erzeugen.

Der Schwerpunkt der an der Universi-tät Erlangen-Nürnberg durchgeführten Ar-beit liegt deshalb in der Entwicklung geeig-neter Ultraschallsender und -empfänger(Puls-Echo-Wandler), die bezüglich Fre-quenzbereich, abgestrahltem Schalldruck

und Dynamik dem Empfangs- und Sende-system von Fledermäusen weitestgehendentsprechen. Neben diesen akustischenVorgaben müssen die Puls-Echo-Wandlerin Größe und Gewicht so dimensioniertwerden, dass sie die Beweglichkeit deskünstlichen Fledermauskopfes nicht be-einträchtigen. Um diese hohen Anforde-rungen zu erfüllen, bedarf es eines beson-deren Wandlermaterials für den Ultra-schallsender und -empfänger. Als beson-ders gut geeignet erwies sich hierbei eineneu entwickelte ferroelektrische Folie mitzellularer Struktur. Dank dieses ElectroMechanical Films konnte ein Ultraschall-sender mit kleinen Abmessungen und gro-ßer Schallleistung entwickelt werden.

Neben den Eigenschaften der Ultra-schallwandler sind auch das Fledermaus-ohr und dessen unterschiedliche Form fürdie Empfangscharakteristik entscheidend.Untersucht wird dies mittels Simulationund Messung. Hierzu werden unter Ver-wendung eines Röntgenverfahrens dieOhren verschiedener Arten von Fleder-mäusen eingescannt und daraus Compu-termodelle für die Simulation und Kunst-stoffmodelle für die Messung erzeugt.(Abb. 1) Die Richtcharakteristik der Ohrenwird mit einer am Lehrstuhl für Sensorikentwickelten speziellen Software simuliert.Mit Hilfe eines genetischen Algorithmussollen die günstigsten Formen für diekünstlichen Ohren (Abb. 2) gefunden wer-den, die dann zusammen mit den Ultra-schallempfängern auf dem mechanischenFledermauskopf angebracht werden.

Für erste Feldversuche wird der Pro-totyp eines künstlichen Fledermauskopfesauf einen fahrbaren Roboter montiert. Deraktuelle Forschungsstand ist im Internetunter www.circe-project.org zu finden.

Forum Forschung Sensorik

64 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Objekterkennung mittels Ultraschall

Künstlicher Fledermauskopfmit Empfangs- und Sendesystem

Dipl.-Ing. Alexander StreicherLehrstuhl für Sensorik Tel.: 09131/85 -22145 [email protected]

Abb. 1: CAD-Modell des Roboterkopfes. Abbildungen: Lehrstuhl für Sensorik

Abb. 2: Bronzeohren in verschiedenen für Fleder-mäuse typischen Formen.

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Das neue Interdisziplinäres Zentrum(IZ) Ökosystemare Forschung (ECOSYS)an der Universität Erlangen-Nürnberg hatsich aus einem multidisziplinären Schwer-punkt entwickelt, der die wechselseitigenVerknüpfungen von biotischen und abioti-schen Systemen durch Stoffflüsse unter-sucht. Das IZ kombiniert die ausgewie-sene Expertise der beteiligten biologi-schen, chemischen, geographischen,geologischen und technologischen Lehr-stühle und Arbeitsgruppen im Bereich derangewandten und Grundlagenforschung.Im Vordergrund stehen die multidiszipli-näre Untersuchung von aquatischen undterrestrischen Ökosystemen sowie dieEntwicklung von Strategien zur Vermei-dung und Beseitigung von anthropogenenSchäden. Die anwendungsbezogene Um-weltrelevanz der bearbeiteten Problemepositioniert das IZ im Zentrum von politi-schen und gesellschaftlichen Fragestel-lungen mit nationalen und internationalenDimensionen.

Die besondere Stärke von ECOSYSliegt in der Bündelung von ökologisch aus-gerichteter Grundlagenforschung undtechnischen Anwendungen. Die per seschon multidisziplinäre Ökologie wird da-bei durch die technische Umsetzungnachhaltig erweitert und aufgewertet. Diespezifische Ausrichtung des IZ wird dieUniversität attraktiver für Studenten ma-chen und als Kompetenzzentrum einenwichtigen Ansprechpartner für Industrie,Politik, Medien und die Öffentlichkeit dar-

stellen. Die Kompetenz besteht dabei zumeinen auf der Basis der vorhandenen Ex-pertise in der Informationsweitergabe nachinnen und außen und zum anderen in dermultidisziplinären Bearbeitung von neuenFragestellungen bis hin zu technischenMachbarkeitsstudien.

Im Bereich der Forschung wird dieBündelung der vorhandenen intellektuel-len und instrumentellen Ressourcen eineerhöhte Einwerbung von Drittmitteln fürProjekte erlauben, die von einzelnen Lehr-stühlen nicht oder nur eingeschränkt bear-beitet werden könnten.

Multilaterale Projekte ermöglichen dieErarbeitung von Bewertungskriterien fürpotentielle Gefährdungen der Umweltdurch anthropogene Einflüsse unter Be-rücksichtigung der untereinander abhängi-gen Komponenten Luft, Wasser, Boden,Pflanzen, Tiere und Menschen. Diese Fra-gestellung wird vom IZ unter Nutzung vor-handener und zu erweiternder Biomonito-ring-Systeme und der analytischen Exper-tise der Partner bearbeitet. Ein Schwer-punkt der Forschungsausrichtung des IZliegt auf der Etablierung und Quantifizie-rung von geeigneten Monitoringsystemen.

Der gegenseitige Austausch von Di-plomanden, Doktoranden und wissen-schaftlichen Mitarbeitern zum Erlernenneuer Techniken und Bearbeitung von Fra-gestellungen, die mit den an den jeweiligenLehrstühlen etablierten Methoden nichtgelöst werden können, wird den Horizontüber das in vielen Fällen limitierte eigene

Arbeitsgebiet hinaus erweitern. Die vonden beteiligten Partnern angebotenenLehrveranstaltungen werden im Rahmenbestehender Prüfungsordnungen gegen-seitig anerkannt. Zusätzlich werden ge-meinsame Veranstaltungen, wie Ringvor-lesungen und fächerübergreifende Prak-tika und Übungen angeboten. Das bereitsjetzt sehr umfangreiche Lehrangebot ist imVorlesungsverzeichung und im Netz unterder Rubrik „Interdisziplinare Zentren, Öko-systemare Forschung“ aufgelistet.

Die Mitarbeiterseminare der Lehr-stühle ermöglichen eine breitere Informa-tion über die aktuellen Arbeiten hinaus. ImGraduiertenbereich wird ein jährliches Se-minar von Mitarbeitern aller beteiligtenLehrstühle angeboten, in dem aktuelleForschungsergebnisse und Techniken vor-gestellt werden sollen. Für das Promo-tionsnebenfach sprechen die beteiligtenLehrstühle Empfehlungen aus. Außerdemsoll eine Verbreiterung der Ausbildung undmethodischen Vielfalt der Studenten undMitarbeiter die Absolventen auch in derderzeitigen angespannten Wirtschaftlageattraktiver für Arbeitgeber machen. Mittel-fristig wird die Einrichtung eines Graduier-tenkollegs und eines DFG-Schwerpunktesangestrebt.

Der Vorstand des IZ besteht aus demSprecher Prof. Dr. Donat-P. Häder sowieProf. Dr. Uwe Treter, Prof. Dr. Ronald Bö-cker und Prof. Dr. Thomas Neeße. Das IZumfasst neun Lehrstühle und Arbeitsgrup-pen aus vier Fakultäten.

Forum Forschung Ökologie

66 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Interdisziplinäres Zentrum ECOSYS

Umweltforschung mit System

Abb. 1: Chlorophyllfluoreszenz in den Ozeanen in Falschfarbendarstellung aufgenommen mit dem Moderate Resolution Imaging Spectroradiometer (MODIS) 2002an Bord des NASA Terra Satelliten.

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Beteiligte LLehrstühle uund AArbeitsgruppen

Im Bereich der Medizinischen Fakultät ar-beitet Prof. Böcker am Lehrstuhl für Klini-sche Pharmakologie an der Quantifizie-rung toxischer Wirkungen von bromiertenFlammschutzmitteln, der Interaktion kör-perfremder Stoffe mit spezifischen Enzy-men (von Versuchstieren und des Men-schen) und Untersuchungen zum Metabo-lismus körperfremder Substanzen.

Aus der Naturwissenschaftlichen Fa-kultät II ist der Lehrstuhl für Ökophysiolo-gie der Pflanzen (Prof. Häder) am IZ betei-ligt, dessen Arbeiten auf zwei Arbeitsge-biete konzentriert sind. Zum einen wird derEinfluss von kurzwelliger ultravioletterStrahlung auf aquatische Ökosysteme un-tersucht, zum anderen die Wirkung derSchwerkraft auf die Orientierung von Mi-kroorganismen in der Wassersäule auf mo-lekularer Basis analysiert. Mit Hilfe vonDrittmittelprojekten werden dabei entwi-ckelte Technologien zur Marktreife geführt.

Das Hauptinteresse der am selben In-stitut angesiedelten AG Geobotanik (Prof.Dr. Werner Nezadal) am Lehrstuhl für Mole-kulare Pflanzenphysiologie liegt in der Ve-getationsökologie. Untersuchungsthemensind die Beziehungen zwischen Vegetationund Standort und die sich daraus ergeben-den Möglichkeiten der Bioindikation sowieFragen zur Pflanzensystematik und Biodi-versität.

Der Lehrstuhl für Zoologie I (Prof. Dr.Lutz Wasserthal) untersucht die wechsel-seitigen Beziehungen zwischen Schmet-terlingen und Pflanzen und ihren Prädato-ren und bearbeitet Fragen des Lebenszy-klus einheimischer und tropischerSchmetterlinge (Madagaskar, Costa Rica)in Beziehung zu ihren Wirtspflanzen, dieBestäuber-Rolle tropischer Sphingidensowie Nektarbedarf und Aktivitätsmuster.Bei den Strategien zur Feindvermeidungwerden die Ultraschall-Wahrnehmung undoptische Orientierung bei Nacht und ihreBedeutung bei intra- und interspezifischenInteraktionen sowie die Thermoregulationbei Tag- und Nachtfaltern untersucht.

In parasitologischen Untersuchungenbefasst sich die Arbeitsgruppe Prof. Dr.Wilfried Haas (Lehrstuhl Zoologie I) mit derÜbertragung frei lebender Parasitensta-dien in ihre Wirte. Dabei werden moleku-lare Analysen mit ökologischen Untersu-chungen kombiniert. Die Mechanismender Wirtserkennung werden zur Entwick-lung selektiver umweltfreundlicher Be-kämpfungsverfahren herangezogen.

Schwerpunkte der Arbeiten von Prof.von Helversen (Lehrstuhl Zoologie II) sind„sensory ecology“ und „cognitive eco-logy“ von blütenbesuchenden Fledermäu-

sen, Energiebudgets von Blütenbesuchernund Samenverbreitung durch fruchtfres-sende Fledermäuse sowie die Renaturie-rung anthropogen degradierter Habitate.

Die umweltrelevanten Forschungs-schwerpunkte von Prof. Dr. Ulrich Nickel(Institut für Physikalische Chemie) liegenauf homogener Kinetik, Elektrochemie undAnalytik, z.B. der elektrochemischen Auf-bereitung industriellen Abwassers und derAdsorption von Schadstoffen an geeigne-ten Materialien.

In der Naturwissenschaftlichen Fakul-tät III befasst sich Prof. Dr. Heinz-JürgenTobschall (Lehrstuhl für Angewandte Geo-logie), meist im Rahmen interdisziplinärerProjekte, mit Gesetzmäßigkeiten, die denTransport, die Fixierung und evtl. die Re-mobilisierung von anthropogen einge-brachten anorganischen und organischenSchadstoffen in aquatischen Systemensteuern. Metallorganische Verbindungenund ihre Wechselwirkungen mit Mineral-oberflächen und natürlichen organischenHeteropolykondensaten sind ein Arbeits-schwerpunkt.

Am Lehrstuhl für Physische Geogra-phie (Prof. Treter) werden zusammen mitProf. Dr. Michael Richter vor allem Projektezur Vegetations- und Klimageographie so-wie Geoökologie bearbeitet, z.B. die Dyna-mik verschiedener Vegetatinsformationen,insbesondere von Wäldern, Phytoindika-toren, Feuerökologie, Dendrochronologieund Hochgebirgsökologie.

Die Technische Fakultät ist mit demLehrstuhl für Umweltverfahrenstechnik(Prof. Neeße) am IZ vertreten, der sich mitder Grundlagenforschung und Verfahrens-entwicklung zur Altlastensanierung be-schäftigt. Schwerpunkte liegen auf Stoff-

untersuchungen an kontaminierten Bö-den, Computersimulation von Boden-waschverfahren, Weiterentwicklung vonProzessen in Bodenwaschverfahren, derVerfahrensentwicklung im Bereich Recyc-ling von mineralischen Rohstoffen, Ent-wicklung eines Verfahrens zur Behandlungvon Sandfangrückständen, Stoffuntersu-chungen und Verfahrensvorschläge zurSanierung von bleihaltigen Schießplatzbö-den und der wissenschaftlichen Beglei-tung von Sanierungen.

Unter den zahlreichen bi- und multila-teralen Kooperationen der ECOSYS-Part-ner ist das Projekt „Babitonga 2000“ mitBeteiligung von fünf Lehrstühlen aus demIZ herauszuheben. Zusammen mit dersüdbrasilianischen Universität von Join-ville werden ökologische Fragestellungenan der Bucht von Babitonga untersucht.Der Charme dieses Unternehmens liegt inder Fokussierung unterschiedlichster Me-thoden und Fragestellungen auf ein ge-meinsames Ziel: die Analyse der aquati-schen und terrestrischen Ökosysteme, dieBelastung durch anthropogene Schad-stoffe und deren mögliche Beseitigung.

Das IZ Ökosystemare Forschung istfür weitere kompetente Partner ausdrück-lich offen. Die Erweiterung um mehrereTeilnehmer ist bereits für die nahe Zukunftgeplant.

Forum Forschung Ökologie

67 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Prof. Dr. Donat-P. HäderLehrstuhl für Ökophysiologie der PflanzenTel.: 09131/85 [email protected]

Abb. 2: Luftaufnahme der Babitongabucht im Staat Santa Catharina (Südbrasilien).

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Erdbeben, Vulkanausbrüche, subma-rine hydrothermale Lagerstättenbildung:An den Grenzen der großen kontinentalenund ozeanischen Krustenplatten konzen-triert sich das aktuelle geodynamische Ge-schehen. Die Platten und Plattengrenzensind sehr mobil und bewegen sich schonseit mindestens 600 Millionen Jahren überden Globus. Wie aber kann man in Gebie-ten mit alten Kristallingesteinen, so wie inden Alpen, ein längst vergangenes platten-tektonisches Geschehen rekonstruieren?Immerhin liegen diese Gesteine heute in-mitten der europäischen Krustenplatteund wurden dieser schon vor Jahrmillio-nen angegliedert. Dennoch kommen For-scher am Institut für Geologie und Minera-logie den früheren Wanderungen der Ge-steine auf die Spur.

Eine wichtige Voraussetzung bildeteine geologische Karte, in der die Ge-steinsvorkommen eingetragen sind.1) ImGebiet des ostalpinen Kristallins südlichder Hohen Tauern sind Orthogneis, Eklo-git, Hornblende-Gneis (Abb. 1) und Gra-nat-Amphibolit zu finden, allesamt Meta-Magmatite, das heißt umgewandelte („me-tamorphe“) magmatische Gesteine. Be-reits vor 350 bis 300 Millionen Jahren,während der variskischen Kontinentkolli-sion, erfuhren diese Gesteine bei einer Ver-senkung in über 30 km Tiefe und bei Tem-peraturen bis zu 680°C eine intensive Um-wandlung. Als vor 100 bis 30 MillionenJahren das alpidischen Gebirge entstand,wurden sie nochmals in der Tiefe über-formt und kamen schließlich zutage.

Ein erster Schlüssel zum Erkennen al-ter Plattenränder ist die Geochemie. Jungevulkanische und plutonische Gesteine ha-ben typische Element-Verteilungsmuster,die den jeweiligen Plattenrändern zuzu-ordnen sind. Die Geowissenschaftler nah-men also Proben der in den geologischeKarten verzeichneten Meta-Magmatite. Anden Pulvern der aufgemahlenen Gesteins-proben lassen sich die Haupt- und Spu-renelement-Konzentrationen sowie dieIsotopenverhältnisse einiger Elemente mitRöntgenfluoreszenz (RFA), Inductive Cou-pled Plasma Mass Spektrometry (ICP- MS)und Feststoff-Massenspektrometrie(TIMS) bestimmen. Einige Elemente blie-ben bei der Gesteinsumwandlung immobil

und zeigen noch die bei der Erstarrung derGesteinsschmelze enstandenen magmati-schen Element-Verteilungsmuster. Diese

Elemente vergleicht („normiert“) man zumeinen mit mittelozeanischem Rückenba-salt (MORB) als Modell für einen bereitsdifferenzierten Erdmantels. Zum anderennormiert man auf das MeteoritengesteinChondrit, das die Zusammensetzung desUrmantels der Erde repräsentiert. Für be-stimmte magmatische Gesteinsgruppenergeben sich signifikante Ab- und Anrei-cherungsmuster von Elementen (Abb. 2).aus denen auf die Krusten- und Mantelan-teile, die Entwicklung („Differentiation“)und den plattentektonischen Entste-hungsort der Gesteinsschmelzen zuschließen ist.

Die Hornblende-Gneise waren dem-nach ehemals Inselbogen-Magmatite übereiner Subduktionszone und zeigen selek-tive Verarmung an Niobium und Tantal. Da-gegen gingen die Granat-Amphibolite mitstarker Anreicherung von Niobium, Tantalund aller Seltenerdelemente aus Intraplat-tenbasalten hervor. Damit werden zweivöllig unterschiedliche, ja widersprüchli-che Typen von Plattenrändern signalisiert.

Forum Forschung Geowissenschaften

68 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Geodynamik an 600 Millionen Jahre alten Kontinentalplattenrändern

Spuren von versunkenen Ozeanen

Abb. 2: Normierte Elementverteilungs-Muster für Hornblende-Gneise (ehemalige Inselbogen-Magmatite)und Granat-Amphibolit (ehemaliger Intraplatten-Basalt) aus dem ostalpinen Kristallin in Osttirol (Ma: Alter inMillionen Jahren).

Abb. 1: Polierter Anschnitt eines Hornblende-Gnei-ses mit lagenweise angeordneten grünen Horn-blende-Kristallen.

1) Zur geologischen Kartierung in den Alpen vgl.Unikurier.magazin Nr. 104, 2003, S. 62 f.

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Um diesen Sachverhalt zu klären, be-nötigt man Altersdatierungen, den zweitenSchlüssel zur Rekonstruktion der Vor-gänge an alten Plattenrändern. Bei Abküh-lung magmatischer Schmelzen kristallisie-ren Minerale in einer wohldefinierten Rei-henfolge aus. Darunter ist Zirkon (ZrSiO4),der auch die Elemente U, Th, und Pb inSpuren von 100 - 1000 ppm in sein Kristall-gitter einbauen kann. Leider ist Zirkon inInselbogen- und Intraplatten-Magmatitennur selten und in geringen Mengen zu fin-den. Man muss etliche etwa 50 kg schwereund mühsam zu Tal getragene Gesteins-proben aufmahlen und durch Sieben undSchweretrennen mechanisch aufbereiten.Mit Glück finden sich im Körnerkonzentratunter dem Mikroskop einige höchstens250 µm große Zirkonkristalle (Abb. 3a).Das im Zirkonkristall eingebaute Uran mitden Isotopen 238U und 235U zerfällt mit be-stimmten Halbwertszeiten in geologischenZeiträumen zu den Blei-Isotopen 206Pbund 207Pb. Aus den Isotopenverhältnissenkann man über die Zerfallsgleichungen dieBildungsalter der Zirkone berechnen (Abb.3b), die das Erstarrungsalter der Schmelzewiedergeben dürften.

Im Falle der ostalpinen Meta-Magma-tite ergaben sich für die Subduktions-typi-schen Inselbogen-Magmatite Alter von590 und um 540 Millionen Jahre (Ma), undfür die Intraplattenbasalt-typischen Mag-matite 430 Millionen Jahre (Abb. 3b). Esgab also zuerst Magmatismus im Zusam-menhang mit dem Abtauchen einer ozea-nischen Platte, einer Subduktion. Danachkam es zum Magmatismus beim Zerbre-chen einer kontinentalen Platte mit Neubil-dung eines Plattenrandes, dem Beginn derÖffnung eines neuen Ozeans.

In der Zusammenschau von geoche-mischen, radiochronologischen, paläo-magnetischen, sedimentologischen undpaläontologischen Daten läßt sich ein Mo-dell zur Lage von Kontinenten im Laufe derErdgeschichte entwickeln (Abb. 4a). Dem-nach lag das ostalpine Kristallin vor 430Millionen Jahren in einem großen Konti-nentspan („Terrane“) der dem aus Afrika,Südamerika, Indien und Australien zusam-mengesetzten Gondwana-Kontinent inhohen südlichen Breiten vorgelagert war.Ein großer Ozean trennte das Terrane vomäquatorialen Nordkontinent Laurussia mitden bereits kollidierten KontinentstückenLaurentia (Nordamerika, Grönland,Schottland), Baltica (Skandinavien) undAvalonia (Ostrand von Nordamerika, Eng-land).

Die Meta-Magmatite des ostalpinenKristallins sind Zeugen des im schemati-schen Querschnitt aufgezeigten platten-

tektonischen Geschehens im frühen Pa-läozoikum: Am Nordrand von Gondwanawurde noch im Neoproterozoikum voretwa 600 Millionen Jahren und vor allem imfrühen Kambrium (ab 550 Millionen Jahren)bei der südgerichteten Subduktion einesalten Ozeans ein aktiver Kontinentalrandausgebildet. Anfangs entstand dabei einInselbogen, etwa so, wie er heute in Japanvorliegt (Abb. 4b). Durch Anlagerung undMagmatismus reifte er zu einem breitenGebirge im Typus der jetzigen Anden he-ran. Mit der Öffnung eines neuen, jüngerenOzeans im Silur löste sich ein Kontinent-span von Gondwana und es entwickeltesich dort ein passiver Kontinentalrand(Abb. 4c). Erst wesentlich später , vor 350bis 300 Millionen Jahren, nach einer voll-ständigen Subduktion der beiden Ozeaneund einer weiten nordgerichteten Wande-rung trafen das Terrane, Gondwana undLaurussia bei der variskischen Kollisionaufeinander.

Was nützen solche Rekonstruktionenvon Puzzle-Stücken in der Geschichte desPlaneten Erde? Element-Anreicherungenin der Kruste, also Lagerstätten, sind anbestimmte Zeiten der Erdgeschichte undan bestimmte Formen des magmatischenGeschehens und damit der Plattenbewe-gungen gebunden. Die zeitliche und plat-tentektonische Entwicklung in einem Seg-ment der kontinentalen Kruste vermitteltdamit wichtige Ansatzpunkte für die Ex-ploration von Rohstoffen.

Forum Forschung Geowissenschaften

69 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Prof. Dr. Bernhard SchulzInstitut für Geologie und [email protected]. Zt. Lehrstuhlvertretung:Institut für MineralogieAm Hubland, 97074 WürzburgTel.: 0931/888-4693

Abb. 3a: Zirkon-Kristalle im Rückstreu-Elektronen-Mikroskop (REM). Abb. 3b: Blei-Isotopenverhältnissevon Einzelzirkonen aus verschiedenen Meta-Magmatiten des ostalpinen Kristallins. Nach Regression erge-ben sich über Zerfallsgleichungen und Halbwertszeiten die Erstarrungsalter der Gesteinsschmelzen (Ma, Al-ter in Millionen Jahren).

Abb. 4a: Paläogeographisches Modell der Kontinente und Ozeane vor 430 Millionen Jahren im frühen Silur.Pfeile zeigen die Position des ostalpinen Kristallins. Abb. 4b: Modell der frühpaläozoischen Kontinentalrand-Dynamik im ostalpinen Kristallin. Aktiver Kontinentalrand mit Subduktion eines Ozeans im frühen Kam-brium, vor 550 Millionen Jahren. Abb. 4c: Passiver Kontinentalrand mit Öffnung eines neuen Ozeans im frü-hen Silur, vor 430 Millionen Jahren. Abbildungen: Institut für Geologie und Mineralogie

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Als Sauerstofflieferanten und Nah-rungsquelle für vieles, was im Wasser lebt,sind Mikroalgen unentbehrlich. Medizinund Pharmazie zeigen aus anderen Grün-den Interesse für die vielseitigen Einzeller:sie können Substanzen herstellen, die Vi-ren, Bakterien und Krebszellen angreifen.Diese Fähigkeiten in den Dienst dermenschlichen Gesundheit zu nehmen, istallerdings nicht so einfach, denn die Algenstellen hohe Ansprüche an Aufzuchtbedin-gungen. Mit neuartigen Bioreaktoren hatdie Arbeitsgruppe „Phototrope Mikroorga-nismen” am Lehrstuhl für Bioverfahrens-technik der Universität Erlangen-Nürnberggute Voraussetzungen dafür geschaffen,gründlich auszuloten, wie die winzigen Or-ganismen für Menschen von Nutzen seinkönnen.

Die Erforschung biologisch aktiverNaturstoffe, die von Meeresorganismenproduziert werden, gehört zu den Schwer-

punkten, auf die Prof. Dr. Rainer Buchholzsetzt. Als er im September 2002 den da-mals neu gegründeten Lehrstuhl für Bio-verfahrenstechnik übernahm, kam einGroßteil seiner Mitarbeiter mit ihm, so dassvon Anfang an vier Arbeitsgruppen etab-liert werden konnten. Die Arbeitsgruppe„Zellkultur und Immobilisierung” befasstsich beispielsweise mit Grundlagen derRegeneration von Geweben oder mit bio-logischem Pflanzenschutz. Die Arbeits-gruppe „Screening” entwickelt Methoden,mit denen vielversprechende Wirkstoffe inPflanzen, Algen und Mikroorganismen ent-deckt werden können, und Verfahren, umsolche Substanzen in hoher Reinheit zugewinnen.

Um stabile und ergiebige Kulturen alsRohstoffquellen für Nahrungsergänzungund neue medizinische Therapien geht esin den beiden anderen Arbeitsgebieten,wobei die Gruppe „Pflanzenzelltechnolo-gie” eher größere Algen und Moose imBlick hat, während Mikroalgen von einereigenen Gruppe unter der Leitung von Dr.Christian Walter untersucht werden. Einderzeit laufendes Projekt mit dem Titel„Screening antiviraler Komponenten ausaquatischen Mikroorganismen” wird vonder Arbeitsgemeinschaft industrieller For-schungsvereinigungen (AiF) gefördert; hiersteht der Kampf gegen Herpes- und Cyto-megalieviren im Vordergrund.

Humane Herpesviren vom Typ 6 (A/B)und 7 sowie das Cytomegalievirus (CMV)werden in stark erhöhter Zahl bei HIV-Pa-tienten, Transplantierten oder auch Säug-lingen nachgewiesen, also bei Personen,deren Immunsystem geschwächt ist. DieViren stehen im Verdacht, in eine Vielzahlvon Erkrankungen verwickelt zu sein, da-runter so schwerwiegende Krankheitenwie Knochenmarkschädigung und Multi-ple Sklerose. Kein Ansatz zur Behandlungder Viruserkrankungen hat sich bisher alsbefriedigend erwiesen; außerdem sind zu-nehmend Resistenzen gegen derzeitigverwendete Präparate zu beobachten.

Auf der Suche nach neuen, effektivenProdukten sind die Mikroalgen ins Blick-feld der Forscher geraten, da sie durch ih-ren Stoffwechsel eine Vielzahl biologischaktiver Moleküle produzieren, unter ande-rem solche mit antibiotischen, antiviralenund gegen Krebszellen gerichteten Wir-kungen. Verschiedene Extrakte aus Algenhemmen nachweislich die Vermehrung

krankheitserregender Viren. Besondersgut funktioniert diese Gegenwehr beimHumanen Immunschwächevirus HIV undeinigen Herpes Simplex-Viren. Wichtig istnun, herauszufinden, welche einzelnenMoleküle aus dem „Wirkstoffcocktail” be-stimmte Funktionen übernehmen. DurchAufklärung von Struktur und Wirkung derisolierten Komponenten sollen Erkennt-nisse über den Infektionsvorgang gewon-nen werden. Solche Informationen sindgenerell hilfreich, können also zusätzlichzur Bekämpfung anderer krankheitserre-gender Viren beitragen.

Um einzelne Komponenten herauslö-sen und bestimmen zu können, sind ent-sprechende Mengen an Extrakten erfor-derlich. Diesem Bedarf steht die Schwie-rigkeit der Kultivierung entgegen. MancheMikroalgen sind in Kultur nur schwer mitausreichend Licht zu versorgen. Sie gedei-hen schlecht, sterben ab oder vermehrensich nur spärlich, so dass die Zelldichtegering bleibt. Deshalb muss oft vergleichs-weise viel Biomasse bereitgestellt werden,um so viel Wirkstoff zu extrahieren, dasssich der Einsatz in Testverfahren lohnt.Dazu kommen die Anforderungen an einereproduzierbare, monoseptische, d.h. ste-rile Kulturführung. Herkömmliche Produk-tionsanlagen sind thermisch nicht sterili-sierbar; die Gefahr von Verunreinigungenist hoch.

Erst seit kurzem gibt es Photobiore-aktoren, welche die hohen steriltechni-schen Anforderungen für die Entwicklungvon pharmakologisch relevanten Wirkstof-fen erfüllen. In der Arbeitsgruppe „Photo-trophe Mikroorganismen“ sind derartigethermisch sterilisierbare Reaktoren - wiebeispielsweise „Medusa“ - entwickelt wor-den. So steht der intensiven Erforschungder Wirkstoffe, die den Mikroalgen abzu-gewinnen sind, nichts mehr im Weg.

Forum Forschung Bioverfahrenstechnik

70 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Mikroalgen aus modernen Photobioreaktoren als Produzenten von Virostatika

Pharmaziereservoir aus dem Meer

Im Reaktor „Medusa” wachsen winzige, aber leis-tungsfähige Meeresalgen heran. Sie produzierenWirkstoffe, die auf neuartige Medikamente gegenViren hoffen lassen.

Foto: Lehrstuhl für Bioverfahrenstechnik

Lehrstuhl für BioverfahrenstechnikDr. Christian WalterTel.: 09131/85 [email protected]. Tanja KönigTel.: 09131/85 [email protected]

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Eigentlich wird die Zentrale falsch in-formiert. „Verbrennungsgefahr!“, besagtdie Meldung. „Hier ist es unerträglichheiß!“ Tatsächlich herrscht nicht mehr alsnormale Körperwärme, vielleicht sogar nurRaumtemperatur. Um Fehlalarm handeltes sich trotzdem nicht. Zwar bringt keineheiße Herdplatte oder offene Flamme denOrganismus in Gefahr; dennoch ist er be-droht, und das Gehirn interpretiert das Sig-nal korrekt als generelle Warnung. An derUniversität Erlangen-Nürnberg verfolgendrei Arbeitsgruppen im Detail, wie Hitze-empfindlichkeit in der Schmerzwahrneh-mung zum Vielzweck-Werkzeug wird. EinPharmakologe aus Ungarn hatte als Ersterden Weg dazu gewiesen.

Hundert Jahre alt wäre Professor Ni-kolaus Jancso im April 2003 geworden.Auf dem Schreibtisch von Professor PeterReeh vom Institut für Physiologie und Ex-perimentelle Pathophysiologie liegt seitherdie Medaille, in die das Profil des Begrün-ders der Capsaicin-Forschung eingeprägtist. Capsaicin verleiht der Paprika ihre „ty-pisch ungarisches“ Feuer. Jancso hatteden natürlichen Wirkstoff, der auch dieSchärfe von Peperoni oder Chili-Schotenausmacht, isoliert und damit experimen-tiert. „Er war verblüfft über dessen Selekti-vität“, berichtet Prof. Reeh. „Ausschließ-lich Nozizeptoren, schmerzleitende Ner-venfasern, werden davon erregt. Sie dege-nerieren sogar, wenn sie der Substanz län-ger ausgesetzt werden, während andereNerven völlig unberührt bleiben.“

Der Gedanke lag nahe, dass es eineneigenen Rezeptor geben müsse, in densich ein Capsaicin-Molekül einfügt. DerRezeptor wurde gefunden und führte zurnächsten Schlussfolgerung: dass körper-eigene Botenstoffe vorhanden sein müss-ten, die den Nervenreiz auslösen sollen.Moderne molekularbiologische Methoden,die es erlauben, schnell und in großer Zahlidentische Protein-Moleküle nach einemMuster herzustellen, halfen Ende der 90erJahre, passende Substanzen zu entde-cken. Für das Entstehen von Schmerzspielen sie jedoch keine große Rolle. Einanderer Auslöser stellte sich als entschei-dend heraus: die Temperatur.

„Der Capsaicin-Rezeptor wurde alshitzeaktivierter Ionenkanal entlarvt“, er-klärt Prof. Reeh. Sobald die Wärme überdie Schmerzgrenze steigt, öffnet sich derKanal und lässt positiv geladene Ionen

passieren, was die Nervenzelle veranlasst,ihr Warnsignal abzugeben. Dass in derHaut solche hitzeempfindlichen Zellen zufinden sind, ist leicht als sinnvoll zu begrei-fen. Aber welchen Nutzen haben Nozizep-toren in Brustfell und Hirnhaut, im Dick-darm und in der Bauchspeicheldrüse,wenn sie auf 46° Celsius reagieren, einemPunkt auf der Messlatte für Körpertempe-raturen, an dem Mensch und Tier längst totsind? In der Überkapazität liegt ein Hin-weis auf die Reichweite des Wahrneh-mungsmechanismus. Sie bildet eine ArtPufferzone, denn bei jeder Art von Entzün-dung sinkt die Reaktionsschwelle auf nied-rigere Temperaturen, eventuell unter dieKörpertemperatur. Dann meldet die Ner-venzelle „Hitze“, und das Nervensystemübersetzt die Botschaft in „Schmerz“. Un-ter anderen Vorzeichen haben die meistenMenschen selbst schon erfahren, wiediese Kommunikationskette funktioniert:Entzündungsschmerz lässt sich durchKühlung lindern, allerdings nur vorüberge-hend.

Die Alarmanlage des Körpers für Ent-zündungen hat sich inzwischen als rechtvielseitig erwiesen. Capsaicin-Rezeptorenbesitzen Regionen, die auf Hitze, Säure,Schärfe oder Alkohol reagieren (vgl. Abbil-dung). Die Sensibilitätsschwelle wird je-weils durch Phosphor-Bindung gesenkt.Dafür verantwortlich ist, wie Prof. Reeh es

nennt, eine „inflammatorische Suppe“, einCocktail von Mediatoren, also Botenstof-fen, die bei Entzündungen ausgeschüttetwerden. Von den beteiligten Substanzenund ihrem Ineinandergreifen ist mittler-weile manches bekannt, anderes noch un-geklärt. Darüber hinaus existieren vier Ar-ten solcher Ionenkanäle, die auf verschie-denen Genen „festgeschrieben“ sind ander Schmerzentstehung auf unterschiedli-che Weise beteiligt sein können. Auf demscheinbar eng gefassten Arbeitsfeld gibtes für die drei Forscherteams in Erlangenreichlich zu tun.

Forum Forschung Schmerzforschung

71 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Forschungsimpulse aus dem Paprika-Inhaltsstoff Capsaicin

Wenn die Hitzeschwelle sinkt

Abb. 1: Verschiedene Auslöser veranlassen den Capsaicin-Rezeptor, positive Ionen passieren zu lassen.

Arbeitsgruppen in derCapsaicinrezeptor-Forschung:

Prof. Dr. Michaela KressDr. Otilia ObrejaParvinder Kaur Rathee, Doktorandin

PD Dr.Carla Nau, Emmy-Noether-StipendiatinDurga P. Mohapatra, Doktorand

Prof. Dr. Peter ReehDr. Susanne Sauer, HWP-StipendiatinMatma Gautam, PhDDr. Gabor Pethö

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Diagnostische Verfahren, die auf derMessung von Magnetfeldern im Gehirnund deren Veränderungen basieren, sindäußerst zuverlässig, wenn es um das prä-zise Auffinden epileptischer Herde geht.Dies hat sich bei einer Studie herausge-stellt, die unter der Leitung von Prof. Dr.Hermann Stefan bei mehr als 450 Patien-ten am Zentrum Epilepsie Erlangen (ZEE)durchgeführt wurde. So konnte die spezifi-sche epileptische Aktivität durch dieMagnetenzephalographie im Durchschnittzu 70 Prozent erfasst werden. Für die Pa-

tienten ist das erfreulich, denn diese Unter-suchungsmethode erlegt ihnen kaum Be-lastungen auf.

Wo zwischen den Gehirnzellen Stromfließt, verändern sich die elektrischen Po-tentiale und damit die magnetischen Fel-der. Zahlreiche Methoden, die Abläufe imGehirn nachbilden, basieren darauf. DieElektroenzephalographie (EEG) beispiels-weise misst die Hirnaktivität über diewechselnden Zustände der elektrischenFelder von Neuronen. Dazu werden an dieKopfhaut Elektroden angelegt.

Um Schwankungen bei den Magnet-feldern festzustellen, braucht es nicht ein-mal das: die Magnetenzephalographie(MEG), die Hirnfunktionen aufzeichnet,und die Magnetresonanztomographie(MRT), die Strukturen des Organs abbildet,laufen berührungsfrei ab. In der Diagnos-tik, die einer chirurgischen Behandlungvon Epilepsien vorangeht, werden diesebeiden Untersuchungsverfahren unterdem Begriff „Magnetische Quellenlokali-sation” zusammengefasst.

Organisatorisch sind die Untersu-chungen im Sonderforschungsbereich„Pathogenese der Schmerzentstehungund Schmerzbehandlung“ angesiedelt.Bis zum Herbst 2003 leitete Prof. Dr. Mi-chaela Kress eine Arbeitsgruppe, in wel-cher der so genannte Transduktionsme-chanismus der Sensibilisierung analysiertwird. Damit ist der gesamte Ablauf von derBindung an den Rezeptor über die da-durch ausgelöste Kaskade zellbiologi-scher Prozesse bis zum „Feuern“ der Ner-venzelle gemeint. Ein Emmy-Noether-Sti-pendium der Deutschen Forschungsge-meinschaft ermöglicht Dr. Carla Nau dieErforschung der Feinstruktur des Rezep-torproteins. Gezielte Mutationen tauschenabwechselnd jede einzelne der eingebau-ten Aminosäuren aus, damit deren Funk-

tion bis ins kleinste nachvollziehbar wird.Prof. Reeh und seine Mitarbeiter, daruntereine HWP-Stipendiatin, studieren an Handvon Nervenzellpräparaten die Rolle desCapsaicin-Rezeptors als Auslöser vonSchmerz.

Für sie alle gilt trotz unterschiedlicherAnsätze und Methoden dasselbe Fernziel:die Alarmglocke abzuschalten, die unent-wegt weiter schrillt, obwohl der Schadenden Nutzen längst überwiegt; das bedeu-tet: herauszufinden, wie und wo die Kettezu unterbrechen ist, die den Mechanismusbei chronischen Schmerzen in Gang hält.Zwar gibt es Medikamente, die einige derbeteiligten Botenstoffe hemmen. GegenProstaglandine beispielsweise helfen Ace-tylsalicylsäure, besser unter dem Marken-namen Aspirin bekannt, und verwandte

Substanzen. Doch einen einzigen Media-tor zu blockieren, nützt kaum etwas beidauerhaften Entzündungsschmerzen, beidenen eine Unzahl verschiedenartiger Mo-leküle einander Botschaften weiterreichen,die die Nervenzellen immer wieder stimu-lieren.

Eine andere Möglichkeit wäre es, erstam Ende der Kette anzusetzen und den Io-nen den Durchgang zu versperren, als obder Kanal mit einem Pfropfen verschlossenwürde. In ähnlicher Weise funktioniert eineLokalanästhesie. Doch auf diesem Weg gibtes ebenfalls Hindernisse, etwa die Gefahr,ein oder mehrere Organe auf Dauer zuschädigen. Die bis zu 12 Jahre, die den Ar-beitsgruppen in einem Sonderforschungs-bereich an Zeit gegeben werden, sind beider Langwierigkeit der Untersuchungen vollausgefüllt. Sie werden in der Hoffnung in-vestiert, dass es eines Tages gelingt, dafürzu sorgen, dass es schmerzempfindlichenNervenzellen nicht mehr unnötig heiß wird.

Der SFB 353 ist mit dem Jahr 2003ausgelaufen. Prof. Michaela Kress forschtjetzt an der Universität Innsbruck, Dr. Rat-hee ist an das MDC Berlin-Buch gewech-selt, das Ehepaar Dr. Mohapatra/Dr. Gau-tam ist an die UC Davis, USA, weiter gezo-gen. Die Arbeitsgruppe um PD Carla Nauwurde durch den Capsaicinrezeptorfor-scher Dr. Andreas Leffler verstärkt.

Forum Forschung Schmerzforschung/Epilepsieforschung

72 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Prof. Dr. Peter ReehInstitut für Physiologie und Experimentelle PathophysiologieTel.: 09131/85 [email protected]

Abb. 2: Prof. Peter Reeh an der Arbeit mit seinem Haut-Nervenpräparat. Foto: Pressestelle

Umfassende Studie über Magnetfeld-Messungen in der Epilepsiediagnostik

Präzise und schonend

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Erst wenn viele Zellkerne zu Fabrikenfür die Massenproduktion von Viren ge-worden sind, die wiederum ausschwär-men, um neue Zellen zu befallen, könnendie in der Regel harmlosen Viren zu gefähr-lichen Krankheitserregern werden. EineGruppe von Enzymen, die bei Herpesvirendiese rasante Vermehrung in Gang halten,nutzt das Institut für Virologie (Leitung:Prof. Dr. Bernhard Fleckenstein) umge-kehrt als Ansatzpunkt zur Blockade. DieZusammenarbeit von Prof. Dr. ThomasStamminger und Priv.-Doz. Dr. ManfredMarschall mit der Axxima PharmaceuticalsAG in München ist so weit gediehen, dassdie Untersuchungen auf eine breite Grund-lage gestellt werden können. Eine MillionEuro investiert die Bayerische For-schungsstiftung in das dreijährige Koope-rationsprojekt.

Proteinkinasen sind Enzyme, die an-dere Proteine aktivieren oder auch deakti-vieren können. In einer Kette ineinander-greifender Funktionen versetzen sie dieseProteine in einen bestimmten Aktivitätszu-stand, indem sie einen Phosphatrest an-heften. Bei Herpesviren wurden Proteinki-nasen entdeckt, die im Mechanismus derVermehrung ein wichtiges Zwischengliedbilden. Werden sie daran gehindert, ihreBotschaft weiterzureichen, stockt das ge-samte Räderwerk. Insbesondere ein En-zym, das die Bezeichnung pUL97 trägt,hat sich als lohnendes Angriffsziel für eineChemotherapie erwiesen. Dieses Enzymkommt beim humanen Cytomegalovirusvor, einem Vertreter der Herpesviren. DieHälfte der Bevölkerung Mitteleuropas istmit diesem Erreger infiziert, doch merkendie meisten Betroffenen davon nichts.

Bei einer Schwäche des Immunsys-tems wird die Virusinfektion jedoch zumRisiko. Dies trifft vor allem AIDS-Erkrankteund Transplantationspatienten. 60 Prozentaller klinischen Komplikationen beim Or-ganersatz sind auf das Cytomegaloviruszurückzuführen. Gefährdet sind außerdemNeugeborene, vor allem dann, wenn dieMutter während der Schwangerschafterstmals infiziert wird und das ungeboreneKind sich im Mutterleib ansteckt. In Ex-tremfällen ist das Leben des Kindes be-droht. Gerade für solche Fälle gibt es keinebefriedigende Therapie, da die zur Zeit ver-

fügbaren Medikamente erhebliche Neben-wirkungen verursachen.

Die Entwicklung eines neuen Medika-mentes ist ein mehrstufiger Prozess. Ist einmögliches Zielmolekül erkannt und be-schrieben, werden Substanzen gesucht,die exakt an dieses Protein binden und eshindern, seine Funktion auszuführen. Pa-rallel dazu läuft die Suche nach strukturel-len Ähnlichkeiten zu Molekülen, für die be-reits bindende Substanzen identifiziertwurden. Die Voraussetzungen für ein sol-ches zweigleisiges Vorgehen sind durchdie bisherigen Untersuchungen in Erlan-gen gegeben.

8.000 Substanzen, die in Frage kom-men, sind in einem Screening bereits aufihre Fähigkeit getestet worden, das EnzympUL97 zu hemmen. Die Wirkstoffe ließensich in deutlich unterscheidbare Klasseneinteilen. Für jede Klasse kann damit einecharakteristische Leitsubstanz gewähltwerden. Der zweite, ergänzende Ansatz,der Verfahren der Bioinformatik einsetzt,verspricht ebenfalls Erfolg. Über 30 Pro-teinkinasen sind in ihrer Struktur bekanntund stehen zum Vergleich mit dem Cyto-megalovirus-Enzym zur Verfügung. Dasbedeutet eine gute Ausgangslage für dasDrug Design.

Da das humane CytomegalovirusTiere nicht befällt, waren Tests von Medi-kamenten bisher nur beschränkt aussage-kräftig. In dem neuen Projekt soll diesesHindernis durch einen Genaustausch zwi-schen Ratten- und Humancytomegalovi-

ren überwunden werden. Ersetzt wird dergenetische Code für die Proteinkinasen,die bei den zwei Virus-Typen funktionellsehr ähnlich sind. Mit Hilfe dieses neuarti-gen Tiermodells sollte die Medikamentent-wicklung zielstrebig von statten gehen.

Forum Forschung Virologie

74 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Technologische Plattform für eine Medikament-Neuentwicklung

In breiter Frontgegen aggressive Herpesviren

Abb. 1: Durch die Cytomegalovirus-Infektion verän-derte Zellen (sogenannte Eulenaugenzellen) im Ge-websverband. Foto: Institut für Virologie

Abb. 2: Entwicklung von neuen Medikamenten für die Therapie von Herpesvirus-Infektionen (z. B. Cytome-galovirus).

Prof. Dr. Thomas StammingerTel.: 09131/85 [email protected] Dr. Manfred MarschallTel.: 09131/85 [email protected]

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Als Kopie der Erbinformation liefert Ri-bonukleinsäure, kurz RNA, die Bauplänefür Proteine, die im Zellplasma zusammen-gesetzt werden. Als kurzes doppelsträngi-ges Molekül dagegen kann die Kernsäureden Protein-Aufbau verhindern. Diese Fä-higkeit, die RNA-Interferenz, die Pflanzenals Waffe gegen Viren einsetzen, wecktHoffnung auf neue Vorteile im Kampf ge-gen Erkrankungen, speziell gegen dasmenschliche Immunschwächevirus HIV.Ein Projekt von Dr. Karin Metzner am Insti-tut für Klinische und Molekulare Virologieder Universität Erlangen-Nürnberg, dasentsprechende Möglichkeiten auslotet, istin das Förderprogramm der Wilhelm-San-der-Stiftung aufgenommen worden.

Eine HIV-Infektion muss heute nichtmehr in die AIDS-Erkrankung münden. Esgibt eine äußerst wirksame Kombinations-therapie, die den Ausbruch der Krankheitstoppen oder zumindest deutlich hinaus-zögern kann. Doch die Therapie bringtkeine Heilung: das Virus bleibt im Körper,und viele Patienten leiden unter starkenNebenwirkungen, die es nur schwer mög-lich machen, diese Medikamente ein Le-ben lang einzunehmen. Zudem entstehenimmer mehr resistente Viren.

Auf der Suche nach neuen Behand-lungsmethoden sind kurze doppelsträn-gige RNA-Moleküle ins Blickfeld der medi-zinischen Forschung geraten. Sie werdenvon Pflanzen und Insekten synthetisiert,um einzelne Gene gezielt auszuschalten.Dies geschieht, indem sich diese Molekülean eine Ziel-RNA anlagern, die dann alsVorlage für die Protein-Fabrikation entfällt.Da jedes Gen und damit jede zugehörigeRNA-Kopie eine einzigartige Abfolge vonBausteinen aufweist, bindet das bauglei-che interferierende RNA-Molekül aus-schließlich an einen ganz bestimmtenRNA-Abschnitt.

Zwei Chancen gibt es, die Vermeh-rung von Immundefizienz-Viren mittelsRNA-Interferenz zu unterbinden. In denpotentiellen Wirtszellen könnte die Pro-duktion von Proteinen gestoppt werden,die den Viren als Andockstellen auf derZellmembran dienen. Sind die Angreifer je-doch schon eingedrungen, könnte die Vi-rus-RNA im Zellplasma blockiert und auf-gelöst werden, sobald sie die Außenhülle

der Zelle überwunden hat oder sobaldneue Virus-Bauteile nach der Vermehrungden Zellkern verlassen. Nur im Zellkernselbst könnte HIV sich noch ungestört ver-bergen, aber ohne deshalb Schaden anzu-richten.

Experimente in Zellkulturen lassen au-ßerdem darauf hoffen, dass eine RNA-In-terferenz-Therapie keine schweren Ne-benwirkungen hätte. Bevor entschiedenwerden kann, ob dieser Ansatz tatsächlichfür die medizinische Praxis geeignet ist,sind allerdings noch wichtige Probleme zulösen, zum Beispiel, wie die Moleküle der„Eingreiftruppe” verabreicht werden sol-

len, um sicher am Zielort anzukommen. Er-weist sich der neue Weg als aussichts-reich, kann das für die Behandlung derHIV-Infektion wie vieler anderer Krankhei-ten einen großen Fortschritt bedeuten.

Forum Forschung Virologie

76 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Dr. Karin MetznerInstitut für Klinische und MolekulareVirologie Tel.: 09131/85 [email protected]

Wilhelm-Sander-Stiftung fördert Projekt zur AIDS-Forschung

RNA-Interferenz:Kurze Doppelstränge greifen ein

Lebenszyklus des humanen Immundefizienz-Virus (HIV) und RNA Interferenz. Der Eintritt von HIV beginntmit der Interaktion des Hüllproteins gp120 mit dem CD4 Rezeptor und einem Chemokinrezeptor, in dieserAbbildung CCR5 (1). Es folgen die Fusion und der Eintritt des postentry Komplexes in die Zelle (2 und 3). Vi-rale RNA kann in diesem Stadium der Infektion ein Ziel von virus-spezifischer RNA Interferenz-induzierenderKomplexe (vRISC) sein (4). Wird die reverse Transkription der viralen RNA nicht verhindert, kommt es zurEntstehung einen Präintegrations-Komplexes, der in den Zellkern geschleust wird (4). Dort wird das viraleGenom integriert und kann wiederum transkribiert werden. Virale RNA wird aus dem Zellkern in das Zyto-plasma geschleust (5a). vRISC kann sich an die virale RNA anlagern und somit die Proteinsynthese, den Vi-ruszusammenbau und schließlich die Entstehung neuer Viren verhindern (6a). Solche RNA Interferenz-indu-zierender Komplexe können auch gegen zelluläre RNA gerichtet sein (cRISC) und somit zum Beispiel die Ex-pression des Korezeptors CCR5 verhindern, wodurch der Eintritt von HIV verhindert würde (5b und 6b).

Abbildung mit freundlicher Genehmigung von Kitabwalla & Ruprecht, N.Engl.J.Med. 2002.

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Nur an einem Typ von Eiweißstrukturmangelt es Patienten mit einer erblichenErkrankung, die relativ häufig auftritt undschwere Muskelschäden bewirkt. DiesesProtein steht nicht in ausreichender Mengezur Verfügung, weil das zugehörige Gen,der Bauplan, in den meisten Fällen durchMutationen beeinträchtigt ist oder sogarfehlt. Nun zeichnet sich erstmals ein Wegab, der spinalen Muskelatrophie - einerErbkrankheit, die tödlich verlaufen kann -zu begegnen. Die Stelle des defekten Genskönnte eine Kopie einnehmen, die zwarvorhanden, aber nicht ausreichend aktivist. Am Lehrstuhl für Neuropathologie derUniversität Erlangen-Nürnberg hat die Ar-beitsgruppe um Dr. Eric Hahnen, zum Teilin Zusammenarbeit mit der Humangeneti-kerin Prof. Dr. Brunhilde Wirth aus Köln,zwei Medikamente ausfindig gemacht, diedieses zweite Gen in Aktion setzt.

Vor allem eine fortschreitende Mus-kelschwäche und der unaufhaltsame Ver-lust an Muskelmasse sind Merkmale derspinalen Muskelatrophie (SMA). Verant-wortlich für den Muskelschwund ist eineDegeneration bestimmter Zellen im Rü-ckenmark. Wenn ein Neugeborenes mitdieser Krankheit, die zumeist durch Muta-tionen bedingt ist, zur Welt kommt, istseine Lebenserwartung gering. Die SMAgilt bisher als unheilbar.

Nun jedoch zeichnen sich Chancenauf eine erfolgreiche Behandlung ab. Der

Mangel, der die Krankheitssymptome aus-löst, betrifft das sogenannte SMN-Protein.Die Erlanger Gruppe am Lehrstuhl vonProf. Dr. Ingmar Blümcke und die KölnerHumangenetikerin stellten fest, dass dasMedikament Valproinsäure in experimen-tellen Schnittkulturen des Gehirns dieMenge dieses Proteins erhöht. Valproin-säure wird seit Jahrzehnten für die Be-handlung von Epilepsien verwendet.

Das durch Mutationen ausgeschal-tete, als SMN1 bezeichnete Gen, das ei-gentlich die Vorlage für die Proteinproduk-tion abgeben sollte, lässt sich durch diesesMedikament zwar nicht aktivieren. Einezweite Kopie des Gens (SMN2) kann aberdessen Funktion in den Nervenzellen über-nehmen. Genau auf den Mechanismus derAktivierung dieses zweiten Gens zielt dieneue Therapieoption mit Valproinsäure. Sohat die Identifizierung des Gendefektesund die Aufklärung des molekularenKrankheitsmechanismus bei einer erbli-chen Erkrankung erstmals Ansatzpunktefür eine medikamentöse Therapie er-bracht.

Um die Wirksamkeit von Valproin-säure bei SMA-Patienten zu überprüfen,wurden in verschiedenen Zentren bereitsklinische Studien begonnen. Ein Berichtüber die zugrundeliegenden Forschungenist im Oktober 2003 in dem renommiertenFachjournal Human Molecular Geneticserschienen.

Ein weiterer potentieller Wirkstoff fürdie Behandlung der auch tödlichen verlau-fenden Erbkrankheit ist bereits umfassendpatentiert worden. „Besonders glücklichist der Umstand, dass der von uns detek-tierte Wirkstoff für eine andere Indikationbereits in der klinischen Studienphase ist“,erklärt Dr. Eric Hahnen. Damit stehen in re-lativ kurzer Zeit zwei alternative Wirkstoffezur Milderung des Krankheitsverlaufes zurVerfügung. Ein Hoffnungsschimmer für dierund 60.000 Patienten in Europa und denUSA, denn in aller Regel ist die Entwick-lung eines Medikamentes für eine verhält-nismäßig selten auftretende Krankheit fürdie Pharmaindustrie von eher untergeord-netem Interesse.

„In diesem Fall konnten wir als Univer-sitätseinrichtung gewissermaßen in dieBresche springen und dank der Verbin-dung von Grundlagen- und Anwendungs-forschung auch für seltenere Krankheitenwie die spinale Muskelatrophie Therapie-wege aufzeigen“, macht LehrstuhlinhaberProf. Dr. Ingmar Blümcke auf die Bedeu-tung von universitärer Forschung aufmerk-sam. Durch die enge Zusammenarbeit mitDr. Rolf Kapust, dem Erfinderberater undPatentmanager der Universität, wurde diePatentanmeldung ohne großen Aufwandund ressourcenschonend ohne die Ein-schaltung von Patentanwälten vorgenom-men. Beim deutschen Patentamt wurdeein Patentantrag hinterlegt, beim amerika-nischen Patent Office ein US-provisional.Damit sicherten sich die Erlanger Wissen-schaftler die Priorität für einen weltweitenPatentschutz der Forschungsergebnisse.

Die patentierte Erfindung des Lehr-stuhls für Neuropathologie resultiert nichtzuletzt aus dem starken Umfeld der Erlan-ger Mediziniforschung, wo molekulare Me-chanismen der Pathogenese von Erkran-kungen des zentralen Nervensystems seitvielen Jahren erforscht werden.

Forum Forschung Neurologie

78 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Patentanmeldung in Deutschland und den USA

Neue Therapien der spinalen Muskelatrophie

Dr. Eric HahnenLehrstuhl für NeuropathologieTel.: 09131/85 [email protected]

Mikroskopischer Querschnitt durch das gesunde Rückenmark des Menschen. In der Mitte ein Motoneuron,der Zelltyp, der bei SMA-Patienten zu Grunde geht und dadurch die Erkrankung auslöst. Foto: Lehrstuhl

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Um welche Farbe geht es? Wortbe-deutung und Farbeindruck passen nichtzueinander. Die Wahl muss auf das eineoder das andere fallen. Dass die Überein-stimmung fehlt, stört die Bearbeitung derAufgabe ein wenig - nicht so sehr, dassman häufig die falsche Antwort gebenwürde, aber trotzdem so deutlich, dass essich messen lässt. Wahrnehmungspsy-chologen können so mehr darüber lernen,wie das Gehirn Informationen verarbeitet.Experimentelle Untersuchungen von Dr.Peter Wühr am Institut für Psychologie Iführen auf die Spur des Ablaufs von Aus-wahlprozessen.

Oftmals verarbeiten wir Informationenohne Absicht und Mühe. So springt unsder Schriftzug auf einen Werbeplakatförmlich „ins Auge“. In diesem Fall werdenVerarbeitungsprozesse (Lesen) von außenangestoßen und laufen von alleine zuEnde. Einen solchen Vorgang beschreibenWahrnehmungspsychologen als automati-schen Prozess der Informationsverarbei-tung. Demgegenüber kostet uns die Verar-beitung von Information oft auch vielMühe. So fällt es einem Schüler oft schwer,ein Schulbuch und nicht das danebenlie-gende Comic-Heft zu lesen. In solchenFällen sprechen Fachleute von einem kon-trollierten Vorgang der Informationsverar-beitung. Hier müssen innere Kontrollpro-zesse dafür sorgen, dass wir eine be-stimmte Informationsquelle (Schulbuch)privilegiert verarbeiten und andere Infor-mationsquellen (Comic-Heft) vernachläs-sigen. Die inneren Kontrollprozesse be-zeichnet man auch als selektive Aufmerk-samkeit.

Wahrnehmungspsychologen unter-scheiden zwei Mechanismen der selekti-ven Aufmerksamkeit: Ortsbasierte Selek-tion und objektbasierte Selektion. Die Ideeder ortsbasierten Selektion setzt voraus,dass Menschen eine innere Repräsenta-tion der räumlichen Umgebung besitzen.Des weiteren wird angenommen, dass dieAufmerksamkeit (wie eine Art Scheinwer-fer) auf Orte innerhalb der mentalen Land-karte gerichtet werden kann. Die Ausrich-tung der Aufmerksamkeit auf einen Ortführt zur bevorzugten Verarbeitung der In-formation am gewählten Ort. Damit löstder Schüler sein Selektionsproblem, indem er seine Aufmerksamkeit auf die Posi-tion des Schulbuchs fokussiert und nichtauf die Position des Comic-Hefts.

Die Idee der objektbasierten Selektiongeht davon aus, dass frühe Stufen der vi-suellen Informationsverarbeitung zwi-schen rudimentären Figuren und Hinter-grund unterscheiden können. Auf der Ba-sis dieser Unterscheidung kann die objekt-basierte Aufmerksamkeit bestimmte Figu-ren zur weiteren Verarbeitung auswählen.So könnte der Schüler sein Selektionspro-blem lösen, indem er das buchartige Ob-jekt zur detaillierteren Verarbeitung aus-wählt und nicht das heftartige Objekt.

Zur Untersuchung der visuellen Auf-merksamkeit beim Menschen verwendenPsychologen Interferenz-Aufgaben. DieseAufgaben verlangen von den Versuchsper-sonen, relevante Information zu berichtenund irrelevante Information zu ignorieren.Die Frage ist, unter welchen Bedingungendie irrelevante Information die Verarbei-tung der relevanten Information beein-flusst. Eine der bekanntesten Interferenz-Aufgaben stammt von John Ridley Stroop(1897-1973). In der Stroop-Aufgabe zeigtman den Probanden farbige Farbwörter,

wobei die Farbe des Wortes zur Wortbe-deutung kongruent (z.B. das Wort „rot“ inroter Farbe), neutral (z.B. die sinnloseBuchstabenkette „xxx“ in roter Farbe, Ab-bildung 1 Spalte 3) oder inkongruent (z.B.das Wort „rot“ in grüner Farbe, Abbildung 1Spalte 2) sein kann. Sollen die Probandendie Wortfarbe berichten, dann hat die irre-levante Wortbedeutung einen starken Ein-fluss auf die Antwortgeschwindigkeit. Dasheißt, kongruente Reize führen zu deutlichschnelleren Antworten als neutrale Reize.Dagegen führen inkongruente Reize zudeutlich langsameren Antworten als neu-trale Reize. Sollen die Probanden dagegendas Wort vorlesen, dann stört die irrele-vante Wortfarbe kaum. Dieses Ergebnis-muster wird üblicherweise durch den stär-keren Automatisierungsgrad des Wortle-sens erklärt. Demnach ist Lesen ein sostark automatisierter Vorgang, dass esauch ohne Aufmerksamkeit ablaufen unddie kontrollierte Verarbeitung der Wort-farbe stören kann.

Der TTest mmit ddem KKreuz

Untersuchungen der Erlanger Wahrneh-mungspsychologen haben jedoch gezeigt,dass diese weit verbreitete Auffassung un-vollständig ist (vgl. Wühr & Waszak, 2003).In diesen Experimenten berichteten dieVersuchspersonen die Farbe eines vonzwei kreuzförmig angeordneten Recht-ecken - beispielsweise die Farbe des „vor-deren“ Rechtecks (vgl. Abbildung 2). UmStroop-Effekte zu provozieren, wurdenkongruente oder inkongruente Farbwörterentweder im relevanten (vorderen) Objekt,im irrelevanten (hinteren) Objekt, oder imHintergrund gezeigt. Das entscheidendeErgebnis bestand darin, dass Wörter im re-levanten Objekt sehr viel größere Stroop-

Forum Forschung Psychologie

79 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Untersuchungen der visuellen Aufmerksamkeit in der Stroop-Aufgabe

Das Wort Blau in gelber FarbeAbb.1: Machen Sie den Stroop-Test! Mit einer

Stoppuhr und Abbildung 1 können Sie Stroops klas-

sische Ergebnisse replizieren. Für die Spalten 1 und

2 besteht die Aufgabe darin, die Wörter in jeder

Spalte so schnell wie möglich zu lesen und die Far-

ben zu ignorieren. Für die Spalten 3 und 4 lautet die

Aufgabe, die Farben der Wörter bzw. Buchstaben

so schnell wie möglich zu benennen. Decken Sie

immer alle übrigen Spalten ab! Starten Sie die Uhr

mit der ersten Antwort in jeder Spalte; stoppen Sie

die Uhr nach der letzten Antwort. Weitere Erläute-

rungen finden Sie im Text des Artikels.

Abb. 2: Beispiel für eine Versuchsanordnung in derStudie von Wühr und Waszak (2003): Die Proban-den berichten die Farbe des vorderen Rechtecks(blau). Das irrelevante Objekt enthält zwei inkongru-ente Farbwörter (grün) .

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Effekte verursachten als in den übrigen Be-dingungen (vgl. Abbildung 3). Dieses Er-gebnis kann nicht durch orts-basierte Se-lektion erklärt werden, da die Wörter in al-len drei Bedingungen gleich weit von derBildschirmmitte entfernt waren. Richten

die Probanden nur einen „Scheinwerfer“der Aufmerksamkeit auf die Bildschirm-mitte, dann sollten die Stroop-Effekte in al-len Bedingungen gleich groß sein.

Die Ergebnisse sind aber mit der Ideeder objektbasierten Selektion vereinbar.

Demnach selegiert die Aufmerksamkeitdas relevante Objekt, wodurch die Verar-beitung aller Merkmale dieses Objekts ver-stärkt wird. Gehören die Wörter zum rele-vanten Objekt, verstärkt die Selektion dieStroop-Effekte. Demnach scheint die Be-deutung eines Wortes die Verarbeitung derFarbe dieses Wortes - bzw. des Objekts zudem es gehört - nicht nur deshalb zu beein-flussen, weil Lesen - da automatisch - keineAufmerksamkeit benötigt, sondern weildas Wort Teil des durch die Aufmerksam-keit ausgewählten farbigen Objekts ist.

Somit bestätigen die Ergebnisse der Er-langer Wahrnehmungspsychologen die An-nahme eines objekt-basierten Mechanis-mus der visuellen Aufmerksamkeit. Die Er-langer Variante der Stroop-Aufgabe erlaubtes darüber hinaus, diesen Mechanismus aufweitere Eigenschaften zu untersuchen.

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80 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Dr. Peter WührInstitut für Psychologie IKochstraße 491054 ErlangenTelefon 09131/85 [email protected]

Abb. 3: Typische Ergebnisse: Wörter im relevanten Objekt erzeugten größere Stroop-Effekte (Differenz zwi-schen kongruenten und inkongruenten Bedingungen) als Wörter im irrelevanten Objekt oder Wörter im Hin-tergrund. Abbildungen: Institut für Psychologie

Kontakt mit Freunden und Gleichge-sinnten halten, Wissenswertes erfahren,Formalitäten erledigen oder einkaufen,ohne sich aus dem Haus zu rühren: diemoderne Kommunikationstechnik kanneine eingeschränkte Beweglichkeit im Al-ter zwar nicht ausgleichen, aber doch hel-fen, die Begrenzung zu verschmerzen.Wenn Ältere wenig mobil sind, finden siejedoch schwerer als andere Seniorinnenund Senioren den Zugang zu Computerund Internet. Solchen Menschen die neueTechnologie näher zu bringen, ist Teil einesProjekts, mit dem die Einrichtung FIM-NeuesLernen der Universität Erlangen-Nürnberg zusammen mit dem Senioren-Netz Erlangen (SNE) auf bisherige Erfolgeaufbaut.

Altersgemäße Schulungen in der Nut-zung der neuen Informationstechnologienkommen an, wie die bisherige Erfahrungunzweifelhaft bewiesen hat. Nun geht esdarum, den Adressatenkreis auszuweitenund den Lernerfolg dauerhaft zu sichern.Ältere Menschen fühlen sich eher verunsi-

chert und geben schnell auf, wenn sie anminimalen Wissenslücken scheitern. Die-ser vermeidbaren Resignation soll dasProjekt ebenfalls entgegentreten.

Als sinnvoller Weg zu nachhaltigemLernen und zur besseren Erreichbarkeitwird e-Learning getestet. Die Kursabsol-venten können sich nach ihren Präferen-zen in ein virtuelles Kommunikations- undBetreuungssystem einbringen. Eine Tele-fonhotline für Problemfälle, mit ehrenamt-lich tätigen, fachkundigen Senioren als An-sprechpartnern, ergänzt das Angebot. ObEffektivität und Dauerhaftigkeit von Schu-lungen dadurch erhöht werden und was inTechnik und Betreuung zu verbessern seinkönnte, wird sich in der Studie erweisen.

Zahlreiche neue Initiativen beweisen,dass das Interesse an der Computer- undInternetnutzung im höheren Lebensalternach wie vor wächst. Internetcafés, selbst-organisierte Kurse, Neigungsgruppen derverschiedensten Art, Betreuung und Bera-tung werden von älteren Mitbürgern aus-giebig genutzt. Ein eigener Bereich inner-

halb des Projekts befasst sich damit, be-stehende Intiativen stärker zu vernetzen,Kontakte zu intensivieren, für Überschau-barkeit zu sorgen und den Aufbau neuerAktivitäten und Strukturen anzuregen undzu unterstützen. Ein Bündel verschiedenerMaßnahmen steht dafür im Programm.

Die bewährte Partnerschaft von FIM,SNE und Freenet Erlangen-Nürnberg Fürthwird in dem Projekt fortgesetzt. Die Träger-schaft für das Projekt liegt beim Kreisver-band Erlangen-Höchstadt des Bayeri-schen Roten Kreuzes. Das bayerische Fa-milienministerium fördert die Studie seitSeptember 2002 für zwei Jahre.

Neue Modelle zur Schulung von Älteren in der Computer- und Internetnutzung

E-Learning mit Seniorenhotline

Marcel Plechaty M.A.FIM-NeuesLernenInstitut für Psychologie ITel.: 09131/507292 [email protected]

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Bedürfnisse und Probleme ältererMenschen gewinnen in Europa an Bedeu-tung. Zur Lebensqualität im Alter gehörtes, so lang wie möglich ohne Hindernissemobil zu sein und am Straßenverkehr teil-nehmen zu können, denn reduzierte Mobi-lität erschwert es älteren Menschen, amsozialen Leben teilzunehmen, und dieskann zu Immobilität führen - ein Teufels-kreis. Um Probleme in diesem Bereich zuidentifizieren und auszuschalten, hat dieEuropäische Union das ForschungsprojektSIZE (Life Quality of Senior Citizens in Re-lation to Mobility Conditions) eingerichtet,an dem acht Länder beteiligt sind. FürDeutschland arbeitet das Institut für Psy-chogerontologie unter Leitung von Prof.Dr. Heinz Jürgen Kaiser und Dipl. Päd.Bertram Kraus mit an den Untersuchun-gen. Die Ergebnisse von qualitativen Inter-views aus einer ersten Projektphase liegennun vor.

Genauso unterschiedlich wie Lebens-umstände, Gesundheitsstatus, Wohnsi-tuation oder finanzielle Mittel sind die Er-fahrungen von Seniorinnen und Seniorenmit Mobilität und Verkehrsbedingungen.Menschen, die gesund und mit einem aus-reichenden finanziellen Polster alt gewor-den sind, haben meist keine oder geringeSchwierigkeiten, mobil zu bleiben. Betrof-fene und Experten sind sich darin einig.

Dennoch gibt es aus beider Sicht eineReihe von Kritikpunkten. Technische Män-gel werden dabei ebenso genannt wie Ver-kehrsabläufe, die für ältere Menschenschwer zu meistern sind, oder ungünstigeinfrastrukturelle Bedingungen. Geklagtwird vor allem über negative Erfahrungenim Öffentlichen Personennahverkehr(ÖPNV). Linienführung und Fahrpläne sindhauptsächlich auf die Bedürfnisse von Be-rufstätigen und Schülern zugeschnitten.Auch die technische Ausstattung der Fahr-zeuge wird in vieler Hinsicht als verbesse-rungsfähig angesehen.

In Bezug auf die Verkehrsinfrastrukturwurden die städtischen Ballungszentrenrelativ gut bewertet, Randlagen oder länd-liche Gebiete eher schlecht. Überraschen-derweise beurteilen aber die Inter-viewpartner, die auf dem Land leben, diedortigen Mobilitätsbedingungen besserals erwartet. Mängel der Infrastruktur wür-den kompensiert durch nachbarschaftli-che Unterstützung, wie etwa durch Fahr-gemeinschaften. Überhaupt erscheinen

den Senioren die Lebensbedingungen aufdem Land in einem besseren Licht als ver-mutet. Dort sind Verwahrlosungssignale(schmuddelige Straße und Plätze, Grafit-tis, herumlungernde Jugendliche etc.) we-niger verbreitet als in den Großstädten.Solche Signale wirken auf ältere Men-schen bedrohlich und bewegen sie dazu,sich seltener aus dem Haus zu wagen.

Generell betonten die Gesprächspart-ner die Bedeutung von sozialen Bedingun-gen auf die Mobilität älterer Menschen.Das diskriminierende, unter Umständenbedrohlich wirkende Sozialverhalten vielerVerkehrsteilnehmer, insbesondere der jün-geren, wird hier ebenso genannt wie man-gelnde Hilfsbereitschaft und Freundlich-keit. An Dienstleistung fehlt es ebenfalls.Personal im ÖPNV wurde abgebaut, undApparate können kompetente Ansprech-partner nicht ersetzen. Besonders dieFahrkartenautomaten schneiden schlechtab, die oft auch Jüngere verwirren. AufBahnhöfen befremdet die Computer-An-sage, und unverständliches „Denglisch“erschwert die Orientierung der Senioren.

Etwa die Hälfte der Befragten verfügtüber einen Führerschein und eigenenPKW. Allerdings nutzen einige die Fahrer-laubnis kaum oder gar nicht. Behalten wol-len sie die meisten dennoch so lange wiemöglich. Das Auto ist für sie nicht nur Fort-bewegungsmittel, sondern Ausdruck ihrerIndividualität und bis zu einem gewissen

Grad Schutz vor enger Tuchfühlung mit an-deren Verkehrsteilnehmern. Nach Mei-nung der Experten spricht nichts dagegen,„auto-mobil“ zu bleiben, solange Gesund-heitszustand und Leistungsfähigkeitselbstkritisch beurteilt werden. Eine Son-derüberprüfung älterer Autofahrer lehnendie Fachleute ab.

Gefährlicher ist es dagegen für Senio-ren, als Fußgänger unterwegs zu sein, wiedie Unfallstatistik belegt. Hier werden in-tensive Verkehrssicherheitsarbeit und bes-sere städtebauliche Bedingungen ange-mahnt. Auch über alternative Mobilitäts-formen müsse nachgedacht werden.

Grundsätzlich fordern Fachleute dieÄlteren auf, die bestehenden Möglichkei-ten und Angebote flexibel für sich zu nut-zen und zu kombinieren. Bis zu einem ge-wissen Grad könnten sie zudem ihr politi-sches Gewicht nutzen, um die Verkehrsin-frastruktur in ihrem Sinne zu verbessern.

Das Gesamtprojekt SIZE, das vonDeutschland, Irland, Italien, Österreich,Polen, Schweden, Spanien und der Tsche-chischen Republik umgesetzt wird, läuftbis Ende 2005.

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81 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Europäisches Forschungsprojekt zur Mobilität iim Alter

Zu Hause bleiben muss nicht sein

Fahrkartenautomaten sind nicht nur für ältere Menschen oft unübersichtlich. Foto: Pressestelle/M. Schübel

Prof. Dr. Heinz Jürgen KaiserInstitut für PsychogerontologieTel.: 09131/85 [email protected]

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Unter ungewöhnlichen und ungemüt-lichen Bedingungen wachsen Kaltwas-serriffe, die vor kurzem im norwegisch-schwedischen Grenzgebiet im Skagerrakneu entdeckt wurden. Als Teilnehmer einerExpedition mit dem Kieler Forschungs-schiff Alkor fanden Prof. Dr. André Freiwaldvom Institut für Paläontologie und seineMitarbeiter Ansiedlungen der weißen Lo-phelia, die als Tiefseekoralle bekannt ist.Die Kolonien der Koralle, die noch in 1.000Metern Meerestiefe gut gedeiht, liegen ineinem Bereich von nur 80 bis 120 Meternunter der Meeresoberfläche, wo das Le-ben für diese Blumentiere nicht einfach ist.

Untersuchungsgebiet war die kaumerforschte Schärenlandschaft am Eingangdes Oslo-Fjordes. Mit einem Fächerecho-

lot wurde der Meeresboden in der Hoff-nung abgetastet, die für Korallenriffe typi-schen Strukturen abzubilden, denn Fi-scher hatten wiederholt von lebenden Ko-rallen in ihren Netzen berichtet.

Tatsächlich fand ein mit Kamera aus-gestatteter Tauchroboter drei Siedlungenvon lebenden Korallen. Die Lophelia-Kolo-nien haben nur einen äußerst engen Le-bensraum zur Verfügung. Brackwasseraus der Ostsee, das unverträglich für dieKorallen ist, fließt als obere Strömung inRichtung Atlantik. Es wirkt wie ein Deckelan der Meeresoberfläche. Darunter ragteine dünne Wasserzunge als Tiefenstromvom atlantischen Ozean in das Skagerrakhinein. Nur in dieser schmalen Nische kön-nen die Kaltwasserkorallen siedeln.

Das Leben der Korallen am ökologi-schen Limit hat mit erdgeschichtlichen undklimatischen Veränderungen zu tun. Voretwa 10.000 Jahren schmolz der skandi-navische Eispanzer vergleichsweise raschab. Infolgedessen hob sich der Untergrunddes Oslo-Region um fast einen Kilometer.Die lebenden Riffe stiegen mit demMeeresboden nach oben. Wenn diese Ten-denz anhält, bedeutet dies das Ende derKorallen im Oslo-Fjord - nicht durchmenschliche Eingriffe bedingt, sonderndurch eine geologische Entwicklung. Be-reits abgestorbene Riffkomplexe, von rie-

sigen Schwämmen überzogen, zeigen, wiedieses Ende aussehen könnte.

André Freiwald und seine Mitarbeitersind sicher, dass die Proben, die im Verlaufder Expedition genommen wurden, helfenwerden, die spannende Geschichte einesRiffgebiets vom Ausgang der letzten Eis-zeit bis zum natürlichen Vergehen zu ent-schlüsseln.

Forum Forschung Mosaik

82 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Neu entdeckte Korallenriffe im Skagerrak

Leben am ökologischen Limit

Bizarre Geodia-Schwämme besiedeln tote Riffe, diedurch die Bodenanhebung in die Brackwasserzonegeraten sind. Abbildungen: Inst.f. Paläontologie

Das Expeditionsgelände des Forschungsschiffes.

Prof. Dr. André FreiwaldInstitut für PaläontologieTel.: 09131/85 [email protected]

Um Kunden zu erreichen, sich mit Lie-feranten abzustimmen oder Anteilseignerüber neue Entwicklungen zu informieren,ist das Internet als schnelles und flexiblesInstrument unschlagbar. Gerade kleinenund mittleren Betrieben wäre es mit die-sem Werkzeug möglich, ihre Anspruchs-gruppen individuell und zielsicher anzu-sprechen. Die Unternehmenskommunika-tion über das Netz krankt jedoch vor allemdaran, dass es an Filtersystemen fehlt,welche die Informationsflut in die richtigenKanäle leiten und sich der rasch wechseln-den Bedarfslage anpassen. Dies hat Mar-tin Stößlein in seiner Forschungsarbeit beiProf. Peter Mertens im Rahmen des Pro-jekts AIDAR am Bayerischen Forschungs-

zentrum für Wissensbasierte Systeme(FORWISS) festgestellt. Er zeigt auf, wieInformationen dorthin gelangen, wo siesinnvoll und erwünscht sind.

Gesetzlich festgelegte Pflichten zurVeröffentlichung müssen eingehalten wer-den. Alle Anspruchsgruppen oder „Stake-holder“, die in Beziehung zum Unterneh-men stehen, haben Bedarf an Informatio-nen, und zwar in sehr unterschiedlichemMaße. Kunden sind an anderen Details in-teressiert als Lieferanten oder Mitarbeiter.Anteilseigner und Fremdkapitalgeberbrauchen Entscheidungsgrundlagen, undein eigenes Informationsprofil für die ge-sellschaftliche Umwelt kann ebenfalls vonNutzen sein.

Alle diese Anforderungen lassen sichnach den Erkenntnissen im Projekt zur„Außen- und Innendarstellung von Unter-nehmen“, das im Kürzel AIDAR zusam-mengefasst ist, mit Hilfe sogenannter„Stakeholder Information Systems“ erfül-len. Sie beruhen auf eingehenden Analy-sen, wer welche Informationen zu welcherZeit und auf welchem Weg erhalten sollte.

Außen- und Innendarstellung von Unternehmen über das Internet

Kommunikation mit AIDAR

Dipl.-Ing. Martin StößleinTel.: 0911/5302 [email protected]

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Es wird besser, aber es ist noch nichtvorbei: Antisemitismus unter Deutschen.In Form eines Arbeits- und Diskussionspa-piers haben Reinhard Wittenberg und Ma-nuela Schmidt antisemitische Einstellun-gen in Ost und West und ihren Wandel ver-glichen. Die Wissenschaftler der Wirt-schafts- und Sozialwissenschaftlichen Fa-kultät arbeiteten mit zwei repräsentativenund relativ aussagekräftigen Bevölke-rungsumfragen, die 1994 und 2002 vonEmnid und Infratest durchgeführt wordenwaren. Im Mittelpunkt stand die Frage, obund wenn ja, wie sich das Ausmaß antise-mitischer Einstellungen in Deutschlandseit 1994 geändert hat.

Grundsätzlich setzt sich der Trend zurAbschwächung antisemitischer Einstel-lungen fort. Der Anteil jener, die Juden „lie-ber nicht als Nachbarn haben wollen“, hatsich von 1994 bis 2002 von 23,4 auf 18,4Prozent reduziert. Dass „die Vernichtungder Juden durch die Nazis niemals stattge-funden hat“, halten nur noch 1,9 statt frü-her 9 Prozent für möglich. Getrübt wird dasBild durch die Antworten auf die Fragennach den „Einfluss von Juden auf dasWeltgeschehen“ und der „Ausnutzung desHolocaust durch Juden“.

Rund 83 Prozent aller Teilnehmerin-nen am Mädchen&Technik-Praktikum2003 sind prinzipiell an einem technischenStudium interessiert. Ein Viertel der Be-fragten entschied sich sogar mit einemklaren Ja für ein technisches Studium. Dasist eines der Ergebnisse einer Evaluations-studie über das Mädchen&Technik-Prakti-kum an der Technischen Fakultät der Uni-versität Erlangen-Nürnberg, die in diesemJahr erstmals vom Institut für Soziologieunter der Leitung von Dr. Aida Boschdurchgeführt wurde. Die Studie beschäf-tigte sich mit der Bewertung des Prakti-kums durch die Teilnehmerinnen und ver-suchte zudem, den schulischen und fami-lären Hintergrund der Mädchen besser zubeschreiben.

93 Prozent der Teilnehmerinnen wür-den das Praktikum ihrer besten Freundinempfehlen. Besonders positiv wurden in-haltliche Aspekte bewertet. Von etwa 47Prozent wurden vor allem die Versuche po-sitiv hervorgehoben. Die Ergebnisse spre-chen für die inhaltlich-aufgabenorientierteMotivation der Teilnehmerinnen, am Prak-tikum teilzunehmen und dort erste „Uni-Luft“ zu schnuppern. Negativ beurteiltwurden in erster Linie organisatorischeDinge, etwa die zeitliche Einteilung derVersuche, die Beschilderung und räumli-che Aufteilung.

Einen starken Einfluss auf die Interes-sen der befragten Mädchen hat das Eltern-haus. Technisch interessierte Mädchen

haben signifikant häufiger als andere El-tern mit technischem oder naturwissen-schaftlichen Berufen. Die größere Gruppeorientiert sich dabei am Rollenbild des Va-ters. Nur außergewöhnlich technisch inte-ressierte Mädchen nehmen sich über-durchschnittlich oft einer Mutter mit tech-nischem Beruf zum Vorbild.

Forum Forschung Mosaik

83 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Evaluation des Mädchen&Technik-Praktikums 2003

Was macht Mädchenzu „Tekkies“?

Dr. Aida BoschInsitut für SoziologieTel.: 09131/85 [email protected]

Begegnung mit der Technikwissenschaft. Foto: I. Rein-Brandenburg

Tomaten aus Franken oder aus Spanien? Die Trans-portstrecke ist bei Regionalprodukten nicht dasEntscheidende. Foto:Pressestelle/M. Schübel

Wieviele Kilometer zwischen Herstel-lung und Verbrauch liegen, sagt nichts da-rüber aus, ob Produkte für die Umwelt bes-ser oder schlechter sind. Diese Positionvertritt Dr. Ulrich Ermann, Kulturgeographan der Universität Erlangen-Nürnberg, inseiner Doktorarbeit zum Thema „Regional-produkte“. Er beschreibt die Regionalisie-rung von Nahrungsmitteln als einen An-satz, um persönliche Beziehungen der Ver-braucher zur Nahrungsmittelerzeugungund ein Verantwortungsbewusstsein ge-

genüber den Produktionszusammenhän-gen zu fördern. Die aktuelle Diskussionüber die Energieeffizienz regionaler Nah-rungsmittel, so Ermann, gehe also an dereigentlichen Problematik vorbei.

Debatte um Energieeffizienz regionaler Nahrungsmittel

Nähe im sozialen Sinn

Dr. Ulrich ErmannInstitut für GeographieTel.: 09131/85 [email protected]

Dr. Reinhard WittenbergTel: 0911/5302 [email protected]

Deutscher Antisemitismus

Ausmaßrückläufig

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Programme ffür IItalienisch uund SSpanisch

Español online und Italiano online sindmultimediale, internetbasierte Sprachlern-programme, die, von Nullkenntnissen aus-gehend, bis zum Niveau B2 des vom Euro-parat definierten Referenzrahmens führenund damit der Stufe II von UNIcert® ent-sprechen. Beide Projekte werden zusam-men mit den Universitäten Augsburg undBayreuth entwickelt. Die Kursteilnehmersollen auf ein Kompetenzniveau gebrachtwerden, das es ihnen ermöglicht, einenStudienaufenthalt in dem jeweiligen Landerfolgreich zu absolvieren.

Da das Erlernen einer Fremdspracheoft schon an den übervollen Stundenplä-nen des Fachstudiums scheitert, soll hierein möglichst zeit- und ortsunabhängigesAngebot realisiert werden. Um diesen An-forderungen gerecht zu werden, verknüp-fen die beiden Projekte in Anlehnung an

das „Blended-Learning“-Konzept autono-mes Fremdsprachenlernen am Computermit Kontaktunterrichtsanteilen.

Im Mittelpunkt steht das autonomeLernen: Die Studierenden werden in virtu-elle Klassen eingeteilt und erarbeiten dieLerneinheiten individuell, bestimmen Mo-dus und Tempo selbst. Konzeption undAufbau der Lernumgebung und des Lern-programms fördern jedoch auch die ko-operative Arbeit und die Entwicklung voneigenen Lernstrategien übers Internet; injeder Lerneinheit sind Paar- oder Grup-penaufgaben vorgesehen. Das Selbstler-nen wird online von einem Tutor begleitet.Er ist der Ansprechpartner bei allen auf-kommenden Problemen und Schwierig-keiten, übernimmt Coaching, Fachbera-tung und die Korrektur der Übungen.

Abgerundet wird der Online-Sprach-kurs durch einzelne Sitzungen im Präsenz-unterricht, die besonders der kommunika-tiven Kompetenz gewidmet sind. Sie wer-den in Bezug auf Häufigkeit und Dauer aufdie jeweilige geographische Zusammen-setzung des virtuellen Kurses abgestimmt.

Mit diesem Konzept wollen Españolund Italiano online die unbestrittenen Vor-teile der Neuen Medien im Fremdspra-chenunterricht mit einer modernen kom-munikativen und handlungsorientiertenFremdsprachendidaktik verbinden. ImLernprogramm werden alle sprachlichenFertigkeiten berücksichtigt und anhand ei-ner breiten Auswahl an Übungstypen ab-wechslungsreich und interaktiv trainiert.Auch der Förderung der interkulturellenKompetenz und der kontinuierlichen Ver-mittlung von landeskundlichem Wissen isteine große Bedeutung beigemessen.

Beispiel IItaliano OOnline: DDie vvirtuelle SStadt

Der Italienisch-Kurs spielt in einer virtuel-len Stadt. Diese Stadt, genannt CIVIS(Città Italiana Virtuale per l'Insegnamento aStranieri), dient als Orientierungsrahmen.Alle Funktionen des Hauptmenüs werdendurch Ortsmetaphern bezeichnet, damitder Standort klar und überschaubar wie-dergegeben wird. So ist z.B die Suchfunk-tion unter dem Button „Bibliothek“ abruf-bar, und der Tutor kann in seinem Zimmerim Bereich „Universität“ erreicht werden.

Die Hauptnavigation erfolgt durcheine Navigationsleiste, die immer einge-blendet ist. Im öffentlichen Bereich sindalle Funktionen anklickbar, die für den Kursnotwendig sind, darunter die Einführungs-seite, die Bibliothek, die Universität unddie Foren. Im persönlichen Bereich werdenalle Einstellungen der einzelnen Benutzergespeichert und alle Dateien und Kursin-halte abgelegt, die der Lernende bewahrenmöchte. Darüber hinaus sind weitere Ma-terialien abrufbar, die online verfügbarsind, wie Radio- bzw. Videosendungen, in-teressante Links usw.

Die computergestützten, internetba-sierten Selbstlernkomponenten nehmen

etwa zwei Drittel des Programms ein, wo-bei die Studierenden jederzeit die Online-Betreuung in Anspruch nehmen können.Der computergestützte Teil setzt sich ausden unterschiedlichen Übungstypen, ei-nem virtuellen Campus, einem Forum fürDiskussionen, Kommunikationswerkzeu-gen wie Chat, Video-Konferenz, E-Mail undweiteren Komponenten zusammen. Dane-ben steht der Präsenzunterricht, der denStudierenden die Möglichkeit bietet, mitKommilitonen und ihrem Tutor verschie-dene Übungen gemeinsam zu erarbeiten.

Beide Kurse bestehen aus insgesamtvier Modulen, die jeweils in weitere Teilein-

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84 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Sprachenzentrum an bayernweitem Projektverbund beteiligt

Viele Sprachen, viele ChancenDie Forderung nach praktisch ver-

wertbaren Fremdsprachenkenntnissen inzumindest einer, möglichst aber mehre-ren Fremdsprachen für Studierendegleich welcher Fachrichtung ist zu einemallgemein akzeptierten Gemeinplatz ge-worden. Vor dem Hintergrund der zusam-menwachsenden europäischen Gemein-schaft, von gemeinsamen Mobilitätspro-grammen, von einer stetigen Intensivie-rung internationaler wirtschaftlicher undwissenschaftlicher Verflechtungen hatder Erwerb fremdsprachlicher Kompe-tenz in den letzten Jahren einen neuen

Stellenwert gewonnen. Gefördert durchden Freistaat Bayern, den EuropäischenSozialfonds (ESF) und die beteiligtenHochschulen haben sich acht bayerischeSprachenzentren zum ProjektverbundSprachChancen zusammengeschlossen,um durch die Erstellung von multimedia-ler Sprachlernsoftware den gestiegenenAnforderungen des Arbeitsmarktes an dieFremdsprachenkenntnisse zukünftigerArbeitnehmer Rechnung zu tragen. DasSprachenzentrum der Universtiät Erlan-gen-Nürnberg ist mit vier Projekten andiesem Programm beteiligt.

UNIcert®

Das Zertifikatssystem UNIcert® basiertauf einer Rahmenvereinbarung deut-scher Universitäten und Fachhoch-schulen mit der Zielsetzung, die Gleich-wertigkeit der Sprachausbildung anden Hochschulen voranzutreiben. Aufdiese Weise soll die Zertifizierungspra-xis von Fremdsprachenkenntnissen imHochschulbereich stärker vereinheit-licht werden, so dass Sprachdiplomeaussagekräftiger und auch außerhalbder Hochschulen akzeptiert werden.Gleichzeitig dient UNIcert® als Güte-siegel für die Qualität der Fremdspra-chenausbildung an den akkreditiertenHochschulen. Abb. 1: CIVIS, die virtuelle Stadt des Kurses „Ita-

liano Online“. Abbildungen: Sprachenzentrum

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heiten untergliedert sind. Für die Bearbei-tung eines Moduls sind rund 80 Stundenzu veranschlagen, was einem SemesterPräsenzunterricht entspricht. Jedes Modulwird mit einer Abschlussklausur vor Ortbeendet, deren Bestehen Voraussetzungfür das nächste Modul ist.

Eine wichtige Rolle kommt der Eva-luation zu. Die von den Studierenden er-worbenen Kenntnisse werden von den Tu-toren während der Klausur und von denStudierenden selbst am Ende jeder Einheitbewertet. Daneben haben die Studieren-den die Möglichkeit, ihre persönliche Mei-nung zu dem Programm, den verwendetenMaterialien und den Tutoren zu äußern. DieAutoren des Programms berücksichtigendies bei der Weiterentwicklung.

Fachsprache EEnglisch

Die beiden fachsprachlichen Projekte Eng-lish for Economics und Presentation Skillsin English orientieren sich in ihrem didakti-schen Ansatz ebenfalls am 'Blended Lear-ning' Konzept und an den Vorgaben vonUNIcert®, sind jedoch als einsemestrigeKurse konzipiert.

English for Economics wird speziellfür Studierende von volks- und betriebs-wissenschaftlichen Studiengängen entwi-ckelt. Anhand von fachbezogenen Mate-rialien sollen „Soft Skills“ trainiert sowiefachsprachliche Kenntnisse erworben undvertieft werden. Ziel des Projekts ist es,

Unterrichtsformen und Unterrichtsmate-rialien zu entwickeln, die das Verstehenvon Vorlesungen und Fachvorträgen sowiedas Leseverstehen von Fachliteratur för-dern, das Verfassen von Berichten, Ab-stracts und Mitteilungen erleichtern undeine adäquate Sprechfertigkeit in beruflichrelevanten kommunikativen Situationenbereitstellen. Darüber hinaus soll landes-spezifisches Wissen über einschlägige Be-rufsfelder vermittelt werden.

In den Online Einheiten werden grund-legende volkswirtschaftliche Themen be-handelt, beispielsweise Wirtschaftssys-teme englischsprachiger Länder sowie As-pekte der Globalisierung. Sie werden er-gänzt und abgerundet von drei Präsenz-veranstaltungen in den Multimedia Laborsdes Sprachenzentrums. Um die koopera-tive Arbeit zu fördern, werden die Kursteil-nehmer in Online-Lerngruppen aufgeteilt:Jede Gruppe arbeitet an einem InternetRecherche Projekt und präsentiert Ergeb-nisse während eines Workshops.

Auf Textanalysen basierende Übun-gen ermöglichen es den Teilnehmern, ihrefachsprachliche Lexik und Idiomatik zu er-weitern. Dabei soll das entdeckende Ler-nen gefördert werden: Die Studierendenbeobachten die Sprache im Gebrauch undleiten selbständig Regeln und Gebrauchs-muster ab. Wichtiger Bestandteil des Kur-ses sind verschiedene Tools, die der Orga-nisation, der Kommunikation und der Moti-vation dienen. Außerdem können die Kurs-teilnehmer ihren Lernfortschritt anzeigenlassen und mit Hilfe von Online-Nach-schlagewerken recherchieren.

Um den Kurs realistischer zu gestal-ten, ist er um ein fiktives Unternehmen na-mens „Econucopia“ angelegt. Der Studentbeginnt den Kurs als neuer Mitarbeiter miteinem festgelegten Gehalt und vorgegebe-nen Aufgaben für die erste Einheit undkann sich bis zum Geschäftsführer derFirma hocharbeiten.

Auftritt wwie iim TTheater

Presentation Skills in English bietet eineEinführung in die Theorie der Präsentati-onstechniken, die mit Hilfe eines breitenSpektrums an interaktiven Übungstypen indie Praxis umgesetzt werden. Ziel ist es,Unterrichtsformen und Unterrichtsmate-rialien zu entwickeln, die den Studierendenaufzeigen, wie man gesprochenes Eng-lisch effektiv für einen informativen, kurz-weiligen und überzeugenden Vortragnutzt. Die Vor- bzw. Aufbereitung von Prä-sentationen spielt eine ebenso zentraleRolle wie Strategien der Diskussionslei-tung und der Gesprächsführung. Rollen-spiele sollen die Fähigkeit vermitteln, an-

gemessen Kritik zu üben und den Umgangmit positivem und negativem Feedback zuschulen. Beim handlungsorientierten Pro-blemlösen in Gruppen wird das Sprechver-halten mittels Videoaufzeichnungen an-schließend auf seine Wirkung und Effekti-vität hin analysiert und gegebenenfallskorrigiert.

In diesem 'blended learning' Konzeptsind zwei Präsenzveranstaltungen vorge-sehen: Ein Einführungsseminar sowie einzweitägiger Workshop. Dazu kommen 25Online-Stunden, anhand derer sich dieKursteilnehmer auf ihren eigenen Vortragvorbereiten. Die Online Lernumgebunggleicht dem „Globe Theater“ in London:Teilnehmer und Teilnehmerinnen werdeneingeladen, sich als Darsteller für einenBühnenauftritt unter der Leitung des Thea-termeisters William Shakespeare vorzube-reiten. Durch die vier Module zu Analyseund Zielsetzung, zur Erstellung desSkripts, dem Einsatz visueller Hilfsmittelund dem bühnenreifen Auftritt werden sievon „Mini-Shakespeares“ geleitet, die alsProduzent, Autor, Designer und Darstellerauftreten. Dem erfolgreichen Schauspiel-schüler winkt nach Abschluss des Kursesein Preis. Langfristig sollen Kurse entwi-ckelt werden, die auf die Bedürfnisse derjuristischen, wirtschaftswissenschaftli-chen und technischen Fakultäten maßge-recht zugeschnitten sind.

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85 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Der EEuropäische SSozialfonds ((ESF)

Mit dem ESF hat sich die EuropäischeUnion ein Finanzinstrument geschaffen,mit dem sie ihre beschäftigungspoliti-schen Ziele in konkrete Maßnahmenumzusetzen versucht. Es handelt sichhierbei um den ältesten Strukturfondsder EU, der bereits im Vertrag von Romverankert ist und seit über 40 Jahren inKooperation mit den Mitgliedstaaten inProgramme investiert, die den Men-schen helfen sollen, ihre beruflichenQualifikationen zu verbessern und da-mit ihre Anpassungsfähigkeit auf demArbeitsmarkt zu steigern.

Abb. 2: Aspekte der Globalisierung werden im KursEnglish for Economics behandelt.

Abb. 3: Das Theater als Sinnbild für Präsentation.

Prof. Dr. Gerhard KollerSprachenzentrumTel.: 09131/85 [email protected]

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Wer sich anschließen will, muss sichanpassen. Von den Beitrittskandidaten derEuropäischen Union wird erwartet, dasssie Wandlungsprozesse in Gang setzen,damit sie gleichrangig und gleich verant-wortlich neben den derzeitigen Mitgliedernstehen können. Eingeschliffene Abläufe,gewachsene Institutionen und Gewohn-heiten, die einer Modernisierung entge-genstehen, verschwinden jedoch nicht wi-derstandlos. Unter der Leitung von Prof.Dr. Roland Sturm vom Institut für PolitischeWissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg wird am Beispiel von regionalenStrukturen in Ungarn, Polen und Rumäniennach voraussichtlichen Reibungsflächenund nach Möglichkeiten zu deren Ent-schärfung gesucht. Die Volkswagen Stif-tung hat für das Forschungsvorhabenknapp eine Viertel Million Euro zur Verfü-gung gestellt.

Sechs Universitäten und Forschungs-institute aus Deutschland und den dreiStaaten, denen die Untersuchung gilt, wir-ken in dem Projekt zusammen. Die Koordi-nation liegt bei Dr. Jürgen Dieringer vomSozialwissenschaftlichen Forschungszen-trum der Universität Erlangen-Nürnberg.Zsuzsanna Kicsi aus Rumänien und Mo-nika Olewinska aus Polen sind als wissen-schaftliche Mitarbeiterinnen dabei. DasProjekt ist stark praxisorientiert. Nach zweiJahren, wenn die Studien abgeschlossensind, sollen typische Problemlagen be-nannt und Lösungsstrategien aufgezeigtwerden, die auf andere Beitrittsländerübertragbar sind.

Regionen als Prüfsteine

Verbunden mit dem Beitritt zur EU habenmittel- und osteuropäische Länder damitzu rechnen, dass die Europäische Kom-mission, welche die Osterweiterung koor-diniert und den Europäisierungsprozessinsbesondere auf regionaler Ebene voran-treiben soll, darauf drängt, moderne Struk-turen in Politik und Verwaltung aufzu-bauen. Die Wissenschaftler gehen davonaus, dass dies nicht ohne Spannungenzwischen den gewachsenen nationalenMustern und der übergreifenden „neuenOrdnung“ geschehen kann.

Von besonderem Interesse ist die Ver-einbarkeit von regionalen Verwaltungs-

strukturen und Institutionen in Mittel- undOsteuropa mit den Vorgaben der Gemein-schaft, da sich hier, wie die Forscher mei-nen, zu einem wesentlichen Teil entschei-den wird, inwiefern die EU-Erweiterunggelingt. Es wird vermutet, dass deutlicheUnterschiede in Art und Ausmaß der An-passung, dem zeitlichen Ablauf und denArgumentations- und Legitimationsmus-tern feststellbar sind. Entsprechend ver-schiedenartig könnten die Ergebnisse aus-fallen, die die Realität in den Nationen undRegionen prägen werden. Vom Verlauf desWechselspiels von Wandel und Behar-rungsvermögen wird abhängen, ob die Re-gionen in den Beitrittsländern „europafit“werden und es der EU gelingt, breite ge-sellschaftliche Akzeptanz zu finden.

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86 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Europäisierung regionaler Strukturen in Ungarn, Polen und Rumänien

Stolperschwellen auf der neu formierten Landkarte

Prof. Dr. Roland SturmProjektleiterInstitut für Politische WissenschaftTel.: 09131/85 [email protected]

Dr. Jürgen DieringerKoordinationSozialwissenschaftlichesForschungszentrumJuergen.Dieringer@wiso.uni-erlangen.de

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Durch halb Europa zu reisen ist keinPrivileg des modernen Tourismus. Zwarmussten im Spätmittelalter ein bis zweiJahre dafür aufgewendet werden, dochwohlhabende Bürger, beispielsweise ausNürnberg, konnten sich das leisten. Wieeine solche Reise verlief, schildert ein fünf-hundert Jahre alter Bericht, der heutige Le-ser sicher noch ansprechen, überraschen,belehren und mitreißen kann - sobald eraus dem Lateinischen übertragen ist, wiees in einem Editionsprojekt unter der Lei-tung von Prof. Dr. Klaus Herbers am Lehr-stuhl für Mittelalterliche Geschichte derzeitgeschieht.

„Ich glaube nicht, dass in Deutsch-land ein Freiherr oder Graf eine solche Ehreerweisen kann“. So fasste Ende des 15.Jahrhunderts der Nürnberger Arzt Hiero-nymus Münzer die Eindrücke zusammen,die ein außergewöhnliches Gastmahl inSpanien bei ihm hinterlassen hatte. ImSeptember 1494 war er in Barcelona, alsihn Landsleute zum Essen einluden. Mün-zer vermerkt, er sei damals von deutschenKaufleuten bei Musik und Tänzen „nachmaurischer Art“ auf das Edelste mit katala-nischen Speisen bewirtet worden. DerNürnberger war beeindruckt. In Spanienauf Deutsche zu treffen war nicht soungewöhnlich - viele hatten sich dort alsKaufleute oder Buchdrucker niedergelas-sen - ins Staunen jedoch versetzte ihn derluxuriöse Gebrauch, den seine Landsleutevon der Kultur ihres Gastlandes zu machenwussten.

Der Aufenthalt in Barcelona war nureine kurze Etappe in einem ereignisreichenLeben. Hieronymus Münzer wurde 1437 inFeldkirch (Vorarlberg) geboren. Nach ei-nem Studium der artes liberales in Leipzigund der Promotion zum Doktor der Medi-zin in Pavia hatte er sich in Nürnberg nie-dergelassen. Als dort 1494 die Pest wü-tete, suchte Münzer sein Heil in der Flucht.Er ließ Frau und Kind in der Reichsstadt zu-rück und brach zu einer langen Reise auf,die ihn 1494/95 über die Schweiz nachFrankreich, Spanien und Portugal schließ-lich in die Niederlande führte.

Über die Stationen von Münzers Wegsind wir genau informiert: In seinem lateini-schen Reisebericht (Itinerarium) be-schreibt der Arzt, was er alles sah und er-

lebte. Erstaunlich ist die Vielfalt seiner Inte-ressen, die den unterschiedlichsten As-pekten politischen, wirtschaftlichen undsozialen Lebens gelten. Der Nürnbergerbeschreibt fremde Völker und exotischeProdukte aus fernen Ländern genauso,wie er minutiös arabische und spanischeWörter wiedergibt. Er verliert bei all demseine Heimatstadt nicht aus dem Blick, de-ren Bürger ja auch Leser seines Reisebe-richts waren. Vielleicht ist gerade deshalbder Vergleich für Münzer so wichtig, etwawenn er spanischen Bauten NürnbergerKirchen gegenüberstellt. Der literarischeNiederschlag, den solche Beobachtungenfanden, ist eine hervorragende Quelle nichtnur für die Reisen Nürnberger Bürger Endedes 15. Jahrhunderts und die Geschichteder von Münzer bereisten Länder, sondernauch ein Zeugnis für regionale Ausgangs-punkte und Wahrnehmungsperspektivender sogenannten „europäischen Expan-sion“ um 1500.

Angesichts dieses Aussagewertesverwundert es, dass Münzers Reise bisherkaum Gegenstand umfangreicher Studienwar. Das wird sich nun bald ändern. Denndem Reisebericht des Hieronymus Münzergilt ein von der Deutschen Forschungsge-meinschaft seit dem 1. Januar 2003 geför-dertes Arbeitsvorhaben am Lehrstuhl fürMittelalterliche Geschichte. Ziel des Pro-jekts, an dem Sofia Seeger und Dr. RandallHerz mitarbeiten, ist zunächst eine kriti-sche Neuedition des lateinischen Itinera-

rium. Dieser Text soll durch eine deutscheÜbersetzung zugleich einem größeren Le-serkreis zugänglich gemacht werden.

Weiter ist beabsichtigt, den Autor desReiseberichts in sein regionales und kultu-relles Umfeld einzuordnen. Nürnberg er-lebte um 1500 eine Zeit geistiger Blüte. Da-von zeugt nicht zuletzt ein Kreis kosmogra-phisch interessierter Humanisten, in demMünzer verkehrte. An einigen der bedeu-tendsten Leistungen dieses Gelehrtenzir-kels wirkte der Arzt aus Feldkirch mit, etwaan dem als „Erdapfel“ bezeichneten Glo-bus Martin Behaims, der 1492 vollendetwurde, und an der ein Jahr später gedruck-ten Schedelschen Weltchronik.

Abgesehen von dieser NürnbergerSeite des Hieronymus Münzer verfolgt dasneue DFG-Projekt das Ziel, den Reisebe-richt unter inhaltlichen Gesichtspunktenauszuwerten. Hierzu zählen etwa das Phä-nomen der Reisen und Reiseliteratur um1500, die Geschichte der von Münzer be-suchten Regionen und die vielfältigen Be-ziehungen zwischen Deutschland und derIberischen Halbinsel.

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87 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Bericht des Hieronymus Münzer über seine Reise zum Ende des 15. Jahrhunderts

Der Nürnberger Arzt im Luxus des Südens

Prof. Dr. Klaus HerbersTel.: 09131/85- [email protected] Seeger MAMiriam MontagTel.: 09131/85- 25893

Auszug aus dem Vorwort zu Hieronymus Münzers Itinerarium. Bayerische Staatsbibliothek CLM 431

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Die 24 Gräber der Königsnekropolevon Tamassos zählen zu den bedeutend-sten Zeugnissen archaischer Kultur des 7.und 6. Jahrhunderts vor Christus auf derInsel Zypern. Bereits 1889 wurden die Grä-ber entdeckt; die Funde und Befunde wur-den jedoch nie vollständig dokumentiert.Dies soll jetzt in einem von der DFG geför-derten Projekt am Institut für KlassischeArchäologie erfolgen. Die Wissenschaftlerunter Leitung von Prof. Dr. Hartmut Mat-thäus erhoffen sich so Aufschluss über dieWirkung von phönikischen und grie-chischen Kultureinflüssen auf die lokalezyprische Kunst und Architektur. Das Pro-jekt ist damit Teil des Schwerpunkts zur Al-tertumskunde der ostmittelmeerischenKulturen und ihrer Beziehungen am Institutfür Klassische Archäologie, der bislang inDeutschland einmalig ist.

Die Königsnekropole von Tamassoswurde 1889 von Max Ohnefalsch-Richter,einem der Pioniere der Periode vorwissen-schaftlicher zyprische Archäologie, ent-deckt und im Auftrag der Berliner Museenausgegraben. Die wertvollen Funde unter-lagen entsprechend dem damals noch gel-tenden osmanischen Recht der Teilung.Dadurch gelangten nur Teile des Materialsnach Berlin, andere nach Nicosia und nachCambridge. Ein Teil ist verschollen, einweiterer im Zweiten Weltkrieg zerstört wor-den. Ohnefalsch-Richter hat keine syste-matische Publikation hinterlassen. Bisheute existiert nur ein von ihm verfassteskursorisch beschreibendes Manuskript„Tamassos und Idalion”, das in Berlin ver-wahrt wird.

Darin spricht Ohnefalsch-Richter vonvier Königsgräbern im engeren Sinn (Grä-ber 4, 5, 11, 12), die sich durch ihre auf-wendige Architektur und durch reicheGrabbeigaben von den anderen Grable-gen unterscheiden. Vermutlich wurdendort die Stadtkönige von Tamassos beige-setzt. In den Jahren 1971 bis 1974 unter-suchte Hans-Günther Buchholz, inzwi-schen emeritierter Lehrstuhlinhaber für Ar-chäologie in Gießen, der am aktuellenDFG-Projekt beteiligt ist, die Königsnekro-pole erneut. Dadurch kann das Projekt amInstitut für Klassische Archäologie auf ei-nen breiten Materialfundus mit Daten zuGrabarchitektur, Bestattungsformen, zu

den Metallfunden und zur Keramik derGräber zurückgreifen.

Tamassos bietet den Forschern eineninteressanten Sonderfall zyprischer Grab-architektur. Die beiden erhaltenen Gräber 5(mit zwei hintereinander gestaffelten Kam-mern) und 12 (eine Kammer) wurden in ei-ner Steinarchitektur erbaut, hölzerne Kon-struktionselemente zitiert und perpetuiert,wie Balkennachahmungen in Fassade undDeckenkonstruktion anzeigen. DieserBaustil ist im zyprischen Raum einmalig,lässt sich aber inzwischen auf phönikischeVorbilder zurückführen - ein Ergebnis desneuen Forschungsprojektes. Ebenso wei-sen auf östliche Einflüsse die in Tamassosim Eingangsbereich zu Seiten des Tür-durchganges angebrachten Reliefpilaster.Sie haben Vorbilder in der Monumentalar-chitektur Israels und sind auch aus phöni-kischer Kunst wohl bekannt.

Im Rahmen des DFG-Projektes ist dieabschließende und umfassende Doku-mentation dieser im 7. und 6. Jh. v. Chr. aufder Insel Zypern einzigartigen Nekropolevorgesehen. Im Zentrum der Forschungensteht dabei eine Analyse der Grabarchitek-tur sowie der Beigaben durch die Projekt-mitarbeiterinnen Katja Walcher M. A. undDr. Friederike Bubenheimer Erhart. Dabeiwerden besonders die Metallfunde, diequantitativ und qualitativ herausragende

Gruppe der Grabbeigaben, kulturhisto-risch ausgewertet. Schließlich darf die ar-chaische Kultur Zyperns als Paradebei-spiel einer Kultur gelten, die sich durch Au-ßenkontakte kontinuierlich verändert undsich von der Vielfalt zu einer neuen Einheitwandelt. Die komplexen und differenzier-ten Prozesse von Kontakt und kulturellemWandel innerhalb der zyprischen Kulturwerden nun paradigmatisch an den Kö-nigsgräbern von Tamassos erforscht.

Erste Ergebnisse werden im Rahmeneines internationalen und interdisziplinä-ren Zypern-Kolloquiums unter dem Titel„Religion and Society in Cyprus. From theLate Bronze Age to the End of the ArchaicPeriod” am 23. und 24. Juli 2004 vorge-stellt. Das Kolloquium wird vom Institut fürKlassische Archäologie gemeinsam mitder Foundation A.G. Leventis in Nicosia,und dem Institut für Interdisziplinäre Zy-pern-Studien veranstaltet und ist Teil derAktivitäten des neu gegründeten Interdis-ziplinären Zentrums Alte Welt.

Forum Forschung Archäologie

88 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Einflüsse der Phönizier und Griechen auf die lokale Kunst und Architektur

Die Königsgräber von Tarnassos auf Zypern

Prof. Dr. Hartmut MatthäusTel.: 09131/85-22 [email protected]

Grab 5, Blick von der Vorkammer in die Sarkophagkammer. Abb.: Institut für Klassische Archäologie

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Einige der Forschungsergebnisse desSprachatlasses von Mittelfranken an derUniversität Erlangen-Nürnberg kommeneiner kleinen Kulturrevolution gleich.„Rohe Klöße“, die fränkische Beilage zumSchweinebraten schlechthin, waren biszum Ende der 1920er Jahre in Mittelfran-ken eher unbekannt. Erst nach 1945 er-oberten sie flächendeckend die regionalenSchweinebratenteller.

Der Kartoffelkloß ersetzte Bratkartof-feln oder Kartoffelsalat auf der sonntägli-chen Festtafel. Gewährspersonen ausdem Landkreis Roth hatten die ErlangerSprachwissenschaftler bei ihren Inter-views darauf aufmerksam gemacht. EineÜberprüfung mit volkskundlichen For-schungen bestätigte den Befund, mit demdie fränkische Kulturgeschichte in Teilenrevidiert werden muss, egal ob von „Glais“und „Glees“ (westlich von Nürnberg) oder„Gniedla“ und „Gniela“ (im östlichen DrittelMittelfrankens) die Rede ist.

Die Kloß- und Knödelfrage verdeut-licht die kulturgeschichtliche Bedeutungeines der größten geisteswissenschaftli-chen Forschungsprojekte in Bayern derletzten Jahrzehnte. Seit den 1980er Jahrenwurde der Bayerische Sprachatlas je zurHälfte vom bayerischen Wissenschaftsmi-nisterium und der Deutschen Forschungs-gemeinschaft gefördert. Der Sprachatlasvon Mittelfranken unter Leitung des imSeptember 2003 emeritierten Dialektfor-schers Prof. Dr. Horst Haider Munske istTeil eines landesweiten Gemeinschafts-projekts von fünf bayerischen Universitä-ten. In Augsburg, Würzburg, Bayreuth undPassau entstehen vergleichbare Karten-werke, die die Dialekte der übrigen Regie-rungsbezirke des Freistaats behandeln.Ein gesamtbayerischer Überblicksbandfaßt die wichtigsten Ergebnisse der Teilat-lanten anschaulich zusammen. DerSprachatlas von Mittelfranken selbst wirdinsgesamt sechs Bände umfassen. Dererste Band wurde im Dezember 2003 derÖffentlichkeit präsentiert.

Der Atlas ist ein umfangreiches Kar-tenwerk, in dem die ursprünglichste nocherfragbare Form der Mundarten dokumen-tiert werden soll. In 167 mittelfränkischenOrten stellten die Erlanger Forscher zwi-schen 1989 und 1997 den fast 800 Ge-

währsleuten stets die 2.800 gleichen Fra-gen. Befragt wurden Personen, die vor1935 geboren wurden und in ihrer Jugendnoch die Arbeitsweise der traditionellenLandwirtschaft kennen gelernt hatten. Inder Fachsprache der Landwirtschaft ha-ben sich Sprachmerkmale und Bezeich-nungen bewahrt, die dialektale Unter-schiede markieren. In der regionalen Um-gangssprache, insbesondere in den städ-tischen Ballungsräumen, sind diese längstausgestorben.

Nur ein Teil des umfangreichen Ton-materials wurde bislang für den Sprachat-las von Mittelfranken ausgewertet. Prof.Munske hat daher Zukunftspläne: „Dasentstandene Tonarchiv hält noch ausrei-chend Stoff für weitere Forschungen be-reit, etwa zur Fachsprache des Hopfenan-

baus. Die Arbeiten wären am besten in ei-nem neu zu gründenden Dialektinstitut fürMittelfranken angesiedelt, das als dauer-hafte Einrichtung für Beratung und Aus-künfte zur Verfügung steht und mit demschon bestehenden InterdisziplinärenZentrum für Dialektforschung (IZD) an derUniversität Erlangen-Nürnberg zusam-menarbeitet. Zur Zeit fehlen dafür leiderdie Mittel.“

Forum Forschung Dialektforschung

89 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Sprachatlas von Mittelfranken rückt mit seinen Forschungsergebnissen Selbstbild zurecht

Klöße waren nicht immer einefränkische Leibspeise

Prof. Dr. Horst Haider MunskeDr. Steffen ArzbergerTel.: 09131/85 [email protected]

Beispielkarte aus dem Sprachatlas von Mittelfranken. Sie dokumentiert eine deutliche Differenz bei der Ver-wendung der Bezeichnungen für den rohen Kartoffelkloß. Abb: SMF

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In Deutschland werden die Tarifver-dienste von Gewerkschaften und Arbeit-geberverbänden meist auf Branchen-ebene ausgehandelt und haben quasi Min-destlohncharakter. Tarifgebundene Unter-nehmen dürfen bei der effektiven Entloh-nung ihrer Mitarbeiter die Tarifverdienstezwar überschreiten, nicht jedoch unter-schreiten. Ist der gezahlte Effektivver-dienst höher als der im Tarifvertrag festge-legte Verdienst, so spricht man von einerübertariflichen Entlohnung.

Leider gibt es keine amtlichen Statisti-ken über die Verbreitung und das Ausmaßder übertariflichen Entlohnung. Zur Verrin-gerung dieses Wissensdefizits wurden ineiner gemeinsamen Studie des Lehrstuhlsfür Arbeitsmarkt- und Regionalpolitik derFAU (Prof. Dr. Claus Schnabel) und des In-stituts für Arbeitsmarkt- und Berufsfor-schung der Bundesanstalt für Arbeit (IAB)die repräsentativen Daten von rund 14.000Betrieben des IAB-Betriebspanels ausge-wertet. Dabei konnte man sich auf den pri-vaten Sektor beschränken, da im öffentli-chen Sektor praktisch nicht über Tarif ent-lohnt wird. Es zeigte sich, dass im Jahr2002 hochgerechnet rund 43 Prozent dertarifgebundenen Betriebe in Deutschlandüber Tarif entlohnten (wobei davon nichtalle Mitarbeiter gleichermaßen betroffensein mussten). In diesen Betrieben lagendie effektiven Löhne und Gehälter imSchnitt gut zehn Prozent über den Tarifver-diensten.

Diese Durchschnittswerte verbergendeutliche Unterschiede nach Branche undRegion, die in der Tabelle sichtbar werden.Während in Westdeutschland fast jederzweite Betrieb über Tarif bezahlt, ist es inOstdeutschland nicht einmal jeder fünfte.Besonders häufig findet sich eine überta-rifliche Entlohnung in der Industrie, relativselten ist sie im Dienstleistungsbereich.Statistische Analysen zeigen ferner, dassKleinbetriebe mit weniger als zehn Mitar-beitern und Betriebe mit vielen Teilzeitbe-schäftigten seltener, solche mit einem be-sonders guten Stand der technischen An-lagen dagegen häufiger über Tarif zahlen.Im Zeitablauf weisen sowohl die Höhe alsauch die Verbreitung der übertariflichenEntlohnung eine rückläufige Tendenz auf.Mehr und mehr Betriebe scheinen ausKostengründen die übertariflichen Lohn-bestandteile verringert oder ganz gestri-chen zu haben.

Erklärungsansätze

Angesichts der häufigen Klagen von Un-ternehmen über überhöhte Tarifab-schlüsse und Arbeitskosten mag es über-raschen, dass viele Firmen die als zu hochbeklagten Tariflöhne auch noch freiwilligüberschreiten. Allerdings gibt es eineReihe von institutionellen und ökonomi-schen Faktoren, die eine übertarifliche Ent-lohnung erklären können.

Der institutionelle Hintergrund bestehtdarin, dass die branchenweit geführten Ta-rifverhandlungen die Situation einzelnerBetriebe und Regionen kaum berücksich-tigen können und dass Tarifverträge sichmeist nur auf wenige Lohn- und Gehalts-gruppen konzentrieren. Wollen Betriebestärker nach Qualifikation, Leistung undErfolg differenzieren, können sie dies we-gen des Mindestlohncharakters der Tarif-verdienste oft nur auf dem Wege übertarif-licher Lohnzuschläge.

Eine übertarifliche Entlohnung kannauch Ausdruck einer starken Machtposi-tion der Arbeitnehmer im Betrieb sein. Beiguter Ertragslage des Betriebs und/oderguten Arbeitsmarktchancen der Mitarbei-ter mag es diesen gelingen, die Leitung zurZahlung übertariflicher Löhne zu veranlas-sen. Eine (freiwillige) übertarifliche Entloh-nung wird dagegen in „Effizienzlohnansät-zen“ als eigenständiges Instrument derUnternehmen zur Erhöhung der Produkti-vität interpretiert: Überdurchschnittlich

qualifizierte Arbeitskräfte werden ange-lockt, kostspielige Fluktuation verringert,die Arbeitsmotivation gestärkt und et-waige Unzufriedenheiten der Belegschaftabgebaut. Indem sie leistungssteigerndund produktivitätserhöhend wirkt, kanndie Entlohnung über Tarif für den Betriebökonomisch vorteilhaft sein.

Mehr FFlexibilität

Vor diesem Hintergrund und angesichtsder im Zeitverlauf abnehmenden Entloh-nung über Tarif wäre es sinnvoll, durch einemoderate Tariflohnpolitik den Spielraumfür übertarifliche Differenzierungen auszu-weiten. Dies dürfte die Flexibilität des oftkritisierten deutschen Lohnfindungssys-tems deutlich erhöhen und Beschäfti-gungsmöglichkeiten besser ausnutzen.

Der Volltext der Untersuchung findetsich auf der Homepage des Lehrstuhls:www.arbeitsmarktwiso.uni-erlangen.de/df/Diskussionspapiere/dp23.pdf

Forum Forschung Arbeitsmarktpolitik

90 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Weshalb und wieviel entlohnen Betriebe über Tarif?

Spielraum für den Verdienst

Prof. Dr. Claus SchnabelLehrstuhl für Arbeitsmarkt- und RegionalpolitikTel. 0911/5302 [email protected]

Übertarifliche Entlohnung nach Branchen 2002. Quelle: IAB-Betriebspanel 2002 (ohne Organisationen ohne Erwerbszweck und öffentlichen Dienst).

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„Schlechtes Stilprinzip, wenn man reli-giös wird, erweicht der Ausdruck“ - mit die-sem Diktum von Gottfried Benn aus demJahre 1933 schien eine endgültige Absageformuliert: Religion und literarische Annä-herung an die Gottesfrage wurden aus derernstzunehmenden Literatur verabschie-det. Religiosität galt fortan weitgehend alsSignum ästhetischer und intellektuellerMinderwertigkeit. Gegen dieses Verdiktgab und gibt es jedoch zahlreiche Ausnah-men. Vor allem in der unmittelbaren Gegen-wartsliteratur finden sich Spuren „neuerUnbefangenheit“ im Umgang mit religiösenFragen. Seit etwa 30 Jahren gilt auch diewissenschaftliche Erforschung der span-nungsreichen Beziehung von „Theologieund Literatur“ als eigenständige akademi-scher Disziplin. Prof. Dr. Georg Langen-horst vom Institut für Katholische Theolo-gie an der ErziehungswissenschaftlichenFakultät - ausgewiesen durch zahlreichePublikationen in diesem Bereich - bereitetderzeit ein Handbuch vor, das die For-schungsarbeiten in diesem interdisziplinä-ren Feld darstellen und auswerten wird. DiePublikation bei der WissenschaftlichenBuchgesellschaft in Darmstadt ist für Früh-jahr 2005 vorgesehen.

Elegie

Das alles gab es einmal: Das Süßholz; die Riesenbockwurst;Die Waldmeisterlimonade; verbilligte Knickeier; Gott!

Ein kleines unscheinbares Gedicht, 1999im Band „Der Pudding der Apokalypse“(Rowohlt) publiziert. Der Verfasser, AdolfEndler, wurde 1930 in Düsseldorf geboren,siedelte jedoch als überzeugter Antifa-schist 1955 in die DDR über, wo er fortanals Lyriker und Prosaautor vom Westenweitgehend unbeachtet lebte. 1979 wurdeer aus dem DDR-Schriftstellerverbandausgeschlossen, so dass er auch dort biszur Wende in den Untergrund vertriebenwurde. Erst nach 1989 wurde er als füh-render Kopf der literarischen Szene amPrenzlauer Berg wiederentdeckt. Was fürein lapidarer Abgesang: In dieser Elegieschaut der Dichter bedauernd auf das zu-rück, was es „einmal gab“, und dessenVerschwinden nun offenbar beklagt wird.„Süßholz“ - einen Strauch aus der Familie

der Schmetterlingsblüter, aus dessen sü-ßen Wurzeln man den Grundstoff für La-kritze gewann; uns bestenfalls noch durchdas sprichwörtliche „Süßholz raspeln“ ver-traut; „Riesenbockwurst“, „Waldmeisterli-monade“, „Knickeier“, deren schadhafteSchale zur Möglichkeit eines verbilligtenErwerbs führte. Bis hierher liest sich dieelegische Verlustlitanei wie eine halbernste, halb ironische Erinnerung an diesinnlichen Verlockungen der Kindheit. Dieaufgezählten kulinarischen Genüsse wa-ren die typischen Höhepunkte einer kargenVorkriegs- und Kriegskindheit.

Dass dieser Litanei „Gott“ als überra-schender abschließender Verlustpunkthinzugefügt wird - rhetorisch zugespitztdurch den Abklang im harten Einsilber -bestätigt den halb ernsten, halb ironischenTon: Zu den Höhepunkten der Kindheitmögen auch Erfahrungen mit „Gott“ ge-hört haben, doch auch sie gehören derVergangenheit an. Einerseits blickt Endlerhier so auf die eigene Lebensgeschichtezurück, andererseits spiegelt sich in dieserindividuellen Erfahrung gesellschaftlicheEntwicklung. „Gott“ ist in dieser Gesell-schaft wie der Geschmack von Waldmeis-terlimonade - süße Erinnerung, aber unwi-derbringlich verloren. Zentrale Frage je-doch: Welche Bedeutung hat der Titel fürdie Bestimmung des Tons dieses Ge-dichts? Ist dies eine „Elegie“ im Sinne der„klagend-entsagenden subjektiven Ge-fühlslyrik“, also ein Sehnsuchtstext? Oderironischer Abgesang? Oder schließen sichbeide Lesarten gerade nicht aus, sondernbedingen einander? Der Text selbst gibtdie Antworten auf diese Fragen an die Le-senden weiter.

An solchen Texten (vgl. G. Langen-horst: Gedichte zur Gottesfrage. Texte - In-terpretationen- Methoden, München 2003)kann die Grundherausforderung im inter-disziplinären Spannungsfeld von „Theolo-gie und Literatur“ deutlich werden: Theolo-gen werden dazu provoziert, die Selbstver-ständlichkeiten ihrer Deutungen undSprachspiele zu überprüfen. Literaturwis-senschaftler werden dazu angeregt, ihreSelbstverständlichkeiten in der Tabuisie-rung von Religion zu hinterfragen. Schrift-stellerinnen und Schriftsteller ihrerseits fin-den in den jeweiligen Deutungen ein viel-stimmiges Echo auf ihre Texte. Die akade-mische Disziplin „Theologie und Literatur“- in den englischsprachigen Ländern als ei-

genständiger Studiengang etabliert - be-zieht so ihre Dynamik aus den Diskursenzwischen drei völlig verschiedenen Ge-sprächsteilnehmern. Dass dieser Diskursweitreichende literatur- und religionsdi-daktische Chancen eröffnet, sei hier nurangedeutet.

Im Handbuch soll versucht werden,den Forschungsstand zu bündeln undauszuwerten, um Perspektiven für die Zu-kunft zu setzen. Wie und wo finden sichsprachliche, motivische, thematische Aus-einandersetzungen mit Religion in der mo-dernen Literatur? Wo finden sich theologi-sche Entwürfe, die sich mit literarischenEntwürfen auseinandersetzen? WelcheForschungsansätze mit welchen herme-neutischen Prinzipien arbeiten das Begeg-nungsfeld auf? Diesen Zielen ist auch derinterdisziplinäre Forschungskongress„Theologie und Literatur 2004“ verpflich-tet, den Prof. Langenhorst im Oktober2004 in Würzburg zusammen mit einemdortigen Kollegen organisiert. Hier soll vorallem der Anschluss an das internationaleNetzwerk von Forschungen in diesem Ge-biet vorangetrieben werden. „SchlechtesStilprinzip, wenn man religiös wird“? -Spannende Herausforderung, wenn Reli-gion und Literatur sich begegnen!

Forum Forschung Theologie

92 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Projekt Handbuch „Theologie und Literatur“

Spannende Begegnung

Prof. Dr. Georg LangenhorstLehrstuhl für Didaktik des Katholischen ReligionsunterrichtsTel: 0911/5302 [email protected]

KonfessionsübergreifendeKooperation

Der literarisch-theologische Ansatz istdem Handbuch-Projekt am Lehrstuhlfür Katholische Religionslehre und demDatenbank-Projekt „Bibel und Lyrik“am Institut für Praktische Theologie(vgl. nebenstehenden Artikel) gemein-sam. Zwischen den Projektleitern, Prof.Dr. Georg Langenhorst und Prof. Dr.Martin Nicol, besteht eine enge Zusam-menarbeit, die im Wintersemester2003/04 Ausdruck in der als „Dialog-vorlesung“ geführten Veranstaltungs-reihe „Bibel poetisch“ gefunden hat.

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Für viele Menschen klingt die Spracheder Bibel poetisch, auch wenn sie sich we-der der Religion noch der Lyrik besondersverbunden fühlen. Für Poeten hat dasBuch der Bücher eine Anziehungskraft, diein seiner Sonderstellung innerhalb unseresKulturkreises begründet ist. Die Bibel fin-det in der Literatur ein Medium, das ihreWorte aufgreift, umformt, deutet oder auchparodiert. Am Institut für Praktische Theo-logie der Universität Erlangen-Nürnberghat Prof. Dr. Martin Nicol ein Datenbank-Projekt initiiert, das als Leitfaden beimSpurenlesen im Wechselspiel von Bibelund deutschsprachiger Gegenwartslyrikgedacht ist. Im Jahr der Bibel, das nun zuEnde geht, wurden die bisher gesammel-ten Daten für das Internet aufbereitet.

Wenn in der Literatur von der Sintflutoder vom Hohen Lied der Liebe die Redeist, wenn in einem Gedicht von ThomasRosenlöcher das Kamel endlich den Wegdurchs Nadelöhr findet oder Hans MagnusEnzensberger vom Besuch eines Engelsberichtet, der ihn unverblümt provoziert,liegt die Anleihe bei biblischen Texten aufder Hand. Nicht immer jedoch treten An-spielungen so offen zu Tage, und mitbe-kommen kann sie nur, wer mit den Formu-lierungen des Buchs, auf das Christen undJuden ihre Religion begründen, vertrautist. Da diese Vertrautheit schwindet, solldie Datenbank die Wahrnehmung schärfenund helfen, die Aufmerksamkeit auf bibli-sche Spuren in der Literatur zu lenken.

Eine andere Denkrichtung entsprichtmehr dem theologischen Interesse: Bibel-texte aus ihrer Wirkungs- und Rezeptions-geschichte zu begreifen. Nach einer neu-erdings vielfach vertretenen Auffassungerschöpft sich das Auslegen der Schriftnicht darin, dem nachzuforschen, was dieAutoren ausdrücken wollten. Was davonankommt und wie dies weiterverwendetwird, ist ebenfalls bedeutsam. Die Literaturund andere Richtungen der Kunst gebenhier reichhaltiges Material an die Hand. Li-terarische Texte mit biblischen Bezügengelten Theologen teils sogar als „externeBibelauslegung“, also Deutungen außer-halb von Kirche oder Theologie.

Zahlreiche Fragestellungen für wis-senschaftliche Projekte, für Dissertatio-nen, Magister- oder Zulassungsarbeitenlassen sich hier anknüpfen. Eine große Ar-beit über biblische Spuren in der Lyrik vonErich Fried wurde bereits abgeschlossen.

Die Internet-Datenbank liefert für solcheRecherchen die Grundlagen. Ebenso gutkann die Sammlung von Beispielen einenFundus abgeben, der Lehrenden an Schu-len oder Hochschulen, Pfarrerinnen undPfarrern in ihrer Berufspraxis nützlich ist.Freien Zugang zum gesamten Bestand er-laubt zwar das Verlagsrecht nicht, dochmittels Passwort, das für ein zeitlich be-grenztes Projekt zugeteilt wird, können dieInformationen abgerufen werden.

Wer Literaturwissenschaften studiertoder im Bildungssektor tätig ist, könnte anbiblischen Anklängen in einzelnen Gedich-ten interessiert sein oder das Werk be-stimmter Autoren auf den Gehalt an Bezü-gen zur Bibel prüfen wollen. Dafür ist wich-tig zu wissen, dass bereits beim Erstellender Datenbank Deutungen von Texten zu-grunde liegen. Nur Zitate zu sammeln undBegriffe abzugleichen, wie es ein Compu-terprogramm ermöglichen würde, ist nichtdas Anliegen des Projektteams. Die Identi-fikation biblischer Spuren beruht immerschon auf Interpretation.

Die Auswahl der Datenbank ist aufexemplarische Beispiele angelegt, diemöglichst viele Facetten des Wechsel-spiels von Literatur und Bibel widerspie-geln sollen. Insgesamt sind etwa 50 Auto-rinnen und Autoren zur Bearbeitung vorge-sehen. Knapp die Hälfte wird mit einem Teilihres Werks vertreten sein, bei anderen sol-len alle lyrischen Veröffentlichungen seit1945 durchsucht werden. Gläubigkeit istkein Kriterium für die Aufnahme in den Ka-talog, jedoch wird Wert darauf gelegt, dass

Lyriker aus christlichem wie aus jüdischemUmfeld in gleicher Weise zur Geltung kom-men. Neben Repräsentativität für die lite-rarischen Strömungen und Traditionen desletzten halben Jahrhunderts ist die breiteRezeption in Schulen und Universitäten, inFeuilletons und Literaturgeschichten aus-schlaggebend. Dass bei der Auswahl sub-jektive Faktoren mitspielen, ist den Team-mitgliedern bewusst.

Über 700 Gedichte sind derzeit nachihren biblischen Spuren erfasst. Eine ältereVersion der Datenbank war für den inter-nen Gebrauch erstellt; die neue Internet-Datenbank ist speziell für die Anforderun-gen des Projekts programmiert und seitAugust 2003 auch von außerhalb nutzbar.Einblicke in das bisher Erreichte bietet dieHomepage unter www.lyrik-projekt.de.Auf 2.000 Gedichte soll der Bestand auf-gestockt werden, um den eigenen An-spruch zu erfüllen. Bisher schon leistetenSponsoren gelegentliche Zuschüsse. Da-rüber hinaus wären dem Projektleiter Mar-tin Nicol, der die Arbeit gerne auf eine so-lide wissenschaftliche und personelle Ba-sis stellen möchte, Gelder willkommen, mitdenen die Fortführung des Projekts für dienächsten drei Jahre gewährleistet würde.

Forum Forschung Theologie

93 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Datenbank-Projekt zu Spuren der Bibel in der deutschsprachigen Lyrik nach 1945

Poetische Spurensuche

Die Homepage des Lyrik-Projekts.

Prof. Dr. Martin NicolInstitut für Praktische TheologieTel.: 09131/85 [email protected]

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Ein mathematisch-didaktisches Vor-zeigeprojekt schafft mehr Klarheit zumNutzen des Internets im Mathematikunter-richt. Das zum 1. Februar 2004 ausgelau-fene Forschungsprojekt MaDiN hat zahl-reiche wichtige Ergebnisse für den inter-netbasierten Mathematikunterricht erzielt.Das seit Beginn des Jahres 2000 laufendeProjekt unter Leitung von Prof. Dr. ThomasWeth, Lehrstuhl für Didaktik der Mathema-tik an der ErziehungswissenschaftlichenFakultät, war für die Dauer von drei Jahrenvom Bundesministerium für Bildung undForschung mit rund 1,75 Mio. Euro geför-dert worden. Ziel des Projekts: Die ge-samte Didaktik der Mathematik, die in derLehrerausbildung der Primarstufe und denSekundarstufen I und II gelehrt wird, untersinnvoller Nutzung multimedialer Kompo-nenten im Internet anzubieten.

Realisiert wurde das Projekt von denLehrstühlen für Didaktik der Mathematikan den Universitäten Braunschweig, Erlan-gen-Nürnberg, Münster und Würzburg.Die Themen, die im Projekt für die Nutzungim Internet aufbereitet wurden, umfassenGrundschuldidaktik, Zahlsysteme, Geo-metrie, Algebra, Analysis, Stochastik undComputereinsatz im Mathematikunter-richt.

Die Zielgruppen für die Anwendungvon MaDiN sind Studierende, Dozentenund Lehrer. Studierenden dient das Mate-rial zum einen zur Nachbereitung des Vor-lesungsstoffs. Hierfür sind die Inhalte soausgearbeitet, dass sie sich zur selbst-ständigen Erarbeitung von Lerninhalteneignen. Darüber hinaus versteht sich Ma-DiN als Nachschlagewerk und Aufgaben-sammlung zu zentralen didaktischen The-men. Dozenten bietet MaDiN eine Medien-und Quellensammlung zur Didaktik derMathematik und zum Mathematikunter-richt. Während universitärer Veranstaltun-gen lassen sich professionell erstellte Gra-fiken, Animationen und Lehrfilme zur Ver-anschaulichung und Unterstützung einset-zen. Vergleichbaren Nutzen bietet MaDiNLehrern als Medien-, Aufgaben- undIdeensammlung.

Um diesen Nutzergruppen ein mög-lichst vollständiges Angebot zur Didaktikder Mathematik anbieten zu können, warein wesentlicher konzeptioneller Aspektbei der Entwicklung, dass Standardthe-men und nicht nur ausgewählte Aspekteaufbereitet werden sollten. Die Projekt-

partner wollten sich bewusst der Heraus-forderung stellen, keine „Perlen“-Didaktikim Netz anzubieten, sondern möglichstnutzerorientiert diejenigen Themen zu be-arbeiten, welche in der Stand-ardausbildung von Bedeutung sind. Ge-rade die Fokussierung auf Standardinhaltestellt das anspruchsvollste Element vonMaDiN dar. Denn das Abwägen des sinn-vollen Einsatzes und das Einbeziehen mul-timedialer Elemente in Lehrtexte fällt fürtrockene Themen wie etwa „SchriftlicheAddition“ wesentlich schwerer, als dieKonzeptionierung ergiebiger Themen wieder „Goldene Schnitt“ oder die „Satz-gruppe des Pythagoras“.

Schreibtisch vvoller IInhalte

MaDiN präsentiert die mathematik-didak-tischen Inhalte über einen Schreibtisch alsNavigations- bzw. Auswahlinstrument, derden größten Teil des Bildschirms einnimmtund das Hauptfenster bildet. Das Lehrma-terial ist zu jedem einzelnen Thema in ab-gebildeten Schreibtischschubladen in dieGruppen Theorie, Beispiele, Übungen, Li-teratur, Links und Medien eingeordnet.Wählt man eine dieser Schubladen perMausklick an, werden die Inhalte imHauptfenster eingeblendet. Eine Navigati-onsleiste mit denselben Elementen wirdzusätzlich über dem Schreibtisch ange-zeigt, da es sich aus mediendidaktischerSicht als günstig erweist, dem BenutzerSteuerelemente redundant anzubieten.Beim Einsatz von MaDiN ließ sich beob-achten, dass ein Teil der Benutzer aus-schließlich über den Schreibtisch zugriff.Andere navigierten ausschließlich über dieNavigationsleiste im System.

Zentrale Fragen des Projektes waren:Wird MaDiN von den Studierenden beimLernen von Mathematikdidaktik als hilf-reich akzeptiert? Führt das Einbeziehenvon MaDiN in die Ausbildung zu einem hö-heren Lernerfolg? Da die zweite Fragelangfristiger Natur ist, kann sie demgemäßin der Entwicklungsphase noch nicht be-antwortet werden.

Zur Klärung der ersten Frage konnteim Sommersemester 2003 eine erste Eva-luation durchgeführt werden. Bei der zurVerfügung stehenden Testpopulation vonetwa 14 Hauptschullehramtstudierendenverstehen sich die folgenden Ergebnisse inkeiner Weise als empirisch abgesichert,sondern stellen nur ein erstes Meinungs-

bild dar, das durch eine größer angelegteempirische Untersuchung zu verifizierenist.

Einer der Fragenkomplexe bezog sichauf die Akzeptanz und Nutzung von MaDiNauch außerhalb der Vorlesung, beispiels-weise zur Nachbereitung des Vorlesungs-stoffes. Die überwiegend positiven Ant-worten bilden einen ersten Hinweis darauf,dass die Inhalte von den Studierenden ge-nutzt und akzeptiert werden. Diese Ten-denz zeigt sich auch in der positiven Ant-wort auf das Statement, dass MaDiN fürStudierende eine Hilfe war, den Lernstoffbesser zu verstehen. Die allgemeine Ak-zeptanz der multimedialen Elementesprach auch in dieser Hinsicht für die neueLernsoftware.

Eine weitere Frage war, ob die multi-medialen Elemente seitens der Studieren-den als passend anerkannt wurden. DieFragen nach der Verständlichkeit vonLehrtexten, Schulbuchseiten, Grafiken, In-teraktionen und Beweisfilmen (Pop-up-Ikonogrammen) wurden gleichermaßendurchweg positiv beantwortet.

Medien ssind hhilfreich

Das Resümee der Studie: Die Lehre für diekünftigen Lehrer kann und sollte - eine gutentwickelte Gesamtkonzeption vorausge-setzt - durch multimediale Elemente, wel-che durch das Internet verfügbar gemachtwerden, unterstützt und verbessert wer-den. „Dafür ist die weitere Entwicklung vonLehrmaterial im Internet und entsprechen-der Evaluationen sinnvoll”, konstatiertProf. Weth abschließend.

Forum Forschung Didaktik

94 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Abschluss eines dreijährigen Bundes-Forschungsprojektes

Mathematikdidaktik im Internet

Prof. Dr. Thomas WethLehrstuhl für Didaktik der MathematikTel.: 0911/[email protected]

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Universitäts-bund

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Universitätsbund Erlangen-NNürnberg ee. VV.

96 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Eigentlich muss man sich ja wundern.Darüber, dass nicht ein noch viel größererAndrang besteht. Andrang zum Eintritt inden Universitätsbund. Andrang auch, umso eine Jahresversammlung zu erleben mitihren mehrfachen Höhepunkten.

Ab 18 Uhr fand die Mitgliederver-sammlung im ehrwürdigen Sitzungssaalder alten Universitätsbibliothek statt. Woman fast hautnah Spitzenvertreter derWissenschaft erleben kann und markanteVertreter der Wirtschaft und der Verwal-tung. Wo man interessante Einblicke erfah-ren kann in Erfolge und Nöte der For-schung und der Lehre an der Universitätund auch erkennen kann, dass Hilfe mög-lich ist, auch erahnen, dass das von großerBedeutung für unsere Zukunft ist. Undman erfährt, dass es Idealisten gibt, diedem Fördererverein seit vier und fünf Jahr-zehnten die Treue halten.

Und man bekommt als „Schmankerl“vom Direktor der Bibliothek in einem Kurz-referat an einem Markgrafenbild vorge-führt, wie Lehre, Forschung und Kunst in-einandergreifen. Auch von weiteren Höhe-punkten handelt dieser Bericht.

OB Dr. Siegfried Balleis eröffnete alsVorsitzender des seit 1917 existierendenFörderervereins die Versammlung undgab, nachdem der verstorbenen Mitgliedergedacht worden war, einen Überblick überdie Arbeit des Vorstands in den letzten 12Monaten. 45 Anträge auf finanzielle Unter-stützung waren eingegangen, 33 konntenvoll oder mindestens teilweise erfüllt wer-den. Das geschah in den drei Vorstandssit-zungen, gründlich und gewissenhaft. Pro-fessorin Dr. med. Elke Lütjen-Drecoll undProfessor Dr.rer.nat. Nikolaus Fiebiger hat-ten die Anträge jeweils vorher kritisch ge-prüft; die zur Verfügung stehenden Mittelwaren immer knapp.

Der Vorsitzende berichtete weiterüber die Planung von Werbeaktionen undstellte als daraus entstandenes Produktden neuen farbigen Werbeprospekt vor. Dr.Balleis gab seiner Hoffnung Ausdruck,dass sich die an manchen Fakultäten bil-denden Alumni-Zusammenschlüsse nichtquasi konkurrierend entwickeln werden,sondern auch als ein Potential für Mitglie-der des Unibundes. Der Vorstand wird aufein gutes Miteinander bedacht sein.

Die Zahl der Mitglieder ist mit gut 1700konstant geblieben, was ja bei der relativstarken Fluktuation des Vereins auch eineErfolgsaussage darstellt.

Vom weiteren Geschehen im ausklin-genden Vereinsjahr erwähnte Dr. Balleisdie Sitzung des Beirats am 6. Dezember,die dankenswerterweise wieder im Techni-schen Zentrum der Sparkasse abgewi-ckelt werden konnte. Nach der eigentli-chen Arbeitssitzung referierte ProfessorDr.-Ing. Albert Weckenmann über dasThema „Qualitätsmanagement - Von derFertigungskontrolle zur Führungsqualität“.Der Vortrag war sehr beeindruckend.

Der Vorsitzende dankte den in der Ver-waltung des großen Vereins Tätigen für diegeleistete immense Arbeit und hob dabeibesonders Maria-Anna Lohmaier in derGeschäftsstelle und Irene Schittek imSchatzmeisteramt heraus. Ihnen allen galtsein besonderes Dankeschön.

Professor Dr.-Ing. Erich Reinhardt er-stattete seinen Bericht des Schatzmeis-ters über die Finanzlage im Jahr 2002 inder gewohnten Klarheit wieder anhand vonprojizierten Schaubildern. Die Netto-Ein-nahmen betrugen rund 299.700 €, wovon235.100 € frei verfügbar waren; letzteresetzen sich vor allem aus 90.700 € an Mit-gliedsbeiträgen, 73.600 € Einnahmen vomSchlossgartenfest und 50.400 € an Spen-den zusammen und übertreffen damit diedes Vorjahres um 17.000 €. Der Universitätzugeflossen sind im abgelaufenen Jahrvon den frei verfügbaren Mitteln rund191.800 €, aus lehrstuhlgebundenenSpenden rund 29.500 € und aus dem Pro-fessor-Zerweck-Fonds 9.500 €.

Die Ausgaben des Jahres 2002 liegenbei 9.600 € und setzen sich aus den dreiPositionen Verwaltungskosten, Unikurierund Mitgliederversammlung zusammen.

Die zweckgebundenen Einnahmenliegen bei 65.700 €.

Mit der letzten der vier Folien veran-schaulichte Professor Dr. Reinhardt an ei-nem „Tortenbild“ die Verteilung der Förder-mittel auf die Fakultäten und Einrichtun-gen.

Der „Löwenanteil“ von 30% ging andie Medizinische Fakultät, gefolgt von15% für die drei NaturwissenschaftlichenFakultäten und 14% für die beiden Philo-sophischen Fakultäten. Der Schatzmeisterdemonstrierte die Bedeutung der Förde-rung an einigen Beispielen:

Das Anatomische Institut erhielt13.300 € für ein digitales Bildverarbei-tungssystem für die Untersuchung desVerlaufs von Leberentzündungen und derReizung von Nervenfasern in der Speise-röhre.

Ein Lehrstuhl für Geschichte bekamrund 10.000 €, um im medienunterstütztenLehrbetrieb die gleichzeitige Arbeit mitPrint- und Internetmedien zu ermöglichen.

Der Lehrstuhl für Industriebetriebs-lehre erhielt 8.900 € für ein Gründungs-planspiel zur Verbesserung der praxisori-entierten Ausbildung.

Jahresversammlung des Universitätsbundes Erlangen-Nürnberg e.V. am 20. Mai 2003

Treue und Unterstützung inschwerer Zeit

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Universitätsbund Erlangen-NNürnberg ee. VV.

97 uni.kurier.magazin 105 / juni 2004

Professor Dr.-Ing. Erich Reinhardt gabdas Vermögen des Förderervereins mitrund 1.163.000 € an und berichtete überdie vorgenommenen Prüfungen. Anschlie-ßend dankte er den Freunden und Förde-rern für ihre tatkräftige Unterstützung. Erbat um Unterstützung auch im laufendenJahr, weil der Universitätsbund gerade inwirtschaftlich schlechter Zeit mehr denn jeauf die Zuwendungen seiner traditionellenund neuen Förderer angewiesen ist.

Der Schatzmeister stellte seine Aus-führungen zur Diskussion. Die daraufhinvorgebrachten Detailfragen bezogen sichauf die Verwaltungskosten, den für dasFolgejahr gebliebenen Restposten (der als„Puffer“ dient) und auf das Fehlen von Zu-wendungen an die Technische Fakultät.Die Fragen wurden von den Vorstandsmit-gliedern erklärend beantwortet.

Diplom-Kaufmann Michael Pickel be-richtete über die zusammen mit AlfredBomhard vorgenommene Kassenprüfung.Sie hat in Übereinstimmung mit der bereitserfolgten Kontrolle durch die Rechnungs-prüfer der Universität die Korrektheit undGewissenhaftigkeit der Kassenführungbestätigt. Herr Pickel beantragte die Ent-lastung des Schatzmeisters. Sie erfolgteohne echte Gegenstimme - wie alle An-träge während der Versammlung - worausman aber nicht auf Oberflächlichkeit, son-dern vielmehr auf Gründlichkeit und diegute Ordnung der Dinge schließen darf.

Ebenso erfolgte die Wiederwahl derbeiden Herren Alfred Bomhard und Mi-chael Pickel. Die Bereitschaft dazu warvorher bereits von Herrn Bomhard einge-holt worden.

Den Bericht des Sonderfonds für wis-senschaftliche Arbeiten an der UniversitätErlangen-Nürnberg erstattete abermalsder Schatzmeister des Fonds, Diplom-Kaufmann Jochen Mayer. Die 2002 erziel-ten Einnahmen belaufen sich auf92.345,79 €, die 2002 abgerufenen Zu-schüsse auf 103.339,07 €, die Spenden

auf 33.300 €. Das Vermögen zum 30.12.2002 war 1.079.436,94 €.

Dr. Siegfried Balleis dankte den Her-ren, die für das finanzielle Geschehen tätigwaren und auch dem Vorsitzenden desSonderfonds, Herrn Burkhard Stüben.

Auch über das Geschehen in der Orts-gruppe Nürnberg gab Dipl.-Kfm. JochenMayer Auskunft, indem er über die ihm vonDipl.-Kfm. Uwe Seeberger mitgegebenenZahlen referierte. Die Ortsgruppe hat noch116 Mitglieder; 6.000 € konnten an denHauptverein überwiesen werden. Dem er-krankten Vorsitzenden der Ortsgruppe,Dipl.-Ing. Walter Steinbauer, galten guteGenesungswünsche.

Aus Fürth teilte Dipl.-Kaufmann Die-trich Dotzler mit, dass die Ortsgruppe 36Mitglieder hat und dass 1.400 € an denHauptverein überwiesen wurden.

Vom Ortsbund Amberg schrieb Pro-fessor Dr. H.R. Osterhage, dass sie 23 Mit-glieder zählt, dass die 24. Erlangen-Uni-versitätstage mit dem Thema „Kultur undReligion“ wieder einen Lichtblick darstell-ten und dass man über Aktivitäten zur Wer-bung nachdenken müsste.

Auch aus Ansbach war ein schriftli-cher Bericht eingegangen, da der Vorsit-zende, Dipl.-Kfm. Alexander Heck, verhin-dert war. Aus ihm geht hervor, dass die 20.Erlanger Universitätstage mit dem Gene-ralthema „Über die Folgen der Einheit“wieder ein voller Erfolg waren. Man zählt39 Mitglieder.

Zu der in der Einladung bereits ange-kündigten Satzungsänderung legte Dr.Siegfried Balleis dar, dass der Vorstand dieAuszeichnungsmöglichkeit des §8 unsererSatzung für unbefriedigend hält. Perso-nen, die „die Vereinsziele hervorragend ge-fördert haben“, nur als „Ehrenmitglieder“zu bezeichnen, sei ungewöhnlich und bei-spielsweise für ehemalige Vorsitzende un-angebracht. Daher der Vorschlag, zusätz-lich die Möglichkeit zu schaffen, eine soherausragende Förderung mit der Be-zeichnung „Ehrenvorsitzender“ zu beloh-nen. Nach kurzer Diskussion wurde darauffolgende Neuformulierung des §8 be-schlossen:

„Zu Ehrenmitgliedern oder Ehrenvor-sitzenden kann die Mitgliederversamm-lung auf Vorschlag es Vorstandes solchePersonen ernennen, die die Vereinszielehervorragend gefördert haben. Sie habenalle Rechte der Vereinsmitglieder, ohne de-ren Pflichten.“

Unter dem TOP Verschiedenes gabProfessor Dr. Friedrich Gudden zu beden-ken, ob der Universitätsbund nicht eineBestuhlung des aktuellen Sitzungssaalesvorsehen und finanzieren sollte, um demPersonal der Universitätsbibliothek denaufwendigen Transport vom Neu- zum Alt-bau und zurück zu ersparen.

Zum offiziellen Abschluss der Mitglie-derversammlung dankte der Rektor derUniversität, Professor Dr. Karl-DieterGrüske, im Namen der Universität sowohlallen für den Universitätsbund Aktiven alsauch allen Mitgliedern und Spendern,auch in den auswärtigen Ortsgruppen; erunterstrich die außerordentlich wichtigeFunktion der Unterstützung durch den För-dererverein in der Zeit extrem knapper Mit-tel, in der schwerwiegende Einschränkun-gen und Kürzungen zu verkraften sind.

Inoffiziell erfreute der Direktor der Uni-versitätsbibliothek, Dr. Hans-Otto Keun-ecke, mit einer köstlichen kurzen Erörte-rung über das große Ölgemälde von Jo-hann Kupezky im Sitzungssaal.

Der Abend brachte neben Begrü-ßungs- und Informationsworten des Vor-sitzenden und des Rektors als weiterenHöhepunkt des Tages den prächtigen Vor-trag von Professor Dr. André Kaup überdas Thema: „Schwarze Löcher einmal an-ders - Visuelle Lücken bei Mensch undTechnik.“ Langanhaltender Applaus dank-te dem Redner. Einen krönenden Ab-schluss bildet jeweils der Empfang, der zulebhaften Gesprächen und zu ungezwun-genen Begegnungen führt.

Waldemar Hofmann, Geschäftsführer

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Personalia

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uni.kurier.magazin 105 / juni 200499

Prof. DDr. HHabbe

Prof. DDr. KKarl AAlbert HHabbe, eehemals AAußer-ordentlicher PProfessor aam IInstitut ffür GGeo-graphie dder UUniversität EErlangen-NNürnberg,ist aam 66. SSeptember 22003 iim AAlter vvon 775Jahren vverstorben.

Karl Albert Habbe, geboren am 15. März1928 in Celle, studierte Deutsch, Ge-

schichte und Geographie in Göttingen und Freiburg. Dort wurdeer 1957 in den Fächern Geographie, Geologie und Bodenkundepromoviert und war bis 1966 als wissenschaftlicher Assistent, an-schließend bis 1970 als Privatdozent am Geographischen Instituttätig. Habilitiert wurde er im Jahr 1965.

1970 wechselte er an das Institut für Geographie der UniversitätErlangen-Nürnberg. In den Jahren 1976 bis 1979 amtierte er alsDekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät III, von 1976 bis1982 war er Senatsvertreter dieser Fakultät. 1993 erfolgte der Ein-tritt in den Ruhestand.

Prof. Habbe befasste sich mit der Geomorphologie, der Wissen-schaft von den Formen der Erdoberfläche und ihren Veränderun-gen, in der jüngsten Periode der Erdgeschichte, insbesondere fürdas südliche Mitteleuropa einschließlich der Alpen, das Einzugs-gebiet der Regnitz und das Alpenvorland.

Prof. DDr. TTomann

Prof. DDr. WWalter TToman, EEmeritus ddes IInsti-tuts ffür PPsychologie dder UUniversität EErlan-gen-NNürnberg, iist aam 228. SSeptember 22003im AAlter vvon 883 JJahren vverstorben.

Walter Toman, am 15. März 1920 in Wiengeboren, studierte Psychologie an der dor-tigen Universität, wo er im Anschluss an

das Studium bis zum Jahr 1951 als Forschungsassistent und Do-zent tätig war. Daneben ließ er sich zum Psychoanalytiker ausbil-den. 1951 bis 1954 arbeitete er als Lecturer im Fach KlinischePsychologie an der Harvard University in Boston, danach über-nahm er bis 1962 eine Professur an der Bostoner Brandeis Univer-sity. Von 1962 bis 1986 war er Ordinarius für Klinische Psycholo-gie und Psychotherapie an der Philosophischen Fakultät I derUniversität Erlangen-Nürnberg.

Prof. Toman befasste sich mit Denk- und Sprachpsychologie, Mo-tivationsentwicklung, der Entwicklung der Persönlichkeit im so-zialen Kontext, Entwicklungsstörungen und der Psychotherapiesolcher Störungen. Er war wissenschaftlicher und therapeuti-scher Konsulent und Mitglied von wissenschaftlichen Beiräten anmehreren amerikanischen Universitäten und medizinischen Klini-ken sowie am Institut für höhere Studien in Wien.

Prof. DDr. KKluxen

Prof. DDr. KKurt KKluxen, vvon 11963 bbis zzu sseinerEmeritierung 11979 IInhaber ddes LLehrstuhlsfür NNeuere uund MMittlere GGeschichte, iist aam16. AApril 22003 iim AAlter vvon 991 JJahren vver-storben.

Kurt Kluxen wurde am 10. September 1911in Bensberg bei Köln geboren. Er war zu-

nächst von 1935 bis 1938 Volksschullehrer in Hinterpommern.Nach dem Krieg studierte er Geschichte, Philosophie und Germa-nistik in Köln und wurde 1949 mit einer Arbeit über das politischeDenken Machiavellis promoviert. 1950 wurde er Professor an derPädagogischen Hochschule Bonn, 1960 an der Universität zuKöln und war von 1961 bis 1963 Gründungsrektor der Pädagogi-schen Hochschule Neuss.

Das Wesen der Politik historisch zu erfassen, war eines seinerzentralen Anliegen. Den zweiten Forschungsschwerpunkt bildetdie Geschichte des Parlamentarismus. Weithin bekannt wurdeProf. Dr. Kurt Kluxen mit seiner zuerst 1969 publizierten und 1985zum dritten Mal aufgelegten „Geschichte Englands“, die von denAnfängen bis zur Gegenwart reicht. Auch nach seiner Emeritie-rung widmete er sich geschichtstheoretischen Forschungen. Soerschien 1983 ein Werk über die „Geschichte und Problematikdes Parlamentarismus“, und 1987 veröffentlichte er eine „Engli-sche Verfassungsgeschichte: Mittelalter“. Prof. Kluxen war Trägerdes Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse.

in mmemoriamPersonalia

Prof. DDr. SSellmann

Prof. DDr. DDieter SSellmann, IInhaber ddes LLehr-stuhls ffür AAnorganische uund AAllgemeineChemie, iist aam 66. MMai 22003 iim AAlter vvon 662Jahren vverstorben.

Dieter Sellmann, geboren am 12. Februar1941 in Berlin, studierte Chemie an denUniversitäten Tübingen und München und

wurde 1967 in München promoviert. In den Jahren 1967 und 1968war er Research Associate an der Princeton University, USA. Bis1976 arbeitete er an der Technischen Universität München, zu-nächst als wissenschaftlicher Assistent, dann als Privatdozent,Universitätsdozent und wissenschaftlicher Rat. Von 1976 bis1980 war er als Professor für Allgemeine, Anorganische und Ana-lytische Chemie an der Universität Paderborn tätig. 1980 folgte erdem Ruf auf den Lehrstuhl für Anorganische und Allgemeine Che-mie der Universität Erlangen-Nürnberg, den er seither inne hatte.

Prof. Sellmann war Sprecher des im Jahr 2001 eingerichtetenSonderforschungsbereichs 583 „Redoxaktive Metallkomplexe -Reaktivitätssteuerung durch molekulare Architekturen”. Sein wis-senschaftliches Interesse galt der Chemie der Metalle, der Kata-lyse und der Stickstoff- und Wasserstoffchemie. Er befasste sichmit Modellverbindungen für Enzyme, biomimetischen Reaktio-nen, Spurenanalytik, Strukturaufklärung und spektroskopischenMethoden. Prof. Sellmann war Mitglied der Gesellschaft Deut-scher Chemiker, der American Chemistry Society und der RoyalSociety of Chemistry.

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uni.kurier.magazin 105 / juni 2004100

Prof. DDr. FFlügel

Wenige TTage nnach sseinem 770. GGeburtstagist PProf. DDr. EErik FFlügel aam 114. AApril 22004verstorben. PProf. FFlügel hhatte vvon 11972 bbiszu sseiner EEmeritierung 11999 dden LLehrstuhlfür PPaläontologie dder UUniversität EErlangen-Nürnberg iinne.

Erik Flügel hatte in Graz und Marburg dieFächer Geologie, Paläontologie, Mineralogie und Petrographiestudiert, wurde an der Universität Graz promoviert und in Wien ha-bilitiert. Von1962 bis zu seiner zehn Jahre später erfolgenden Be-rufung auf den Lehrstuhl für Paläontologie der Universität Erlan-gen-Nürnberg arbeitete er als Wissenschaftlicher Rat und Profes-sor für Paläontologie an der Technischen Hochschule Darmstadt.

Durch Forschungen zum Vergleich von Lebens- und Ablage-rungsräumen der Vergangenheit mit Ökosystemen der Gegen-wart und Untersuchungen über fossile und moderne Riffe trugProf. Flügel wesentlich dazu bei, dass sich die Paläontologie alsBindeglied zwischen Geowissenschaften und Biologie etablierenkonnte. Das Erlanger Institut für Paläontologie fand damit interna-tionale Anerkennung. Seine Kenntnisse gab er über zahlreicheKurse im In- und Ausland an Fachleute aus Wissenschaft und In-dustrie weiter. Von 1974 bis 1975 amtierte Prof. Flügel als Dekander Fakultät Naturwissenschaften III (Geowissenschaften).

Prof. DDr. GGoez

Prof. DDr. WWerner GGoez, vvon 11969 bbis zzu ssei-ner EEmeritierung 11997 IInhaber ddes LLehr-stuhls ffür MMittelalterliche GGeschichte uundHistorische HHilfswissenschaften, iist aam 113.Juli 22003 iim AAlter vvon 774 JJahren vverstorben.

Werner Goez, geboren 1929 in Frankfurt amMain, studierte ab 1948 Geschichte, Kunst-

geschichte, Musikwissenschaft und Germanistik in Frankfurt, woer 1954 promoviert wurde. 1960 wurde er für Mittelalterliche undNeuere Geschichte an der Universität Frankfurt habilitiert. Von1964 an war er Lehrstuhlinhaber für Geschichte, vorzugsweisemittelalterliche Geschichte, in Würzburg, bevor er auf den ErlangerLehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswis-senschaften berufen wurde. Schwerpunkte der wissenschaftli-chen Tätigkeit von Werner Goez waren vor allem die Zeit desHochmittelalters, welche er in biographischen Essays frühzeitigauch einem breiten Leserkreis vorstellte, sowie die Kirchen- undVerfassungsgeschichte. Hinzu traten starke landeskundliche Inte-ressen an Italien, die auch zu einer Publikation wie „Von Pavia nachRom. Ein Reisebegleiter entlang der mittelalterlichen KaiserstraßeItaliens” führten. In den letzten Jahren seiner Tätigkeit edierte erdie Urkunden Mathildes von Tuszien für die Monumenta Germa-niae Historica.

Für seine Verdienste wurde Prof. Goez mit dem Bundesverdienst-kreuz am Bande und dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse sowiedem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet.

Prof. DDr. WWolf

Prof. DDr. FFriedrich WWolf, vvon 11973 bbis zzu ssei-ner EEmeritierung 11997 LLehrstuhlinhaber ffürKlinische NNuklearmedizin, iist aam 221. JJuli2003 iim AAlter vvon 772 JJahren vverstorben.

Friedrich Wolf, geboren am 5. August 1930in Hof, studierte Medizin und Physik in Re-gensburg und Erlangen, wo er 1954 promo-

viert wurde. Es folgte die Weiterbildung zum Internisten. 1959schlossen sich ein Studienaufenthalt als Stipendiat des Atommi-nisteriums am britischen Atomforschungszentrum in Harwell undan verschiedenen englischen klinischen Isotopenabteilungen an.1965 wurde er an der Universität Erlangen-Nürnberg für die Fä-cher Innere Medizin und Nuklearmedizin habilitiert. 1973 wurde erzum ordentlichen Professor für Klinische Nuklearmedizin ernannt.Die Nuklearmedizinische Abteilung der Klinik für Innere Medizinhatte er bereits in der Planungsphase von 1959 bis 1961 betreutund seitdem verantwortlich geleitet.

Prof. Wolf kann als einer der Gründerväter des Faches Nuklear-medizin in Deutschland bezeichnet werden. Schwerpunkte seinerForschungstätigkeit war die Hepatologie. Wichtige Arbeiten wur-den unter anderem auf dem Gebiet der radioaktiv markierten mo-noklonalen Antikörper in der Entzündungsdiagnostik, zu nuklear-medizinischen Untersuchungsmethoden bei neurologisch-psy-chiatrischen Erkrankungen, insbesondere Epilepsie, sowie in derOnkologischen Diagnostik veröffentlicht.

in mmemoriamPersonalia

Prof. DDr. RRoloff

Am 221. FFebruar 22004 sstarb PProf. DDr. JJürgenRoloff, eehemaliger OOrdinarius ffür NNeuesTestament aan dder TTheologischen FFakultätder UUniversität EErlangen-NNürnberg, iim AAltervon 773 JJahren.

Jürgen Roloff wurde am 29. September1930 in Oppeln (Oberschlesien) geboren.

Nach dem Abitur in München studierte er Philosophie und Evan-gelische Theologie in München, Erlangen, Heidelberg und Neuen-dettelsau. Dem Vikariat in Bayreuth und einem Studienjahr in denUSA als Stipendiat des Lutherischen Weltbundes folgte eine drei-jährige Tätigkeit als Assistent in der Theologischen Abteilung desLutherischen Weltbundes in Genf. Seit 1961 war Jürgen Roloff As-sistent in Hamburg, wo er 1963 promovierte und 1967 habilitiertwurde.

Nach Jahren als Universitätsdozent und Professor in Hamburgwurde Jürgen Roloff 1973 zum ordentlichen Professor für NeuesTestament an die Erlanger Theologische Fakultät berufen, wo erbis zu seiner Emeritierung am Ende des Wintersemesters 1997/98lehrte. 1992 wurde er zum ordentlichen Mitglied der BayerischenAkademie der Wissenschaften (Phil.-hist. Klasse) berufen.

Jürgen Roloff ist Verfasser der als Standardwerke geltendenKommentare zur Apostelgeschichte (1981), zur Johannesoffen-barung (1984) und zum 1. Timotheusbrief (1988).

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Personalia in mmemoriam

Prof. DDr. WWerner

Prof. DDr. RRobert WWerner, EEmeritus ddes LLehr-stuhls ffür AAlte GGeschichte dder UUniversität EEr-langen-NNürnberg, iist aam 55. MMai 22004 iim AAl-ter vvon 880 JJahren vverstorben.

Robert Werner wurde am 16. Februar 1924in der damaligen Tschechoslowakei gebo-ren. Er studierte Klassische Philologie, Ge-

schichte und Ägyptologie an der Universität München. Dortwurde er promoviert und war als wissenschaftlicher Assistent derKommission für Alte Geschichte und Epigraphik und des Semi-nars für Alte Geschichte tätig.1960 erfolgte seine Habilitation. Von1966 bis 1968 war er Professor für Alte Geschichte und Direktoram Institut für Altertumskunde der Freien Universität in Berlin.1968 nahm er den Ruf an die Friedrich-Alexander-Universität an.

Seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen, mehr als 600 in Bü-chern, Zeitschriften, Enzyklopädien und Lexika, reichen thema-tisch vom Alten Orient über die frühe und klassische griechischeGeschichte, das frühe Rom und die römische Republik bis zur Be-gründung des augustinischen Prinzipats und umfassen außerdemdie antiken Randkulturen besonders des Donau-Schwarzmeer-raumes und Zentralasiens. Sein Arbeitsschwerpunkt lag stets inder römischen Geschichte. Die letzte Arbeit aus der Feder vonRobert Werner über „Aspekte der thrakischen Kultur“ erschien1999.

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Personalia Berufungen

Prof. DDr. KKrause

Rüdiger KKrause ((Jahrgang 11961) iist sseitMärz 22003 IInhaber ddes LLehrstuhls ffür BBür-gerliches RRecht, HHandels-,, GGesellschafts-und AArbeitsrecht, IInternationales PPrivat-recht ssowie RRechtsvergleichung, NNach-folge PProf. DDr. WWolfgang BBlomeyer.

Rüdiger Krause studierte Rechtswissen-schaft an den Universitäten Berlin und Göttingen. Er war als wis-senschaftlicher Mitarbeiter, Akademischer Rat und wissenschaft-licher Assistent am Institut für Arbeitsrecht der Universität Göttin-gen tätig. 1994 erfolgte die Promotion über ein arbeits- und zivil-prozessrechtliches Thema. 2001 wurde er mit einer Arbeit zu denrechtlichen Rahmenbedingungen für Tätigkeitsverhältnisse in Un-ternehmen für die Fächer Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht,Arbeitsrecht sowie Handels- und Wirtschaftsrecht habilitiert. Von2001 bis 2003 übte er Lehrtätigkeiten an den Universitäten Re-gensburg und Gießen aus.

Seine Forschungsschwerpunkte sind das deutsche und europäi-sche Arbeits- und Gesellschaftsrecht. So untersucht er den Fak-tor Arbeit in erwerbswirtschaftlich tätigen Unternehmen sowiedessen Zusammenwirken mit den Faktoren Kapital und Disposi-tion einschließlich des Verhältnisses zum Kapitalmarktrecht. Ei-nen weiteren Forschungsschwerpunkt bildet das zivile Haftungs-recht.

Prof. DDr. KKöbele

Susanne KKöbele ((Jahrgang 11960) iist sseitMai 22003 CC 33-PProfessorin ffür GGermanischeund DDeutsche PPhilologie/KomparatistischeMediävistik, NNachfolge PProf. DDr. UUlrichWyss.

Von 1979 bis 1985 studierte sie DeutscheSprache und Literatur des Mittelalters,

Neuere Deutsche Literatur und Lateinische Philologie an der Uni-versität München. 1986 bis 1990 erhielt sie ein Promotions-Sti-pendium des Cusanuswerks und promovierte über mittelalterli-che mystische Literatur im Spannungsfeld von Latein und Volks-sprache. Sie arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin, ab1994 als wissenschaftliche Assistentin am Institut für DeutschePhilologie der LMU München, wo sie sich, unterstützt durch einHabilitationsstipendium der Deutschen Forschungsgemein-schaft, für das Fach „Deutsche Sprache und Literatur des Mittel-alters“ mit einer Arbeit über die spätmittelalterliche Minnelyrik ha-bilitierte. Ein Stipendium im Rahmen des Hochschul- und Wissen-schaftsprogramms (HWP 2001-2003) schloss sich an. Von 2002bis 2003 nahm sie die Vertretung der C 3-Professur für Germani-sche und Deutsche Philologie an der Universität Erlangen-Nürn-berg wahr.

Ihre Arbeitsgebiete umfassen die Literatur- und Kulturgeschichtedes volkssprachlichen und lateinischen Mittelalters mit Schwer-punkten in den Bereichen geistlicher Prosa, spätmittelalterlicherLyrik und höfischer Epik.

Prof. DDr. FFröhlich

Stefan FFröhlich iist sseit AApril 22003 CC 33-PPro-fessor ffür IInternationale PPolitik, NNachfolgeProf. DDr. KKrosik.

Stefan Fröhlich studierte an den Universitä-ten Bonn, Paris, Philadelphia und Washing-ton Politikwissenschaften, Anglistik und Hi-spanistik. Nach seinem 1985 mit dem Ma-

gister abgeschlossenen Studium, arbeitete er als wissenschaftli-cher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag. Parallel promovierte erim Fach Politikwissenschaft mit einer Arbeit im Bereich der Inter-nationalen Politik. Von 1989 bis 1994 war er wissenschaftlicherAssistent am Seminar für Politische Wissenschaft der UniversitätBonn, wo er sich 1996 als Forschungsstipendiat des GermanMarshall Fund of the United States (Washington) habilitierte. 1997vertrat er zunächst eine Professur an der Universität Trier und waranschließend Mitarbeiter in der Deutschen Gesellschaft für Aus-wärtige Politik und Privatdozent an der Universität Bonn. Von1998 bis 2002 war er Programmdirektor des Postgraduiertenkol-legs „European Studies“ am Zentrum für Europäische Integrati-onsforschung (ZEI) der Universität Bonn und arbeitete gleichzeitigals Privatdozent an der Universität Bonn. Seit 1999 war er regel-mäßig als Gastprofessor an europäischen Universitäten tätig.2002/03 war er Gastprofessor an der Johns Hopkins-University inWashington, D.C.. An der Universität Erlangen-Nürnberg arbeiteter derzeit besonders an den Fragen des Europäischen Verfas-sungskonvents, der transatlantischen Beziehungen sowie der Er-weiterung der Europäischen Union.

Prof. DDr. PProkosch

Ulli PProkosch ((Jahrgang 11958) iist sseit JJa-nuar 22003 IInhaber ddes SStiftungslehrstuhlsfür MMedizininformatik.

Ulli Prokosch studierte von 1976 bis 1981Mathematik an der Universität Gießen.Nach dem Studium arbeitete er als wissen-schaftlicher Mitarbeiter am Universitätskli-

nikum Gießen. Von 1987 bis 1988 war er als Research Associateim Department of Medical Informatics der University of Utah (SaltLake City, USA) tätig. 1988 wurde er in Gießen mit einer Arbeit ausdiesem Themengebiet promoviert. 1989 kehrte er an das Institutfür Medizinische Informatik der Universität Gießen zurück undübernahm dort die Leitung der Arbeitsgruppe Medizinische Infor-mationssysteme. 1994 wurde er in Gießen für das Fach Medizini-sche Informatik habilitiert. 1995 wurde er auf einen Lehrstuhl fürMedizinische Informatik an die Universität Münster berufen;gleichzeitig wurde ihm im Universitätsklinikum Münster die Lei-tung der Stabstelle Medizinische Informationsverarbeitung über-tragen. Seine Forschungsgebiete sind Informationssysteme imGesundheitswesen, Elektronische Patientenakte, die telemati-sche Vernetzung des Gesundheitswesens, Wissensverarbeitungin der Medizin, Multimediale Anwendungen in der Medizin, HealthTechnology Assessment sowie die Anwendung neuer Technolo-gien/Medien (E-Learning) in der studentischen Ausbildung. ImUniversitätsklinikum Erlangen wurde ihm parallel zu seiner Tätig-keit in Forschung und Lehre die Funktion eines „Chief InformationOfficer“ für das Klinikum übertragen.

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Personalia Berufungen

Prof. DDr. SSchubert

Ulrich SSchubert ((Jahrgang 11961) iist sseit JJa-nuar 22003 CC 33-PProfessor ffür VVirologie,Nachfolge PProf. DDr. HHauber.

Ulrich Schubert studierte von 1981 bis 1986Biochemie an der Universität Leipzig. Einanschließendes Forschungsstudium wurde1989 mit der Promotion abgeschlossen.

Von 1989 bis 1994 war er als wissenschaftlicher Assistent undLeiter einer Forschungsgruppe am Institut für Medizinische Im-munologie, Charité, Humboldt-Universität Berlin, tätig. Gleichzei-tig arbeitete er als Gastwissenschaftler bei der Gesellschaft fürBiotechnologische Forschung m.b.H. in Braunschweig sowie anden National Institutes of Health (NIH), National Institute of Allergyand Infectious Diseases (NIAID), Laboratory of Molecular Micro-biology (LMM), Bethesda, Maryland, USA. Es folgten eine Anstel-lung in der US-Regierung als „Visiting Associate“ an den NIH,NIAID, LMM sowie bis 2003 als „Visiting Scientist“ am Laboratoryof Virological Diseases, NIH, NIAID. 1997 erfolgte die Habilitationim Fach „Experimentelle Virologie“ und die Erteilung der Lehrbe-fugnis an der Universität Hamburg, wo er von 1998 bis 2002 alsHeisenbergstipendiat eine Forschungsgruppe am Heinrich-Pette-Institut, Abt. Virologie leitete.

Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeiten sind die Struk-tur und Funktion regulatorischer Proteine des humanen Immun-defizienzvirus (HIV). Weitere Arbeitsgebiete sind die Wechselwir-kungen zellulärer und viraler Proteine im HIV-Replikationszyklus.

Prof. DDr. WWieners

Christian WWieners iist sseit JJanuar 22003 CC3-PProfessor ffür AAngewandte MMathematikam LLehrstuhl 11 ddes IInstituts ffür AAnge-wandte MMathematik, NNachfolge PProf. DDr. HH.Grabmüller.

Christian Wieners studierte Schulmusik ander Musikhochschule Köln und Mathematik

an der Universität Köln. Nach dem ersten Staatsexamen für dasLehramt an Gymnasien 1989 schloss er ein Diplom in Mathematikan und promovierte 1994 über ein Thema der angewandten Ma-thematik. Anschließend wechselte er als wissenschaftlicher Mit-arbeiter an die Universität Stuttgart an den SFB 404 „Mehrfeld-probleme in der Kontinuumsmechanik“, dann an das Interdiszipli-näre Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen an die UniversitätHeidelberg. Dort wurde er 2000 mit einer theoretischen und nu-merischen Untersuchung über Elasto-Plastizität habilitiert. In denfolgenden Jahren übernahm er eine Lehrstuhlvertretung für Nu-merik an der TU Chemnitz und eine C 3-Vertretung für Ange-wandte Mathematik an der Universität Augsburg.

An der Universität Erlangen-Nürnberg arbeitet er am Institut fürAngewandte Mathematik vorwiegend an numerischen Fragestel-lungen mit den Schwerpunkten Wissenschaftliches Rechnen,Diskretisierungs- und Lösungsverfahren für partielle Differential-gleichungen und Parallelisierung. Im Vordergrund stehen dabeiModelle aus der Kontinuumsmechanik (Deformationen von Me-tallen, Bodenmechanik, poröse Medien).

Prof. DDr. WWegener

Bernhard WW. WWegener iist sseit 11.4.2004 IIn-haber ddes LLehrstuhls ffür ÖÖffentliches RRechtund MMitglied dder kkollegialen LLeitung ddes IIn-stituts ffür SStaats- uund VVerwaltungsrecht.

Prof. Wegener studierte an den Universitä-ten Göttingen, Salamanca und Leuven. Ei-nen Magisterabschluss erwarb er am Euro-

pakolleg im belgischen Brügge. Prof. Wegener habilitierte sich imRahmen seiner Assistententätigkeit bei Frau Richterin am Bun-desverfassungsgericht Prof. Dr. Gertrude Lübbe-Wolff an der Uni-versität Bielefeld mit einer Arbeit über den „Geheimen Staat - Ar-kantradition und Informationsfreiheit in Deutschland“.

Nach eineinhalbjähriger Tätigkeit als Professor an der UniversitätMünster wechselte er an die hiesige Fakultät. Seine Schwer-punkte in Forschung und Lehre liegen auf den Gebieten desRechts der Europäischen Union, des Umwelt-, des Informations-freiheits- und des Wirtschaftsverwaltungsrechts.

Daneben gilt sein Interesse auch der Geschichte und Philosophiedes Öffentlichen Rechts.

Prof. DDr. PPflaum

Christoph PPflaum ((Jahrgang 11967) iist sseitJuni 22003 CC 33-PProfessor ffür NNumerische SSi-mulation mmit HHöchstleistungsrechnern aamInstitut ffür IInformatik.

Christoph Pflaum studierte Mathematik mitNebenfach Elektrotechnik an der Techni-schen Universität München (TUM) und pro-

movierte dort 1996. Anschließend war er wissenschaftlicher As-sistent an der Universität Würzburg und wo er 1999 habilitierte.Als eingeladener Gastwissenschaftler der University of Californiaarbeitete er von September 2000 bis August 2001 am LawrenceLivermore National Laboratory.

Ziel seiner Forschungsarbeit ist die numerische Simulation ver-schiedener technischer Prozesse. Gerade bei komplexen Simula-tionen ist dabei die Verwendung von Höchstleistungsrechnernunbedingt notwendig. Eine wichtige wissenschaftliche Fragestel-lung ist hierbei die Entwicklung effizienter und flexibler Simulati-onssoftware auf Parallelrechnern.

Ein aktuelles Forschungsprojekt von Prof. Pflaum ist die numeri-sche Simulation Lasern. Durch eine genaue Simulation derWärme-Entwicklung und der optischen Welle in Lasern, ist esmöglich die Leistung und die Qualität von Laser zu optimieren.

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Personalia Berufungen

Prof. DDr. HHornegger

Joachim HHornegger iist sseit OOktober 22003 CC3-PProfessor ffür IInformatik ((MedizinischeBildverarbeitung) aam IInstitut ffür IInformatik.

Joachim Hornegger studierte Informatik ander Universität Erlangen-Nürnberg und pro-movierte 1996 am Lehrstuhl für Musterer-kennung mit einer Arbeit zur statistischen

Objektmodellierung und -erkennung. Es folgten Forschungsauf-enthalte am Technion und am Massachusetts Institute of Techno-logy. 1997/98 war er Gastwissenschaftler und Dozent am Compu-ter Science Department der Stanford University. Nach dem Aus-landsaufenthalt wurde er Entwicklungsingenieur bei Siemens Me-dical Solutions. Im Jahr 2001 übernahm er dort die Leitung für dieMedizinische Bildverabeitung und 2003 die Gesamtverantwor-tung für die Bildsystementwicklung. Begleitend zu seiner Indus-trietätigkeit war Prof. Hornegger Gastdozent an den UniversitätenErlangen-Nürnberg, Eichstätt und Mannheim. Ergänzend zur In-formatikausbildung hat er 2003 ein Diplom in Advanced Manage-ment von der Duke University und Siemens erworben.

Die wissenschaftlichen Schwerpunkte von Prof. Hornegger liegenvor allem auf dem Gebiet der interaktiven medizinischen Bildver-arbeitung; hier sind insbesondere die 3D-Rekonstruktion aus Pro-jektionen, die Fusion multimodaler Sensordaten sowie die intui-tive Benutzerführung unter Zuhilfenahme von Algorithmen desRechnersehens und der Sprachverarbeitung zu nennen.

Prof. DDr.-IIng. DDörnenburg

Heike DDörnenburg ((Jahrgang 11962) iist sseitOktober 22003 CC 33-PProfessorin ffür BBiover-fahrenstechnik aam IInstitut ffür CChemie- uundBioingenieurwesen.

Heike Dörnenburg studierte Lebensmittel-und Biotechnologie an der TU Berlin undpromovierte dort 1992. Nach einem Aufent-

halt als Gastwissenschaftlerin bei Unilever Research Laboratoryin Colworth House, UK, war sie von 1993 bis 2000 als wissen-schaftliche Assistentin im Fachbereich Lebensmittelwissenschaftund Biotechnologie der TU Berlin beschäftigt. 1997 bis 1998 er-folgte ein weiterer Auslandsaufenthalt im Rahmen des EU TMRMarie Curie Fellowship bei Unilever Research Colworth in Eng-land. Mit ihrer Arbeit über Prozesse zur Optimierung funktionellerEigenschaften in pflanzlichen Zellen und Integration von Stressin-duktion in die Produktentwicklung habilitierte sie sich 2000. An-schließend war sie als Geschäftsführerin des Biotechnologie-Centrums und als Oberingenieurin der TU Berlin tätig.

Ihre Arbeitsgebiete umfassen die Biotechnologie der höheren undniederen Pflanzen. Schwerpunkte liegen in der Zell- und Gewebe-kulturtechnik mit dem Ziel der Produktion pharmazeutisch undmedizinisch relevanter Substanzen in kontrollierten Bioprozes-sen. Zum anderen werden für den Bereich Nahrungsergänzungbiotechnologische Verfahren zur Produktion von Oligo- und Poly-sacchariden mit präventiv medizinischen und ernährungsphysio-logischen Eigenschaften entwickelt.

Prof. DDr. KKauffmann

Clemens KKauffmann ((Jahrgang 11961) iist sseitOktober 22003 IInhaber ddes LLehrstuhls ffürPolitische WWissenschaft III ((Nachfolge PProf.Gebhardt) uund LLeiter dder AAbteilung ffür GGeis-tesgeschichte ((Eric-VVoegelin-Bibliothek/Gerlach-AArchiv).

Clemens Kauffmann studierte Philosophie,Klassische Archäologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau,Münster und München. Nach dem Magister Artium 1988 folgte einPromotionsstudium in München, wo er 1991 mit einer Arbeit über„Ontologie und Handlung“ promoviert wurde. Ab 1991 war Kauff-mann Assistent und Oberassistent am Institut für Politische Wis-senschaft der Universität Regensburg. Mit der Habilitation wurdeihm 1998 die Lehrbefugnis für das Fachgebiet Politikwissenschafterteilt. Zwischen April 1999 und März 2001 übernahm er die Ver-tretung des Lehrstuhls für Politische Philosophie und Ideenge-schichte an der Universität Regensburg, ab April 2003 die Vertre-tung des Lehrstuhls für Politische Wissenschaft II an der Universi-tät Erlangen-Nürnberg.

Die Arbeitsschwerpunkte von Prof Kauffmann liegen in den Berei-chen der politischen Philosophie der Antike und Gegenwart, derpolitischen Ideengeschichte, der Theorie des Liberalismus sowieder Politik in Japan. Hinzu kommen politische und philosophischeAspekte der Molekularen Medizin und der Biotechnologie.

Prof. DDr.-IIng. PPeukert

Wolfgang PPeukert ((Jahrgang 11958) iist sseitMärz 22003 IInhaber ddes LLehrstuhls ffür MMe-chanische VVerfahrenstechnik, NNachfolgeProf. OOtto MMolerus. IInzwischen wwurde dderLehrstuhl uumbenannt iin FFeststoff- uundGrenzflächenverfahrenstechnik.

Wolfgang Peukert studierte Chemieinge-nieurwesen an der Universität Karlsruhe. 1990 schloss er seineDissertation mit Auszeichnung ab. Seine parallel zur Dissertationdurchgeführten Studien zur Gasreinigung in einem Aluminium-schmelzwerk wurden mit dem 1. Preis der Umweltstiftung inKarlsruhe ausgezeichnet. Daneben beschäftigt er sich mit philo-sophischen Fragen.

1991 trat Prof. Peukert in die Firma Hosokawa MikroPul ein undwurde für eineinhalb Jahre nach Japan entsandt. Danach wurdeer zum Leiter der Forschung und Entwicklung ernannt. 1997wurde ihm die Leitung der weltweiten Konzernforschung angebo-ten. Im gleichen Jahr erhielt er einen Ruf der ETH Zürich auf eineordentliche Professur für Verfahrenstechnik. 1998 nahm er einenRuf an die TU München als Inhaber des Lehrstuhls für Feststoff-und Grenzflächenverfahrenstechnik an. Mit seiner Berufung nachErlangen erfolgte eine strategische Neuausrichtung des Lehr-stuhls hin zur Feststoff- und Grenzflächenverfahrenstechnik. EinSchwerpunkt seiner Arbeiten wird in der Steuerung von Produkt-eigenschaften („product engineering“) unter Beachtung ökonomi-scher und ökologischer Randbedingungen bestehen.

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